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Swiss Biotech Day 2021

Pandemie: Swiss Biotech Day erstmals wieder live

von Thomas Gabrielczyk

Endlich wieder Networking Auf dem gut besuchten Swiss Biotech Day herrschte Hochstimmung unter den Besuchern Die Schweizer Biotech-Branche hat im Pandemiejahr 2020 so viel Geld angezogen wie nie zuvor und lässt sich offenbar durch die COVID-19-Pandemie nicht bremsen – das zeigte sich auf dem ersten live veranstalteten Swiss Biotech Day (7 September 2021) seit Pandemiebeginn im Pharmacluster Basel „Obgleich es gerade bei den innovativen Biotech-Unternehmen zu Rohstoffengpässen, Verzögerungen des Fundings und von klinischen Studien durch die Pandemie kam, wurde im Jahr 2020 dreimal so viel in Schweizer Biotech-Unternehmen investiert wie ein Jahr zuvor,“ erklärte Michael Altorfer, CEO der Swiss Biotech Association (SBA) vor 850 Besuchern Der auf der Tagung präsentierte EY-Report beziffert die durch Börsengänge von CRISPR Therapeutics, Idorsia, ADC Therapeutics, Basilea und Molecular Partners sowie große Finanzierungsrunden von Vectiv Therapeutics, Noema Pharma oder Sophia Genetics im Jahr 2020 eingeworbene Geldsumme auf 3,4 Mrd CHF „Es ist auch aktuell genug Geld im Markt”, ergänzte Jürg Zürcher, EY Partner und Co-Autor des Reports „ Bis Juli 2021 wurden bereits 2 Mrd CHF in Schweizer Biotech-Unternehmen gesteckt, rund 80% davon in börsennotierte “ Angesichts des Wiedersehens und das durch die Pandemie ungebremste Investoreninteresse herrschte Hochstimmung bei den Ausstellern und offziell 850 Besuchern auf der von der SBA ausgerichteten und von der BIOCOM AG organisierten Veranstaltung im Kongresszentrum Basel

Wachstum auch jenseits von COVID

Dass sich die Effekte der Pandemie auf die rund 1000 Life-Sciences- und 314 Biotech-Unternehmen erst 2021 zeigen werden, bestätigte Patrick Amstutz, Chef der Molecular Partners AG, die einen DARPIN-Kandidaten im Rahmen des US-Förderprogrammes ACTIV klinisch testet Das Hauptgeschäft erwarten indes auf die Produktion von mRNA-Vakzinen, Gentherapien und Peptidwirkstoffen spezialisierte Schweizer Auftragsproduzenten, wie etwa die für Moderna produzierende Lonza AG, Celonic, Bachem, Siefgfried oder Dotticon Ex EPFLChef Patrick Aebischer stellte ein Konzept vor, die Schweiz zum führenden Produktionsstandort in Sachen innovative Molekülformate zu machen

Aebischers Konzept sieht die Entwicklung neuer Prozesse für die klinische Testung durch Public-Private-Partnerships und anschließende Aufskalierung für die industrielle Produktion durch CDMOs als besten Weg Dazu sei eine internationale Ausrichtung und nicht der zu beobachtende Impfnationalismus der richtige Weg, erklärte Bachem-Chef Thomas Meier „Wir haben durch die Partnerschaft mit Moderna das nötige Know-how für die kommerzielle Herstellung von mRNA-Vakzinen erworben“, bestätigte Lonza-Chairman Albert Bähny

Abb.: Stefan Zeitz

Abb.: Stefan Zeitz Wie weit der aktuelle, durch den Erfolg der mRNA-Vakzine Comirnaty von Biontech/Pfzer getriebene Hype um RNA-Formate sich auch nach der COVID19-Pandemie hält, muss sich noch zeigen Denn neue, billig zu produzierende niedermolekulare COVID-19-RNA-Replikationshemmer wie Molnupiravir (MSD/ Ridgeback Therapeutics) und gegen SARS-CoV-2 entwickelte Main-ProteaseBlocker Paxlovid (Pfzer) versprechen Wirksamkeiten von 50% bis 89% bei symptomatischen COVID-19-Patienten An diesen Daten müssen sich COVID19-Antikörper sowie antivirale Formate wie die DARPINs von Molecular Partners sich messen lassen

