10. September 2024, 19:30 Uhr
Großer Saal
10. September 2024, 19:30 Uhr
Großer Saal
Highlights in der Saison 2024–25
Mi, 13. Nov 2024, 19:30
Mittlerer Saal
Quatuor Mosaïques
Das legendäre Quatuor Mosaïques gastiert mit den meisterhaften letzten Quartettwerken Joseph Haydns und Franz Schuberts sowie dem ›Höllenquartett‹ von Joseph Wölfl im Brucknerhaus Linz.
Sa, 23. Nov 2024, 19:30
Mittlerer Saal
Hiemetsberger & Company of Music
Johannes Hiemetsberger und sein Vokalensemble Company of Music bringen Francis Poulencs mitreißende Kantate Figure humaine sowie Morton Feldmans Rothko Chapel auf die Bühne.
So, 1. Dez 2024, 11:00
Großer Saal
Radulović & Double Sens
Der serbische Geiger Nemanja Radulović und sein Ensemble Double Sens eröffnen mit ihrer unkonventionellen, frischen Herangehensweise neue Blickwinkel auf Bach und Beethoven.
Das Programm auf einen Blick
Mit seiner 8. Sinfonie bestieg Anton Bruckner den Gipfel seines sinfonischen Schaffens, an dessen geradezu astronomischen Höhen er sich mit seiner anschließenden Neunten lange Jahre abarbeitete, ehe er das Werk bei seinem Tod unvollständig zurücklassen musste. Zugleich ist die Achte wie keine andere BrucknerSinfonie ein Werk des Zweifelns und des Suchens. Der Dirigent Hermann Levi, dem Bruckner die Erstfassung zukommen ließ, gestand, es sei ihm »unmöglich, die 8te in dieser Form zur Aufführung zu bringen«. Bruckner selbst behielt die heute zu hörende Urfassung trotz späterer Umarbeitung immer im Hinterkopf, für »spätere[] Zeiten«, wie er dem Dirigenten Felix Weingartner mitteilte, »und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern«.
Vorangestellt wird diesem Werk ein ungleich schlankeres, dabei allerdings nicht weniger gewichtiges: Heinrich Ignaz Franz Bibers Battalia ist ein barockes Schlachtengemälde voll hintersinnigem Humor, mitreißender Dramatik und expressiver Lyrik und damit wie Bruckners Achte: unergründlich.
Ars Antiqua Austria
Gunar Letzbor | Violine & Leitung
Orchestre des Champs-Élysées
Philippe Herreweghe | Dirigent
Heinrich Ignaz Franz Biber 1644–1704
Battalia. Suite DDur C 61 // 1673
Sonata. Allegro
Die liederliche Gesellschaft von allerley Humor. Allegro
Presto
Der Mars
Presto
Aria. Andante
Die Schlacht. Allegro
Lamento der Verwundten Musquetirer. Adagio
// Pause //
Anton Bruckner 1824–1896
Sinfonie Nr. 8 cMoll WAB 108 // 1884–87 ›Fassung 1887‹
I Allegro
II Scherzo. Allegro moderato
III Adagio. Feierlich langsam, doch nicht schleppend
IV Finale. Feierlich, nicht schnell
Konzertende ca. 21:45 Uhr
Heinrich Ignaz Franz Biber // Battalia
Wenig ist über die Herkunft und die Ausbildung des am 12. August 1644 im böhmischen Wartenberg geborenen Heinrich Ignaz Franz Biber bekannt, der als einer der bedeutendsten Komponisten und größten Geiger seiner Zeit gilt. Sein Vater ist »Schütze«, also vermutlich Wachmann in Diensten des Adelsgeschlechts von Liechtenstein-Kastelkorn, für das auch der Sohn in Kremsier (Kromĕříž), wo er die Pflicht hat, »den Violin Baß und die Viol da gamba zu streichen und in ziemlicher Gestalt auch zu komponieren«, vermutlich ab 1666 als Kammerdiener wirkt. Seine Ausbildung erhält er zuvor möglicherweise in Wien beim kaiserlichen Hofviolinisten Johann Heinrich Schmelzer, auf eine anschließende Anstellung am Hof des Grazer Fürstenhauses Eggenberg deutet nur eine einzige briefliche Anmerkung Bibers hin. In Kremsier tritt er auch erstmals als Komponist hervor, schreibt Violinsonaten und Suiten und erregt damit – schon wieder braucht es das Wort ›vermutlich‹ – die Aufmerksamkeit des Salzburger Fürsterzbischofs Maximilian Gandolf von Kuenburg. Wahrscheinlich geschieht es auf dessen Betreiben hin, dass Biber im Winter 1670 unter dem Vorwand, einige bestellte Violinen abzuholen, zum Geigenbauer Jakob Stainer nach Absam in Tirol aufbricht, allerdings nicht wieder zu seinem Dienstherrn zurückkehrt. Stattdessen setzt er sich »insalutato hospite«, also ohne Abschied, nach Salzburg ab, wo er ein Jahr später bereits als Mitglied des
