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Cord Dohrmann, Evotec SE

ALZHEIMER 4

Die Revolution aus dem Norden

Bei Unternehmen mit einer breiten Technologieplattform für die Medikamentenentwicklung fällt einem recht schnell Evotec ein. Bei neurodegenerativen Erkrankungen denken aber nur wenige zuerst an die Hamburger. Dass sich das bald ändern dürfte, dafür sprechen immer mehr Ergebnisse aus einer langjährigen Partnerschaft mit Cellgene/BristolMeyers Squibb.

BTJB_Herr Dr. Dohrmann, wenn Sie auf die aktuelle Berichterstattung zu Zulassungen bei Alzheimer blicken, auf weit fortgeschrittene Therapie-Kandidaten ringsherum – wie schätzen Sie den Stand der Dinge ein?

Dohrmann_Viel davon ist schon lange unterwegs, das ist gar kein Vorwurf, denn irgendjemand musste sich dem „unmet medical need“ stellen und vorangehen Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, manche davon sind aber nun einmal eher alte Ansätze, des damaligen Standes der Wissenschaft Ich möchte auch der FDA keinen Vorwurf wegen der Biogen-Zulassung machen – so ein Signal, dass diese Türe nicht zu ist, dass es im Gegenteil eine gewisse Offenheit gibt – das ist für die ganze Szene doch sehr wichtig

BTJB_Die Firma Evotec würde einem bei ZNS-Erkrankungen vielleicht nicht sofort einfallen Ist das nur meine Wahrnehmung?

Abb.: Evotec SE Dohrmann_Evotec wird im neurodegenerativen/ZNS-Bereich nicht so richtig gesehen, das stimmt schon Dabei haben wir ein sehr großes Team im präklinischen Bereich, wir haben alleine 70 Leute im Bereich Huntington bei uns, die eng mit der Huntington Disease Foundation kooperieren; wir haben Dr. Cord Dohrmann

CSO Evotec SE

Neuronen aus induzierten, pluripotenten Stammzellen (iPS) die vielen Projekte mit BMS – insgesamt haben wir sicher rund 250 Leute auf diesem Gebiet

BTJB_Auf welche Neuro-Indikationen zielt Evotec genauer, sind Sie fokussiert oder breit aufgestellt?

Dohrmann_Wir sind schon lange in ZNS unterwegs bei Evotec, auch in Alzheimer Und als vor einigen Jahren doch eine große Zahl von Firmen diesen ganzen Sektor verlassen hat, wollten wir genauer wissen, was da eigentlich schiefäuft. Wir haben hier insbesondere ein Problem in den mangelhaften Krankheitsmodellen gesehen Man hat zwar viele Mäuse geheilt, aber das hatte keine Aussagekraft zum Erfolg einer klinischen Studie im Menschen Das führte damals zu einem fundamentalen Schwenk bei Evotec, wir wollten seitdem nur noch an humanen Zellen und Zellverbünden arbeiten und haben auf iPS-Zellen gesetzt Als erstes waren das dann Motoneuronen, in enger Zusammenarbeit mit Kevin Eggan von der Harvard University, der damals ein Modell für die ALS-Krankheit entwickelt hatte Unser Ziel war dabei sein Differenzierungsmodell auf ein 384-well-Format zu überführen, um im Hochdurchsatz dann Substanzen screenen zu können Das war nicht so einfach, diese ursprünglichen Protokolle mussten stark abgewandelt werden, und es musste insgesamt daraus ein robuster Prozess werden

BTJB_Dieser grundlegende Schwenk hin zu iPS-Zellen war für die ganze Szene etwas Neues. Warum machte Evotec als Firma plötzlich Neuro-Grundlagenforschung?

Dohrmann_Da muss ich etwas ausholen Vor etwa zehn Jahren war es schwierig bei Evotec und wir mussten uns neu erfnden, da wir die klinische Entwicklung eigentlich aufgegeben hatten Mit Werner Lanthaler haben wir uns neu fokussiert und fundamental angesehen, was wir eigentlich als Unternehmensziel anstreben Wir haben damals schon das heute allbekannte Thema der personalisierten Medizin als das wesentliche Thema der Zukunft gesehen Aber was braucht man dazu: Man braucht Daten, Omics-Daten, klinische Daten und viele weitere Dinge, aber vor allem braucht man Hochdurchsatzplattformen für „X-omics“ Wir haben da Akquisitionen wie Kinaxo in Martinsried vollzogen, wir haben uns eine eigene Transcriptomics-Plattform gebaut, auch bei Proteomics allgemein haben wir eine solche Plattform im Hause Dazu kommt nun die iPS-Plattform, die wir als unsere „In-houseKlinik-Plattform“ verstehen

BTJB_Was sind die Vorteile Ihrer Herangehensweise?

