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Libanon: Hausgemachte Katastrophen

Wer vom Patriarchat nicht reden will …

Sich mit Männlichkeit auseinanderzusetzen führt unweigerlich zu Diskussionen, häufig unschönen. Wieso ist das so? Geschlechterverhältnisse sind wirkmächtig und betreffen alle. Ihr Geschlecht tragen alle mit sich herum, ganz gleich wie man sich dazu verhält. So ist das Patriarchat als Herrschaftsverhältnis uns allen im wahren Sinn in den Körper eingeschrieben. Der Mann und seine Männlichkeit stehen in diesem Verhältnis auf der profitierenden Seite – was nicht heißt, dass Männer nicht auch unter dem Patriarchat leiden. Dies macht es nicht unbedingt einfacher, das Herrschaftsverhältnis und die Verteilung von Macht darin anzuerkennen. Gleichzeitig ist der Ausweg schwieriger: Man(n) kann nicht umstandslos aufhören Mann zu sein und sich auf die Seite der Unterdrückten schlagen. Das ist gerade für Linke schwer aushaltbar und auch dort wird die Diskussion dann häufig unschön.

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In diesem Themenschwerpunkt wollen wir uns nicht damit beschäftigen, wie es Männern überall auf der Welt geht. Das überlassen wir den Männer-Lifestylemagazinen. Stattdessen interessiert uns der kritische Blick auf und hinter die herrschenden Verhältnisse. In diesem Fall das Patriarchat. Welche Rolle spielt Männlichkeit darin? Und wenn das Patriarchat global (geworden) ist, gilt das dann auch für Männlichkeit? Oder ist diese, wie so vieles, ein westliches Konzept? Wie sieht es mit Männlichkeitsvorstellungen im Globalen Süden aus? Es hat sich auch bei der Diskussion um den Titel des Schwerpunktes gezeigt – geht Männlichkeit im Singular? Müssen wir nicht von Männlichkeiten sprechen?

Wir haben uns für den Singular entschieden. Die Fragen, die hinter der Grammatik stehen, beantworten die Artikel des Themenschwerpunks unterschiedlich. Der südafrikanische Geschlechterforscher Dean Peacock (Seite 26) will lieber Männer von Männlichkeitsvorstellungen befreien als Männlichkeit multiplizieren. Kim Posster sieht das ähnlich, für ihn ist Männlichkeit ein gesellschaftlicher Skandal, gegen den es aufzubegehren gilt (Seite 22). Der Podcaster Soufiane Hennani aus Marokko ist hingegen auf der Suche nach positiven Aspekten von Männlichkeit und macht gleichzeitig deutlich, dass Queerness kein westlicher Import ist (Seite 30). Das betonen auch Kim Anderson und Robert Alexander Innes: Sie schreiben von Indigenen Männlichkeiten im Plural und zeigen auf, dass die westlichen Vorstellungen

Der Themenschwerpunkt Männlichkeit entstand in Kooperation mit dem Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung e.V. von Geschlecht in den Kolonien gewaltsam durchgesetzt wurden (Seite 34).

Bei allen Unterschieden lässt sich festhalten, dass heute global von einer hegemonialen Männlichkeit gesprochen werden kann, die mit dem Kolonialismus verbreitet wurde und in Überschneidung mit Rassismus nicht zuletzt der Herrschaftssicherung weißer Siedler*innen diente. Über die Jahrhunderte wurde Männlichkeit zu der unsichtbaren Norm, die nun langsam hinterfragt wird (Seite 21).

Das bedeutet nicht, dass sich Männlichkeit überall exakt gleich ausprägt und dass es keine gegenläufigen Tendenzen gibt. Aber gewisse Grundstrukturen sind ähnlich und sie alle vereint eins: der privilegierte Zugang zu Macht im Patriarchat. Deshalb kann Männlichkeit auch nur eingeschränkt auf der individuellen Ebene angegangen werden. Natürlich soll der konkrete Mann unbedingt mehr Care-Arbeit machen, weniger selbstverständlich Redezeit einfordern und dringend mehr über seine Gefühle sprechen – vor allem auch mit anderen Männern! Forderungen nach einer vermeintlich gesünderen Männlichkeit greifen jedoch zu kurz und laufen Gefahr, dem Patriarchat ein »politisch korrektes Facelift« zu verpassen (Seite 24). Männlichkeit bleibt ein politisches und gesellschaftliches Problem. Es muss entsprechend politisch organisiert bekämpft werden – und dafür ist die Einsicht in das Herrschaftsverhältnis notwendig, auch wenn sie für Männer bitter ist und sein muss.

