Behörden Spiegel / März 2020
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abei müsse der Öffentliche Dienst die eigene Digitalisierung unbedingt selbst vo rantreiben. Wenn er hier nicht proaktiv tätig werde, drohe er national wie international den Anschluss zu verlieren. Davor warnt Dr. Markus Richter. Seine Behörde müsse sich permanent selbst reflektieren und kontinuierlich weiterentwickeln, so der Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In der Flüchtlingskrise, die 2015 begann, hätten die BAMF-Mitarbeiter rasch lernen müssen, mit Disruptionen und Agilität umzugehen. In diesem Zusammenhang konstatierte Richter allerdings auch: “Die Verwaltung in Deutschland ist oftmals besser als ihr Ruf.”
Ohne Eigenantrieb geht es nicht Digitalisierung auch selbst als Aufgabe begreifen (BS/Marco Feldmann/Kilian Recht) Der Erfolg von Innovationsprozessen im öffentlichen Sektor ist von zahlreichen internen und externen Faktoren abhängig. Auch die Verwaltung selbst muss entsprechende Vorhaben vorantreiben. Aktion statt Reaktion ist gefragt. Doch daran hapert es manchmal noch.
Agile Organisation erlebbar machen
Silodenken überhaupt nicht förderlich Problematisch sei im Öffentlichen Dienst jedoch das Silodenken. Dies führe dazu, dass Wege mehrfach beschritten und Fehler einsam wiederholt würden, bemängelt Vincent Patermann. Hinzu komme, dass es in der öffentlichen Verwaltung oftmals an Vernetzung mangele, so der Geschäftsführer des “Netzwerks: Experten für die digitale Transformation der Verwaltung” (NExT). Dies erschwere teilweise auch das Zusammenkommen gleichgesinnter Personen zur Realisierung eines innovativen Projektes, findet Patermann. Hier könne NExT unterstützen, das sich an Mitarbeiter in Bund, Ländern und Kommunen richte und sich selbst als gemeinnützige Plattform aus der Verwaltung für die Verwaltung verstehe. Vorteilhaft sei dabei, dass der Zusammenschluss weder Behörde noch Forschungseinrichtung sei. Außerdem veranstalte NExT bundesweit Impulsveranstaltungen, erläutert der IT-Direktor der Bundesnotarkammer, Dr. HansGünter Gaul. Diese seien enorm wichtig, ergänzt der CIO der Kommunalen Unfallversicherung Bayern, Jürgen Renfer. Denn: “Ohne Vernetzung funktioniert die Verwaltungsdigitalisierung nicht.”
ScienceLab der Universität Hamburg unterstreicht, dass für eine agile Verwaltung alle Mitarbeiter mitgenommen werden müssten. Monokulturen hingegen verhinderten Agilität und Innovation. Thoneick ist sich mit Blöcher und Verenkotte einig, dass Innovation und agile Verwaltung Interdisziplinarität, Diversität und Freiräume benötigen.
Angeregter Austausch über agile Arbeitsmethoden in der öffentlichen Verwaltung (v. l. n. r.): Jan-Ole Beyer, Dr. André Göbel, Sonja Anton, Anika Wilczek, Jörg Steiss und Tatiana Herda Muñoz (Moderatorin)
Darüber hinaus komme es für das Gelingen dieses Prozesses entscheidend darauf an, IT-Spezialisten attraktive Angebote zu machen und sie damit möglichst lange im Öffentlichen Dienst halten zu können. Darauf weist Roland Obersteg, Abteilungsleiter Führung im Kommando Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr, hin. Um dies tatsächlich zu schaffen, müsse die öffentliche Hand – auch was die Bezahlung betreffe – konkurrenzfähig zur Privatwirtschaft werden. Hier brauche es zunächst jedoch Reformen im Beamten- und Soldatenrecht, meint der Flottillenadmiral. Auch brauche es für mehr Agilität in der Verwaltung dort die Bereitschaft, die eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen, findet Maria Blöcher, Leiterin des Fellowship Programms bei Work4Germany. Und auch im Übrigen brauche es ein Umdenken. Denn erfolg-
reiche Innovationsprozesse seien eine Sache des Kopfes und nicht zwangsläufig von technologischen Voraussetzungen abhängig. Ebenso komme es da rauf an, dass die entsprechenden Prozesse von innen, also aus der Verwaltung selbst heraus, getrieben würden.
