Smart Country Convention 2021
Behörden Spiegel / Oktober 2021
Die dritte Impfung
Z
ur Umsetzung benötigen diese Staaten folgende Daten: (1) alle Einwohner zum Stichtag bspw. 1. September 2021 und deren lückenlose Impfhistorie, d. h. Datum, Impfstoff und Charge sowie die verabreichende Stelle, (2) Kontaktdaten des Impflings, (3) eine Indikation, ob ein Booster erwünscht ist sowie (4) eine lückenlose Fortschreibung dieser Daten ab dem Stichtag. Dazu kommt (5) ein Mechanismus, der sicherstellt, dass alle Impfdosen genutzt werden, also eine organisierte Liste an “LastMinute-Nachrückern” existiert, die kurzfristig eingeladen werden können, wenn im Impfzentrum oder in der Arztpraxis absehbar Impfstoff übrigbleibt. Die vom Bundesgesundheitsministerium und den übrigen zuständigen Stellen im föderalen System Deutschlands angebotenen und eingesetzten Lösungen erfüllen diese Anforderungen wie auch bereits bei der ersten Impfkampagne noch immer nicht, wie nachstehende Analyse zeigt.
Wer ist geimpft? Das weiß die Verwaltung nicht... Es gibt zumindest pro Bundesland unterschiedlichste Systeme, wo sich Impfwillige registrieren können. Das Problem hierbei ist, dass diese einerseits nicht zwischen den Bundesländern abgeglichen werden, d. h. Doppelregistrierungen möglich sind, und andererseits bspw. die bayerische Staatsregierung dazu aufforderte, Personen nach z. B. beim Betriebs- oder Hausarzt erfolgter Impfung aus dem System BayIMCO zu löschen, Zitat: “Alle Impflinge werden gebeten, nach einer Impfung beim niedergelassenen Arzt ihre Registrierung in BayIMCO zu löschen.” Die Meldung an das RKI ist pseudonymisiert (vgl. § 4 Abs 1 der CoronaImpfV), de facto anonymisiert und da es kein zentrales Registrierungssystem gibt – wie bspw. das indische CoWIN für 1,4 Mrd. Menschen – weiß niemand, wie viele Personen geimpft wurden. Wie schlecht es um die Datenbasis bestellt ist, zeigt sich u. a. darin, dass das Robert Koch-Institut (RKI) Meinungsumfragen (!) durchführt, um herauszufinden wie hoch die Impfquote tatsächlich ist (vgl. den COVIMO-Report 6 des RKI vom 10.08.2021). Die Umfragedaten ergeben eine bis zu 20 Prozentpunkte höhere Impfquote als in der von den Gesundheitsbehörden dokumentierten, auf Meldungen der tatsächlich impfenden
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Der Blindflug der Verwaltung geht weiter (BS/Prof. Dr. Robert Müller-Török/Prof. Dr. Alexander Prosser*) Wie in der Juli-Ausgabe des Behörden Spiegel (S. 32) bereits angekündigt, ist es nun weltweiter Konsens, dass eine dritte Auffrischungsimpfung gegen Covid-19, der sogenannte Booster, notwendig erscheint und durchgeführt wird. Ein Forscherteam des University College London weist in einem “Letter”-Beitrag vom 15. Juli 2021 in der Zeitschrift The Lancet auf den starken gemessenen Verfall der Antikörperniveaus zweier gängiger Impfstoffe – von AstraZeneca und Biontech – hin und unterstützt die Empfehlung für eine dritte Impfkampagne in diesem. Weitere Studien aus Israel und den USA bestätigen diese Beobachtung, wobei sich auch auf politischer Ebene, auch in Deutschland, die Tendenz zum “Booster Shot” durchsetzt. Stellen beruhenden Datenbasis. Angesichts der Aussage des Leiters des Passauer Impfzentrums, “Es werden nur die in der jeweiligen Gebietskörperschaft durchgeführten Impfungen dokumentiert; wo die Leute ihren Wohnsitz haben, ist seit geraumer Zeit unerheblich (...), inzwischen dürfen wir sogar die Schiffsbesatzungen impfen, die sich meistens aus Ausländern zusammensetzt”, verwundert dies auch nicht. Ebenso wenig wie die Impfquote von jenseits 100 Prozent, die demnächst in Passau erwartet wird. Wenn es kein zentrales System (oder gleichwertige, gut vernetzte dezentrale Systeme) gibt, ist es faktisch unmöglich, zu sagen wie viele Prozent der eigenen Bevölkerung geimpft wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Impfquote der RKI-Statistik im Zähler Tote und Weggezogene aufweist (aber Zugezogene nicht), im Nenner hingegen bis Anfang September einen eingefrorenen und nicht fortgeschriebenen Bevölkerungsstand per 31. Dezember 2019 abbildet, jetzt per 31.Dezember 2020.
