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Warum wir mit Schulen über Wellbeing nachdenken

Und warum das nichts mit Wellness zu tun hat

Von Annekathrin Schmidt und Sabine Käferstein, Deutsche Kinder- undJugendstiftung (DKJS)

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Wellbeing, das persönliche Wohlergehen, findet nicht nur im Schulkontext immer größere Beachtung. Gemeint ist damit keinesfalls Wellness oder Kuschelkultur. Es geht darum, dass Lernende wie Lehrende motiviert arbeiten, achtsam mit sich und der Umwelt umgehen und dass ihre Meinung zählt.

Dass die Frage, wie man sich fühlt, starken Einfluss darauf hat, wie wir lernen und arbeiten oder anderen Menschen gegenübertreten, hat uns Corona gerade deutlich gezeigt. Es kostet einfach mehr Energie, seinen Job gut zu machen, wenn mich Ängste drücken und mir der Austausch im Team und persönliches Feedback fehlen. Es fällt schwer, kreativ, freundlich und professionell zu sein, wenn ich über lange Zeit eingeschränkt bin in dem, was ich gern mache. Oder ich das Gefühl habe, wichtige Dinge nicht mehr zu verstehen bzw. sie nicht beeinflussen zu können. Gleiches lässt sich auf das Lernen und Arbeiten in der Schule übertragen.

Der Bildungsdiskurs versteht unter Wellbeing ein ganzheitliches Wohlbefinden, bei dem mentale, kognitive, physische und soziale Faktoren wie Erfolg, soziale Anerkennung, Mitbestimmung und Selbstwirksamkeit einfließen und sich gegenseitig bedingen. Das schwingt letztlich auch mit, wenn wir als Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) davon sprechen, dass Bildung aus Perspektive der Kinder und Jugendlichen gedacht werden muss.

Ziel-Dreiklang: Exzellenz, Chancen, Wellbeing

»Schule, da muss man halt dort sitzen und aufpassen, lernen und so, das ist ja dafür gedacht. Also es ist ja nichts Schlimmes dort, von daher. Wohlfühlen tut man sich da nicht, aber ist auch nichts Schlimmes«, sagt beispielsweise ein 15-Jähriger. »Ich mag keine Momente, in denen man vorgeführt wird. Das ist meistens in der Schule«, schreibt ein gleichaltriges Mädchen. Unser Bildungssystem schaut immer noch stärker auf die Erbringung von Leistung als darauf, dass Schüler und Schülerinnen aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen sich wohlfühlen. Immer wieder taucht abfällig das Schlagwort Kuschelpädagogik auf. Dabei zählt die internationale Forschung Wellbeing zu den drei entscheidenden Qualitätsdimensionen für den Erfolg von Bildungssystemen:

Excellence: Erreichen eines hohen Bildungsniveaus

Equity: Chancengerechtigkeit und die Entkopplung von Herkunft und Bildung

Wellbeing: mentale Gesundheit und Wohlbefinden

Wichtig dabei ist: Nur mit einem Faktor ist nichts gewonnen. Eine konstruktive Fehlerkultur, in der ein Kind weiß, dass es sich für seine Fehler nicht schämen muss, weil es aus ihnen lernt, ist ebenso wichtig wie der Ansporn zur Leistung.

Nach dem Ansatz des Wellbeing wird Schule demnach zu einem Ort, an dem sich junge Menschen wohl und geborgen fühlen. Sie werden dort in ihrer Persönlichkeit gestärkt, können ihre Potenziale entfalten und Kompetenzen erwerben, die für ein selbstbestimmtes Leben in einer sich ständig verändernden Welt notwendig sind. Mit den Programmen der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung unterstützen wir Bildungsakteur*innen, solche Orte und Räume zu schaffen, die Lernfreude, ein positives Schul- und Klassenklima, Resilienz und Wellbeing ermöglichen.

