Finanzen
Seite 8
Behörden Spiegel / August 2020
Lernen von unseren Nachbarn
Sondervermögen angezapft
Kommunalaufsicht im europäischen Vergleich
Länder gleichen Verluste bei Gewerbesteuer aus
(BS/Dr. René Geißler/Dr. Christian Person*) In Deutschland steht die Kommunalaufsicht oft im Fokus der Kritik. Manchen ist sie zu streng, anderen zu lasch. Unstrittig ist aber, dass es solcher Aufsichtsbehörden bedarf, um die Kommunen vor finanziellen Turbulenzen zu schützen und ihre Funktionsfähigkeit zu sichern. Dies ist ein Problem, vor dem alle Länder Europas stehen. Interessanterweise gab es jedoch bis dato keinerlei vergleichende Studien zu den kommunalen Aufsichtssystemen unserer Nachbarn. Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftung zusammen mit der Hertie School ein Forschungsprojekt umgesetzt, um zu analysieren, ob und wie Kommunalaufsicht zwischen Portugal und Estland, Finnland und Griechenland existiert.
(BS/Kilian Recht) Die Corona-Krise trifft die wichtigste Einnahmequelle von Kommunen besonders hart: die Gewerbesteuer. Der Bund beschloss im jüngst verabschiedeten Konjunkturpaket die finanzielle Entlastung der Kommunen durch einen Ausgleich der Gewerbesteuermindereinnahmen. Sechs Milliarden Euro werden dafür bereitgestellt. Die Länder müssen sich an der Ersatzleistung beteiligen und die Verteilung organisieren. Die ersten Pläne sind bereits bekannt.
Ein solcher Vergleich bietet für die deutschen Behörden die Möglichkeit, das eigene System kritisch zu hinterfragen und aus der Vielfalt europäischer Lösungen Reformoptionen abzuleiten. Für die Analyse haben wir die Kommunalaufsicht in ihre vier zentralen Bestandteile zerlegt: Haushaltsregeln, Verwaltungsstrukturen, Monitoringverfahren, Sanktionsmöglichkeiten. Erste Erkenntnis: In 19 der 20 untersuchten Länder existiert eine Form von Kommunalaufsicht. Schweden ist der einzige Ausreißer. Diese Systeme haben in vielen Ländern in der vergangenen Dekade eine Entwicklung durchlaufen, ausgelöst durch die Erfahrungen der Finanzkrise. Die Ansatzpunkte der Reform waren verschieden; Ziel, Richtung und Wirkungen jedoch gleich: Die Kommunalaufsicht wurde gestärkt. Die politische und praktische Relevanz ist gestiegen. Haushaltsregeln sind der Kern der Aufsicht. Sie haben das Ziel, die Überschuldung der Kommunen zu verhindern. In allen Ländern gilt der Grundsatz des Haushaltsausgleichs. Kredite sind nur zulässig für Investitionen. In der Mehrheit der Länder
unterliegt auch der Schuldenstand einer Grenze: meist in Relation zu den Einnahmen. Der Verwaltungsaufbau der Kommunalaufsicht hat Auswirkungen auf die Stärke der Behörden und die Interaktion mit den Kommunen. Mehrheitlich liegt die Zuständigkeit bei den Finanzministerien. Oft sind diese auch direkt selbst Aufsichtsbehörde. Lediglich in Tschechien und den Niederlanden sind kommunale Verbände als Aufsichtsbehörde involviert. In keinem Land ist die Aufsicht aber so dezentral aufgebaut wie in Deutschland. Wenige Differenzen bestehen im Monitoring der Haushalte. Meist basiert dieses darauf, dass die Kommunen Haushaltspläne oder Jahresabschlüsse vorlegen. Interessant ist die risikoorientierte Praxis in Dänemark und Tschechien, wo Haushalte nur vorgelegt werden, wenn die Kommunen Kredite aufnehmen wollen. Jede Aufsicht läuft leer, wenn die Behörden über keine wirksamen Sanktionen verfügen. Dementsprechend findet sich in allen Ländern ein Spektrum von Instrumenten, welches der Idee der “Eskalationspyramide” folgt und den Behörden flexibles Er-
messen einräumt. Das häufigste Instrument sind konditionierte Schuldenhilfen. Aber auch die Versagung von Krediten, Beanstandungen oder Zwangsverwaltung sind gebräuchlich. In allen vier Bestandteilen der Kommunalaufsicht tritt eine hohe Varianz auf. Wichtig ist jedoch das Bewusstsein dafür, dass diese vier Bestandteile interagieren. Wirksamkeit ist kein Automatismus. Sie lässt sich aber über die kluge Ausgestaltung der Systemkomponenten erhöhen. Dafür liefert diese Studie wertvolle Anregungen. Ein kritischer Faktor ist letztlich die Verwaltungskapazität der Behörden. Ohne ausreichende Kapazitäten findet Monitoring nicht statt und können Sanktionen nicht umgesetzt werden. Diese Erkenntnis spricht für eine zentrale bzw. regionale Bündelung der Aufsichtsbefugnisse. *Dr. René Geißler ist Senior Experte für kommunale Finanzen bei der Bertelsmann Stiftung. Dr. Christian Person ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich “Öffentliche Verwaltung, Public Policy” der TU Darmstadt.
