Behörden Spiegel Juli 2018

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Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. VII / 34. Jg / 28. Woche

Berlin und Bonn / Juli 2018

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Der Thüringer Weg

NExT-Werkstatt Digitale Projekte

Viel Hilfe untereinander

Anja Siegesmund über die Energieversorgung der Zukunft.................Seite 24

Sven Stephen Egyedy zu neuen Technologien für das E-Government.........Seite 33

Dr. Meike Pahlmann über die “Schnell einsetzbare Expertengruppe Gesundheit”..................... Seite 55

Glasfaser: Neues Programm (BS/ab) Der Bund hat die Bundesförderung für den Breitbandausbau überarbeitet. Zum einen beinhaltet die Förderung ein Upgrade – jene Kommunen, die vorher auf Kupfertechnologie gesetzt haben, können bis Ende 2018 ihr Projekt auf Glasfaser hochstufen. Zum anderen werden die Anträge nicht mehr gesammelt, sondern fortlaufend bearbeitet. Die ursprüng­lich abschließende Bewertung des Antrages wurde abgeschafft, ebenso wie ein detaillierter Finanzierungsplan zur Antragstellung. Für diese selbst reicht das Ergebnis eines Markterkundungsverfahrens sowie einer Schätzung des Förderbedarfs aus, um die Förderfähigkeit nachzuweisen. Der Förderhöchstbetrag des Bundes wird auf 30 Mio. Euro erhöht, genauso wie eine Verteuerung des Projektes zukünftig berücksichtigt wird. Konkreteres kann der Webseite des Bundesverkehrsministeriums entnommen werden.

Ausbildung: Allgemeine Verwaltung (BS/mfe) In Brandenburg wird es ab September nächsten Jahres wieder eine Ausbildung für den mittleren allgemeinen Verwaltungsdienst geben. Eine solche gab es in der Mark seit 1994 nicht mehr. Die Ausbildung wird zweieinhalb Jahre dauern und jährlich mindestens 1.500 Unterrichtsstunden umfassen. 2019 sollen in zwei Klassen 42 Anwärter als Beamte auf Widerruf eingestellt werden, 2020 dann nochmals 43. Auch Beschäftigte der Kommunalverwaltungen können die Ausbildung durchlaufen. Innenstaatssekretärin Katrin Lange sagte dazu: “Wir wollen die Verwaltung verjüngen und für die Zukunft personell gut aufstellen.” Deshalb biete man jetzt eine weitere Laufbahnausbildung an.

Noch ein langer Weg (BS/mfe) Je nach Bundesland sind die polizeilichen Befugnisse in Deutschland unterschiedlich ausgestaltet. So ist mancherorts die Schleierfahndung erlaubt, etwa in Bayern, anderswo nicht. Gleiches gilt für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Fristen für Ingewahrsamnahmen. Solche sind teilweise bis zu drei Monate möglich, andernorts nur bis zum auf die Festnahme folgenden Tag statthaft. Angesichts dieser Disparität kann es nicht verwundern, dass ein Musterpolizeigesetz zwar vielfach gefordert und derzeit auch in der Innenministerkonferenz (IMK) diskutiert wird, aber noch nicht beschlossen ist. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, meint nicht gerade optimistisch: “Das Musterpolizeigesetz ist momentan so weit weg wie noch nie.”

Bremsklotz oder Basis? Fortentwicklung des Dienstrechts ist dringend geboten (BS/Jörn Fieseler) Das Wesen des Beamtentums ist durch die althergebrachten Grundsätze klar definiert. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner jüngsten Entscheidung (siehe Seite 3) wieder deutlich gemacht und den Verfassungsrang von Artikel 33 GG betont. Aber sind Rechtsnormen, die rund 100 Jahre und vielleicht noch älter sind, überhaupt noch zeitgemäß? Oder bedarf es umfassender Reformen? Fakt ist, die althergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums beruhen auf Traditionalität und Substanzialität. Ersteres meint vor allem das Bestehen einer Regelung schon in der Weimarer Reichsverfassung. Gemäß dem Motto: Was damals in Bezug auf das Beamtenwesen gültig war, hat auch heute noch Bestand. Substanz hat eine Norm vor allem dann, wenn sie mit anderen Strukturprinzipien des Berufsbeamtentums eng verbunden ist, wie dem Lebenszeitprinzip, dem Alimentationsprinzip oder der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Auf den ersten Blick also wenig Platz für Veränderungen. Die Ausprägungen dieser, von manchen als starr bezeichneten, Verfassungsnorm werden vor allem in der Bestenauslese bei Einstellungen und Beförderungen deutlich. Wenn Beurteilungen bis auf die sechste Nachkommastelle ausdifferenziert werden müssen, um Unterschiede in der Leistungsbewertung zu verdeutlichen. Fakt ist aber auch: Die hohe Rechts- und Regelgebundenheit des Öffentlichen Dienstes, das damit verbundene Vertrauen in die staatliche Funktionsfähigkeit, das Ansehen in der Bevölkerung und der Wunsch nach einem starken Staat gehen auch auf das Berufsbeamtentum zurück. Es ist ein ausdifferenziertes System mit aufeinander abge-

Wirken die althergebrachten Grundsätze im Beamtenrecht eher hemmend oder bilden sie eine verlässliche Basis? Foto: BS/@ RRF, stock.adobe.com

stimmten Rechten und Pflichten beider Seiten. Dieses ist ein unveränderlicher Maßstab, wie das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Streikverbot betonte. Der hindert aber nicht, das darauf fußende Recht des Öffentlichen Dienstes fortzuentwickeln. Die Verfassung sieht es sogar selber vor, in Art. 33 V GG. Sie wirkt

gerade nicht als Bremse. Davon gilt es, Gebrauch zu machen! Zum Beispiel mit Blick auf die Attraktivität des Dienstherren bei der Personalgewinnung, im Laufbahnwesen. Der BachelorAbschluss qualifiziert für den gehobenen Dienst, der Master den Absolventen für den höheren Dienst. Dieses Prinzip ist

in der letzten Legislatur schon aufgebrochen worden, indem Bachelor-Absolventen mit weiteren Zusatzqualifikationen, etwa einer fünfjährigen Berufserfahrung oder einer Promotion, ebenfalls der Weg in die technischen Laufbahnen des Öffentlichen Dienstes offensteht. Dies soll laut Koalitionsvertrag

Kommentar

Das Spiel ohne Grenzen (BS) Ob in der Biologie (Zellmembran), den Umweltwissenschaften (Grenzwerte), der Ethnologie (Liminalität), der Soziologie (System ist eine Struktur mit Grenze), der Ökonomie (Währung; Angebot und Nachfrage) oder eben auch in der Staatslehre sind Grenzen existenziell, sie sind Voraussetzung. Auf dem Staatsgebiet lebt das Staatsvolk, die Grenze begrenzt zugleich die Reichweite der Staatsgewalt. Wir brauchen also Grenzen, sie sind per se sinn- und identitätsstiftend, schützend und sichernd. Grenzen können allerdings sehr unterschiedlich gestaltet werden, sie können nur nach außen Gefahren abhalten und von innen nach außen durchlässig sein, sie können auch einsperren, weder in die eine noch die andere Richtung durchlässig sein (DDR, Nordkorea). Doch eine Entgrenzung kann nicht ersatzlos sein. “Grenzenlos” beschreibt auch einen gefährlichen, unkontrollierten, gar chaotischen Zustand. Verschoben oder ersetzt werden kann eine Grenze durch eine gläserne (unsichtbare) oder eine neugezogene. Beides wäre in Europa nach dem Wegfall der “Binnengrenzen” im SchengenRaum sinnvoll gewesen, beides ist aber nicht geschehen. Weder wurden grenznahe, regelmäßige Stichproben gemacht, geschweige denn eine neue Außengrenze gezogen. Damit wurde der Wegfall jeglicher Grenzen in Europa hingenommen. Die Folgen der “Entgrenzung” sind bekannt,

das angestrebte neue Gebilde (EU- bzw. Schengen-Raum) war ohne Grenzen nicht existenzfähig, wurde in einen destabilen Zustand “hineingeboren”. Die “Grenzbelastung” Europas im Jahre 2015 zeigte die Grenzen auf, dass es nämlich weder außen noch innen welche gab. Grenzen – so die Erkenntnis – sind konstitutiv für eine Demokratie, egal ob es sich um eine kommunale, regionale, nationaloder multistaatliche Organisationsform handelt. Das demokratische Subjekt braucht eine Grenze, um nicht zum Objekt zu werden. Handlungsfähigkeit braucht einen “Rand”, um zu verstehen, was nach innen und

nach außen zu regeln ist. Neben der verfassungsrechtlichen Voraus­setzung verfügt der Staat über alle notwendigen Instrumente: Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei), Zoll und neu Frontex als europäische Grenzpolizei. Grenzen als Definition des Staates stehen im Grundgesetz. Daraus leiten sich auch die Geschäftsbereiche der Bundesregierung ab: Innen, Außen oder Justiz... Doch ohne Grenzen, die den Handlungsspielraum dieser Ressorts definieren könnten, ist diese Einteilung obsolet. Die Entgrenzung in der digitalen Welt legt es offen. Beschlussfähigkeit ja, Durchsetzungsfähigkeit nein. R. Uwe Proll

Kurskorrektur

in dieser Legislaturperiode für die übrigen Laufbahnen nachgezeichnet werden. Warum aber soll ein mit Prädikat ausgezeichneter Bachelor-Absolvent erst eine Zusatzqualifikation nachweisen und ein Master-Absolvent, der seinen Abschluss mit Ach und Krach geschafft hat, nicht? Zudem müssen für Beamte und Angestellte gleichermaßen Lösungen für eine Fachkarriere ohne Führungsverantwortung entwickelt werden. Warum soll ein Beamter, der einen Meistertitel und mehrjährige Berufserfahrung vorweisen kann, mit diesen Qualifikationen nicht in den höheren Dienst aufsteigen können? Es braucht nicht immer das Studium als formale Qualifikation. Und was ist mit IT-Fachkräften, die über enormes praktisches Wissen verfügen, aber nie einen Hochschulabschluss erworben haben? Und bei der Bestenauslese? Hier lohnt ein Blick in die Praxis des öffentlichen Einkaufs, wo stets das wirtschaftlichste Angebot auszuwählen ist. Das bedeutet nicht, den niedrigsten Preis zu bezuschlagen, sondern das beste Preis-Leistungs-Verhältnis auszuwählen. Die Regelung ist die gleiche, die Deutung eine andere. Das lässt sich auch auf die Beförderung übertragen, indem bspw. neue Kriterien für die Bestenauslese herangezogen werden.


Inhalt

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Behörden Spiegel / Juli 2018

In Rathäusern müssen zahlreiche unterschiedliche Aufgaben wahrgenommen und Politikfelder ausgefüllt werden. Dafür braucht es viel Spezialwissen und genügend Mitarbeiter mit entsprechenden Fachkenntnissen. Nur so können Bürger und Wirtschaft zufriedengestellt werden. Foto: BS/© kamasigns, stock.adobe.com

Rund ums Rathaus Mehr Verkehrsunfälle als je zuvor

Der Fahrverbot-Rock ‘n’ Roll beginnt!

Stadtwerke sehen Cyber-Risiken

Aber weniger Verletzte und Tote auf Deutschlands Straßen..................................................Seite 7

Wer steht in der Pflicht? ............................................Seite 25

Digitalisierung und Informationssicherheit fordern den KRITIS-Sektor Energie heraus ............... Seite 41

Risikofaktor Mensch “Aber bitte passgenau!”

Vernetzte Systeme können Straßenverkehr deutlich sicherer machen...........................................Seite 27

Wenn der Hahn zugedreht wird

Mehr bauen löst das Wohnungsproblem nicht ......... Seite 15

Neues Tool für die Bürgerkommunikation

Veröffentlicht

Es braucht Kooperation

Nachbarschaftsplattform nebenan.de öffnet sich ...... Seite 19

Landkreistag-Studie zur Digitalisierung .....................Seite 36

Beim Zivilschutz müssen alle Behörden mithelfen....Seite 47

Gasmangellage würde Millionen Deutsche treffen ....Seite 43

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innen Spiegel

Up to date bleiben Fort- und Weiterbildung wird immer wichtiger (BS/har/fl) Angesichts vielfältiger und tiefgreifender Veränderungen im Arbeitsumfeld des Öffentlichen Dienstes nimmt der Stellenwert der Fortund Weiterbildung der Mitarbeiter beständig zu. Der Behörden Spiegel und die Cyber Akademie bieten hierzu ein umfangreiches Portfolio. Am 5. und 6. September findet “Zukunft Personalentwicklung” in Bonn statt. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse werden neue Wege zu einem strategischen Personalmanagement aufgezeigt. Die Tagung “Zukunft Dienstrecht”, die am 21. und 22. November am gleichen Ort stattfindet, betrachtet das Thema Personal aus einem anderen Blickwinkel. Hier stehen die arbeits-, tarif- und beamtenrechtlichen Entwicklungen im Zentrum. So werden die wichtigsten Entscheidungen rund um die Bereiche Tarifvertragsrecht, TVöD/ TV-L, Datenschutz-Grundverordnung, Konkurrentenklage, Whistleblowing und Compliance erörtert. Das Thema Compliance greift auch die zweitägige Veranstaltung “Risikomanagement und Korruptionsprävention in öffentlichen Institutionen” auf, die am 17. und 18. Oktober wiederum in Bonn stattfindet.

Abwehrmaßnahmen und Formen der Prävention informieren. Die Konferenz findet in diesem Jahr unter dem Titel “European Security and Defence – remaining transatlantic, acting more European” statt. Vom 11. bis 15. November organisiert die Cyber Akademie im Rahmen der Homeland Security and Cyber Conference eine Delegationsreise nach Israel, um den fachlichen Austausch zwischen deutschen Security-Verantwortlichen aus Industrie, von Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) und Sicherheitsbehörden mit ihren israelischen Partnern zu intensivieren. Weitere Informationen zu diesen und weiteren Veranstaltungen unter www.fuehrungskraefte-forum. de beziehungsweise unter www. cyber-akademie.de und https:// israelhlscyber.com/

Informationssicherheit mit der Cyber Akademie Die Cyber-Sicherheit durch kontinuierliche Weiterbildung zu stärken, ist das Ziel der Cyber Akademie. Am 27. und 28. November präsentiert die Cyber Akademie auf der Berliner Sicherheitskonferenz (BSC) ihre Leistungen auch im Bereich Cyber Defence. Die Besucher können sich bei Live-Simulationen praxisnah über Cyber-Angriffswege,

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Tino Sieland Foto 2: BS/AA Foto 3: BS/Feldmann Beilagenhinweis Der Gesamtauflage des Behörden Spiegel im Juli liegen zwei Beilagen der Pro Seminaris GmbH zu den “Praxisseminaren im Bereich Vergaberecht in den Monaten September und Oktober 2018” sowie zur Tagung “Public Risk & Compliance” bei. Außerdem liegt der Zeitung ein Programm und Anmeldeformular zur Public-IT-Security 2018 als Beilage bei.

Herausgeber und Chefredakteur R. Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Adrian Bednarski, Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), R. Uwe Proll (Politik, Parlament), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/ 726262212, Fax 030/72626-2210 Layout Beate Dach, Cornelia Liesegang, Susan Wedemeyer Verlag Bonn Anzeigen / Redaktion / Vertrieb, Tel. 0228/97097-0, Fax 0228/ 97097-75 Verlag Berlin Redaktion / Vertrieb, 10317 Berlin, Kaskelstr. 41, Tel. 030/557412-0, Fax 030/557412-57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 28/2017, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE06370501980007503063, BIC: COLSDE33; Berliner Bank AG, IBAN: DE03100708480482263100 BIC: DEUTDEDB110; Postbank, IBAN: DE24370100500022690509 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag / Redaktion / Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 970 Telefax: 0228/970 97-75 Altpapieranteil 100% Für Bezugsänderungen:


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Juli 2018

Abgelehnt

KNAPP Wider den Personalmangel

Platzverweis für streikwillige Lehrer

(BS/Jörn Fieseler) Für die einen ist es eine Bestätigung des Berufsbeamtentums in seiner jetzigen Ausprägung gewesen, für die anderen ein schwarzer Tag für die Demokratie: Gemeint (BS/jf) Die Gewinnung von ärzt­ ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Streikverbot für Beamte. Besonders beachtlich: die Argumentation des Gerichts zur Einordnung der Europäischen lichem Fachpersonal für den Menschenrechtskonvention in das Rechtsgefüge. Öffentlichen Gesundheitsdienst Die Karlsruher Richterinnen und Richter des Zweiten Senats unter Vorsitz von Gerichtsprä­ sident Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Voßkuhle sehen das Streikverbot als einen eigenständigen her­ gebrachten Grundsatz des Be­ rufsbeamtentums im Sinne von Artikel 33 GG an. Zwar habe es in der Weimarer Reichsverfassung keinerlei Aussage für oder gegen ein Streikrecht gegeben, doch ließe sich der zeitgenössischen Rechtsprechung entnehmen, “dass ein Streikverbot für Beamte als ganz überwiegend anerkannt gesehen wurde”. Zudem hätte vom 1. bis 9. Februar 1922 eine Notverordnung von Reichsprä­ sident Friedrich Ebert existiert, die den Beamten der Reichs­ bahn die Arbeitsniederlegung verbot. Darüber hinaus habe das Streikverbot enge Beziehungen zur Treuepflicht des Beamten einerseits und zur Alimentati­ onspflicht andererseits, weshalb es sich um “ein eigenständiges, systemnotwendiges und damit fundamentales Strukturprinzip des Berufsbeamtentums” handle (Rdnr. 152). Hinzu komme, dass im Ent­ wurf des Bundesbeamtengesetzes (BBG) von 1953 ein Streikverbot ausdrücklich normiert war, der Ausschuss für Beamtenrecht im Bundestag dieses als so klar ge­ geben und fest verankert ansah, dass er die Aufnahme einer ent­ sprechenden Vorschrift als nicht notwendig ansah.

Auslegungshilfen mit begrenztem Einfluss Daran änderten auch die Eu­ ropäische Menschenrechtskon­ vention (EMRK) und die Ent­ scheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrech­ te (EGMR) nichts. Beide seien bei der Auslegung des Grundgesetzes heranzuziehen. Zudem sei das

Kein Streikrecht: Lehrer dürfen in Deutschland nicht an der höchsten Maßnahme des Arbeitskampfes teilnehmen: Das Gericht untersagte die Teilnahme und zeigte den klagenden Lehrkräften die rote Karte. Foto: BS/©codiarts, stock.adobe.com

Grundgesetz völkerrechtsfreund­ lich auszulegen. In Deutschland stehe die EMRK innerstattlich im Range eines Bundesgesetzes und damit unter dem Grund­ gesetz. Auch müsse bei der He­ ranziehung der EMRK und der Entscheidungen des EGMR als Auslegungshilfe keine schema­ tische Parallelisierung oder eine vollständige Harmonisierung der Aussagen der beiden Rechtstexte erfolgen. Viel eher gehe es um ein Aufnehmen der Wertungen. Allerdings seien dem Grenzen gesetzt, wenn es zu einer von der Konvention selbst nicht gewollten Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führe. Anders ausgedrückt: Die Verfassung hat das letzte Wort. Zudem kommen die Richter zu dem Schluss, dass keine Kolli­ sion zwischen deutschem Recht und europäischer Menschen­

rechtskonvention festzustellen sei. Anders als in den verschie­ denen vom EGMR entschiedenen Verfahren gegen die Türkei gebe es in Deutschland Alternativen für einen Streik der Beamten, da den Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften ein Beteiligungsrecht bei der Vorbe­ reitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhält­ nisse eingeräumt sei.

Besonderheiten des deutschen Systems “Maßgeblich ist vielmehr der Umstand, dass im System des deutschen Beamtenrechts mit dem Beamtenstatus aufeinander abgestimmte Rechte und Pflich­ ten einhergehen und Ausweitun­ gen oder Beschränkungen auf der einen Seite in der Regel auf der anderen Seite zeitigen.” Bei diesem System handle es sich um eine nationale Besonderheit der

Bundesrepublik Deutschland. Dementsprechend müssten Lehr­ kräfte an öffentlichen Schulen in Deutschland dem Bereich der Staatsverwaltung im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK uge­ ordnet werden. Schließlich übten Lehrer so bedeutsame Aufgaben aus, dass die Entscheidung über eine Verbeamtung dem Staat vorbehalten werden müsse.

Enttäuschte GEW Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat zwar damit gerechnet, dass das Streikverbot angesichts der bisherigen Rechtsprechung der Verfassungsrichter bestätigt wird, “allerdings konnte man die apodiktische Form, mit der in der Begründung ein absolutes Streikverbot für alle beamteten Lehrkräfte verteidigt wird, so nicht erwarten”, sagt Hartwig Schröder, stellvertretender Leiter

der Bundesrechtsschutzstelle der GEW. Er sieht in dem Urteil einen Kraftakt des Gerichts, mit dem die Diskussion um ein Streik­ recht für Beamte beendet werden soll. Wobei der Verweis auf die Traditionslinie des Streikverbots mit Blick auf die neun Tage gel­ tende Verordnung Eberts “mehr als dünn” sei. Auch die Argumentation zu Art. 11 EMRK sei dem Gericht “gründ­ lich misslungen”. Die Kategori­ sierung von Lehrkräften als Be­ schäftigte der Staatsverwaltung sei ein Kunstgriff. “Die Mehrheit der verfassungsrechtlichen Lite­ ratur und die Rechtsprechung anderer Gerichte haben dies bis­ lang dezidiert anders gesehen.” Die Aufgaben von Lehrkräften seien nicht hoheitlich, weshalb sie auch nicht zur Staatsverwal­ tung zu zählen seien.

Nächster Schritt EGMR? Auch die Argumentation der Richter, wonach das Streikverbot für beamtete Lehrer dem Schutz des Rechts auf Bildung diene, sieht er kritisch. “Wäre das rich­ tig, so wäre das (Grund), Recht auf Bildung überall dort weni­ ger wert und weniger geschützt, wo Lehrkräfte im Angestellten­ verhältnis beschäftigt werden.” Daher überzeugt ihn diese Ar­ gumentation nicht. Außerdem wäre dann die Beschäftigung angestellter Lehrer, die streiken dürfen, ein permanenter Verfas­ sungsverstoß. Schröder ist sich sicher, dass bei der Frage nach Koalitionsrechten von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst das Völkerrecht vorrangig existiere. Allerding entscheide der EGMR nicht von Amts wegen, er müsse angerufen werden. Ob die GEW diesen Schritt geht, bleibt noch abzuwarten. Die interne Prüfung ist noch nicht abge­ schlossen.

(ÖGD) in Berlin soll verbessert werden. Sowohl die Senatsver­ waltung für Finanzen als auch für Gesundheit, Pflege und Gleich­ stellung haben eine Vorlage er­ arbeitet, wonach in begründeten Einzelfällen Fachärzten und -ärz­ tinnen ein Sonderarbeitsvertrag mit einem außertariflichen Ent­ gelt angeboten werden kann. Die Höhe des Entgeltes richtet sich nach den Sonderregelungen des § 41 TV-L für Ärzte an Uni­ versitätskliniken mit einer Vollbe­ schäftigung von 42 Stunden. Da­ mit gehe der Senat an die Grenze dessen, was mit Einzelfallrege­ lungen möglich sei, sagte Finanz­ senator Matthias Kollatz-Ahnen. Und Gesundheitssenatorin Dilek Kolat ergänzt: “Im Oktober 2017 haben wir begonnen, den ÖGD um rund 400 Stellen, darunter fast 100 Ärzte, auszubauen. Mit der neuen Regelung können wir die offenen Stellen auch besser besetzen.” Die Regelung ist bis zum 31. Oktober 2020 befristet, allerdings muss der Hauptperso­ nalrat noch zustimmen.

Rückzahlungen möglich (BS/jf) In Tarifverträgen kann der Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung vom Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Stichtag außerhalb des Bezugs­ zeitraumes im Folgejahr abhängig gemacht werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (Ur­ teil vom 27. Juni 2018 – 10AZR 290/17). Im vorliegenden Fall musste ein Busfahrer eine zum 1. Dezember erhaltene Sonder­ zuwendung (Weihnachtsgeld) zurückzahlen, weil er im Folge­ jahr noch vor dem 31. März den Arbeitgeber verließ. Eine entspre­ chende Klausel im Tarifvertrag sei aus Sicht der Richter nicht zu beanstanden. Es genüge, wenn es dafür einen sachlich vertretbaren Grund gebe.

Zukunft Personalentwicklung Schlüsselfaktor eines erfolgreichen Öffentlichen Dienstes

5. – 6. September 2018, Maritim Hotel, Bonn

Themen und Referenten, u. a.: Die strategische Personalentwicklung spielt im Öffentlichen Dienst eine immer wichtigere Rolle. Wie kann die Personalseite diese Entwicklung nicht nur begleiten, sondern aktiv mitgestalten? Die Antwort: durch den Übergang von einer verwaltenden Personalwirtschaft zu einem strategischen und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigenden Personalmanagement. Der Behörden Spiegel widmet dieser Entwicklung die Tagung „Zukunft Personalentwicklung“, die aktuelle Trends und Herausforderungen vorstellt und zu Diskussionen mit namhaften Referentinnen und Referenten aus dem Personalbereich einlädt.

► Aktuelle Trends der Personalentwicklung – Lehren für den Öffentlichen Dienst? Dr. Walter Jochmann, Geschäftsführer Kienbaum Consultants ► Unternehmenskultur erkennen, entwickeln, verändern: Schlüsselfaktor für Personalentwicklung Prof. Sonja Anja Sackmann, Ph.D., Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität der Bundeswehr ► Der „Kampf“ um die besten Talente – interne und externe Kommunikation zur Bewerber- und Nachwuchsgewinnung Prof. Dr. Stefan Jarolimek, Deutsche Hochschule der Polizei ► Coaching im Öffentlichen Dienst? Erfahrungen aus der Berufspraxis Prof. Dr. Peter Weber, Fachhochschule der Diakonie ► Personalmanagement in der Praxis: Personalplanung und -gewinnung, Personaleinsatz und -betreuung, Personalentwicklung sowie Nachfolgeregelung und Wissenstransfer Dolores Burkert, Amtsleiterin Stadt Köln

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de ► Suchwort „Zukunft Personalentwicklung“

Eine Veranstaltungsreihe des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Neues Logo, neue Vorsitzende

Nicht ausruhen

Diskussion um 40-Stunden-Woche beim Bundesvertretertag

Demografischen Wandel als Chance nutzen / Laufbahnrecht modernisieren

(BS/jf) Mit 77,5 Prozent wurde Rita Berning als neue Vorsitzende des VBOB Gewerkschaft Bundesbeschäftigte ins Amt gewählt. Sie trat damit die Nachfolge des altersbedingt ausgeschiedenen Vorsitzenden HartwigSchmitt-Königsberg an und machte gleich zu Beginn deutlich, wo die ersten Schwerpunkte ihrer Amtszeit liegen. Die 48-jährige Diplom-Verwaltungswirtin, die zuletzt Vorsitzende des Hauptpersonalrates im Bundesinnenministerium (BMI) war, setzt die Linie des ehemaligen Verbandes fort. Sachgrundlose Befristungen gehörten abgeschafft. “Unser Mantra lautet: Dauerstellen für Daueraufgaben.” Die befristete Einstellungspraxis gefährde die Leistungsfähigkeit des Staates. Steuergelder seien in den Personalkosten des Öffentlichen Dienstes sehr gut angelegt.

Ausdruck von Wertschätzung Ein anderes Feld ist die Digitalisierung, die sich als Thema auch im Motto des Bundesvertretertages widerspiegelte: “Mit Sicherheit. In Zukunft. Digital.” Hier müsse der Arbeitgeber die Mitarbeiter besser vorbereiten und mehr Hilfestellungen geben. Dies sei auch ein Ausdruck von Wertschätzung. Vor allen Dingen, wenn sich der Personalkörper, wie Studien berechnen, tatsächlich um 40 Prozent verringern sollte. Doch dieser Zahl widersprach Stefan Mayer, Parlamentarischer Staatssekretär im BMI, der die Glückwünsche seines Ministers Horst Seehofer überbrachte. “Wir haben in Deutschland einen leistungsstarken, höchstqualifizierten Öffentlichen Dienst, der ist wenig automatisier- und ersetzbar.”

Unterstützung für BAMF Zugleich nutzte er die Gelegenheit, sich zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu äußern: “Das BAMF war in den letzten Jahren Prügelknabe der Nation, aber ich lasse nicht zu, dass über einer ganzen Behörde der Stab gebrochen wird.” Und das nur, weil es von einigen wenigen Verfehlungen gegeben habe. Deshalb sei es falsch, die übrigen 7.500 Mitarbeiter unter Generalverdacht zu stellen. Eine Aussage, die der ebenfalls gratulierende DBB Bundesvorsitzende, Ulrich Silberbach, teilte. Und ein weiterer Punkt brennt der gebürtigen Emsländerin auf der Seele: Die 40-StundenWoche für Bundesbeamte. Im

(BS/Jörn Fieseler) In zehn Jahren scheiden 1,2 Mio. Menschen aus dem Öffentlichen Dienst aus, in 20 Jahren sogar 2,4 Mio. – mehr als die Hälfte der derzeit 4,7 Mio. Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst. Gut beraten ist die Behörde, die genau weiß, in welchen Bereichen oder Berufszweigen und an welchen Standorten Mitarbeiter in den nächsten Jahren ausscheiden. Die Analyse ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Frage, ob sich genügend Nachwuchskräfte für die öffentliche Hand als Arbeitgeber entscheiden. Bundeshaushalt sei Sind die Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen attraktive Arbeitgeber?

eine solche Reduzierung nicht enthalten. Gänzlich anders dagegen Konstantin Kuhle von der FDP: Die jetzige Debatte sei falsch. Die Sozialversicherungen würden jährlich mit 80 bis 90 Mrd. Euro aus dem Haushalt finanziert, außerdem habe es noch keine Schuldentilgung gegeben. Wenn die Arbeitszeit reduziert Sieht die Aufgabe als neue VBOB-Bundesvorsitzende werden solle, müsals “ehrenvolle Aufgabe” an: Rita Berning, hier bei se jeder Befürworter ihrer Antrittsrede. Foto: BS/Friedhelm Windmüller sagen, wo dafür im Bundeshaushalt an anderer Stelle gespart werden solle, oder es müssten neue Schulden gemacht werden. Für die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) ist die Diskussion hingegen Oktober 2004 sei die Arbeits- sachfremd. “Verträge sind einzuzeit von 38,5 auf 40 Stunden halten, egal ob mündlich oder angehoben worden, im März schriftlich.” 2006 auf 41 Stunden. Mit der Begründung, dass damit ein Abschied vom Adler Beitrag zur Haushaltskonsoli“Wir haben das Logo an die dierung geleistet werde. “Vom Mitgliedsstrukturen angepasst”, Bundesinnenminister erwarten erläutert Berning. Rund ein Dritwir Gesprächsbereitschaft, damit tel der über 10.000 Mitglieder im mit der Rückführung der Arbeits- VBOB sind Tarifbeschäftigte. Zuzeit wieder Vertrauen aufgebaut dem stellt der Verband zwei Mitglieder in der Bundestarifkomwerden kann”, so Berning. Unterstützung erhielt sie von mission und war in den letzten der SPD-Bundestagsageordneten Jahren personell ein Bestandteil Susanne Mittag: Sie könne nach- der Verhandlungskommission vollziehen, dass der Beamte sich in Potsdam. darauf verlasse, dass der DienstDer Prozess ging nicht von heuherr in dieser Frage wieder zu- te auf morgen. Über einen Zeitrückrudere. Für sie käme daher raum von zwei Jahren wurde in eine etappenweise Angleichung in mehreren Schritten der Abschied Betracht. Noch deutlicher wurde vom alten Logo vorbereitet. Drei Beate Müller-Gemmeke von Bünd- Designer waren an der Erstellung nis 90/Die Grünen im Deutschen beteiligt, in den Fachgruppen des Bundestag: “Für mich ist klar, die VBOB wurden zu deren EntwürArbeitszeit muss runter. Denn die fen Voten abgegeben. Neben Berning, die hauptamtArbeitszeit ist ein Bestandteil des Gesundheitsschutzes.” lich die Gewerkschaft führt, übernehmen Ulrike Clausmeyer, Diskussion um Arbeitszeit Frank Gehlen und Sascha Tietze Anders Petra Nicolaisen, MdB die Aufgaben der stellvertretender CDU/CSU-Fraktion. Sie den Bundesvorsitzenden. Zum habe zwar Verständnis für die Bundesvorstand gehören zudem Forderung, sehe derzeit aber Schatzmeister Dieter Rörig und keine Möglichkeit dafür. Im Justiziar Horst-Peter Heinrichs.

Zuvörderst ist die Frage zu beantworten, wie viele Nachwuchskräfte zu welchem Zeitpunkt gebraucht werden. Dies gelinge nur mit einer umfassenden Altersstrukturanalyse, erläutert Jutta Thomas, Referentin für strategisches Personalmanagement und Gesundheitsmanagerin im Hessischen Ministerium für Finanzen. Im Rahmen eines Demografie-Lotsen-Systems ist diese Analyse über alle 35 Standorte der Finanzverwaltung und für alle Arbeitsbereiche durchgeführt worden, um für mehrere Jahre zu verdeutlichen, welche Mitarbeiter zu welchem Zeitpunkt ausscheiden, um frühzeitig durch die Bereitstellung von Auszubildendenplätzen reagieren zu können. Zwischen Fulda und Rhein scheiden in den kommenden zehn Jahren 3.000 Beschäftigte aus der Finanzverwaltung aus. In einigen Dienststellen bis zu 55 Prozent der Belegschaft.

Vorsorgende Stellenpolitik Zentraler Ansatz ist, die Stellenplanung von den jährlichen Haushaltsdebatten zu entkoppeln. Mit Erfolg. So sind im aktuellen hessischen Doppelhaushalt 300 Stellen für Auszubildende vorgesehen. Damit können auch spezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. “Ein Betriebsprüfer muss nach seiner Ausbildung noch 36 Monate eingearbeitet werden”, so Thomas. Ziel dieses Prozesses ist es, die Azubis so zu schulen, dass eine Anschlussbeschäftigung möglich wird, wenn der ältere Kollege ausscheidet. Positiver Nebeneffekt: Durch die Altersanalyse könnten Stellenausschreibungen gebündelt werden, wodurch schnellere Besetzungsverfahren möglich seien. Das Beispiel zeigt: Wenn eine demografievorsorgende Stellenplanung erfolgen soll, bedarf es dazu ernsthafter Anstrengungen. Der Bund ist mit gutem Beispiel vorangegangen, hat in der letzten Legislatur die ersten 500 Stellen im Bundeshaushalt geschaffen. Aber: Die Wirkung reicht nicht

Zertifikatslehrgang

Antikorruptionsbeauftragte/r in der öffentlichen Verwaltung 17.–21. September 2018, Berlin

Aus der Praxis für die Praxis

Bildnachweis: ©Bits and Splits, Fotolia.com

Die öffentliche Hand steht vor der verantwortungsvollen Aufgabe, innerhalb ihres Kompetenzbereiches ein Korruptionspräventionssystem zu schaffen. Eine wesentliche Maßnahme in diesem Sinne ist die Berufung einer/s Antikorruptionsbeauftragten. Er/sie ist Ansprechpartner/-in für alle Mitarbeiter/-innen hinsichtlich korruptionsrelevanter Verdachtsmomente und trägt wesentlich dazu bei, ein funktionsfähiges Präventionssystem in einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Einrichtung zu implementieren. Alle wesentlichen Aufgabengebiete der/des Antikorruptionsbeauftragten werden in diesem Zertifikatslehrgang vorgestellt und praxisnah vermittelt.

Kompetenz für Fach- und Führungskräfte

Ihre Dozenten: Ingo Sorgatz Dipl.-Verwaltungswirt (FH), ist als Erster Kriminalhauptkommissar in einer obersten Sicherheitsbehörde des Bundes seit mehreren Jahren für die Interne Revision und Korruptionsprävention zuständig.

Detaillierte Information und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de

Dr. Stefanie Lejeune Rechtsanwältin, Staatssekretärin a. D., ist Ombudsfrau zur Korruptionsprävention und ist in der Kanzlei HÜLSEN MICHAEL HAUSCHKE SEEWALD beschäftigt.

Mit fachlicher Unterstützung von

Trotz aller Attraktivitätsmerkmale, die der Öffentliche Dienst aufweist, dürfen sich die behördlichen Arbeitgeber im Wettlauf um die besten Nachwuchskräfte nicht auf dem bisherigen Stand ausruhen. Sonst ist man am Ende der Letzte im Ranking der Bewerber. Foto: BS/© lzf, stock.adobe.com

aus, wie Christoph Verenkotte, Präsident des Bundesverwaltungsamtes (BVA) anhand seiner Behörde verdeutlicht. Das BVA hat 5.500 Stellen, in den nächsten sieben Jahren scheiden rund 1.400 Beschäftigte altersbedingt aus (fast 30 Prozent). Aus dem Stellenpool stehen für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) 60 Stellen zur Verfügung, davon zwei für das BVA. Eigentlich bräuchte Verenkotte im Sinne einer Demografievorsorge jedes Jahr Stellen für 200 Nachwuchskräfte. “Bei weniger als einem Viertel ist diese Herausforderung nicht seriös zu lösen”, so der Präsident.

Vier Vorteile “Bei der Sicherung von Nachwuchskräften kämpfen manche Behörden um das nackte Überleben”, berichtet Jürgen Mathies, Staatssekretär im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, im Rahmen des diesjährigen DBB Forums Öffentlicher Dienst. Deshalb müsse man sich fragen, ob das Angebot überhaupt noch zur Nachfrage passe. Mathies meint: “Ja!” Für ihn steht fest, dass der Öffentliche Dienst durch Chancengleichheit, Vielfalt und Sinnhaftigkeit punkten könne. Vom Hauptschüler über den Abiturienten bis zum Hochschulabsolventen biete Vater Staat als Arbeitgeber eine Vielzahl von Aufgaben und Tätigkeiten. Das Entscheidende sei aber der letzte Punkt: die Sinnhaftigkeit oder Gemeinwohlorientierung. Und Dr. Kay Ruge, Beigeordne-

ter des Deutschen Landkreistages, nennt noch einen weiteren Vorteil: die Wohnortnähe. Mit all diesen Punkten ließe sich punkten, aber: “Wir müssen für Bewerber werben”, sagt Pia Karger, Leiterin der Unterabteilung Zentrale Dienste im BMI. Die gelernte Arbeits- und Organisationspsychologin plädiert für professionelle Kampagnen. “Wir müssen unsere Aufgaben und die Entwicklungsmöglichkeiten stärker in den Fokus stellen, vor allem in den nachgeordneten Bereichen.

Laufbahnrecht modernisieren Und nicht nur das Werben um neue Mitarbeiter müsse weiter optimiert werden, auch bei der Rekrutierung und der Attraktivität des Öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber gelte es, nicht im Stillstand zu verharren, sondern sich weiterzuentwickeln. “Wir brauchen mehr duale Studiengänge, die von den Verwaltungen selbst mitgestaltet werden”, mahnt Ruge. Und auch die Berufsbilder müssten erweitert werden, wie es in der Vergangenheit zum Beispiel mit den Umweltin­ spektoren geschah. Ein anderer Aspekt ist aus Ruges Sicht das Thema Fachkarrieren ohne Führungsverantwortung. “Wir müssen stärker auf interne Bewerber abstellen und diesen Karrieremöglichkeiten bieten.” Gerade, wenn sie keine Führungsverantwortung übernehmen wollten. Vor allem beim Wechsel vom mittleren in den gehobenen Dienst gebe es noch ungenutztes Potenzial.

MELDUNG

Sommer übernimmt Leitung des BAMF (BS/stb) Dr. Hans-Eckhard Sommer (CSU) ist neuer Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Er tritt die Nachfolge von Jutta Cordt an. Sommer war seit 1996 im Bayerischen Staatsministerium des Innern und für Integration tätig. Zuletzt leitete er das Sachgebiet Ausländer- und Asylrecht. Außerdem führte er den Aufbaustab für das Bayerische Landesamt für Asyl- und Rückführungen. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaft und der anschließenden Promotion war Sommer als Richter auf Probe im Verwaltungsgericht München tätig und arbeitete als Lehrbeauftragter für Verwaltungsrecht an der Technischen Universität München. Zu seiner Vorstellung durch den Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte Sommer, er kenne das BAMF durch seine bisherigen Tätigkeiten seit zwölf Jahren auf allen Ebenen. Angesichts des Anstiegs der Flüchtlingszahlen 2015 hätten die Mitarbeiter der Behörde eine

“unglaubliche Leistung” erbracht. Er wolle erreichen, dass die Beschäftigten wieder stolz auf ihr Amt sein könnten.

IT-Leiter wird Vizepräsident Neuer Vizepräsident des BAMF ist Dr. Markus Richter. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften war er 2005 als Referent ins Bundesamt eingetreten. Nach verschiedenen Positionen, unter anderem im Büro des Präsidenten, wechselte er für ein Jahr in die Bundesstelle für Informationstechnik (BIT) im Bundesverwaltungsamt, wo er Referatsgruppenleiter ITDienstleistungen war. 2015 kehrte Richter ins BAMF zurück, um die Abteilung Infrastruktur und IT aufzubauen und zu leiten. In diesem Zuge steuerte er die Neuentwicklung des Kerndatensystems der Asylbehörde und brachte eine Digitalisierungsagenda mit auf den Weg. Ein zweiter Vizepräsident soll noch zu einem späteren Zeitpunkt benannt werden.



Bund/Länder

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Kolumne

X-Rechnung vs. ZUGFeRD? Weshalb beide Formate in der Verwaltung funktionieren können

Safety first auch im Auto

(BS/Adrian Bednarski) Bremen ist einer der Vorreiter hinsichtlich der E-Rechnung, wenn es sich um das X-Rechnungsformat handelt. Aber bei der Einführung des durch die Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) entwickelten E-Rechnungsformats fühlen sich jene verunsichert, die bisher das vom Bundeswirtschaftsministerium begleitete E-Rechnungsformat ZUGFeRD genutzt haben. Stehen die beiden im Widerspruch zueinander und wird X-Rechnung ZUGFeRD ablösen? Die Stadt Löhne hat es, der Kreis Herzogtum Lauenburg ebenso: Die E-Rechnung im ZUGFeRD-1.0-Format wird von beiden angenommen und sie sind nur zwei von vielen Kommunen und Behörden, die es nutzen. Die elektronische Rechnung in ZUGFeRD 1.0 ermöglicht den Austausch von Daten ohne vorherige Absprache der Partner über das Datenformat. In die PDF/A-3-Datei werden die strukturierten XML-Daten sowie ein wie eine reguläre Papierrechnung lesbares PDF-Dokument eingebunden. ZUGFeRD 1.0 stellt dabei die alte Version dar, wohingegen ZUGFeRD 2.0 der EU-Norm entspricht, modernisiert wurde und den gängigen branchenübergreifenden Rechnungsstandards entspricht. Aus Bremen heißt es, dass die X-Rechnung-Architektur den anderen Bundeländern und Kommunen bundesweit zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden soll. Abgerundet wird dieses Vorantreiben durch die zentrale Empfangsarchitektur zERIKA (zentrale E-Rechnungs-, Integrations- und Kommunikationsapplikation), die ebenso ab November in Bremen die X-Rechnungen entgegennehmen soll. In einem weiteren Schritt sollen die “Lieferanten ab November

2020 durch die Freie Hansestadt Bremen verpflichtet werden, die X-Rechnungen einzureichen”.

Zwang ist nicht gleich Zwang Aber Bremen zielt damit eher auf die Inhalte ab, die durch eine Core Usage InvoiceSpecification (CIUS) in einer E-Rechnung vorgegeben werden. In der E-Rechnungsverordnung des Bundes ist zu lesen, dass “die elektronische Rechnung neben den umsatzsteuerrechtlichen Rechnungsbestandteilen mindestens folgende Angaben zu enthalten hat: Leitweg-Identifikationsnummer, die Bankverbindungsdaten, Zahlungsbedingungen und die DeMail bzw. E-Mail-Adresse der Rechnungsstelle”. Daneben existieren noch weitere Anforderungen. Wichtig ist jedoch: Mittels der CIUS wurde festgeschrieben, was verpflichtend auszufüllen ist. Ähnlich zu einem Überweisungsträger ohne IBAN kann dieser nicht bearbeitet werden. “Mit X-Rechnung ist eine CIUS für die öffentliche Verwaltung in Deutschland geschaffen worden, die konform zur europäischen Norm ist”, so ein Sprecher des Bremer Finanzministeriums.

EU-Konformität ist wichtig EU-Konformität spielt bei den E-Rechnungsformaten die

wichtigste Rolle. Auch wenn bei Beobachtungen zeitweise der Eindruck entsteht, dass XRechnung der deutschlandweite Standard wird, lohnt ein Blick in die E-Rechnungsverordnung: “Es kann auch ein anderer Datenaustauschstandard verwendet werden, wenn er den Anforderungen der europäischen Norm für die elektronische Rechnungsstellung entspricht”, heißt es dort. Ergo: Auch europäische E-Rechnungsformate können angenommen werden bzw. müssen dies, wenn sie der europäischen Norm sowie den spezifischen Ansprüchen entsprechen. Bezüglich der verpflichtenden Angaben, die durch die CIUS vorgeschrieben werden, besteht in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit, diese in anderen E-Rechnungsformaten außer X-Rechnung einzutragen. Aufgrund der EU-Norm existieren viele optionale Felder, in welche die Anforderungen, wie sie vom Bund und den Verwaltungen gewünscht werden, niedergeschrieben werden können. Dementsprechend sind X-Rechnung und andere E-Rechnungsformate, wenn sie EU-konform sind, keine Gegensätze bei den Abrechnungen zueinander und können jeweils genutzt werden.

Fritz Rudolf Körper (SPD) war von 1990 bis 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1998 bis 2005 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern. (BS) Fahrzeuge werden immer häufiger zum Tatwerkzeug. Das zeigen Anschläge wie zum Beispiel in Nizza, Berlin, London, Barcelona, New York, Toronto und auch in Münster sehr deutlich. Fahrzeuge werden immer öfter selbst als Waffe eingesetzt. Die Sicherheit im und um das Auto wird eine immer größere Herausforderung. In einem Auto werden zunehmend sehr viele Daten erfasst und auch gespeichert. Dieses Datenmaterial eröffnet sowohl den Autoherstellern als auch Vertretern anderer Branchen zukünftig lukrative Business Cases. Versicherungen, freie Werkstätten, gastronomische Betriebe an der Fahrstrecke, Hotels und Einzelhandel haben beispielsweise großes Interesse an dem in einem Auto entstehenden Datenmaterial artikuliert. Zahlreiche Geschäftsfelder mit ungeahnten Umsatzmöglichkeiten und einer jeweils guten Gewinnaussicht sind damit verbunden. So ist die Meldung einer freien Werkstatt direkt ins Cockpit des Autos, in dem der Austausch eines Stoß-

dämpfers vorne rechts ansteht, möglich, um ein möglichst preisgünstiges Angebot frühzeitig abgeben zu können. Das würde voraussetzen, dass es einen freien und umfassenden technischen Zugriff gibt. Auf der europäischen Ebene wurden und werden diese Fragen sowohl in der Vergangenheit als auch derzeit fast ausschließlich unter wettbewerbsrechtlichen Kriterien angeschaut und behandelt. Wettbewerb und Chancengleichheit waren die bisher im Vordergrund stehenden Themen. Höchst problematisch ist aus Sicherheitsüberlegungen jedoch der vielfach diskutierte direkte Zugriff auf im Auto erhobene Fahrzeugdaten durch Dritte. Die Diskussion darüber ist im Zuge der Vernetzung von Verkehrssystemen entstanden. Allerdings bedarf es hierzu keinesfalls des direkten Zugriffs auf Autodaten unmittelbar im Fahrzeug. Eine Plattform im Auto, über die der unregulierte Zugriff erfolgen soll, erhöht die Manipulations- und Hacking-Gefahr in einem nicht zu verantwortenden Maße. Die

Gefahr, dass das Auto zum Tatwerkzeug wird, wird geradezu heraufbeschworen. Bei der Debatte um den Umgang mit Autodaten ist es dringend erforderlich, dass der Sicherheitsaspekt absoluten Vorrang erhält. Die Fahrzeugsicherheit muss höchste Priorität genießen. Auch die Gesamtverantwortung für die Sicherheit rund um und im Auto kann nur dann beim Hersteller verortet bleiben, wenn nur er unmittelbaren direkten Zugriff auf das im Auto anfallende Datenmaterial bekommt. Das bedeutet nicht, das der Zielkonflikt – das Erschließen neuer Geschäftsmodelle – ignoriert werden darf. Es gibt selbstverständlich die Bereitschaft von Autoherstellern, Daten zu teilen, allerdings nicht im direkten Zugriff. Dritte sollten über einen neutralen Server außerhalb des Autos mit Zustimmung des Halters auf die Daten zugreifen können. Durch den neutralen Server ist auch zu gewährleisten, dass der Fahrzeughersteller keine Kontrollund Auswertemöglichkeit hinsichtlich der Identität Dritter hat.

beA ist zurück Elektronisches Anwaltspostfach geht wieder online

Gerichte personell ausreichend ausstatten Überlastung allein kein Grund für Fortdauer von Untersuchungshaft

(BS/stb) Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) stellt das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) wieder schrittweise online. Ein Gutachten hat dem E-Mail-System ausreichende IT-Sicherheit bescheinigt. Überzeugt sind aber nicht alle.

(BS/mfe) Ein Tatverdächtiger darf nicht nur deshalb unangemessen lang in Untersuchungshaft sitzen, weil ein Die BRAK-Hauptversammlung Gericht überlastet ist. Hier müsse der Staat seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung hat entschieden, das beA-System der Gerichte genügen. stufenweise wieder in Betrieb Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe und gab damit einer Verfassungsbeschwerde eines Untersuchungshäftlings gegen die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung statt (2 BvR 819/18). Das der Beschwerde zugrundeliegende Verfahren sei nicht in der gebotenen Zügigkeit durchgeführt worden. So wurde mit der Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten erst 13 Monate nach Beginn der Untersuchungshaft und sieben Monate nach Erhebung der Anklage begonnen. Eine schlüssige Begründung für diese Verzögerungen hätten die Fachgerichte nicht vorgelegt, so die Bundesverfassungsrichter.

Ebenfalls dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot nicht gerecht geworden sei die bisherige Verhandlungsdichte in dem Ausgangsverfahren. Durchschnittlich habe es pro Woche nicht einmal einen Verhandlungstag gegeben.

Gebotene Schnelligkeit erfüllen Grundsätzlich, so hielten es die Karlsruher Richter fest, müssten die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen zu einem Sachverhalt mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine

gerichtliche Entscheidung über die Vorwürfe herbeizuführen. Untersuchungshaft könne dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht sei, deren Ursachen nicht im konkreten Verfahren liegen würden und deshalb nicht durch den Beschuldigten zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt seien. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts könne nie Grund für die Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft sein, hielten die Verfassungsrichter unmissverständlich fest.