Motivation, Methodik, messbare Ziele Davon zeigt sich Aydan Portakaldali überzeugt. Sie ist im Digital Innovation Team des Bundesinnenministeriums (BMI) tätig. Für Innovationen müssen aus ihrer Sicht mehrere Faktoren erfüllt sein. Dazu gehörten unter anderem Motivation, Methodik und messbare Ziele. Ebenso komme es auf genügend Freiräume und eine gelebte Fehlschlagskultur sowie eine radikale Nutzerzentrierung im Zuge des Digitalisierungsprozesses an. Seien all diese Voraussetzungen erfüllt und Faktoren gegeben, sei agi-
Wer könnte das wissen? Trendreport Digitaler Staat zu Wissensmanagement
Sieht die öffentliche Verwaltung immer noch erheblich durch Strukturen und Hierarchien geprägt: Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes. Fotos: BS/Dombrowsky
les Arbeiten das genaue Gegenteil von chaotischem Arbeiten. Bei Innovationslaboren sei es zudem wichtig, möglichst viele unterschiedliche Mitarbeiter und Perspektiven einzubeziehen, so Portakaldali weiter. Derzeit gelte aber oftmals noch, so der Präsident des Bundesverwaltungsamtes (BVA), Christoph Verenkotte: “Die Welt der öffentlichen Verwaltung ist immer noch stark durch Strukturen und Hierarchien geprägt.” Agil werden könne die öffentliche Verwaltung nur durch Überzeugungsarbeit bei den einzelnen Mitarbeitern. Von oben herab, im Sinne eines Top-downAnsatzes, sei die Reform zum Scheitern verurteilt, erklärt der BVA-Präsident.
Innovationslabore gemeinsam betreiben Des Weiteren sei es von Bedeutung, Nutzer möglichst frühzeitig in Digitalisierungsprozesse einzubeziehen und in Innovationslaboren Freiräume für kreative Ideen anzubieten, erklärt Prof. Dr. Moreen Heine
vom Joint Innovation Lab der Universität Lübeck. Dort werde ein menschenzentrierter Ansatz verfolgt. Die Bedeutsamkeit einer solchen Herangehensweise unterstreicht auch der Chief Technology Officer (CTO) der BWI, Matthias Görtz. Die Einrichtung in Schleswig-Holstein werde darüber hinaus gemeinsam von Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft getragen, ergänzt Heine. Dieser Ansatz müsse den Mitarbeitern immer wieder verdeutlicht werden, findet die Forscherin. Denn nur wenn klar sei, dass Innovationslabore gemeinsam mit der Verwaltung und nicht für diese betrieben würden, könnten Vorbehalte aufseiten der Mitarbeiter abgebaut werden. Ähnliches zur Ausgestaltung und Ausrichtung derartiger Einrichtungen ist von Dr. Rubina Zern-Breuer von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie Dr. Thorsten Faber, Principal Consultant beim IT-Dienstleister msg, zu hören. Und Rosa Thoneick vom City
Außerdem komme es darauf an, Realitätsschocks rasch zu verarbeiten. Ständig müsse auf neue Situationen reagiert und sich angepasst werden, so Jan-Ole Beyer, Leiter der Projektgruppe “Konzeption und Aufbau eines Digital Innovation Teams” im BMI. Ob denn auch die öffentliche Verwaltung so agil werden müsse, bezweifelt Sonja Anton von Tech4Germany. Offizielle Prozesse hätten ihren Sinn und schützten beispielsweise vor Vetternwirtschaft. Doch einzelne agile Aspekte sollten auch im öffentlichen Sektor verankert werden. Dabei würden schon kleine Veränderungen reichen, wie das aktive Einholen von Feedback und ein vermehrter Einsatz von Evaluationen. Kleine Meilensteine zu definieren und einzelne Entscheidungsschritte zu gehen, sei das Mittel zum Erfolg, ergänzt Dr. André Göbel, Geschäftsführer der DigitalAgentur Brandenburg. Es brauche keine allumfassende Komplettlösung, um die Verwaltung agil zu machen, vollendet Anton. Anika Wilczek, Executive Director bei Aperto, sagt mit Blick auf agile leadership, dass es ihr schwergefallen sei, die eigenen Vorstellungen hintanzustellen und ein Team passiv zu coachen, ohne direkt einzugreifen. Doch vom Mut zu Kontrollverlust und fehlertolerantem Probieren lebe Agilität, meint Göbel. Würde dabei eine Regel verletzt, müsse hinterfragt werden, ob sie noch den Zielen der Organisation entspräche. Jörg Steiss, General Manager bei Corel MindManager, appelliert an die öffentliche Verwaltung: “Fangt einfach an und macht!”