Wer will bzw. muss sich auffrischen lassen? Auch das weiß sie nicht... Gegenwärtig erleben viele Staaten, auch Deutschland, eine gewisse Impfmüdigkeit. Der Anteil der geimpften Bevölkerung scheint, auch nach der Impfstatistik der Financial Times International, bei 60-70 Prozent zu verharren und lässt sich anscheinend nicht steigern, sieht man von Ausnahmen wie Portugal, Malta, Singapur oder den Golfstaaten ab. Auch Israel, das Vereinigte Königreich oder Ungarn, einst die Impfavantgarde, überschreiten die 70-ProzentMarke nicht. Im Umkehrschluss heißt das, dass sich bspw. in Deutschland bei ca. 64 Prozent vollständig Geimpften eben maximal diese 64 Prozent der Bevölkerung grundsätzlich für einen Booster qualifizieren – Doch wie viele oder wie wenige Einwohner
Dänemark verdankt seine hohe Impfquote vermutlich auch der guten E-Government-Infrastruktur des Landes. Foto: BS/©Daniel, stock.adobe.com
zer der zum Zugriff auf ELGA erforderlichen Handysignatur von ca. 1,9 Millionen auf über 2,6 Millionen. In Deutschland wird somit von per 5. September 2021 51 Mio. Geimpften eine völlig Prof. Dr. Robert Müller-Török (links) lehrt an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen unbekannte AnLudwigsburg, Prof. Dr. Alexander Prosser an der zahl einen Booster Wirtschaftsuniversität Wien. haben wollen. Da Fotos: BS/privat diese 51 Mio. auch Verstorbene, Wegwerden das in Anspruch neh- gezogene und keine Zugezogenen men? Ein zentrales Administrati- beinhalten, ist die Schwankung onssystem nach dem Vorbild des noch höher. Eine seriöse Progindischen CoWIN gibt es nicht, nose, und damit jede Form von ebenso wenig gibt es eine elek seriösem Demand Management, tronische Gesundheitsakte wie ist somit unmöglich. Und damit in Österreich, die für die gesam- gibt es auch keine Basis für den te Bevölkerung alle Impfungen, Bundesgesundheitsminister, auf auch die Covid-19-Impfungen, in der er eine Bestellung bei Pfizer/ der zentralen elektronischen Ge- Biontech, Moderna und den ansundheitsakte ELGA speichert. deren Herstellern abgeben kann. Und, als positiver Nebeneffekt Die Über- bzw. Unterbestellung der Pandemie, stiegen die Nut- ist somit vorprogrammiert, eben-
so wie die Fehldimensionierung der Impfzentren, der Kühllogistikketten uvm. Es gibt noch ein weiteres Problem, welches die Gesundheitspolitik und -verwaltung offenbar nicht auf dem Schirm hat: Der Abbau von Antikörpern, d. h. wie viele Antikörper nach der zweiten Teilimpfung noch im Blut sind, ist vergleichsweise unerforscht. Freiwillige und selbst bezahlte Antikörpertests eines Autors ergaben, dass keine drei Monate nach der letzten Impfung der Antikörperlevel von über 2.500 auf ca. 1.500 pro Milliliter sank. Bei seiner 82-jährigen Mutter sank innerhalb von vier Monaten der Antikörperlevel auf unter 400 pro Milliliter. Es scheint so zu sein, als ob man nicht generell sagen kann, wie lange ein Impfschutz besteht – und wann demnach ein Booster notwendig ist. Neben der Administration der Auffrischungsimpfungen kann daher eine solche Datenbasis zusammen mit systematischen Antikörpertests auch für Pro gnoserechnungen herangezogen werden. Insbesondere könnte man sog. Impfdurchbrüche (also die symptomatische Infektion von vollständig Geimpften) in Relation zur Degradation des Impfschutzes bringen und daraus etwas über die Langzeitwirkung des Impfstoffes, aber auch die Validität der Antikörpertests selbst lernen. Hier geht es insbesondere um die Frage, ob das Antikörperniveau ein valider Prädiktor für einen Impfdurchbruch ist und ob dies je nach Personengruppe vielleicht auch unterschiedlich ist. Das Fehlen dieser Datenbasis hat vermutlich zur Folge, dass als “Geimpft”, also “1G” zählende Personen in Wahrheit gefährdet sein können. Die Gültigkeit des digitalen Impfzertifikats des RKI in Deutschland, laut BZgA 12 Monate, wird möglicherweise nicht haltbar sein. Die Aussage der BZgA, “Je nach beobachteter Wirkungsdauer der Impfstoffe soll dieser Zeitraum angepasst beziehungsweise eine Auffri-
schungsimpfung angeboten werden”, ist zwar nachvollziehbar, die Autoren fragen sich aber wie die Gültigkeit eines ausgestellten und z. B. auf einem Smartphone gespeicherten Zertifikats im Nachhinein verändert werden soll – und mehr noch: wie diese Veränderung der Gültigkeit an den geimpften Zertifikatsinhaber, von dem zentral keine Kontaktdaten existieren, kommuniziert werden soll.