MELDUNG

MEGA-Studiengang: Bewerbungen bis 31.07.2018 (BS/jf) Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BAköV) bietet den bilingualen, berufsbegleitenden Studiengang “Master of European Governance and Administration” (MEGA) insbesondere für Angehörige des höheren Dienstes an. MEGA trägt der vom deutsch-französischen Ministerrat am 13. Juli 2017 beschlossenen vertieften Zusammenarbeit beider Länder Rechnung. Der Studiengang wurde mit der Gemeinsamen Erklärung zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags von den Regierungschefs beider Länder bereits 2003 mit dem Ziel initiiert, die gegenseitige Kenntnis der administrativen Praxis als ein Element zur Stärkung der deutsch-französischen Kooperation auf Regierungs- und

Verwaltungsebene zu intensivieren. Die Studierenden erwerben vertieftes theoretisches und praktisches Wissen über die Verwaltung des Partnerlandes und der gesamteuropäischen Administration. Zudem werden umfassende Kompetenzen im Bereich interkultureller Beziehungen und Kommunikation, Verhandlungs-, Personal-, Projekt-, Change- und Finanzmanagement sowie politischer Steuerung vermittelt. Das Studium beinhaltet

ein neunwöchiges Praktikum bei Ministerien und Behörden des Partnerlandes, bei dem durch praktische Mitarbeit fundierte Einblicke in das jeweilige Verwaltungshandeln und der Aufbau von Netzwerken ermöglicht werden. Das Studium endet inhaltlich mit einer Master-Arbeit, in der auch Praxisthemen der Entsendebehörden bearbeitet werden können. Nach erfolgreichem Studienabschluss verleihen die mitwirkenden Universitäten Potsdam, Paris 1 Panthéon-Sorbonne sowie die Humboldt-Universität zu Berlin und die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer den “Master of European Governance and Administration” als Joint-Degree. Weitere Informationen unter www.mega-master.eu

zu nehmen. Die Installation der Software und Erstregistrierung für Anwälte ist bereits seit Anfang Juli möglich. Am 3. September sollen die Postfächer freigegeben werden und die passive Nutzungspflicht wieder praktisch gelten. Eigentlich müssten Anwälte schon seit Anfang des Jahres im beA-System registriert sein und elektronische Post empfangen können. Wegen Sicherheitsmängeln, die Ende letzten Jahres vom Chaos Computer Club Darmstadt aufgedeckt worden waren, ist das System aber monatelang offline gewesen. Die Behebung der Probleme durch die BRAK und den Dienstleister Atos sollte durch den vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik empfohlenen Gutachter secunet bestätigt werden. Das nun vorliegende Gutachten kommt zu dem Schluss, beA sei grundsätzlich “ein geeignetes System zur vertraulichen Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr”. Das Verschlüsselungskonzept biete technisch gesehen hinreichenden Schutz der Vertraulichkeit. Dennoch wurden verschiedene “betriebsverhindernde” und “betriebsbehindernde” Risiken festgestellt. Diese sollen, so die BRAK, bis zur vollständigen Wiederinbe-

Ein Gutachten attestiert dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), mittlerweile grundsätzlich sicher zu sein. Kritiker fordern aber nach wie vor ein Umschwenken auf eine echte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Foto: BS/Blogtrepreneur, cc by 2.0, flickr.com

triebnahme im September beseitigt werden. Das werde secunet dann noch einmal bestätigen. Außerdem will sich die BRAK gegenüber den Justizministerien von Bund und Ländern für eine mindestens vierwöchige Testphase einsetzen.

Streitpunkt HSM Schwachstellen wurden aber auch auf konzeptioneller Ebene festgestellt. Es seien Angriffe möglich, die einen Zugriff auf Nachrichten erlauben würden. Möglich wäre das aber nur Innentätern, die physikalisch-organisatorische Schutzmaßnahmen unterlaufen müssten, oder theoretisch auch Außentätern, die sich durch Ausnutzung von Schwachstellen in Serverkom-

ponenten in die Position eines Innentäters bringen könnten. Hintergrund ist die mit einem Hardware Security Module (HSM) umgesetzte Verschlüsselungslösung. Um den – gesetzlich geforderten – arbeitsteiligen Zugriff auf Postfächer zu ermöglichen, findet beim Betreiber eine Umverschlüsselung statt. So kann die BRAK steuern, wer Nachrichten lesen kann. Kritiker sehen hier ein Risiko für die Vertraulichkeit und fordern die Nachrüstung einer Ende-zu-EndeVerschlüsselungslösung. Eine Gruppe von Anwälten hat mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) eine dahingehende Klage gegen die BRAK beim Berliner Anwaltsgerichtshof eingereicht.

MELDUNG

Schiedsverfahren beendet (BS/kh) Die Differenzen zwischen der Bundesregierung und dem Mautbetreiber Toll Collect sind beigelegt. Es ging um die verspätete Einführung der Lkw-Maut sowie um die Frage nach erhöhten Rechnungen für Betriebskosten. “Die einvernehmliche Beendigung der Schiedsverfahren durch die Prozessparteien

erledigt auch die zwischen den Prozessparteien streitigen Fragen zu den Aufwendungen der Toll Collect GmbH”, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (Drucksache: 19/2488). Das Unternehmen habe im Rahmen der Vertragsverhandlungen für die aktuelle

Mautausweitung eine “plausible und nachvollziehbare” Betriebskostenkalkulation vorgelegt. Für die zwei Schiedsverfahren, die 14 und elf Jahre liefen, entstanden dem Bund bisher insgesamt Kosten in Höhe von 253,6 Millionen Euro. Es habe 49 Verhandlungstage gegeben, schreibt die Bundesregierung.


Länder

Behörden Spiegel / Juli 2018

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Mehr Verkehrsunfälle als je zuvor (BS/Gerd Lehmann) 2017 erreichte die Gesamtzahl der Verkehrsunfälle in der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Höchststand. Die Polizei nahm rund 2,6 Millionen Unfälle auf. 2,2 Prozent mehr als im Jahr 2016 und mehr als je zuvor. Bei rund 2,3 Millionen Unfällen blieb es bei Sachschäden. Trotz der Zunahme der Verkehrsunfälle wurden 2017 weniger Personen als in den Vorjahren verletzt und getötet. Die Zahl der im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen getöteten Personen sank gar auf den niedrigsten Stand seit Beginn der statistischen Erhebung vor mehr als 60 Jahren.

ringen gab es im Jahr 2017 mehr Verkehrstote als im Vorjahr. In Bremen blieb die Zahl der Getöteten unverändert. In den übrigen Bundesländern kamen weniger Personen im Straßenverkehr zu Tode.

Noch nie so niedrig

Starker Rückgang in NRW

Im abgelaufenen Kalenderjahr starben hierzulande 3.179 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr. Das waren 29 Getötete oder 0,9 Prozent weniger als im Jahr 2016 (3.208 Getötete). Damit erreichte die Zahl der Verkehrstoten den niedrigsten Stand seit Beginn der statistischen Erhebung vor über sechs Jahrzehnten. Lediglich in Baden-Württemberg, Brandenburg, RheinlandPfalz, im Saarland und in Thü-

In absoluten Zahlen betrachtet, gab es den stärksten Rückgang in Nordrhein-Westfalen mit 40 weniger getöteten Personen (minus 7,6 Prozent), gefolgt von Berlin mit 20 weniger getöteten Personen (minus 35,7 Prozent), Hessen mit 19 weniger Toten (minus 8,2 Prozent), Schleswig-Holstein mit 14 weniger Toten (minus 12,3 Prozent) und in MecklenburgVorpommern mit zehn weniger Toten (minus 11,2 Prozent). Gemessen an der Einwohnerzahl

Land

Unfälle

Veränderung gegenüber 2016

Verletzte

(in Prozent)

326.457

+3,7

458

BY

404.951

+1,7

BE

143.224

+1,6

BB

85.370

HB HH HE

+13,1

47.794

608

-1,3

69.659

36

-35,7

17.415

+3,3

148

+22,1

11.355

24.139

+8,0

13

-1,4

3.928

67.881

-0,8

28

-3,4

9.596

150.014

+6,3

213

-2,8

28.262

MV

58.363

+2,4

79

-11,2

6.815

NI

216.279

+0,9

403

-2,4

43.125

NW

653.442

+2,1

484

-7,6

77.298

RP

147.348

+2,3

177

+9,9

19.622

SL

34.872

-0,2

44

+29,4

4.890

SN

109.623

-0,1

147

-9,3

16.848

ST

75.111

-0,1

132

-0,8

10.535

SH

90.050

+2,9

100

-12,3

16.154

Zukunft Personalentwicklung

TH

58.014

+1,9

109

+4,8

8.634

05.09.2018 – 06.09.2018, Bonn

Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung 04.09.2018 – 05.09.2018, Bonn

In mehreren Bundesländern nahm die Zahl der Verkehrsunfälle 2017 im Vergleich zum Vorjahr zu. Zugleich ging oftmals die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Personen zurück. Quellen: BS/Unfallstatistiken der Länder

(BS/leh) Ladendiebstähle sind im Handel ein Dauerärgernis. Die Branche liefert sich ein Wettrüsten mit Kriminellen, die immer professioneller vorgehen. Ladendiebe haben bundesweit einer Studie zufolge im vergangenen Jahr wieder für Milliardeneinbußen im Einzelhandel gesorgt. Insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro betrug der Schaden, den die Händler durch Diebstahl verzeichneten.

Dem trug Justizminister Guido Wolf (ebenfalls CDU) inzwischen insoweit Rechnung, dass Ladendiebe in Baden-Württemberg ab sofort jetzt immer strafrechtlich verfolgt werden – egal wie teu-

Getöte

BW

Baden-Württemberg kappt Bagatellgrenze

Staatsanwälte müssen nun jeden Einzelfall prüfen

Veränderung gegenüber 2016 (in Prozent)

Hoher Schaden durch Diebe

Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Jahres 2017 hatte der badenwürttembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) noch den Rückgang des Ladendiebstahls im Ländle um 8,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr besonders hervorgehoben. Nach Ansicht des Einzelhandels spiegelte der vom Ressortchef vermeldete Rückgang aber weniger die Realität wider, sondern eher die Resignation der Betroffenen. Demzufolge bringen viele Geschäftsinhaber den Diebstahl gar nicht mehr zur Anzeige, weil sie denken, dass es nichts bringt. Nach Ansicht von Vertretern des Handels ist daher ein starkes Symbol erforderlich, damit klar wird, dass Ladendiebstahl keine Bagatelle ist. Sie forderten daher ein konsequentes Durchgreifen der Justizbehörden und eine härtere Bestrafung der Ladendiebe.

Praxisseminare im September 2018

Verkehrsunfälle 2017

2017 registrierte die Polizei bundesweit insgesamt 2.645.138 Verkehrsunfälle. Das Verkehrsunfallgeschehen in den einzelnen Bundesländern ist wieder recht unterschiedlich verlaufen. Mit Ausnahme vonHamburg (minus 0,8 Prozent), dem Saarland (minus 0,2 Prozent) sowie Sachsen und Sachsen-Anhalt (jeweils minus 0,1 Prozent) nahm die Zahl der Verkehrsunfälle in allen anderen Bundesländern zu. Die größten Zuwächse an Unfällen verzeichneten die Länder Bremen (plus acht Prozent), Hessen (plus 6,3 Prozent), BadenWürttemberg (plus 3,7 Prozent), Brandenburg (plus 3,3 Prozent), Schleswig-Holstein (plus 2,9 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (plus 2,4 Prozent), RheinlandPfalz (plus 2,3 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (plus 2,1 Prozent). Gemessen an der Einwohnerzahl war das Risiko, an einem Unfall beteiligt zu sein, in Brandenburg am höchsten. Pro 100.000 Einwohnern ereigneten sich in der Mark 4.069 Unfälle. Am geringsten war dieses Risiko im Hessen (2.429 Unfälle pro 100.000 Einwohner), in Thüringen (2.673 Unfälle pro 100.000 Einwohner), in Sachsen (2.683 Unfälle pro 100.000 Einwohner) und in Niedersachsen (2.725 Unfälle pro 100.000 Einwohner).

Personalwesen und Dienstrecht

er ihr Diebesgut ist. Bisher galt eine Bagatellgrenze. Wenn das Diebesgut weniger als 25 Euro wert war, wurden die Verfahren automatisch eingestellt, was die Einzelhändler schon lange störte. Voraussetzung war aber, dass keine besonderen Umstände vorlagen – etwa eine Vorstrafe oder eine professionelle Vorgehensweise. Künftig müssen die Staatsanwaltschaften nun in jedem Einzelfall prüfen, ob sie ein Verfahren wegen Geringfügigkeit nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung einstellen. Ermittler und Justiz sollen von der Neuregelung nicht gerade begeistert sein. Die in der Justiz kursierende Sorge vor einer Mehrbelastung lässt Minister Wolf jedoch nicht gelten. Seiner Ansicht nach sei zum einen nur ein moderater und damit verkraftbarer Anstieg der Verfahren zu erwarten. Zum anderen habe die Justiz zuletzt etliche neue Stellen erhalten: 75 für die Staatsanwaltschaften und 66 für die Gerichte. Ob andere Bundesländer dem Beispiel BadenWürttembergs folgen werden, ist nicht bekannt. Entsprechende Nachfragen blieben bislang unbeantwortet.

war das Risiko, im Straßenverkehr zu sterben, in Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit 60 beziehungsweise 59 Todesopfern sowie in Niedersachsen mit 50 Todesopfern je einer Million Einwohner am höchsten. Weit unter dem Bundesdurchschnitt von 39 Getöteten je einer Million Einwohner liegen aufgrund ihrer Siedlungsstruktur die Stadtstaaten, aber auch NordrheinWestfalen, wo auf eine Million Einwohner 27 Getötete kamen. Den vorliegenden Zahlen zufolge sank vor allem die Zahl getöteter Autofahrer (minus 7,4 Prozent). Auch die Zahl der getöteten Fußgänger (minus 6,4 Prozent) ging zurück. Dagegen kamen u. a. mehr Fahrer von Motorrädern und -rollern (plus 8,6 Prozent) ums Leben sowie Fahrer von

Lastwagen, Sattelschleppern und anderen Güterkraftfahrzeugen (plus 24,2 Prozent).

Oftmals zu schnell unterwegs Nicht angepasste oder überhöhte Geschwindigkeit war auch im letzten Jahr wieder eine der Hauptunfallursachen. Viele der Unfälle in der aktuellen Bilanz könnten möglicherweise verhindert werden. Das gilt u. a. für die Themen Ablenkung am Steuer durch Smartphones, Unfälle mit abbiegenden Lkws sowie die immer weiter zunehmende PSLeistung von Motorrädern. LkwFahrer fuhren oft zu dicht auf, waren übermüdet oder hatten den Notbremsassistenten ausgeschaltet. Die Entwicklung zeigt, dass es in Sachen Verkehrssicherheit noch viel zu tun gibt.

MELDUNGEN

Behauptung genauer prüfen (BS/mfe) Gerichte müssen, wenn sie die Erhebung von durch Strafgefangene zu tragende Kostenpauschalen gestatten, künftig wohl die von den Leitungen der jeweiligen Justizvollzugsanstalten vorgebrachten Behauptungen besser prüfen. Das dürfte einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zufolge zumindest dann gelten, wenn die Anstaltsleiter anführen, die Einnahmen durch die erhobenen Betriebskostenpauschalen lägen unter den Kosten des durchschnittlichen tatsächlichen Verbrauchs (Aktenzeichen: 2 BvR 635/17). Die Karlsruher Richter hatten einer Verfassungsbeschwerde eines Häftlings stattgegeben und einen Verstoß gegen das grundgesetzlich geschützte Recht auf effektiven Rechtsschutz bejaht. Die fachgerichtliche Überprüfung von Entscheidungen, die in Grundrechte eingriffen, könne nur rechtskonform sein, sofern sie auf einer ausreichen-

den Aufklärung des zugrunde liegenden Sachverhalts beruhe. Hierauf hätten die Bürger einen sub­stanziellen Anspruch. Der Zugang zum Gericht dürfe deshalb nicht in unzumutbarer und sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Art und Weise erschwert werden. Zudem dürften Beweislasten nicht so zugeordnet werden, dass sie von den Verfahrensbeteiligten kaum noch zu erfüllen seien. Verfassungsrechtliche Bedenken gebe es schließlich, wenn durch die Erhebung von Pauschalen auf der Grundlage von Eingriffsnormen, welche eine Kostenbeteiligung Gefangener an Strom- oder Betriebskosten von Elektrogeräten ermöglichten, der bereits von Verfassung wegen zu gewährleistende Grundbedarf oder andere Haftkosten mittelbar (mit)finanziert würden. Diese Frage müssten die Fachgerichte genauer prüfen, hieß es aus Karlsruhe.

Generationenorientiertes Personalmanagement in Behörden 11.09.2018, Berlin

Zeugnisrecht kompakt 11.09.2018, Bonn

Wissensmanagement in der öffentlichen Verwaltung 17.09.2018 – 18.09.2018, Berlin

Mitarbeitergespräche effizient und nachhaltig führen 17.09.2018 – 19.09.2018, Berlin

Zukunftsfähige Personalpolitik in Zeiten von Demografie, Digitalisierung und Wertewandel 24.09.2018 – 25.09.2018, Berlin

Die Führungskraft als Coach 26.09.2018 – 28.09.2018, Hamburg

Beförderungsauswahl vor Gericht 27.09.2018, Berlin

NRW will entlasten (BS/mfe) Die Düsseldorfer Landesregierung will ehrenamtlich Tätige, pflegende Angehörige und Familien finanziell entlasten. “Wir wollen diejenigen entlasten, die sich in der Mitte der Gesellschaft für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens in besonderer Weise einsetzen”, erklärte Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU). Diese Menschen seien der Kitt der Gesellschaft. Ihre tagtäg-

liche Leistung wolle man noch stärker anerkennen.Vorgesehen ist über eine Bundesratsinitiative unter anderem eine Erhöhung der Übungsleiterpauschale von derzeit 2.400 auf dann 3.000 Euro pro Jahr. Dies würde auch Ausbildern bei den Feuerwehren zugutekommen. Zudem soll der Pflegepauschbetrag von momentan 924 auf 1.200 Euro erhöht werden.

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen 27.09.2018, Bonn Detaillierte Information und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de

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Aber weniger Verletzte und Tote auf Deutschlands Straßen


Finanzen

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Behörden Spiegel / Juli 2018

“Jamaika fehlt der Weitblick”

Vorbild Dänemark?

Schleswig-Holstein zur Schuldentilgung aufgefordert

Potenziale einer Neuregulierung des Glücksspielmarktes

(BS/Adrian Bednarski) “Während andere Länder die guten Zeiten nutzen und 2017 durchschnittlich rund zwei Prozent ihrer Schulden getilgt haben, waren es in Schleswig-Holstein nur 0,5 Prozent”, kritisiert die Präsidentin des Landesrechnungshofes Dr. Gaby Schäfer: Es müsse mehr getan werden. Aber wie reagiert die Regierungskoalition aus CDU, Grünen und FDP?

(BS/gg) Nachdem Ende vergangenen Jahres die Verabschiedung eines Zweiten Glückspieländerungsstaatsvertrages – und damit die Neuregelung des Glücksspielmarktes in Deutschland – am Widerstand SchleswigHolsteins gescheitert war, wird nun um eine neue Lösung gerungen, um diesen nicht zuletzt auch wirtschaftlich nicht unerheblichen Bereich hierzulande einer zeitgemäßen Regelung zuzuführen.

“Angesichts der seit Jahren hohen Mehreinnahmen und niedrigen Zinsen kann das Land seinen Schuldenabbau ohne Weiteres verdoppeln”, sieht die Präsidentin das Bundesland im Norden in der Pflicht. Mittels eines verbindlichen Tilgungsplans könne dies geleistet werden. “Gerade im Hinblick auf die drei Milliarden Euro neue Schulden, die 2018 auf das Land durch die HSH Nordbank zukommen, sollte diese Aufgabe nicht auf die nächste Generation verschoben werden.” Dies gelte auch insbesondere vor dem Hintergrund der prognostizierten steuerlichen Mehreinnahmen und der ersparten Zinsausgaben in Höhe von knapp 500 Millionen Euro pro Jahr. Annabell Krämer von der FDPLandtagsfraktion stimmt der Präsidentin hinsichtlich der Prognose zu. Durch die Übernahme der Altschulden der verkauften HSH Nordbank werde der Schuldenberg auf 30 Milliarden Euro anwachsen. “Das ist ganz bitter. Schon um die Zinsrisiken zu begrenzen, sollten wir in guten Jahren ausreichende Haushaltsüberschüsse erwirtschaften und in die Tilgung stecken, ohne die Investitionen zu vernachlässigen”, betonte sie dabei.

Andere Prioritäten Auch die Finanzministerin Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen) sieht die Schuldentilgung als wichtig an, aber: “Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Für uns hat der Abbau des Sanierungsstaus im Land Priorität. Wir nutzen die gute Haushaltssituation, um unsere Infrastruktur fit für die Zukunft zu machen – ob bei Schulen, Krankenhäusern oder Straßen.” Das Land müsse noch moderner und digitaler werden. Dafür würde nachhaltig investiert und gleichzeitig würden Schulden getilgt. Obwohl Letzteres erst für 2020 vorgesehen gewesen sei, merkt Heinold an. Hinsichtlich der Mehreinnahmen könne das Land nach der Mai-Steuerschätzung mit 104 Millionen Euro rechnen. Insgesamt würden in diesem Jahr 10,229 Milliarden Euro erwirtschaftet werden. Dabei hat das

Land im Jahr 2017 rund 116 Millionen Euro getilgt. Es war ursprünglich eine höhere Tilgung vorgesehen, aber die ersten Schulden der HSH-Garantie zur Schuldenübernahme der Bank sind fällig geworden.

Kritik an der Regierung Mit dem Regierungskurs nicht einverstanden zeigt sich die SPD: “Anstatt das Geld sinnvoll auszugeben, bunkert die Landesregierung hunderte von Millionen.

ren Generationengerechtigkeit über Investitionen in Bildung und Klimaschutz”, so heißt es aus dieser Landtagsfraktion. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Rasmus Andresen, betont nochmals den anderen Blickwinkel auf die Haushaltspolitik: “Schuldenabbau ist wichtig, aber der Rechnungshof verengt Haushaltspolitik zu sehr auf Haushaltskonsolidierung. So kann man keinen Staat gestalten.”

Tilgung als Zielvorgabe

Der Spagat zwischen Schuldentilgung und Investitionen ist schwierig und wird seitens des Landesrechnungshofes in Schleswig-Holstein bemängelt. Foto: BS/Marco Verch, CC BY 2.0, flickr.com

Dort liegen derzeit 280 Millionen mehr als benötigt werden”, kritisiert die Landtagsabgeordnete Beate Raudies. Dass angesichts der aktuellen Haushaltslage noch keine konkreten Pläne der Landesregierung zum Schuldenabbau vorlägen, sei “ein politisches Armutszeugnis”. Sie kritisierte ferner, dass Geld zwar ausgegeben werde, aber Versprechen, wie die höhere Besoldung der Grundschullehrkräfte oder die Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes, seien bisher nicht erfüllt worden. Sie kommt zum Fazit: “Jamaika fehlt der volkswirtschaftliche Weitblick.”

Harsche Worte gegen Rechnungshof Jedoch werden die Bemerkungen des Landesrechnungshofes nicht von allen Seiten positiv aufgenommen. “Generationengerechtigkeit wird vom Landesrechnungshof sehr einseitig mit Haushaltskonsolidierung verknüpft. Wir Grüne definie-

Ein Aspekt, der mitgetragen wird. Überfällige Investitionen weiter aufzuschieben, würde zu höheren Kosten in der Zukunft führen und den Wirtschaftsstandort beschädigen. “Trotzdem nehmen wir die Mahnungen des Landesrechnungshofs ernst”, sagte die FDP-Abgeordnete Krämer. Dabei befindet sich der Prozess dahin im Fluss. Mittels eines stattgegebenen Antrags soll ab 2019 ein verbindlicher Tilgungsplan von der Regierung verabschiedet werden. Das Kieler Finanzministerium bestätigte, dass aktuell an einem Konzept für eine dauerhafte Tilgung gearbeitet werde. Eine Tilgungspflicht mit der Möglichkeit, bei konjunkturellen Einbrüchen handlungsfähig zu bleiben, sei der nächste logische Schritt. “Dabei ist Schuldentilgung mehr als nur das Ablösen von Krediten. Wichtig ist, dass wir die Gesamtverschuldung des Landes im Blick haben. Bereits an der Investitionsquote in Höhe von knapp zehn Prozent sieht man, dass wir auch die verdeckte Verschuldung angehen”, betonte der CDU-Landtagsabgeordnete Ole-Christopher Plambeck.

Wie groß das wirtschaftliche und hiermit verbunden das fiskalische Potenzial der sogenannten Bettertainment-Branche (Sportwetten, Poker und Casino sowie Online-Lotterien) ist, zeigt eine Studie, die der Deutsche Verband für Telekommunikation und Medien (DTVM) bereits Ende 2015 in Auftrag gegeben hatte. Die Studie zeigt anhand von Modellberechnungen für zwei gegensätzliche Regulierungsszenarien für den Zeitraum 2016–2020, dass eine marktwirtschaftlich zielorientierte Regulierung des Glückspielmarktes deutliche Vorteile gegenüber der Fortsetzung der derzeitigen Regulierung in Deutschland aufweist. Die “zielorientierte GlückspielRegulierung” orientiert sich dabei an den Erfahrungen aus bereits

Die Studie geht davon aus, dass durch eine entsprechende Regulierung eine signifikante Verlagerung der Umsätze vom unregulierten in den regulierten Bereich des Glückspielmarktes stattfinden wird. Verbraucher-, Daten- und Jugendschutz würden damit erst nachhaltig durchsetzbar. Die Gesamtumsätze und die daraus resultierenden fiskalischen Einnahmen seien bei marktwirtschaftlich zielorientierter Regulierung deutlich höher als bei einer Fortsetzung staatsorientierter Regulierung.

Folge man dem Beispiel Dänemarks, dann sprächen ein kumuliertes Umsatzplus von ca. 37 Mrd. Euro und ein Plus an Steuereinnahmen in Höhe von 8,5 Mrd. Euro in dem in der Studie in den Blick genommenen Fünfjahreszeitraum für eine entsprechende Änderung der heutigen Glücksspielmarktregulierung. Auch der Werbe- und Marketingbereich sowie die gesamte Wertschöpfungskette rund um Bettertainment-Angebote würden hiervon profitieren. Sollten die fiskalischen Mehreinnahmen einer teilweisen Zweckbindung unterliegen, so könnten auf Basis einer geänderten GlücksspielRegulierung auch für die Sportförderung insgesamt 30 Mio. Euro mehr Mittel zur Verfügung stehen, so die Studie.

gesenkt. Das entspricht einer Entlastung von 3,5 Milliarden Euro. Hinzu kommt eine Erhöhung des Kindergeldes ab dem 1. Juli 2019 um zehn Euro pro Kind und Monat. Entsprechend wird im nächsten Jahr und auch 2020 der steuerliche Kinderfreibetrag angepasst: jährlich um jeweils 192 Euro. Ebenfalls erhöht wird in den beiden kommenden Jahren der steuerliche Grundfreibetrag. 2019 steigt er um 168 und 2020 um 240 Euro. Außerdem werden 2019 und 2020 die Eckwerte des Einkommensteuertarifs um die Inflationsrate des Vorjahres verschoben. Dadurch soll der Effekt der kalten Progression

ausgeglichen werden. Und: Ab 2021 wird der Solidaritätszuschlag für rund 90 Prozent aller Steuerpflichtigen abgeschafft. Das entsprechende Senkungsvolumen beträgt laut BMF etwa zehn Milliarden Euro. Geplant sind darüber hinaus Verbesserungen bei der Mütter- und der Erwerbsminderungsrente sowie eine Ausweitung der sogenannten Midijobs. Hier zahlen Arbeitnehmer mit geringem Einkommen weniger Sozialabgaben, ohne dadurch Einbußen bei ihren späteren Rentenansprüchen hinnehmen zu müssen. Diese Entlastung gilt allerdings nicht gleichermaßen für ihre Arbeitgeber.

liberalisierten Märkten wie etwa Dänemark, welches zwischenzeitlich auch schon Pate für die Regulierung in Schleswig-Holstein stand.

Steuerliche Mehreinnahmen

MELDUNGEN

Bürger werden entlastet

(BS/mfe) In Zukunft werden zahlreiche Deutsche höhere Netto-Einkommen erzielen. So müssen Arbeitgeber ab Anfang kommenden Jahres wieder genauso viel zur gesetzlichen Krankenversicherung beitragen wie ihre Angestellten. Bisher tragen den Zusatzbeitrag, der durchschnittlich einen Prozent des Bruttoeinkommens beträgt, ausschließlich die Arbeitnehmer. Diese Entlastung, die auch für Rentner gilt, hat laut Bundesfinanzministerium (BMF) ein Gesamtvolumen von 6,9 Milliarden Euro. Des Weiteren wird der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozentpunkte

Forderung an den Bund

Ausnahme für Förderbanken

Aber ganz alleine, kann Schleswig-Holstein es scheinbar nicht regeln. So heißt es aus der Grünen-Landtagsfraktion: Wenn Schuldentilgung mehr als ein symbolischer Posten sein solle, brauche es ein umfassendes finanzpolitisches Umdenken des Bundes, insbesondere die Bereitschaft, sehr hohe Einkommen und Vermögen endlich angemes-

(BS/mfe) Förderbanken in Europa können in Zukunft von der EU-Bankenregulierung ausgenommen werden. Das entschied der Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments. Dazu erklärte Iris Bethge, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken (VÖB): “Wir sind

zuversichtlich, dass im nun folgenden Trilog von Rat und Parlament unter Vermittlung der Kommission eine Lösung gefunden wird, damit die selbstständigen deutschen Förderbanken künftig einem effektiven und maßgeschneiderten nationalen Aufsichtsregime unterliegen und durch die Bundesanstalt für Finanz-

dienstleistungsaufsicht sowie die Bundesbank beaufsichtigt werden.” Förderbanken hätten eine andere Eigentümerstruktur, ein abweichendes Geschäfts­modell und ein geringeres Risiko in den Büchern als Geschäftsbanken. Dem sollte die Regulierung Rechnung tragen, verlangte Bethge.

Public Risk & Compliance 2018 Risikomanagement g und Korruptionsprävention in öffentlichen Institutionen 17. – 18. Oktober 2018, Bonn

Themen und Referenten, u. a.:

www.public-compliance.info

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Identifikation, Bewertung und Dokumentation von Risiken in der Praxis Nicole Köhnen, Fachdienst Organisation, Stadt Sankt Augustin Compliance: Was ist das und brauchen wir das für die öffentliche Hand? Prof. Dr. Beatrix Weber, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof Implementierung eines Korruptionspräventionssystems Ralf Kriesemer, Leiter Referat Antikorruption, Stadt Neuss Einführung eines Internen Kontrollsystems Siham Skocic, Zentrale Dienste, Stadt Karlsruhe Good Governance: warum die Bundesbank nicht nur die Finanzen im Blick hat Claudia Kuntz, Abteilung Organisation, Deutsche Bundesbank Three Lines of Defence – systematische Herangehensweise an Risiken Bettina Volprecht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Umgang mit Machtpromotoren und politischem Widerstand Richard Schütze, Rechtsanwalt, Berliner Akademie für Medienrhetorik und Kommunikation

Eine Veranstaltung des:


Vergaberecht

Behörden Spiegel / Juli 2018

Seite 9

Reinhard Janssen zur Weiterentwicklung der VOB (BS) Im Koalitionsvertrag ist Unterschiedliches zur Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) aufgeführt. Der Behörden Spiegel sprach deshalb mit Reinhard Janssen, Leiter des Referats “Recht des Bauwesens, Öffentliches Auftragswesen” im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, über die Zukunft der Vergabeordnung und des dazugehörenden Ausschusses für Bauleistungen (DVA) sowie die nächste Änderung des Regelwerkes. Die Fragen stellte Jörn Fieseler.

B

ehörden Spiegel: Herr Janssen, im Koalitionsvertrag ist an einer Stelle davon die Rede, eine Zusammenlegung von Verfahrensregeln aus dem Liefer- und Dienstleistungsbereich und aus dem Baubereich in einer einheitlichen Verfahrensordnung zu prüfen, an anderer Stelle wird betont, die VOB zu sichern und anwenderorientiert weiterzuentwickeln. Wie ist der aktuelle Stand?

Janssen: Hierbei stellen sich verschiedene Fragen, so beispielsweise: Ist die gesamte VOB gemeint oder nur die VOB/A? Nach meiner Meinung bilden die drei Teile der VOB ein Ganzes: Der A-Teil enthält u. a. die Regelungen zu den Verfahrensarten und zum Leistungsverzeichnis. Der C-Teil enthält die Vorgaben, wie am Ende der Bauzeit zu verfahren ist, wenn das LV unvollständig war, und im B-Teil sind z. B. die Nachträge geregelt. Das alles greift zusammen. Zudem bin ich mir sicher, dass die Bauwirtschaft ihr ganzes Gewicht zum Erhalt der VOB in die Waagschalle werfen wird. Außerdem führt bei der derzeitigen Baukonjunktur eine Veränderung der Rechtsgrundlagen nur zu Unruhe und Investitionsunsicherheit, was man gerade im Wohnungsbau im Moment überhaupt nicht gebrauchen kann. Behörden Spiegel: Verbunden mit dem Fortbestand der VOB ist auch die Frage nach der Zukunft des Deutschen Vergabe- und Vertragsausschusses für Bauleistungen (DVA). Wie sehen Sie diese? Janssen: Im Baubereich ist das Interesse am Erhalt des DVA sehr hoch. Auch wenn die Diskussionen nicht immer vergnügungssteuerpflichtig sind (lacht). Im Ernst: Seit 1926 dient der Ausschuss der vorgelagerten Abarbeitung von Konflikten. Zu allen vergaberechtlichen Themen rund um Bauleistungen kommen sämtliche Stakeholder an einen Tisch zusammen. Das an sich hat schon einen Wert. Das System funktioniert seit über 90 Jahren. Zudem kommt dem Ausschuss ein gewisser Schutzfaktor zu, da dessen Vertreter größtenteils nicht dem Politikbetrieb unterliegen und die Dinge aus der Praxis betrachten. Ein Beispiel: der Einsatz von emissionsarmen Baumaschinen auf Baustellen ist sicher gut begründbar. Aber wieso das im Vergaberecht regeln, wenn das Thema doch ganz klar zum Immissionsschutzrecht gehört? Behörden Spiegel: Was passiert mit der VOB? Janssen: Sie ist und bleibt in Kraft. Aktuell arbeiten wir an einer Weiterentwicklung der VOB/A, wie es der Koalitionsvertrag ja auch fordert. Es stehen einige Anpassungen auf der Agenda, Annäherungen an die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO). Manche Unterschiede sind durch die Besonderheiten der Bauleistungen nicht zwingend geboten. Andererseits scheint es nicht sinnvoll, alles zu übernehmen. Keine einzige Vergabe wird besser laufen, nur weil eine freihändige Vergabe auf einmal Verhandlungsvergabe heißt! Letztlich hatten wir bei der Vergaberechtreform 2016 einfach keine Zeit für diese grundsätzlichen Anpassungen.

Bundeshochbau nämlich rund fünf Prozent. “Unser Ziel ist, Anfang 2019 Drittens beabeine neue Gesamtausgabe der VOB herauszugeben”, sichtigen wir, die sagt Reinhard Janssen, EignungsprüReferatsleiter “Recht des fung zu erleichBauwesens, Öffentliches tern. Bis zu einer Auftragswesen” im BMI. Wertgrenze von 10.000 Euro soll Foto: BS/Tom Baerwald, ein Auftraggeber Studiogarten-Berlin nicht mehr alle EignungsnachBehörden Spiegel: Warum weise fordern, sondern nur noch bestimmte. Außerdem wollen wir nicht? eine Regelung einführen, die es Janssen: Die Umsetzung der einer Vergabestelle verbietet, EigEU-Richtlinien sollte fristge- nungsnachweise zu fordern, die recht erfolgen. Deshalb haben ihr aus einem anderen Verfahren wir 2016 erst eine Änderung im schon vorliegen. In der Praxis Oberschwellenbereich und dann wird dies schon so gehandhabt, zwei im Unterschwellenbereich wenn ein Bieter, zwei Wochen, vorgenommen. Wir wollten den nachdem er einen Zuschlag erGleichlaut zwischen dem ersten halten hat, den nächsten Auftrag und dem zweiten Abschnitt wah- bekommen soll. De Jure ist es ren, weshalb wir in der ersten nach der VOB/A aber so, dass Welle redaktionell die veränderte die Nachweise trotzdem gefordert Struktur im Oberschwellenbe- werden müssen. Das wollen wir reich auf den Unterschwellenbe- klarstellen und vereinfachen. Wenn ein Auftraggeber die gülreich übertragen haben. Anschließend wollten wir eini- tigen Nachweise hat, dann darf ge wichtige inhaltliche Punkte sie diese künftig bei anderen aus dem Oberschwellenbereich Verfahren nicht mehr fordern. in den Unterschwellenbereich Bis die Gültigkeit abgelaufen ist. übertragen. Zuvörderst den RahBehörden Spiegel: Wie passt menvertrag. Den gab es bis 2016 nicht in der VOB. Er war nicht das zu dem Grundsatz “Ein Ververboten, aber auch nicht gere- fahren, eine Akte”? gelt. Das ist in beiden SchwelJanssen: Wie der Auftraggelenbereichen eingeführt worden. Einige Monate später haben wir ber das macht, ob er selbst die in dieser zweiten Welle dann eine Nachweise für jedes Verfahren nochmals veränderte VOB/A im zur Dokumentation kopiert oder Unterschwellenbereich herausge- darauf verweist, haben wir nicht bracht. Im Nachhinein war das festgelegt. Die genaue Ausgestalvielleicht nicht ganz klug und tung, wie das gehandhabt werden hat stellenweise zu Verwirrung soll, werden wir anschließend geführt. im Vergabehandbuch festlegen. Behörden Spiegel: Und welche Änderungen sehen Sie nun für die VOB vor?

Behörden Spiegel: Und die anderen drei wesentlichen Veränderungen der VOB?

Janssen: Wir haben im Wesentlichen sechs Punkte bei der VOB/A ins Auge gefasst. Erstens wollen wir, analog zur UVgO, die Wahlfreiheit zwischen öffentlicher Ausschreibung und beschränkter Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb ermöglichen. Zweitens wollen wir im Unterschwellenbereich den Direktauftrag einführen, wir reden momentan über eine Wertgrenze von 3.000 Euro. Dem liegt eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zugrunde, die auch vom Bundesministerium der Finanzen abgesegnet wurde. Allerdings hat der Bundesrechnungshof diese Höhe kritisiert. Natürlich müssen wir bei Wertgrenzen vorsichtig sein, sonst macht man mit einer solchen Wertgrenze das ganze Vergaberecht zur Makulatur, wenn dadurch nur noch drei Verfahren im Jahr übrig bleiben. Aber wir führen im Bundes-Hochbau seit vielen Jahren eine Statistik über die Auftragsvergaben. Mit dieser haben wir Erkenntnisse, die mit der Vergabeverordnungsstatistik erst gewonnen werden sollen. Anhand dieser Daten stellen wir fest, das jährlich 70 bis 75 Prozent aller Aufträge im BundesHochbau unter 10.000 Euro liegen. Das heißt, die Masse der Bauaufträge sind Kleinaufträge, zum Beispiel Handwerker, die Sanierungsarbeiten oder Reparaturen durchführen. Deshalb wollen wir Vergabestellen und Bieter mit diesem Instrument entlasten. Man muss nämlich sehen, dass die Vielzahl der kleinen und kleinsten Aufträge nur einen geringen Teil des Gesamtauftragsvolumens ausmacht, im

Janssen: Wir wollen, viertens, eine Regelung zum Umgang mit mehreren Hauptangeboten schaffen. Das ist im DVA als regelungsbedürftig vorgetragen worden. In der Praxis kommt es häufig vor, dass Bieter mehrere Hauptangebote abgeben. Dafür gibt es bisher keine Vorgaben. Im Grundsatz soll die Abgabe mehrerer Hauptangebote zulässig sein, dem Auftraggeber aber

das Recht eingeräumt werden, dies von vornherein auszuschließen. Wenn es zugelassen ist, dann muss jedes Hauptangebot aus sich heraus zuschlagsfähig sein. Eine Modifizierung eines Hauptangebotes auf einem zweiten Blatt Papier ist damit nicht gemeint. Es muss klar als weiteres Hauptangebot gekennzeichnet sein und alle Bestandteile enthalten, inklusive komplett ausgefülltem zweiten Leistungsverzeichnis. Auch der Nachforderung von Unterlagen wollen wir uns widmen (fünftens). Dieser Punkt ist in den letzten Jahren sehr intensiv diskutiert worden. Die Argumente reichen von einer Eins-zu-eins-Übernahme der Regelungen aus der VgV und UVgO bis zur Beibehaltung der jetzigen Regelungen. Stand der Diskussion ist, es sprachlich klarer zu fassen, was nachzufordern ist und was nicht. Vor allem aber wollen wir eine Wahlmöglichkeit des Auftraggebers einführen, gleich zu Beginn des Verfahrens festzulegen, bekannt zu machen, ob er überhaupt nachfordert oder nicht. Grundsätzlich soll nachgefordert werden, aber der Auftraggeber kann dies auch unterlassen, wenn er es vorher bekannt gemacht hat. Das nähert sich dem Liefer- und Dienstleistungsbereich an, bleibt aber unterschiedlich. Denn der Grundsatz der Nachforderung ist für die Bauwirtschaft sehr wichtig. Deren Begründung: Der Unternehmer muss so viele Angebote abgeben, da könne es nicht sein, dass er wegen eines fehlenden Nachweises ausgeschlossen wird. Der sechste Punkt betrifft Vergaben im Ausland. Nach § 8a VOB/A müssen die Teile B und C verpflichtend vereinbart werden. Aber es liegt auf der Hand, dass nicht in allen Regionen der Welt nach den Teilen B und C gearbeitet werden kann. Die Praxis geht damit schon um, wir wollen das jetzt legalisieren, damit bei Vergabeverfahren im Ausland, konkret etwa bei Botschaften oder Goethe-Instituten, diese einfacher werden. Fortsetzung auf Seite 10

Vergaberecht und Vergabemanagement Praxisseminare im September 2018

Vergaberecht für Auftragnehmer und Bieter 13.09.2018, Hamburg

20 wichtigste Entscheidungen im Vergaberecht 14.09.2018, München

Vergaberecht für Anfänger 18.09.2018, Berlin

Vergaben im ÖPNV für Aufgabenträger 18.09.2018, Bonn

Vergabeverfahren und Vertragsgestaltung in agilen IT-Projekten 19.09.2018, Berlin

Vergabe und Gestaltung von Wartungsverträgen 19.09.2018, Berlin

Beschaffung von Postdienstleistungen 20.09.2018, Bonn

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

Zentrale Vergabestelle: aufbauen – organisieren – gestalten – leiten 26.09.2018 – 27.09.2018, Bonn

Neue EVB-IT Dienstleistung – was ist jetzt zu tun? 27.09.2018, Berlin

Vergabe von Dienstleistungskonzessionen 27.09.2018, Berlin

Detaillierte Information und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de

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“Sie ist und bleibt in Kraft”


Vergaberecht

Seite 10

► Entscheidungen zum Vergaberecht ► PERSONAL

Landschaftsgärtnerei Keine Kreativleistung Für die Außenanlagen des Schulneubaus suchte der Schul­träger einen Landschaftsgärtner, der sowohl Grünflächen als auch Pflaster herstellen sollte. Nach seiner Erfahrung aus früheren Aufträgen erwartet er ein umso besseres Arbeitsergebnis, je mehr Erfahrung das eingesetzte Personal des Auftragnehmers hat. Unter Berufung auf den neuen § 16 d EU VOB/A, der im Absatz 2 Buchstabe b die Möglichkeit einräumt, die Qualität des Personals als Zuschlagskriterium zu verwenden, wenn sie einen erheblichen Einfluss auf die Leistung hat, verlangte er den Nachweis von Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit u. a. des Poliers. Ein Bieter, der aufgrund geringer Betriebszugehörigkeit des Poliers nicht die volle Punktzahl in diesem Kriterium erreicht hatte, will nun nachträglich die Wertung dieses Kriteriums anfechten. Dies gelingt ihm sogar ohne rechtzeitige Rüge, weil die Vergabekammer das Kriterium an sich für unzulässig hält. Eine richtige Wertung eines falschen Kriteriums sei nicht möglich. Die Qualität des Personals könne nur bei schöpferischen Leistungen herangezogen werden, was sich aus den Erwägungsgründen der zugrunde liegenden EU-Richtlinie ergebe. Hier aber sei lediglich verlangt, dass das eingesetzte Personal ein Leistungsverzeichnis exakt abar­b eite. Dies könne jeder Handwerker gleichermaßen, der die erforderliche Ausbildung besitze, was im Zuge der Eignungsprüfung festzustellen sei. VK Brandenburg (Beschl. v. 23.02.2018, Az.: VK 1/18)

► PREISAUFKLÄRUNG

Angemessene Frist nötig Fragen an Nachunternehmer Der Auftraggeber forderte – wie in den Vergabeunterlagen angekündigt – von den aussichtsreich platzierten Bietern die ­Aufgliederung der Einzelpreise mit Formblatt 223 an. Dafür setzte er eine Frist von sechs Tagen, die er aufgrund der Vorschrift in § 16a EU VOB/A ­für zwingend hielt. Innerhalb dieser Frist sollten die Bieter nicht nur die eigenen fast 1.000 Einzelpreise aufgliedern, sondern darüber hinaus auch die Preise, die ihre Nachunternehmer kalkuliert hatten. Einen Bieter, dem dies nicht innerhalb der Frist gelang, schloss der Auftraggeber aus. Der wehrte sich vor der Vergabekammer. Es sei in dieser Frist nicht möglich gewesen, von allen zehn Nachunternehmern deren Kalkulationsdaten abzufragen, um sie in das Formblatt 223 zu übernehmen. Dafür sei die Frist nicht angemessen dimensioniert gewesen. Zudem sei ein solches Vorgehen unüblich. Im Regelfall seien Nachunternehmerleistungen nicht weiter aufzugliedern. Die Vergabekammer gab ihm Recht. § 16a EU VOB/A ist hier nicht einschlägig. Vielmehr sei die Länge der Frist nach § 16 EU VOB/A zu bemessen, d. h. für den Einzelfall angemessen. Für den Umfang der Aufgliederung jedenfalls sei die Frist zu kurz gewesen. Überdies stellte sich heraus, dass der Auftraggeber

Behörden Spiegel / Juli 2018

Fortsetzung von Seite 9

die angeforderten Kalkulationsdaten gar nicht zur Preisprüfung herangezogen hat. Ein Ausschluss aufgrund verspäteten Einreichens einer Aufklärungsantwort, die schließlich wohl grundlos angefordert war, sei ohnehin nicht möglich, weil die Aufklärung selbst nur statthaft ist, wenn es einen Grund dafür gibt. VK Südbayern (Beschl. v. 13.02.2018, Az.: Z3-3-3194-153-11/17)

► MINDESTUMSATZ

Nicht logisch... ...aber so steht‘s geschrieben Wenn ein Auftraggeber für den Jahresumsatz eines Auftragnehmers eine Mindestvorgabe macht, dann darf diese das Doppelte des Auftragswertes nicht überschreiten. Bei einem einjährigen Dienstleistungsauftrag, dessen Wert 250.000 Euro beträgt, kann der Auftraggeber also einen Mindestjahresumsatz von 500.000 Euro fordern. Läuft dieser Auftrag nun aber über zwei Jahre mit jährlich 250.000 Euro Rechnungssumme – also insgesamt 500.000 Euro Auftragswert, wie hoch ist dann der Mindestjahresumsatz? Logisch wäre ja hier ebenfalls der Nachweis eines Jahresumsatzes von mindestens 500.000 Euro, der sich in zwei Jahren auf eine Mio. Euro summieren würde und damit wieder das Doppelte des Auftragswertes betrüge. Dem ist aber nicht so, stellt das OLG Jena fest: Sowohl der euro­päische Richtliniengeber als auch der deutsche Gesetzgeber bemessen den Mindestjahresumsatz am Auftragswert, der sich durch die Addition aller erwarteten Jahresrechnungsbeträge während der Dauer des Vertrages ergibt. Das hat die erstaunliche Folge, dass die Leistungs­fähigkeit eines Bieters umso größer sein muss, je länger der Auftrag läuft. Bei einem zwei Jahre laufenden Auftrag liegt der Mindestjahresumsatz also beim Vierfachen des Jahresauftragswertes u.s.w. Ganz kurios wird es, wenn der Auftrag unbestimmte Zeit, möglicherweise nur wenige Monate andauern wird. Denn hier ist grundsätzlich der 48-fache Monatswert als Auftragswert anzunehmen, mit der Folge, dass ein Mindestumsatz bis zum 96-fachen des monatlichen Auftragswertes gefordert werden darf. Das OLG Jena geht sogar so weit, dass es dies nicht einmal mehr einer abstrakten Verhältnismäßigkeitskontrolle unterziehen mag. Es hat aller­dings bemängelt, dass der Auftraggeber im konkreten Fall nicht dokumentiert hat, warum er bei einer wohl nur einige Monate dauernden Laufzeit den 96-fachen monatlichen Auftragswert zugrunde gelegt hat. OLG Jena (Beschl. v. 02.08.2017, Az.: 2 Verg 2/17)

► REFERENZEN

im Außenbereich verlegt hatten. Die Frage nach der Zuordnung der Pflasterarbeiten einer Referenz zum Innen- oder Außenbereich war Gegenstand des Streits. Der Bieter hatte nämlich die Pflasterung in einem Parkhaus benannt. Dieses Pflaster liegt im Eingangsbereich und im Treppenhaus. Beide Bereiche sind durch seitliches Mauerwerk umgeben und überdacht. Sie weisen jedoch Schlitze im Mauerwerk auf, die dafür sorgen, dass jedenfalls die Innenund Außentemperatur gleich bleiben. Das genügt auch nach Auffassung der Vergabekammer nicht, um diese Pflaster dem Außenbereich zuzuordnen. Wesentlich für den Unterschied sei nämlich, ob Regen auf das Pflaster fallen könne. In einem solchen Falle müsse bei der Pflasterung die Abführung des Regenwassers sichergestellt sein. Genau dies ist aber nicht erforderlich, wenn der Regen weder von der Seite noch von oben in den gepflasterten Bereich eindringen könne. Die Referenz des Bieters war ungeeignet.