Verwaltung richtig verkaufen
(BS/gg) Wer könnte das wissen? Oder: Wer hat das schon mal gemacht? Wem begegnen diese Fragen nicht auch immer wieder im Arbeitsalltag. Und sie könnten künftig noch häufiger gestellt werden, denn die AuswirEmployer Branding soll Nachwuchskräfte in Behörden bringen kungen des demografischen Wandels werden den öffentlichen Sektor in den nächsten Jahren massiv treffen. Mit den Menschen geht oftmals auch das Wissen verloren, das auf dem Weg der Digitalisierung dringend (BS/Kilian Recht) Hat Ihre Behörde eine eigene Marke? Um sich im Wettbewerb um qualifiziertes Personal benötigt wird. Vor diesem Hintergrund hat Prognos in Zusammenarbeit mit dem Behörden Spiegel den aktu- abzusetzen, brauchen Sie eine. Wie Employer Branding umgesetzt wird, zeigen Studierende im Rahmen der ellen Trendreport Digitaler Staat dem Thema Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung gewidmet. Projektstudie “Perspektive Beruf öffentlicher Dienst” der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Mit diesem Thema knüpft Pro gnos an die Trendreports vorheriger Jahre an, in denen unter anderem der Weg zur digitalen Organisation skizziert wurde (2018) oder die Hürden der Digitalisierung der Verwaltung aufgezeigt wurden (2019). In diesen Trendreports wurde festgestellt: Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Wissensmanagement ist ein wichtiger Baustein für die Umsetzung der digitalen Transformation, für die Fachwissen und Erfahrung notwendig ist. Folgende Fragen stehen im Trendreport 2020 im Fokus: • Welches Wissen haben wir? • Welches Wissen brauchen wir? • Wie kann das Wissen wachsen? • Wie schaffen wir eine Kultur, Wissen zu teilen? • Wie nutzen wir das Wissen?
Strategie, kann über Tools sowie die Fort- und Weiterbildung von Personal nachgedacht werden. Die Ausgangsfrage aber lautet immer: Was braucht meine Organisation? Die Studienautorinnen und -autoren widmen sich folgenden zentralen Bausteinen des Wissensmanagements: • Wissen identifizieren, • Wissen bewahren und transferieren, • Wissen erwerben, • Wissen entwickeln, • Wissen teilen und vernetzen, • Wissen nutzen.
Im Trendreport Digitaler Staat 2020 können Interessierte erfahren, welche Unternehmenskultur die Voraussetzung für ein erfolgreiches Wissensmanagement ist, welche Tools zur Verfügung stehen und wie sie in zwölf Schritten zu einem systematischen Wissensmanagement gelangen.
Bausteine des Wissensmanagements Es gibt viele Wissens-Arten: Fachwissen, strategisches Wissen, Methodenwissen, Erfahrungswissen, Prozesswissen, explizites und implizites Wissen. Wie dieses Wissen sinnvoll genutzt, bewahrt und (weiter-) entwickelt wird – also das Management des Wissens –, ist eine strategische Aufgabe. Steht die
Mehr zum Thema Wie bereits in den vergangenen Jahren, so wurde der neue Trendreport auch in diesem Jahr durch Marcel Hölterhoff, Bereichsleiter Managementberatung bei Prognos, der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Foto: BS/Dombrowsky
Der aktuelle Trendreport Digitaler Staat 2020 sowie die vorherigen Ausgaben der Publikation stehen unter www.digitaler-staat.org/ trendreport zum Download zur Verfügung.