Potential, die Schweiz als weltweit führenden Produktionsstandort weiterzuentwickeln, sehen die Spezialisten übereinstimmend in den Bereichen RNA-, Peptidwirkstoffe und bei mittels künstlicher Intelligenz entwickelten neuen Molekülformaten Zusammen mit dem von Novartis übernommenen Antikörperhersteller Esbatech, der Novimmune und Basilea Pharmaceutica erhielten auf dem Swiss Biotech Day die Hersteller Lonza und Bachem den Swiss Success Story Award (s S 136)

Als Zukunftsthemen des Biopharmastandortes Schweiz gelten das durch künstliche Intelligenz unterstützte Drug Development and Modelling, zum Beispiel neuer Pandemie- und Krebswirkstoffe, Zell- und Gentherapien, mRNA-Therapeutika, auch auf Basis der Genschere CRISPR-Cas-9 sowie die Digitalisierung medizinischer Daten Der nächste Swiss Biotech Day soll turnusgemäß vom 2 bis 3 Mai 2022 erneut im Congress-Center Basel stattfnden. › Michael Altorfer auf dem Swiss Biotech Day

Moderatorin Monica Jones diskutiert mit Thomas Meier (Bachem), Raymond de Vré (PPL), Konstantin Matentzoglu (Celonic), Albert Bähny (Lonza) und Patrick Aebischer (EPFL) über die Produktion von morgen (v l )

ALZHEIMER 1

Alzheimer –neu im Lichtkegel

Bei Alzheimer hat die erste Antikörper-Zulassung eine neue Ära eingeläutet. Bei allem Streit um die Begleitumstände dieser FDA-Entscheidung wurde damit die Aufmerksamkeit auf ein Feld gelenkt, das in den letzten Jahren eher von Rückschlägen geprägt war. Die gesellschaftlichen Herausforderungen nehmen jedoch ungebremst immer größere Ausmaße an. Was tut sich Neues im deutschsprachigen Raum? Es finden sich spannende, ganz unterschiedliche Ansätze von Zürich, über Düsseldorf bis nach Hamburg.

von Georg Kääb

Abb.: Phototeo - Freepik.com ; Xue Shifeng, Institute of Medical Biology, A*STAR, Singapore / ibidi GmbH D ie amerikanische FDA hat im Juni des Jahres mit der Zulassung eines neuen Alzheimer-Medikamentes (Aducanumab der Firma Biogen) die Tür aufgestoßen, die viele schon als fest verschlossen abgehakt haben Über Jahrzehnte ist die Geschichte der Entwicklung einer Therapie gegen die Alzheimer-Erkrankung eine Geschichte des Scheiterns Leider können auch die Begleitumstände der Aducanumab-Zulassung nicht gerade als vertrauensbildend angesehen werden, denn zwei internationale Zulassungsstudien zu diesem Mittel waren 2019 abgebrochen worden, und seither gibt es einen Wettstreit der Statistiker, ob die Datenlage, so dünn sie auch von vielen angesehen wird, nicht doch ausreicht, eine Wirksamkeit aufzuzeigen Über diese Diskussionen ist die FDA dann etwas brüsk hinweggesprungen und hat dem 2020 auf wackeligen Beinen eingereichten Zulassungsantrag in einem beschleunigten Verfahren zugestimmt, mit der Folge, dass ein heftiges Stühlerücken in den Beratungsgremien der Zulassungsbehörde einsetzte. Die Aufage zur Zulassung ist nun eine weitere Studie, die Biogen bis 2029 durchführen muss, um die Wirksamkeit „wirklich“ zu belegen Vor Gericht wäre das wohl ein Freispruch zweiter Klasse