MELDUNG
Ende Juli stellte das hessische Finanzministerium ein über 30 Maßnahmen beinhaltendes Corona-Hilfspaket vor. 1,2 Milliarden Euro schwer soll es sein. Den größten Posten macht dabei der Ausgleich der Steuerausfälle für hessische Kommunen mit rund 660 Millionen Euro aus. Darüber hinaus werden jeweils 150 Millionen Euro für Vertretungslehrkräfte sowie für die Weiterführung des Darlehensprogramms zur Unternehmenshilfe aufgebracht. Das Hilfspaket soll aus dem Sondervermögen “Hessens gute Zukunft sichern” finanziert werden. Im Gespräch mit kommunalen Spitzenverbänden habe man bereits ein Verteilungsmodell erarbeitet, so Hessens Finanzminister Michael Boddenberg. Dieses soll sowohl vergangenheitsbezogene Faktoren als auch die tatsächlichen Mindereinnahmen im laufenden Jahr einbeziehen.
Sachsen zahlt ab August Mitte Juli verabschiedete dann auch der Sächsische Landtag ein Gesetz zur Unterstützung der Kommunen. 750 Millionen Euro umfasst der Schutzschirm zur Bewältigung der Pandemieauswirkungen. Bereits Mitte August sollen 226 Millionen Euro zur Bewältigung der Steuerausfälle der Gemeinden zusammen mit 147 Millionen Euro für pandemiebedingte Mehrausgaben
Damit die Gelder aus den CoronaHilfspaketen wie das Bier aus diesem Zapfhahn fließen können, muss erst klar sein, wie viel in jedes Glas oder in jeden Finanztopf einer Kommune kommt. Foto: BS/Vigan Hajdari, pixabay.com
erausfälle in Höhe von 2,4 Milliarden Euro. 1,3 Milliarden Euro werden aus Landesmitteln beigesteuert. Im Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden konnte man sich ebenso wie in Hessen auf Verteilungskriterien festlegen. Maßgeblich ist hier der Vergleich der Gewerbesteuereinnahmen von Januar bis November 2020 mit den Einnahmen der Jahre 2017 bis 2019. Die Gelder werden vorrausichtlich im Dezember ausgezahlt. Um die Kommunen weiter zu entlasten, erstattet der Freistaat zudem nicht erhobene Elternbeiträge für Kinderbetreuung mit 200 Millionen Euro und verdoppelt die ÖPNV-Bundesmittel auf 760 Millionen Euro.
Verteilungsschlüssel ist essenziell
Bayern verdoppelt derweil das Konjunkturpaket des Bundes zur Unterstützung der Kommunen auf insgesamt vier Milliarden Euro. Gemeinden im Freistaat erhalten demnach einen pauschalen Ausgleich der Steu-
Laut dem Deutschen Städtetag entwickeln sich die Gewerbesteuereinnahmen von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Mancherorts seien Rückgänge von 70-80 Prozent zu verzeichnen, während andere Städte kaum Einbußen verspüren. Verena Göppert, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, meint: “Daher ist bei der Verteilung der Mittel darauf zu achten, dass die tatsächlichen Gewerbesteuerausfälle ausgeglichen werden. Durchschnittsbeträge helfen nicht, um die Kommunalhaushalte sicher zu planen.