Janssen: Wir sind noch nicht ganz fertig mit den Beratungen im DVA. Der Hauptausschuss Allgemeines (HAA) übernimmt die fachliche Erarbeitung und legt einen Entwurf dem Vorstand des DVA vor. Das soll im Verlauf des Sommers geschehen. Daneben sollen auch noch ein paar Überarbeitungen im Teil C erfolgen. Wie es nach dem Beschluss des DVA-Vorstandes weitergeht, ist noch offen, weil wir auch im Oberschwellenbereich noch Änderungen durchführen wollen. Die Regelungen zu mehreren Hauptangeboten und zum Nachfordern von Unterlagen wollen wir in den zweiten und dritten Abschnitt übertragen und zudem redaktionell nachvollziehen, was sich 2016 im GWB und der VgV geändert hat, bspw. die Ersetzung des Signaturgesetzes durch die eIDAS-Verordnung.

Behörden Spiegel: Und wann soll der Prozess abgeschlossen sein? Janssen: Unser Ziel ist, Anfang 2019 eine neue Gesamtausgabe der VOB herauszugeben, mit überarbeitetem ersten, zweiten und dritten Teil VOB/A und den Änderungen im Teil C. Behörden Spiegel: Und was ist mit der VOB/B? Janssen: In den letzten zwei

Jahren haben wir hier intensiv über das neue Bauvertragsrecht diskutiert. Drei Szenarien waren denkbar: Entweder man lässt die VOB/B unverändert. Oder man übernimmt die Regelungen des BGB eins zu eins oder man nimmt das BGB zum Anlass, um die VOB/B eigenständig weiterzuentwickeln. Nach kontroversen Diskussionen insbesondere zum Anordnungsrecht und zur Nachtragsvergütung haben wir uns mit großer Mehrheit entschlossen, die VOB/B erst mal unverändert zu lassen und zu beobachten, wie sich die Rechtsprechung dazu entwickelt. Denn selbst wenn wir die VOB/B tendenziell an das neue Recht annähern wollten, wüssten wir wegen der Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen und den sich immer mehr abzeichnenden offen Fragen gar nicht, welche konkreten Formulierungen wir wählen sollten. Deshalb wollen wir abwarten, bis es zu einer gefestigten OLG- oder BGHRechtsprechung kommt.

Vergaberechtlich getrennt, trotzdem vereint Berlin vergibt Rahmenvertrag für stille Örtchen

VK Bund (Beschl. v. 17.10.2017, Az.: VK 2-112/17)

► ANFORDERUNGEN

Referenzleistung Unklarheit erfordert Rückversetzung Für den Neubau eines Straßenbahntunnels ist eine Zugsicherungsanlage erforderlich, welche die höchste Sicherheitsstufe derartiger Anlagen zu erfüllen hat. Dabei ist zu beachten, dass Eisenbahn- und Straßenbahnsicherungsanlagen grundsätzlich unterschiedlich arbeiten. Der Auftraggeber hatte daher festlegen wollen, dass er nur solche Referenzen von seinen Bietern akzeptieren werde, die sich auf Straßenbahnsicherungen beziehen. Dazu teilte er mit, dass die Referenzen Aufträge nach § 22 der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab) betreffen müssten. Der Auftraggeber wollte einen Bieter bezuschlagen, der Referenzprojekte aus Österreich und der Schweiz nachgewiesen hat, die auf den dem § 22 BOStrab vergleichbaren nationalen Vorschriften dieser Länder beruhten. Die Leistungsfähigkeit des Bieters hielt er mit diesen ausländischen Referenzen eindeutig für nachgewiesen. Ein Konkurrent bemängelte dies. Er verstand die Bezugnahme auf § 22 BOStrab nicht als Abgrenzung zu Eisenbahnsicherungen, sondern dergestalt, dass nur deutsche Referenzprojekte zugelassen seien, weil ja nur hier die BOStrab gelte. Die Vergabekammer gibt ihm Recht: Dieses Verständnis der Referenzforderung sei nicht abwegig. Damit war aber nicht für alle Bieter gleichermaßen klar, welche Referenzen gewertet werden sollten – mit der Folge, dass das gesamte Vergabeverfahren wiederholt werden muss. VK Baden-Württemberg (Beschl. v. 06.03.2018, Az.: 1 VK 60/17)

Innen kein Regen Außenbereich muss wasserfest sein Die Verlegung von Natursteinpflaster war Gegenstand einer strittigen Ausschreibung. Der Auftraggeber hatte gefordert, dass die Bieter ihm Referenzen nachweisen müssten für Voraufträge, bei denen sie mindestens 300 Quadratmeter Pflaster

Behörden Spiegel: Wie ist der Zeitplan für die Änderungen?

Aber: Um den zweiten und dritten Abschnitt in Kraft zu setzen, müssten die Verweise in der VgV bzw. in der VSVgV geändert werden. Da gibt es ein Verordnungsverfahren, da brauchen wir die Mitwirkung des Bundeswirtschaftsministeriums und die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Ich schätze, in diesem Zusammenhang muss die Bundesregierung eine Einigung über die Auslegung des Koalitionsvertrages finden.

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/ Rh. (Oppler Büchner Part GmbB)

(BS/jf) Das Vergabeverfahren für die Beschaffung, Errichtung und den Betrieb von öffentlichen ToilettenAnlagen in der Hauptstadt ist beendet. Und obwohl der Toilettenbetrieb von den Werberechten vollständig entkoppelt wurde, ist der alte Betreiber auch der neue. Darüber hinaus stehen auch in der Beschaffungsorganisation Neuerungen an. “Das Land Berlin wird mit den neuen Toilettenanlagen eine der größten und modernsten Infrastrukturen in diesem Bereich in ganz Europa erhalten”, schwärmt Regine Günther, Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Berlin gewinne durch diesen Auftrag deutlich an Lebens- und Aufenthaltsqualität. Insbesondere für Menschen, die auf öffentliche Toiletten angewiesen seien, würde sich die Lage spürbar verbessern. Aber auch wirtschaftlich sei das abgeschlossene Vergabeverfahren ein voller Erfolg. Der Rahmenvertrag ist für die nächsten 15 Jahre abgeschlossen worden. In den nächsten zwei Jahren sollen sämtliche bestehenden Einrichtungen des früheren Betreibers für die Notdurft modernisiert werden. Insgesamt entstehen 170 neue Toilettenhäuschen in Berlin. Hinzu kommen 23 neue Standorte. Alle werden künftig im Eigentum des Landes sein, das in der Vergangenheit nur 37 Anlagen besaß. Zusammen sind dies 230 Toilettenhäuschen, die auch künftig von der Wall GmbH betrieben werden. Hinzu kommen weitere 50 Anlagen, die nicht unter diese Ausschreibung fallen. Insgesamt 280 öffentliche Toiletten für Grundversorgung in der Hauptstadt. Für die Jahre ab 2021 kann eine Option zum Tragen kommen, die einen Ausbau um weitere 86 WCs vorsieht.

Über 100 Mio. Euro Mehreinnahmen Unabhängig von diesem Rahmenvertrag sind die Werberechte separat vergeben worden. Während bei Letzterem Einnahmen von 350 Mio. Euro zu Buche schlagen, kosten die Toiletten in der Grundversorgung 174,5 Mio. Euro plus 60 Mio. Euro für Unterhaltung und Betrieb der Brunnen durch die Berliner Wasserbetriebe. Damit beträgt die Differenz 115,5 Mio. Euro. Für die optionale Erweiterung belaufen sich die Kosten auf rund 68,5 Mio. Euro. Ein weiterer Effekt der getrennten Ausschreibung. Die Standorte der WCs sind nicht mehr abhängig von der Anzahl der Werbeanlagen, die ein Bezirk zur Verfügung stellen kann.

Zentrale Vergabestellen

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Darüber hinaus hat der Senat, nach Stellungnahme durch den

Rat der Bürgermeister, eine Vorlage beschlossen, wonach Senatsverwaltungen, Bezirksämter und nachgeordnete Sonderbehörden in eigener Verantwortung zentrale Dienststellen einrichten

sollen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die einzelnen Behörden und Verwaltungen davon Gebrauch machen und ob es z. B. zu bezirksübergreifenden Vergabestellen kommt.

Auch in Zukunft werden an Berlins öffentlichen Toiletten, wie hier am Alexanderplatz, Werbeplakate hängen, doch anders als früher bleiben die Häuschen nun im Besitz der Stadt und gehören nicht mehr dem Betreiber. Foto: BS/Karen Mardahl, cc-by-sa-2.0, flickr.com

qanuun-aktuell Geschwister im Geiste von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Die Perfidität von Korruptionsdelikten liegt in ihrem pädagogischen Konzept, das man auf Adam und Eva zurückführen kann. Bereits in grauer Vorzeit wurde Eva von der Schlange für den Rechtsbruch ein Vorteil versprochen. Die Geschichte endete bekanntermaßen nicht gut, zumal sich der Nachteil des Rechtsbruchs in den kommenden Generationen fortsetzte. Nun wissen Kriminologen, dass Amtsträger und ihre Geber nicht alle der Organisierten Kriminalität angehören. Allerdings gehört zu dem Versprechen eines Vorteils häufig die unausgesprochene (kleine) Erpressung, die unangenehme Konsequenzen in Aussicht stellt, wenn man den “Vorteil” ablehnt. Vorteilsgewährung/ Bestechung und Nötigung/ Erpressung sind häufig Geschwister im Geiste. Dahinter steckt der unbedingte Wille, seine Interessen durchzusetzen, egal wie. Das gilt umso mehr in einer Gesellschaft, in der Gruppen wachsen, die dem deutschen Rechtsstaat und seinen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden nichts bis wenig zutrauen und ständig ausloten, was denn alles noch toleriert wird. Es fängt mit Autorennen in Innenstädten an

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

und hört mit Messerattacken und Schießereien auf offener Straße wegen Bandenkriegen und nicht gezahlter Schutzgelder auf. Was ist zu tun? Seitens der Politik sollte von allen akzeptiert werden, dass Sympathie, politische Ausrichtung und ethnische Zugehörigkeit gesetzlich weder Strafausschließungsnoch Strafmilderungsgründe sind. Wer Verständnis für Täter zeigt, fällt damit den Strafverfolgungsbehörden in den Rücken. Gesetze sind nicht individuell disponibel. Für niemanden. Das sollte sich allerdings auch jeder klarmachen, der eine rote Ampel ignoriert.


Personelles

Behörden Spiegel / Juli 2018

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Niedersächsische Staatskanzlei Niedersächsische Staatskanzlei Planckstr. 2, 30169 Hannover Telefon: 0511/120-0 Telefax: 0511/120-6830 E-Mail: poststelle@stk.niedersachsen.de Internet: www.stk.niedersachsen.de

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Niedersächsische Staatkanzlei Stand: Juli 2018

Ministerpräsident Stephan Weil Foto: BS/© Staatskanzlei MF, Henning Stauch

Presse- und Informationsstelle der Landesregierung Sprecherin der Landesregierung Staatssekretärin Anke Pörksen -6946 Presse, Information, Internet Dr. Gert Hahne (1. stellvertr. Sprecher) Olaf Reichert (2. stellvertr. Sprecher)

Chef der Staatskanzlei Staatssekretär Dr. Jörg Mielke

-6938 -6945

Abteilung 2

Referatsgruppe 3

Recht, Verwaltung, Medien, Internationale Zusammenarbeit Kolja Baxmann -6931

Ressortkoordinierung MS, Migration und Teilhabe Roland Irek -6803

Referat 201 Recht und Verfassung, Ressortkoordinierung und -planung MJ sowie MI (Projekt Aufgabenanalyse, IT), Archivwesen, Deregulierung, Amtsblattstelle Sylvia Hagemann -6928

Referat 31 Verbindungsbüro zur Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe Julia Hoppenstedt -6806

Richtlinien der Politik, Ressortkoordinierungund -planung Veronika Dicke (m.d.W.d.G.b.) -6814

-6756

Referat 102 Landtag, Kabinett, MP-Konferenzen, Bundesrat und Bundestag, Norddeutsche Zusammenarbeit, Ressortkoordinierungund -planung MB Christiane Thies -6975 Referat 103 Ressortkoordinierung und -planung MW Dr. Sebastian Herbeck Referat 104 Ressortkoordinierungund -planung MU, ML Dr. René Lüddecke Referat 105 Ressortkoordinierungund -planung MWK, MK Burkhard Rahe

-6738

-6961

-6740

Referat 106 Regierungsplanung,Grundsatzfragen, Demografie Heinrich Heggemann -6782

-6903 -6905 -6905

Gleichstellungsbeauftragte Dagmar Sternbeck 6744

Persönlicher Referent CdS Norman Ilsemann -6912

Abteilung 1

Referat 101 Ressortkoordinierung und -planung MI, MF Hans-Heinrich Gronau

Persönliches Büro Lars Wegener Adis Ahmetovic Anne Bartels

Referat 32 Migration und Teilhabe (Grundsatzfragen und Koordinierung) Dr. Dursun Tan -8481

Referat 202 Personal, Ressortkoordinierung öffentliches Dienstrecht, Personalentwicklung Anna Eckermann -6870

Referat 33 Ressortkoordinierungund -planung MS, Projekte Roland Irek -6803

Referat 203 Protokoll, Orden Dr. Matthias Woiwode

-6730

Referat 204 Haushalt, Organisation, Innerer Dienst Wolfgang Bornemann

-6886

Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe Doris Schröder-Köpf -6802

Referat 205 Medien, Film Nils Christian Rohrbach

-6926

Referat 206 Arbeitsgruppe Rechtsvereinfachung (Normprüfung, Vereinfachung geltenden Landesrechts, Gesetzesfolgenabschätzung) Dr. Andreas Menzel -6753 Referat 207 Internationale Zusammenarbeit, Entwicklungspolitik Nicole Ewert-May -6787

Niedersächsisches Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung Stand: Juli 2018

Niedersächsisches Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung Windmühlenstr. 1–2, 30159 Hannover Telefon: 0511/120-0 Telefax: 0511/120-6830 E-Mail: poststelle@mb.niedersachsen.de Internet: www.mb.niedersachsen.de

Foto: BS/© mb Niedersachsen

Ministerin und Bevollmächtigte des Landes Niedersachsen beim Bund Birgit Honé Staatssekretärin Jutta Kremer

Gleichstellungsbeauftragte Stefanie Sembill LV Berlin-1603

Büro der Ministerin Dr. Kirsten Meyer Gregory Mouanga

-6797 -6799

Presse N.N.

-8492 Wera Bauseneick

Referatsgruppe Z

Abteilung 1

Abteilung 2

Abteilung 3

N. N.

Regionale Entwicklung, EU-Förderung Petra Schulz -8432

Europa N. N.

Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund, Dienststellenleitung N.N.

Referat Z 1 Kabinett und Landtag, Konferenzen, Bundesratskoordinierung, internationale Zusammenarbeit des MB, Justiziariat N.N. Referat Z 2 Personal Thorsten Schumacher

-9730

Referat Z 3 Haushalt, Organisation, Innerer Dienst, Designierende Stelle Rainer Hahne -9740 Referat Z 4 Koordinierung von Ressortvorhaben, Projekte Dr. Holger Meyer -8441

Referat 101 Strategische Planung, Grundsatzfragen der Regionalen Entwicklung

Referat 201 Europapolitik und Europarecht Dr. Albrecht Wendenburg

-8467

N.N. Referat 102 Regionale Landesentwicklung, Metropolregionen Dr. Stephan Löb -8462 Referat 103 Verwaltungsbehörde EFRE und ESF, ELER-Koordinierung Jens Mennecke

-8466

Referat 104 Strategische Entwicklung der EU-Förderung und Koordinierung, Interreg Karin Beckmann -8475

Referat 202 Koodinierung europ. Fachpolitiken Dr. Wolfgang Langhorst

-9720

Referat 203 Europäisches Informations-Zentrum (EIZ), Öffentlichkeitsarbeit zu Europa Michael Buckup -8882 Referat 204 Vertretung des Landes Niedersachsen bei der Europäischen Union – Brüssel – Michael Freericks 0032/223508-10

Referat 301 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen, Wirtschaftsdienst Matthias Janott 030/72629-1700 Referat 302 Politische Kommunikation, Verwaltung Michael Busemann 030/72629-1650 Referat 303 Recht, Bundesrat, Vermittlungsausschuss, Verteidigung, Auswärtige Angelegenheiten, innere Angelegenheiten, Bauwesen und Städtebau, Raumordnung Michael Kellner 030/72629-1506 Referat 304 Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Verbraucherschutz, Wirtschaft und Verkehr, Umwelt, Naturschutz und Energie, Europa Dr. Klaus Herwig 030/72629-1610 Referat 305 Gesundheit, Kultur, Medien, Bildung, Wissenschaft, Forschung, Arbeit und Sozialpolitik, Familie und Senioren, Frauen und Jugend, Finanzen Birgit Mysegades 030/72629-1552

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

Vertretung des Landes Niedersachsen bei der Europäischen Union Rue Montoyer 61, 1000 Bruxelles, Belgien Telefon: 0032/223-00017 Telefax: 0032/223-01320 E-Mail: poststelle@lv.niedersachsen.eu

Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund In den Ministergärten 10, 10117 Berlin Telefon: 030/72629-1500 Telefax: 030/72629-1567 E-Mail: poststellelv@mb.niedersachsen.de


Diplomaten Spiegel

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4

.000 Jahre später heißt er Nil, denn die Chefs dort, Pharaonen, meinen, dass alles seine Ordnung braucht, erfinden ganz nebenbei das Lesen und Schreiben, die Verwaltung, das Beamtentum und bevorzugen, oh Isis und Osiris, starke Frauen. Im 14. Jhdt. v. Chr. zum Beispiel drängt eine, sie ist von Haus aus Hauptgemahlin und irgendwie nicht ausgefüllt, ihren Gatten, den Pharao Echnaton, zum Jobsharing: “Also drei Mal die Woche ich, sonntags nie, den Rest du…” Nofretete, wie die couragierte Schöne heißt, wird es nach über 3.000 Jahren schließlich zur beständigsten Botschafterin ihres Landes bei uns bringen. Ihre Büste steht seit 1924 im Berliner Ägyptischen Museum. Eine andere Powerfrau der Antike, Kleopatra, wird 51 v. Chr. als 18-Jährige, gemeinsam mit ihrem zehnjährigen Bruder Ptolemaios, Königin im Palast von Alexandria. Sie verführt zwei mächtige römische Feldherrn, um ihr Reich zu retten: Julius Cäsar und Marcus Antonius. Aber das ist eine andere Geschichte... Und im Übrigen soll diese nicht als Sofa, sondern als Sprungbrett in die Gegenwart benutzt werden und um die zu verstehen, darf schon mal in die Vergangenheit geschaut und der “Mantel der Geschichte” gelüpft werden.

Ägypten hat sich positiv entwickelt Ein Gespräch mit Botschafter Dr. Badr Abdelatty in Berlin (BS/ps) Einst ward es von zehn Plagen heimgesucht – so steht es geschriebenen. Obwohl diese biblischen Katastrophen nicht belegt sind, wird die achte Plage mit den Heuschrecken von Politkern bis heute immer wieder gerne erwähnt. Schreiben wir also über Ägypten, dessen Epochen voller Geschichten und Legenden sind. Wahren, fast wahren oder wahrlich gut erzählten. Etwa die um die Pyramiden von Gizeh, den einzigen noch erhaltenen von dereinst sieben antiken Weltwundern, wo selbst der Gallier Obelix die Nase der Sphinx abbricht (vgl. Asterix Band II, S.21 f.)... Wie auch immer, alles beginnt vor circa 7.000 Jahren, am längsten Fluss der Welt.

Behörden Spiegel / Juli 2018

as-Sadat aus. Seine Entscheidung, den gordischen Knoten der sich immer wieder gefährlich hochschaukelnden Nahostkrise durch einen gewagten, “friedlichen Schwertstreich” zu durchtrennen, sichert bis heute den Frieden zwischen dem Araberstaat und dem Staat der Juden. “Ägypten spielt auch bei der Versöhnung der beiden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah eine wichtige Rolle. Wir fordern eine politische Lösung, eine militärische gibt es dafür nicht, und diese kann nur lauten: Land gegen Frieden, Gründung zweier unabhängiger Staaten in den Grenzen vom­ 4. Juni 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt der Palästinenser”, erläutert der Botschafter weiter.

Notwendige Maßnahmen

Seit über zwei Jahren im Amt

“Beim letzten Gipfeltreffen in Saudi Arabien haben die Staatsoberhäupter der arabischen Staaten einstimmig abgelehnt, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, weil dies sehr nachteilige Auswirkungen auf die Zukunft der Region habe. Eine wichtige Voraussetzung für den Frieden ist die Beseitigung der gesamten nuklearen, biologischen, chemischen Waffen aus der Nahost-Region, wobei Ägypten bereits eine Initiative ergriffen und zudem auch den Vertrag zur Nicht-Verbreitung von Atomwaffen ratifiziert hat.” “Das iranische Atomabkommen wird von der ägyptischen Seite als wichtiger und notwendiger erster Schritt betrachtet, an den jedoch weitere Maßnahmen angeknüpft werden sollten, z. B. die Nichteinmischung in die inneren

Das heutige Ägypten ist flächenmäßig knapp drei Mal größer als Deutschland, hat 95 Millionen Einwohner, wesentlich höhere Jahrestemperaturen und mit Seit September 2015 für Ägypten in Deutschland: Seine Exzellenz Botschafter Dr. Badr Abdelatty Fotos: BS/Dombrowsky Dr. Badr Abdelatty einen uns sehr gewogenen Botschafter. Der 52-Jährige kommt 1989 nach dem Wirtschafts- und Politikstudium an der Universität Kairo MOLOKHIA ins Außenministerium der ägypZubereitung: Zutaten: tischen Hauptstadt und ist dort­ Molokhia (Langstielige Jute, Muskraut) 1. Öl in einem kleinen Topf erhitzen und den 1 Packung tiefgekühlte Molokhia (komplett ist wohl eines der ägyptischsten Gerichte u. a. verantwortlich für den Nahgepressten Knoblauch darin leicht anbräuaufgetaut) oder 1 kg gehackte Blätter (frisch überhaupt. In Hotels wird Molokhia oft am ost-Friedensprozess. Nach Statinen, dann Koriandersamen dazugeben und bzw. getrocknet) ägyptischen Abend als Suppe angeboten, onen in Tokio und Washington 30 Sekunden bräunen. 2 Knoblauchzehen dabei essen Ägypter sie normalerweise wie leitet er die Abteilung Palästina 2. Molokhia in die siedende Brühe geben, 1 EL zerstoßene Koriandersamen Gemüse mit Reis oder sie tunken Fladenbrot im Außenministerium, kommt umrühren, Hitze reduzieren, da Molokhia 300 ml siedende Brühe in Molokhia. 2008 an die ägyptische Botschaft nicht richtig kochen soll. Öl Im Sommer gibt es in Ägypten frische in Brüssel, wird 2013 stellvertre3. Die brutzelnde Knoblauch-Koriander-MiMolokhia auf dem Markt, tiefgefroren oder tender Außenminister und im schung in die heiße Molokhia gießen, sodass getrocknet ganzjährig im Supermarkt. September 2015 Botschafter der es zischt. Mit Reis und Fladenbrot servieren. Frische Molokhia muss erst verlesen (Stiele Arabischen Republik Ägypten in entfernen), gewaschen und dann abgetrockDeutschland. Die Brühe ist in diesem Fall der Geschmacksnet werden. Das klappt sehr gut mit einer Lob für die Brückenbauer geber und sollte zum servierten Fleisch pasSalatschleuder. Dann werden die Blätter mit sen. Gibt es z. B. Tauben, Hase oder Huhn, einem Wiegemesser sehr fein gehackt. Dabei “Das ist eine große Ehre für benutzt man die Brühe für die Molokhia. treten schon die schleimigen Pflanzensäfte mich, da Deutschland als viertGuten Appetit! Bilhana wa Schifa! aus und die gehackte Masse wird klebrig. größte Volkswirtschaft der Welt großen Einfluss in der EuropäiSchmücken den Eingangsbereich: Die Foto: BS/uckyo©Stock.Adobe.com Flaggen Deutschlands und Ägyptens. schen Union wie auch im Nahen Osten hat. Ich schätze die guten Und während der Botschafter hat mit der Anerkennung Je- ist ohne Lösung der Palästin- Angelegenheiten der arabischen Beziehungen zwischen Kanzle- form, die meine Regierung mit rin Angela Merkel und Präsident Unterstützung des Internatio- den Blick nach vorne richtet, rusalems als Hauptstadt durch afrage schwer erreichbar. Die Staaten und die AufrechterhalAbdel Fatah El-Sisi, die sich in nalen Währungsfonds (IWF) in geht er auch zurück auf die die US-Regierung endlich sein Bedeutung des Friedens hat sich tung guter Beziehungen zu den den vergangenen vier Jahren Gang gesetzt hat, schafft enormes “Übergangszeit” zwischen 2011 Ziel erreicht und ein weiteres, durch den Besuch des ehema- Nachbarstaaten”, fordert der insgesamt sechs Mal getroffen Investitionspotenzial für deut- und 2013. Ägypten leidet un- nämlich das ungeliebte Nuk- ligen ägyptischen Präsidenten 52-Jährige. haben – letztmalig beim G-20-Af- sche Unternehmen. Der deut- ter der schwachen Wirtschaft, learabkommen zwischen Iran, Muhammad Anwar as-Sadat am rika-Gipfel in Berlin. Zu meinen sche Technologietransfer nach die Zivilgesellschaft wird stär- den fünf Uno-Vetomächten und 19. November 1977 in Jerusalem Einmal Professor sein Hauptaufgaben zählt daher die Ägypten sowie der Austausch ker eingeschränkt als jemals Deutschland in die Tonne zu gezeigt”, berichtet Abdelatty. In Letzte Frage – was vermisst BotVertiefung unserer politischen, von Know-how in der technischen zuvor und die “Arabellion” von drücken, beinahe auch schon. Folge davon konnte der israe- schafter Dr. Abdelatty hier in wirtschaftlichen und kulturellen Ausbildung sind wichtige Pfei- 2011 bringt nichts. 2012 wird Donald Trump macht’s möglich – lisch-ägyptische Friedensvertrag seinem Gastland? “Meine Heimat, Beziehungen. Die Wirtschaftsre- ler der bilateralen Beziehungen. Mohammed Mursi, ein Kandidat neuer Nahost-Krieg hin oder her. am 26. März 1979 in Washing- denn Ägypten ist nicht nur ein ton von Israels Ministerpräsident Land, in dem wir wohnen, sonAuch im kultu- der Muslimbruderschaft, Prärellen und wis- sident und, nach erneuten Un- Ägyptens Initiative sichert Menachem Begin und Ägyptens dern das auch in uns wohnt. Was Frieden senschaftlichen ruhen, 2013 wieder abgesetzt. Präsident as-Sadat unterzeich- uns in Deutschland gefällt, ist die Bereich arbei- Sein Nachfolger ist Feldmarschall “Der palästinensisch-israelische net werden. US-Präsident Jim- Pünktlichkeit und die Direktheit ten wir sehr Abdel Fattah el-Sisi, der auch Konflikt ist der Ursprung der my Carter unterschreibt, wie der Deutschen und besonders gut zusammen. die diesjährige Wahl gewinnt. Instabilität und der regionalen auch schon das vorangegan- die multikulturelle Hauptstadt Sie sind die Und seither geht’s bergauf, findet Konflikte in Nahost und eine Bei- gene Camp-David-Abkommen, Berlin. Dennoch würde ich gerne Brückenbauer Botschafter Abdelatty: “Ägypten legung des Konflikts bzw. die als Zeuge. Die Initiative zu dem mal mit einem Professor einer zwischen un- hat sich positiv entwickelt. Das Wiederherstellung des Friedens Abkommen ging vom Ägypter Universität tauschen.” seren Völkern. Wirtschaftswachstum steigt um Ebenfalls zu über vier und wir erwarten sieerwähnen ist ben Prozent in den kommenden die Kooperation Jahren. Wir bauen den neuen im Tourismus. Suezkanal, erweitern die dortige Ägypten zählt Wirtschaftszone, investieren in zu beliebten die Infrastruktur und planen eine R e i s e z i e l e n neue Hauptstadt mit Regierungsd e u t s c h e r sitz auf halber Strecke zwischen Urlauber. Rund Kairo und Suezkanal.” 1,2 Millionen In zwölf Jahren soll “Sisity” fertig h a b e n u n s sein und fünf Millionen Menim Jahr 2017 schen sollen dort dann leben. besucht. Wir Kosten der Stadtentwicklung: hoffen darauf, 75 bis 80 Milliarden US-Dollar. dass sich ihre So der Plan. Derweil hat man in Anzahl in den der Region ganz andere bereits Ziert die Botschaft: Ein Modell der königlichen Barke von Pharao Cheops, dem Erbauer der gleichnamigen Pyramiden, Inbegriff ägyptischer Kunst: eine Replik der Totenmaske nächsten Jah- mehr oder weniger umgesetzt. die zu den sieben Weltwundern zählen. Die Barke ist das besterhaltene Schiff ihrer Zeit und misst im Original 43 Meter ren verdoppelt.” Nachbar Israel im Nordosten in der Länge und knapp sechs Meter in der Breite. des Tutanchamun

Botschafters Rezept


Gesundheit am Arbeitsplatz

Behörden Spiegel / Juli 2018

F

rau Müller erlitt mit 59 im Büro einen Schlaganfall. Dank der schnell reagierenden Kollegen, einem kurzen Weg zum Krankenhaus und einer umfassenden Behandlung ist sie nach sechs Wochen wiederhergestellt und geht zur Arbeit. Allerdings bleibt die Angst: Wird so etwas wieder passieren? Ihr Chef begrüßt sie mit den Worten: “Gut, dass sie wieder da sind, da ist ein riesiger Berg Arbeit liegen geblieben, also ran an die Arbeit.” Nach einer Woche ist Frau Müller wieder krankgeschrieben – wegen Panikattacken. “Genau so sollten sie es nicht machen”, sagte Di­p lom-Psychologin Barbara­ Schade auf der ersten Tagung “Zukunft Führung” des Behörden Spiegel zu den über 50 Teilnehmern.

Bis zu zwei Mrd. Euro Ersparnis Durch Anerkennung der Arbeit und Wertschätzung der Person lassen sich mehreren Studien zufolge die Krankenstände reduzieren. Die Auswirkungen für den Arbeitgeber sind nicht zu unterschätzen. Durchschnittlich seien die Mitarbeiter zwei Tage weniger krank, berichtet die DiplomPsychologin. Ein Fehltag eines Beamten oder Tarifangestellten in der Verwaltung schlage ungefähr mit 223 Euro Personalkosten zu Buche. Bei rund 4,5 Mio. Menschen, die im Öffentlichen Dienst arbeiteten, seien dies rund zwei Mrd. Euro bei zwei Fehltagen, rechnet Schade vor. Ein nicht unerheblicher Betrag von, letztlich, Steuergeldern.

Dopamin, Oxytocin und Endorphin Medizinisch gesehen führe die Wertschätzung von Vorgesetzten zur Freisetzung von Dopamin, Oxytocin und von Endorphinen im menschlichen Körper, so Schade. Ersteres steigert die

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Anerkennung und Wertschätzung Gesundheit am Arbeitsplatz hängt vom Verhalten der Führungskräfte ab (BS/Jörn Fieseler) “Der Vorgesetzte beeinflusst die Gesundheit seiner Beschäftigten häufig mehr, als ein behandelnder Arzt es je vermag”, sagte schon Dr. Andreas Tautz, Chief Medical Officer bei der Deutschen Post. Dabei geht es weniger um Arbeitsschutzmaßnahmen, wie eine Gefährdungsbeurteilung oder um ergonomisches Sitzen. Dies sind zwar auch nicht zu unterschätzende Faktoren, doch vor allem geht es um das Thema Führung. Gesundes Führen heißt, dafür zu sorgen, dass sich alle – die Führungskräfte inbegriffen – am Arbeitsplatz wohler führen. Doch welche Schritte sind dafür notwendig? Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit, das Zweite wirkt als Gegengift für Stress und die Glückshormone steigern wiederum das Wohlbefinden. Zudem hätten die Beschäftigten weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgrund geringerer Gratifikationskrisen. Dabei handelt es sich um ein von Johannes Siegrist bezeichnetes Modell der Krankheitsentstehung aufgrund mangelnder Entschädigung erbrachter Leistungen.

unfreundlich. “Eine Führungskraft muss erkennen, was jeder an Wertschätzung braucht”, stellt Vogel den wichtigsten Punkt heraus. Dies gelinge über die Kommunikation. Ziel müsse sein, den Gefühlsbereich des Gegenübers zu erreichen, den sprichwörtlichen Bauchraum. Und letztlich sei es Aufgabe einer Führungskraft, Konflikte zu thematisieren. Dies gelinge am besten, ohne Vorwürfe an den Arbeitskollegen zu machen, indem man mit Ich-Botschaften argumentiere, so die Ausbilderin. Und hinsichtlich besonders schwieriger Mitarbeiter? Da gebe es im Endeffekt keinen Unterschied, meint Vogel. Denn: Schwierig seien Mitarbeiter nur, wenn man nicht wisse, wie man mit ihnen umzugehen habe.

Vier Stellschrauben Neben der Wertschätzung hätten Führungskräfte noch drei weitere Stellschrauben, die sie selbst beeinflussen könnten, sagt Ilona Vogel, Ausbilderin und früher selbst Führungskraft im Öffentlichen Dienst. Vor allem die Haltung sei entscheidend. Sie verdeutlichte dies an dem sogenannten Bewusstseinsrad. Dieses besteht aus den fünf Teilen Sinneswahrnehmung, Gedanken, Gefühle, Wünsche und Handeln. Durch Sinneswahrnehmungen macht sich der Mensch Gedanken, die von Gefühlen beeinflusst werden und in Wünsche übergehen, die sich dann im konkreten Handeln ausdrücken – so die Zusammenfassung. Dabei seien die Bereiche Gedanken, Gefühle und Wünsche Aspekte aus dem Inneren einer jeden Persönlichkeit. Jede Führungskraft müsse also bei sich selbst anfangen, die eigene Haltung in den Blick nehmen und ohne Vorurteile oder Abneigungen

Loben, Zeit nehmen und auf zwei Welten achten

Auf den Führungsstil kommt es an: Wertschätzung der Beschäftigten und ­Anerkennung ihrer Arbeit steigert deren Wohlbefinden. Das Gegenteil, wie hier, führt zu Demotivation und innerer Kündigung und treibt den Krankenstand hoch. Foto: BS/Jürgen Jotzo, pixelio.de

auf Kollegen oder Teammitglieder zugehen, rät Vogel. Dies müsse sich auch in der Wertschätzung der Beschäftigten zeigen. Ausdruck von Wertschätzung sei nicht nur Lob, sondern auch,

sich Zeit zu nehmen für alle Mitarbeiter gleichermaßen und ihnen freundlich zu begegnen. Wobei unterschieden werden müsse: Was für den einen freundlich sei, empfinde der andere vielleicht als

“Ich begegne allen Menschen als Gleichberechtigten und nicht als disziplinarisch Vorgesetzter”, bringt es Peter Wirtz, Bürgermeister der Stadt Königswinter, auf den Punkt. Und Martina Dierks, Leiterin der Zentralen Vergabestelle im Kreis Soest, ergänzt mit Blick auf neue Herausforderungen wie die Digitalisierung: Führungskräfte müssten die Mitarbeiter da abholen, wo diese stünden. Der Chef müsse loben, sich Zeit nehmen, eigene Fehler zugeben und auf jeden eingehen, fasst Schade die Anforderungen zu-

sammen. Tut er dies nicht, seien zwei Mal so viele Mitarbeiter erschöpft und vier Mal so viele depressiv wie sonst. Das zeige aber auch: Trotz aller Führung könne es immer Fälle von Krankheiten und Depressionen geben. Die Führungskraft sollte deshalb die Welt in zwei Bereiche unterteilen, rät Stefan Scholer. Es müsse unterschieden werden zwischen der veränderbaren Welt und der nicht veränderbaren, so der Leiter Aus- und Fortbildung der Landeshauptstadt München. “Erfolgreiche Führungskräfte konzentrieren sich auf den Bereich, den sie verändern können”, unterstreicht er. Und drei weitere Aspekte seien von enormer Bedeutung. Führungskräfte müssten klare Ansagen machen, die konsequent seien und die Konsequenzen, die sich aus den klaren Ansagen ergäben, im Blick haben und bei den Themen, die einer Führungskraft besonders wichtig seien, auch Präsenz zeigen.

Als Führungskraft Menschen mögen Nur so könne dem sogenannten, aus dem Englischen stammenden, Begriff der VUCA-Welt entgegengewirkt werden. Diese sete sich aus den Begriffen Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz zusammen, erläutert Jörg Schönberg, fachlicher Leiter der Veranstaltung und selbst Sportwissenschaftler und Coach. Alles sei schnelllebiger geworden, Ausgänge von Ereignissen oder Reaktionen von Menschen seien nicht mehr vorhersehbar. Die Dinge seien nicht nur komplizierter geworden, sondern würden mit einer Vielzahl von Faktoren zusammenhängen, wodurch es keine Ableitungen mehr gäbe und alles mehrfach zu deuten sei. Eines aber sei unabdingbar: “Als Führungskraft müssen Sie Menschen mögen”, sagte Schade abschließend.


Gesundheit am Arbeitsplatz

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Hohe Bußgelder drohen

Weitere Wünsche trotz rosiger Zeiten

Mutterschutzgesetz greift zum Beginn des kommenden Jahres

PKV sieht Verbesserungsmöglichkeiten im Gesundheitssystem

(BS/jf) Die allgemeine Gefährdungsbeurteilung ist seit Langem fester Bestandteil des Arbeitsschutzes. Seit einigen Jahren gehört auch die psychische Gefährdungsbeurteilung zu den Pflichtdokumenten, die ein Arbeitgeber vorweisen muss und worüber er seine Mitarbeiter einmal jährlich zu unterrichten hat. Ab 2019 wird eine dritte Beurteilung zur Pflicht.

(BS/jf) Würden von heute auf morgen sämtliche Beitragszahlungen abgeschafft, konnten die Privaten Krankenversicherer für ihre rund neun Mio. Mitglieder die Leistungsausgaben in den kommenden neun Jahren übernehmen. Denn: Die Rücklagen haben die Rekordsumme von 250 Mrd. Euro durchbrochen. Grund zum Feiern sieht die Branche trotzdem nicht.

Bis zum 31. Dezember 2018 gilt noch die Übergangsfrist für die Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz. Sie betrifft jeden Arbeitsplatz, egal ob in einer Behörde oder einem öffentlichen oder privaten Unternehmen. Der Arbeitgeber soll sich mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Arbeitsplatz eine mögliche Gefährdung für eine Schwangere oder eine stillende Mutter ist. Unabhängig davon, ob der Arbeitsplatz überhaupt mit einer Frau besetzt ist. Die Entschuldigung, auf dem Arbeitsplatz arbeiten nur Männer, zählt also nicht. Ziel dieser Regelung ist, dass Arbeitgeber frühzeitig Maßnahmen ergreifen können, wenn eine Be-

12,3 Mrd. Euro hat die PKV im vergangenen Jahr an Altersrückstellungen gebildet, jeden Tag rund 34 Mio. Euro, rechnet der Vorsitzende des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV), Uwe Laue, vor. Trotz der langjährigen und weiter andauernden Niedrigzinsphase konnte der Kapitalstock der Versicherer eine Nettoverzinsung von 3,5 Prozent erwirtschaften. Anders im umlagefinanzierten System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dort würden die Rücklagen von 26 Mrd. Euro Ende 2017 die Ausgaben für deren Mitglieder “für nur fünf Wochen decken”, so Laue weiter. Die Zahlen verdeutlichen, wie unterschiedlich die Systeme sind und warum sie nicht einfach zu einer Bürgerversicherung zusammengeführt werden können. Auch in der Pflegeversicherung manifestieren sich die Unterschiede. Zu Beginn der Pflegeversicherung, 1995, seinen die Beiträge in der PKV für diese Versicherung deutlich höher gewesen als innerhalb der GKV. Schließlich galt es, nicht nur aktuelle Pflegefälle zu finanzieren, sondern parallel auch einen Beitrag für den Aufbau von Altersrückstellungen abzufordern. Inzwischen habe die gesetzliche Pflegeversicherung die private überholt. Durchschnittlich 40 Euro Monatsbeiträge stehen 37 Euro gegenüber, ausgehend von 14 Euro (GKV) zu 29 Euro (PKV).

Arbeitgeber müssen eine “Gefährdungsbeurteilung Mutterschutz” vorweisen, ansonsten drohen hohe Bußgelder. Foto: BS/JMG, pixelio.de

schäftigte eine Schwangerschaft meldet. Der gesetzliche Auftrag

dazu ergibt sich aus § 10 Abs. 2 Mutterschutzgesetz (MuSchG). Des Weiteren normiert das Gesetz die Pflicht, die Schwangerschaft unverzüglich der zuständigen Arbeitsschutzbehörde mitzuteilen, damit diese überprüfen kann, ob der Arbeitsplatz schwangerschaftsgerecht eingerichtet ist und keine die Schwangerschaft gefährdende Situation vorliegt. Die in der Gefährdungsbeurteilung aufgelisteten Maßnahmen sollen dann zum Tragen kommen. Liegt eine solche Bewertung nicht vor, drohen dem Arbeitgeber ab dem 1. Januar 2019 zwischen 5.000 und 30.000 Euro Bußgeld.

MELDUNG

BGM wird immer wichtiger (BS/jf) Jeder zweite Beschäftigte scheidet vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus, davon jeder siebte (13,5 Prozent) wegen Berufsunfähigkeit. Dies geht aus dem diesjährigen Gesundheitsbericht der Techniker Krankenkasse (TK) hervor. “Das sind Zahlen, die uns zu denken geben sollten”, mahnt der TK-Vorstandsvorsitzende Dr. Jens Baas. Es müsse dafür ge-

sorgt werden, dass die Menschen länger leistungsfähig blieben und überhaupt bis zum Rentenbeginn arbeiten könnten. Arbeitgeber können dies durch ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) unterstützen. Der Maßnahmenkatalog ist breit gefächert und reicht von individuellen ergonomischen Arbeitsgeräten über flexible Arbeitszeitmodelle und Telearbeit

bis zur Beratung für pflegende Angehörige. Aber auch neue Schichtmodelle sind denkbar. Ein solches haben beispielsweise die Berliner Wasserbetriebe mit den Mitarbeitern und der Arbeitnehmervertretung entwickelt, um die Belastungen durch Schichtarbeit zu reduzieren, wie Kristin Kroboth, Leiterin des BGM der Berliner Wasserbetriebe, mitteilt.

Puristisch, zeitlos, nachhaltig

Fordert Erleichterungen für privat Versicherte: Uwe Laue, Vorsitzender des PKV-Verbandes. Foto. BS/PKV-Verband

Aber: Für die Schaffung neuer Pflegestellen und die Pläne der neuen Bundesregierung, sprich von Gesundheitsminister Jens Spahn, müssten die Beiträge weiter steigen. Allein für den Stellenausbau, der durch die Beitragszahler finanziert werden soll, würden die Beiträge schätzungsweise um zehn bis 20 Euro im Monat steigen.

Verstetigung der Beiträge “Wenn die Koalition den Anspruch erhebt, die Lage der Beitragszahler zu verbessern, zum Beispiel durch die Rückkehr zur Beitrags-Parität in der GKV oder durch niedrigere Beiträge für gesetzlich versicherte Selbstständige, dann steht sie auch in der Pflicht, etwas zur Entlastung der Privatversicherten zu tun”, fordert Laue. Zuvörderst müsse die Zinsentwicklung als weiterer auslösender Faktor für Beitragserhöhun-

gen etabliert werden. Bislang gehören zu diesen Parametern nur die Sterblichkeit und die Entwicklung der Leistungen. Und erst wenn bestimmte Mindestgrenzen von fünf oder zehn Prozent erreicht sind, dürfen die Beiträge angehoben werden. Dies passiert zwar immer in mehrjährigen Zeitabständen, dann sind die Anstiege jedoch gewaltig. Außerdem sollten die Mindestgrenzen auf drei Prozent abgesenkt werden. Dadurch würden Zeitabstände und Erhöhungen deutlich verringert, die Steigerungen kontinuierlicher, aber moderater ausfallen.

Schieflage bei Wahlfreiheit Zu den Entlastungen für die PKV gehört laut Laue auch die Wahlfreiheit zwischen beiden Systemen. Für ihn sei es befremdlich, dass etwa mit dem Hamburger Sonderweg für die Krankenversicherung von Beamten der Weg in die GKV erleichtert werden soll, jedoch nichts unternommen werde, den Weg in die PKV zu ebnen. Denkbar wäre aus seiner Sicht eine Absenkung der Beitragsbemessungsgrenze. Diese liegt aktuell bei 59.400 Euro. Damit gewänne man nur Kunden, die zwar GKV-Nettozahler seien, aufgrund ihres Alters aber PKVNettoempfänger würden. Statt der knapp 60.000 Euro sollte die Beitragsbemessungsgrenze auf 50.000 Euro abgesenkt werden.

Wie Kautschukböden moderne Office-Konzepte unterstützen (BS/Doris Janik*) Die Anforderungen an eine moderne Arbeitsumgebung haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Wo das klassische Einzelbüro zunehmend von Open- oder Multispace-Offices abgelöst wird, sind flexible Gestaltungskonzepte gefragt. Es gilt, die konzentrierte Einzelarbeit ebenso zu fördern wie rege Kommunikation in der Gruppe. Darauf legt auch das international tätige Architekturbüro blocher partners Wert und entschied sich beim Boden für seine Mannheimer Niederlassung für noraplan uni von nora systems. Der Kautschukboden unterstützt mit seiner puristischen Optik im wahrsten Sinne des Wortes das “leise” Design der Räume. Denn er vermindert durch seine Dauerelastizität den Trittschall und reduziert so die Geräuschkulisse. Aufgrund ihrer extrem dichten Oberfläche sind Kaut­ schukböden darüber hinaus äußerst strapazierfähig, lassen

Für mehr Begeisterung Führung bei Motivationshemmnissen und innerer Kündigung (BS/Claudia Christine Siegel) Schlechte Nachrichten für Vorgesetzte: Das Gros der Beschäftigten macht Dienst nach Vorschrift! Dies belegt die aktuelle Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Gallup, die sich mit der Mitarbeiterbindung und der Motivation von Mitarbeitern befasst. Danach sind nur 15 Prozent der Mitarbeiter mit Hand, Herz und Verstand bei der Arbeit. Und 70 Prozent der Mitarbeiter sind emotional gering gebunden und zeigen deswegen weniger Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein. Zudem sind die weitere Folge von Motivationshemmnissen und einer Verweigerungshaltung von Mitarbeitern in der Regel hohe Fehlzeiten und eine deutliche niedrige Produktivität.

Der Kautschukboden noraplan uni von nora systems harmoniert ideal mit dem gradlinigen Design in den Räumen des Architekturbüros blocher partners. Foto: BS/Daniel Vieser

sich leicht reinigen und weisen eine gute LebenszykluskostenBilanz auf.

*Doris Janik ist Pressereferentin bei nora systems.

Auch laut einer PWC-Studie scheinen die hohen Krankenstände und vor allem die hohen Dienstunfähigkeitsquoten des Öffentlichen Dienstes mit großer Wahrscheinlichkeit genau eine Konsequenz dieser Haltung von Beschäftigten zu sein. Aber was ist die Ursache für die negative Einstellung von Beschäftigten zur eigenen Arbeit und zur Verwaltungsorganisation? Schuld an der Misere haben laut Gallup und PWC schlechte Vorgesetzte. Die meisten Beschäftigten, die innerlich gekündigt haben, taten dies wegen ihrer direkten Vorgesetzten. Wie lange Mitarbeiter ihrer Organisation treu bleiben und wie einsatzfreudig und produktiv sie in der Zeit sind, hängt in erster Linie vom Führungsverhalten des direkten Vorgesetzten ab.

Enger Dialog unabdingbar Eine direkte Schlussfolgerung aus den vorgenannten Ergebnissen sollte daher die konsequente Überprüfung des bisherigen Führungsverhaltens, der Einsatz neuer bzw. alternativer Führungsmethoden und vor allem eine Optimierung des persönlichen Verhältnisses zwischen Vorgesetztem und Beschäftigtem sein. Hier kann die Analyse, wo der jeweilige Beschäftigte heute steht und welche Verhaltungsweisen, Umgangsformen und Emotionen auf beiden Seiten in der Vergangenheit gezeigt wurden, einen hinreichenden Anhaltspunkt eröffnen. Zudem kann die konkrete Auseinandersetzung mit Vorstellungen und

schiedliche Menschen und ihre Vorstellungen von guter Führung im Einzelfall einClaudia Christine Siegel ist professionelle Managezustellen. Demment-Beraterin und Inhanach gibt es kein berin der Siegel4Success allgemein-gültiges Managementberatung. und/oder richti ges FührungsverFoto: BS/privat halten, sondern es ist jeweils eine situativ zu ermitErwartungen von Vorgesetztem telnde Vorgehensweise, die mit und Beschäftigtem einen weite- Wertschätzung und Anerkenren Aspekt für Verbesserungsan- nung von Leistung verbunden sätze und konkrete Maßnahmen wird, anzuwenden! zur Steigerung von Produktivität Mögliche Handlungsoptionen in und Mitarbeiterzufriedenheit er- der Führung können sowohl in der praktischen Arbeit als auch geben. Wichtigste Grundlage für den in Seminaren und Workshops erUmgang mit Motivationshemm- lernt werden. Sie geben die nötige nissen und Verweigerung soll- Sicherheit für den Umgang mit te jedoch unbedingt ein enger Motivationshemmnissen, VerweiDialog der Beteiligten und ein gerung und innerer Kündigung. regelmäßiger Austausch sein. Führung setzt dabei immer eine gewissenhafte Zielvereinbarung nach den SMART-Richtlinien und damit eine diesbezügliche Kommunikation und eine gute Wie Gründe für Demotivation Feedbackkultur voraus. Darüund Verweigerung bei Mitarbeitern von Führungskräften ber hinaus sind nachvollziehe erkannt und analysiert werden Grundsätze der Zusammenarbeit können und welche Gegenzu definieren, die die Struktur maßnahmen dagegen ergriffen für die Arbeitserledigung und werden können, erläutert die Erwartungshaltung sowie für den Autorin in einem Seminar des Informationsaustausch und die Behörden Spiegel am 23. und Kommunikation zwischen Vor24. Oktober 2018 in München. gesetzten und Kollegen vorgibt.

Mehr zum Thema

Einzelfallabhängig Schlussendlich bleibt aber der Vorgesetzte in der Praxis stets gefordert, sich in seinem Führungsverhalten auf unter-

Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Motivationshemmnis”.


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / Juli 2018

Aber bitte passgenau!