Ein Ausblick auf Ende 2021 Es ist davon auszugehen, dass es Ende 2021 entweder deutlich zu viel oder deutlich zu wenig Impfstoff für die Booster-Impfungen geben wird. Hinzu kommt, dass die ursprüngliche Impfkampagne bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist, es sind noch über ein Drittel der Bevölkerung ungeimpft oder nicht vollständig geimpft. Den Status eines konkreten Einwohners kann die Verwaltung mangels Datenbasis und Informationssystem nicht ermitteln, womit es fast zwangsläufig zu langen Schlangen oder aber gähnend leeren Impfzentren kommen muss. Auch muss davon ausgegangen werden, dass die Covid-19-Bedrohung und damit Auffrischungsimpfungen zu einer permanenten Einrichtung werden.
Empfehlungen zur Gegensteuerung Um genau dies zu verhindern, bedarf es vor allem einer deutschlandweit einheitlichen Impfregistrierungs- und -dokumentationsplattform nach indischem Vorbild. In dieser müssen (1) die bisherigen Impfungen aller Einwohner nachdokumentiert werden, (2) muss eine Verknüpfung mit Meldedaten erfolgen, die tagesaktuell gepflegt werden, um z. B. Umzüge zu berücksichtigen und (3) die Möglichkeit bestehen, potenzielle Impflinge einzuladen, sei es per SMS, Mail oder Brief. Dänemark verdankt seine hohe Impfquote von 73 Prozent vermutlich auch der guten E-Government-Infrastruktur, konkret dem System e-boks.dk bzw. borger.dk, welche elektronische Postsysteme und für alle Einwohner verpflichtend sind. Denn eines zeigte sich in dieser Pandemie: Staaten mit guter EGovernment-Infrastruktur kamen erheblich besser mit der neuen Situation zurecht als andere – und zu den anderen gehört leider definitiv Deutschland – Zeit, dies zu ändern.
Smart, zuverlässig und sicher
Smarte Aufsteiger
Die richtige Infrastruktur für digitale Städte
Bitkom präsentiert smarteste Städte
(BS/Michael Hlevnjak*) Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Autonome Autos, intelligente Drohnen und Virtual Reality an jeder Ecke? Vielleicht; die (BS/stb) Im Digital-Ranking der deutschen Großstädte des DigitalverGrundlagen einer Smart City sind allerdings wesentlich profaner und beginnen bei leistungsfähigen Netzwerken und digitalen Behördengängen. bands Bitkom ist Bewegung. Bochum, Dresden und Freiburg im Breisgau konnten sich erstmals in den Top Ten positionieren. Laut Wikipedia ist Smart City “ein Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten”. Das ist eine sehr weit gefasste Definition, doch sie zeigt bereits die Grundlage der Smart-City-Idee: Netzwerke in den verschiedensten Ausprägungen – vom Stromnetz über ÖPNV und Straßen bis hin zu Glasfaserleitungen. Über diesen physischen Infrastrukturen liegt die informationstechnologische Ebene der Vernetzung, also das, was die Stadt erst “smart” macht. Denkt man darüber nach, was sich in einer modernen Stadt alles intelligent vernetzen lässt, landet man schnell bei einer unüberschaubaren Anzahl von Endpunkten. So gibt es beispielsweise Pläne, Straßenlaternen mit 5G-Technologie auszustatten, sodass diese als Miniatur-Sendemasten fungieren können und so die Netzabdeckung verbessern.