»Als ich noch in weinlesen auf meinen guetern an der Etsch ware, hab ich desselben schreiben zurecht erhalten mit aviso, daß der Biber, ihro Hochfürstlich gnaden musicus und camerdiener, mit noch ainen eiusdem qualitatis et conditionis insalutato hospite [i. e. noch jemandem von gleichem Charakter ohne Abschied zu nehmen] sich fortbegeben habe, da er oder sein camerada sich bey bekannten geigenmacher zu Absam anmelden solle, hab ich zwar hierauf nit unterlassen, deswegen ordre zu geben, ist aber er, Biber, in person nit ankomen […].«
Brief von Johann Khuen, Tiroler Korrespondent des Fürstbischofs von Liechtenstein-Kastelkorn an dessen Buchhalter Thomas Sartorius vom 3. Jänner 1671
Heinrich Ignaz Franz Biber
Heinrich
Ignaz Franz Biber, Kupferstich von Paul Seel, 1680
Hofstaates gelistet wird. Hier bleibt er bis zu seinem Tod, steigt 1678 zum Vizekapellmeister, 1679 zum Hofrichter und 1684 zum Hofkapellmeister auf und komponiert seine bis heute berühmtesten Werke, um 1674 die ›Rosenkranz-Sonaten‹, die Violinsonaten des Jahres 1681 und 1673 seine Battalia
Die musikalische Imitation kriegerischer Auseinandersetzungen in musikalischen Schlachtengemälden (ital. Battaglia) war zu Bibers Zeit ein durchaus beliebtes Genre, das bei höfischen Zeremonien und Theateraufführungen zur Anwendung kam. Vor vergleichbaren Werken seiner Kollegen zeichnet sich Bibers Battalia dabei durch die virtuose Durchmischung ernsthafter und humoristischer Merkmale aus. Das zeigt sich schon beim Titel:
»Battalia / Das liederliche Schwirmen der Musquetirer / Mars / die Schlacht, und Lamento / der verwundten, mit Arien / imitirt. und Baccho dedicirt«
Wer seine Schlachtenmusik freimütig Bacchus, dem Gott des Weines, widmet, hat nicht nur einen ausgeprägten Sinn für Humor, sondern auch einen wachen Blick auf die Gesellschaft seiner Zeit, die sich den Schrecken des Krieges praktisch ununterbrochen gegenübersah (man denke etwa an die seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts wütenden Osmanenkriege oder den erst vier Jahre nach Bibers Geburt beendeten Dreißigjährigen Krieg), ist Bacchus doch zugleich der Gott der Ekstase und des Wahnsinns. Bei Biber treffen betrunkene Soldaten, die in der liederlichen Gesellschaft von allerley Humor ohne Rücksicht auf Harmonie wild durcheinandergrölen, auf Kanonenschüsse, für die die Bassinstrumente ihre Saiten so stark zupfen sollen, dass diese beim Zurückschnellen gegen das
Griffbrett schlagen: »Die Schlacht muss nit mit dem Bogen gestrichen werden«, so Biber, »sondern mit der rechten Handt die Saite geschnelt wie die stuck [i. e. Geschütze], Undt starck!« An anderer Stelle soll man »anstadt des geigen mit dem Bogen klopfen auf die geigen« und das Schlagen der Trommel durch das Einklemmen eines Papiers hinter den Saiten des Violone imitieren, »das es einen Strepitum [i. e. Lärm] gibt«. Im vorletzten Abschnitt des Werkes führt der Weg schließlich auf das Schlachtfeld, dessen kurzlebiges Getöse sich vor dem Hintergrund eines abschließenden Lamentos der Verwundten Musquetirer allerdings schnell und buchstäblich in ›Schall und Rauch‹ auflöst.