Apropos Widerständigkeit: Mit Geschlechterrollen und Machtverhältnissen spielen auch die Sapeurs, eine Subkultur aus dem Kongo. Sie hat ihre Ursprünge in den 1920er-Jahren, als Einheimische elegante Mode als eine Form des Widerstands entdeckten: Man kleidet sich besser als die Kolonialherren. Auch heute drückt diese schrille Subkultur Widerstand gegen Armut und Perspektivlosigkeit aus. Sie ist traditionell männlich geprägt, doch gibt es immer mehr Frauen, die zu Sapeusen werden. Indem sie so die kongolesische patriarchale Gesellschaft herausfordern und die Machtdynamik umkehren, kehren sie zum Anfang der Bewegung zurück. So auch Clementine Biniakoulou auf unserem Titelbild – sie ist Hausfrau in Brazzaville und seit 36 Jahren Sapeuse. Ihr Porträt stammt, wie die Mini-Bildstrecke zu Beginn des Themenschwerpunkts, aus dem Buch »Sapeurs: Ladies and Gentlemen of the Congo« von Tariq Saidi. Wir danken ihm für die wunderbaren Fotos.

die redaktion

Nichts ohne ‚das Andere‘

Was ist eigentlich Männlichkeit?

von Larissa Schober

t Männlichkeit war lange vor allem eines – unsichtbar. Das Männliche ist der Standard, die normale menschliche Natur. Zumindest stellt es sich so dar. Deshalb ist »It’s a man’s world« nicht nur ein Song von James Brown und ein daher gesagter Satz, sondern noch immer zu viel Zustandsbeschreibung.

Das hat Konsequenzen für den Alltag all jener, die nicht dieser Männlichkeit entsprechen. Dabei geht es nicht nur um gesellschaftliche Teilhabe und um die elendige Sprachdiskussion, in der sich Frauen und alle anderen Geschlechter beim generischen Maskulinum bitteschön mitgemeint fühlen sollen. Die Welt ist auf Männer ausgerichtet – und das kann gefährlich sein: Etwa, weil Crash Test Dummies für Autounfälle männlichen Körpern nachempfunden sind. Dadurch sind die Schutzsysteme weniger effektiv für Körper, die dieser Norm nicht entsprechen und es sterben mehr Frauen als Männer bei Unfällen. Die Journalistin Rebekka Endler sammelt in ihrem Buch ‚Das Patriarchat der Dinge‘ dieses und viele weitere Beispiele. Sie zeigt auf, wie die Ausrichtung der Dinge auf Männer einerseits gefährlich ist und andererseits wieder auf Geschlechterklischees zurückwirkt. So orientiert sich die als ideal geltende Temperatur in Großraumbüros an männlichen Körpern. Diese ist aber oft zu niedrig für den weiblichen Körper, der einen höheren Fettanteil besitzt. Im sozialen Konstrukt um Geschlecht wird dann daraus, dass Frauen ‚Frostbeulen‘ seien. Die Konzeption von Männlichkeit als autonomes Subjekt geht aber nicht auf. Menschen sind soziale Wesen und niemals komplett autonom. Männer stecken in einem grundsätzlichen AutonomieAbhängigkeitskonflikt. Sie müssen autonom sein, gleichzeitig bestehen aber Abhängigkeiten, die sich nicht auflösen können. Die grundsätzlichste ist vielleicht diese: Männer schulden ihr Dasein der Frau, sie wurden geboren. Initiationsriten, die es weltweit für den Übergang von der Kindheit zum ‚Mann sein‘ gibt, versuchen, durch eine rituelle zweite Geburt diesen Makel zu beseitigen. Darin drückt sich laut Pohl der Wunsch nach einer Welt ohne Frauen aus. Seine offenste Verkörperung findet dieser im Männerbund.