KNAPP Disposition durch Landkreise

Einfach mehr bauen löst das Wohnungsproblem nicht, es braucht ein Konzept

(BS/Katarina Heidrich) 1,5 Millionen Neubauwohnungen bis zum Ende der Legislaturperiode – also 375.000 pro Jahr. Ein ambitionierter Plan der Bundesregierung, wenn man bedenkt, (BS/mfe) Auch der Kassenärztdass die Baubranche jetzt schon an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Der Mangel an potenziellem Wohnraum ist bundesweit nicht gleich hoch, der an kompatiblem schon. Deshalb braucht liche Notdienst sollte durch es vielfältige Lösungen durch die Kommunen. Aber könnte nicht auch der Bund einen Teil dazu beitragen, die Lage zu entspannen? die Integrierten Leitstellen der Die Gemeinde Weye in Niedersachsen zählt insgesamt rund 30.500 Einwohner. Tendenz steigend. Als sogenannte “Speckgürtelgemeinde” in direkter Nähe von Bremen profitiert sie davon, dass die Großstädte vermehrt Bevölkerung an ihr direktes Umland verlieren. Dieser “Überschwappeffekt” zeichnet sich derzeit deutschlandweit ab, wie aus der gemeinsamen Studie “Trend Re-Urbanisierung?” der Bertelsmann Stiftung und des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) hervorgeht. Die Gründe hierfür seien vielfältig, steigende Mieten in den Ballungsgebieten stünden aber meist an erster Stelle. Um diesen Bevölkerungsbewegungen mit ausreichend bezahlbaren Wohnungen zu begegnen, wird nun im Gemeinderat geplant, sich an der im Nachbarort bestehenden kommunalen Wohnbaugesellschaft Diepholz GmbH mit einem Anteil von 3,47 Prozent zu beteiligen. Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte (SPD) schätzt allerdings realistisch ein: “Das ist eine interessante Ergänzung für unsere Bestrebungen, günstigen Wohnraum zu schaffen, nicht mehr.”

Gemeinsame Leitlinien für bezahlbares Wohnen Das Problem in der gesamten Region Bremen: Der Anteil von staatlich gefördertem Wohnraum ist im vergangenen Jahr deutlich gesunken und beträgt nur noch 1,9 Prozent. Gleichzeitig sind die Kaltmieten von 2016 bis 2017 um fünf Prozent gestiegen. Die Gründe für die klamme Wohnsituation seien unterschiedliche, erläutert Bovenschulte. Jahrelang sei zu wenig und zu teuer gebaut worden, es gebe keine aktive Förderung zur Gründung kommunaler Wohnungsunter-

Lücken lassen sich nur schließen, indem individuelle und zweckdienliche Lösungen gefunden werden. Foto: BS/Tim Oehme

nehmen und die zeitliche Bindung vieler Sozialwohnungen sei ausgelaufen. Die Kommunen der Region wollen gegensteuern, indem sie gemeinsam kommunalübergreifende Leitlinien über den zu schaffenden Anteil von sozialem Wohnraum erstellen. Bovenschulte, der auch Vorsitzender des Kommunalverbunds Niedersachsen/Bremen ist, betont: “Es muss nicht immer um Neubau gehen!” Der Umbau zu groß gewordener Wohnungen in Mehrfamilienhäusern etwa oder der Ausbau von Dachgeschosswohnungen seien geeignete Mittel. Denn es fehle

ebenso an passgenauem Bau. Die Anzahl der Ein- bis Zweipersonenhaushalte steige kontinuierlich. Da der Mangel bundesweit nicht einheitlich sei, brauche es ebenfalls gestaffelte Zuschüsse in den sozialen Wohnungsbau, fordert der Bürgermeister. So wie es in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen der Fall ist.

Problemlöser Dortmund Dortmund ist einen anderen Weg gegangen: Etwa knapp die Hälfte der Bevölkerung habe ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein, wie die wohnungspolitische Sprecherin

der SPD-Stadtratsfraktion, Carla Neumann-Lieven, mitteilt. Und das seien, entgegen der allgemeinen Wahrnehmung, mitnichten nur Sozialleistungsempfänger. Es zeichne sich ein Bedarf an sehr kleinen Wohnungen auf der einen Seite und sehr großen auf der anderen Seite ab. Hinzu komme eine hohe Nachfrage nach barrierefreien Unterkünften – “die werden uns aus den Händen gerissen”, so Neumann-Lieven. Im Zuge des demografischen Wandels wird dieser Bedarf weiter steigen. Die Stadt hat sich des Problems auf dem Wohnungsmarkt angenommen, indem sie eine 25-Prozent-Quote für den sozialen Wohnungsbau einführte. Diese müsse nur auch eingehalten werden. Ebenfalls spielten Konzeptvergaben eine wichtige Rolle, also die Abgabe von Bauland der Stadt an bestimmte Konzeptlösungen. “Eine Durchmischung ist uns wichtig”, betont die wohnungspolitische Sprecherin. Gleichzeitig könne man Einzelhandels-Leerstand zu Wohnungen umbauen und alte Brachen entwickeln, schlägt sie vor.

Was kann der Bund tun? Als einer der größten Grundund Immobilieneigentümer in Deutschland rückt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) derzeit verstärkt in den Fokus. Allein in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart gehören dem Bund mehr als 970 unbebaute Grundstücke mit einer Gesamtfläche von knapp 230 Hektar, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Daniel Föst hervorgeht. Der wohnungspolitische Sprecher fordert die große Koalition auf, die Grundstücke im Bundesbesitz

zu verkaufen, zu entwickeln oder zu bebauen. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist das Versprechen enthalten, dass die BImA den Ländern und Kommunen zu Zwecken der sozialen Wohnraumförderung bundeseigene Liegenschaften zu vergünstigten Konditionen zur Verfügung stellen kann. Ebenfalls soll die bestehende Erstzugriffsoption für Kommunen im Haushaltsgesetz des Bundes auf alle entbehrlichen Liegenschaften des Bundes ausgeweitet werden.

Wunsch versus Realität Mit Stand 2018 wurden den Kommunen insgesamt 777 Liegenschaften aus dem BImA-Bestand zum Direkterwerb ohne Bieterverfahren angeboten, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mitteilt. In 426 Fällen sei ein Erwerbsinteresse bekundet worden. In 308 Fällen habe kein Interesse bestanden und zu 43 Liegenschaften lägen bisher keine Stellungnahmen vor. “Dem stehen allerdings 2.026 Verkaufsfälle seit 2015 gegenüber, die zum Höchstpreisgebot verkauft wurden”, bemängelt die Fraktion. In der heutigen prekären Lage auf dem Wohnungsmarkt ist ein rein wirtschaftliches Handeln der BImA nicht mehr zielführend. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles betont, dass ein handlungsfähiger Staat nur durch funktionierende Kommunen gewährleistet werde. Ein Begriff wie Heimat entstünde nicht von selbst und müsse auch durch bezahlbares Wohnen mit Leben gefüllt werden. “Wir sollten es nicht den Seehofers dieser Welt überlassen, aus Heimat einen Ort zu machen, an dem sich nur bestimmte Gruppen wohlfühlen dürfen”, so Nahles.

Landkreise disponiert werden. Das verlangt der Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT), Reinhard Sager. Im Sinne einer sektorenübergreifenden Vernetzung im Rettungsdienst sei dies erforderlich. Dafür müssten die Kassenärztlichen Vereinigungen ausreichend Personal im Notdienst einsetzen und sich an der Finanzierung der Leitstellen beteiligen. Nur so würden sie ihrem Sicherstellungsauftrag gerecht, meint der DLT-Präsident. Bisher dürfen die Mitarbeiter der Integrierten Leitstellen der Landkreise nur die Notfallrettung, den Krankentransport sowie den Brand- und Katastrophenschutz disponieren.

Deutscher Kita-Preis 2019 (BS/Kh) Kitas und lokale Bündnisse für frühe Bildung können sich als “Kita des Jahres” oder als “Bündnis des Jahres” bewerben. Die bundesweite Auszeichnung für besondere Qualität in der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung geht in die nächste Runde. Einreichungsfrist ist der 31. August 2018. In beiden Kategorien werden jeweils 65.000 Euro Preisgeld vergeben. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung vergeben die Auszeichnung in Partnerschaft mit der Heinz und Heide Dürr Stiftung, der KargStiftung, dem Eltern-Magazin und dem Didacta-Verband. “Mit dem Deutschen Kita-Preis würdigen wir beispielhaftes Engagement für die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Wir wollen diejenigen auszeichnen, die sich dafür einsetzen, dass jedes Kind es packt. Denn wer Kinder stärker macht, macht Deutschland stärker”, betont Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD).

www.oeffentliche-infrastruktur.de Veranstalter

13. Bundeskongress

Öffentliche Infrastruktur 2018

Infrastruktur mit Zukunft – effizient, nachhaltig, digital 4. D 4 Dezember b 2018 2018, H Hotel t l Adl Adlon B Berlin li

» Bauen 4.0 – effizient, nachhaltig, digital

» Flächendeckende Infrastrukturen für Mobilität

» Bildungsinfrastruktur und Schulsanierung – Leistungsphase 0, Wirtschaftlichkeit, Entwicklung

» HOAI - Reicht das Grundleistungsbild noch aus?

» Smart Village » Entwicklung von Maut und Bundesinfrastrukturgesellschaft » Infrastruktur und Budget

Themenpartner

» Bundesverkehrswegeplan 2030 – Masterplan für die Verkehrsinfrastruktur? » Kommunikationsinfrastruktur – Glasfasernetze und Mobilfunkstandard 5G

Fotos: © j mel, fotolia.com

Themen auf dem Kongress u.a.


Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen

Seite 16

Behörden Spiegel / Juli 2018

Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen Alle für alle mit allen

E

s beginnt schon bei jedem Einzelnen im Kopf. Hier entstehen die ersten Barrieren als mentales Modell, erläuterte Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) an der Universität Köln. Gefühle wie Ekel oder Angst vor “dem Anderen” färbten oftmals soziale Interaktionsprozesse. Diese psychodynamischen Probleme bei der Inklusion könnten nur durch Empathie überwunden werden, betonte der Wissenschaftler, der gleichzeitig auch Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) ist. “Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen Spaltung wird es immer wichtiger, die Diskussion über den Abbau von Barrieren zu führen”, ergänzte Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel, Abteilungsleiter “Demografischer Wandel, Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), der die Aktivitäten des Ministeriums in dieser Legislatur in den Blick nahm (siehe unten).

Betroffene zu Beteiligten machen Der Auftrag des Staates ist es, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern und gleiche Voraussetzungen für eine freie Entfaltung der Persönlichkeit für alle zu ermöglichen, wie es in § 1 Sozialgesetzbuch (SGB) I normiert ist. Zentraler Aspekt dieses Auftrages ist die Würde aller, wie Schulz-Nieswandt verdeut-

Daueraufgabe Barrierefreiheit im Sozialraum Kommune (BS/Katarina Heidrich/Jörn Fieseler) Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen nicht nur an Gesundheit und Pflege, sondern auch an der Bildung, an der Kultur und selbst an der politischen Mitsprache ist das zentrale Ziel des Staates. Doch zahlreiche Barrieren stehen dem entgegen. Nicht nur infrastrukturell, wie eine Treppe für einen Rollstuhlfahrer, sondern schon in den Köpfen der Menschen. Im Mittelpunkt des zweiten Zukunftskongresses Soziale Infrastrukturen standen deshalb Ansätze und erfolgreiche Beispiele, wie Zusammenhalt und Teilhabe gelingen können. Dabei wurde deutlich: Ein einzelnes Projekt reicht nicht aus.

Vernetzt und ganzheitlich

Fachlicher Input und der Dialog untereinander kennzeichneten den zweiten Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen in Berlin: Für die Daueraufgabe Barrierefreiheit für alle Menschen ist eine Gesamtstrategie notwendig. Fotos: BS/Dombrowsky

lichte. “Machen wir die Outsider zu Insidern?”, fragte der KDAVorsitzende rhetorisch. Bislang wird Teilhabe häufig lediglich auf Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen bezogen, aber auch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen wie Demenzkranke oder sozial Ausgestoßene wie Obdachlose haben ein Recht auf Teilhabe. Hierzu ist ein Per­spek­tivwechsel

unabdingbar. Statt von Defiziten zu sprechen, sollten die Fähigkeiten der Menschen in den Fokus genommen werden. Entsprechend zeigte sich bei allen Projekten und Beispielen auf den Kongress: Es geht nicht nur darum, etwas für die betroffenen Menschen zu machen, sondern sie miteinzubeziehen und Angebote mit ihnen zu gestalten. Schließlich sind sie es, die wis-

Barrieren im Kopf abbauen Inklusion zwischen mentalem Modell und sozialem Handeln (BS/stb/kh) “Zusammenhalt und Teilhabe sind nicht einfach da. Sie entstehen, wenn man gemeinsam daran arbeitet.” Das betonte Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel in seiner Eröffnungsrede zum 2. Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen. Im Sinne des kategorischen Imperativs profitiere die gesamte Gesellschaft davon. Die zentrale Herausforderung bestehe im Abbau von Barrieren, so von Schwanenflügel. Deutlich machte der Leiter der Abteilung “Demografischer Wandel, Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege” im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), dass es nicht nur um offensichtliche materielle Barrieren wie Treppenaufgänge ohne Fahrstühle oder Bordsteinkanten gehe. “Daneben gibt es unsichtbare Barrieren, die vielleicht nur in den Köpfen existieren.” Dazu gehörten Vorurteile, aber auch das Fehlen von Informationen und Ressourcen. Um Barrieren abzubauen, müsse man insbesondere die sozialen Infrastrukturen auf der lokalen Ebene in den Blick nehmen. Nötig seien vernetzte Einrichtungen vor Ort, die Zusammenhalt schaffen könnten.

Zusammenarbeiten, zusammen profitieren Angesichts von Entwicklungen wie dem wachsenden Anteil älterer Menschen, erhöhtem Migrationsaufkommen und Landflucht sei eine engere, auch ressort- und ebenenübergreifende, Zusammenarbeit nötig. “Die Bundesregierung will strukturschwache Regionen unterstützen, um auf dem Land und in der Stadt, in Ost und West gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen.” Dabei sei der Bund aber auf die Zusammenarbeit mit vielen Partnern – Ländern, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden und zivilgesellschaftlichen Initiativen

allem auf der kommunalen Ebene wider, denn Städte und Gemeinden sind der soziale Raum. Natürlich braucht es dafür das bürgerschaftliche Engagement und besonders aktive Bürger, die aus einem Projekt etwas Lanfristiges machen, wie das Beispiel des Generationentreffs Enger im Kreis Herford in NordrheinWestfalen zeigt (siehe Seite 18). Günter Niermann, Rentner und mit 50 Stunden pro Woche ein “Vollzeit-Ehrenamtlicher”, leitet das Projekt, das kürzlich sein 20-jähriges Bestehen feierte. Er verdeutlichte beispielhaft, dass dies nicht möglich gewesen wäre, wenn die jeweiligen Bürgermeister und auch der Landrat nicht hinter diesem und anderen Projekten im Kreis stehe würden.

und Beratung von Betroffenen vor Ort investiert.

Soziale Gerechtigkeit, nicht Gleichheit

Eröffnete den 2. Zukunftskongress Soziale Infrastruktur: Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel, Abteilungsleiter im BMFSFJ.

angewiesen. Mehr Unterstützung aus dem BMFSFJ stellte der Abteilungsleiter im Bereich Demenz (siehe dazu Seite 18) in Aussicht. So wolle man den Gesetzesrahmen für Pflegeberufe anpassen, um die Ausbildung moderner und attraktiver zu gestalten. Im Blick habe man aber auch pflegende Angehörige, die dringend entlastet werden müssten, so von Schwanenflügel. Sie leisteten einen großen Beitrag dafür, dass Betroffene so lange wie möglich in ihrem sozialen Umfeld bleiben könnten. Die Allianz für Menschen mit Demenz auf Bundesebene solle weitergeführt und gestärkt werden, außerdem werde weiter in bewährte lokale Strukturen zur Unterstützung

“Wir alle profitieren letztlich, wenn die Menschen unabhängig von Alter, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität und körperlicher und geistiger Gesundheit gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können”, stellte von Schwanenflügel klar. Auch der Vorstandvorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, Prof. Dr. Frank SchulzNieswandt, beschreibt dieses Prinzip der Wechselwirkung als “heilige Grundlage” eines säkularen, sozialen Rechtsstaates. Das Grundrecht auf freie Entfaltung eines jeden sei Teil des Befähigungsansatzes, der von einer gerechten, nicht gleichen Verteilung von Teilhabechance ausgeht. Als sozialpolitische Instrumente gingen daraus Investitionen in Kompetenzen und die Umwelt hervor, erläutert der Professor für Sozialpolitik und Methoden der qualitativen Sozialforschung im Institut für Soziologie und Sozialpsychologie (ISS) an der Universität zu Köln. Es sollten “Umwelten des gelingenden Aufwachsens und Alterns” geschaffen werden. Gerade die Sicherstellung kommunaler Daseinsvorsorge stelle einen “Wohlfahrtsmix sorgender Gemeinschaften im Sozialraum” dar, bei denen auch bürgerschaftliches Engagement eine bedeutende Rolle spiele, so Schulz-Nieswandt.

sen, worauf zu achten ist. “Diese Vielfalt müssen wir zulassen”, untersrich auch Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Dabei ist es nicht mit einem einzelnen Projekt getan. Teilhabe zu ermöglichen, müsse als Prozess verstanden werden, der permanent fortgesetzt und auch überdacht werden müsse. “Das ist kein Sparschwein, das kostet Geld”, so Löher weiter. Doch genau hier liegt ein zentrales Problem: Oftmals werden

Fördermittel für Projekte ausgeschrieben. Laufen die Fördermittel aus, sind auch die Projekte meistens kurz darauf beendet. Entweder brauchen die Projektträger eine Art Fundraiser, der stetig nach neuen Fördergeldern Ausschau hält. Mit dem Ergebnis, dass ich solchen Fällen die Projekte regelmäßig abgewandelt werden müssen, um den Anforderungen an weitere Fördermittel Genüge zu tun. Manch einer kritisiert dies als dauerhafte “Projektitis”. Das spiegelt sich vor

Die dauerhafte Unterstützung durch den (Ober-)Bürgermeister ist nur ein tragender Faktor. Der andere ist ein strategischer Ansatz für zahlreiche einzelne Angebote für unterschiedliche Gruppen, die besondere Maßnahmen für soziale Teilhabe benötigen. Erster Ansatzpunkt hierfür ist die Stadt-, Quartiers- und Dorfentwicklung. Allernorts gilt es sicherzustellen, die Bedarfe des täglichen Lebens sicherzustellen, von der ärztlichen Versorgung bis zum Einzelhandel, damit die Menschen möglichst lange im eigenen Haus bzw. der eigenen Wohnung leben können. Um so die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu bewahren. Dabei muss nicht jede Kommune alles alleine erarbeiten. Die vernetzte Zusammenarbeit muss Bestandteil einer Gesamtstrategie sein.

“Öffentlicher Dienst muss ein Vorbild sein” Inklusion als Gegenmaßnahme zum Fachkräftemangel (BS/ab) “Die meisten Projekte, die die Inklusion fördern, richten sich vielfach an die Bürger. Aber entscheidend ist hierbei auch, einen Blick in die Verwaltungen zu richten”, bezieht Friedhelm Schäfer, Zweiter Vorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik des DBB Beamtenbunds und Tarifunion, Position. Praxisnah erläutert er, dass eine inklusive Verwaltung ihrem eignen Fachkräftemangel entgegenwirken könnte. “Der Personalabbau rächt sich. Innerhalb von 15 Jahren haben wir knapp 900.000 Stellen im Öffentlichen Dienst abgebaut. Mitarbeiter, die uns nun fehlen”, beginnt er seine Erläuterungen. Hinzu komme, dass die Nachwuchsgewinnung schwierig sei, weil der Öffentliche Dienst an seiner Attraktivität eingebüßt habe und die Mitarbeitergewinnung anders vollzogen werden müs­ste. Aktuell seien 30 Prozent der Mitarbeiter zwischen 45 bis 54 Jahre alt und knapp 27 Prozent über 55 Jahre. Entsprechend gestalteten sich die Abgangszahlen in zehn (rund 27 Prozent) und zwanzig Jahren (56 Prozent). Auf Bundesebene seien es sogar 30,8 Prozent auf zehn Jahre und 65 Prozent auf 20 Jahre gerechnet. Nicht miteingerechnet würden jene, die in den Vorruhestand gingen.

Mitarbeiterunterstützung als Lösung “Im Öffentlichen Dienst haben wir einen Schwerbehindertenanteil von 6,9 Prozent. Ich sehe in diesem Feld ein enormes Potenzial, welches sinnvoll genutzt werden kann, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken”, betont Schäfer die Chancen einer angemessenen Inklusion. Er fragt aber kritisch: “Sind die Arbeitsplätze aktuell wirklich durchgängig inklusiv?” Seine Antwort: “Nein.”

und können doch trotzdem ihre Arbeit effizient erledigen, wenn sie dabei die notwendige Hilfe erhalten”, sagt Schäfer.

Eine Frage der Hilfsmittel

Friedhelm Schäfer sieht in der Inklusion eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel der Verwaltungen entgegenzuwirken.

Dass dies jedoch möglich sei, veranschaulicht er beispielhaft: In Wuppertal-Ronsdorf würden an einer barrierefreien Ausbildungsstätte 20 bis 30 neue Mitarbeiter pro Jahr ausgebildet. “Die Inklusion darf nicht vor der Ausbildung haltmachen, sondern muss mit ihr beginnen”, betont der Gewerkschafter. Aktuell seien 4,6 Prozent der Auszubildenden schwerbehindert, in der Privatwirtschaft seien es 6,6 Prozent. Dabei seien die Einsatzmöglichkeiten für diese Menschen durchaus vorhanden. “Es gibt Steuerfahnder, die sind gehbehindert

Unterstützung könne dabei weit gefasst sein. Gehhilfen seien möglich, aber auch DiabetesHunde für jene, die auf ihren Zuckerspiegel achtgeben müssten, würden bereits eingesetzt. Auch Rechtsgehilfen, welche vollblind seien, könnten trotzdem arbeiten. “Die Digitalisierung bedeutet ebenso eine Chance, denn die Assistenzsysteme, wie Sprachsteuerung für Blinde, werden besser und auch Home-Office wird einfacher zu gestalten”, sieht Schäfer die Vorteile der Digitalisierung. Menschen, welche beispielsweise das Asperger-Syndrom hätten, besäßen eine hohe Konzentrationsfähigkeit und wären “gut im Controlling”, sieht der Gewerkschafter das Potenzial. Er mahnt jedoch auch, dass insbesondere Home-Office ein zweischneidiges Schwert sei, welches zur Exklusion führen könnte. Deshalb dürfe die Mentalität der nicht-inklusiven Mitarbeiter nicht außen vorgelassen, sondern müsse mitgestaltet werden. Trotzdem lautet sein Gesamtfazit: “Der Öffentliche Dienst muss eine Vorbildfunktion einnehmen, dabei ist völlig gleichgültig, wen wir inkludieren wollen.”


Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen

Behörden Spiegel / Juli 2018

D

avon zeigte sich Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, überzeugt. Zudem unterstrich er, dass der Abbau von Barrieren eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Auf staatlicher Seite seien dabei insbesondere die Kommunen gefordert. Dabei dürften die Bürger jedoch keineswegs vergessen werden. Es komme entscheidend darauf an, die Menschen miteinzubeziehen und bei allen Projekten möglichst frühzeitig abzuholen, so Löher. Denn: Fehle es an Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit, gefährde das den Zusammenhalt einer gesamten Gesellschaft.

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Übergreifender Ansatz erforderlich Inklusion ist kommunale Querschnittsaufgabe (BS/Marco Feldmann) Die behindertengerechte und inklusive Ausgestaltung sozialer Räume ist ein dauerhafter Prozess, an dem sich verschiedene Akteure beteiligen müssen. Idealerweise sollte dieser Vorgang ämterübergreifend bewältigt werden. Denn: “Inklusion ist eine kommunale Querschnittsaufgabe.”

Teilhabe und Inklusion: Es geht um den Menschen Und: Bei fast jeder sozialpolitischen Diskussion hierzulande gehe es auch um Teilhabe und Inklusion. Aus diesem Grunde dürfe Inklusion nicht nur auf Menschen mit Behinderungen beschränkt werden. Auch die Bedürfnisse von Langzeitarbeitslosen und Migranten müssten in den Blick genommen werden, verlangte Löher.

Manchmal kommt es auf Kleinigkeiten an Diskutierten über eine Zukunft ohne Barrieren (v.l.n.r.): Dagmar Vogt-Janssen (Moderatorin), Helmut Kneppe, Achim Meyer auf der Heyde, Ingeborg Germann, Holger Dieterich, Sven Krüger und Jörn Fieseler (Moderator). Fotos: BS/Dombrowsky

Grundsätzlich gelte jedenfalls: “Es geht nicht um die sozialen Systeme an sich, sondern um die Menschen darin.” Aus diesem Grunde plädierte er dafür, mehr in frühkindliche Bildung zu investieren und behördliche Bescheide zu vereinfachen. Diese sollten vermehrt in leichter Sprache verfasst werden, forderte der Vorstand des Deutschen Vereins.

Zahlreiche Barrieren überwinden

Brigitte Döcker vom Bundesvorstand der Arbeiterwohlfahrt (AWO) plädiert dafür, künftig den Fokus verstärkt auf Quartiersentwicklung und -management zu legen.

Teilhabe auf jeden Fall zusammengehörten. Darüber hinaus betonte er, dass Konzepte immer nur so gut seien wie ihre tatsächliche Umsetzung und dass die Realisierung von Ideen nur gelinge, sofern ein einheitlicher Rahmen sowie eine gemeinsame Haltung bestünden. Der Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, HelmutKneppe,unterstrich,dass der Abbau von Hindernissen und Barrieren, die in allen Lebensbereichen bestehen könnten, teilweise nur durch Beharrlichkeit gelinge. Außerdem komme es darauf an, auf kommunaler Ebene zentrale Akteure von der Notwendigkeit der Veränderungen zu überzeugen. Dies seien in aller Regel Bürgermeister, Landräte und Kämmerer.

Insbesondere ältere Menschen mit Migrationshintergrund stünden bei der Teilhabe an der Gesellschaft vor mehreren Barrieren. Dazu zählten vor allem Probleme mit der deutschen Sprache, fehlende Sichtbarkeit von Gruppen und Minderheiten

im öffentlichen Raum und bestimmte, vorgeprägte Altersbilder und Stereotype. Das machte Friederike Enssle, Doktorandin an der HumboldtUniversität zu Berlin, anhand von selbstgeführten Interviews deutlich. Diese Hindernisse verwehrten Lebensälteren den Zugang zu Ressourcen, die die Menschen für ein gutes Alter benötigten. Um die Barrieren zu überwinden, müsse Superdiversität mitgedacht und zugehört werden. Das gelte auch für die öffentliche Verwaltung, so die Wissenschaftlerin.

Fokus auf Quartiersmanagement legen Ebenfalls der superdiversen Gesellschaft widmete sich Brigitte Döcker aus dem Bundes-

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vorstand der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Sie verlangte, in Zukunft mehr Wert auf Partizipation sowie Quartiersmanagement und -entwicklung zu legen. Letzteres sei die richtige Antwort auf den demografischen Wandel und die superdiverse Gesellschaft. Zudem plädierte sie für den verstärkten Bau barrierefreier Wohnungen sowie die Aufgabe des Begriffs der Mehrheitsgesellschaft. Dieser habe, da Mehrfachidentitäten inzwischen die Regel seien, schlicht ausgedient. Mit Blick auf die Zuwanderung konstatierte Döcker: “Jeder hat eine Integrationsleistung zu erbringen.” Ohne Einwanderung könnte die Bundesrepublik nicht bestehen. Der Fachkräftemangel im Pflegebereich mache das offenkundig. Dorothee Mar-

Sieht Integration als Aufgabe aller an: Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins.

tens-Hunfeld aus dem Vorstand der Stiftung Mensch wiederum forderte, Quartiersmanagement dauerhaft durch kommunale Mittel zu finanzieren. Und sie unterstrich: “Die eigentlichen Barrieren liegen oftmals unter der Oberfläche.”

Neue Wege gehen Zuspruch für diese Feststellung erhielt Martens-Hunfeld von Sven Krüger. Der Bereichsleiter für Grundsatzangelegenheiten bei der Stadt Hannover erklärte zudem, dass oftmals neue Wege beschritten werden müssten, wenn Barrieren abgebaut werden sollten. Dann seien etwa andere Formate der Bürgeransprache erforderlich. Auch konstatierte der Vertreter aus Niedersachsen, dass Dialog und

Eine andere Forderung hinsichtlich der Barrierefreiheit stellte Achim Meyer auf der Heyde auf. Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes verlangte: “Die Technisierung an den Universitäten muss barrierefrei werden.” Und Holger Dieterich vom Verein Sozialhelden e. V. betonte: “Es sind die kleinen Dinge, die etwas verändern.” Des Weiteren merkte er an, dass der Prozess der Barrierefreiheit physischer Räume hierzulande erst begonnen habe. Ingeborg Germann, Referatsleiterin für Pflegestrukturplanung, Sozialraumentwicklung und Demenz im Mainzer Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, schließlich forderte, dass die Digitalisierung in alle gesellschaftlichen Bereiche hineingebracht werden müsse, um Teilhabe auch tatsächlich zu gewährleisten. Sie räumte jedoch auch ein, dass prekäre Zielgruppen oftmals schwer zu erreichen seien.

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Zukunftskongress Soziale Infrastrukturen

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Das Wir-Gefühl gewinnt

Liebevolle Nachbarspflege

Erfahrungen aus der Demografiewerkstatt Kommunen

Pflegewohngemeinschaften auf dem Vormarsch?

(BS/stb) Sich barrierefrei und demografiefest aufzustellen, sei der Anspruch, den alle Kommunen an sich stellen würden, so Prof. Daniel Bieber, Leiter des Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso). “Kurzfristige Maßnahmen und Projekte in Kommunen führen aber häufig nicht zu nennenswerten Ergebnissen”,­ kritisierte er. Einen langfristigeren Ansatz verfolgt das Projekt Demografiewerkstatt Kommunen (DWK). Erfolg stelle sich vor allem dort ein, wo Bürger sich aktiv beteiligten.

(BS/ab) “Bis 2016 gab es nahezu keine Pflegewohngemeinschaften, weil es gesetzlich unterbunden ­wurde. Nun wird dies nachgeholt”, erläuterte Thorsten Müller vom Regionalverband Südniedersachsen der ­Johanniter-Unfall-Hilfe die aktuellen Entwickelungen in diesem Bereich. Mit solchen Wohngemeinschaften (WG) wird gegen den Trend des Demografischen Wandels angekämpft.

In fünf Jahren Projektdauer, statt der sonst üblichen drei, hätten Kommunen im Rahmen der DWK die Chance, vielversprechende Ideen zu entwickeln und auch zu etablieren, bevor die finanzielle Förderung wegfalle, betonte Andreas Kirner, Referatsleiter Demografischer Wandel im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). “Der Zeitraum erlaubt es, auch mal nachzusteuern, wenn zum Beispiel im Austausch mit Projektpartnern und Interessengruppen vor Ort neue Bedarfe erkannt werden”, so Kirner. Idee des BMFSF-geförderten Projekts ist es, ausgewählten Modellkommunen durch externe Beratung und einen strukturierten Entwicklungsprozess – den “Werkstattplan” – über fünf Jahre dabei unter die Arme zu greifen, sich demografiefest aufzustellen. “Werkzeuge, die dabei entwickelt werden, sollen auch anderen Kommunen zugänglich gemacht werden”, stellte Kirner in Aussicht.

Erfahrungen aus dem Emsland Eine der DWK-Modellkommunen ist die Gemeinde Vrees im Emsland. Heribert Kleene, ehrenamtlicher Bürgermeister von Vrees, lobte das Projekt: “Wir konnten das, was wir selbst begonnen haben, weiterdenken und -entwickeln. Sonst sind an Fördertöpfe ja häufig ganz be-

Wohnraum für ältere, pflegebedürftige Menschen geschaffen. Geplant sei unter anderem eine Einrichtung für Palliativmedizin sowie die Anschaffung eines Busses, mit dem Rollstuhlfahrer transportiert werden können. Kleene stellte aber klar: “Ohne das große bürgerschaftliche En­ga­ge­ment wären die Projekte schnell gestorben.” Am besten ließe sich das Thema über Vereine in die Breite bringen.

Der Bürgermeister von Vrees, Heribert Kleene, betonte die Rolle von bürgerschaftlichem Engagement für die demografiefeste Kommune.

stimmte Maßnahmen geknüpft.” Die ambitionierte Zielsetzung für die Dorfgemeinschaft sei es, alles “von der Geburt bis zum Schluss” vor Ort abbilden zu können. Anlass, aktiv zu werden, gaben vor Jahren die ersten Fälle, in denen Bürger die Gemeinde hätten verlassen müssen, weil sie dort die benötigte Pflege nicht bekommen konnten. “Das war ein Weckruf für uns”, erinnerte sich Bürgermeister Kleene. “Denn es kann nicht sein, dass Menschen fortmüssen, die die Dorfgemeinschaft ihr Leben lang mitgeprägt haben.” Mittlerweile habe die Gemeinde Vrees mit finanzieller Unterstützung von Kreis, Land und Bund Nachbarschaftshilfe und soziale Dienstleistungen ausgebaut und

Keine Schnellschüsse in Riesa Das sich hier zeigende WirGefühl müsse andernorts erst entstehen, erklärte Dr. Adelheid Fiedler. Sie berät die Stadt ­Riesa im Rahmen des Projekts Demografiewerkstatt Kommune. Nach der Wende sei die einst stolze ­Metallproduktion Riesas zusammengebrochen. Imageverlust und hohe Arbeitslosigkeit seien bis heute nicht ganz bewältigt. “Es muss zuerst wieder eine positive Identifikation mit der Stadt geben”, erklärte Fiedler. “Nur wenn die Menschen sich zuge­ hörig fühlen, werden sie sich auch zuständig fühlen und mitgestalten.” Schnelle Maßnahmen seien in dieser Gemengelage fehl am Platz, so die Beraterin weiter. “Der DWK-Rahmen bietet eine gute Möglichkeit, überhaupt erst einmal das Feld zu bereiten, indem man Schlüsselpersonen identifiziert und zum Austausch anregt.”

“Inclusive first” Demenz ist nicht nur, sondern unter anderem ein Pflegethema (BS/kh) Die Tradition der Pflege ist darauf ausgelegt, etwas für jemanden zu tun, nicht mit jemandem. Doch dadurch entsteht eine Art Parallelwelt. Am Beispiel Demenz lässt sich diese strukturelle Verankerung zeigen: Es gibt zahlreiche Freizeitangebote für demente Menschen, die allerdings anderen nicht offenstehen. Nur allmählich ändert sich das. Der alleinige Fokus auf Versorgung und Pflege Demenzkranker habe mit wirklicher Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht viel zu tun, monierte Peter ­Wißmann, Geschäftsführer der Demenz Support Stuttgart gGmbH Zentrum für Informationstransfer. Dies projiziere ein Bild von Abhängigkeit und ließe Demente als eine Sondergruppe erscheinen. Wißmann nannte drei Faktoren als Grundvoraussetzung für echte Teilhabe. Erstens ein inklusives Design der Angebote, die für alle offen sein sollten und somit Integration versprechen. Zweitens die SelbstArtikulation der Betroffenen. Dadurch würden Blickwinkel in Diskussionen aufgenommen, die sonst nicht zustande kämen. Und drittens das Mitgestalten der Angebote durch die Betroffenen selbst, anstelle eines reinen “Beschäftigtwerdens”. Dies sei zwar “noch etwas exotisch, aber alles andere ist Augenwischerei”, betonte der wissenschaftliche Leiter der Demenz Support. Es brauche eine Umkehr des Denkens in Richtung “inclusive first”.

Es tut sich etwas Ein Beispiel für eine gelungene Umsetzung dieses Ansatzes stellte die Kunstvermittlung des Lehmbruck Museums in Duisburg dar. Deren stellvertretende Leiterin, Sybille Kastner, will Menschen mit Demenz als “Experten in eigener Sache” einbeziehen. Diese nähmen an den museumsinternen Schulungen für Kunstvermittler teil. Kastner bilanzierte: “Was zunächst irritierend war, wurde am Ende als sehr hilfreich wahrgenommen.”

Beim Projekt “ARTGenossen” meist die Projekte aus. Deshalb engagieren sich ehrenamtliche gebe es viele Aktivitäten, die Helferinnen und Helfer – oft An- “aneinander vorbeigehen”, da gehörige von Betroffenen –, die die Ansprechpartner nicht vonFührungen für Menschen mit einander wüssten. Hier müsse Demenz unterstützen. eine Verstetigung stattfinden, Im Rahmen des Bundesmodell- so Niermann, denn es sei “ein programms “Lokale Allianzen Thema, das brennt”. für Menschen mit Demenz” haben sich zahlreiche RuhrKunstMuseen mit Partnern aus dem Sozialund Pflegebereich vernetzt, um weitere Kunstangebote für Betroffene und ihre Angehörigen Peter Wißmann, Geschäftsführer der Demenz Support Stuttgart, for­derte auf dem Zweiten Zukunftskongress im Ruhrgebiet Soziale Infrastrukturen des Behörden Spiegel: “Wir zu schaffen. brauchen nicht Betreuung, sondern ­Assistenz und UnZiel des Proterstützung!” gramms sei es, ein bunGerade in der kommunalen Verdesweites Netzwerk zu schaffen, erläuterte Stefanie Adler von der netzung lägen “die Kraftquellen Bundesarbeitsgemeinschaft der in der Demenz”, hob Niermann Senioren-Organisationen (BAG- vor. Der Generationen-Treff lege SO). Darüber hinaus solle ei- seinen Fokus zuerst auf niederne Datenbank zu allen lokalen schwellige Angebote, die geneAllianzen entstehen, die auch rationenübergreifend gestaltet anderen zur Verfügung gestellt seien, da sich gerade die Komwerde, sowie ein themenbezoge- munikation mit Kindern als echner E-Mail-Verteiler. te Bereicherung für Menschen mit Demenz herausgestellt Noch Luft nach oben habe. Bürgerbeteiligung spiele Der Projektleiter des Gene- dabei eine wesentliche Rolle, rationen-Treffs Enger, Günter um Nachhaltigkeit zu erzielen. Niermann, begrüßte solche För- Aufgabe des Treffs sei es nur, derungen von Allianzen, gab al- Hilfe anzubieten, die Bürgerinnen lerdings zu bedenken, dass vieles und Bürger umsetzen könnten. in diesem Bereich auf Projekt­ “Ehrenamt braucht nur Raum, ebene geschehe. Mit Auslaufen keine vertragliche Bindung”, verder Förderzeit liefen dann auch deutlichte Niermann.

“Diese WGs haben wir Älteren uns von den Jüngeren abgeguckt”, erläuterte Ingeborg Dahlmann von Wohnen am Klagesmarkt (WAK) in Hannover das Prinzip der “Alten-WG”. Dabei seien die Mitglieder dieses gemeinschaftlichen Wohnens keine Anbieter, sondern die Nutzer. “Wir müssen die Veränderung akzeptieren, denn wir können nicht leben wie unsere Großeltern. Unsere Kinder sind oft nicht mehr vor Ort, um uns zu unterstützen”, so Dahlmann. Um ihre Idee von einer Wohngemeinschaft umzusetzen, haben sie eine Rechtsform und einen Verein gegründet und es dann in Kooperationen und langen Planungsphasen in Hannover umgesetzt.

autonom. Die Einbindung in die hauswirtschaft­lichen Tätigkeiten in den WGs ist gewollt.” Bei dem Projekt würden in einem 1.000-Meter-Radius “Vernetzungspartner” gesucht, z. B. Hausaufgabenhilfe, Kulturtreffs und Beratungsmöglichkeiten. “Bei den Kommunen rennen wir offene Türen ein, da diese versuchen, die Überalterung und sozialen Probleme von Stadtteilen zu vermeiden oder zu lösen”, so sein Fazit. Um Kommunen dabei an Quar-

nalen Spitzenverbände beteiligt seinen.

Leben vor Ort Einen Blick in die Hauptstadt warf Helene Böhm von der Wohnungsbaugenossenschaft GesoBau: “Die GesoBau in Berlin hält 15.200 Wohnungen im Märkischen Viertel, welches unter der Voraussetzung des Sozialen Wohnungsbaus entstanden ist.” Das Ziel im Viertel sei es, Beratungen und Informationen rund um alle Angebote im Viertel

Q4 – ein Beispiel aus Northeim Ein weiteres Beispiel kommt aus Northeim. Die Einwohner­zahl sinkt kontinuierlich. “Die Stadt ist um elf Prozent geschrumpft”, so Katharina Franzke, Geschäftsführerin der Wohnen in Northeim GmbH. Deshalb sei das Projekt “Q4” entstanden. Hierfür wurde ein altes Krankenhaus gekauft, wo die neuen Quartiere, insgesamt vier Stück – wodurch der Name zustande kam – aktuell entstehen. “Die Planungsphase dauerte vier Jahre an. Insgesamt sollen eine Kita, ein Demenzgarten für Senioren, Wohngemeinschaften und ein Quartierstreff entstehen”, berichtete Franzke. Letzteres soll es erleichtern, das Netzwerk aufzubauen. Da die Johanniter-UnfallHilfe das Projekt unterstützt und auch Vermieter sein wird, erläuterte Müller: “Die Pflegewohngemeinschaften bei Q4 sind ambulant und die Mieter sehr

Zeigten, wie Pflege-WGs umgesetzt werden können: Helene Böhm, Ingeborg Dahlmann, Katharina Franzke, Thorsten ­Müller, Sarah Leuninger und Moderatorin Katarina Heidrich (v.l.n.r.). Fotos: BS/Dombrowsky

tiere und deren Implementa­ tion heranzuführen, bietet der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen eine Art “Instrumentenkoffer” an. Sarah Leuninger vom Verband äußerte sich über entscheidende Schlüsselfaktoren: “Quartiersentwicklung muss Chefsache sein, also beim (Ober-)Bürgermeister und Geschäftsführer des kooperierenden Unternehmens liegen.” Außerdem hätten sie einen Fachausschuss für Quartiersentwicklung ins Leben gerufen, an dem unter anderem die drei kommu-

anzubieten und Versorgungslücken zu schließen. Dabei könne durchaus am Zahn der Zeit gearbeitet und gelebt werden. So sei das Projekt “Seniorennetz” entstanden. Dies ist eine altenfreundliche, digitale Infrastruktur, welche 40 WLAN-Hotspots – wovon 20 bisher umgesetzt sind umfasse. “Innerhalb von einem halben Jahr haben wir ein Drei-Säulen-Modell aufgebaut. Tablet-PC-Kurse, gemeinsame Webseite (seniorennetz.berlin) und mobile Stelen, ein mobiler Computer inklusiver Drucker”, fuhr Böhm fort.

“Aus der Schmuddelecke raus” Haben Pflegeheime ausgedient? (BS/ab) “Die Herausforderungen, altersgerecht zu planen, sind größer geworden”, sagte Alexander Künzel, Vorsitzender des Netzwerks SONG und Seniorenvorstand der Bremer Heimstiftung. Zum Spannungsverhältnis zwischen mehr Teilhabe der älteren Bewohner, bei abnehmendem hauptamtlichem Personal, unterstrich er: “Das Quartiersmanagement ist sinnvoller als Pflegeheime.” Aber inwiefern löst es die Probleme? “Die Bremer Heimstiftung hat seit Jahren keine Pflegeinstitutionen mehr gebaut, stattdessen haben wir Quartiere entworfen”, erläuterte Künzel. Das Ziel sei es dabei, das Geld effizienter einzusetzen und gezielter Partner, wie Kitas, Wohnungsbaugesellschaften, Therapiepraxen und Volkshochschulen zu gewinnen. “Wir müssen massiv rausgehen aus dem stationären Bereich und uns mehr als Stadtentwickler verstehen und agieren”, fasst er zusammen.

Hemmungen abbauen Auch andernorts werden Netzwerke und Kooperationen aufgebaut. “Wir haben einen Notfallkoffer ins Leben gerufen. Dieser umfasst alle Handwerker, die den Menschen das Leben erleichtern können, auch Apotheker, und haben alle zu einem Netzwerk zusammengeschlossen”, griff Manuela Schock, Leiterin des Hauses Stephanus vom Ev. Johanneswerk in Bielefeld, das Thema auf. Damit sei die Gemeinde und Gemeinschaft geöffnet worden. Es solle über einen stationären Platz hinausgehen, wo Fragen rund um die Versorgung geklärt werden könnten. “Der Schritt vom Ambulanten hin zum Stationären fällt vielen Menschen schwer. Die Personen sehen ihr ursprüngliches Zuhause nicht wieder”, erklärt

sie den Ansatz dahinter. “Wir erfolge hauptsächlich im städwollten aus der Schmuddelecke tischen Raum. Im ländlichen der Alten- und Pflegeheime raus Raum sei es “viel schwieriger, und hin zu Einrichtungen, in die diese zu platzieren”. die Menschen gerne gehen”, fuhr sie fort. Deshalb sei der erste Schritt die Einrichtung einer Tagespflege gewesen, wodurch die Menschen tagsüber vor­ b e i­k o m m e n und die WohnÜber die Zukunft von Pflegeheimen diskutierten mit den Zuhörern Helmut Kneppe, Manuela Schock, Moderator gruppen und Hans Jörg Rothen und Alexander Künzel (v.l.n.r.). das Angebot kennenlernen und damit Aber alles steht und fällt beHemmungen abbauen könnten. Wobei dies durchaus schwierig kanntlich mit dem Personal. sei. “Tagespflegegäste nehmen “All unsere Leitungskräfte und wir gerne auf, wir haben keine nachgeordneten Menschen werProbleme bei den Versorgungs- den in Sozialraum-Management verträgen. Aber dies variiert von geschult. Denn die Profile und Bundesland zu Bundesland. In Kompetenzen haben sich auch NRW ist es beispielsweise gesetz- verändert. Damit müssen wir lich nicht möglich, dies einzufüh- ebenso die Ehrenamtlichen fort- und weiterbilden”, betonte ren”, merkte Schock an. Künzel. Seitens der Leiterin des Positive Resonanz Ev. Johanneswerks kam die Er“Die Resonanz in den Quartie- gänzung, dass “die Leitung den ren ist positiv”, fasste Helmut Mitarbeitenden ruhig KompetenKneppe, geschäftsführendes Vor- zen überlassen kann, damit diese standsmitglied des Kuratoriums selbstständig agieren können. Deutsche Altershilfe, zusammen. Es darf keine Kultur der Angst Aber die Quartiersentwicklung herrschen.”


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Juli 2018

Seite 19

Neues Tool für die Bürgerkommunikation

Teilhabe im Digitalen

Nachbarschaftsplattform nebenan.de öffnet sich für gemeinnützige Organisationen und Kommunen

Kann Technik soziale Infrastrukturen stützen?

(BS/ Anne Gottwald*) Die Nachbarschaftsplattform nebenan.de hat es sich zum Ziel gesetzt, Quartiere zu beleben und den sozialen Zusammenhalt auf lokaler Ebene zu stärken. Zu diesem Zweck wird das Soziale Netzwerk nun auch für gemeinnützige Organisationen und kommunale Institutionen geöffnet. Durch die Einführung sogenannter “Organisationsprofile” können gemeinnützige und kommunale Organisationen kostenlos auf nebenan. de über ihr Engagement im Viertel informieren. So treten Organisationen über nebenan.de in Austausch mit der für sie relevanten Zielgruppe auf hyperlokaler Ebene. Nebenan.de ist das größte Soziale Netzwerk für Nachbarn in Deutschland. Das kostenlose Nachbarschaftsnetzwerk bietet Nachbarn die Möglichkeit, ihre Nachbarschaft zu entdecken und Teil einer lokalen Gemeinschaft zu werden. Schon mehr als 850.000 Nachbarn in 7.000 Nachbarschaften sind deutschlandweit dabei. Ob in der Stadt oder auf dem Land: Anwohner können ihrer Nachbarschaft auf nebenan.de beitreten oder sie selbst initiieren. Seit der Gründung 2015 war nebenan.de bislang nur für Privatpersonen zugänglich. Aufgrund der hohen Nachfrage ermöglicht die Plattform nun auch gemeinnützigen und kommunalen Akteuren Zutritt zur Plattform. Durch die Einführung der Organisationsprofile soll das bestehende Engagement im Quartier gefördert und den Akteuren ein Tool für die Verbesserung ihrer digitalen Kommunikation an die Hand gegeben werden.

Hohe Akzeptanz der Organisationsprofile Die Organisationsprofile wurden mit bestehenden Partnern entwickelt, getestet und zunächst in ausgewählten Nachbarschaften eingeführt. Zu den Partnern zählen der Fachbereich Senioren der Stadt Hannover, das Team des Projekts “nordwärts” der Stadt Dortmund, das Projektteam INTIGRA der Stadt Leipzig und die Abteilung “Sozialraumorientierte Planungskoordination” des Be-

(BS/stb) Digitale Plattformen und Medien können Menschen zusammenbringen, Austausch befördern, Zugänge verschaffen, kurz: Barrieren abbauen helfen. Im besten Fall. Häufig schaffen sie aber zusätzliche Barrieren für diejenigen, die wenig Berührungspunkte mit der digitalen Welt haben. Die Frage ist, wie die Technik gestaltet sein muss, um TeilWohlfahrtsverbänden (Diakonie habe zu ermöglichen.

Die Plattform nebenan.de als Dreh- und Angelpunkt zur Vernetzung verschiedener lokaler Akteure Foto: BS/nebenan.de

zirksamts Berlin-Lichtenberg. Seit der Öffnung vor wenigen Wochen registrierten sich bereits rund 500 Organisationen auf der Plattform. Zu den Nutzern der Organisationsprofile zählen unter anderem: • städtische Ämter (z. B. Seniorenreferat Stadt Hannover, Bezirksamt Lichtenberg), • Organisationen der Quartiersarbeit (z. B. Stadtteilzentren, Nachbarschafts- und Seniorentreffs, Mütter-, Familien- und Jugendzentren, Mehrgenerationenhäuser, Bürgerstiftungen), • Katastrophenschutz (z. B. Feuerwehren, THW, Malteser, First Responder), • lokale gemeinnützige Organisationen (z. B. Obdachlosen-, Geflüchtetenhilfe), • nachbarschaftliche Initiativen (z. B. Foodsharing, Repair-Cafés, offene Werkstätten, Gemeinschaftsgärten),

• Vereine (z. B. Sportvereine, Tausch­ringe, Bürger-für-Bürger, Welcome-Dinner). Die Initiativen nutzen die Plattform bisher vorzugsweise für Veranstaltungshinweise, für die Suche nach weiteren Ehrenamtlichen sowie für den Austausch mit Nachbarn bezüglich Verbesserungsmöglichkeiten im Stadtteil. Die hohe Akzeptanz der Organisationsprofile zeigt, wie groß der Bedarf an einem funktionalen und reichweitenstarken Kommunikationstool in diesem Sektor ist.