Beginn der Battalia in der autographen Violinstimme, 1673
Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Anton Bruckner // Sinfonie Nr. 8 c-Moll ›Fassung 1887‹
In der ersten Oktoberhälfte des Jahres 1887 erhält Anton Bruckner einen Brief, auf den er bereits ungeduldig gewartet hat und den er vermutlich hastig, voll Anspannung und Vorfreude öffnet. »Lieber und verehrter Freund!«, liest er. »Bereits seit 8 Tagen beschäftige ich mich damit, Ihnen (in Gedanken) lange Briefe zu schreiben. Noch niemals ist es mir so schwer geworden, für das, was ich zu sagen habe, die rechten Worte zu finden! Aber endlich muß es ja doch sein …« Die folgenden Zeilen, so werden es seine Freund:innen später berichten, stürzen den Komponisten in eine Phase tiefster Verzweiflung. Der Absender des Briefes und damit der Verursacher von Bruckners Leid ist der Münchner Generalmusikdirektor Hermann Levi, dem Bruckner die Partitur seiner soeben vollendeten Sinfonie Nr. 8 cMoll am 19. September 1887 zugesandt hat, an der er zwischen Juni 1884 und August 1887 – eine für Bruckners Verhältnisse außerordentlich lange Zeitspanne – gearbeitet hatte.
»Ich kann mich in die 8te Sinfonie nicht finden, und habe nicht den Muth, sie aufzuführen. Orchester und Publikum würden, dessen bin ich sicher, den größten Widerstand leisten. […] Bitte schreiben Sie mir gleich, wie ich mich Bruckner gegenüber verhalten soll. Wenn es damit abgethan wäre, daß er mich für einen Esel, oder was noch schlimmer für einen Treulosen hielte, so wollte ich mir dies ruhig gefallen lassen. Aber ich fürchte Schlimmeres, fürchte, daß ihn diese Enttäuschung ganz niederbeugen wird! Kennen Sie denn die Sinfonie genau?? Und können Sie da noch mit?? Helfen Sie mir, ich bin ganz rathlos!«
Brief Hermann Levis an Bruckners Schüler Josef Schalk vom 30. September 1887
Einen Monat zuvor ist Bruckner noch voller Zuversicht. »Halleluja!«, schreibt er am 4. September 1887 an Levi, der ihm zwei Jahre zuvor mit der Münchner Erstaufführung der Sinfonie Nr. 7 zum endgültigen Durchbruch als Sinfoniker verholfen hat. »Endlich ist die Achte fertig, und mein künstlerischer Vater muß der erste sein, dem diese Kunde wird. Soll ich die Orchesterstimmen in Wien abschreiben lassen, oder auf meine Rechnung in München?« Bruckner
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
hat bereits die Uraufführung in München, seinen abermaligen Triumph fernab der missgünstigen Wiener Kritik vor Augen – und auch Levi ist begeistert, bittet den Komponisten gleich um die Zusendung der Noten. Wenige Tage später hält er die Partitur der Achten in Händen, schlägt den ersten Satz auf, spielt vermutlich einige Passagen am Klavier – und beginnt zu zweifeln.