lungsziele der Vereinten Nationen (SDGs) und die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 zu erreichen. Entwickelt wurden die Prinzipien von der Finanzinitiative des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Banken. Um die Thematik auch intern aufzuwerten und in ihrer Organisationsstruktur abzubilden, hat der VÖB zudem eine neue Kommission eingerichtet, die die Arbeit des Verbandes in Nachhaltigkeitsfragen koordinieren
wird. “Die öffentlichen Banken haben beim Thema Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle. Unsere Unterstützung der Prinzipien für verantwortungsbewusstes Bankgeschäft unterstreicht unsere Ambition, dieses Engagement noch auszuweiten und mit Best-Practice-Beispielen voranzugehen. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsinstituten wollen wir zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland und Europa beitragen”, so Iris Bethge-Krauß, Hauptgeschäftsführerin des VÖB.
der Landkreise und kreisfreien Städte ausgezahlt werden. Der zweite Auszahlungsschritt ist abhängig von der Steuerschätzung im Herbst.
Bayern verdoppelt Bundespaket
Subventionen konterkarieren Umweltschutz (BS/kr) Bei staatlichen Finanzhilfen lohnt sich ein zweiter Blick. Der jüngste Subventionsbericht der Bundesregierung listet 53 Finanzhilfen mit einem Volumen von insgesamt 8,4 Milliarden Euro mit Bezug zu den deutschen Klimaschutzzielen auf. Im Verhältnis bedeutet dies: 58 Prozent der Finanzhilfen würden für umweltfreundliche Maßnahmen bereitgestellt. Dagegen stehen Berechnungen von Umweltverbänden. Aktuellstes Beispiel ist eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Demnach wird allein im Energiesektor der Einsatz fossiler Energieträger mit 17 Milliarden Euro subven-
tioniert. Der Subventionsbericht des Bundes führt davon lediglich sieben Milliarden Euro auf. Der Studie zufolge wirkt fast die Hälfte der Subventionen für fossile Energieträger als Preis entlastung beim Strom- und Energieverbrauch. Mit fast 9,3 Milliarden Euro begünstigt der Staat den Endverbrauch, beispielsweise durch die Befreiung stromintensiver Unternehmen von der EEG-Umlage. Subventionen im Bereich der Strom- und Wärmeerzeugung haben einen Umfang von 4,1 Milliarden Euro. 2,3 Milliarden Euro kommen Preisnachlässen beim Energieverbrauch zugute. 1,7 Milliarden Euro fließen in die Gewinnung
fossiler Energieträger. In der Auflistung sind lediglich Zuschüsse für den Energiebereich enthalten. Fossile Subventionen in die Bereiche Landwirtschaft und Verkehr sind hier nicht berücksichtigt. Zur Veranschaulichung: Eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2017 beziffert die quantifizierbaren Subventionen für fossile Energieträger über alle Bereiche hinweg auf 46,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die Subvention fossiler Energieträger konterkariere die Bemühungen des Bundes für den Klimaschutz, so die Autoren der Studie. Auf grüne Produkte und Unternehmen wirke die Finanzierung investitions- und innovationshemmend.
MELDUNG
Mehr Nachhaltigkeit (BS/lkm) Die öffentlichen Banken stärken ihr Engagement für eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Der Bundesverband Öffentlicher Banken (VÖB) unterstützt dazu Prinzipien der Vereinten Nationen für ein verantwortungsbewusstes Bankgeschäft (“Endorser”). Diese zielen darauf ab, Nachhaltigkeit systematisch in allen Geschäftsbereichen – und über reine Klimafragen hinaus – zu integrieren. Sie dienen als Rahmen für die Kreditwirtschaft weltweit, um die Weltentwick-
Forum für Kämmerei und Kassenwesen, Beteiligungen, Personal, Organisation und Rechnungsprüfung
Kommunaler Finanzgipfel 26. – 27. Oktober 2020, Rheinhotel Dreesen
Referenten, u. a.: Lutz Lienenkämper, Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen
Dirk Käsbach, Erster Beigeordneter und Kämmerer, Stadt Königswinter
Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.finanz-gipfel.de
Dr. Isabell Nehmeyer-Srocke, Amtsleiterin der Kämmerei, Stadt Köln
Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. (Zweiter Senat)
Veranstalter
Unterstützung Weiterbildung Erfahrungsaustausch