Partnerschaften mit Städten und Kommunen nebenan.de wird von der Good Hood GmbH mit Sitz in Berlin betrieben und ist das erste und einzige deutsche Nachbarschaftsnetzwerk mit TÜV-Zertifizierung. Das Unternehmen wird von kommunalen Spitzenverbänden (Deutscher Städtetag),

Jetzt bewerben bei “Stück zum Glück” Initiative sucht bundesweit neue Partner für inklusive Spielplätze (BS/Ulrike Pfaff*) Gemeinsames Lernen, Spielen und Aufwachsen ist längst nicht überall Alltag. Vor allem Kindern und Jugendlichen fehlt es an inklusiven Freizeitangeboten. Auch wenn Barrierefreiheit und Inklusion bei Eltern und Stadtverwaltungen in den letzten Jahren eine zunehmend wichtige Rolle spielt, gibt es in Deutschland immer noch viel zu wenige barrierefreie Spielplätze. Die Initiative „Stück zum Glück“ möchte das ändern. Damit Inklusion nicht in den Kinderschuhen stecken bleibt, sucht sie bundesweit nach engagierten Partnern, mit denen sie inklusive Spielplätze umsetzen kann. Inklusive Spielplätze sind ideale Begegnungs- und Austauschplattformen für alle Kinder und Eltern: Hier können sich Kinder mit und ohne Behinderung spielend kennenlernen und Vorurteile entstehen gar nicht erst. Das zeigt auch die Eröffnung des ersten inklusiven Spielplatzes der bundesweiten Initiative “Stück zum Glück” im vergangenen Juni auf dem Gelände des Jugendzentrums Offene Tür in Köln-Porz: Hier wippten, schaukelten und kletterten rund 200 Kinder mit und ohne Behinderung und aller Altersklassen mit hörbar viel Spaß und in bester Spiel-Laune.

Inklusive Spielplätze sind ideale Begegnungs- und Austauschplattformen für alle Kinder, leider gibt es noch zu wenige. Dem soll Abhilfe geschaffen werden.

Foto: BS/Aktion Mensch

Weitere Bewerber für inklusive Bereitschaft, sich für die Pflege einen wichtigen Beitrag zu mehr Spielplätze gesucht! der neuen Spielplätze einzuset- Inklusion. Denn wo Inklusion

Damit noch weitere inklusive Spielplätze entstehen, sucht die Aktion Mensch verstärkt nach neuen Bewerbern – bundesweit, in allen Städten und Gemeinden. Insbesondere wendet sie sich an freie gemeinnützige Organisationen. Aber auch Behindertenbeauftragte sowie Sport-, Schul-, und Grünflächenämter sind gefragt: Gibt es einen Spielplatz in Ihrer Gemeinde, den Sie zu einem inklusiven Spielplatz um- oder ausbauen möchten? Denkbar ist auch ein inklusiver Umbau in Kooperation mit der Stadt. Wenn ja, melden Sie sich bitte. Die künftigen Partner müssen kein Geld mitbringen. Ihr soziales Engagement und die

zen, reichen aus.

Die Initiatoren und ihre Rolle Die deutschlandweite Spendenaktion “Stück zum Glück” ist eine gemeinsame Initiative von Procter & Gamble (P&G), Rewe und der Aktion Mensch. Mit “Stück zum Glück” werden über einen Zeitraum von drei Jahren eine Million Euro gesammelt, mit der deutschlandweit neue inklusive Spielplätze geschaffen und bestehende Spielplätze zu neuen Orten der Begegnung für Kinder und Familien aus- oder umgebaut werden. Insgesamt sind rund 40 inklusive Spielplatz-Projekte geplant. “Stück zum Glück leistet

früh gelernt und gelebt wird, entstehen Barrieren im täglichen Umgang gar nicht erst”, sagt Armin v. Buttlar, Vorstand der Aktion Mensch. Die Aktion Mensch setzt sich seit Jahren für Inklusion und Barrierefreiheit ein. Ihre Erfahrungen und ihr Know-how auf diesem Gebiet fließen nun in die inklusiven Spielplatzprojekte ein. Infos dazu unter www.rewe. de/glück Fragen an: stueckzumglueck@ aktion-mensch.de *Ulrike Pfaff arbeitet im Bereich Kommunikation der Aktion Mensch.

Deutschland) und der Bundespolitik (Nationale Stadtentwicklungspolitik) empfohlen. Derzeit führt nebenan.de mehrere offizielle Städtepartnerschaften. Zu den Partnern zählen, neben dem Fachbereich Senioren der Stadt Hannover und dem Bezirksamt Lichtenberg in Berlin, die Digitalstadt Darmstadt sowie die Smart Cities Dortmund und Köln. Weitere Städtepartnerschaften sind bereits in Planung. Nebenan.de ist für neue Kooperationen sowie eine individuelle Konzeption dieser stets offen und freut sich über die Eigeninitiative von städtischen und kommunalen Akteuren. Die Nachbarschaftsplattform nebenan.de hat seit ihrer Gründung effektiv dazu beigetragen, dass Menschen sowohl online als auch offline näher zusammenrücken und sich dafür engagieren, ihre Nachbarschaft zu einem lebenswerten Ort zu machen. Das Gründerteam sieht die Digitalisierung als Chance, Begegnungshürden abzubauen und innovative, digitale Kommunikationswege zu öffnen. Mit den neuen Organisationsprofilen werden lokale und kommunale Partner aktiv eingebunden. Gemeinsam arbeiten sie daran, den sozialen Zusammenhalt in Quartieren zu stärken.

“In digitalen Medien steckt ein gigantisches Potenzial für Menschen mit Beeinträchtigung jeder Art”, sagte Dr. Konstanze Arp, Geschäftsführerin des NRW-Forschungskollegs GROW (Gerontological Research On Well-Being) an der Universität Köln. Um dieses Potenzial zu heben, fehle es aber an systematischem Wissen darüber, wie bestimmte Gruppen neue Technologien wahrnehmen und langfristig nutzen. Einen Beitrag zur Schließung der Wissenslücke soll ein Forschungsprojekt leisten, das die wissenschaftliche Mitarbeiterin bei GROW, Anna Schlomann, vorstellte. Über ein Jahr hat das Forschungsteam ältere Menschen bei der Nutzung von Fitnesstrackern begleitet. Obwohl die Probanden überdurchschnittlich technikaffin gewesen seien, hätten die meisten sich auf die einfachsten Hauptfunktionen, Uhr und Schrittzähler, beschränkt. Eine Kopplung mit dem Smartphone, die langfristige Analysen der Fitness erlaubt hätte, sei kaum ausprobiert worden. Außerdem hätten viele die voreingestellten Sollwerte zur empfohlenen täglichen Schrittanzahl als bevormundend empfunden. “Die Möglichkeiten zur individuellen Anpassung haben aber die wenigsten genutzt”, so Schlomann. Organisationsprofil kostenlos “Für einige stellte die Technik erstellen unter: https://organisa auch nach einem Jahr noch eine tion.nebenan.de/ Hürde dar.” Ein ernüchterndes Fragen an: organisationen@­ Resümee, wenn man bedenkt, dass besonders ältere Menschen nebenan.de von einer Sensibilisierung für *Anne Gottwald betreut die Orga- körperliche Aktivität profitieren nisationsprofile auf nebenan.de. würden.

“Leider setzt die Technik zumeist voraus, dass der Mensch sich ihr anpasst.” So brachte Thomas Nerlinger das Problem auf den Punkt. Als Leiter des Modellprojekts Dorfgemeinschaft 2.0 unter Trägerschaft der Gesundheitsregion Euregio e. V. versucht er, dieses Missverhältnis auf den Kopf zu stellen. Die digitale Plattform für den Raum Grafschaft Bentheim / südliches Emsland soll dem Menschen folgen, indem sie ländliche Gemeinschaftsstrukturen nicht technisch neu aufsetzt, sondern stützt und ergänzt. Die Lebensbereiche Mobilität, Wohnen, Versorgung und Gesundheit werden in einem virtuellen Dorfgemeinschaftszentrum abgebildet. Dort sollen Dienste, seien es ÖPNV-Apps und Bürgerbus oder Dorfläden und Lieferservices, gebündelt wie auf einem Marktplatz auftreten. Die Dorfgemeinschaft 2.0 beschränkt sich nicht auf den digitalen Raum, sondern ist an die “reale” Dorfgemeinschaft, also die Anbieter und Infrastrukturen vor Ort, rückgekoppelt. Aufgesetzt wird das Angebot jeweils eigenständig durch die jeweilige Gemeinde. “Ob das vom Rathaus direkt übernommen wird, durch eine GmbH der ­öffentlichen Hand oder auch durch ein genossenschaftliches Modell, ist den Teilnehmern selbst überlassen”, erklärt Nerlinger. Offen sei das Projekt prinzipiell auch für Vereine, Privatunternehmen oder andere Einrichtungen, die Gemeinschaftsstrukturen bilden und stärken.


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Personelles

Behรถrden Spiegel / Juli 2018


Behรถrden Spiegel / Juli 2018

Personelles

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Personelles / Kommunalpolitik

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Behörden Spiegel / Juli 2018

“Spiegelbild schwieriger Haushaltslage der Kommunen”

Investitionsrückstand wächst

Deutscher Landkreistag kritisiert den angestiegenen Investitionsrückstau

Eine Sackgasse für kommunale Projekte?

(BS) Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Geschäftsführendes Präsidialmitglied beim Deutschen Landkreistag, erläutert, wie es zu dem Zuwachs im (BS/ab) Um 33 Milliarden Euro – von 126 Milliarden im Jahr 2017 auf 159 Investitionsrückstau kam und was getan werden muss, um den Kommunen zu helfen. Die Fragen stellte Adrian Bednarski. Milliarden im Jahr 2018 – sind die Investitionsbedarfe der Kommunen gestiegen: Dies ergab die repräsentative Umfrage des KfW-KommunalBehörden Spiegel: Welche verstärken. Dazu bedarf es auch re kommunale Steuerverteilung panels. Für die einen war dies überraschend, für die anderen weniger. an. Die Kommunen tragen fast Wie kann der Investitionsrückstand abgebaut werden? Plant die Politik Ursachen sehen Sie für den Zustruktureller Änderungen. ein Viertel der gesamtstaatlichen einzugreifen? wachs? Henneke: Zurückgehende kommunale Investitionen waren in den vergangenen Jahren ein Spiegelbild der schwierigen Haushaltslage der Kommunen (mehr zum Thema Investitionsrückstau lesen Sie rechts). Es wurde keineswegs nur auf wünschbare, aber nicht finanzierbare Neu-Investitionen verzichtet. Schwerer wiegt, dass mit den zurückbleibenden Investitionen seit mehr als einem Jahrzehnt ein nachhaltiger Subs–tanz- und Vermögensverzehr verbunden war. Kommunen sind die einzige Ebene, die seit 2003 durchgängig negative Nettoinvestitionen, d. h. einen Vermögensverzehr zu verzeichnen hat. Neu ist, dass sich auch in den vergangenen Überschussjahren keine signifikante Veränderung gezeigt hat. Vielmehr scheinen sich – anders als man es aus der Vergangenheit gewohnt war – Einnahme- und Sachinvestitionsentwicklung in der Aufschwungsphase stärker zu entkoppeln. Ursächlich sind Preis- und Kapazitätseffekte, die den Abbau der Investitionsrückstände bremsen. So sind allein die Preise im Straßenbau letztes Jahr im Durchschnitt um über fünf Prozent gestiegen. Obwohl die finanziellen Mittel – auch aufgrund von Investitionsfördermaßnahmen des Bundes und der Länder

Behörden Spiegel: Welche Hindernisse existieren noch?

Prof. Dr. Hans-Günter Henneke äußert sich in einem Behörden SpiegelInterview über den Investitionsstau. Foto: BS/ZDF,Andrea Enderlein

höhere Investitionen erlauben würden, mangelt es zudem mittlerweile in vielen Landkreisen an Personalkapazitäten. Hinzu macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar, zumal die Bewerber oft lukrativere Angebote aus der Privatwirtschaft vorziehen. Das macht es nicht einfach, bestehende Lücken adäquat und schnell zu schließen. Schließlich fehlt es an Kapazitäten der Bauunternehmen, so dass Landkreise auf Ausschreibungen - überhaupt kein Angebot mehr erhalten. Soll es zu substanziellen Verbesserungen der kommunalen Investitionsfähigkeit kommen, ist eine Stärkung der verfügbaren eigenen Einnahmen gefordert und keine Investitionsprogramme, die die oben genannten Effekte noch

Henneke: Wesentlich sind die strukturellen Mechanismen. Hier leiden Kreise und Städte unter Fehlentwicklungen, weil die eigene Steuerbasis nach wie vor nicht stark genug ist, um auch unabhängig von diesen Finanzspritzen eine gute Entwicklung zu nehmen. Wer eine dauerhaft aufgabenadäquate Finanzausstattung hat, kann auch entsprechende vorausschauende Personalplanungen vornehmen. Gerade dauerhafte Personalkapazitäten lassen sich jedoch nicht mit Blick auf Investitionsprogramme planen. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, um von gesunden Kommunalfinanzen zu sprechen, die auch dauerhafte Spielräume für kontinuierliche Investitionen und Erhaltungsmaßnahmen in Infrastruktur, Mobilität, Bildung oder Digitalisierung eröffnen. Es muss daher gelten: Aufstockung der originären kommunalen Steuereinnahmen statt Investitionsprogramme oder Bundesbeteiligungen an kommunalen Leistungen. Behörden Spiegel: Was müsste sich ändern? Henneke: Wir streben eine bessere und aufgabengerechte-

Ausgaben, während ihr Steueranteil nur gut halb so groß ist. Den Gemeinden und Landkreisen muss daher ein größeres Stück am Steueraufkommen zugestanden werden. Das kann und muss über eine Erhöhung des kommunalen Umsatzsteueranteils erfolgen, der künftig wie bei den Ländern aufgabenorientiert grundsätzlich nach Einwohnern verteilt werden muss. So würde es gelingen, die kommunale Steuereinnahmebasis zu verbessern, anstatt mehr und mehr von Finanzzuweisungen der Länder und Investitionsprogrammen des Bundes abhängig zu sein. Wir wollen keine neuen Abhängigkeiten, sondern das Gegenteil: eine auskömmliche steuerliche Grundausstattung. Bei der Digitalisierung beispielsweise sind erhebliche einmalige Investitionen notwendig, für die befristete Finanzierungsprogramme des Bundes und der Länder erforderlich sind. Von grundlegender Bedeutung ist hier, zunächst für die notwendigen Basisinfrastrukturen zu sorgen, d. h. Breitband. Ohne schnelles Internet stellt sich die Frage der Digitalisierung von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen erst gar nicht. Daher ist es wichtig, das Thema in der richtigen Reihenfolge zu diskutieren und vorn anzufangen.

“Der Anstieg des Investitionsrückstandes in dieser signifikanten Größenordnung hat uns überrascht. Es zeigt uns, dass wir es nicht schaffen, ihn abzubauen und mehr zu investieren”, sagt Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (mehr zum Investitionsrückstand erfahren Sie links vom Deutschen Landkreistag). Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages ergänzt: “Das liegt an einem in dieser Form nicht erwarteten Anstieg der Bevölkerung: Menschen ziehen wieder öfter in attrak­tive Groß- und Universitätsstädte, weil ihnen Leben und Jobs dort attraktiver erscheinen.” Auch würden Flüchtlinge häufig

Der Fonds teilt sich auf zwei Förderprogramme mit einem Volumen von jeweils 3,5 Milliarden auf: Einerseits das Infrastrukturprogramm, mit dem der Bund von 2015 bis 2020 verschiedene Teilbereiche der Infrastrukturen unterstützt. Andererseits das Schulsanierungsprogramm, bei dem gezielt Sanierungen, Umbau und Erweiterungsmaßnahmen von Schulgebäuden im Vordergrund stehen. “Mit dem Bundeshaushalt 2018 sollen 37 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung stehen, drei Milliarden mehr als im vergangenen Jahr. Dabei ist der Digitalfonds noch nicht mit berücksichtigt”, sagte Kolberg. Daneben stehe der Digitalpakt

Die Grafik zeigt den wahrgenommenen Investitionsrückstand der Kommunen aus dem KfW-Kommunalpanel 2018. Grafik: BS/KfW-Kommunalpanel 2018 © KfW 2018

Servicestelle kommt

Tarifeinigung erzielt

Berliner Standesämter werden entlastet

Mehr Geld für Nahverkehrsbeschäftigte

(BS/mfe) In Berlin wird es künftig eine regionalisierte Servicestelle der Standesämter geben. Außerdem soll für die einzelnen bezirklichen Behörden auf eine bessere Personalausstattung sowie auf eine bessere Entlohnung der Beschäftigten hingewirkt werden.

(BS/mfe) Rund 14.00 Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und ihrer Tochter Berlin Transport erhalten höhere Gehälter. Rückwirkend zum 1. Januar bekommen sie – je nach Entgeltgruppe – monatlich 70 bis 75 Euro mehr.

Darüber hinaus ist für kommendes Jahr die Einführung einer Online-Voranzeige für Geburten und Sterbefälle vorgesehen. Dieses Angebot soll dabei nicht nur die bezirklichen Standesämter entlasten, sondern auch alle Krankenhäuser und Bestattungsunternehmen in der Bundeshauptstadt. Sie sollen künftig über ein Servicekonto digital und ohne Zeitverzug Geburten und Todesfälle an die Behörden melden können. Darüber hinaus soll den Bürgern mithilfe der regionalisierten Servicestelle ein effizienterer und einheitlicherer Zugang zu den standesamtlichen Leistungen geboten werden. Über sie wäre auch eine ergänzende Terminbuchung möglich. Des Weiteren ist vorgesehen, dass diese Stelle, die zentral in einem Bezirk

angesiedelt wird, aber für die gesamte Stadt verantwortlich ist, die Standesämter von mehreren internen Aufgaben entlastet. Zudem soll dort das Aus- und Fortbildungsmanagement gebündelt werden, wie eine Organisationsuntersuchung für die Berliner Standesämter ergab. Die Analyse wurde von der Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Sabine Smentek, in Auftrag gegeben und erstreckte sich auf Abläufe, die Personalsituation, die Informationstechnik und die organisatorischen Rahmenbedingungen in den Standesämtern. Auf ihrer Grundlage soll nun auch ein zentrales Wissensmanagement für länderspezifische Erkenntnisse zu Verwaltungspraktiken sowie Urkunden- und Passbeschaffungen eingerichtet werden.

Das ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV). Die Gespräche hatten sich über drei Runden hingezogen. Die KAV-Verhandlungsführerin Claudia Pfeiffer sagte zu der Einigung: “Der Berliner Nahverkehr kann mit einem fairen Tarifabschluss weiterhin reibungslos rollen.” Zudem zeigte sie sich überzeugt: “Wir sichern mit dem Tarifergebnis die Wettbewerbsfähigkeit des Nahverkehrs in Berlin und die Beschäftigten erhalten einen kräftigen Reallohnzuwachs.” Da auch die BVG unter einem spürbaren Fachkräftemangel leide, sei die Einigung ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsplätze auch für Neueinsteiger attraktiver zu machen, ergänzte ihr Gegenüber von Verdi, Jeremy

Arndt. Und der BVG-Vorstand für Personal und Soziales, Dirk Schulte, betonte: “Tarifverträge sind das geeignete Instrument, um die Arbeitsbedingungen im Interesse der Unternehmen und seiner engagierten Beschäftigten zukunftsfähig zu gestalten.” Mit dem nun erzielten Abschluss steigere man nachhaltig die Attraktivität der BVG als Arbeitgeber, so Schulte.

Der Bund greift helfend ein

Berlins ÖPNV wird nicht bestreikt. Foto: BS/Artem Svetlov, CC BY 2.0, flickr.com

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in den Städten eine neue Heimat suchen. Wohingegen die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den steigenden Investitionsbedarf als “nicht überraschend” ansieht, heißt es von Dr. Jörg Zeuner, aus der KfW. Steigende Investitionsbedarfe bei nahezu konstanten Ausgaben, Kapazitätsengpässe bei der Planung und Umsetzung von Projekten und steigende Baupreise seien die Ursachen. Ein Hauptgrund für den Investitionsbedarf ist auch der sprunghafte Anstieg der sanierungsbedürftigen Schulen und Gebäude, deren Lebenszyklus sich dem Ende nähre. “Aber gleichzeitig verlieren andernorts Städte einen Teil ihrer Bevölkerung. Sie ringen dann damit, ihre Attraktivität zu erhalten und die städtische Infrastruktur zu pflegen, was ebenfalls Investitionen erfordert”, zeigt Dedy das Dilemma auf.

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Der Bund ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst: “Das Leben der Bürgerinnen und Bürger findet in den Kommunen statt. Hier werden die Investitionen getätigt, die das Leben der Menschen unmittelbar verbessern. Unser Ziel ist es, bei allen Unterschieden für vergleichbar gute Lebensverhältnisse zu sorgen”, betonte Dennis Kolberg aus dem Bundesfinanzministerium. Auch wenn die finanzielle Situation der deutschen Kommunen sich seit 2012 verbessere und sie in der Gesamtheit Finanzierungsüberschüsse von 9,7 Milliarden erzielen würden, so gebe es doch jene mit schwierigen Haushaltslagen. Eigentlich sei die “ausreichende” finanzielle Ausstattung der Kommunen nach der deutschen Finanzverfassung Länderzuständigkeit. “Dennoch übernimmt auch der Bund Verantwortung. Hierfür haben wir unter anderem den Kommunalinvestitionsförderungsfonds mit einem Gesamtvolumen von sieben Milliarden Euro eingerichtet”, erläutert Kolberg.

bereit, welcher mit 2,4 Milliarden in diesem Jahr eine Anschubfinanzierung ermöglichen solle. Auch der soziale Wohnungsbau werde gestärkt. Im Jahr 2019 stelle der Bund 500 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung, wodurch das Volumen auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro ansteige. “Auch in den Jahren 2020 und 2021 sind zusätzliche Mittel des Bundes eingeplant: jeweils eine Milliarde Euro. Des Weiteren sind für 2019 für die Städtebauförderung Programmmittel in Höhe von 790 Millionen Euro vorgesehen und mit rund zwei Milliarden Euro wird die Ganztagsbetreuung an Schulen gefördert”, schließt Kolberg ab.

Das große Aber “Mehr finanzielle Mittel sind zwar notwendig und hilfreich, aber auch die Bürokratie zu senken und damit die finanzielle Umsetzung zu vereinfachen, ist vonnöten”, so Handschuh. Es brauche eine strukturelle Entlastung der Kommunen. Diese würden weiterhin viele Ausgaben durch die sozialen Leistungen tätigen, die sie, “wenn sie es nicht müssten, investieren könnten”. Denn, fuhr er fort, es gebe Kommunen, die “haben schlicht kein Geld, auch wenn die Kommunen bundesweit gesehen Plus schreiben.” Außerdem fehle es am Personal, insbesondere bei den Bauämtern, weil diese im Laufe der Jahre eingespart worden seien. Dementsprechend seien nicht genügend Bauplaner vorhanden und somit würden die Bauprozesse sehr lange dauern. “Die finanziellen Zulagen des Bundes hinsichtlich des Breitbandausbaus oder des Digitalpaktes sind hilfreich und werden begrüßt. Aber die Kommunen brauchen mehr freiere finanzielle Mittel, um sich kommunal effizienter selbst verwalten zu können”, resümiert Handschuh. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie der Deutsche Städtetag möchten, eine stärkere Förderung zur Entlastung bei den Sozialausgaben der Kommunen.


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / Juli 2018

Seite 23

“Demografische Entwicklung”

MELDUNG

Chancen nutzen! von Dr. Ulrich Keilmann

Kommunen und ihre Beteiligungen sind deutschlandweit wichtiger Garant für die öffentliche Daseinsvorsorge. Sie erbringen pflichtige und freiwillige Leistungen für die Bürger. Dazu benötigen sie Ressourcen, an erster Stelle ihr Personal. Entsprechend beliefen sich im Jahr 2016 die Personalausgaben der kommunalen Kernhaushalte in den Flächenländern einschließlich ihrer Extrahaushalte (sog. FEUs des Staatssektors) auf 5,4 Mrd. Euro (2015: 5,2 Mrd. Euro). Durchschnittlich sind dies rund 825 Euro je Einwohner und damit mehr als ein Viertel der bereinigten Ausgaben insgesamt (3.172 Euro). Über 110.000 Personen arbeiten für hessische Kommunen. In dieser Zahl sind die Beurlaubten und geringfügig Beschäftigten sowie das Personal kommunaler GmbHs etc. noch nicht einmal erfasst. Der Großteil (rund 90 Prozent) hiervon sind Arbeitnehmer, nur etwa 10 Prozent stehen im Beamtenverhältnis. Ein Blick allein auf die reinen Ausgaben und Fallzahlen des Personals reicht aber nicht.

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

der Ruheständler zu bewahren. Deswegen sollten die Kommunen schon jetzt beginnen, einen geordneten Übergang zu organisieren und den Wissenstransfer sicherzustellen. Gerade in einem strukturierten, geplanten Vorgehen liegen große Chancen. Interkommunale Zusammenarbeit kann dabei ein wesentlicher Erfolgsbestandteil

sein. So lassen sich mittelfristig u. a. • Auslastungsvorteile organisieren (um personelle Spielräume zu schaffen), • Spezialwissen auf- und ausbauen (um rechtssicherer handeln zu können), • Vertretungsregelungen eta­ blieren (um Mitarbeiterzufriedenheit zu fördern), • eine stärkere Aufgabentrennung realisieren (um personenunabhängige und objektivere Aufgabenerfüllung zu ermöglichen) und • Prozesse stärker koordinieren und standardisieren (um einheitliche IT-Lösungen zu fördern und Kostenvorteile zu generieren).

che 19/5336 vom 28. November 2017, S. 18 ff. Zu den Optimierungspotenzialen interkommunaler Zusammenarbeit finden sich viele Informationen im Kommunalbericht 2014, Hessischer Landtag, Drucksache 19/801 vom 7. Oktober 2014, S. 196 ff. Die 166. Vergleichenden Prüfung “Konsolidierung Kreis Offenbach: Wirkung Interkommunaler Zusammenarbeit kreisangehöriger Gemeinden” zielte auf die Bewertung von Ergebnisverbesserungspotenzialen ab, die sich aus künftiger interkommunaler Zusammenarbeit ergeben können, wenn ausgewählte Verwaltungsaufgaben koordiniert und gebündelt in Serviceeinheiten wahrgenommen werden.

Insgesamt sollte sich jede Kommune schon jetzt ein umfassendes Bild über die demographische Entwicklung ihres Personals machen, um anschließend eine passgenaue Strategie zu entwickeln. Gerade bei Kommunen mit defizitären Haushalten kann auch die natürliche Personalfluktuation genutzt werden, freiwerdende Stellen nicht wieder zu besetzen. So kann gleichzeitig auch ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung geleistet werden. Lesen Sie mehr zur “Lage der Kommunalfinanzen” und zur “Altersstruktur des Personals” im Kommunalbericht 2017, Hessischer Landtag, Drucksa-

4.000 Anzahl Arbeitnehmer

3.000

Anzahl Beamte

Demografie Allgemein bekannt ist die demografische Entwicklung. Sie lässt auch die Kommunalverwaltungen nicht außen vor. Nebenstehende Ansicht zeigt die Altersstruktur des kommunalen Personals in Hessen. Danach geht fast die Hälfte der Beschäftigten spätestens in 15 Jahren in den Ruhestand. Aus dieser Altersstruktur ergeben sich sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die jeweilige Kommune als Arbeitgeber. Herausfordernd ist, die wegfallende Arbeitskapazität zu kompensieren sowie das Fachwissen

2.000

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bis 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 ab 18 65 Jahre

Die Altersstruktur des kommunalen Personals in Hessen

Quelle: BS/Hessisches Statistisches Landesamt; Grafik: BS/Dach

Risikoidentifikation in der kommunalen Praxis Drei Jahre Risikomanagement des Beteiligungsmanagements der Stadt Frankfurt/Main (BS/Lars Scheider) Entgegen den Regelungen für Einzelgesellschaften, wie sie bspw. auf Basis des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) seit 1998 normiert sind, existieren für den “Konzernverbund” Stadt bzw. Kommune in der Hessischen Gemeindeordnung keine gesetzlichen Vorgaben zur Risikoüberwachung und -steuerung im Beteiligungsmanagement. Gleichwohl greift das Beteiligungsmanagement der Stadt Frankfurt am Main bereits seit drei Jahren in Anlehnung an privatwirtschaftliche und erste kommunale Ansätze (bspw. der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement) auf ein eigenes Internes Kontrollsystem zurück. Denn in Zeiten zunehmender kommunaler Aufgaben, reduzierter Finanzierungsspielräume und hoher Leistungserwartung der Öffentlichkeit gewinnt das Risikobewusstsein zunehmend auch in Städten und Gemeinden an Bedeutung. im Sommer und einmal zum Jahresende an die Amtsleitung. Zur Vorbereitung der Sitzungen des Risikokomitees greifen die Mitglieder zunächst auf bestehende Instrumente und Einzelberichterstattungen zurück. Dies sind im Wesentlichen alle unterjährigen Berichte/Zusammenstellungen sowie die Risikoberichterstattung im Jahresabschluss der einzelnen Beteiligungsunternehmen. Daneben werden die in den regelmäßigen Dienstbesprechungen und den wiederkehrenden Regelrücksprachen der einzelnen Sachgebiete von einzelnen Beteiligungsbetreuern erkannten Risiken an die Sachgebietsleitungen gesammelt. Aktuell neu auftretende, mögliche Risiken (z. Regelmäßige BerichterstatB. aus der Umsetzung neuer Getung durch Risikokomitee setzesvorgaben oder geänderter Die transparente Zusammen- Rechtsprechung) werden zudem führung aller im IKS des Beteili- laufend erfasst. In einem zweimal gungsmanagements betrachteten jährlich verfassten Risikobericht Risiken erfolgt durch ein Risiko- wird schließlich die unterjährig komitee, das zwei Mal im Jahr kontinuierliche Arbeit schriftlich tagt. Es berichtet danach einmal durch das Risikokomitee zusammengefasst. Die Entwicklung des IKS des BeteiligungsmanageAssessor jur. Lars Scheider ist gelernter Bankkaufmann ments der Stadt und seit über zehn Jahren Frankfurt am Verwaltungsdirektor und AbMain in den letzteilungsleiter Beteiligungsten drei Jahren management bei der Stadthat gezeigt, dass kämmerei Frankfurt/Main. die wiederkehrende Analyse für das Foto. BS/privat Risikobewusstsein Das IKS basiert auf zwei Säulen: Internes Überwachungssystem (IÜ) und Risikomanagementsystem (RMS) (siehe nebenstehende Abbildung).Das IÜ befasst sich mit Risiken, die aus der Sphäre der Beteiligungsverwaltung stammen oder diese überwiegend betreffen; das RMS beleuchtet Risiken, die primär aus dem Bereich der einzelnen Beteiligungsgesellschaften herrühren. Für das RMS ist hervorzuheben, dass es sich mit seinen Controlling-Instrumenten wie u. a. den jährlichen Wirtschaftsplangesprächen und der fünfjährigen Mittelfristplanungen auf künftige Risiken und Entwicklungen in den einzelnen Beteiligungsunternehmen konzentriert.

Finanzrisiken der Stadt Frankfurt am Main

Internes Kontrollsystem (IKS) Beteiligungsmanagement

Internes Überwachungssystem (IÜ)

Risikomanagementsystem (RMS)

Risiko-Erkennung und -Steuerung

Controlling des Portfolios / der Beteiligungen D Wirtschaftliche Risiken

A Fachliche Risiken B Rechtliche Risiken C Organisatorische Risiken

Das Interne Kontrollsystem (IKS) des Beteiligungsmanagements der Stadt Frankfurt/Main

von entscheidender Bedeutung ist. Insofern ist die konsequente Umsetzung des IKS mit halbjährlichen Sitzungen des internen Risikokomitees und des jährlichen Berichts auf Basis der Jahresabschlüsse im Hinblick auf das Ziel, finanzielle Risiken auf Beteiligungsebene besser kontrollieren zu können, von entscheidender Bedeutung.

Schlanke, erfolgversprechende Lösung Dabei ist eine praxisorientierte, “schlanke” Lösung wie das oben beschriebene Modell der Stadt Frankfurt am Main, das sich gleichwohl an Best-PraticeLösungen orientiert, gerade im kommunalen Bereich erfolgversprechend.

Quelle: BS/Scheider

Mehr zum Beteiligungsmanagement und den Möglichkeiten und Grenzen etwa durch das europäische Beihilfenrecht thematisiert der Autor im Rahmen eines Seminars des Behörden Spiegel am 23. und 24. Oktober 2018 in Berlin. Weitere Informationen unter www.fuehrungskraefte-forum. de, Suchwort “Beteiligungsmanagement”

Streitpunkt Einwohnerveredelung (BS/gg) In Nordrhein-Westfalen gibt es derzeit bei der von der Landesregierung auf den Prüfstand gestellten sogenannten “Einwohnerveredelung” einen offenen Konflikt zwischen dem Städtetag auf der einen und Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund auf der anderen Seite. Ausgangspunkt der Diskussion war eine Mittelung des Städtetags NRW, in der postuliert wird, größere Städte in Nordrhein-Westfalen seien urbane Arbeits- und Versorgungszentren auch für das gesamte Umland, trügen höhere Soziallasten als kleinere Städte und Gemeinden und bräuchten daher höhere Zuweisungen des Landes. Ein gefühlter Nachholbedarf in einigen ländlichen Regionen des Landes dürfe nicht dazu führen, dass die Verteilung der Landesmittel zwischen großen und kleinen Kommunen infrage gestellt werde. “Ob bei der Infrastruktur, der Personalausstattung, bei Betreuungsund Integrationsangeboten, bei Sport, Kultur und Freizeit: Die nordrhein-westfälischen Kommunen, große wie kleine, mussten jahrzehntelang sparen. Um hier Abhilfe zu schaffen, hilft keine Umverteilung. Stattdessen brauchen wir eine den Aufgaben angemessene Finanzausstattung aller Kommunen durch das Land. Und der Bund sollte die Kommunen bei den Sozialausgaben weiter wesentlich entlasten”, so Städtetags-Geschäftsführer Helmut Dedy. In Reaktion auf die Verlautbarung des Städtetags traten der Landkreistag NRW und der Städte- und Gemeindebund NRW gemeinsam für ein Ende der “Ungleichbehandlung von Bürgern bei der Gemeindefinanzierung” ein. “Wir fordern seit Jahren, dass die sogenannte Einwohnerveredelung abgeschafft wird, weil es für sie keinen sachlichen Grund gibt. Anders als vom Städtetag behauptet, haben Großstädte keinen Bedarf, der es rechtfertigt, dass das Land für einen Bürger der Stadt Köln 154 Euro zahlt, während für den Einwohner einer Gemeinde in der Eifel nur 100 Euro überwiesen werden. Besonderen Bedarfen in den Bereichen Soziales und Infrastruktur wird durch spezielle Finanzierungsinstrumente entsprochen”, sagten die Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Klein, Landkreistag NRW, und Dr. Bernd Jürgen Schneider, Städte- und Gemeindebund NRW. Größere Städte müssten pro Kopf nicht mehr ausgeben als kleine und mittlere Städte – die jeweils vorgehaltene Infrastruktur müsse sich vielmehr rechnen. Die NRW-Landesregierung stelle daher zu Recht die sogenannte Einwohnerveredelung im Gemeindefinanzierungsgesetz auf den Prüfstand. Beide Seiten belegten ihre jeweilige Position mit zahlreichen Zahlenbeispielen, welche die jeweilige Argumentation stützten. Daher darf man gespannt sein, wie es der Landesregierung NRW gelingt, zwischen den beiden Konfliktparteien einen tragfähigen Kompromiss auszuhandeln.


Kommunalwirtschaft / Stadtwerke

Seite 24

Volle Kraft voraus?

D

ie Stadtwerke Cottbus werden ihr Heizkraftwerk mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von rund 75 Millionen Euro erweitern. Dabei soll das alte Kohlekraftwerk zu einem Gaskraftwerk umgerüstet werden. Eine Anlage mit gasbetriebenen Blockheizkraftwerken (BHKW) und thermische Druckspeicher werden in die Bestandsanlage integriert. Im Gegenzug wird die bisherige Nutzung veredelter Braunkohle gekappt. Ein richtungsweisender Schritt im Lausitzer Braunkohlerevier. Maßgebliche Entscheidungsgrundlage sei die resultierende Förderung gewesen, heißt es seitens der Stadtwerke. Denn mit dem Umbau erfülle die Anlage alle Voraussetzungen des Gesetzes zur Förderung der Kraft-WärmeKopplung. “Damit können für einen sehr langen Zeitraum die Fernwärmepreise der städtischen Endkunden auf einem sehr stabilen wettbewerbsfähigen Niveau gehalten werden”, wie es weiter heißt.

Verzicht auf Kohle? Die neue gasbetriebene Anlage soll zu einer CO2-Einsparung von 100.000 t führen – dies entspricht circa 30 Prozent. Hinzu komme durch die Einbindung hocheffizienter Speichertechnologien eine hohe Flexibilität der BHKW auch in der Bedienung der Strommärkte. Die Inbetriebnahme ist für die Heizperiode 2020/2021 vorgesehen, geben die Stadtwerke bekannt. Allerdings soll auch weiterhin etwa die Hälfte des städtischen Fernwärmebedarfs aus dem nahegelegenen Wärmekraftwerk Jänschwalde geliefert werden, das überwiegend mit Braunkohle befeuert wird. Obwohl das durch

Die Zukunft von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ist ungewiss (BS/Katarina Heidrich) Mehr als ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Deutschland entfällt allein auf den Wärmesektor. Die Neufassung der ErneuerbareEnergien-Richtlinie legt deshalb fest, dass für einen besseren Klimaschutz die EU-Mitgliedsstaaten im Wärmebereich den Anteil Erneuerbarer Energien pro Jahr um mindestens 1,1 Prozentpunkte steigern sollen. Hier sind die Stadtwerke gefragt. Viele setzen auf Sektorkopplung in Form von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK). Allerdings herrscht Rechtsunsicherheit ob der Rahmenbedingungen. Vattenfall betriebene Kraftwerk im Jahr 2015 mit einem CO2Ausstoß von 23,3 Millionen t die vierthöchsten Treibhausgasemissionen aller europäischen Kraftwerke verursachte.

“100-Tage-Gesetz”. Da die Fraktionen von Union und SPD hier allerdings keine Einigung erzielen konnten, ist die Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag vorerst vom Tisch. Ebenfalls in diesem Gesetz sollten der KWK-Eigenverbrauch und die KWK-Bestandsförderung neu geregelt werden. Doch auch hierzu ist bislang nichts zu vernehmen. Nach Einschätzung des VKU werden die Diskussionen erst nach der Sommerpause wieder aufgenommen.

Mehr Regenerative! Da mit fossilen Brennstoffen befeuerte KWK-Anlagen weiterhin große Mengen Kohlenstoffdioxid ausstoßen, kann das Erreichen der Klimaziele langfristig nur gewährleistet werden, wenn sie mit Erneuerbaren Energien gespeist werden. Der Präsident des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), Michael Elbling, betont: “Die Kraft-Wärme-Kopplung ist aufgrund der mit ihr verbundenen Wärmeinfrastruktur eine wichtige Säule für die Wärmeversorgung der Zukunft. Wärmenetze können unterschiedliche Wärmequellen wie Solar-, Geothermie oder Biomasse aufnehmen, bündeln und verteilen. KWK-Anlagen können mit synthetischen Gasen oder Biomethan betrieben werden.” Derzeit liegt der Anteil regenerativer Energien in der Wärmeproduktion bei lediglich rund zehn Prozent. Der Wärmeanteil am Energiebedarf beträgt allerdings fast 50 Prozent. Elbling bemängelt, dass die Energiewende bisher im Wesentlichen eine Stromwende geblieben sei. Die Stromwirtschaft

Bisher ist, um in eine dekarbonisierte Stadtwerke-Zukunft zu steuern, noch eine Schippe nachzulegen. Foto: BS/Dieter Schütz, pixelio.de

deckte im vergangenen Jahr 36 Prozent des bundesweiten Verbrauchs aus Erneuerbaren. Die Einsparungen in den Bereichen Verkehr und Wärme seien demgegenüber weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. “Hier gibt es noch viel zu tun – zuerst für die Politik und dann für die Unternehmen”, mahnt der VKUPräsident an.

Rechtlicher Rahmen Erstere sieht sich zumindest auf einem guten Weg: “Die Reformen in den vergangenen Jahren im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2017), im Kraft-WärmeKopplungsgesetz (KWKG) und im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)

Das digitale Innovationspotenzial nutzen Stadtwerke müssen die Digitalisierung als Chance sehen (BS/Wim Orth) Nicht nur die Verwaltungen selber sind durch die Digitalisierung großen Umwälzungen unterworfen, sondern auch fast alle dazugehörigen Geschäftsfelder und Unternehmen. Dazu gehören auch die insgesamt 341 Stadtwerke, die es im Land NRW gibt. Auf dem fünften Stadtwerke-Forum der NRW.Bank Ende Juni in Düsseldorf sprach sich der nordrhein-westfälische Digitalisierungsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart dafür aus, “die von der Digitalisierung freigesetzten Innovationspotenziale sinnvoll zu nutzen”, um für die digitale Zukunft gerüstet zu sein. “Die Digitalisierung bringt ein breites Feld an neuen Möglichkeiten mit sich, deren Verlauf noch nicht absehbar ist”, erklärte der Minister und kündigte eine Digitalisierungsstrategie des Landes an, die den Verwaltungen und ihren Unternehmen helfen soll. Diese Strategie, deren erster Entwurf schließlich Anfang Juli vorgestellt wurde und über die im zweiten Halbjahr ein Austausch mit den Kommunen stattfinden soll, will Pinkwart bewusst als Prozess gestalten, da er die Digitalisierung nicht als starres Konstrukt sieht, sondern als hochdynamische Entwicklung. Das Gesetz soll nun gemeinsam weiterentwickelt werden, und um praktische Erfahrungen mit einbeziehen zu können, beschrieb Pinkwart noch einmal die Arbeit der insgesamt fünf Modellregionen und -kommunen, die jeweils ein wichtiges Digitalisierungsprojekt wie beispielsweise ein digitales Bürgeramt oder ein digitales Gewerbeamt mit jeweils besonderem Fokus auf dem Kunden realisieren sollen.

Vertrauen ist groß Auch Katherina Reiche, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Kommunaler Unternehmen e. V. (VKU), sprach sich für die zügige Ausarbeitung einer klaren Digitalisierungsrichtlinie aus. Für sie ist es im Gesamtprozess der Digitalisierung besonders wichtig, positiv in die Zukunft zu blicken, statt alten Zeiten nachzutrauern: “Nostalgie ist kein Geschäftsmodell. Und Veränderungen gab es schon immer. Aktuell braucht es allerdings sehr schnell neue Rahmenbedingungen, zum einen aus der Politik, zum anderen aber

Behörden Spiegel / Juli 2018

vor allem auch auf dem Land, gehe. Denn trotz aller Landfluchtberichte leben 60 Prozent der Deutschen weiterhin im ländlichen Raum. Des weiteren sprach Reiche den Klimawandel an, in dessen Schatten die Energiewende sinnvoll gestaltet werden müsse, um Akzeptanz zu finden. Zusätzlich müssten sich bei diesem Thema die Wasserversorger umstellen, da Hochwasserpro­ bleme und andere Naturereignisse zur Regel werden könnten. Zudem sieht Reiche die Individualisierung in der Gesellschaft und das gleichzeitige Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit sowie abschließend die digitale Vernetzung als wichtige Themen.

Kommunen als Testfeld Beim 5. Stadtwerke-Forum der NRW. Bank wurde Ende Juni in Düsseldorf darüber diskutiert, welche Chancen und Herausforderungen die digitale Welt für kommunale Unternehmen bietet. Foto: BS/NRW.Bank

auch von innen, um den neuen Wettbewerbern die Stirn bieten zu können.” Die enge Kundenbindung und das damit einhergehende Vertrauen der Bürger sei ein riesiges Asset der Stadtwerke: “72 Prozent der Bürger vertrauen den kommunalen Unternehmen. Das ist eine Basis, die man nutzen muss”, forderte Reiche.

Was auf die Stadtwerke zukommt Insgesamt sieht die VKU-Chefin vier Megatrends für die Stadtwerke: Zum einen die Urbanisierung, bei der es vor allem um funktionierende Infrastrukturen,

Hier entscheide vor allem die Qualität über Erfolg und Misserfolg: “Heute und in Zukunft läuft alles mit Sensoren und Protokollen auf Plattformen ab. Die Plattform muss aber nicht immer Amazon sein. Um die Region mitzunehmen, kann auch der Staat solche Dienste entwickeln.” Um dies zu erreichen, müsse sich allerdings noch viel tun, denn aktuell sei die Kluft beim Know-how zwischen Staat und Unternehmen noch sehr groß. “Die Kommunen müssen zum Testfeld für die Digitalisierung werden”, forderte Reiche daher. Wichtig sei vor allem eine Vernetzung zum Wissensaustausch. Einige Projekte könnten Stadtwerke auch sofort angehen: “Sensoren für die Parkplatzsuche, intelligente und selbstdimmende Straßenlaternen mit E-Ladestation oder ein flexibler ÖPNV sind auch heute schon absolut realistisch umsetzbar”, so Reiche.

haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Energiewende für alle Beteiligten planbarer und kosteneffizierter geworden ist”, äußert sich die Bundesregierung im EEG-Erfahrungsbericht. Aber: Sonderausschreibungen für den Ausbau der Wind- und Solarenergie sollten ursprünglich in einem Gesetz zur Änderung des EEG und des KWKG verankert werden – dem sogenannten

Nein zu Kohle, ab wann? Mit Spannung erwartet werden in der Branche ebenfalls die zukünftigen Beschlüsse der “Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, die als “Kohlekommission” bekannt ist. Doch schon jetzt gehen die Meinungen über den Ausstieg aus der Kohle auseinander. Andreas Roß, Vorstandsmitglied des Thüringer Energiedienstleisters Teag, selbst kommunales Unternehmen, fordert von der Bundesregierung, den Kohleaus-

stieg nicht hinauszuzögern, um den wirtschaftlichen Einsatz von energetisch kompatiblen Kraftwerken nicht zu sabotieren. Solche Anlagen müssten rasch eine größere Rolle in der Energieversorgung einnehmen, so Roß. KWK sollen nach Meinung der Stadtwerke die Einspeisung der unbeständig erzeugenden Grünstromanlagen besonders gut ergänzen. Um Planungssicherheit bei den Stadtwerken zu schaffen, brauche es einen schnellen Ausstieg, so der Teag-Vorstand. Der Geschäftsführungsvorsitzende der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag), Dr. Armin Eichholz, fordert einen langsamen Ausstieg erst bis Mitte der 2040er-Jahre. Nach dem bis 2030 erfolgten Ausstieg aus der Kernenergie und einem zu schnellen Kohleausstieg müssten die energieintensiven Unternehmen in Deutschland zu schnelle Strompreisanstiege ertragen. So schwarz, wie sie hier gemalt wird, kann die Lage aber nicht sein. Die Mibrag selbst erzielt mit dem 2016 abgeschalteten Braunkohlekraftwerk Buschhaus Einnahmen. Denn die Anlage wurde in die Sicherheitsreserve überführt und steht für den Fall eines Versorgungsengpasses bereit. Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem Umfang, in dem bei Betrieb Erlöse an den Strommärkten (einschließlich der Wärmemärkte) erzielt würden.

Der Thüringer Weg Dezentral, regional und erneuerbar in die Energieversorgung der Zukunft (BS/Anja Siegesmund*) Mehr und mehr kommt erneuerbarer Strom ins bundesweite Netz. In den Ländern der Europäischen Union hat 2017 Strom aus Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse den fossilen Kohlestrom deutlich überholt. Gleichzeitig – es mutet paradox an – stieg der klimaschädliche CO2-Ausstoß weltweit. Paradox ist auch, dass gerade im Mobilitätsbereich, einem der Zukunftsfelder unserer Wirtschaft, die Emissionen weiter steigen. Deshalb ist mehr Konsequenz im Klimaschutz notwendig, weil es um unsere Zukunftschancen geht, um eine lebenswerte Erde und den Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen für uns, unsere Kinder und künftige Generationen. Es geht also um mehr Klimaschutz, nicht weniger. Mit allen Akteuren, von Bürgerinnen und Bürgern bis hin zu Energieversorgern, Unternehmen und Gewerkschaften. Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer sagt es gerne mit Dürrenmatt: “Was alle angeht, können nur alle lösen”. Ja, deshalb setze ich auf einen breiten gesellschaftlichen Schulterschluss. Wir brauchen klare Signale dazu aus dem Bund. Sonst riskieren wir den Verlust zahlreicher Jobs in der Umwelttechnologie und im Bereich der Erneuerbaren Energien und reduzieren den nötigen Innovationsdruck. Ein Kohleausstieg und eine ehrliche CO2-Bepreisung sind dringend nötig. Während China massiv in Erneuerbare Energien und Elektromobilität investiert, hat Deutschland seine einstige Spitzenposition bereits abgegeben und verliert sich in Diskussionen um die Akzeptanz von Erneuerbaren Energien und die Aufarbeitung von Dieselgate. Auch das Nichterreichen der Klimaziele 2020, darunter die absehbare Verfehlung der EUVerpflichtungen, kratzt am Image des einstigen Technologie- und Klimavorreiters.

Erstes Klimagesetz in Ostdeutschland Um Schaden, auch in Form von Strafzahlungen, abzuwenden, sollte die Bundesregierung ein glaubhaftes Sofortprogramm vorlegen. Am besten noch vor der Vertragsstaatenkonferenz im Dezember in Katowice. Zugleich kommt es für gutes Klima jetzt auf die Regionen an, in ihrer ganzen Vielfalt. Von Kalifornien bis zum Amazonas und auch nach Thüringen und andere

Die Thüringer Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz, Anja Siegesmund, bei der 7. Thüringer Erneuerbare-Energien- und Klimakonferenz 2018 in Weimar.

Foto: TMUEN/Tino Sieland

Bundesländer spannt sich das weltweite Netzwerk Under2Mou. Aus der Stromwende, die in Thüringen gut läuft, wird jetzt eine Energiewende – dank Sektorenkopplung, also der Verbindung von Strom und Wärme oder Mobilität. Als erstes ostdeutsches Bundesland legen wir deshalb ein Klimagesetz vor. Es wird derzeit im Landtag beraten. Wir bieten damit den Kommunen Starthilfe und Folgeunterstützung für ihre konkreten Investitionen. Wir bieten der Wirtschaft einen verlässlichen Rahmen für umweltfreundliche Modernisierung. Wir bieten den Bürgerinnen und Bürgern Mitsprache bei Entscheidungen. Vor allem bieten wir mit dem Klimagesetz die Festlegung auf die langfristig notwendigen Ziele. Wir werden alle fünf Jahre Maßnahmen auf Grundlage der bisherigen Entwicklung erarbeiten und neu justieren.