Knapp zwei Wochen später, am 7. Oktober, findet Levi endlich den Mut, Bruckner sein Urteil über die neue Sinfonie in jenem eingangs erwähnten Brief mitzuteilen: »Also: es ist mir unmöglich, die 8 te in dieser Form zur Aufführung zu bringen. Ich kann sie mir nicht zu eigen machen! So
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
herrlich und grandios die Themen sind, so bedenklich erscheint mir die Ausführung, ja die Instrumentation halte ich geradezu für unmöglich. […] Ich habe Stunden, ja tagelang über der Partitur gesessen, aber ich bin dem Werke nicht näher gekommen. […] Verlieren Sie nicht den Muth, nehmen Sie Ihr Werk noch einmal vor, berathen Sie sich mit Ihren Freunden, mit Schalk, vielleicht läßt sich durch eine Umarbeitung viel erreichen – –Bleiben Sie mir gut!« Bruckner ist schwer getroffen, unterbricht die Komposition seiner inzwischen begonnenen 9. Sinfonie – er wird sie nie vollenden – und flüchtet sich in Revisionsarbeiten an seinen Sinfonien Nr. 3 und 4. Doch nach und nach verfliegt der Zorn und die Resignation weicht dem Tatendrang. Am 27. Februar 1888 gesteht er Levi reumütig: »Freilich habe ich Ursache mich zu schämen – wenigstens für dießmal –wegen der 8ten. Ich Esel!!! Jetzt sieht sie schon anders aus.« Bis ins Frühjahr 1890 arbeitet Bruckner an der neuen Fassung, die ersten drei Sätze schreibt er komplett neu in Partitur, beim Finalsatz trägt er seine Korrekturen in die Erstfassung ein. Nachdem eine für den 2. April 1891 geplante Aufführung durch Felix Weingartner in Mannheim kurzfristig abgesagt werden muss, erlebt Bruckners 8. Sinfonie am 18. Dezember 1892 ihre späte, dafür wider Erwarten umso heftiger umjubelte Uraufführung durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter: Drei Blumenkränze, einer davon von Kaiser Franz Joseph I. persönlich (dem Bruckner das Werk widmet), werden dem überwältigten Komponisten zu Füßen gelegt. »Es war ein vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis«, jubiliert kein Geringerer als Hugo Wolf, »und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung aus, als die einzelnen Sätze verklungen waren.«
»A Harf’n g’hert in ka Sinfonie.«
Das Allegro moderato hebt mit Bruckners bekanntem ›Ursprungstremolo‹ der Violinen an, zu dem sich bruchstückhafte Melodielinien der tiefen Streicher mit antwortenden Motiven von Oboe und Klarinette zu einem immer dichter werdenden, harmonisch mehrdeutigen Wechselspiel vereinen, bis das Hauptthema schließlich in gellendem Fortissimo hervorbricht. Eben dieses Motiv zerfällt am Ende des Satzes nach einer unheilvollen Steigerung in immer kleinere Versatzstücke, sodass zuletzt nur die chromatische Schlussfigur in monotonen Repetitionen zurückbleibt,
Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Trio zwischen dem Hauptteil des Scherzos und dessen Wiederholung eingeschobener, meist ruhiger Mittelsatz
eine Geste, die Bruckner seinem Schüler Friedrich Eckstein zufolge als »Totenuhr« bezeichnete. Anders als in der Coda der ›Fassung 1890‹, die den Satz mit dieser verlöschenden Geste der »Ergebung« (Bruckner) beschließt, hebt die Musik in der Urfassung im schroffen dynamischen und harmonischen Kontrast (dreifaches Forte in GesDur) noch einmal an und führt zu einer triumphalen Wiederkehr des Hauptthemas in strahlendem CDur. Das erstmals bei Bruckner an zweiter Stelle stehende Scherzo beginnt mit einer signalhaften Hornfigur und geisterhafthuschenden Streichertremoli, die sich nach und nach zu einer kraftvollwilden Tanzmusik steigern. Hier zeigt sich besonders deutlich der in der Urfassung hörbar blockhafte Blechbläsersatz, dessen rhythmische Verzahnung »in der ersten Fassung eigenständiger, in der zweiten nach dem gängigen Klangideal Wagnerscher Prägung ausgerichtet zu sein scheint« (Manfred Wagner). Der anschließende Streicherchoral im ersten Teil des Trios ist einer der wenigen längeren Abschnitte, die Bruckner später durch einen vollständig neu komponierten ersetzt. Das rein in seinen Dimensionen bereits gewaltige Adagio gewinnt durch die Positionierung an dritter Stelle innerhalb der Sinfonie zusätzlich an Gewichtung. Hier verwendet Bruckner, der die in seinen vorhergehenden Sinfonien erprobte Satzstruktur zweier gegenübergestellter Themen in variativer Verarbeitung unverändert beibehält, zur klanglichen Auffüllung der Haltetöne in den Strei-