Betrachtet man nur den Biogen-Aktienkurs, so ist dieser nach einem starken Anstieg auf die FDA-Meldung in der Zwischenzeit wieder unter dem Stand davor liegend wohl ein Indiz für eine gewisse Ernüchterung Dabei gerät etwas in den Hintergrund, dass der Anti-Amyloid-Antikörper von Biogen bei höchstdosiertem Einsatz nun erstmals den Zielort erreichte Über die Blut-Hirn-Schranke hinweg, also an den Ort des verhängnisvollen Geschehens Als erstes zugelassenes Mittel adressiert es den ausgemachten Hauptverursacher des Nervensterbens, das Amyloid-β, direkt Experten sehen denn auch diesen Türspalt der FDA als die eigentlich wichtige Botschaft, in der Hoffnung, dass nun auch andere Ansätze leichter hindurchschlüpfen können, da der vielbeschworene „unmet medical need“ in kaum einer Indikation so relevant und anerkannt ist Zellen im Fokus: Die jüngsten Fortschritte in der Bildgebung ermöglichen die detaillierte Visualisierung der neuronalen Morphologie Fluoreszenzmikroskopie von Neuronen (grün), die sich aus Stammzellen der Neuralleiste entwickelt haben, mit unterstützenden Gliazellen (rot) und Zellkernen (blau)

Synapsen

4b

Kalzium-Ionen

4a

Ca2+

lösliche Amyloid-β-Oligomere

4

Protein-Rest unlösliche Amyloid-Protofibrillen

A

1

3

Amyloid-β-Moleküle

APP

2

γ-Sekretase

Zellmembran

1

2

3

4

4a

4b

A

B

Einfache („monomere“) Amyloid-β-Moleküle entstehen zeitlebens aus dem zelleigenen Amyloid-Vorläuferprotein (APP). Dazu wird das große Protein in zwei Schritten von Enzymen (Sekretasen) gekürzt:

Die β-Sekretase schneidet ein großes Stück außerhalb der Zellmembran ab. Die γ-Sekretase kürzt weiter in der Membran zum Amyloid-β. Es entstehen Amyloid-β-Moleküle. In ihrer monomeren Form scheinen sie unschädlich zu sein. Ihnen wird sogar eine schützende Funktion im Nervensystem zugeschrieben. Mit fortschreitendem Lebensalter steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich mehrere Amyloidβ-Moleküle zu größeren Molekülverbänden (Oligo- und Polymere) zusammenschließen. Kleinere solche Aggregate, die aus zwei bis wenigen Dutzend Amyloid-β-Molekülen bestehen, sind in der Körperflüssigkeit löslich. Diese sogenannten Amyloid-β-Oligomere stehen im Verdacht, Nervenzellen und die Verbindungen zwischen ihnen zu schädigen und damit letztlich die Alzheimer´sche Demenz auszulösen. Zwei mögliche Mechanismen werden dabei diskutiert: Die Oligomere lagern sich in die Membran von Nervenzellen ein und bilden Poren. Daduch strömen Kalzium-Ionen unkontrolliert in die Zellen ein, sodass diese absterben. Die Amyloid-β-Oligomere binden an zelleigene Rezeptoren und lösen dadurch möglicherweise ein zellschädigendes Signal aus. Gleichzeitig bilden sich die bekannten Amyloid-β-Plaques (Ablagerungen), die aus unlöslichen Amyloid-Protofibrillen bestehen. Neuere Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass diese deutlich weniger zellschädigend als die Oligomere sind, jedoch ein Reservoir für die toxischen Amyloid-β-Oligomere bilden.

Plaques

B

Amyloid-β-Oligomere Plaques

Es ist ein Gemeinplatz in vielen Reden, Diskussionen und Expertenpanels geworden, den demographischen Wandel, also das Älterwerden der Bevölkerung in Deutschland und vielen anderen Ländern, weniger als Segen (höhere Lebenserwartung), sondern als Fluch zu beschreiben und die hohe Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen im hohen Alter als Malus ins Feld zu führen. Gleichzeitig hat man in der Forschungspolitik schon seit über zehn Jahren großvolumige Förderprogramme aufgelegt, um das Damoklesschwert über den immer älter werdenden Generationen zu beseitigen. Auf europäischer Ebene hat sich dabei etwa das European Joint Programme Neurodegenerative Disease (JPND) seit 2010 in vielen Projekten und wissenschaftlichen Verzweigungen hervorgetan, das als eine der größten derartigen Initiativen der Welt gilt. Alle EU-Mitgliedstaaten und ihre Forschungsinstitute und Forscher haben hieran partizipiert, zudem wird dies noch durch diverse nationale Programme ergänzt. Gleichwohl mag man sich nicht des Eindrucks