Felicia Ullrich, Marketingexpertin von U-Form, leitet ein und klärt auf: Die Marktmacht habe sich verändert. Junge Leute auf Ausbildungsplatzsuche hätten zunehmend mehr Wahlmöglichkeiten, was ihren zukünftigen Arbeitgeber betreffe. Diese seien folglich darauf angewiesen, gute Überzeugungsarbeit zu leisten, um junge Leute für sich zu gewinnen. Das Problem: Die Marke fehle. Menschen entschieden sich im Zweifel eher für ein Markenprodukt, schließlich gebe es ihnen Sicherheit. Sicherheit sei in den aktuellen Krisenzeiten auch einer der größten Vorteile, den Behörden potenziellen Arbeitnehmern anbieten könnten. Es fehle Behörden nämlich nicht an Vorzügen. Diese würden lediglich mangelhaft kommuniziert. Dabei käme es darauf an, die Bedürfnisse der beworbenen Generation anzusprechen. Neben einem sicheren Arbeitsplatz könne die Verwaltung sinnstiftende Tätigkeiten bieten. Man tue schließlich etwas für das Land. Diese Bedingungen würden hervorragend zu den Bedürfnissen der Digital Natives passen. Es gelte lediglich noch, diese vernünftig zu vermitteln, in Stellenausschreibungen, Home-
pageauftritten und in sozialen Medien. Dabei komme es aber auch auf die Art der Kommunikation an. Junge Leute legten Wert auf kurze und schnelle Kommunikation. Dies müsse Teil des Brandings sein. Mit sich über Monate hinweg erstreckenden Bewerbungsprozessen verliere man den Anschluss. Außerdem müsse eine sympathische und angenehme Arbeitsatmosphäre geschaffen werden. Dies beginne schon beim Bewerbungsgespräch.
Studierende zeigen, wie es laufen muss Konkrete Maßnahmen des Employer Brandings für die öffentlichen Verwaltung haben die Studierenden der HWR Berlin erarbeitet. Sie stellten Konzepte für die DigitalAgentur Brandenburg sowie die Rechnungshöfe von Berlin und Hessen vor. Ihre Handlungsweisungen zur Nachwuchsgewinnung unterteilen sich in solche zur Außenwirkung und solche zu innerbetrieblichen Veränderungen. Die öffentliche Darstellung geht vor allem mit Umgestaltungen der Homepages einher. Freundliche Bilder von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf den
Startseiten schaffen einen positiven Ersteindruck. User Storys erzählen vom Arbeitsalltag und schaffen Nähe zum potenziellen Bewerber. Ein Newsletter hält den Bewerberpool über Stellenangebote informiert. Außerdem werden Bildkampagnen in andere städtische Homepages integriert sowie der Auftritt in Jobbörsen wie Xing und LinkedIn forciert. Die behördeneigenen Vorteile sollen somit zielgruppenspezifisch auf vielen Wegen kommuniziert und die Marke im Recruiting etabliert werden. Dabei nicht zu vergessen sei jedoch auch der Blick auf die gesamte Belegschaft. Ständiger Dialog und ein aktives Vorleben von Werten schaffe Verständnis für Veränderungen. Ständige Evaluation sowie neue Kommunikationsformate sollen eine positive Arbeitsatmosphäre schaffen. Der Austausch könne per verbessertem Intranet oder in moderierten Mittagsrunden stattfinden. Frei beschreibbare Flächen in den Büros böten Platz für Vorschläge. Diese Arbeitsbedingungen sollten ebenso kommuniziert werden. Einige Vorschläge der Studierenden wurden bereits von den Behörden angenommen und implementiert. Weitere sollen folgen.