Erfahrungsräume für die Persönlichkeitsbildung

Das können Lernräume für Freiarbeit und mit Hausaufgabenbetreuung an Ganztagsschulen sein oder eine Extra-Sprachförderung wie in den Berliner Ferienschulen der DKJS und des Berliner Senats. Dort wird in den Oster-, Herbst- und Sommerferien Deutsch nicht »gebüffelt«, sondern auch gleich angewendet: Beim Skaten, Filmen oder Musicalproben gibt es nicht nur viele Sprechanlässe, sondern auch jede Menge Möglichkeiten, sich zu beweisen, dass man etwas schaffen kann. Wichtig ist auch: In solchen Formaten, die den Unterricht ergänzen, gibt es Platz für eine sozial-emotionale Unterstützung der Kinder. Ob Probleme, Ängste oder Frustrationen der Schüler und Schülerinnen in der Gruppe zur Sprache kommen oder in einem vertraulichen Gespräch – entscheidend ist, dass sie sich ganz persönlich gesehen und gehört fühlen. Wenn es dafür Räume und Rituale gibt, dann »wenden sich Kinder und Jugendliche mit ihren Sorgen direkt an die Erwachsenen – ohne Umwege und ohne Angst vor den Kopf gestoßen zu werden«, wie es eine Sozialarbeiterin aus der Gropiusstadt beschreibt. Schafft man diese Art von Räumen und Beziehungen, kann die formative Leistungsrückmeldungen über Noten durch ein individuelles Feedback ergänzt werden, das auf das Individuum eingeht, motiviert und das Selbstvertrauen des Lernenden stärkt. Auch kritisches Feedback sollte niemals verletzend sein, sondern den Anspruch haben, den jungen Menschen sensibler in der Einschätzung des eigenen Könnens und Wissens zu machen.

Selbstwirksamkeit entfachen

Das ist besonders wichtig für alle, bei denen diese Rolle nicht die Familie übernehmen kann. Während der Pandemie unterstützt die DKJS in Programmen wie die Mobile Jugend-Lern-Hilfe. Jetzt oder »LernBrücken – häusliches Lernen begleiten« gemeinsam mit Berliner Trägern der Jugendhilfe Kinder und Jugendliche, die in Risikolagen aufwachsen und die zu Hause beim Lernen nur wenig Unterstützung erhalten. Bei einigen von ihnen war die Angst groß, den Schulaufgaben allein und auf unbestimmte Zeit »ausgeliefert zu sein«. Die Unterstützungsteams der Träger hielten engen Kontakt, hatten ein offenes Ohr und Zeit für Gespräche über Blockaden und andere Schwierigkeiten, auch technische. Auch Elternarbeit und zusätzlicher Unterricht in kleinen Lerngruppen gehörten dazu. So konnten die Schüler*innen sicher sein, mitzukommen, und waren sichtlich weniger nervös, den Anschluss zu verlieren. »Ein Kind war während des Lockdowns für die Lehrkräfte nicht zu erreichen und erschien auch bei der Teilöffnung relativ spät wieder in der Schule. Es hatte sehr große Wissenslücken. Schon durch sprachliche Grenzen konnte seine Familie nicht helfen. Beim bunten und vielfältigen Angebot der Lernbrücke baute es seine Lern- und Versagensängste und erlebte: Ich bin wirklich schlau, ich schaffe es, ich kann nach Hilfe fragen und bekomme Unterstützung. Im neuen Schuljahr zeigt genau dieses Kind deutlich veränderte Leistungswerte.«

Wo ich mich wohlfühle und in meinen persönlichen Bedürfnissen respektiert werde, engagiere ich mich stärker und kann mehr leisten. Das gilt auch für Pädagogen und Pädagoginnen. Viele Schulen und Schulteams haben sich schon auf den Weg gemacht. Aber Luft nach oben gibt es auch. Es gibt also für Stiftungen und nicht nur die, einiges zu tun. Um das Thema Wellbeing an unseren Schulen nicht nur mehr ins Bewusstsein zu rücken, sondern auch ein Stück weit zu verbessern, braucht es von allen Akteur*innen, den Bildungspolitiker*innen, Schulleitungen, Pädagog*innen, Schüler*innen und Eltern Offenheit und Mut für Veränderung und Unterstützung.

Mehr Infos

»Wellbeing als Faktor für Bildungserfolg« Diskurs, Studien und Praxisbeispiele: www.dkjs.de/aktuell/meldung/news/ wellbeing-wohlfuehlfaktor-fuer-bildungserfolg

Calmbach, M., Flaig, B., Edwards, J., Möller-Slawinski, H., Borchard, I. & Schleer, C. (2020): Wie ticken Jugendliche? SINUS-Jugendstudie 2020. Bonn.

Sliwka, A. (o. J.): Wege zur Chancengerechtigkeit: Konzepte, Maßnahmen und Praxisbeispiele aus internationalen Schulsystemen. Online: www.bit. ly/3HB2Bti, World Vision Deutschland (ed.) (2018): Kinder in Deutschland 2018. 4. World Vision Kinderstudie. Weinheim, Basel.

Bericht LernBrücken: www.dkjs.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/programme/210322_Programmauswertung_LernBruecken.pdf

www.dkjs.de/aktuell/meldung/news/wellbeing-wohlfuehlfaktor-fuer-bildungserfolg

ZU DEN AUTORINNEN

ANNEKATHRIN SCHMIDT, Erziehungswissenschaftlerin und Expertin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung für das Thema Persönlichkeitsbildung. Sie leitet den Standort Berlin, Brandenburg, MecklenburgVorpommern der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

SABINE KÄFERSTEIN, Stiftungskommunikation Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

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