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Weil es wirkt – Persönliche Zukunftsplanung

Persönliche Zukunftsplanung und der Unterschied für die individuelle Teilhabe

Von Sean Bussenius, Fürst Donnersmarck-Stiftung

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Die Zukunft planen. Sich Ziele setzen und überlegen, wie sich das eigene Leben entwickeln soll. Das spricht sich so viel leichter als es sich tun lässt. Für Menschen, die mit einer Behinderung leben, gestaltet sich die Frage nach der eigenen Zukunft noch ein wenig schwieriger, als sie es ohnehin schon ist. Sie brauchen mitunter Hilfsmittel, Unterstützung, eine barrierefreie Umwelt, um ihren Weg zu wählen.

Nicht selten sind sie es nicht gewohnt überhaupt danach gefragt zu werden, was sie sich für ihr Leben wünschen und wohin die Reise gehen soll. Katrin Seelisch begegnet das oft in ihren Beratungen. Sie ist Peer Counselorin in der Villa Donnersmarck, dem inklusiven Treffpunkt der Fürst Donnersmarck-Stiftung. Die Berliner Stiftung engagiert sich seit 1916 dafür, dass Menschen mit Behinderung in der Mitte der Gesellschaft leben. Dazu gehört auch eine selbstbestimmte Vision vom eigenen Leben zu entwickeln. Die Methoden der Persönlichen Zukunftsplanung können dabei eine große Hilfe sein. Sie gehört zum Beratungsportfolio von Katrin Seelisch, mit dem sie die Teilhabe ihrer Klientinnen und Klienten stärken will.

Alles, was du liebst und träumen kannst

»Im Mittelpunkt steht immer der Mensch«, erklärt Katrin Seelisch den Ansatz der Persönlichen Zukunftsplanung, kurz PZP. Es ist ein humanistischer, menschenrechtsbasierter, philosophischer Ansatz, der die Methoden der PZP signifikant von etwas wie Life Coaching unterscheidet. Statt möglichst konkret und schnell irgendwelche rationalen Ziele step by step zu erreichen, geht es erst einmal darum, alles das zu finden, was einem lieb und teuer ist. Was ist die Lieblingsmusik, was sind die Lieblingsbücher oder -filme, was liebst du, was wünschst du dir, wovon träumst du? Seelisch nennt dies »den Nordstern finden«, das ultimative Fernziel der persönlichen Sehnsucht. So unerreichbar es scheint, so wichtig ist es, dieses einmal zu benennen. Wenn die Peer Counselorin den Eindruck hat, so ein Hineinhorchen könnte für eine Person der richtige Zugang sein, um für sich Ziele zu entwickeln, schlägt sie eine PZP vor.

In Einzelgesprächen werden dann alle persönlichen Vorlieben und Wünsche herausgearbeitet, so lange, wie jemand dafür eben braucht. Dann geht es darum, das »Zukunftsfest« vorzubereiten, mit dem die formulierten Wünsche Wirklichkeit werden sollen. Dafür wird ein Unterstützerkreis eingeladen. Dieser besteht aus Personen, die den Zukunftsplaner oder die Zukunftsplanerin aktiv dabei begleiten sollen, sich Stück für Stück dem gewünschten Leben zu nähern. Unterstützen können Freunde, Familienmitglieder, aber auch professionelle Menschen aus dem eigenen Umfeld wie Therapeuten oder Sozialarbeiterinnen. Ist der Unterstützerkreis gefunden, erstellt die planende Person selbst eine ansprechende Einladung zum Zukunftsfest. »Das ist Empowerment pur für die Klienten, so ein Einladungsschreiben aufzusetzen, aktiv etwas für die eigene Zukunft zu tun – das kann man richtig beobachten, wenn sie die Einladungen basteln«, erzählt Katrin Seelisch. Wenn der große Tag dann kommt, darf es beim Zukunftsfest so gemütlich wie möglich sein. Ein schöner Ort, die Lieblingsmusik im Raum, Blumen, Fotos, gutes Essen, viele persönliche Kleinode werden aufgereiht, mit denen Zukunftsplaner oder Zukunftsplanerin etwas verbinden.