… frau fühlt sie schon

Man sieht sie nicht …

t Und was genau ist Männlichkeit jenseits des ‚Unsichtbaren‘ und ‚Normalen‘? Männlichkeit ist keine Eigenschaft, sondern, mit dem Sozialpsychologen Rolf Pohl gesprochen, ein kulturelles und psychosoziales Konstrukt. Zudem ist sie die privilegierte Position im globalen Herrschaftsverhältnis Patriachat. Dabei gilt noch immer das von Simone de Beauvoir aufgestellte Diktum, dass die Frau (und alle anderen Geschlechter, die eben nicht der Mann sind) ‚das andere Geschlecht‘ ist. Dabei sind zwei Aspekte für Männlichkeit zentral: Sie stellt das autonome, unabhängige Subjekt dar, Männlichkeit ist keine Eigenschaft, das (im Gegensatz zu dem ‚Anderen‘) sich sondern ein Konstrukt selbst gehört. Dieses Subjekt muss gleichzeitig das überlegene Geschlecht sein. Daher konstituiert sich Männlichkeit stets durch die Abwertung des Weiblichen und anderer Geschlechter. Diese Abwertung ist also eine Grundbedingung von Männlichkeit und genau der Grund, warum es keine ‚gute‘ Männlichkeit geben kann.

Sowohl Überlegenheit als auch Autonomie sind aber nicht einfach vorhanden, sie (und damit die Männlichkeit) müssen immer wieder neu hergestellt werden. Diese Herstellung kann auch misslingen, weshalb Männlichkeit ein stets fragiler und bedrohter Zustand ist. Und das bedrohlichste für diesen Zustand ist wiederum ‚das Andere‘. Ein ‚Mädchen‘, ‚schwul‘, eine ‚Transe‘ zu sein ist die tief sitzende Angst eines jeden ‚richtigen Mannes‘. t Für heterosexuelle cis-Männer spitzt sich dieser Konflikt noch zu – sie sind zur Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse von Frauen abhängig. Frauen ‚zu nehmen‘ ist zudem wichtiger Teil der Konstruktion vom ‚Mann sein‘. Dadurch wird aber die Autonomie, die zentral für das männliche Subjekt ist, untergraben. Männlichkeit ist deshalb von einer mehr oder weniger paranoiden, im Notfall gewaltbereiten Abwehrhaltung geprägt. Ihr unbewusster Kern ist eine von Angst, Lust und Hass gekennzeichnete Einstellung zu allem für die Männlichkeit Bedrohlichen, das mit Weiblichkeit assoziiert wird. Kurz: Männer hassen Frauen dafür, dass sie sie begehren. Dieser Autonomie-Abhängigkeitskonflikt ist die wichtigste Quelle von sexueller und nichtsexueller Gewalt gegen Frauen. Gewalt ist ein Versuch, eine durch die Abhängigkeit aus den Fugen geratene Männlichkeit wiederherzustellen (Seite 22). So sind extreme Bewegungen wie etwa jene der Incels oder die Taliban nicht nur eine irgendwie entgleiste Männlichkeit, sondern deren logische Folge. Und ihre Gewalt ist ein Mittel, um die Männerherrschaft aufrechtzuerhalten. Männlichkeit bedeutet Leid in alle Richtungen – für Frauen und andere Geschlechter, die im besten Fall für männliche Projektionen herhalten müssen, im schlimmsten Fall Gewalt bis zum Mord erfahren, damit eine verletzte Männlichkeit wiederhergestellt werden kann. Und für Männer, die an der unerfüllbaren Erwartung, die den Kern von Männlichkeit ausmacht, scheitern müssen. Deshalb kann es nicht darum gehen, ‚toxische‘ Anteile von Männlichkeit zu verlernen (Seite 24) oder eine angeblich gute und ‚kritische‘ Männlichkeit herauszuarbeiten. Eine emanzipierte Menschlichkeit macht die Männlichkeit nicht ‚unsichtbar‘. Sie schafft sie ab. t Larissa Schober ist Redakteurin im iz3w.