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
chern zum ersten und einzigen Mal innerhalb seiner Sinfonik (in der ›Fassung 1890‹ zusätzlich im Scherzo) die Harfe, sogar in dreifacher Besetzung, wobei er seinen Biografen August Göllerich und Max Auer zufolge augenzwinkernd erklär te: »A Harf’n g’hert in ka Sinfonie. […] I’ hab’ ma [aber] nöt helf’n könna!« Der in großen Steigerungswellen erreichte Höhepunkt des Satzes steht in der ersten Fassung noch in der bereits für den Kopfsatz bestimmenden Tonart CDur, wohingegen ihn Bruckner im Zuge seiner Revision nach Es-Dur transponiert. In der Coda des monumentalen Finales, dessen aggressive, martialische Blechbläser fanfaren der Sinfonie wohl den Beinamen ›Apokalyptische‹ eintrugen, zeigt sich schließlich jener kompositorische Kunstgriff, vor dessen Hintergrund die strukturellen Unterschiede beider Fassungen erst ihren Sinn offenbaren. In den letzten Takten schichtet Bruckner die vier Hauptthemen der vier Sätze seines Werks zu einer gigantischen Klangfläche in CDur übereinander; eine Idee, zu deren Umsetzung ein gewaltiger Kraftakt nötig war, von dem Bruckner selbst immer wieder voller Stolz berichtete. Dieser monumentale Schlussstein veranlasst Bruckner wohl, die beiden vorangehenden ›C-Dur-Eckpfeiler‹ seiner kompositorischen Architektur am Ende des Kopfsatzes und auf dem Höhepunkt des Adagios wieder einzureißen und damit jene scheinbar mühelose Apotheose der ersten Fassung in einen ungleich dramatischeren, heldenhaft erkämpften Triumph zu verwandeln.
Particellskizze des Finales der 8. Sinfonie, in der bereits die Schichtung der vier Hauptthemen festgehalten ist. Anmerkung Bruckners am rechten Rand: »Steyr, Stadtpfarrhof 16. August 1885. A Bruckner m[anu] p[ropria] [i. e. mit eigener Hand]. Halleluja!«
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Exkurs: Zwischen Michel und Kaiser
Deutscher
Michel eine im 19. Jahrhundert populäre, nationalistisch gefärbte Personifikation des ›deutschen Volkes‹
Vielleicht als Reaktion auf Levis niederschmetternde Kritik und damit in Vorahnung mangelnden Verständnisses seitens des Publikums angesichts der gewaltigen Dimensionen seines Werkes gab Bruckner brieflich und in Gesprächen immer wieder programmatische Hinweise zu seiner Sinfonie. So bezeichnete er etwa gegenüber Felix Weingartner das Hauptthema des ersten Satzes als »die Todesverkündigung, die immer sporadisch stärker endlich sehr stark auftritt, am Schluß: die Ergebung«, wobei letztere in der Erstfassung durch den machtvoll inszenierten Schlussjubel wieder hinterfragt wird. Das Scherzo verstand er als musikalische Repräsentation des ›deutschen Michel‹: »In der 2. Abteilung will der Kerl schlafen, u[nd] träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um.« Im Finale schließlich wollte Bruckner das ›Dreikaisertreffen‹ des Jahres 1884 dargestellt haben: »Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfaren, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; (komisch), wie bei Tannhäuser im 2. Akt der König kommt, so als der deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist Alles schon in Glanz. Im Finale ist auch der Todtenmarsch u[nd] dann (Blech) Verklärung.« Letztlich stellt dieses rudimentär skizzier te ›Programm‹ wohl eher eine Folge loser, meist nachträglich in die Musik hineinprojizierter Assoziationen dar, die, wie im Fall der »Ergebung«, darüber hinaus teilweise nicht mit der Musik der Erstfassung übereinstimmen und somit kaum Bestandteil des ursprünglichen Konzeptes gewesen sein können.
