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Theater: Nutzloses Sperma

Nutzloses Sperma

Die Eigenproduktion der Dekadenz brachte mit „Tom auf dem Lande“ einen spannenden

Thriller um Bigotterie, Gewalt und Erotik auf die Bühne. Nach der Premiere am 1. März mussten allerdings „due of“ Covid-19 vorläufig alle weiteren Termine abgesagt werden.

Tom à la ferme“ heißt im Original das in der Kategorie

LGBT-Drama ausgezeichnete Stück des frankokanadischen Dramatikers Michel Marc Bouchard. Es ist ein Psycho-Thriller der besonderen Art, genial verfilmt vom Shooting-Star der kanadischen Film- und Queer-Szene, Xavier Dolan.

Foto: Arnold Ritter

Auf der Dekadenz-Bühne. Der junge Regisseur Joachim Gottfried Goller hat sich der Thematik Homosexualität angenommen und für die Dekadenz seine eigene Version des Stückes geschrieben. „Tom auf dem Lande“ lässt sich mit den Dialekt-Einsprengseln perfekt aus der kanadischen Provinz in unsere ländliche Szenerie übertragen.

Als Introitus empfängt das Publikum eine verfremdete Passage der Matthäuspassion, gesungen von den vier Protagonisten. Das verstörende „Ein Haupt voll Blut und Wunden“ lässt erahnen, dass eine verquere Leidensgeschichte auf uns zukommt. Tom (Philipp Weigand) ist Werbetexter und kommt aus Montreal angereist, um am Begräbnis seines verunfallten Lebensgefährten teilzunehmen. Dessen Mutter Agathe (Patrizia Pfeifer) weiß offensichtlich nichts von der sexuellen Orientierung des Sohnes, und Bruder Andreas (Max Gruber Fischnaller) droht Tom, auf keinen Fall mit der

Die bibelfeste Agathe findet in den Erinnerungsstücken des toten Sohnes die Wahrheit, die sie wohl immer schon geahnt und nur verdrängt hatte

Wahrheit rauszurücken: „Wenn du dein großes Maul aufreißt, wird man nichts mehr von dir finden.“

Von aufgerissenen Mündern kann Andreas einiges erzählen, hat er doch vor Jahren den ersten Freund seines Bruders genau auf diese entsetzliche Weise verunstaltet, um der aufkeimenden Beziehung ein Ende zu setzen. Stattdessen fordert er Tom auf, von Ellen zu erzählen, die angeblich Guillaumes Geliebte gewesen sein soll. Jetzt bricht es aus ihm heraus, und in einem fingierten Telefonat mit Ellen schildert er mit gebrochener Stimme den schrecklichen Moment des Unfalls.

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Als Ellen (Kathrin Ploner) kurz auftaucht, ist Agathe enttäuscht, weil sie keine Trauer zeigt. Ihr wird bewusst, dass sie ihre Söhne nicht wirklich kennt. Tom bleibt vorerst auf dem Bauernhof, fasziniert von Andreas, der ihn an Guillaume erinnert, und beseelt von einem unbestimmten Verlangen nach Geborgenheit in einem Familienverband – er nennt Agathe „Mama“. Die kru

Die Inszenierung. Der Maschendraht, den Mirjam Falkensteiner um den ganzen Raum spannt, vermittelt mehr als eindeutig die unbehagliche Grundstimmung. Gefangene sind sie – in ihrer Haut, auf dem Hof, in ihren Vorurteilen, in der Bigotterie, im Lügengebäude. Goller hat die Figuren mit viel Gespür angelegt: Philipp Weigand ist auf beeindruckende Weise der empfind

Foto © Engerfoto

Kunst

de Realität am Land gibt ihm für kurze Zeit Stabilität, obwohl ihm Andreas mit Schauermärchen vom Kuhgraben für die toten Kühe, Bedrohung durch die Wölfe und der latent lauernden Homophobie (Scheiß Schwuchtel) das Landleben vergraulen müsste. Andererseits nimmt er Tom mit in den Stall, „aber ohne Schickimicki-Zeug“ (Hä? Er trägt Jeans und einen Fleece-Pulli!), wo er sich gar nicht ungeschickt anstellt und begeistert mithilft, ein Kalb auf die Welt zu bringen. Unvermittelt danach fragt Andreas: „Du, Tom, wozu ist eigentlich dein Sperma gut? Nach dir kommt nichts mehr, dein Saft ist absolut nutzlos.“ Die bibelfeste Agathe zeigt Tom Erinnerungsstücke des toten Sohnes und liest in seinen Briefen die Wahrheit, die sie wohl immer schon geahnt und nur verdrängt hatte. same Schwule mit geschliffener Sprache, der nirgends anecken will und sich herumschubsen lässt bis zur unausweichlichen Katastrophe. Alles ist besser, als allein auf der Welt zu sein. Allein wie Andreas, wunderbar zerrissen gespielt von Max G. Fischnaller, der gebrandmarkt ist als Gewaltmensch und verzweifelt nach Zuneigung heischt. „Bleib!“, sagt er zu Tom. Er selbst glaubt, bleiben zu müssen, auch wegen Agathe, der Patrizia Pfeifer beklemmend glaubwürdig eine verwirrt hellsichtige Aura verleiht.

Ein aufrüttelndes Drama mit skurril witzigen Momenten zu Zeiten von gehäuften Femiziden und Übergriffen auf Homosexuelle in unserem Land. Schade, dass es nur ein einziges Mal zur Aufführung kam.

irene.dejco@brixner.info Leserbriefe an: echo@brixner.info

Ein Gastspiel des St. Pauli Theaters, Hamburg

von Yasmina Reza

Donnerstag, 23. April 2020 Brixen, Forum

Beginn: 20.00 Uhr Einführung: 19.15 Uhr Karten: www.kulturinstitut.org Tel. 0471 313800 – Athesia-Ticket

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