Zudem können smarte Laternen – allein in Berlin gibt es mehr als 200.000 Straßenlaternen – oder auch Ampeln mit Connected Cars kommunizieren. Selbst wenn man nur einen kleinen Teil der Laternen vernetzt, kommt es allein dadurch zu mehr Komplexität. Gleichzeitig sind in der Hauptstadt mehr als eine Million Pkws zugelassen. Wäre wiede rum auch davon nur ein Bruchteil vernetzt, käme ein großer Datentraffic-Anstieg zustande. Das alles kommt zu bestehenden Anschlüssen, Endpunkten und Geräten hinzu. Traditionelle Netzwerke sind diesen Anforderungen meist nicht mehr gewachsen. Voraussetzung für die dynamische Steuerung von Anwendungen in einer Smart City ist stattdessen die flächendeckende Vernetzung über eine Netzwerktopografie, die alle Systeme und Steuerzentralen sicher verbindet. Ein solches SmartCity-WAN muss auch Kritische Infrastrukturen sicher verbinden
können: von der smarten Ampel über die digital vernetzten Verwaltungsgebäude bis zu Krankenhäusern und Leitstellen. Bisherige Herausforderungen waren, dass WAN-Bandbreite sowohl Kabel- als auch Funk-basiert teuer ist, die Performance mitunter stark schwankt und ein stabiler Netzbetrieb auf Dauer nicht garantiert werden konnte. Ein SD-WAN, also ein softwaredefiniertes Netzwerk, verbessert dagegen die Performance und erleichtert das Management. Vereinfacht gesagt, sind Wege des Traffics im SD-WAN nicht festgelegt und viele Wege führen zum Ziel. Dadurch sind diese Netzwerke flexibler und resilienter. Natürlich verfügen moderne SD-WAN-Lösungen auch über umfangreiche Sicherheits- und Monitoring-Funktionen.
Smart auch auf dem Amt Eine Smart City sollte auch in der Verwaltung digitale Services für Bürger anbieten. Digi-
tale Infrastrukturen in Ämtern in Behörden sind jedoch häufig veraltet. Hier kommt oft noch Legacy-IT zum Einsatz, die es den Mitarbeitern nicht erlaubt, beispielsweise die Vorteile von mobilem Arbeiten zu nutzen. Das wirkt sich auf Dienstleistungen im Front-End aus. Um dort den Bürgern ein modernes digitales Erlebnis zu bieten, müssen Prozesse im Hintergrund effizient ablaufen. Die Corona-Pandemie führte drastisch vor Augen, wo es bei der Digitalisierung noch hapert. Während Homeoffice in vielen Büros schnell die Regel wurde, blieb das in Behörden die Ausnahme. In Zukunft müssen auch Mitarbeiter im öffentlichen Sektor mit modernen digitalen Arbeitsplätzen und Cloud-Lösungen ausgestattet werden – nicht zuletzt, um die Attraktivität der Arbeitsplätze zu steigern. *Michael Hlevnjak ist Director Public Sector bei Citrix.
Der Smart City Index wird seit 2019 jährlich veröffentlicht. Damit werden digitale Vorreiter in wichtigen Bereichen wie IT-Infrastruktur, Umwelt oder Mobilität gewürdigt. Gegenüber dem Vorjahr ist viel Bewegung ins Ranking gekommen. Das zeugt davon, dass viele deutsche Großstädte sich auf den Weg in eine smartere Zukunft gemacht haben und mit vielen innovativen Projekten punkten. Den größten Sprung macht Dresden. Die sächsische Landeshauptstadt lag im letzten Jahr noch auf Platz 24 und konnte sich nun unter den zehn besten platzieren. Auch die Neuaufsteiger Bochum (Platz 18 im Vorjahr) und das badische Freiburg (Platz 15 im Vorjahr) haben enorm aufgeholt. Die weiteren Top-TenPlätze gehen an Berlin, Darmstadt, Hamburg, Karlsruhe, Köln, München und Stuttgart. Die genaue Reihenfolge wird im Vorfeld der Smart Country Con-
vention bekannt gegeben. Der Smart City Index zeichne ein umfassendes Bild der Digitalisierung deutscher Großstädte, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. “Die starken Veränderungen in der Platzierung zeigen, welche enorme Dynamik in dem Thema steckt. Viele Städte haben Bedeutung und Chancen der Digitalisierung erkannt und machen Tempo.” Dabei sei ein gutes Ergebnis im Ranking aber kein Grund, sich auszuruhen, so Berg weiter. Der Index analysiert und bewertet die Städte mit Blick auf 133 Parameter in den fünf Kategorien Verwaltung, IT-Infrastruktur, Energie, Umwelt, Mobilität und Gesellschaft. Untersucht wurden Bürger/-innen-Services oder Sharing-Angebote genauso wie intelligente Ampel- und Beleuchtungskonzepte und die Breitbandversorgung. Die Städte konnten ihr Ergebnis vorab prüfen und kommentieren.