Andreas Meier
Österreichische Barockmusik steht im Mittelpunkt des Repertoires dieses ungewöhnlichen Barockensembles. Die ersten Jahre waren geprägt von musikwissenschaftlicher Aufarbeitung des Schaffens österreichischer Barockkomponisten. Aus dem reichen Fundus wiederentdeckter Werke – unter anderem von Weichlein, Biber, Conti, Viviani, Mealli, Arnold, Aufschnaiter, Vilsmayr, Vejvanovský, Schmelzer, Radolt, Mouthon, Hochreither und Aumann – entstanden mehrere, vielfach ausgezeichnete (Erst)Einspielungen. Seit dem Jahr 2002 gestaltet das Ensemble einen eigenen Konzertzyklus im Wiener Konzerthaus, seit 2008 auch im Brucknerhaus Linz. Ars Antiqua Austria ist federführend in einer auf mehrere Jahre ausgelegten Konzertreihe mit dem Titel Klang der Kulturen – Kultur des Klanges, bestehend aus insgesamt 90 Konzerten in den Städten Wien, Prag, Budapest, Bratislava, Krakau, Venedig, Ljubljana, Mechelen und Lübeck.
Gunar Letzbor studierte Komposition, Dirigieren und Violine in Linz, Salzburg und Köln. Die Bekanntschaft mit Nikolaus Harnoncourt und Reinhard Goebel veranlasste ihn, sich eingehend mit der Interpretation und Spielpraxis Alter Musik auseinanderzusetzen. Er musizierte in den Ensembles Musica Antiqua Köln, Clemencic Consort, La Folia Salzburg, Armonico Tributo Basel und dem Orchester Wiener Akademie. Er gründete das Ensemble Ars Antiqua Austria, mit dem er versucht, der klanglichen Vielfalt österreichischer Barockmusik durch Erarbeitung eines spezifisch österreichischen Barockstreicherklanges Ausdruck zu verleihen. Seine Aufnahmen der Violin- und insbesondere der ›RosenkranzSonaten‹ von Biber wurden mehrfach ausgezeichnet. Für seine Interpretation der Capricci Armonici von Viviani erhielt Gunar Letzbor einen Cannes Classical Award. Besonderes Aufsehen erregten die Ersteinspielungen der Violinsolosonaten von Vilsmayr, Mealli und Westhoff.
Das Orchestre des ChampsÉlysées ist die erste auf Originalinstrumenten spielende französische Formation von internationalem Renommee. Seit seiner Gründung 1991 durch Philippe Herreweghe hat sich das Ensemble vordringlich der Erarbeitung des sinfonischen Repertoires von Klassik, Romantik und klassischer Moderne verschrieben, das auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und mit den Mitteln einer um historische Stiltreue bemühten Aufführungspraxis einer grundlegenden Neubewertung unterzogen werden soll – ein Anliegen, das sich auch in der Beteiligung des Orchesters an musikwissenschaftlichen Forschungen und pädagogischen Projekten niederschlägt. Das Repertoire des Orchesters hat sich im Laufe der Jahre erheblich erweitert und umfasst mittlerweile mehr als 150 Jahre Musik. Bemerkenswert war bereits das Programm seines ersten Konzerts, das zunächst in Poitiers, später dann im Pariser Théâtre des ChampsÉlysées gegeben wurde: Die Schöpfung
von Joseph Haydn. Mit diesem aufsehenerregenden Debüt legte das Orchestre des ChampsÉlysées das Fundament zu einer internationalen Karriere, die es nicht nur in nahezu alle namhaften Konzertsäle des Kontinents geführt hat, sondern auch zu vielen musikalischen Brennpunkten weltweit, wie etwa ins New Yorker Lincoln Center. Unter der Leitung von Philippe Herreweghe setzt das Orchestre des ChampsÉlysées zudem seine künstlerische Zusammenarbeit mit dem Collegium Vocale Gent fort.
