iz3w Magazin # 387

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Debatte

Denkmal für die ermodeten Juden Europas, Berlin | Foto: Peter Kuley CC BY-SA 3.0

ihrer Kritik der kapitalistischen und strukturell antisemitischen Gesell­ land lange unterbelichteten Kolonialismus. Und Linke, die das offischaft heranziehen. Dieser Ableitungsdogmatismus hatte geschichtszielle »Gedächtnistheater« (Michal Bodemann) oder den Gedächtpolitische Konsequenzen: Wer damals etwa die Shoa einem Vergleich niskitsch der politischen Klasse dieses Staates verdächtig finden, mit anderen Genoziden unterzog, geriet, selbst wenn es explizit begrüßen die Herausforderung des etablierten Erinnerungsregimes. darum ging, die Unterschiede herauszuarbeiten, unter Apolo­gie­ver­ dacht. Wer vergleiche, so hieß es, habe schon relativiert, denn der Gegenläufige Erinnerung Vergleich sei die ideologische Denkform des Warentausches. Das sieht die gegenwärtige Generation, die aus dieser Strömung enttt Die Aufarbeitung des (deutschen) Kolonialismus und das Interstanden ist, offenbar nicht mehr so eng, wie man dem sehr umsichesse an »multidirektionaler Erinnerung« (Michael Rothberg) ist für tigen und vernünftigen Band Untiefen des Postkolonialismus entnehdie Selbstartikulation und -ermächtigung von Gruppen und Commen kann, wo sogar zu lesen ist: »Ohne die kognitive Operation des munities, für die der Rassismus die zentrale gesellschaftliche ErfahVergleichens würde die Orientierung in der Welt deutlich schwerer rung ist, eine geschichtspolitische Angelegenheit von höchster Bedeutung und mit identitätspolitischer Dimension. Eine Konkurfallen, wenn nicht sogar unmöglich sein.« Die These vom Zivilisationsbruch, so umstritten ihre Genese war, renzsituation zwischen Opfergruppen müsste dabei nicht zwangsbekam großes Gewicht. In den 1990er-Jahren wurde das Gedenken läufig entstehen. Diese zu überwinden, ist gerade die Idee von an den Holocaust nach Ende des Kalten Kriegs zunächst amerikaRothbergs Begriff. Dass sie aber doch regelmäßig eintritt, hat nicht nisiert: 1993 entstand das United States Holocaust Memorial Munur mit misslungener Kommunikation zu tun, sondern einen handseum in Washington D.C. als nationale Gedenkstätte mit weltweifesten Grund: Irgendwann geht es in geschichtspolitischen Debattem Symbolcharakter. Gegen Ende des Jahrzehnts setzte nach der ten immer um Israel. Nicht zufällig begründet A. Dirk Moses seinen Stockholmer Erklärung, die den Holocaust Angriff auf den »Katechismus der Deutzum Zivilisationsbruch und die »Kritik am schen« damit, dass das staatliche Gedenken Erinnerung birgt immer Antisemitismus« zum Element des euroan die Shoa dazu diene, die Unterdrückung päischen Erbes erklärte, ein regelrechter der Palästinenser*innen zu legitimieren. Gefahren und Nebenwirkungen Memory-Boom ein. In Deutschland entDan Diners Begriff der »gegenläufigen Erwickelte sich dieses Geschichtsbild in der innerung« trifft die Konfliktgemengelage Zeit der rot-grünen Koalition und während der Ära Merkel zur daher besser als die »multidirektionale Erinnerung«, denn gegenbundesdeutschen Staatsräson. Bundespräsident Gauck resümierte: läufige Existenzerfahrungen ziehen gegenläufige Gedächtnisse nach »Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz«. Das gegenwärsich. Für die Kolonisierten war der Weltkrieg eben sehr anders als tige Staatsoberhaupt Steinmeier ist das Gesicht solcher Zeremonifür die Alliierten – »Unsere Opfer zählen nicht« heißt treffend ein en, in denen pastorale Pathosformeln der Betroffenheit gesprochen Buch über die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg. Diners Begriff ist werden. Die Bundeskanzlerin wurde zur Personifizierung der fast freilich älter als der von Rothberg – und das ist durchaus bezeichnend. Denn die Diskussion um das Verhältnis von kolonialer Gewalt bedingungslosen Israel-Loyalität und das Amt des Antisemitismusbeauftragten die Institutionalisierung des Geschichtsbildes, dass und Shoa ist keineswegs neu. Schon Hannah Arendt hat es themasich »Auschwitz nie wiederholen dürfe«. tisiert, und natürlich die Postkoloniale Theorie, beginnend mit Aimé Da aber auch schon Kriege mit dieser Losung geführt wurden – Césaire. Die historische Forschung hat die Frage in der Genozidman erinnere sich an die Begründungen des Jugoslawien-Krieges Forschung oder im Fall des Völkermords an den Herero und Nama von Joschka Fischer – ist sie manchen Linken fragwürdig geworden. aufgegriffen. Das Niveau und die Differenziertheit der Debatte Mit der Zeit stoßen sich auch immer mehr nicht-jüdische Betroffene waren vor zehn Jahren wesentlich höher, vor allem in der Frage, aktueller Diskriminierungsarten und historischer Gewaltexzesse an wie viel Kolonialismus im Nationalsozialismus steckt. Geschichte ist hochgradig politisiert, denn die Narrative von der Exponierung jüdischer Leiderfahrungen. Das Erinnerungsnarrativ des »Nie wieder Auschwitz« wird herausgefordert durch viele Opfergemeinschaften wie von Nationen insgesamt dienen der andere Narrative. Gerade in einer diversen Einwanderungsgesellschaft sogenannten Identitätsbildung. Es war vor allem der Streit um die artikulieren sich mit Recht und guten Gründen Erinnerungen an Ein- und Ausladung des postkolonialen, antirassistischen und israandere kollektive Gewalterfahrungen, vor allem jene des in Deutschelunfreundlichen Theoretikers Achille Mbembe zur Ruhrtriennale iz3w • November / Dezember 2021 q 387

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