Partner beim Klimaschutz: die Energieversorger Als kleines Land müssen wir dabei zwangsläufig die Entwicklungen in Bund und EU im Blick haben. Gerade die mittelfristige Finanzplanung der EU stimmt hier hoffnungsvoll, sollen doch 25 Prozent der Mittel für Klima-

Maßnahmen eingesetzt werden. Wenn das Ziel feststeht, fällt es leichter, konsistente Instrumente zu entwickeln. Dabei verfolgt das Klimagesetz einen Ansatz von geringen Verpflichtungen (Jedermannspflicht, konzeptionelle Forderungen an Gebäudeeigentümer, Gemeinden und Energieversorger) sowie Information und Unterstützung. Vor Ort wird ja entschieden, was als nächstes dran ist: Austausch der NeonRöhren in der Turnhalle mit LEDBeleuchtung oder Investition von Solarmodulen auf öffentlichen Gebäuden? Finanziert wird das Ganze mit Förderprogrammen des Umweltministeriums. Klima Invest für Kommunen, Green Invest für Energieeffizienz in Unternehmen und Solar Invest für Mieter und Gebäudeeigentümer. Gleichzeitig machen wir Elektromobilität in Thüringen alltagstauglich: Durch den Ausbau des Ladesäulennetzes und durch finanzielle Unterstützung bei der Anschaffung von Elektrobussen im öffentlichen Nahverkehr. Die Thüringer Energieversorger sind dabei unsere Partner. Jeder Euro, den wir in Energieeffizienz investieren, erhält und schafft Arbeitsplätze – der Industrie, des Handwerks, des Baugewerbes. Jede Baumaßnahme, die Energieverbrauch reduziert, ist eine Zukunftsinvestition. Jedes Solarmodul bringt umweltfreundlich Sonne ins Stromnetz oder senkt den Strombezug und damit die Kosten für den eigenen Energieverbrauch. Mit mehr Klimaschutz erhalten wir unsere Lebensgrundlagen und nutzen Chancen für Innovation und wirtschaftliche Entwicklung. *Anja Siegesmund (Bündnis 90/ Die Grünen) ist seit 2014 Thüringer Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz. Sie ist Mitglied des Bundesrates und dort Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie im Wirtschaftsausschuss.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / Juli 2018

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as Verwaltungsgericht Aachen hat gegen das Land Nordrhein-Westfahlen entschieden und der Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) im Falle der Stadt Aachen stattgegeben. Nun muss die zuständige Bezirksregierung mit dem Land NRW gemeinsam den Luftreinhalteplan überarbeiten und sollen darin auch Fahrverbote als eine weitere Möglichkeit zur Luftreinhaltung aufnehmen. Parallel dazu hat die DUH ein Zwangsvollstreckungsverfahren gegenüber der Landesregierung um Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) beantragt, damit diese das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf umsetzt. Dieses hatte 2016 entschieden, dass die Fahrverbote in den Luftreinhalteplan der Hauptstadt aufgenommen werden sollen.

Konsequenzen für die Städte Wenn bis zum 31. Dezember 2018 in der Aachener Innenstadt keine anderen wirkungsvollen Maßnahmen aus dem Aachener Luftreinhalteplan greifen, um die Stickstoffdioxide in der Luft unter den erlaubten Grenzwert zu bringen, könnten Fahrverbote als letztes Mittel eingesetzt werden. So hat das Verwaltungsgericht Aachen entschieden. Die Fahrverbote könnten theo­ retisch zum 1. Januar 2019 eingeführt werden. Aber sie seien in der kurzen Zeitspanne praktisch nicht umsetzbar, selbst wenn der neue Luftreinhalteplan für die Stadt Aachen zum 31. Dezember überarbeitet vorliegen sollte, heißt es aus der Stadtverwaltung. Denn nach dem Vorlegen des Plans würde dieser erst eingehend geprüft. “Bei der Einrichtung der Umweltzone gab es genügend Vorbilder, deren Erfahrungen wir nutzen konnten. Doch bei den Fahrverboten betreten wir Neuland. Hinzu kommt, dass jede Stadt anders ist und infrastrukturelle Besonderheiten berücksichtigt werden müssen”, sagt Harald Beckers vom Presseamt der Stadt Aachen. Wer Zufahrtsbeschränkungen umsetzen wolle, müsse Schilder aufstellen. Die gebe es erst nach einer öffentlichen Ausschreibung. Überdies müsse über die Kontrolle und über Ausnahmegenehmigungen nachgedacht werden. “Ein Fahrverbot kann also nicht von heute auf morgen umgesetzt werden”, so Beckers zum Zeitplan.

Ungeklärte praktische Fragen? Es gibt auch noch weitere offene Fragen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Klägerin im Verwaltungsgerichtsverfahren, fordert, alle Diesel-Fahrzeuge der EuroNorm 5 und darunter beim Fahrverbot mit einzuschließen. Doch

Der Fahrverbot-Rock ‘n’ Roll beginnt! Wer steht in der Pflicht? (BS/Adrian Bednarski) So, wie Elvis mit seinem Rock Schwung in die Welt brachte, bringen die Fahrverbote neuen Schwung in die Städte – und bei den Autofahrern. Keiner will sie, aber die Gerichte haben nach zehn Jahren Grenzwertüberschreitungen einen Schlussstrich gezogen. Aachen, Düsseldorf und Stuttgart sind die aktuellsten Beispiele. Sie agieren dabei zwischen praktischen Umsetzungsschwierigkeiten und Abwarten. die Euro-5-Diesel sind meist noch relativ neu und weit verbreitet. Wie das Fahrverbot also tatsächlich umgesetzt werden kann, ist völlig ungeklärt. Die Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf, Dagmar Groß, sagte diesbezüglich: “ Grundsätzlich könnte das Fahrverbot auch für diese gelten. Das Bundesverwaltungsgericht hat für Euro-5-Diesel zonale Fahrverbote ab 01.09.2019 für möglich erachtet – streckenbezogene Fahrverbote schon früher.” Eine Entscheidung, die auch vom Verwaltungsgericht Stuttgart so gesehen wird. Dies hat, ebenso nach einem Antrag auf Zwangsvollstreckung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt durch die DUH, entschieden, dass es keine generellen Ausnahmen für Anwohner sowie Dieselfahrzeuge der EuroNorm-5 geben dürfe. Sonst werde dem Antrag stattgegeben. Eine Entscheidung, durch die der Druck auf viele Dieselbesitzer und die Städte verlagert wird. Wenn alle Dieselfahrzeuge der Euro-Norm-5 und niedriger betroffen wären, dann wären dies 80 Prozent der Dieselfahrzeuge, so nach den Zahlen vom 1. Januar 2018 aus dem Kraftfahrt-Bundesamt. Denn die Euro-Norm6-Fahrzeuge machen “nur” 20 Prozent der aktuellen Diesel-Pkws aus. Wobei an der Gesamtzahl aller Automobile Dieselfahrzeuge zu 32 Prozent beteiligt sind. Unabhängig davon zeigen sich noch regionale Umsetzungsschwierigkeiten. Beispielsweise ist Aachen eine Grenzstadt und viele ausländische Autofahrer fahren hinein. “Rund ein Drittel jener, die gegen die Umweltzone und die Plaketten-Ordnung verstoßen, kommen aus dem Ausland. Doch es ist für die Stadt schwierig, die Verwarnungsgelder einzutreiben, weil die Behörden im Ausland die Halterdaten nicht preisgeben”, sagt Beckers. Die Stadt geht davon aus, dass dies bei den Fahrverboten ähnlich ablaufen werde.

Zwischen Vorkehrungen und Hilfegesuchen Dennoch bereiten sich die Städte auf die Verbote vor. Auch wenn noch unklar sei, welche Straßen oder Zonen betroffen sein könnten. Beckers erläutert: “Aachen hat drei Ringsysteme und mehrere in die Innenstadt führende Hauptverkehrsstraßen. Welche

Erstes Mobilitätsgesetz Berlin startet durch zur Mission “Vision Zero” (BS/Adrian Bednarski) Neben dem sauberen und klimafreundlichen Verkehr erhofft sich die Stadt, die Zahl der schweren und tödlichen Unfälle zu senken. Aber wieso ein eigenes Gesetz statt eines Konzepts? “Es wurde ein eigenes Gesetz entwickelt, damit es eine gesetzliche Vorgabe für die Planung gibt. Damit wird dafür gesorgt, dass alle Verkehrsmittel gleichberechtigt berücksichtigt werden und die Planungen aufeinander abgestimmt werden”, erklärt Matthias Tang aus dem SenUVK. Die Bausteine des Gesetzes umfassen die allgemeine Mobilität, den ÖPNV, den Radverkehr, den Wirtschaftsverkehr (in Arbeit), den Fußverkehr (in Arbeit) sowie die intelligente Mobilität (ab 2019). Konkrete Maßnahmen in den Bereichen sind bereits geplant: So sollen 60 unfallträchtige Kreuzungen umgebaut werden und über 100 Kilometer Radschnellwege entstehen. Auf-

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grund dessen, dass Berlin eine Pendlerstadt ist und auch innerhalb der Stadt große Distanzen zurückgelegt werden müssen, stehen ebenso Verbesserungen hinsichtlich der Strecken im Fokus. Neben mehr S-Bahnen, Trams und Regionalverkehr sollen gleichfalls niedrige Fahrpreise und einfache Tarife für einen Umstieg auf den ÖPNV sorgen. Auch E-Busse sollen das Angebot bis 2030 ergänzen. “Hierfür haben wir die Grundlagen gelegt, mehr Personal eingestellt sowie im Haushalt die notwendigen Gelder bereitgestellt. Jetzt geht es an die Umsetzung. In diesem Jahr werden die ersten geschützten Fahrradstreifen verwirklicht”, zeigt Tang die Entwicklungen auf.

pläne berechnet, zum anderen würden die Maßnahmen festgeschrieben und genutzt, die “erforderlich sind, um schnellstmöglich eine Einhaltung des Jahresgrenzwertes zu erreichen”, heißt es beispielsweise von Groß. Sie fährt fort, dass alles getan werde, um die Fahrverbote möglichst zu vermeiden. “Im Endeffekt muss klar sein, dass wir Kommunen das alles nun ausbaden müssen”, merkt Beckers kritisch an.

“Urteile sind Weckruf”

In immer mehr Städten werden Dieselfahrverbote wahrscheinlich. Diese könnten für alle Fahrzeuge der Euro-5-Norm und niedriger gelten, wodurch 80 Prozent der Dieselfahrzeuge betroffen sein könnten.

davon für Dieselfahrzeuge gesperrt werden, ist noch völlig ungewiss.” Die Städte stünden im engen Austausch mit der je-

Foto: BS/Thomas Reimer, stock.adobe.com

weiligen Bezirks- und Landesregierung. Zum einen würden Wirkungsanalysen der bisherigen Maßnahmen der Luftreinhalte-

Ein Aspekt, den Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, kritisiert. Er sieht die Politik in der Pflicht, den Kommunen zu helfen: “Mit jedem weiteren Gerichtsurteil wird klarer, dass Hardware-Nachrüstungen für ältere Dieselautos unumgänglich sind, um Fahrverbote zu vermeiden. Die Bundesregierung muss die Automobilindustrie zu

Hardware-Nachrüstungen verpflichten, damit die Stickoxide in den Städten deutlich sinken.” Die Finanzierung müsse von den Autoherstellern als Verursacher übernommen werden. “Die Nachrüstung wäre auch ein klares Signal an die Gerichte, dass endlich das Problem an der Wurzel behandelt wird. Die bisherigen Urteile sollten ein Weckruf für alle sein, die meinen, man könne Fahrverbote per politischer Erklärung ausschließen.” Aber inwieweit die Politik die Diesel-Umrüstung auf die Agenda setzt, bleibt fragwürdig. NRWUmweltministerin Ursula HeinenEsser (CDU) hat sich vor Kurzem skeptisch geäußert: “Ich gehe davon aus, dass es nicht zu Diesel-Fahrverboten kommen wird.” Dabei beruft sie sich auch auf das Bundesverwaltungsgericht, welches forderte, dass die Grenzwerte erst bis zum Jahr 2020 sicher eingehalten werden müssten. Die Fahrverbote in Aachen hätten sie wiederum “verwundert”. Mittels des neuen Luftreinhalteplans der Bezirksregierung Köln, der Elek­ tromobilität sowie Umrüstung der Busflotten sollen die Grenzwerte eingehalten werden. Aber inwieweit diese Herangehensweisen entlasten, bleibt offen.


Kommunale Infrastruktur

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Breitbandförderrichtlinie reloaded

Für eine nachhaltige Mobilität

Chancen zum Ausbau zukunftsfähiger Infrastruktur nutzen

Deutscher Städtetag fordert 20 Milliarden Euro

(BS/Markus Lennartz) Keine Digitalisierung ohne breitbandige Telekommunikationsinfrastruktur. Die Regierungskoalition in Berlin hat daher im (BS/ab) Der deutsche Städtetag fordert zwei Milliarden Euro jährlich vom Koalitionsvertrag an mehreren Stellen die Digitalisierung und die Breitbandversorgung als zentrales Thema bestimmt und auch festgelegt, dass Bund und den Ländern für die nächsten zehn Jahre, damit der Investibis zum Jahr 2021 weitere Fördermittel bereitgestellt werden. tionsstau abgebaut und die nachhaltige Mobilität gefördert werden. In diesem Zusammenhang hat er eine Agenda für die zukünftige MobiliSchon die letzte Bundesregierung A b w e i c h u n g e n der notwendigen Nachweise. Die tätsentwicklung erarbeitet. hatte das Ziel ausgegeben, dass bis Ende 2018 flächendeckend in Deutschland Bandbreiten von mindestens 30, möglichst 50 Mbit/s im Download zur Verfügung stehen sollen. Hierfür hat der Bund im Jahr 2015 ein Förderprogramm aufgelegt, weil ein flächendeckender, rein privatwirtschaftlicher Ausbau insbesondere in ländlichen Regionen nicht erfolgt und nicht zu erwarten ist. Es hat seit 2015 fünf Förderaufrufe des Bundes gegeben, die von vielen Kommunen für entsprechende Förderanträge genutzt wurden. Für Infrastrukturprojekte wurden seither insgesamt rund 3,4 Mrd. Euro bewilligt. Tatsächlich ausgezahlt wurden bislang erst rund 3,1 Mio. Euro.

im tatsächlichen Projektverlauf nun besser beMarkus Lennartz ist Anwalt rücksichtigt werbei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wjotek und auf Infraden. Für bislang struktur- und Großprojekte nur auf geringere der öffentlichen Hand speBandbreiten auszialisiert. gerichtete Ausbauprojekte gibt Foto:BS/Heuking Kühn Lüer Wjotek es nun UpgradeMöglichkeiten, wenn z. B. im VerParallel wachsen im Markt die fahren zur Auswahl des KoopeAnforderungen an die zur Verfü- rationspartners der Kommune gung zu stellenden Bandbreiten. bislang kein Zuschlag erteilt worAuch politisch ist die Erkennt- den ist und ein entsprechender nis gereift, dass ein Ausbau von Antrag bis zum 31. Dezember hochleistungsfähiger Glasfaser- 2018 gestellt wird. Neue Ausbauinfrastruktur bis in die Häuser projekte sollen grundsätzlich nur potenziell die zukunftsfähigs- noch einen Glasfaserausbau zum te Lösung der Frage nach der Gegenstand haben. Ein weiterer geeignetsten Infrastruktur ist. Förderaufruf unter dem aktuellen Hierdurch können Bandbreiten Förderrahmen soll Mitte Juli beDaraus gelernt von bis zu einem Gigabit pro Se- ginnen. Dieser wird zeitlich wohl Die Komplexitäten des Verfah- kunde im Download im Haushalt nicht befristet werden. Allerdings gibt es budgetäre Grenzen. Es gilt rens haben seit 2015 zu einigen erreicht werden. voraussichtlich das sogenannte Veränderungen und KonkretisieWindhundprinzip. Daher kommt rungen geführt, welche gezielte Neue Förderrichtlinie Förderungen für GewerbegebieDer Bund hat daher am 3. Juli in diesem sechsten Förderaufruf te, Schulen und institutionelle 2018 eine aktualisierte Förder- nur zum Zug, wer frühzeitig eiNachfrager erleichtern sollten. richtlinie veröffentlicht, die das nen entsprechenden FörderanGleichwohl besteht noch ein In- Förderverfahren innerhalb des trag stellt und noch hinreichend vestitionsstau in der Umsetzung europarechtlich vorgegebenen Fördermittel im Budgettopf des der Projekte. Hier besteht noch Rahmens vereinfacht und sich als Bundes und der Länder zur Koimmer eine nicht unerhebliche Zielgröße auf den Glasfaseraus- finanzierung vorhanden sind. Komplexität, die der Vereinfa- bau bis in die Häuser fokussiert. chung bedarf. Es können Besonderheiten wie Entscheidungsfindung Es gibt jedoch trotz der zu erwartenden Vereinfachungen noch eine Vielzahl von Herausforderungen. Hierzu gehören die Foto: Bundeswehr Vorbereitung der Förderantragstellung durch die richtige Ausgestaltung, die Durchführung und Auswertung des Markterkundungsverfahrens. Dann komAus der Praxis für die Praxis men noch die Beantragung des vorläufigen Förderbescheids, die Vorbereitung und Durchführung Update zur Breitbandförderrichtlinie des Verfahrens zur Auswahl des Neue Chancen zum Aufbau zukunftsfähiger Infrastruktur Telekommunikationsunternehmens, mit dem die Kommunen 27.09.2018 Frankfurt am Main im geförderten Breitbandausbau kooperieren werden und das wettbewerbliche Verfahren dazu. Schließlich folgen noch die Beantragung des endgültigen Förderbescheids, die Umsetzung der Förderbestimmungen beim Netzausbau sowie der Abruf der www.fuehrungskraefte-forum.de Fördermittel auf der Grundlage

Praxisseminar Breitbandausbau

Entscheidungen der Kommunen in diesem Prozess haben erheblichen Einfluss auf die finanzielle Belastung der Kommunen selbst sowie den Erfolg des Ausbauprojekts insgesamt. Die richtige Entscheidungsfindung ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, die jeweils unter Berücksichtigung der individuell nicht unerheblich divergierenden lokalen Besonderheiten zu beantworten sind. Den Kommunen ist daher wegen der sich auch weiterhin bietenden Fördermöglichkeiten zu empfehlen, sich zügig über den weiteren Weg in die Gigabitgesellschaft Gedanken zu machen und die ersten erforderlichen Schritte einzuleiten. Mindestens sollte mit einer Markterkundung die Grundlage für eine weitere Förderung geschaffen werden, wenn noch Unterversorgungen gegeben sind. Erste Hilfestellungen geben zum Beispiel die Breitbandbüros der Länder. Letztlich ist jedoch zu empfehlen, dass sich die Kommune projektbezogen und individuell professionell begleiten lässt. Die gegenüber dem Wert der Projekte insgesamt verhältnismäßig geringen Beratungsaufwände machen sich bei der richtigen Auswahl der Berater bezahlt. Die Auswahl sollte sich daher nicht nur am Preis, sondern auch an der Expertise sowie insbesondere dem Kriterium orientieren, ob die Vorstellung des Beraters eine gute Zusammenarbeit mit dem kommunalen Projektteam im Interesse des Projekterfolgs erwarten lässt.

“Die Städte sind bereit, an dieser Investitionsoffensive nach ihren finanziellen Möglichkeiten mitzuwirken. Die bisher für den Stadtverkehr zweckgebundenen sogenannten Entflechtungsmittel müssen auch nach 2019 von den Ländern an die Kommunen fließen”, fordert der Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe (mehr zum Thema Investitionsstau lesen Sie auf Seite 22 rechts). Viele Technologien und Verkehrsarten könnten zudem erst dann in den Städten erprobt werden, “wenn der Bund uns hierfür die nötigen rechtlichen Entscheidungsspielräume verschafft und uns auch effiziente Steuerungsinstrumente an die Hand gibt”, fährt er fort. Viele Kommunen arbeiteten an Verbesserungen und neuen Konzepten für den ÖPNV, Fuß- und Radverkehr sowie den erleichterten

Umstieg auf klimafreundliche Alternativen. Aber das kommunale Engagement stoße dabei auf rechtliche Grenzen.

Was zu tun ist “Deshalb wollen die Städte in die Arbeit der vom Bund angekündigten Kommission zur “Zukunft der bezahlbaren und nachhaltigen Mobilität” und bei den Initiativen zur Digitalisierung des Verkehrs einbezogen werden”, so Lewe. Wichtig sei es, die emissionsarmen Dieselfahrzeuge mit einer blauen Plakette auszustatten (mehr zum Thema Fahrzeugverbote lesen Sie auf Seite 25). Dadurch könnten die Dieselmodelle im Straßenverkehr voneinander unterschieden werden. Außerdem brauche die nachhaltige Mobilität eine “gerechtere” Aufteilung der Verkehrsflächen zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern.

Der Deutsche Städtetag hat seine Agenda für eine nachhaltige Mobilität veröffentlicht. Hierfür fordert er vom Bund 20 Milliarden Euro als Unterstützung. Foto: BS/S. Hofschlaeger, pixelio.de

Kompetenz für Fach- und Führungskräfte

“Fahrverbote sind nicht die Lösung” Ansätze zur Behebung der Infrastrukturprobleme (BS/ab) “Unser Ansatz ist es, nicht weniger, sondern mehr nachhaltige sowie effiziente Mobilität in den Innenstädten zu schaffen”, betonte Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium (BMVI). Aber es wird auch deutlich, dass die Bundesregierung nicht alles übernehmen kann. Die Probleme fordern ebenso die Innovationskraft der Kommunen. Exemplarisch erläuterte er dies anhand der Stadt Stuttgart. Bedingt durch den Onlinehandel ist im Laufe der Jahre der Verkehr durch die Zusteller gestiegen. “In Stuttgart wird ein Tunnelsystem getestet, wodurch die Pakete in die Stadt gelangen und von den jeweiligen Zentren mittels E-Lastenwagenfahrrädern weiter verteilt werden”, zeigte er einen individuellen Lösungsweg auf. Außerdem testet die Hochschule Fresenius in München ein elektronisches Kolonnenfahren von Lkws, die miteinander verbunden sind und dadurch Kraftstoff einsparen sollen, weil sie den Windschatten des Vordermannes ausnutzen. Durch die technischen Fahrassistenten und Steuersysteme würde der Abstand verringert.

beziehen wir alle Alternativen – wie synthetische, biologische, elektrische Antriebe – mit ein”, so Bilger bei der Veranstaltung Vital Lokal des Bundesverbandes Deutscher Anzeigenblätter. Dass die E-Mobilität besonders hervorsteche, liege daran, dass diese am meisten diskutiert werde und es mittlerweile viele Lösungsansätze gebe. “Aber eine wichtige Herausforderung bleibt noch, nämlich die notwendige Ladeinfrastruktur. Wir bauen sie intensiv aus, sind für Deutschland im Zeitplan und möchten an die Spitze.” Das Förderprogramm des BMVI für die Ladesäulen sei dermaßen schnell ausgebucht gewesen, dass ein weiteres Programm aufgelegt werde.

Breites Maßnahmenpaket

Kfz-Steuerbefreiung und kostenloses Parken

“Wir haben einen relativ breiten Ansatz, um die Schadstoffproblematik in den Innenstädten zu lösen. Die Förderung von umweltfreundlichen Antrieben ist hierbei von Bedeutung und dabei

Weitere Maßnahmen zur Förderung der E-Mobilität seien mit dem E-Mobilitätsgesetz zwar ermöglicht worden, “diese werden jedoch noch nicht voll ausgeschöpft”, sprach der Staatsse-

kretär über den Status quo. Die Kfz-Steuerbefreiung von E-Autos sei ein Instrument davon. Jedoch seien die weiteren Möglichkeiten, wie das kostenlose Parken für EFahrzeuge und das Mitbenutzen der Busspur, ebenso Optionen, die noch nicht tief in den Kommunen implementiert würden, aber durch das Gesetz möglich seien. “Es verbessert sich vieles, aber insbesondere die Mitbenutzung der Busspur war beispielsweise in Norwegen ein Instrument für den Durchbruch der E-Mobilität”, so Bilger. Seitens der Politik könne viel bewirkt werden, jedoch brauche es weitere Unterstützung. “Mit unserer Förderung möchten wir helfen, dass die Kommunen die Grenzwerte einhalten und wir erhalten aus vielen Städten tolle Projekte, die sich darauf fokussiert haben. Denn die Fahrverbote sind keine Lösung und wo sie kommen, werden wir alles dafür tun, dass sie schnell wieder verschwinden, durch nachhaltige Projekte”, so sein Fazit.

Rheinbahn wird noch digitaler! Abos auf dem Handy ab August 2018 (BS/Martin Timmann*) Die Rheinbahn, das Nahverkehrsunternehmen der Landeshauptstadt Düsseldorf, bietet eine Reihe von Abos für den ÖPNV jetzt digital an. Ab dem 1. August 2018 können junge Rheinbahn-Kunden ihr Abo-Produkt für Auszubildende, das YoungTicketPLUS, per Handy über die Rheinbahn-App nutzen und haben ihren Fahrausweis damit direkt auf dem Smartphone dabei. In einer weiteren Stufe werden die sogenannten Jedermann-Abos Ticket1000 und Ticket2000 folgen. Vorhandene Abos können von den Kunden mit wenigen Klicks selbstständig auf ihr Smartphone übertragen werden; dafür kann ein bereits bestehender digitaler Account genutzt oder ein neuer angelegt werden. Die bisher für das Abo verwendete Chipkarte verliert mit der Übertragung des Abos aufs Handy automatisch ihre Gültigkeit. Ob ein Kunde sein Abo als mobiles Ticket auf dem Handy nutzen möchte oder sich für eine Chipkarte entscheidet, ist seine Wahl.

Digitalisierung und Sicherheit Für die Realisierung des Abos auf dem Handy wurde das bei der Rheinbahn für Vertriebs- und Abonnement-Prozesse genutzte Kundenmanagementsystem PT von HanseCom mit Abo-Online und der Ticketing-App HandyTicket Deutschland nahtlos verknüpft. Dabei waren keine Änderungen in der vorhandenen Abo-Verwaltung nötig – das Chipkarten-Abo wurde mithilfe der neuen Technologie lediglich digitalisiert. “Offline”- und “Online-Abos” werden damit bei der Rheinbahn in ein und demselben System und mit ein und derselben Funktionalität verwaltet. Da Abos in der Regel die höchstpreisigen Tickets im ÖPNV sind, hat HanseCom bei der Realisierung der Lösung ein besonderes Augenmerk auf die Sicherheit gelegt, sodass die digitalen Abos mindestens genauso fälschungs-

Die Rheinbahn hat mit HanseCom zusammen die Abonnements ihrer Kunden digitalisiert. Mittels der bereits vorhandenen App und HandyTicket Deutschland können die Kunden einfach auf ihr Abo zugreifen und es managen. Foto: BS/HanseCom

sicher sind wie herkömmliche Papier- oder E-Tickets. Standardmäßig verfügen alle mobilen Tickets über Sicherheitsmerkmale wie zum Beispiel eine einmalige Ticket-ID und einen Barcode nach VDV-KA. Das Ticket ist außerdem nur zusammen mit einem hinterlegten Kontrollmedium gültig – zum Beispiel dem Personalausweis –, das Kontrollmedium wird auf dem Ticket angezeigt. Als zusätzlicher Schutz gegen Missbrauch oder bei Verlust wurde die Gültigkeit eines mobilen Tickets im Abonnement auf einen Monat begrenzt. Am

Ende des Gültigkeitszeitraums, also zum Beispiel am Ende eines Monats, wird automatisch vom System das mobile Ticket für den Folgemonat erzeugt. Der Kunde muss hierfür nichts tun, das neue Ticket steht automatisch unter dem Menüpunkt „Tickets“ bereit. Für das Management ihrer Abos stellt die Rheinbahn ihren Abo-Kunden mit Abo-Online von HanseCom auch ein Self-ServicePortal zur Verfügung, mit dem diese rund um die Uhr Abos anlegen oder ändern können. Die Lösung erlaubt es der Rheinbahn, zeit- und ressourcensparende Arbeitsschritte bei Verwaltung und Verkauf von Abos einzuführen, wenn der Kunde das wünscht. Abo-Online speichert im Frontend keine personenbezogenen Daten. Alle Daten werden in Echtzeit synchronisiert, sodass Mitarbeiter der Rheinbahn immer auf die aktuellen Daten zugreifen können. Andrea Wirth, Bereichsleiterin Marketing/Vertrieb bei der Rheinbahn AG, erklärt: “Wir wollen uns als modernes, zukunfts- und kundenorientiertes Verkehrsunternehmen präsentieren, das seinen Kunden den Ticketkauf, die Ticketnutzung und die Abo-Verwaltung digital ermöglicht. Aufgrund unserer langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit HanseCom können wir uns sicher sein, dass wir dafür den richtigen Partner an unserer Seite haben.” *Martin Timmann ist Geschäftsführer der HanseCom Transport Ticketing Solutions GmbH.


Behörden Spiegel / Juli 2018

Kommunale Infrastruktur / Kommunale Ordnung

Risikofaktor Mensch

U

m den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen, werden in vielen Orten daher Straßen wieder verengt und auf ihre historisch gewachsene Linie gebracht, um so durch eine bauliche Immanenz den Verkehr zu entschleunigen. Damit Tote und Verletzte sowie die dazugehörigen Gefährdungsszenarien so weit wie möglich reduziert werden können, “müssen gute Straßen vor allem auf eine Art und Weise sicher gestaltet sein, dass die schwächeren Verkehrsteilnehmer geschützt werden”, erklärte Prof. Karl-Heinz Schäfer, Dipl.-Ing. mit dem Lehrgebiet Verkehrsplanung und Straßenentwurf an der TH Köln, auf dem Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit Anfang Juni in Bonn.

Digitaler Beispielkatalog für gute Straßen Im Auftrag des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) hat er eine Online-Dokumentation entwickelt, die Städte- und Verkehrsplanern Beispiele für gelungene realisierte Straßen geben soll, die Funktionalität, Sicherheit und eine gewisse Lebendigkeit vereinen. Denn “gute Straßen dienen nicht nur dem Verkehrszweck, sondern werden auch durch Menschen geprägt und stiften so Identifikation im sozialen Raum.” In

Vernetzte Systeme können Straßenverkehr deutlich sicherer machen (BS/Wim Orth) Die meisten Städte und Dörfer in Deutschland wurden in der Nachkriegszeit mehr oder minder vollständig auf den Individualverkehr mit dem Auto zugeschnitten. Historische Straßen wurden begradigt und verbreitert und es wurden überall Parkplätze gebaut, wo es irgendwie machbar war. Heute müssen sich Städte- und Verkehrsplaner daher erstmal mit einer neuen Ausrichtung der Verkehrskonzepte befassen. dem Online-Angebot finden sich alle möglichen Straßen, von der Hauptstraße über städtische Geschäftsstraßen mit und ohne Straßenbahn bis hin zu Dorfstraßen. Die vorgestellten Straßen sind zwischen 2011 und 2015 für den Verkehr freigegeben worden und entsprechen so den aktuellsten Erkenntnissen: “Straßen entwerfen erfordert ein übergreifendes Verständnis verkehrstechnischer, städtebaulicher, gestalterischer und sicherheitsbezogener Aspekte. Die Dokumentation soll den Planern eine Hilfe sein, um sich von vornherein schlau machen zu können, was heute beim Straßenbau wichtig ist”, erklärt Prof. Schäfer. Ein Beispiel für solch eine Maßnahme seien Schutzstreifen für Fahrradfahrer auf Straßen mit einer fünf Meter breiten Kernfahrbahn für die Autos. Nach dem Umbau der Straße seien die Unfallzahlen deutlich nach unten gegangen: “Die Autos fahren auf einmal viel langsamer,

“Sicheres Fahren ist nur durch eine bewusste Überwachungslage möglich.”

Prof. Dr. André Bresges von der Uni Köln plädierte auf dem Fachkongress Kommunale Verkehrssicherheit dafür, alle autonomen Systeme in heutigen Fahrzeugen zu nutzen, um menschliche Fehler so gut wie möglich vermeiden zu können. Foto: BS/Giessen

weil sich in der subjektiv engen Situation alle etwas unwohler fühlen. Dieses Unwohlsein hilft aber dabei, die Wahrnehmung zu schärfen und so Unfälle zu verhindern.” Weitere Möglichkeiten für sichere Straßen sind Multifunktionsstreifen, die als potenzielle Linksabbiegespur und zum Ausweichen genutzt werden können, oder Mittelinseln, um Fußgängern das Überqueren von Straßen zu erleichtern. Wichtig sei vor allem, dass alle Maßnahmen klar gekennzeichnet seien, damit sich alle an die Regeln halten.

Vernetzung für sicheren und effizienten Verkehr

Mit dem Projekt VERONIKA wird in Kassel derzeit die Digitalisierung des Verkehrsnetzes getestet. Dabei sollen Busse, Bahnen und Rettungsfahrzeuge mit der Infrastruktur sowie untereinander kommunizieren können, damit der Verkehr effizienter gelenkt und gleichzeitig sicherer und umweltschonender gestaltet werden kann. Foto: BS/KVG AG

Zusätzlich zu den straßenbaulichen Anpassungen werden heute viele technische Neuheiten eingesetzt, mit denen der Verkehr an gefährlichen Stellen, aber auch im sonstigen Alltag smart gelenkt werden kann. Auf Basis von Geoinformationsdaten wird beispielsweise in Kassel aktuell ein Forschungsprojekt “zur Ver-

Beteiligung als Gebot der Stunde “Zugehörigkeit und “Heimat” im Beteiligungsprozess der Zukunft (BS/Monika B. Arzberger*) Wenn Bewohner mit Veränderungen in ihrem direkten Lebensumfeld konfrontiert werden, kann neben der Verunsicherung gegenüber “Neuem” und der Sorge um den Verlust des “Alten” schnell Widerstand und Protest entstehen. Dabei ist es unerheblich, um welches Infrastrukturprojekt es sich handelt. Heute erwarten die Menschen mehr – nicht weniger – Dialog und Beteiligung bei solchen Projekten. “Das, was uns hier der Herr vom Gemeindetag erzählt, das ist doch gelogen! Ich weiß genau, dass ...” – dieses exemplarische Zitat ist noch freundlich. Verglichen mit so mancher Aussage, die heute Vertreter aus Politik, Verwaltung und Planung in Veranstaltungen rund um Infrastrukturprojekte zu hören bekommen. In Kommunen lässt sich immer öfter beobachten, das, am Ende von emotional aggressiven Veranstaltungen, etablierte Bürgermeister zurückrudern, Projekte auf Eis legen, um den Dorffrieden zu erhalten. Wer diesen oftmals populistischen Entwicklungen entgegentreten und sich kommunale Gestaltungsräume erhalten will, muss zunächst verstehen, was die Menschen bewegt.

“Zugehörigkeit” als emotionales Motiv Angst, dass andere, wie beispielsweise “die Politik da oben”, “fremde Investoren”, “der Naturschutz”, die gewohnten, eigenen Handlungs- und Lebenspraktiken und damit den Alltag unverhältnismäßig verändern, gehört zu den treibenden Faktoren des Protests. Unabhängig davon, ob es die Straße vor dem eigenen Haus ist, der Fluss, an dem man jede Woche spaziert oder die Landschaft, die einem seit

Kindertagen vertraut erscheint, Eingriffe werden als Übergriffe erlebt. “Da könnten die ja gleich in mein Haus gehen und das Wohnzimmer umbauen, das geht doch nicht!” – dieser Protest einer Bürgerin gegen eine Flussbaumaßnahme steht exemplarisch für das Empfinden vieler. Ein Empfinden individueller Zugehörigkeit auf lokaler sowie regionaler Ebene, das eng mit Gefühlen des Wohlbefindens, der Sicherheit und Orientierung verbunden wird. Veränderungen, egal welcher Form, lösen eine Furcht vor Verlust alltäglicher Gewissheit und damit starke Emotionen aus. Der Verzicht auf kommunale Entwicklungsprozesse, Infrastruktur- oder Energieprojekte kann nicht die Antwort auf die Angst vor Veränderung sein. Es muss heute vielmehr darum gehen, die räumliche und soziale Dimension, die Heimat für Menschen hat, rechtzeitig in die Planung von Infrastruktur- und Bauprojekten mit einzubeziehen. Das braucht starke Verwaltungen, die sich nicht davor fürchten, dass Bürger unkontrolliert in routinierte Entscheidungsabläufe eingreifen oder dass unbequeme öffentliche Diskussionen, die eigenen Handlungsspielräume eher einschränken als bereichern könnten. Es braucht

Mut zu mehr statt weniger Beteiligung, um die Akzeptanz von politischen Entscheidungen zu stärken. Akzeptanz durch Vertrauensaufbau und transparente Schritte.

Die Kommune als Raum der Mitgliedschaft Dazu braucht es Beteiligungsformate, in denen nicht nur Informationen ausgetauscht werden, sondern in die sich Menschen einbringen können, sich in ihren Bedürfnissen wahrgenommen fühlen und ihr Recht auf Teilhabe am kommunalen, politischen Geschehen mit Wort und Tat Ausdruck verleihen können. Bürgerbeteiligung muss vor Ort “Räume der Mitgliedschaft” schaffen, welche den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Teilhaberechte tatsächlich wahrzunehmen und ihre Zugehörigkeit in der Gesellschaft zu etablieren. Ja, das ist aufwendiger und viele Kommunen und Regionen sind darauf personell nicht eingestellt. Aber es lohnt sich, frühzeitig eine Beteiligungs- und Kommunikationskultur zu etablieren, die die gemeinsame Verantwortung und gesellschaftliche Teilhabe stärkt. *Monika B. Arzberger ist Geschäftsführerin der koiné GmbH, Agentur für Bürgerdialog und Konfliktklärung, in Freising.

netzung von Fahrzeugen und Ampeln für einen besseren Verkehrsfluss” erforscht, das von Volker Schmitt aus dem Kasseler Straßenverkehrsamt vorgestellt wurde. Das Projekt mit dem Namen VERONIKA gilt als Wegbereiter für eine autonome und vernetzte mobile Zukunft und bietet eine Reihe neuer Möglichkeiten, um den Verkehr besser zu koordinieren und so sicherer zu machen. “Bei uns sind alle Kapazitäten im Verkehr ausgelastet, daher kommen wir nicht drumrum, den Verkehrsfluss effizienter zu steuern.” In Kassel sind nun die Busse, Straßenbahnen und Rettungsfahrzeuge mit sogenannten “On Board Units” ausgestattet, die mit den “Road­ side Units” an den städtischen Knotenpunkten kommunizieren. Die Erprobung im “Digitalen Test-

feld Kassel” findet dabei auf zwei großen Straßen in der Stadt statt und soll zum einen für möglichst punktgenaue Grünschaltungen für den ÖPNV sorgen, um diesen so effizienter, pünktlicher, aber gleichzeitig durch weniger Stehzeiten auch umweltfreundlicher zu machen. Gleichzeitig können sich Rettungsfahrzeuge mit der Technik anmelden und so den ÖPNV warnen, dass sie kommen. Die Technik funktioniert aktuell zwar noch nicht perfekt, die Modernisierung der Infrastruktur ist aber auch noch im Gange: “Aktuell ist es eine Erweiterung des bisherigen analogen Verkehrsmanagementsystems, denn so eine Modernisierung ist über Nacht nicht realistisch umsetzbar. Auf lange Sicht soll aber alles digital laufen und über das Netz ein Datenaustausch zwischen allen Verkehrsteilnehmern stattfinden”, so Schmitt. So soll der Verkehr effizienter und zugleich spürbar sicherer werden.

Wechsel in der menschlichen Wahrnehmung Trotz aller Sicherheitssysteme, die an den gesunden Menschenverstand appellieren, wird es dennoch immer auch Kontrollen brauchen, um manche Ver-

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kehrsteilnehmer einzubremsen. “Sicheres Fahren ist nur durch eine bewusste Überwachungslage möglich”, erklärte Prof. Dr. André Bresges, Geschäftsführender Direktor am Institut für Physikdidaktik an der Uni Köln. Der Professor führte aus, dass der Mensch beim Fahren aus psychologischer Sicht von der “reflektierten Ich-Person” zur “handelnden Tiefenperson” wechsle. Dieser Wechsel sei grundsätzlich notwendig, da die Tiefenperson reaktionsschneller und gleichzeitig in der Lage sei, Umwelteinflüsse zu verarbeiten, ohne sich davon ablenken zu lassen. Dieser psychische Zustand habe aber den entscheidenden Nachteil, dass der Mensch für rationale Argumente nicht mehr so offen sei und somit sehr affektgesteuert handle. Um das Fahren so weit wie möglich auf eine rationale Basis zu bringen, plädierte Bresges daher für ein Nutzen aller autonomen Funktionen, die ein Auto mitbringe: “Autonome Autos sind darauf ausgelegt, sich an die Verkehrsregeln zu halten und sie agieren immer verlässlich. Bei diesen beiden Eigenschaften kann der Mensch einfach nicht mithalten.” Der Mensch fahre grundsätzlich sehr optimistisch, mit zu kurzen Sicherheitsabständen und zu hohen Geschwindigkeiten. Wenn es dann doch mal eng werde, führe dies schnell zur Bildung von Staus und in der weiteren Folge zu Unfällen. Autonome Fahrzeuge seien dagegen nach dem sogenannten Lee-Algorithmus programmiert und fahren daher pessimistisch, also nie zu schnell, mit dem geforderten Sicherheitsabstand und einem Bremsen, das dem des vorweg fahrenden Auto entspricht. Eine solche Fahrweise führt laut Bresges zu einem deutlichen Rückgang von Staus und einer absoluten Minimierung von Unfällen.


Kommunale Ordnung

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Qualität vor Quantität

MELDUNG

Neuer Erlass in Bremen

Gemeinsamer­Standard für Spielhallen gefordert (BS/mfe) Egal ob die Anzahl der pro Spielhalle zulässigen Geräte oder der Abstand zwischen zwei derartigen Gewerbebetrieben: Bisher werden zur Glücksspielregulierung vor allem quantitative Kriterien herangezogen. Diese seien aber “in vielfältiger Weise ungeeignet”. Das meint zumindest Georg Stecker, Sprecher des Vorstandes des Dachverbandes “Die Deutsche Automatenwirtschaft”. “Sie sagen wenig darüber aus, wie es tatsächlich um den Spieler- und Jugendschutz in den Spielhallen bestellt ist. Deshalb müssen wir von den quantitativen Kriterien wegkommen”, fordert er. Zugleich sieht Stecker Licht am Ende des Tunnels. Die Verantwortlichen der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) hätten großes Interesse an Zertifizierungskonzepten für Spielhallen durch die TÜV-Organisationen gezeigt. Zwei von ihnen, der TÜV InterCert Saar und der TÜV

F

ür den Bereich Datenschutz, also die Wahrung von Datenschutzgrundsätzen und Rechten der betroffenen Personen, bietet Dallmeier vier Komponenten, nämlich die Verpixelung von ganzen Personen durch “People Masking”, die Einrichtung von “privaten Zonen” im erfassten Bild, um beispielsweise öffentliche Bereiche unsichtbar zu machen, sowie die Festlegung der maximalen Speicherdauer je Kamera. Zudem können Kunden bei Dallmeier optional durch eine detaillierte, virtuelle 3D-Simulation bereits bei der Projektplanung feststellen, welche Bereiche aufgrund der Bildqualität für den Datenschutz irrelevant sind.

Datensicherheit wird großgeschrieben Für die Anforderungen bei der Datensicherheit, also dem Schutz vertraulicher oder personenbezogener Daten vor Manipulation, Verlust oder unberechtigtem Zugriff, bietet das Dallmeier-Modul insgesamt zehn Funktionen. Zur Netzwerkabsicherung dienen die

Die Videotechnik von Dallmeier ist absolut konform mit den Bestimmungen der EU-Datenschutzgrundverordnung.

Rheinland, führen bereits entsprechende Testierungen durch. Eine Anerkennung durch die Deutsche Akkreditierungsstelle hätte aber große Vorteile, erläutert Stecker. Zum einen gäbe es dann einen gemeinsamen Standard bei der Zertifizierung von Spielhallen. Bisher existierten noch zwei unterschiedliche, die jedoch immer weiter harmonisiert worden seien. “Zum anderen würden die staatlichen Prüfinstanzen, insbesondere die kommunalen Ordnungsämter, deutlich entlastet”, so der Vorstandssprecher. Momentan gebe es gerade hier noch große Probleme: “Wir

brauchen eine Vollzugsunterstützung bei den Kontrollen von Spielhallen.” Als qualitative Gesichtspunkte, die für eine Zertifizierung herangezogen werden könnten, sieht Stecker unter anderem den Nachweis von Schulungen für Spielhallenbeschäftigte durch die Betreiber, die Existenz eines Suchtpräventionskonzeptes, die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen sowie des Alkoholausschankverbotes in den Spielhallen und die korrekte Aufstellung und Disposition der Geldspielgeräte. In diesem Zusammenhang betont er aber auch: “Das Verhindern von missbräuchlicher Verwendung

Behörden Spiegel / Juli 2018

der Zertifikate ist Aufgabe der TÜVs.” Schließlich stellten sie, wenn auch mit wissenschaftlicher Begleitung, die jeweiligen Standards auf.

DAkkS liegt noch kein Antrag vor Der DAkkS liegt ein Antrag auf Prüfung der Akkreditierungsfähigkeit eines Konformitätsbewertungsprogrammes im Bereich Automatenwirtschaft eigenen Angaben zufolge derzeit noch nicht vor. Die Akkreditierung von Zertifizierungsstellen, die hier Konformitätsbewegungen anböten, gehöre bisher nicht zu ihrem Tätigkeitsbereich, heißt es.

(BS/mfe) In Bremen können nicht zugelassene und nicht betriebsbereite Fahrzeuge nunmehr sofort und ohne vorherige Ankündigung aus öffentlichem Straßenland abgeschleppt werden. Das sieht ein Erlass von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) vor, der seit wenigen Tagen gilt. Bisher waren Polizei und Ordnungsamt verpflichtet, die Besitzer solcher Autos zu ermitteln und sie unter Fristsetzung zur Entfernung ihrer Fahrzeuge aufzufordern. Das band erhebliche Ressourcen und war oftmals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da sogenannte Kettenverkäufe festgestellt wurden. Bei diesen wechseln Altfahrzeuge immer wieder den Besitzer und werden so zu Spekulationsobjekten, mit denen durch jeden Weiterver-

Technik einfach implementiert Dallmeier stellt kombiniertes Modul für Datenschutz und Datensicherheit vor (BS/Jürgen Seiler*) Das Thema der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) ist derzeit stark strapaziert. Und gerade beim Einsatz von Videotechnik herrscht weiterhin viel Unklarheit darüber, welche Anforderungen erfüllt werden müssen. Die EU-DSGVO weist dem Datenschutz und der Datensicherheit einen hohen Stellenwert zu, ohne dabei konkrete Vorgaben für Videosicherheitssysteme zu machen. Mit den 14 Funktionen eines neuen Dallmeier-Moduls können Videosysteme so konfiguriert werden, dass sie jeweils individuell die Anforderungen der EU-DSGVO erfüllen. Dallmeier mit der LGC-Zertifizierung sicher, dass bei der Beweissicherung alle Kriterien für eine gerichtliche Verwertbarkeit erfüllt sind.

Authentifizierung gemäß IEEE 802.1X, eine Ende-zu-EndeVerschlüsselung mit TLS 1.2 / 256 Bit AES bei aktuellen Dallmeier-Systemen und die Funktion “ViProxy”, mit der Dallmeier Aufzeichnungs-Appliances als Security Gateway des Videosystems fungieren. Zudem erfolgt die Entwicklung sämtlicher Hard-, Soft- und Firmware-Lösungen im eigenen Haus, wodurch versteckte Zugangsmöglichkeiten durch Backdoors ausgeschlossen sind.

Diskussion geht weiter

Gerichtliche Verwertbarkeit ist gegeben Auf Recording-Ebene gewährleisten das optionale “Vier-Augen-Prinzip” bei der Sichtung von Aufzeichnungen, die Festlegung der Aufzeichnungszeit für jede Benutzergruppe mit “MaxView” sowie die Benutzergruppenverwaltung über AD/LDAP die Einhaltung der EU-DSGVO-Vorschriften. Das sichere Erkennen und Verhindern von Verbindungsversuchen durch Hackerangriffe erfolgt über die “Fail2Ban”-Funktion, entsprechende Failover- und Redundanzmechanismen bei der Aufzeichnung schützen vor Datenverlusten. Schließlich stellt

Um den Schutz der Daten zu gewährleisten, wird auf verschiedene Komponenten zurückgegriffen. Fotos: BS/Dallmeier

Bekanntermaßen steht die finale Auslegung der EU-DSGVO im praktischen Vollzug noch keinesfalls fest und wird auch über das Jahr 2018 hinaus noch von den nationalen und europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden kontrovers diskutiert und definiert werden. Somit ist es bei der Videosicherheit der beste und einfachste Weg, Lösungen einzusetzen, welche die technischen Antworten auf alle zu erwarten-

kauf kleine Gewinne zu erzielen sind.Nun werden die Abschleppkosten dem Halter in Rechnung gestellt, der sein Fahrzeug bei der Polizei als “verschwunden” gemeldet hat. Zeitgleich wird ein Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen unerlaubter Sondernutzung eingeleitet. Strafrechtliche Ermittlungen werden initiiert, sofern der Verdacht besteht, dass es sich bei dem abgestellten Fahrzeug um eine illegale Abfallentsorgung handeln könnte. Die Halter haben vier Wochen Zeit, ihre Fahrzeuge abzuholen, ansonsten werden sie verschrottet oder anderweitig verwertet. Sie können auch versteigert werden. Ressortchef Mäurer sagte zu dem neuen Ansatz: “Wir betreten mit dieser Herangehensweise Neuland in Bremen.”

den Anforderungen bereits heute geben. Mit den 14 Funktionen des kombinierten Datenschutzund Datensicherheitsmoduls des Dallmeier-Tochterunternehmens davidiT steht Kunden genau dieser Funktionsumfang in einer einfach zu verwaltenden und zu konfigurierenden Form zur Verfügung. Für Interessierte gibt es eine umfangreiche Broschüre zum Thema sowie ein Webinar zum Datenschutz- und Datensicherheitsmodul. Das Webinar wird einen allgemeinen Überblick zum Thema und zu den verschiedenen Funktionen und ihrer Konfiguration geben. Weitere Informationen unter: www.dallmeier.com/de/veranstaltungen/webinare/infos-zueu-dsgvo-und-videosicherheit. html *Jürgen Seiler ist Geschäftsführer des Dallmeier-ConsultingTochterunternehmens davidiT.