Für seine Auslandstourneen wird das Orchester vom Institut Français und der SPEDIDAM (Société de Perception et de Distribution des Droits des ArtistesInterprètes) unterstützt. Zudem erhält es Unterstützung von der Fondation Orange für das Projekt Choeur et Orchestre des Jeunes in Nouvelle Aquitaine und von AG2R La Mondiale und dem Departement Vienne für das Projekt musique & mémoire
Dirigent
Philippe Herreweghe wurde in Gent geboren und kombinierte dort sein Universitätsstudium mit einer musikalischen Ausbildung am Konservatorium. Zur selben Zeit begann er zu dirigieren und gründete 1970 das Collegium Vocale Gent. Schon bald wurde sein lebendiger, authentischer und rhetorischer Ansatz der Barockmusik gelobt. 1977 gründete er in Paris das Ensemble La Chapelle Royale, mit dem er Musik des französischen Goldenen Zeitalters zur Aufführung brachte. Er formte verschiedene Ensembles, mit denen er eine adäquate und gründliche Lesart eines Repertoires von der Renaissance bis zu zeitgenössischer Musik zu geben wusste. 1991 gründete Philippe Herreweghe das Orchestre des ChampsÉlysées zur Interpretation des romantischen und vorromantischen Repertoires auf Originalinstrumenten.
Zu den Höhepunkten der Saison 2024/25 zählen Gastdirigate bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden und beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Zusammen mit dem Collegium Vocale Gent sowie dem Orchestre des ChampsÉlysées präsentiert Philippe Herreweghe ausgewählte BeethovenProjekte in den führenden Konzertsälen Europas. Ferner bringt er Bachs Johannes-Passion sowie Madrigale von Claudio Monteverdi und Salomone Rossi mit dem Collegium Vocale Gent zur Aufführung.
Wegen seines künstlerischen Engagements wurde Philippe Herreweghe verschiedentlich geehrt. 1990 wählte ihn die europäische Musikpresse zur »Musikpersönlichkeit des Jahres«. Zusammen mit dem Collegium Vocale Gent wurde er zum »Kulturbotschafter Flanderns« ernannt. Ein Jahr später wurde ihm der Orden des Officier des Arts et Lettres zuerkannt und 1997 erhielt er einen Doktor honoris causa der Katholischen Universität Löwen. 2003 wurde ihm in Frankreich der Titel des Chevalier de la Légion d’Honneur verliehen, 2010 die BachMedaille der Stadt Leipzig. 2017 erhielt Philippe Herreweghe die Ehrendoktorwürde der Universität Gent.
Impressum
Herausgeberin
Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer
Redaktion
Andreas Meier
Biografien & Lektorat
Romana Gillesberger
Gestaltung
Anett Lysann Kraml
Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte
Mag. Jan David Schmitz
Abbildungen
S. Zolak (S. 2), Universitätsbibliothek Leipzig (S. 6), Erzdiözesanmuseum in Olmütz (S. 7), National Library of Israel, Jerusalem (S. 9), OÖ LandesKulturGmbH, Land Oberösterreich (S. 11), Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 12–13), M. Letzbor (S. 16), G. Thum (S. 17), A. Pequin (S. 18–19), M. Baus (S. 21)
Programm, Termin und Besetzungsänderungen vorbehalten
LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz
Wir danken für Ihren Besuch und wünschen Ihnen ein schönes Konzert!
Mit unserer eigenen Hammerkopfproduktion entfesseln wir das volle tonliche Spektrum unserer Flügel und Klaviere –eine Kunst, die Leidenschaft, Erfahrung und Disziplin erfordert. www.bechstein-linz.de