Dohrmann_Gerade mit der Transcriptomics-Plattform sehen wir ganzheitlich auf die Zelle und vermeiden, dass wir wichtige Effekte bewusst oder unbewusst ausblenden Warum machen wir da insgesamt diesen wissenschaftlichen Rundumschlag? Weil das kaum ein Institut in dieser Gänze abbildet, da gibt es einzelne Leuchttürme für Spezialgebiete Wir bringen das bei uns

Abb.: Evotec SE

zusammen in einer Molecular Patient Database – das ist unsere Schatzkammer. Wenn man so will, erfnden wir damit Drug Discovery neu. Denn wir generieren auf diese Weise riesige Datenmengen, proftieren von den parallelen Entwicklungen von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning Wir kommen immer mehr dazu, dass wir mit bestimmten Substanzen auch ein charakteristisches Signalmuster nicht nur in einer Zelle, sondern in Organen, in ganzen Tieren sehen Und aus diesen Mustern können wir dann den nächsten Schritt auch mit neuen Substanzen abkürzen, schneller sehen, ob die Substanz von der Speziftät her überhaupt interessant ist.

BTJB_Und diese verschiedenen Plattformen bei Evotec sind das attraktiv für Pharmafirmen, die mit Ihnen Kooperationen eingeht?

Dohrmann_Genau Denn kaum lief das, hatten wir auch sehr schnell interessante Ergebnisse, und dann kam Cellgene/BMS schon mit dem konkreten Interesse an einer tiefen Kooperation Mittlerweile sind wir ein paar Schritte weiter und wir können nun auf viele weitere einzelne Indikationen gehen Auch dazu bauen sich immer mehr Kooperationen auf

BTJB_Aus der iPS-Plattform kommen also nun verschiedene „humane Modell-Zelltypen“ hervor?

Dohrmann_Ja Wir haben immer mehr patientenabgeleitete iPS-Zellen entwickeln können, Motoneuronen, kortikale Neuronen, dopaminerge Neuronen, Astrozyten, Mikroglia … eigentlich alle relevanten ZNS-Zelltypen, die wir nun im Hochdurchsatz screenen können Mit dieser Zunahme der Vielfalt ist auch die Kooperation mit Cellgene/BMS immer weitergewachsen, Schritt für Schritt, Zelltyp für Zelltyp Mit einer Substanz sind wir jetzt nach vier Jahren in der Klinik gelandet und haben einen IND-Antrag bei der FDA eingereicht Wir haben da ein Optionsmodell mit Cellgene/BMS, und ehrlich gesagt ziehen die Kollegen bei jeder neuen interessanten Substanz sofort diese Option

BTJB_Kommen wir noch mal auf die Signalmuster zurück, die Sie untersuchen. Was finden Sie in diesen Mustern?

Dohrmann_Wir sehen, dass man Krankheiten ganz neu defnieren muss. Es geht nicht um Symptome, sondern um den Mechanismus Und dieser Mechanismus spielt in unterschiedlichen Organen eine Rolle, wird heute aber als ein scheinbar typisches Organsymptom behandelt

BTJB_Wie sieht das in Zukunft aus?

Dohrmann_Die Medikamente der Zukunft greifen an den Mechanismen an Heute sind wir ja oft mit den Therapeutika schlicht zu spät dran, die Krankheit ist schon weit fortgeschritten Wir müssen anstreben, früher eingreifen zu können, die Krankheiten besser zu verstehen

Die iPS-Zelllinien sind im 384-Well nun auch im Hochdurchsatz-Screening zu verwenden

BTJB_Wie kann die klinische Entwicklung mit dieser Revolution einer datengetriebenen, organ-agnostischen Wissenschaft überhaupt mithalten?

Dohrmann_Die Sprünge sind derzeit gewaltig Vielleicht war bei der frühen Alzheimerforschung auch noch nicht die richtige Technologie im Einsatz, ich sehe beispielsweise im „Single Cell Nuclei Sequencing“ eine spannende Möglichkeit, Alzheimer und andere neurodegenerative Erkrankungen noch mal grundsätzlich anders zu verstehen Die Omics-Technologien müssen ja auch in das klinische Studien-Setting als Standard erst noch aufgenommen werden Da sind wir noch nicht

BTJB_Nun sagten Sie zu Beginn, das eigentliche Ziel für Evotec ist eine „personalisierte Medizin“. Wie weit sind Sie damit im Bereich ZNS gekommen?