Über Dallmeier (BS) Dallmeier verfügt über eine mehr als 30-jährige Erfahrung in der Übertragungs-, Aufzeichnungs- und Bildverarbeitungstechnologie und ist als Pionier und Vorreiter im Bereich von CCTV/ IP-Lösungen weltweit anerkannt. Das profunde Wissen wird in der Entwicklung intelligenter Software und der Herstellung qualitativ hochwertiger Recorder- und Kameratechnologie eingesetzt. Das ermöglicht dem Unternehmen Dallmeier, nicht nur Stand-alone-Systeme, sondern komplette

Netzwerklösungen bis hin zu Großprojekten mit perfekt aufeinander abgestimmten Komponenten anzubieten. Dallmeier ist der einzige Hersteller in Deutschland, der alle Komponenten selbst entwickelt und produziert. Quality made by Dallmeier, made in Germany! Dabei gibt Dallmeier dem Markt mit neuen Entwicklungen und außergewöhnlichen Innovationen immer wieder entscheidende Impulse: So stammt beispielsweise der weltweit

erste DVR, der vor etwa 20 Jahren das Zeitalter digitaler Aufzeichnung in der gesamten Videosicherheitsbranche einläutete, aus dem Hause Dallmeier. In ähnlich bahnbrechender Weise wird auch das Multifocal-Sensorsystem Panomera®, eine einzigartige und völlig neue Kameratechnologie, den Markt revolutionieren und der Videosicherheitsbranche dadurch komplett neuartige Möglichkeiten eröffnen. Weitere Informationen unter: www.dallmeier.com

Bundeskongress

Kommunale Ordnung

26. − 27. September 2018 in Hamburg

Refe Referenten er auf dem d Kongress u.a.::

C Christoph Balzer B Der Fachdienstleiter Sicherheit und Ordnung des Landkreises Ostholstein widmet sich den unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs „Kommunale Ordnungsdienste“.

C Christian S Specht Der Erste Bürgermeister Mannheims erläutert die neue und moderne Videoüberwachung in seiner Stadt.

Informationen und Anmeldung unter: www.kommunale-ordnung.de

Falko Droßmann Der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte geht auf die Bedeutung kommunaler Sicherheit in der deutschen Sicherheitsarchitektur ein.

Eine Veranstaltung des


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juli 2018

Zurücklehnen war gestern

KNAPP Enquete-Kommission befasst sich mit KI

Das Ende des sorglosen Umgangs mit Sozialen Medien

(BS/Benjamin Stiebel) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden: Betreiber von Facebook-Seiten tragen eine Mitverantwortung für den Schutz der Daten von Besuchern. (BS/stb) Der Bundestag wird Zwar ist zunächst Facebook gefragt, eine datenschutzkonforme Nutzung seiner Plattform überhaupt erst möglich zu machen. Dennoch werden Behörden ihre Öffentlichkeitsarbeit in eine parlamentarische EnqueteSozialen Netzwerken genauer unter die Lupe nehmen müssen. Denn: Gemeinsame Verantwortung könnte auch gemeinsame Haftung bedeuten. Kommission “Künstliche IntelMit seinem Urteil in der Rechtssache C-210/16 bestätigt der EuGH die seit Jahren vertretene Auffassung von Datenschutzaufsichtsbehörden. Betreiber einer Facebook-Fanpage sind mitverantwortlich für die Erhebung und Auswertung von Daten der Besucher durch das Unternehmen. Ein Fanpage-Betreiber sei an der Entscheidung über Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten seiner Besucher beteiligt, begründet der EuGH. Der Betreiber gebe Facebook die Möglichkeit, auf Endgeräten der Seitenbesucher Cookies zu platzieren, unabhängig davon, ob diese über ein Facebook-Konto verfügten. Auf diesem Wege würden Informationen wie Alter, Beziehungsstatus und Interessen erhoben und zur Erstellung von Besucherstatistiken genutzt. Diese könne der Fanpage-Betreiber selbst zwar nur in anonymisierter Form (als sog. Insights) einsehen. Ein direkter Zugriff auf die personenbezogenen Daten sei für die Beteiligung aber nicht ausschlaggebend, so die Auslegung der Richter. Auslöser für die Befassung ist ein seit 2011 anhängiger Rechtsstreit. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte dem EuGH Fragen vorgelegt und muss nun über die Rechtmäßigkeit von aufsichtsbehördlichen Maßnahmen des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) gegen einen Fanpage-Betreiber entscheiden. Formal hat der EuGH nach altem EU-Recht geurteilt, Die Anwendbarkeit unter der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gilt aber als sicher. Zudem kann die Entscheidung leicht auf die Nutzung anderer Sozialer Medien und Tools zur Online-Verhaltensanalyse übertragen werden.

Behörden, die Soziale Medien für ihre Öffentlichkeitsarbeit nutzen, können nicht mehr nur auf die Anbieter verweisen. Auch sie müssen für den Datenschutz der Nutzer geradestehen. Foto: BS/© zinkevych, stock.adobe.com

Entsprechend begrüßt die Landesdatenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins und ULDLeiterin, Marit Hansen, das Urteil: “Konkret bedeutet dies nun für alle Fanpage-Betreiber, dass zwischen ihnen und Facebook geklärt sein muss, welche Datenschutzpflichten sie selbst zu erfüllen haben und für welche Facebook zuständig ist.” Ihr bayerischer Amtskollege, Prof. Thomas Petri, rät öffentlichen Stellen zur kritischen Überprüfung ihrer Aktivitäten. “Entweder müssen Soziale Medien sich an die in Europa geltenden Datenschutzvorschriften halten oder sie können nicht mitverantwortlich genutzt werden. Mögliche Vorteile bei der Öffentlichkeitsarbeit rechtfertigen jedenfalls keine Datenschutzverstöße”, so Petri.

Aufschlag Facebook Der Ball liegt also zunächst bei Facebook. Das Kalkül: Die Mitverantwortung der Fanpage-Betreiber könnte über einen Umweg dazu führen, dass das Unternehmen in der Praxis selbst mehr

Verantwortung übernehmen muss. “Die Fanpage-Betreiber sind verständlicherweise in Aufruhr, weil sie Abmahnungen oder Sanktionen befürchten”, erklärt Prof. Dirk Heckmann vom Institut für IT-Sicherheit und Sicherheitsrecht an der Universität Passau. “Sie können nicht viel tun, außer ihre Seiten abzuschalten. So wird Druck auf Facebook ausgeübt.” Als gemeinsam Verantwortliche müssen Plattform- und Fanpagebetreiber nun eine Vereinbarung nach Artikel 26 der DSGVO abschließen, in der nachvollziehbar und öffentlich einsehbar definiert wird, wer in welchem Maße Anteil an der Datenverarbeitung hat. “Facebook wird hier Standardverträge anbieten müssen, Einzelabkommen mit jedem Seitenbetreiber wären vollkommen illusorisch”, so Heckmann. Der Fallstrick für Facebook besteht darin, dass die Vereinbarung so ausformuliert sein muss, dass Fanpage-Betreiber sich auf der sicheren Seite fühlen können. Dazu müsste das Unternehmen wohl mehr über

seine Datenverarbeitungspraxis preisgeben, als es gewohnt ist. Facebook hat bereits angekündigt, seine Nutzungsbedingungen in Kürze zu aktualisieren, um Verantwortlichkeiten klarzustellen. Rechtsexperten und Datenschützer gleichermaßen bezweifeln, dass es damit schon getan sein wird. Bis Facebook ein ausreichendes Vertragskonstrukt anbietet, geschweige denn Zweifel an der Datenschutzkonformität seines Angebots ausräumt, besteht latente Rechtsunsicherheit bei den Seitenbetreibern. Denn dass Facebook liefern muss, heißt nicht, dass die Mitverantwortlichen komplett aus der Schusslinie sind. Sie müssen ihren Informationspflichten, so weit eben möglich, nachkommen, indem sie ihre eigene Datenschutzerklärung anpassen und auf die Datenverarbeitung durch Facebook hinweisen. Zu beachten ist auch, dass Betroffene ihre Rechte nun direkt gegenüber dem Seitenbetreiber geltend machen können.

Also, was tun? Auf Nummer sicher gehen und Fanpages abzuschalten, ist derzeit nicht nötig. Darüber sind sich Juristen weitgehend einig. “Die Aufsichtsbehörden werden jetzt sicherlich nicht die Sanktionspeitsche gegenüber Seitenbetreibern schwingen, sondern mit Augenmaß handeln”, beruhigt Prof. Louisa Specht, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht an der Universität Bonn. Hierzulande werde man zumindest das Urteil des BVerwG abwarten. Während dieser Karenzzeit von wenigen Monaten sollten öffentliche Stellen ihre Social-Media-Aktivitäten überprüfen und sich Rat von Datenschützern holen, rät Specht.

Haftungsfragen ungeklärt Unklar ist indes noch, wer im Fall von Datenschutzverstößen zukünftig für Schäden geradezustehen hat. Die Annahme, dass gemeinsame Verantwortung gemeinsame Haftung mit sich bringt, ist nicht von der Hand zu weisen. “In dem Fall wird Facebook nichts anderes übrigbleiben, als eine Haftungsübernahme zuzusichern, sonst wäre das Risiko für Seitenbetreiber zu groß”, meint Heckmann. Eine vollständige Entlastung im Schadensfall würde das aber nicht unbedingt bedeuten, so die Einschätzung Spechts. Die gemeinsame Verantwortung im Außenverhältnis gegenüber Betroffenen könne durch Vereinbarungen nicht aufgehoben werden, Haftungsregelungen wären nur im Innenverhältnis wirksam. “Das heißt, Ansprüche könnten trotzdem gegen Seitenbetreiber gerichtet werden”, so Specht. “Diese müssten Facebook dann erst in Regress nehmen. Ein potenzielles Risiko bleibt also.”

ligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale” einsetzen. 19 Parlamentarier und die gleiche Anzahl an Sachverständigen sollen bis 2020 Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) vorlegen. Ausgelotet werden Chancen und Risiken von KI-Technologien in den Bereichen Sprachassistenz und autonomes Fahren sowie intelligente Datenanalyse im Marketing, im Kredit- und Versicherungswesen und in der Medizin. Dem Antrag zur Einrichtung der Enquete-Kommission der Regierungsfraktionen sowie von FDP und Linker stimmten auch Grüne und AfD zu. Ein Änderungsantrag der Grünen wurde mit der Mehrheit von CDU/ CSU, SPD und FDP abgelehnt. Darin hatten die Abgeordneten gefordert, die neue KI-Komission solle regelmäßig öffentlich tagen und Sitzungen online übertragen. Außerdem wurden Beteiligungsmöglichkeiten gefordert, um Anregungen aus der Öffentlichkeit einbeziehen zu können.

RLP berät EGovG (BS/gg) Der Ministerrat Rheinland-Pfalz hat erstmals über den E-Government-Gesetzentwurf (EGovG) beraten. Das Gesetz soll die rechtliche Infrastruktur zur Einführung der elektronischen Akte in der Landesverwaltung bis zum Jahr 2020, aber auch den Aufbau eines Serviceportals für elektronische Verwaltungsdienstleistungen schaffen. In Verbindung mit einem elektronischen Rechnungsempfang, elektronischen Bezahlmöglichkeiten und der Möglichkeit, Nachweise elektronisch beim jeweiligen Amt einzureichen, sollen zukünftig viele Behördenkontakte zeit- und ortsunabhängiger erledig werden können.

PITS 2018

Der Fachkongress Deutschlands für IT- und Cybersicherheit bei Staat und Verwaltung

Sicherheit und Risiko

Technologie-Partner:

Strategien für eine erfolgreiche Digitalisierung Keynotes und Eröffnung der PITS 2018 Prof. Dr. Helge Braun Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben

Dr. Thomas Fitschen Beauftragter für Vereinte Nationen, Cyber-Außenpolitik und Terrorismusbekämpfung im Auswärtigen Amt

10.–11. September 2018, Hotel Adlon, 10117 Berlin Foto: © Jakub Jirsak, Fotolia.com

Weitere Referenten, u. a.: Prof. Dr. Andreas Pinkwart Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Eine Veranstaltung des

Security-Partner „Mobile Sicherheit“

Themenpartner

Klaus Vitt Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik und Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat


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Behörden Spiegel / Juli 2018

Baden-Württemberg 4.0 K

rebs betonte in seinem Vortrag, dass vieles, was im vergangenen Jahr auf der Premierenveranstaltung des Fachkongresses für die Zukunft vorgestellt wurde, heute entweder in der Umsetzung begriffen oder sogar schon realisiert sei. Dennoch gebe es noch viel zu tun: “Baden-Württemberg ist ein Erfolgsmodell, aber der wirtschaftliche Erfolg im Land beruht zu großen Teilen auf Hardwarelösungen. Die Digitalisierung legt allerdings den Fokus sehr deutlich auf die Softwareseite, wo wir noch Nachholbedarf haben.” Viele Unternehmen seien erfolgreich, weil sie etwas können, das andere nicht können. Die Digitalisierung gefährde aber genau dieses Prinzip, da sich Fachwissen im Zuge der digitalen Revolution mehr und mehr zu Common Knowledge entwickele. Daher müsse das Land seine Wirtschaft für die Softwareseite der Digitalisierung vorbereiten und fit machen. Der zentrale Bereich gesellschaftlich und markttechnisch hervorzuhebender Macht liegt für den Digitalisierungschef des Landes bei der Software und den Steuerungssystemen vor allem im Smart-Home-Bereich. Genau hier sei allerdings auch die Datensicherheit besonders anfällig für Gefährdungen und Angriffe, sodass es hier einer strikten Gesetzgebung bedürfe, die nur Systeme zulasse, die eine größtmögliche Sicherheit mit sich brächten.

digital@bw In der Folge stellte Krebs die Digitalisierungsstrategie des Landes Baden-Württemberg mit dem Titel “digital@bw” vor, deren Förderung zu Jahresbeginn gestartet ist und die nun vielfältige Bereiche der digitalen Welt angehen sowie Entwicklungen in diesen Bereichen mit Millionenbeträgen fördern soll. Damit sie in der Bevölkerung auch angenommen werde und Bürgern sowie Unternehmen wirklich nutze, habe man sie bewusst

Die Digitalisierung in den Alltag bringen Zwischenfazit nach einem Jahr Digitalisierungsstrategie Baden-Württemberg

(BS/Wim Orth) Anfang Juli fand in Stuttgart der Digitalisierungskongress Baden-Württemberg 4.0 statt. Mit über 400 Teilnehmern konnte der Wert aus dem letzten Jahr problemlos übertrumpft werden. Der Fachkongress startete am Morgen mit einer Rede des baden-württembergischen Landes- Innovation ist kein Selbstläufer CIO/CDO Stefan Krebs. Dieser freute sich ausdrücklich über den Zuwachs aus dem kommunalen Umfeld, da es für ihn ein wichtiges Anliegen sei, “dass die Digitalisierung im Alltag der Menschen ankommt. Die Digitalisierung geht nämlich nicht mehr wieder weg.” Der CIO/CDO will dabei mit Im weiteren Programm des seinem Bundesland vorangehen und anderen dabei helfen, mit der neuen digitalen Welt arbeiten zu lernen. Kongresses war der Landes-

Auf dem Podium diskutierten (v.l.n.r.) Michael Seipel, Partner bei Cassini Consulting, Guido Gehrt, Leiter der Bonner Redaktion des Behörden Spiegel, Stefan Krebs, CIO/CDO der Landesregierung Baden-Württemberg, Edgar Buhl, Kanzler der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, sowie Dr. Christine Brockmann, Geschäftsführerin der Metropolregion Rhein-Neckar, untereinander und mit dem Publikum über die Chancen und Herausforderungen bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrategien. Foto: BS/Bildschön GmbH, Scheyhing

Stefan Krebs stellte auf dem Kongress die Strategie vor, die das Land in den nächsten Jahren zum digitalen Vorreiter machen soll.

dass Baden-Württemberg weiter in Entwicklungs- und Innovationsthemen vorne mitspielt. Zu dieser Entwicklung gehöre auch, dass Wert auf Nachhaltigkeit gelegt werde und schnelles Internet überall in den urbanen Zentren wie auch auf dem Land verfügbar sei, um alle Standorte gleichermaßen zu stärken. Die Förderung des Landes ist dabei bis zum Jahr 2021 auf insgesamt eine Milliarde Euro ausgelegt und unterstützt derzeit mehr als 70 Projekte, die ressortübergreifend umgesetzt werden. Leuchtturmprojekte sind dabei das Testfeld für autonomes Fahren in Karlsruhe, mit dem erstmalig in Deutschland eine Kombination von Autobahn, Stadt- und Landstraßen den gesamten Verkehr reprä-

nalamt zwar Ermittlungen zur Täterschaft aufnehmen, Hilfsangebote bei der Datenwiederherstellung gebe es aktuell allerdings noch nicht und auch die Expertise sei hier noch recht begrenzt ausgeprägt. “Es ist wichtig, eine solche Schutzeinheit einzurichten, damit wir bei Angriffen Daten retten und die Arbeitsmöglichkeiten so schnell wie möglich wiederherstellen

in einem interaktiven Prozess entwickelt, erklärte Krebs. Die Strategie wurde demnach um vier Querschnittsthemen und sechs Schwerpunkte herum aufgebaut, die Verwaltung und Kommunen digital aufstellen, gleichzeitig eine ausgewogene Datensicherheit sicherstellen und Themen wie digitale Gesundheit, intelligente Mobilität und auch die Bildung und WeiterbildunginderdigitalenGegenwart und Zukunft in den Fokus der Landesentwicklung stellen. Gleichzeitig sollen aber auch Start-ups als “Treiber der Digitalisierung” vom Staat gefördert werden, um sich die Leistungen und das kreative Potenzial der jungen Unternehmen nicht entgehen zu lassen. Grundsätzlich soll die Strategie dazu führen,

sentativ abbilden kann, und die gesetzlichen Anpassungen für eine sinnvolle Einführung von Telemedizin, denn “die ist für Allerweltsuntersuchungen ein super Mittel zur Ferndiagnostik”, wie Krebs erklärte. “Die Zukunft von Kommunen und Verwaltung ist digital. Deswegen fördern wir mit digital@ bw neben dem E-Government auch viele Projekte zu Smart City und der Digitalisierung im ländlichen Raum, zu Smart Justice und zum Finanzamt der Zukunft.” Im Zuge der Bemühungen zur Cyber-Sicherheit wird derzeit außerdem eine digitale Schutzeinheit mit dem Planungstitel “Cyberwehr” debattiert. Denn wenn ein Angriff vorgekommen sei, könne das Landeskrimi-

Foto: BS/Wim Orth

Der nächste Kongress “Baden-Württemberg 4.0” findet am 4. Juli 2019 in Stuttgart statt. Weitere Informationen zur kommenden Veranstaltung finden Sie in Kürze im Behörden Spiegel und auf der Kongress-Homepage unter www.bw-4-0.de .

Ganzheitliche Digitalisierungsstrategien in den Kommunen (BS/Guido Gehrt) Anfang Mai wurden durch Baden-Württembergs Innen- und Digitalisierungsminister Thomas Strobl die Sieger des Landeswettbewerbs “Digitale Zukunftskommune@bw” gekürt. Vier Städte (Heidelberg, Karlsruhe, Ludwigsburg und Ulm) und ein Landkreisverbund machten das Rennen und werden nun zu digitalen Zukunftskommunen ausgebaut. Im Rahmen des Wettbewerbs wurden zudem 50 weitere Kommunen ausgewählt, die fortan auf ihrem Weg ins digitale Zeitalter unterstützt werden sollen. Insgesamt nimmt das Land dafür 7,6 Millionen Euro in die Hand. Drei der Gewinner stellten auf dem Kongress ihre kommunalen Digitalisierungsvorhaben vor. Cloud” miteinander vernetzt. Ein zentrales Vorhaben der nächsten Zeit ist die Entwicklung eines datensicheren digitalen Bürgerservices, der notwendige Verwaltungsvorgänge, etwa bei der Geburt eines Kindes, digital abbilden soll. Berhalter machte jedoch auch deutlich, dass der analoge Zugang zur Verwaltung auch dann weiterhin erhalten bleiben soll und die Bürger entscheiden könnten, welchen Kanal sie für ihre Kontakte zur Verwaltung wählen. Das Zielbild eines “Landrats­ amt 4.0” verfolgt man im Landkreis Karlsruhe, ebenfalls einer der Sieger des Wettbewerbs, gemeinsam mit den Landkreisen Biberach, Böblingen, Konstanz und Tuttlingen. Die Umstellung auf elektronische Verwaltungsprozesse ist auch dort in vollem Gange. Eines der zentralen Vorhaben ist aktuell der Aufbzw. Ausbau des Servicepor-

Vorhaben der digitalen Zukunftskommunen waren Thema einer Runde (v.l.) mit Sabine Meigel (Ulm), Ragnar Watteroth (Ludwigsburg), Moderatorin Dr. Natalia Jaekel (Leiterin der Stabsstelle für Digitalisierung im Innenministerium Baden-Württemberg), Martin Berhalter (Landkreis Karlsruhe) und Willi Wendt (Fraunhofer IAO). Foto: BS/Bildschön GmbH, Scheyhing

tals, über welches knapp 2.000 verschiedene Dienste rund um den Arbeitsplatz abgerufen bzw. beantragt werden können. Derzeit verzeichnet das Portal bereits über 100.000 Bestellungen im Jahr. Gemeinsam haben die

Landkreise ein E-Learning-Projekt gestartet, um bestehende Fort- und Weiterbildungsangebote zu ergänzen. Auch auf dem Weg zum “Digitalen Landkreis Karlsruhe” ist die Beteiligung der Bürger und

CIO/CDO auch Teil einer Diskussionsrunde zu den Erfolgsfaktoren und Hürden, die bei der Umsetzung von Digitalisierungsstrategien auftreten können. Dr. Christine Brockmann, Geschäftsführerin der Metropolregion Rhein-Neckar, mahnte in der Diskussion an, dass Innovation kein Selbstläufer sei, sondern stattdessen dringend vom Staat organisiert werden müsse: “Vernetzung und Zusammenarbeit untereinander müssen organisiert werden und schon im Vorfeld muss ein klares gemeinsames Verständnis über konkrete Zielsetzungen definiert werden. Da wird in der Praxis noch viel zu häufig aneinander vorbeigeredet.” Gleichzeitig sprach Brockmann sich für eine Nutzerzentrierung aus, damit Angebote auch tatsächlich genutzt würden. Durch die Einbindung von Bürgern und Unternehmen schon in der Entwicklung bekomme man ein viel besseres Bild davon, was wirklich wichtig sei und welche Funktionen vielleicht gar nicht benötigt würden. Grundsätzlich sei eine digitalisierte Verwaltung aber zwingend umzusetzen: “Ohne eine Verwaltung 4.0 gibt es auch keine Industrie 4.0, von Bildung und Medizin ganz zu schweigen”, so Brockmann.

JETZT VORMERKEN!

Technik nur Mittel zum Zweck

L

udwigsburg setzt seit Jahren auf eine nachhaltige und ganzheitliche Stadtentwicklungsstrategie. Die digitale Veränderung auf allen Ebenen hilft der Kommune dabei, diese Ziele schneller zu verwirklichen. Dies zeigt sich etwa bei der digitalen Behördenhelferin “L2B2” oder beim lernfähigen Verkehrsleitrechner, der permanent das Verkehrsaufkommen überwacht und daraufhin die Ampelschaltung optimiert, um einen möglichst flüssigen Verkehr zu gewährleisten oder Rettungskräften eine freie Fahrt zu ermöglichen. Im Innovationsnetzwerk “Living LaB” kooperiert die Stadt Ludwigsburg mit Partnern aus Wirtschaft, Industrie und Forschungseinrichtungen und entwickelt auf Basis dieser Zusammenarbeit vielfältige Ideen für Innovationen in der Kommune. Dabei werden auch die Bürger eng eingebunden, um deren Wünsche, Bedenken und Ideen zu berücksichtigen. “Es ist wichtig, die Informationen ständig breit zu streuen, um die Bürger mitzunehmen”, erklärte Martin Berhalter von der Geschäftsstelle “LivingLaB”. Die einzelnen Digitalisierungsprojekte sind in Ludwigsburg in einer “Smart City

können.” Wie genau eine solche Cyberwehr dann mit dem BSI zusammenarbeiten könnte, müsse im weiteren Verlauf der Planungen konkretisiert werden.

anderer Stakeholder von zentraler Bedeutung. “Digitalisierung ist ein umfassender, strategischer Veränderungsprozess. Technik ist dabei nur ein Mittel zum Zweck”, brachte es Ragnar Watteroth, Leiter des Dezernats Finanzen und Beteiligungen im Landratsamt Karlsruhe, auf den Punkt. Ein Erfolgsfaktor von Digitalisierungsprozessen liegt für ihn auch darin, mit neuen Angeboten möglichst frühzeitig an den Start zu gehen und – anders als es bislang gelebte Praxis ist – eine Produktivsetzung bei 90 Prozent zu wagen. Bürger- und Nutzerorientierung einerseits sowie das Zusammenbringen von Menschen aus unterschiedlichen Fachrichtungen: Dies sind zwei zentrale Punkte der digitalen Agenda der Stadt Ulm, welche die Leiterin der gleichnamigen Geschäftsstelle, Sabine Meigel, den Teilnehmern näherbrachte.

Grundvoraussetzung für den Erfolg eines solchen Ansatzes seien der Abbau von Silodenken, eine querschnittsorientierte Herangehensweise und eine Bottom-up-Entwicklung aus der Stadtgesellschaft heraus. Auf dieser Grundlage könne es dann gelingen, den Bürgern und Unternehmen integrierte digitale Angebote zu machen, wie Meigel anhand des Wochenmarkts “Stifterweg” aufzeigte. Die digitalen Zukunftskommunen werden auf ihrem Weg vom Fraunhofer-Institut IAO begleitet, welches den Auftrag zur Begleitforschung erhalten hat. Hierbei geht es einerseits um die wissenschaftliche Betreuung der Gewinnerkommunen durch die Etablierung eines kontinuierlichen Wissensaustauschs zwischen den Kommunen sowie deren fachliche Beratung. Andererseits solle Fraunhofer IAO einen Leitfaden zur Erstellung ganzheitlicher kommunaler Digitalisierungsstrategien entwi­ ckeln, wie Willi Wendt, Teamleiter Urban Data und Resilience bei Fraunhofer IAO, berichtete. Dieser solle sich, auf der Basis der Erkenntnisse aus allen Gewinnerprojekten, an alle Kommunen in Baden-Württemberg richten.


Baden-Württemberg 4.0

Behörden Spiegel / Juli 2018

Seite 31

Innovation kann man organisieren

Direkt an der Wurzel anpacken

Technik ist nicht der alleinige Schlüssel für die Verwaltungen

Wie der digitale Wandel gestaltet werden kann

(BS/ab) “Die Bundesregierung verfolgt nicht wirklich eine Digitalisierungsstrategie, aber nur weil diese es nicht tut, müssen die Bundesländer und ihre Kommunen sich daran kein Beispiel nehmen. Wenn der Chef nicht loslegt, nehmen sie es selbst in die Hand”, betonte Jürgen Fritsche, Geschäftsleiter Public Sector von msg systems, auf dem Kongress Baden-Württtemberg 4.0. Worauf es dabei ankomme, erläuterte er ebenso.

(BS/Adrian Bednarski) “Wie digitalisiert sind unsere Prozesse und haben wir sie von Ende-zu-Ende gedacht?”, fragte Prof. Dr. Birgit Schenk, Professorin für Verwaltungsmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, bei Baden-Württemberg 4.0 in den Raum. Schnell werde deutlich, wo die Defizite liegen und welche Hausaufgaben die Ministerien übernehmen müssen.

Er möchte einen Kontrapunkt setzen und erläuterte dies anhand der Einführung des Autos: “Das Auto war eine tolle Innovation, aber es durchdrang den Markt anfangs nicht. Denn die notwendige Infrastruktur fehlte.” Eine Idee reiche somit nicht und resultiere nicht gleich in einer Innovation, die den Markt für sich gewinne. “Es braucht für Innovationen nicht immer eine ganz neue Technik. Es existieren unterschiedliche Innovationstypen und auch Dienstleistungsinnovationen sind wichtig. Diese bieten sich für die Verwaltungen als Innovationsfeld an”, sagte Fritsche.

Die Volkshochschule Herrenberg arbeitet an einem Dozierendenportal, bei welchem sich Interessenten online bewerben, bestätigen und ihre Kurse pla­nen können. “Unsere Projektgruppe ist von den Wertversprechen wie einer Rund-um-dieUhr-Erreichbarkeit, mobilen und papierlosen Lösungen und vor allem Einfachheit ausgegangen. Auf dieser Basis haben wir herausgearbeitet, was es dann dementsprechend für Funktionen benötigt”, erläuterte Projektmitarbeiter Christoph Sprich aus der Personal- und Organisationsabteilung im Landratsamt Tübingen. Vor allem durch die fachfremde Sicht von Nicht-Dozenten seien Konzepte entstanden, die Probleme “direkt an der Wurzel packen. Wenn eine kleine Volkshochschule dies kann, dann werden größere Organisationen dies auch können”, so sein Fazit. Wobei Dr. Daniela Oellers, Leiterin der Stabsstelle “Projekt Landeseinheitliche E-Akte” aus dem baden-württembergischen Innenministerium dies kritisch betrachtet: “Durch solche Spezifikationen entstehen wieder Silos, das Portal serviceBW soll hierbei eben solche abbauen und für vereinheitlichte EGovernment-Anwendungen sorgen.” Wobei Sprich erwiderte, dass er nicht den Eindruck habe, dass das Portal die spezifischen Anforderungen der Volkshochschule erfüllen würde.

E-Residenz und Unternehmensgründung Beispielhaft erläuterte er dies an der Unternehmensgründung im US-Bundesstaat Delaware und der E-Residenz in Estland. In Delaware könnten potenzielle Unternehmensgründer innerhalb von Minuten online ihr Unternehmen gründen. “Lange Wartezeiten, Prüfverfahren und Präsenztermine fallen dort weg. Der Prozess ist wesentlich effizienter gestaltet”, führte er aus. Der Vorteil für Unternehmen sei dabei, dass “in Gründung” als Status wegfalle, wodurch die Unternehmen ernster genommen würden. Dies geschehe dabei mittels verknüpfter Hintergrundprozesse. Positionen im Unternehmen, welchen Status der Kapitalgesellschaft sie haben möchten, die Angaben für die Bezahlungen und den Namen des Unternehmens könnten online eingetragen werden. Letzterer werde dabei gleich-

Jürgen Fritsche (Bildmitte), Geschäftsleiter Public Sector bei msg systems, erörterte, wie Innovationen vor allem im Dienstleistungsbereich in den Verwaltungen gelingen können. Foto: BS/Bildschön GmbH, Scheyhing

zeitig im Handelsregister überprüft, wodurch schnell deutlich werde, ob der Name frei oder bereits vergeben sei. “Nach circa zehn Minuten sind sie damit durch, wenn sie vorher wissen, was sie und wie sie es wollen”, so Fritsche. In Estland können sich Menschen als E-Bürger eintragen lassen, also die E-Residenz beantragen, ohne dort einen Wohnsitz zu benötigen. “Auch dort sind dann Unternehmensgründungen möglich, zwar nicht so schnell wie in Delaware, aber wesentlich schneller als hier in Deutschland”, erläuterte er.

Schlüsselfiguren: Die Mitarbeiter Es würden acht wichtige Schritte benötigt, um Veränderungen in der Verwaltung und in einem Unternehmen hervorzurufen: Zum einen brauche es das Dringlichkeitsgefühl, dieses

müsse von den Bürgermeistern nach unten getragen werden. Dann brauche es eine Führungskoalition. “Was machen andere Kommunen? Wo können wir miteinander kooperieren? Wo sind gemeinsame Ziele?”, warf Fritsche die wichtigen Fragen auf. Auf der Basis müssten eine gemeinsame Vision und Strategie entwickelt werden, diese wiederum müssten mit Begeisterung und überzeugend den Mitarbeitern vermittelt werden. “Da die Mitarbeiter die Schlüsselfiguren sind, müssen sie diese danach befähigen, mitzumachen und mitzuhelfen”, betonte er den Schlüssel zu einer erfolgreichen Digitalisierung. Dann brauche es schnelle Erfolge, diese würden dann konsolidiert und weitere Veränderungen danach angegangen. “Schließlich verankern sie damit eine Kultur der Veränderungen und der Innovation”, so sein Fazit.

Vernetzen, nicht zentralisieren Diskussion rund um OZG und Portalverbund (BS/Michael Brems/Timon Hölle*) Unter der Moderation von Marco Brunzel, Bereichsleiter Digitalisierung und E-Government der MRN GmbH, stand ein Panel bei Baden-Württemberg 4.0 ganz unter dem Zeichen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und des Portalverbundes. (siehe zum Thema OZG auch Seite 34) Schon während der kurzen Vorstellung und Würdigung der Panelteilnehmer schaffte Brunzel einen inhaltlichen Rahmen, in dem er die hohe Bedeutung des Themenfeldes aufzeigte und die Aufbruchstimmung im “Ländle” als eines der “weitesten” Flächenländer der Republik hervorhob. Stephan Jaud, Leiter des Referats E-Government, Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg, nutzte seinen Impuls, um den Status quo von serviceBW und weiteren Serviceportalen in Deutschland zu skizzieren. Die zentrale und durchaus kontroverse These, die Jaud hierzu vertritt, lautet: “Die Bedeutung des Portalverbundes wird überschätzt!”. Den Kern des Problems sieht der Referent im Zentralisierungsstreben des Bundes, das durch konkrete Bemühungen zur besseren Vernetzung ausgetauscht werden sollte. Ein weiteres Anliegen von Jaud war die Erweiterung und Anpassung des OZG hin zu mehr “menschenorientierten” Prozessen und weg von Einer eins-zu-eins-Umsetzung des OZG. Prof. Dr. Jörn von Lucke, Direktor des Lehrstuhls für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik, Zeppelinuniversität Friedrichshafen, stimmte Jauds Ausführungen zu. Weiterhin nutzte er seine Stellung als renommierter und anerkannter Vertreter der Wissenschaft

dazu, die Teilnehmer davon zu überzeugen, den Begriff des Portalverbundes breiter zu denken und zu leben. Der Portalverbund sei mehr als nur ein Instrument zur elektronischen Zusammenführung oder zur digitalen Umsetzung von Verwaltungsleistungen. Der Portalverbund sollte als ganzheitlicher Verbund gedacht werden und als Verbund der Zugänge zur Verwaltung (telefonisch, persönlich, postalisch, elek­ tronisch) fungieren. Von Lucke untermauerte seine Anregung mit belastbaren empirischen Forschungsergebnissen, etwa zur Abmilderung der Auswirkungen des Demografischen Wandels und zur Senkung der Verwaltungskosten. Einen Perspektivwechsel, der aber keinesfalls als Kontrapunkt gemeint war, leiteten Karsten Krumm, Digitale Strategie und IT Governance, Stadt Konstanz, und Rüdiger Czieschla, Stabsstelle IT-Business-Architektur, Stadt Freiburg, ein. Die Referenten stellten das neugegründete kommunale Netzwerk “andi” (Aktives Netzwerk digitaler Ideen) und dessen Aktivitäten vor. Dabei reflektierten sie kritisch gegenüber dem Land, aber auch durchaus selbstkritisch, die aktuellen Herausforderungen bei der Umsetzung des OZGs und insbesondere der Erstellung bzw. Darstellung von digitalen Verwaltungsleistungen. Als ein entscheidendes Problem der Kommunalebene wurde bei-

spielsweise der fehlende Innovationsdruck der Kommunen bei der Umsetzung des OZG herausgearbeitet. Diesem Problem soll durch andi, als ein Netzwerk motivierter Kommunen, entgegengetreten werden. Zusätzlich kann das Netzwerk dem Hauptproblem der Ministerialbürokratie, der fehlenden Agilität, Abhilfe schaffen. Final wird das Ziel verfolgt, andi als kommunale Unterstützung für serviceBW anzuerkennen und zu schätzen. Passend abgerundet wurde das Panel von Liliana SendlerKortenkamp, Referentin für Prozessmanagement, Duale Hoch­ schule Baden-Württemberg. Sie nahm die verschiedenen Eindrücke der Impulse auf und fasste sie in der Leitfrage zusammen: “Wie sieht gute Zusammenarbeit aus?”. Dazu entwickelte sie einige Handlungsempfehlungen, nach denen etwa der fachliche Input der Mitarbeiter nicht missachtet werden solle, da die Mitarbeiter die laufenden Prozesse am besten kennen und Rückmeldung zu bspw. Usability geben könnten. Der Argumentationskreis des Formates schloss sich gänzlich, als auch Sendler sich gegen weitere Zentralisierungsbemühungen und für eine Förderung des Kulturwandels in der Verwaltung aussprach. *Michael Brems und Timon Hölle sind für die Metropolregion Rhein-Neckar GmbH tätig.

Der Wandel scheint unabwendbar Einig war man sich in einem Punkt: “Die Digitalisierung ist für die Verwaltungen notwendig, denn sie wird diese am Laufen halten. Sie wird jene Arbeit auffangen, die durch den Personalmangel nicht anders kompensiert werden kann”, zeigte Jan Tiessen, Senior-Projektleiter im Bereich Organisation der Pro– gnos AG, die Zukunftstendenzen auf. Auch das Arbeiten werde sich verändern. Mehr Flexibilität, abteilungsübergreifendes Arbeiten und mehr Projektarbeit sowie Experimentierräume würden auch in die Verwaltungen einziehen. Jedoch verändere sich die Art zu arbeiten nicht über Nacht, es brauche Spielräume. “Aber dafür bräuchten wir eine Geset-

Prof. Dr. Birgit Schenk von der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg lieferte den Impuls für eine intensive Diskussion. Fotos: BS/Bildschön GmbH,Scheyhing

Dr. Daniela Oellers, Leiterin der Stabsstelle “Projekt Landeseinheitliche E-Akte”, sieht manche Alleingänge in der IT kritisch, weil wieder das Silo-Denken und –Handeln gefördert würden.

zesänderung. Wir hätten gerne eine Experimentierklausel, die aus unserer Sicht dringend nötig ist”, unterstützte Alexander Kozel vom Städtetag BadenWürttemberg neue Freiräume für Verwaltungsmitarbeiter. Momentan müsse deshalb noch der Graubereich ausgenutzt werden, soweit, dass Innovationen entstünden. Jedoch sei dieser Bereich begrenzt.

Die Hausaufgaben der Ministerien Deshalb hängt die Digitalisierung auch viel von höheren Ebenen und damit von den Führungskräften ab. Dr. Jutta Lang, Generalsekretärin von der Führungsakademie BadenWürttemberg, äußerte sich zu den bisherigen Erfahrungen mit Führungspersonen: “Wir bilden

seit Jahren die digitale Führungsriege aus. Am mangelnden Zuspruch scheitern diese Themen nicht. Es gibt einen großen Drang und ein großes Interesse, Hilfestellung zu geben und zu erhalten.” Es müsse der Spagat gefunden werden, zwischen den Freiräumen und dem Tagesgeschäft der Mitarbeiter. “Aber diesen Punkt, die notwendigen Freiräume zu schaffen, sehe ich als den Schlüssel für den Erfolg an.” Gleichzeitig bedeuteten mehr Freiheiten nicht nur rechtlich freiere Rahmenbedingungen. Dr. Markus Reiners aus der Stabstelle für Digitalisierung im baden-württembergischen Innenministerium war der Meinung, dass die “Ministerien die Digitalisierung eher steuernd und koordinierend die Prozesse begleiten sollten. Beispielsweise können die jeweiligen Innenministerien die Anstöße liefern und den Rahmen vorgeben.” Hinsichtlich der Kommunen sehe er zwar wenig Vorbilder, aber an jenen Modellkommunen, die vorhanden seien, könne man sich orientieren. Wichtig sei, dass die Digitalisierung zwar oft auf den höheren Ebenen angesiedelt werde, aber ebenso ein Prozess implementiert werden müsse, durch den die Mitarbeiter ihre Ideen und Innovationen “nach oben tragen können”.

Kommunikation: das A und O Dass die Kommunikation nicht nur von oben nach unten stattfinden darf, verdeutlichte auch Gerhard Rempp, Senior Manager bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG: “Wir haben oft ein klassisches “Wasserfallvorgehen”. Ein Konzept wird entwickelt und dann nach unten delegiert, beispielsweise in die IT, die es dann umsetzen soll.” Aber oft komme es dann zu Verständnisschwierigkeiten zwischen den Fachkräften und den anderen Mitarbeitern beziehungsweise der Führungsebene. Hilfreich seien standardisierte Sprachen, wie sie in Geschäftsprozessmodellen vorkämen. Diese würden helfen, die Modellierung und Ausgestaltung des Konzeptes in der Fachabteilung vorzunehmen und die IT auf der Basis einer gemeinsamen Sprache sie zu programmieren, erläuterte der Rempp.

Haushaltsplan auf Knopfdruck Digitalisierungsagenda der Stadt Ludwigsburg (BS/ab) “Wir haben vor zehn Jahren begonnen, ein Stadtentwicklungskonzept zu entwickeln. Wobei wir gemeinsam mit den Bürgern eine Vision aufbauen wollten”, eröffnete Ulrich Kiedaisch, Stadtkämmerer von Ludwigsburg seinen Vortrag. Darauf aufbauend sei die digitale Agenda der Stadt entstanden, die mittels eines interaktiven Haushaltsplans auch die Transparenz fördern möchte. Bisher umfasse die digitale Agenda verschiedene Bausteine. “Implementiert davon haben wir unter anderem die digitale Ratsarbeit. Also erhalten die Ratsherren alle notwendigen Unterlagen nun in elektronischer Form, mit fünf Ausnahmen von 40”, fuhr Kiedaisch fort. Hinzukommen solle noch ein DokumentenmanagementSystem, aktuell werde die ERechnung eingeführt und der gesamte Prozess der Verkehrssteuerung solle ebenso mittels Bundesförderung digitalisiert werden. Daneben besitzt die Stadt eine Kuriosität. Vor Kurzem hat sie den Roboter L2B2 als Hilfe für die Verwaltung eingeführt, der die Bürger zu den jeweiligen Fachabteilungen führt. “Aber dies hat mehr Symbolcha-

rakter. Es soll zeigen, dass sich in der Verwaltung etwas ändern kann. Trotzdem optimieren wir L2B2 stetig”, sagte der Stadtkämmerer. Außerdem habe er eine Wunschvorstellung, die aber wahrscheinlich erst sein Nachfolger realisieren werde: “Es müsste ein System geben, in welches alle Ämter der Stadtverwaltung ihre Daten einspeisen und auf deren Basis per Knopfdruck ein Haushaltsplan generiert wird.”

Interaktiver Haushalt Einen Schritt in die digitale Haushaltsführung hat die Stadt bereits getan. “Kommunale Haushalte beinhalten oftmals dicke Papierschwarten”, so Kai Petersen, Geschäftsführer der

interkommunalen VergleichsSysteme (IKVS). Deshalb besitze Ludwigsburg einen interaktiven Haushalt. “Der interaktive Haushaltsplan ist ein Mosaik aus der interaktiven Finanzsteuerung und eine rein webbasierte Lösung, also ohne zusätzliche Software nutzbar”, erläutert er. Innerhalb von einer Woche sei sie einsetzbar und die einzige Zugangsvoraussetzung sei eine Internetverbindung. “Online besitzen Sie dann die Möglichkeit, verschiedene Daten grafisch abzubilden, die Nutzer können übersichtlich immer tiefer in den Haushaltsplan und in die jeweiligen Bereiche abtauchen.” Die Lösung entspreche dabei dem europäischen Datenschutz und der Datensicherheit.


Baden-Württemberg 4.0

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W

illiam Schmitt, Vorstandsvorsitzender der ITEOS AöR, stellte das neue Unternehmen vor. Die Gründung der “ITEOS” erfolgte zum 1. Juli 2018 durch Beitritt der Zweckverbände “Kommunale Datenverarbeitung Region Stuttgart” (KDRS), “Kommunale Informationsverarbeitung ReutlingenUlm” (KIRU) und “Kommunale Informationsverarbeitung Baden-Franken” zur Datenzentrale Baden-Württemberg (DZBW). Als Anstalt öffentlichen Rechts in gemeinsamer Trägerschaft von Land und Kommunen soll die ITEOS ihre Kunden auf den, Weg in eine zunehmend technologiebasierte Zukunft mit eigenen cloudbasierten Lösungen zum Nutzen der Bürger und der Gesellschaft beraten und begleiten.

An die Arbeit Das Unternehmen will dabei qualitativ hochwertige und marktfähige IT-gestützte Lösungen und Services anbieten, die sich an den Bedürfnissen und Anforderungen ihrer Kunden ausrichten. Konkret beschafft, entwickelt und betreibt ITEOS

Behörden Spiegel / Juli 2018

Konsolidieren – mit Realitätssinn IT-Dienstleister als enge Begleiter der Digitalisierung (BS/gg) Nachdem die Landesverwaltung mit IT Baden-Württemberg (BITBW) bereits seit dem 1. Juli 2015 einen zentralen IT-Dienstleister hat, folgte exakt drei Jahre später mit der Gründung der ITEOS das Pendant auf der kommunalen Ebene. Die Chefs beider Häuser beteiligten sich auf dem Kongress an einer von ÖFIT-Leiter Prof. Dr. Peter Parycek moderieren Diskussion zur IT-Konsolidierung bei Staat und Kommunen. für ihre Kunden Verfahren der automatisierten Datenverarbeitung und erbringt unterstützende Dienstleistungen der Personalverwaltung sowie Beratungs- und Schulungsleistungen. Der neu entstandene kommunale IT-Dienstleister hat an insgesamt sieben Standorten in ganz Baden-Württemberg derzeit über 1.600 Mitarbeiter. “Wir sind gut aufgestellt, jetzt beginnt die Arbeit!” lautete Schmitts Fazit. Man wolle ein enger Begleiter bei der digitalen Transformation der rund 1.100 Kommunen in Baden-Württemberg sein.

wurde der Umsatz seit Bestehen von BITBW insgesamt um rund 70 Prozent gesteigert, allein das vergangene Jahr schlägt dabei mit einem Plus von rund 40 Prozent zu Buche. Zudem hat der IT-Dienstleister in den letzten drei Jahren auch beim Personal einen deutlichen Aufwuchs zu verzeichnen – plus 30 Prozent.

Aus 17 mach drei

BITBW-Präsident Christian Leinert weiß, dass Synergieeffekte zwar ein maßgebliches Kernziel der IT-Konsolidierung sind, sich aber nicht in allen Bereichen heben lassen. Foto: BS/Bildschön GmbH, Scheyhing

Gute Zahlen bei BITBW IT Baden-Württemberg (BITBW) ist als Landesoberbehörde seit Juli 2015 der zentrale ITDienstleister in der Landesverwaltung und ein Kernstück der

IT-Neuordnung im Land. Zum BITBW-Produktportfolio gehört der sichere Betrieb, die Pflege und Weiterentwicklung der Landes-IT. Aufgrund einer ge-

Das Stadtwerk der Zukunft Interkommunale Netzwerke sind unerlässlich (BS/wim) Im Zuge der allgemeinen Digitalisierung der Gesellschaft müssen die städtischen Dienstleister sich zunehmend auf die neuen Bedürfnisse der Bürger einstellen und Dienste liefern, die auch wirklich genutzt werden, um mittelfristig nicht von der Privatwirtschaft abgelöst zu werden. Das war auf dem Fachkongress Baden-Württemberg 4.0 das Fazit einer Diskussion zur Frage, wie es Kommunen schaffen können, den Bürger mithilfe von kommunalen Plattformlösungen als vertrauensvollen Kunden zu bewahren.

setzlich verankerten Abnahmeverpflichtung kaufen alle Einrichtungen und Dienststellen der unmittelbaren Landesverwaltung ihre IT-Dienstleistungen bei der BITBW ein, die derzeit rund 450 Mitarbeiter beschäftigt. Christian Leinert konnte den Teilnehmern in Stuttgart einige Erfolgszahlen präsentieren. So

Umfängliche Erfahrung bei der IT-Konsolidierung hat auch T-Systems. Nicht nur was die Unterstützung externer Projekte angeht, sondern auch mit Blick auf das eigene Unternehmen, wie Jürgen Breithaupt, Lösungsberater bei T-Systems International, berichtete. So habe man die Zahl der eigenen Rechenzentren in Deutschland in den letzten Jahren von ursprünglich 17 auf drei reduziert. Die technologische Grundlage hierfür liege insbesondere in der IT-Virtualisierung und dem Einsatz von Cloud-Lösungen.

“Die IT folgt nicht notwendigerweise einer fachlich motivierten Zuständigkeit”, so die These von Ansgar Kückes, Public-SectorExperte von Red Hat. Daher sei es wichtig, dass die IT-Governance und Infrastrukturverantwortung beim IT-Dienstleister liege und dieser stabile Angebote in Form von Basisdiensten liefere, die sich an den Anforderungen der Fachverantwortlichen ausrichteten. Kückes machte sich zur Vermeidung einer zu starken Bindung an einzelne Lösungen auch für den Einsatz offener Architekturen und Standards stark.

Gefahr der Oligopolisierung Mit Blick auf die Beschaffungskonsolidierung teilte Michael Seipel, Partner bei Cassini, Kückes Bedenken. Auch erst sieht die Gefahr einer “Oligopolisierung”. Zudem müsse man sich bei der Konsolidierung darüber im Klaren sein, dass es auch weiterhin Behörden geben werde, die sich aufgrund besonderer Anforderungen nicht vollumfänglich konsolidieren ließen. Ganz pragmatisch sah dies BITBW-Präsident Leinert. Man solle das machen, was realistisch. Hierbei ist für ITEOS-Chef Schmitt letztlich auch die Nutzerperspektive von entscheidender Bedeutung.

Das Damoklesschwert der Digitalisierung IT-Sicherheit wird immer komplexer – und Angriffe immer einfacher (BS/wim) Das Gefahrenpotenzial von Cyber-Angriffen ist auf ein bisher ungekanntes Höchstmaß angewach-

Für Tobias Frevel, Geschäftsführer der Energieforen Leipzig GmbH, muss der Staat es mit seinen kommunalen Unternehmen schaffen, effizient vernetzt zum Rundum-Sorglos-Versorger für Bürger und Wirtschaftsunternehmen zu werden: “Der Versorger der Zukunft verbindet für seine Kunden Mehrwert-Services und bündelt zeitgleich seine Produkte, er schafft für den Bürger eine moderne Daseinsvorsorge 4.0 und bietet zudem eine zentrale digitale Kundenschnittstelle”, erklärte Frevel auf dem Fachkongress in Stuttgart. Das wichtigste Stichwort sei dabei das Pooling, denn mithilfe von Kooperationen und Aufgabenzentralisierungen könnten Stadtwerke ihre Stärken gezielt ausbauen und Kräfte vereinen. Die kommunalen Unternehmen sind für den Leipziger nämlich ein riesiger Wirtschaftsfaktor: “Die Stadtwerke genießen beim Bürger ein hohes Vertrauen und eine enge Bindung. Das muss man sich im digitalen Wandel bewahren und es nutzen.”