Für durchschnittlich fünf Stunden ist es das Wichtigste, der feiernden Person ehrliche Wertschätzung entgegenzubringen und sie dafür zu beglückwünschen, dass sie sich auf den Weg gemacht hat, das eigene Leben positiv zu verändern. So ausschließlich im Mittelpunkt zu stehen, ist gerade für Menschen mit Behinderung oft eine überwältigende Erfahrung. Mit dem Unterstützerkreis wird dann ein Actionplan erarbeitet, welche Schritte man für das Wunschleben wann als nächstes machen möchte und wer aus dem Kreis wobei aktiv hilft. Diese Ziele können für alle sichtbar visuell festgehalten werden. Abschließend wird noch ein Agent oder eine Agentin benannt, der oder die alle, die sich als Helfende bereiterklärt haben, in regelmäßigen Abständen anstupst, um nach dem Fortschritt zu fragen. Katrin Seelisch als Moderatorin der Persönlichen Zukunftsplanung lädt die Zukunftsplanerin nach einem halben Jahr noch einmal ein, um zu erfahren, wie die Dinge sich entwickelt haben.

Verbindungen schaffen

Die lebendige Interaktion von planender Person und Unterstützerkreis ist essentiell für das Gelingen einer Persönlichen Zukunftsplanung. Die individuellen Wünsche können nur erreicht werden durch das Commitment aller, die sich für sie einsetzen. Der Unterstützerkreis wird zur »Batterie« für den Einzelnen und entsteht erst durch ihn. Persönliche Zukunftsplanung schafft so Verbindungen, wo es vorher keine gab. Es entsteht ein Sozialraum, ein Netzwerk, das zusammen etwas verändert. Ein großer Wert in einer Zeit, in der es nicht mehr selbstverständlich ist, in großen Runden zusammenzukommen. In der es oft so schwierig ist, jemanden persönlich um Hilfe zu bitten. Eine Unterstützung, die auch für den Helfenden sinnstiftend sein kann. Diese Chancen für soziale Transformationen sind die Wurzeln der PZP. Sie entstand in den 1970er Jahren in den USA als Teil der Gemeinwesenarbeit. PZP bietet sich immer da an, wo Übergange passieren. Im Persönlichen wie Scheidung, Abschied, ein neuer Lebensabschnitt, aber auch in Gemeinden, die Umbrüche erleben. Stadtviertel, die verfallen und deren Bürgerschaft ein positives Ziel braucht, hinter dem man sich gemeinsam versammeln kann. Ende der 1990er Jahre kam die Methode auch in Deutschland an. Es existiert ein deutschsprachiges Netzwerk, das zur Persönlichen Zukunftsplanung schult. Auch Katrin Seelisch hat dort ihre einjährige Zusatzqualifikation als Moderatorin PZP absolviert.

Personenzentrierung inklusive

So wenig PZP ursprünglich mit Behinderung zu tun hat, so dankbar ist ihr Methodenfundus für die aktuellen sozialpolitischen Bestrebungen. Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG), das seit 2018 in vier Stufen bis 2023 umgesetzt wird, haben im Fokus der Unterstützungsleistungen der Eingliederungshilfe personenzentriert die Wünsche und Ziele von Menschen mit Behinderung zu stehen, ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Es gilt mit jeder berechtigten Person einen Teilhabeplan zu erstellen, mit Bedarfen und Zielen für die persönliche gesellschaftliche Teilhabe. Wie aber ermittelt man als Kostenträger der neu entstandenen Teilhabeämter persönliche Ziele und individuelle Wünsche?

In der Hauptstadt geschieht das mit dem Teilhabeinstrument Berlin (TIB). Der Methodenkoffer der PZP war dabei mehr als dankbar. Doch wo eben noch der Mensch im Mittelpunkt stand, müssen seine Wünsche jetzt in budgetierbare Leistungen überführt werden, die im Takt der Leistungserbringer der Behindertenhilfe erfolgen. Es droht die Verwässerung einer Methode, die zuerst den Menschen und seine sozialen Verbindungen im Blick hat. Eine Persönliche Zukunftsplanung ist immer freiwillig, der Teilhabeplan ist gesetzlich vorgeschrieben. Wer zu Katrin Seelisch kommt und eine PZP wünscht, zahlt diese noch aus eigener Tasche. So sehr das angepeilte Ergebnis – Wege für einen selbstbestimmten, gleichberechtigten Alltag in der Gesellschaft finden – sich auch mit den sozialpolitischen Teilhabezielen deckt, eine Regelfinanzierung gibt es für die PZP momentan nicht. Dabei ist Katrin Seelisch überzeugt, dass PZP die beste Vorbereitung sein kann, um mehr Teilhabe möglich zu machen: »Weil es einfach wirkt, alle, die einmal ein Zukunftsfest mitgemacht haben, gehen da einfach anders heraus.«