Dohrmann_Mit unserem 384er-Verfahren untersuchen wir ja unterschiedliche individuelle Patientenzellen parallel, wir kommen damit einer „klinischen Studie in der Petrischale“ immer näher Durch die Parallelität vermeiden wir dabei die „n-of-1“-Falle, die ein häufges Problem vieler anderer Ansätze ist. Weil man dort nicht erkennen kann, ob man nicht nur einer einzigartigen Auffälligkeit nachläuft oder sogar einem Artefakt der Untersuchungsmethode, selbst bei iPS ist man davor nicht gefeit, wenn man es falsch aufsetzt Darum ist unsere Parallelisierung so wichtig und auch die Analyse über die ganze Palette von omicsTechnologien Nur ein komplettes Bild hilft einem da wirklich weiter

BTJB_Dazu brauchen Sie riesige IT-Kapazitäten, und Evotec ist eigentlich eine Bioinformatik-Firma?

Dohrmann_Immer mehr ja Es geht auch gar nicht anders Schon bei der Mustererkennung wären Sie mit einem Excel-Sheet aufgeschmissen, hier sind AI-getriebene Datenmaschinen im Einsatz, und ja, wir haben große IT-Kapazitäten aufgebaut

BTJB_Und wo steht da Evotec?

Dohrmann_Wir haben nun lange und fundamental gearbeitet und wollten eine Plattform entwickeln, bei der es nicht um ein Target und eine Compound geht, sondern wo am Ende ganz viele Neuheiten herauskommen, eine eigene Innovationsmaschine Das passiert jetzt

BTJB_Und dann geht Evotec doch mal wieder selbst in die Klinik?

Dohrmann_Intern sagen wir, keine klinische Entwicklung auf eigene Faust Auch um unseren Fokus auf die Präklinik nicht zu schwächen, denn Klinik ist einfach eine andere Nummer Wir fahren nun eher die Strategie, dass ein klini-

Abb.: Evotec SE

sches Projekt als Spin-out auf eigene Beine gestellt wird, bleiben aber jeweils mit einem großen Prozentsatz daran beteiligt Wenn Sie so wollen, sind wir auch mit unserem Ansatz „clinical trial in a dish“ mit einem Bein doch wieder in der Klinik Also es ist nicht ganz so schwarz-weiß, wie es intern oder nach außen wirken mag

BTJB_Wohin geht Ihre Reise da noch?

Dohrmann_Wir hören nicht bei den Hauptzellen des ZNS auf, sondern gehen als nächstes in die Co-Kultur und schauen uns den Bereich Neuroinfammation an, also auch Zelltypen des Immunsystems. Das ist gerade ein nächster, ganz neuer Schritt, der ein scheinbar erforschtes Gebiet nochmals ganz neu aufrollen kann – ich denke, neu aufrollen wird

BTJB_In der Klinik würde es ohne Kooperationen wohl nicht gehen. Sehen Sie überhaupt Kooperationen als etwas Positives oder gibt es auch Einschränkungen, die hinderlich sind?

Dohrmann_Solche Vereinbarungen haben ja einen Lebenszyklus Dann erneuert und verändert man etwas, weil sich die Grundlagen eventuell geändert haben So starr ist eine solche Kooperation also nie zu sehen, und insofern hat man auch immer Freiheit für andere oder für das eigene Unternehmen Eine Exklusivität geben wir beispielsweise nur, wenn diese Dinge vom Partner dann auch wirklich verfolgt werden Das Modell ist für uns sehr wichtig, mit ein Grund dafür, dass Evotec unglaublich stark gewachsen ist Und gerade die Cellgene/BMS-Kooperation ist ein sehr gutes Beispiel für eine fruchtbare Kooperation

BTJB_Schauen wir in die Zukunft. Was für Veränderungen bei ZNS-Erkrankungen sehen Sie kommen?

Dohrmann_Ich denke, nein ich glaube ganz fest, dass der ZNS-Bereich eine Renaissance erleben wird, wir treten da eine molekulare Revolution los, wo ganz andere Mechanismen in den Vordergrund treten werden – und die Nomenklatur der Krankheiten wird sich ändern müssen Man wird früher Signale für das Krankheitsgeschehen erkennen, präventiver agieren können Ich denke, dass die Trennung von Diagnostik und Therapie sogar aufgehoben wird Das verschmilzt und ist eigentlich jetzt schon nicht mehr zeitgemäß, beide Bereiche sind elementar voneinander abhängig Die Diagnostik wird auch immer früher ansetzen und immer molekularer werden, und daraus leitet sich dann im Krankheitsfall die Therapieoption individuell ab Idealerweise hat man einen molekularen Screen schon als Gesunder gemacht und damit kann der Arzt immer wieder vergleichen ›