Abb.: Forschungszentrum Jülich / Illuteam43

erwehren, dass die neurodegenerativen Erkrankungen und insbesondere Alzheimer kein Hauptschwerpunkt der Förderung von Therapeutikaentwicklung mehr ist Eher wurde eine „Dekade gegen Krebs“ ausgerufen bzw auf der europäischen Ebene die „Beating Cancer“-Initiative sowie einzelne Maßnahmen über die Versorgung und Pfege von Erkrankten lanciert, statt an den Ursachen und deren Behandlung mit großem Mitteleinsatz anzusetzen Im über 370 Seiten starken „Bundesbericht Forschung und Innovation 2020“ des Bundesforschungsministeriums (BMBF) etwa fndet sich das Wort „Alzheimer“ nur ein einziges Mal!

Dennoch ist die deutschsprachige Forschungslandschaft hier nicht etwa abgetaucht und verdient eine größere Aufmerksamkeit Dies bestätigt auch ein Gespräch mit dem Investor Arno de Wilde, seines Zeichens Manager des LSP Dementia Fonds Dieser Fonds ist erst Ende 2020 aufgestellt worden, da – so de Wilde – „wir als Neuro-Mediziner gesehen haben, dass sich neue Opportunitäten abzeichnen und ich und Kollegen nur deswegen bei LSP angefangen haben, weil sich in dem Feld wirklich wieder etwas tut“ Noch zum Ende dieses Jahres soll die Finanzierungsumme publiziert werden, die ausreiche, um in 10 bis 15 innovative Ansätze zu investieren „Die deutsche, die europäische Forschung in diesem Sektor ist hervorragend, wir wollen helfen, daraus schnellstmöglich einen Nutzen für die Patienten zu generieren“, so de Wilde weiter Auf die Herausforderungen angesprochen sagt der ehemalige Alzheimerforscher: „Es fehlen uns noch immer sehr gute, valide Modellsysteme für diese Krankheiten Wir haben jetzt erst einige diagnostische Mittel zur Verfügung, um Patienten besser charakterisieren zu können Ich sehe großartige Innovationen in der Modellierung in der Petrischale von einigen Indikationen. Und wir lernen gerade welche Rolle die Neuroinfammation womöglich durchgängig in allen neurodegenerativen Erkrankungen spielt “ Er ist sich sicher, dass der riesige „unmet medical need“ in Kombination mit innovativen, neuen Ansätzen und Erkenntnissen auch wieder mehr Investoren auf das Spielfeld zurückholen wird

Abb.: Privat In langjähriger Forschungsarbeit im Bereich Alzheimer beziehungsweise den neurodegenerativen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson, ALS, Huntington hat sich im deutschsprachigen Raum ein kleines Feld von Biotechnologieunternehmen mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen und von Diagnostika- und Therapeutikaentwicklern bis zu Anbietern von Technologieplattformen oder Modellsystemen behaupten können Nicht alle von diesen können hier erwähnt werden Die meisten haben mit schweren Rückschlägen zu kämpfen gehabt und eine unruhige Achterbahnfahrt ihrer Unternehmensentwicklung hinter sich Viele Akteure des Forschungsfeldes fühlen sich aber neu motiviert und ermutigt was die folgenden Gespräche mit drei Experten dieses Feldes belegen Es geht dabei und auf den folgenden Seiten um neueste Erkenntnisse, falsche Fährten und Abzweigungen, neue Wege und neue Technologieplattformen, die den langersehnten Durchbruch bringen könnten Und es geht um spannende Daten, die aus Kolumbien erwartet werden › Dr. Arno de Wilde

LSP Dementia Fonds

Welches Medikament macht das Rennen bei Alzheimer?

„Wir sehen, es wird eine große Vielfalt von Therapeutika entwickelt, und dies wird auch nötig sein. Die Patienten kommen zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten des Krankheitsgeschehens zum Arzt und für diese verschiedenen Zeitfenster wird man spezifsche Mittel und auch Kombinationen von verschiedenen Therapeutika benötigen. Wir stehen dort, wo man in der Krebsforschung vor 10 bis 15 Jahren gestanden hat, aber die Tür ist offen, man sieht das Licht.“

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