Der Bürger will Online-Angebote Allerdings werde aktuell ein Flickenteppich mit viel zu vielen Insellösungen gebaut, statt mit vereinter Kraft sinnvolle Plattformen im gemeinsamen Netzwerk aufzubauen. Dass die Kunden die meisten Dienstleistungen am liebsten im Internet wahrnähmen, sei durch die digitale Privatwirtschaft eindrucksvoll belegt. Die Behördenlandschaft müsse hier dringend nachziehen, damit die privaten Unternehmen nicht wichtige Assets wie beispielsweise Strom oder Gas mittelfristig komplett von der Verwaltung übernähmen:

Stefan Walter, stellv. Geschäftsbereichsleiter Custom Development vom IT-Dienstleister msg systems, präsentierte die “Digitale Plattform für Kommunale Services”, kurz DIPKO. Mit der Plattformlösung sollen kommunale Unternehmen ihre Dienstleistungen ab 2019 zentral anbieten können. Foto: BS/Bildschön GmbH, Scheyhing

“Die Kunden wollen Angebote und Dienste online haben, aber bei Behörden sind keine zehn Prozent aller Angebote digital verfügbar. Hier muss man dringend aufpassen, von der Wirtschaft nicht abgelöst zu werden.” Eine Lösung für dieses Problem bietet der IT-Dienstleister msg systems AG mit seiner “Digitalen Plattform für Kommunale Services”, kurz DIPKO. Mit diesem Angebot sollen alle Dienste und Angebote von Stadtwerken zentral auf einer Plattform angeboten werden können, erklärte Stefan Walter, stellvertretender Geschäftsbereichsleiter Custom Development bei msg: “Es profitieren dabei beide Seiten, denn einerseits können unterschiedliche Stadtwerke ihre

Leistungen untereinander ver- sen. Attacken, die vor einigen Jahren noch ein fundiertes Expertenwissen vorausgesetzt haben, sind inzwinetzen und der Bürger kann schen im Darknet kostengünstig als “Cyber Crime as a Service” für jedermann als Dienstleistung einkaufbar über die Plattform alle angebote- und stellen so eine stetig steigende Gefährdung für die Behördenlandschaft dar. nen Dienste vergleichen und Anckerangriffe ein riesiges potengebote auch von Kommunalun- So können gewöhnliche Krimizielles Gefährdungspotential, ternehmen beziehen, die nicht nelle finanziell extrem einträglierklärt Reinhard Tencz aus der in der Heimatkommune ansäs- che Attacken, wie beispielsweise sig sind.” Gleichzeitig bietet das Ransomware- oder DDoS-AnStabsstelle für Digitalisierung Portal laut Walter insofern Da- griffe, einfach online einkauim Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Batensicherheit, als dass die Kun- fen, ohne selbst Fachwissen in den-Württemberg: “Umso mehr dendaten bei den Stadtwerken IT-Fragen zu benötigen. Wegen man die Digitalisierung voranbleiben. Die neue Plattform ist dieser Vereinfachung des Cyberaktuell noch in der Entwicklung Crime-Marktes sprach Moritz treibt, desto mehr macht man befindlich und soll 2019 für alle Huber aus der Stabsstelle für sich auch davon abhängig. So Kommunen verfügbar sein. Der Digitalisierung im Innenminiswird in der Konsequenz auch die Baden-Württemberg Entwicklungsprozess an sich ist terium Sicherheit immer wichtiger und dabei interaktiv gestaltet. Da- auf dem Fachkongress Badendeswegen muss die Verantworzu gibt es vier Kommunen, die Württemberg 4.0 von einer “vieltung für das Thema auch endlich als Testfelder dabei sind und fachen Potenzierung der Bedroin den Chefetagen ankommen.” wichtige Daten beim Aufbau des hungslage” für Unternehmen In der Managementebene müswie Behörden gleichermaßen: Portals liefern. se es dabei eine ganzheitliche Für Reinhard Tencz aus der Stabsstelle für Digitalisierung im MinisBetrachtung der IT geben, in“Wir registrieren inzwischen Alles muss auf den Prüfstand quasi täglich Angriffe auf un- terium für Inneres, Digitalisierung klusive einer sinnvollen IT-Siund Migration Baden-Württemcherheitsstrategie. Zudem müsGleichzeitig müssen die kom- sere Systeme. Bisher waren die berg muss die Verantwortung sen laut Tencz weitere Schritte munalen Unternehmen sich Angreifer dabei zwei Mal erfolgfür IT-Sicherheit weg von den ITzu einem fundierten internen aber auch selbst hinterfragen, reich, sodass Dienste zeitweise Administratoren und stattdessen Know-how bei der IT-Sicherum krisensicher für die digita- ausgefallen sind. Trotzdem sind direkt in den behördlichen Chefheit gemacht werden, damit le Zukunft aufgestellt zu sein, wir bisher mit einem blauen Auetagen platziert werden. die Kriminellen ihren ohnehin erläuterte Axel Drengwitz, Exe- ge davongekommen.” vorhandenen Vorsprung nicht cutive Business Consultant bei Foto: BS/Orth noch weiter ausbauen: “Die ITmsg: “Auch bewährte Prozesse Zusammenarbeit statt Abgrenzung Webinare im Darknet sind oft müssen sinnvoll in die Zukunft übertragen werden. Dabei darf Um den Umgang mit IT-Sicher- soll ein Lagebild erstellt werden, sogar besser als die staatlichen nichts unangetastet bleiben.” heit auf eine neue Stufe zu stel- aus dem dann in der Digitalisie- Angebote. Da kann man so eiBei der Umstellung auf die mo- len und sinnvoll zu gestalten, rungs-Stabsstelle Hilfsangebote niges lernen, zum Beispiel wie dernen Abläufe müsse die Ver- fordert Huber in digitalen Sicher- und Awareness-Kampagnen er- Attacken funktionieren und was waltung allerdings aufpassen, heitsfragen eine Abkehr vom Si- arbeitet werden sollen. man aus Sicht der Verteidigung die Organisationsstrukturen lodenken: “Wir brauchen eine dagegen tun kann.” abseits der digitalen Welt nicht Zusammenarbeit von Verwal- IT-Sicherheit muss auf der Um die stetig wachsenden Chefetage ankommen Sicherheitsanforderungen in nur auf ebenjene digitale Art tung, Wirtschaft und Lehre. Mit und Weise zu betrachten: “Orga- Teamwork können wir viel mehr Zu der erhöhten Bedrohungsla- Zukunft erfüllen zu können, nisationsstrukturen sind nicht gegen diese Bedrohungsszena- ge hinzu kommt noch der Fakt, arbeitet das Land derzeit eine versionierbar, wie das bei Pro- rien erreichen als alleine.” Um dass Technik und Vernetzung Kooperationsvereinbarung mit grammen der Fall ist. Probleme Kooperationen zu fördern, plant heutzutage häufig nicht mehr dem Bundesamt für Sicherund Lösungen erschließen sich das Land im Zuge der Konso- vollständig kontrollierbar, ge- heit in der Informationstechhier stattdessen auf dynami- lidierung seiner IT-Landschaft schweige denn die dazugehöri- nik (BSI) aus. Zusätzlich wird schem Wege.” Daher solle man unter dem Titel “Cybersecurity@ gen Prozesse für den Menschen ein BSI-Verbindungsbüro in diesen Aspekt eher nach dem bw” eine Förderung von insge- komplett verständlich sind. Da Stuttgart eingerichtet, welches Prinzip einer “organisatorischen samt zehn Millionen Euro für gleichzeitig aber fast alles ver- Beratungsleistungen für die BeEvolution” sehen, die sich dyna- Projekte, die sich um das Thema netzt wird, von der Mobilität hörden in Baden-Württemberg misch und organisch entwickle. IT-Sicherheit drehen. Zusätzlich bis hin zum Militär, bieten Ha- anbieten soll.


Behörden Spiegel / Juli 2018

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Informationstechnologie

NExT-Werkstatt Digitale Projekte

n der Werkstatt Digitale Projekte werden die Fragen zur Digitalisierung im “Post-AppZeitalter” gestellt. Ist es noch zeitgemäß, E-Govern­­ment-Services und Fachverfahren als Apps zu entwickeln? Was werden die (BS/Sven Stephen Egyedy) Das Netzwerk der Experten digitale Transformation der Verwaltung ist als eine ressortübergreifende Arbeitseinheit neuen Technologien sein, mit von IT- und Fachkollegen angetreten, experimentell und explorativ Erfahrungen mit dem Aufbau und dem Pilotbetrieb innovativer Digitalisierungsdenen wir in Kommunikation und projekte zu führen. Datenaustausch mit unseren Bürgern und Antragstellern weltweit stehen werden? Wie lange bleibt es sinnvoll, Fachverfahren und Bürgerservices für einzelne “Wir tanken kritische Fragen, vor allem aber Bundesressorts zu entwickeln? An­regungen, die uns aus der Fremdheit dieser ganz Wie lässt sich die Heterogenität und Entwicklungsdynamik der ­anderen Anwendungskontexte wesentlich helfen, weltweit genutzten Plattformen den Lösungsraum der eigenen Innovations­für E-Government-Verfahren bemü­ hungen spielerisch weiter auszuleuchten.” bewältigen? Hier stehen vor allem anderen Messenger-Services im Fokus. Bereits heute sind und Antragsunterlagen über anforderungen des Rechts- und es wenige Messenger-Services, die mit einer extrem übersichtdas Handyfoto in eine initiale Konsularwesens hin ausgerichlichen Nutzeroberfläche weltweit fachliche Vorqualifikation auf tet. Mit dem Arbeitskontext oft mehr als eine Milliarde Nutzer ”Anscheinsbasis” eingesteuert NExT-Werkstatt wurde sicherwerden können. Ergebnis der gestellt, dass die Exploration erreichen. Alles, was Usability Vorqualifikation sind keine Vi- dieser Technologie bereits initial genannt wurde, wird damit neu saentscheidungen, sondern eine als generalisiert nutzbare Techgeschrieben. Die Grundhypothese der NExT- Sven Stephen Egyedy ist Chief Technology Officer (CTO) und stellvertretender begründbare und gleichermaßen nologie begriffen und Lösungen Werk­statt Digitale Projekte ist Leiter der IT-Gruppe des Auswärtigen Amtes. Bei NExT leitet er zudem die zugängliche Priorisierung bei der im Modus der kollaborativen Terminvergabe. daher kurz zusammengefasst: Werkstatt Digitale Projekte. Entwicklung und WiederverwenFoto: BS/AA Wer Digitalisierungsprojekte In einer sogenannten “Fast La- dung sich vor einem erweiterten und E-Government-Services zu Werkstatt? Die NExT-Werkstatt Deutschland zu gewinnen. Vor ne” sollen vollständig vorbereitete Anforderungshintergrund zu beerbringen hat, ist gut beraten, Digitale Projekte arbeitet mit diesem Hintergrund bestehen und qualifizierte Antragsteller währen haben. bereits heute zu evaluieren, ob agilen Methoden. Die Konzep­ vielfältige Angebote, junge und identifiziert und kurzfristig zu Selbstverständlich ist die Verund ggf. in welcher Form auch tion, die Umsetzung und die Sys- gut qualifizierte Menschen als studienermöglichenden Vorspra- gabe von Visa Kerngeschäft des Verwaltungsdienste zukünftig temtests in Sprints zu denken, Studenten für Deutschland zu cheterminen eingeladen werden Auswärtigen Amtes. Kein Teilangeboten werden können. ist sinnvoll, schon lange aber begeistern und ihnen einen wirk- können. Antragsteller sollen ein nehmer der NExT-Werkstatt Leitgedanke war es, lieber 80 nicht mehr wirklich innovativ. samen und erfolgreichen Zugang schnelles Feedback zur Antrags- kann Interesse an einem solProzent umzusetzen als 120 Pro- Neu – zumindest ist dies unsere zum deutschen Hochschulwesen reife erhalten und die Entschei- chen Verfahren haben. Aber die Sicht – ist der explizit ressort- zu ermöglichen. Dies macht es dungsreife ihrer Unterlagen ohne Frage, wie wir die Übermittlung zent zu diskutieren. Vor diesem Hintergrund ent- übergreifend-kooperative Ansatz. in den allermeisten Nicht-Schen- die wiederholte Vorsprache in von Scandokumenten absichern, schied die NExT-Werkstatt Di- NExT-Werkstatt arbeitet direkt, genstaaten erforderlich, ein Vi- der Visastelle herstellen kön- wie die Datenschutzfolgeabschätgitale Projekte, in einem ersten praktisch, im Modus der Umset- sum in der zuständigen Visastelle nen. Das reduziert Last, schafft zung für die dabei übermittelten Projekt kollaborativ die Möglich- zung und gleich von Anfang an unserer Auslandsvertretungen Effizienz und gewährleistet, dass personenbezogenen Daten realikeiten von Plattformtechnologien zusammen mit den Kollegen des zu beantragen. Dies umfasst die Studienanfänger rechtzeitig in siert wird, letztlich wie wir aus der Geolokalisierung und Googlewie Facebook-Messenger, Whats- Bundesamts für Sicherheit in der persönliche Vorsprache sowie der Vorlesung sitzen. Maps auf ein XÖV-konformes App u. a. m. anhand eines Use- Informationstechnologie (BSI), die Vorlage der erforderlichen Cases näher zu untersuchen. zusammen mit den Kollegen der antragsbegründenden Unterla- Kollaborative Entwicklung in Adressformat kommen, sind Frader NExT-Werkstatt gen, die deutlich über den skizEs geht um schnelle Umsetzung Bundesnotarkammer, der Bun- gen und Zeugnisse. Bundesweit weitgehend einheiteines fachlichen und techni- despolizei, dem BAMF und dem Der Einsatz von Messen- zierten Use-Case hinaus weisen BVA. Innova- liche Immatrikulationstermine ger-Technologie ist in seiner und die in diesem Sinne genau schen Proof of Concept (PoC) tionsschritte verursachen an den Visastellen fachlichen und funktionalen das sind, was NExT-Werkstatt in und die Feedwerden reflek- unserer Auslandsvertretungen Spezifikation auf die Nutzungs- seinem Grundanspruch meint: Leitgedanke war es, back-Schleifen tiert vor dem zweimal im Jahr absolute Spitlieber 80 Prozent umzu- Hintergrund zenlasten für die Antragsbearbeiaus den verschiedenen setzen als 120 Prozent zu der eigenen tung von Studentenvisa. Überlast fachlichen An- verursacht Warteschlangen, so mitwirkendiskutieren. forderungen dass eine verzögerte Terminden Ressorts. und zugleich vergabe zur Vorsprache in den Kernpunkte der Evaluatitranszendiert Visastellen immer wieder zu veron: Was ist technisch möglich? auf Bereiche und Anliegen ganz zögerten Einreisen führt und eine Was ist datenschutzrechtlich unterschiedlicher Organisatio- fristgerechte Studienaufnahme zulässig und wie könnte eine nen. Wir tanken kritische Fragen, verhindert. Viele Antragsteller versuchen, sichere Integration in die beste- vor allem aber Anregungen, die henden IT-Infrastrukturen rea- uns aus der Fremdheit dieser diesem individuellen Terminlisiert werden? Proof of Concept ganz anderen Anwendungs- risiko mit einer Strategie der heißt für die NExT-Werkstatt kontexte wesentlich helfen, den “Terminbuchung auf Vorrat” Digitale Projekte vor allem an- Lösungsraum der eigenen Inno- zu entgehen. Termine werden deren: Zulassen, dass erarbei- vationsbemühungen spielerisch reserviert, noch bevor die erfortete Konzepte und praktische weiter auszuleuchten. derlichen Unterlagen vorliegen Ganz praktisch gefragt: Wann oder die Abschlussprüfungen Erprobungen scheitern können. Zulassen, dass mit der Erfahrung beziehen Sie die Kollegen des BSI der Schulen und Sprachkurse aus einem PoC ganz andere als mit ein, um innovative Lösungen überhaupt bestanden sind. Diese zunächst angedachte Use Cases hinsichtlich IT-Sicherheit zu prü- Strategie verursacht eine weitedaraus Nutzen ziehen. Zulassen, fen? NExT-Werkstatt erklärt hier re und deutliche Verknappung dass sich sinnvoll erscheinende Tag eins, Sprint-Review 01 für des Terminangebots. Die “NoIdeen in der praktischen Umset- den sinnvollsten aller möglichen Show-Quote” steigt. Antragstelzung als Kopfgeburten erweisen. Beteiligungstermine. ler erscheinen nicht oder nur Zulassen, kritisch bleiben, weiDies lässt sich am Beispiel des mit unvollständigen Unterlagen Projekts Studentenvisa verdeut- und behindern damit die auf termachen. Die NExT-Werkstatt Digitale lichen. kurzfristige Terminvergabe anProjekte zielt darauf ab, das gewiesenen, vollständig vorbereiFehlermachen so rechtzeitig wie Studentenvisa im Fast-Laneteten Studienanwärter sowie die Modus ohnehin überlasteten Kollegen möglich und so öffentlich wie zulässig zu führen, um unseDeutschland hat ein hohes In- der Visastellen. ren Technologieentscheidungen teresse, qualifizierte Fachkräfte Hier setzt der konzeptionelErfahrung und unseren neuen und junge, an akademischer Aus- le Vorstoß an: Gelingt es, ein Serviceangeboten maximal breite und Weiterbildung interessierte weitgehend automatisiertes Akzeptanz zugrunde zu legen. Menschen aus aller Welt für ein und spontan verständliches Und was schafft nun der be- Studium und eine anschließen- Messenger-basiertes Verfahren sondere Rahmen der NExT- de weiterführende Tätigkeit für zu realisieren, mit dem eine ortsungebundene Vorqualifikation von Antragsunterlagen eingeführt werden kann? Gelingt es, in der Terminvergabe die Zielgruppe zu identifizieren, deren IT als Treiber der Unterlagen den erforderlichen Reifegrad besitzen, um in einer Verwaltungsmodernisierung: Fast Lane schnell und hoch Der Newsletter E-Government, wirksam Visaentscheidungen zu initialisieren? Dieser QuickInformationstechnologie und Check soll an jedem Ort der Welt möglich sein und auf diesem Politik des Behörden Spiegel Weg zusätzlich dazu beitragen, Arbeit von temporär überlasteten Standorten weltweit kollegial Anmeldung: zu verteilen. In einem einfachen und Messenger-basierten Chatwww.behoerdenspiegel.de Verfahren sollen Termin­anfragen newsletter@behoerdenspiegel.de über das Smartphone gestellt

Kollaborative Exploration einer neuen Technologie für das E-Government

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Weil die Welt sich ändert, sind neue Methoden gefragt. Weitere Themen stehen für die NExT-Werkstatt Digitale Projekte auf der Agenda. • Initiiert vom CIO des BAMF befindet sich gerade ein Kollaborationsprojekt zum “Digitalen Posteingang” in Vorbereitung. Hier ist eine gemeinsame Vorgehensweise zu erarbeiten, die den schnellen Austausch zwischen verschiedenen Projekten realisiert. • Mit der Bundesnotarkammer soll an einem Verfahren für die beweiswerterhaltende Langzeitarchivierung gearbeitet werden. Auch hier soll vom Konzept bis hin zur Erprobung einer Lösung im beschriebenen Modus des kollaborativen Expertenaustauschs gearbeitet werden. • Im Kontext der NExT-Werkstatt ist schließlich von BAMF und AA ein höchst interessantes Format erfunden worden: Die “Innovation Days 2018”, die als Cross-Solution-Workshops mit Innovationstreibern, Technologietreibern und Start-ups E-Government und Bürgerservices aus der Zielperspektive Verwaltung 2030 skizziert haben. Kooperation im Kreativen, Umsetzungssynergie im Praktischen. Erfahrungstransparenz in Evaluation und Weiterentwicklung. Verwaltung ist notwendiger Teil einer zu schreibenden Geschichte der Zukunft. Es ist die neue Offenheit, die die Geschwindigkeit schafft: NExT ist darin Voraussetzung und Motor, oder ganz einfach die Option, nur einen Bruchteil der eigentlich erforderlichen Fehler selbst zu machen. Zumindest, wenn es denn gelingt, auch aus den


Informationstechnologie

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Erste Commitments

Besetzung der Themenfelder des OZG-Umsetzungskatalogs durch die Länder

Länder übernehmen Themenfelder der OZG-Umsetzung

(Stand 28.06.2018: Quelle IT-Planungsrat; Entscheidung 2018/22)

(BS/Guido Gehrt) Der IT-Planungsrat hat auf seiner Sommersitzung Ende Juni mit der Verabschiedung des OZG-Umsetzungskatalogs einen zentralen Schritt für die weitere Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) gemacht. Dieser soll als Grundlage für die zukünftige Arbeitsteilung dienen und enthält insgesamt rund 575 Verwaltungsleistungen, die sich auf über 50 Lebens- und Geschäftslagen in 14 Themenfeldern verteilen. Der Sitzung war am Vortag ein intensiver Workshop vorangegangen, bei dem die Länder ihr Interesse für die verschiedenen Themenfelder bekunden konnten. Der OZG-Umsetzungskatalog soll kontinuierlich vom Bundes­ innenministerium (BMI) in Abstimmung mit den Ländern fortentwickelt werden. “Nur wenn die Umsetzung der 575 Digitalisierungsvorhaben arbeitsteilig erfolgt und eine Nachnutzung der erarbeiteten Lösungen kon­ sequent ermöglicht wird, können wir es schaffen”, erklärte der Vorsitzende des IT-Planungsrats, BMI-Staatssekretär Klaus Vitt. Er begrüßte ausdrücklich, dass Länder bereits Themenfelder und Lebens-/Geschäftslagen zur Bearbeitung übernommen bzw. ihr Interesse bekundet haben, wie die nebenstehende Übersicht zeigt. Diese mache allerdings auch deutlich, dass in einigen Themenfeldern und bei einigen Ländern noch durchaus “Luft nach oben” sei. Dennoch ist der IT-Planungsrat davon überzeugt, dass die Umsetzung nur arbeitsteilig erfolgen kann. Als Ausgangspunkt wurden im Rahmen der Sitzung die Eckpunkte zu den zu erwartenden Ergebnissen der Konzeptphase sowie zu den Prinzipien der Nachnutzung beschlossen. Sie sollen als Arbeitsgrundlage für die übernommenen Themenfelder dienen. Die kommunalen Spitzenverbände haben Interesse bekundet, jeweils eine Leistung zu übernehmen und werden diese nachmelden. Die endgülti-

ge Aufgabenteilung soll durch ein Rahmenkonzept bereits im Herbst festgelegt werden. Die nächste Sitzung findet am 25. Oktober in Berlin statt. Für die einzelnen Themenfelder sollen Digitallabore angeboten und die Ansprechpartner in den jeweiligen Bundesressorts benannt werden. Der IT-Planungsrat hat in seiner Entscheidung nochmals betont, dass die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen nutzerorientiert erfolgen muss. “Der Erfolg der OZG-Umsetzung misst sich vorrangig an einer deutlich gesteigerten Nutzung digitaler Angebote”, heißt es dort. Um bei der Umsetzung des OZG die erforderliche Transparenz über alle föderalen Ebenen sicherzustellen, wurde der Aufbaustab FITKO (Föderale IT-Kooperation) vom IT-Planungsrat mit der übergeordneten Koordinierung beauftragt. Für die erfolgreiche Umsetzung des OZG sind der Portalverbund und das Single Digital Gateway (SDG) auf europäischer Ebene von zentraler Bedeutung. “Was wir in Deutschland mit der Umsetzung des OZG erreichen wollen, wird für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen im europäischen Binnenmarkt mit dem Single Digital Gateway (SDG) umgesetzt – einem zentralen Zugangstor, das ähnlich wie

der Portalverbund direkt auf die Onlineangebote der nationalen Portale verlinkt”, erläuterte Vitt. “SDG und OZG gehen somit Hand in Hand und erfordern von uns eine grenzüberschreitende Digitalisierung der Verwaltung.” In den Verhandlungen mit der Europäischen Union hat sich der Bund deswegen erfolgreich für eine fünfjährige Umsetzungsfrist im Einklang mit dem OZG eingesetzt.

FIM als Basis Das Föderale Informationsmanagement (FIM) und seine Methodik liefern mit den drei Bausteinen “Leistungen”, “Datenfelder” und “Prozesse” hierfür fachübergreifend standardisierte, nachnutzbare und anpassbare Elemente für Verwaltungsleistungen. Der FIM-Baukasten liefert den Behörden die notwendigen Grundlagen, um digitale Antrags-, Genehmigungs- und Anzeigeanwendungen einfach und rechtssicher zur Verfügung stellen zu können. Alle relevanten Informationen liegen vor und müssen nicht mehr durch jede Behörde einzeln erhoben werden.

DCAT-AP.de Ein zweiter Standardisierungsbeschluss des IT-Planungsrats beschäftigte sich mit der Metadatenstruktur offener Verwaltungsdaten. Durch den neuen

Behörden Spiegel / Juli 2018

Metadatenstandard DCAT-AP. de als konforme Ableitung des europäischen Standards soll der Austausch zwischen den Datenportalen in Deutschland und Europa erheblich vereinfacht werden. DCAT-AP.de soll einen reibungslosen Datenaustausch von der kommunalen Ebene über die der Bundesländer, Fachportale und die Bundesebene bis hin zum Europäischen Datenportal ermöglichen. Durch den neuen Standard sollen offe­n e Daten zukünftig nicht nur besser austauschbar sein, sondern auch die Sichtbarkeit, Auffindbarkeit und Nutzbarkeit der Daten verbessert werden.

IT-Sicherheits-Kooperation In der Sitzung haben sich Bund und Länder auch zum Thema ITSicherheit verständigt. Hierbei stehen vor allem die ebenenübergreifende Zusammenarbeit bei der Umsetzung des BSI-ITGrundschutzes und die Meldeund Informationspflichten bei Cyber-Angriffen innerhalb des bestehenden IT-Sicherheits-Verbundes von Bund und Ländern im Fokus. Systeme, mit deren Hilfe automatisiert Erkenntnisse über die Cyber-Sicherheitslage gewonnen werden können, sollen perspektivisch eine wirksame Ergänzung der bestehenden Schutz- und Abwehrmaßnahmen bilden.

1. Unternehmungsführung und -entwicklung HAMBURG (Federführung) BREMEN (Mitarbeit) 2. Nordrhein-Westfalen (Interesse) HESSEN (Interesse an den Geschäftslagen “Arbeitsschutz” und “Statistik und Berichtspflichten”) 3. Steuern und Zoll THÜRINGEN (Federführung der Lebenslage Steuern) HAMBURG (Interesse an Geschäftslage “Auslandsgeschäft”) 4. Umwelt SCHLESWIG-HOLSTEIN (Federführung) RHEINLAND-PFALZ (Co-Federführung) HESSEN (Interesse an der Geschäftslage “Anlagen und Stoffe”) 5. Forschung und Förderung RHEINLAND-PFALZ (Interesse) BAYERN (Interesse) 6. Bildung SACHSEN-ANHALT (Federführung) 7. Arbeit und Ruhestand HESSEN (Interesse an der Lebenslage “Arbeitsplatzverlust”) 8. Mobilität N.N. 9. Bauen und Wohnen MECKLENBURG-VORPOMMERN (Federführung) BAYERN (Interesse) BADEN-WÜRTTEMBERG (Interesse) 10. Engagement und Hobbies N.N. 11. Recht und Ordnung SACHSEN (Federführung) 12. Ein- und Auswanderung BRANDENBURG (Federführung) 13. Gesundheit NIEDERSACHSEN (Federführung für die Lebenslagen “Gesundheitsvorsorge” und “Krankheit”) 14. Familie und Kind BREMEN (Federführung) SAARLAND (Mitarbeit) 15. Querschnitt BERLIN (Federführung) BRANDENBURG (Mitarbeit) HAMBURG (Mitarbeit) THÜRINGEN (Interesse)

Digitale Mündigkeit NEGZ präsentiert Untersuchung BS/gg) Eine vom Nationalen E-Government Kompetenzzentrum (NEGZ) geförderte wissenschaftliche Untersuchung zu den Fähigkeiten zum konstruktiven und souveränen Umgang in digitalen Räumen zeigt, dass es um die digitale Mündigkeit in Deutschland gar nicht so schlecht bestellt ist wie oftmals angenommen. Ein konstruktiver Umgang mit anderen Bürgern zeigt sich verstärkt bei weiblichen Befragten und solchen mit höherer Bildung sowie in mittleren Einkommensgruppen. “Die digitale Mündigkeit umfasst nicht nur technische Fähigkeiten, sie schließt auch die Fähigkeit zum kon­ struktiven Umgang mit anderen Nutzern digitaler Räume ein. Die deutschen Internetnutzer erweisen sich als sozial kompetent, aber es mangelt ihnen an technischem Know-how, auch was den Schutz ihrer Privatsphäre im Netz betrifft”, so Prof. Dr. Christian P. Hoffmann von der Universität Leipzig. Die digitale Mündigkeit zeigt eine unterschiedliche Verteilung in der Gesellschaft. Niedrig ist sie bei der Gruppe der ältesten Befragten, die gleichzeitig über ein höheres Bildungsniveau verfügen. Die Gruppe mit mittleren Werten ist durch eine überdurchschnittliche Anzahl weiblicher Befragter sowie einen höheren Anteil von Bürgern mit einem niedrigeren Bildungsgrad gekennzeichnet. Hohe digitale Mündigkeit zeigen verstärkt männliche Befragte mit hohem Bildungsniveau.

Fünf Dimensionen digitaler Mündigkeit Die Untersuchung charakterisiert digitale Mündigkeit in fünf Dimensionen: • “Technical Literacy” beschreibt technische Nutzungskompetenzen. • “Privacy Literacy” umfasst die Befähigung zum Schutz der eigenen Privatsphäre im Internet.

• “Information Literacy” bezeichnet Kompetenzen zur kritischen Beurteilung und Bewertung von im Internet angebotenen Informationen und Inhalten. • “Social Literacy” kann als Sozialkompetenz, angewandt auf Interaktionen in digitalen Räumen, zusammengefasst werden. • “Civic Literacy” umfasst als bürgerliche Kompetenz Fähigkeiten zum Einsatz digitaler Medien für kollektive Zwecke. Auf Basis dieser Zuordnungen macht die Studie deutlich, dass unter den aktiven Internetnutzern die Social Literacy besonders ausgeprägt ist, gefolgt von der Information Literacy, der Privacy Literacy und der Technical Literacy. Am schwächsten schnitt die Civic Literacy ab. Die gefundenen Erkenntnisse legen nahe, welche Schwierigkeiten die Nutzer mit der Bedienung der notwendigen Instrumente und Devices für den Zugang in digitale Räume und die Nutzung von dort gefundenen Angeboten haben. Die Fähigkeiten zum Schutz der Privatsphäre sind mittelmäßig ausgeprägt. Stärken weisen die Nutzer bei der Suche und dem Umgang mit Informationen im Netz auf. Auch der konstruktive Umgang mit anderen Bürgern im Netz stellt in der Regel keine große Heraus­ forderung dar. Dennoch wird das Internet eher selten für die Verfolgung kollektiver Interessen eingesetzt. Der Abschlussbericht der Untersuchung steht unter negz.org zur Verfügung.


Informationstechnologie

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Rechtsrahmen für digitale Verwaltung

Gemeinsame Strategie

Landesregierung Niedersachsens legt Gesetzentwurf vor

Der nächste Schritt zur “digitalen Revolution”

(BS/wim) In Niedersachsen werden von der Landesregierung aktuell die Weichen gestellt, damit einerseits Bürger, Unternehmen und Verbände ihre Verwaltungsdienstleistungen zukünftig auf digitalem Wege abwickeln können, aber auch die Verwaltung innerhalb in der Lage sein wird, die Vorgänge digital abzuwickeln. Um hierfür einen verbindlichen Rahmen zu schaffen, hat das Innenministerium in Hannover Anfang Juli ein Gesetz über digitale Verwaltung und Informationssicherheit (NDIG) vorgelegt.

(BS/gg) Das Kommunale Rechenzentrum Minden-Ravensberg/Lippe (krz) hat innerhalb von sechs Monaten mit seinen Verbandskommunen eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie mit mehr als 170 Handlungsempfehlungen für einzelne Kommunen, das krz und den Zweckverband erarbeitet.

Innenminister Boris Pistorius wies darauf hin, dass große Teile des Lebens, der Arbeitswelt und der Kommunikation digitalisiert würden. Es sei daher wichtig, dass die Verwaltungen Schritt hielten. Die niedersächsischen Behörden sollen durch die Möglichkeiten der Digitalisierung den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern einfacher, schneller und in jeder Hinsicht barrierefreier gestalten. Diesen Anspruch hätten die Menschen in Niedersachsen an die Verwaltungen, und das wolle die Landesregierung durch die konkreten Vorgaben des NDIG sukzessive umsetzen. Das neue Gesetz soll die Behörden und zu großen Teilen auch die Kommunen des Landes zur Einführung der digitalen Verwaltung verpflichten. Es berücksichtigt dabei die Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes (OZG) des Bundes und regelt dessen systematische Umsetzung in Niedersachsen. Das NDIG trifft hierüber hinaus weitere Regelungen. So verpflichtet es nicht nur zu Online-Services, sondern auch zur IT-Unterstützung in den verwaltungsinternen Prozessen. Insbesondere leitet das NDIG aber auch den sukzessiven Wechsel von der papierbezogenen zur elektronischen Aktenführung

zahl der mobilen Endgeräte werde in den kommenDer niedersächsische Innenminister Boris Pistorius den Jahren weiter will die Verwaltung digital stark zunehmen, aufstellen und so interne so Pistorius. Und wie auch externe Prozesse weil das “Internet effizienter machen. der Dinge” den Alltag nachhaltig Foto: BS/Innenministerium Niedersachsen und stark verändern werde, würden die Anfordein niedersächsischen Behörden rungen an die Cyber-Sicherheit nicht nur für Private und Unein. Das NDIG definiert auch Re- ternehmen, sondern im selben gelungen zur Informationssi- Maße auch an die Verwaltungen cherheit in der Verwaltung. Es immer größer und komplexer. verpflichtet diese insbesonde- Diese Herausforderungen nehme re dazu, geeignete Gegenmaß- die Landesregierung sehr ernst nahmen für mögliche Gefähr- und arbeite deshalb weiter intendungslagen vorzuhalten und siv daran, das Landesnetz immer diese entsprechend der weiteren besser gegen die sich ständig technologischen Entwicklungen verändernden Bedrohungen aus weiter anzupassen. So regelt dem Cyber-Raum zu schützen, das Gesetz beispielsweise, dass sagte der Innenminister. ein Gefahrenabwehrsystem im Für die im NDIG vorgegebene Landesnetz eingesetzt werden Digitalisierung der Verwaltung muss, welches zu jedem Zeit- sind entsprechende Mittel im punkt aktuell zu sein hat. Ver- niedersächsischen Sondervergleichbare Regelungen finden mögen zur Digitalisierung einsich laut der niedersächsischen geplant. Die Landesregierung Landesregierung in den meisten hat die Verbandsbeteiligung des E-Government-Gesetzen der an- Gesetzentwurfs freigegeben. Die deren Bundesländer noch nicht. Verbandsbeteiligung gibt insbeNiedersachsen nehme hier be- sondere den Kommunen die Mögwusst eine Vorreiterrolle inner- lichkeit, das Gesetzesvorhaben halb der Länder ein. Die An- mitzugestalten.

Digitales Start-up des Jahres Bochumer IT-Sicherheitslösung auf der CEBIT gekürt (BS/wim) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat auf der CEBIT vier herausragende Jungunternehmen mit dem Preis “Digitales Start-up des Jahres” ausgezeichnet. Thomas Jarzombek, Koordinator der Bundesregierung für Luftund Raumfahrt, führte die Ehrung während des Kongresses “Start-up Talk: Digital Innovations” durch, der im Rahmen der CEBIT in Hannover stattfand. Zur Weiterentwicklung ihrer Unternehmen werden insgesamt 100.000 Euro an Preisgeldern an die Gründer ausgeschüttet. So erhält der Sieger 50.000 Euro, der Zweitplatzierte bekommt 30.000 Euro und je 10.000 Euro wurden an den doppelt vergebenen dritten Platz vergeben. Den Premierensieg sicherte sich das Start-up PHYSEC aus Bochum. Mit der Plattform IoTree entwickelt das Unternehmen eine wegweisende IT-Sicherheitslösung für das Internet der Dinge. Sie liefert ein einfaches Tool zur sicheren Verschlüsselung der Kommunikation zwischen zwei vernetzten Geräten, deren Grundlage Informationen des gemeinsamen Umfelds beider Geräte darstellen, wie etwa die physikalischen Eigenschaften von Räumen und benachbarten Gegenständen. Für mögliche externe Angreifer ist die Verschlüsselung im Nachhinein nicht rekonstruierbar. Platz zwei sicherte sich das Darmstädter Start-up COMPREDICT mit einer Lösung, die es Automobilherstellern und

hervor, sich dem Risiko der Kritik zu stellen. “Das zeigt, dass das krz die Zeichen der Zeit erkannt hat”, meinte Kruse. Den einzelnen Verwaltungen geben sie zwischen elf und 20 Maßnahmen auf den Weg, das krz selbst erhält 18 Hausaufgaben.

Nicht zum “Nulltarif” zu haben Kruse und Hogrebe unterstrichen, dass es E-Government nicht zum “Nulltarif” gebe, weder beim Personal noch bei den Finanzen. Daher würden auch den 31 Verbandsmitgliedern, die nicht zu den Referenzkommunen zählten, Empfehlungen zur Personalausstattung und Finanzen mit auf den Weg gegeben. Ebenso sei die Prozessoptimierung in allen Mitgliedskommunen ein wichtiges Thema und soll mit besonderem Engagement, ggf. im Rahmen eines strukturierten Projektes, vom krz angegangen werden. Durch die Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen kreisangehörigen Städten und Gemeinden und “ihrem” Kreis ergeben sich nach Ansicht der Experten zudem weitere E-Government-relevante Handlungsfelder im Sinne eines gemeinsam zu verabredenden “digitalen Prozederes der Zukunft”. In dem Abschlussbericht werden die E-Government-Handlungsfelder deutlich hervorgehoben, die in den nächsten Jahren zur digitalen Umsetzung anstehen. So sind alle Mitgliedskommunen verpflichtet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, um gemäß der Vorgabe des Onlinezugangsgesetzes (OZG) spätestens 2022 ihre Verwaltungsverfahren elektronisch anzubieten.

Beste Voraussetzungen “Das krz hat auf der Basis seiner erfolgreichen, richtungwei-

senden Arbeit und bundesweiten Verzahnung beste Voraussetzungen sowie auf Basis dieses Projektes die besondere Chance, die zukünftigen Aufgaben und Potenziale des digitalen Zeitalters für seine Verbandsmitglieder (mit) zu gestalten”, so das Fazit des Berichts. Der Verbund in einer starken Gemeinschaft sei ein wesentlicher Pluspunkt, der den krz-Mitgliedern deutliche Vorteile gegenüber anderen Kommunen verschaffe, die eigenständig die digitalen Herausforderungen stemmen müssten.

Referenzkommunen legen Daten offen Die Referenzkommunen, die stellvertretend für die übrigen Städte und Gemeinden untersucht wurden, haben dazu ihre Daten, Sachstände, Planungen wie auch vorhandene Stärken, Einschätzungen, Defizite etc. allen Mitgliedern der E-Government AG zur Verfügung gestellt. Zudem enthält der Bericht Arbeitshilfen, die es interessierten Verbandskommunen ermöglichen, die Bestandsaufnahmen aus den acht untersuchten Verwaltungen in der eigenen Organisation nachzuvollziehen.

Umsetzung bis 2020 So will man beim krz die Grundlage für eine gemeinsame EGovernment-Strategie für seine Verbandsmitglieder schaffen. Die Maßnahmen sollen unter dem Ziel der “digitalen Revolution” bis 2020 in allen Verbandskommunen umgesetzt werden, um das Vertrauen in die Aktualität und Verlässlichkeit der Verwaltungen zu erhalten. “Das schaffen wir nur mit interkommunaler Zusammenarbeit, indem wir die digitale Zukunft auf Augenhöhe gemeinsam gestalten. Es ist Zeit, die PS auf die Straße zu bringen”, erklärte Hoppmann.

MELDUNG

Dänemark ist Partnerland der Smart Country Convention

Die Preisverleihung für das “Digitale Start-up des Jahres” fand im Rahmen der CEBIT am Stand des Bundeswirtschaftsministeriums statt. Tags zuvor hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dem Stand seines Ministeriums bereits einen Kurzbesuch abgestattet. Foto: BS/Deutsche Messe

-zulieferern ermöglicht, mit der rein softwarebasierten COMPREDICT Suite akkurat Lasten und Nutzungsprofile von Fahrzeugkomponenten ohne zusätzliche Hardwarekosten zu erfassen. Den dritten Platz teilten sich schließlich die Unternehmen envelio aus Köln und RIPS aus Bochum. Die Rheinländer leisten eigenen Angaben zufolge mit der Intelligent Grid Platform (IGP) einen Beitrag zum kosteneffizienten Gelingen der Energiewende. Die Plattform nutzt mathematische Optimierungs- und Analyseverfahren auf Basis von Künstlicher Intelligenz. Das Bo-

chumer Unternehmen will mit seiner Software tief verborgene Sicherheitslücken im Programmcode von Webanwendungen mithilfe eines innovativen Analysealgorithmus vollautomatisch in wenigen Minuten aufdecken. Nach der Analyse hilft RIPS Entwicklern und Sicherheitsberatern mit detaillierten Instruktionen dabei, die gefundenen Schwachstellen kosten- und zeitsparend zu beseitigen. Der neue Preis löst die bisher jährlich geehrte “IKT-Gründung des Jahres” ab und soll jeweils in demselben Zeitrahmen vergeben werden.

MELDUNG

Interamt Kompakt gestartet (BS/gg) Seit Anfang Juni hat Stellenportal Interamt ein neues Produkt auf den Behördenmarkt. “Interamt Kompakt” soll gezielt Kommunen und öffentliche Verwaltungen ansprechen, die mit einem geringeren Einsatz an Ressourcen viele Bewerber erreichen wollen. Behörden sollen damit zeitunabhängig, eigen-

Professionell begleitet vom Institut für Verwaltungsmanagement, Mittelstandsforschung und Zukunftsplanung (IVM²) wurde in acht Modellkommunen der digitale Ist-Zustand ermittelt. Das Institut, das in den Akteuren Wilfried Kruse und Prof. Dr. Frank Hogrebe jahrzehntelange Verwaltungserfahrung mit wissenschaftlicher Analyse vereint und bereits für andere Kommunen ähnliche Konzepte entwickelte, hat aufbauend auf dieser Erfassung und Bewertung individuelle Empfehlungen für die Kommunen und eine konkrete E-Government-Strategie für den Zweckverband entwickelt. Um die Umsetzung u. a. der EGov-Gesetze (Bund und Länder) sowie des Onlinezugangsgesetzes (OZG) und die passende Entwicklung der Digitalisierungsstrategie in den Verbandskommunen optimal zu koordinieren, hat der Lemgoer IT-Dienstleister die Arbeitsgruppe E-Government gegründet. Lars Hoppmann, stellvertretender Geschäftsführer des krz, betont: “Die Digitalisierung der Kommunen ist vorrangig ein Thema für die gesamte Verwaltungsorganisation und kann nicht nur aus Sicht der IT betrachtet werden. Sie betrifft jeden in der Verwaltung, vom Bürgermeister bis zum Hausmeister. Eine übergreifende Steuerung der Aktivitäten ist daher von großem Vorteil.” Um ihre Arbeit auf eine solide Basis zu stellen, hatte die AG im Winter beschlossen, die Ausgangslage im Zweckverband aufzunehmen und zu analysieren. Ende Juni stellten Kruse und Hogrebe der E-Government AG nun ihre Ergebnisse vor, die in insgesamt 177 Handlungsempfehlungen resultierten. Dabei hoben sie das Engagement des krz und der Modellkommunen

ständig und auf direktem Wege ihre Stellenangebote erstellen, veröffentlichen und verwalten können. Über Interamt Kompakt lassen sich zudem Social-Media-Kanäle wie zum Beispiel Facebook und Twitter sowie die eigene Homepage mit wenigen Klicks einbinden.

Ausgewählte Medienpartner erhalten die Stellenanzeigen automatisch. Außerdem erscheint die Anzeige zusätzlich in einer App. Interamt kompakt löst Interamt Basic ab. Bei Interamt Professional, einer Lösung mit integriertem Bewerbermanagement, gibt es keine Veränderungen. Hier bleibt alles wie bisher.

(BS/gg) Bei der Digitalisierung ist Dänemark in vielen Bereichen spitze. So führt der Digitalindex der Europäischen Union das Land auf Rang 1 aller 28 EU-Länder. Auch beim E-Government liegt Dänemark im OECD-Ranking vorne. Bei der Smart Country Convention 2018 präsentieren

sich die Skandinavier nun als offizielles Partnerland. Vom 20. bis 22. November 2018 wird Dänemark im CityCube Berlin innovative digitale Anwendungen für Verwaltungen, öffentliche Unternehmen und die Digitalisierung von Städten, Gemeinden und Landkreisen zeigen. Der

dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen wird zudem die Smart Country Convention eröffnen. Dies teilten der Bitkom und die Messe Berlin als gemeinsame Ausrichter des Events mit. Weitere Informationen unter www.smartcountry.berlin


Informationstechnologie

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Think digital Auswirkungen der Verwaltungsdigitalisierung auf Führung

Initiative D21 präsentiert die Zahl des Monats

Was uns der Erfolg ... ... digitaler Dienstleistungen lehrt (BS/Roland Dathe*) Für viele Menschen im Land beginnt nun die Urlaubs- und Ferienzeit und damit endlich wieder die Gelegenheit zum Reisen. Also auf zum nächsten Flughafen, Bahnhof oder sogar Bus und hin zum Hotel der Wahl. Wer Reisen bucht, greift dabei immer öfter auf Online-Angebote zurück und übernimmt zumindest Teile der Buchung selbst. Für immer mehr Menschen gehört es der Vergangenheit an, alles von einem Reisebüro erledigen zu lassen, sondern man schaut gerne selbst einmal nach passenden Flügen oder liest sich Bewertungen von Unterkünften durch und bucht sie gleich selbst. 64 Prozent der 30 bis 49-Jährigen nahmen derlei Online-Dienstleistungen bereits in Anspruch, mehr als jeder Vierte organisierte sich auch schon Privatunterkünfte über das Internet. Die Studie “D21-Digital-Index 2017 / 2018” untersuchte das digitale Nutzungsverhalten der Bürgerinnen und Bürger und dabei auch, welche Dienstleistungen sie in Anspruch nehmen. Es zeigt sich: Allein 2017 nutzen deutlich mehr Menschen digitale Dienstleistungen als noch im Vorjahr. Die Gründe liegen unter anderem in der zunehmenden Verbreitung des Smartphones und den leichteren Zugängen durch die steigende Zahl von Buchungs-Apps. Unterschiede zeigen sich in der Art der genutzten Dienstleistungen: Während die über 30-Jährigen vor allem Reisen und Unterkünfte für sich bu-

71%

... nahmen

im letzten Jahr Online-Dienstleistungen in Anspruch. Leichtere Zugänglichkeit sorgt für deutlichen Anstieg. chen, sind bei den Jüngeren Lieferdienste am beliebtesten, etwa zum Bestellen von Essen oder anderen Produkten. Auch zeigen sie sich offener gegenüber der Nutzung von Fahrdiensten oder Carsharing-Angeboten. Die Erhebungen der Studie ergaben zudem, dass sich gerade Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss überdurchschnittlich offen gegenüber den digitalen Angeboten zeigen. Die Entwicklung zeigt einen dauerhaften Trend: Die Berührungsängste gegenüber der Nutzung digitaler Dienstleistungen nimmt weiterhin ab – gerade die älteren Generationen holen hier stark auf und entdecken die Möglichkeiten zunehmend für sich. Für viele Menschen ist es ganz selbstverständlich geworden, derlei Dienste überwiegend oder ergänzend zu nutzen. Gerade der leichte und unkomplizierte

Zugang stellt sich als ein Schlüssel des Erfolgs dar. Hier liegen auch das Potenzial und die Möglichkeiten einer umfassenderen digitalen Verwaltung. Denn warum sollten die Menschen nicht beim E-Government vergleichbaren Komfort erwarten, den sie auch aus ihrem privaten Umfeld kennen und gerne nutzen? Der “eGovernment MONITOR 2017” zeigte die geringe Zufriedenheit der Bevölkerung mit den entsprechenden Verwaltungsangeboten. Effizientere, bürgerfreundlichere und leichter bedienbare Angebote wären eine merkliche Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und könnten auf allen Seiten viel Aufwand und Zeit sparen. Dann bliebe auch mehr Luft für die Buchung des nächsten Urlaubs. *Roland Dathe ist Pressereferent bei der Initiative D21.

Digitale Knotenpunkte für Schleswig-Holstein Umfangreiches Digitalisierungsprogramm beschlossen

(BS/Joey-David Ovey) Durch die Digitalisierung werden Verwaltungsprozesse innerhalb der Behörden, aber auch zwischen Behörden und Unternehmen bzw. Bürgerinnen und Bürgern auf den Prüfstand gestellt und einem Wandel unterzogen. Die Arbeit der Verwaltung verändert sich schnell und grundlegend. Politisch wird die digitale Transformation mit diversen Gesetzen, Fördergeldern und Projekten gefordert und gefördert. Doch die Digitalisierung bedeutet nicht nur einen technologischen, sondern auch einen mentalen Wandel, der für die erfolgreiche Transformation der Verwaltung unabdingbar ist. Dieser notwendige mentale Wandel betrifft Führungskräfte in besonderem Maße. Es stellt sich die Frage, welche Kompetenzen notwendig sind, um im digitalen Zeitalter die Führungsaufgabe optimal wahrzunehmen. Forschungsarbeiten zum Thema Führung im digitalen Zeitalter kommen zum Schluss, dass Führungskräfte offen, vertrauensvoll und partizipativ sein sollten. Zudem sollten sie agil und gut vernetzt sein und eine Affinität zu digitalen Medien haben. Ein paar Beispiele verdeutlichen die Herausforderungen, diese Ansprüche in die Praxis umzusetzen:

Führung auf Distanz Die Digitalisierung ermöglicht eine Entgrenzung von Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsinhalten. Bereits jetzt werden Telearbeit und mobiles Arbeiten immer mehr in Anspruch genommen; die Verwaltung wirbt mit diesen Rahmenbedingungen als attraktiver Arbeitgeber. Auch die Arbeit in Teams über mehrere Standorte hinweg nimmt zu. Wie kann vor diesem Hintergrund die Führung auf Distanz gelingen? Ist es notwendig, sich von der Präsenskultur zu verabschieden und stärker über Ergebnisse zu führen?

Kollaboration Die digitale Arbeitswelt kennt Tools, die die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen Behörden fördern sollen. Diese setzen jedoch transparentes Handeln und das Teilen von Wissen, auch jenseits des Dienstwegs, voraus. Führt diese Entwicklung zu einem Kontrollverlust der Führungskräfte in der Verwaltung und wie kann diesem sinnvoll entgegengewirkt werden?

Fehlerkultur In Diskussionen rund um die

(BS/har) Digitalisierung soll in Schleswig-Holstein zu dem Querschnittsthema werden, welches die wich- Digitalisierung fallen häufig tigsten gesellschaftlichen Bereiche anhand konkreter Maßnahmen und Pilotprojekte voranbringen soll. Die Begriffe wie “Fehlerkultur” und geplanten Vorhaben sollen es zu einem Vorzeigeland der Digitalisierung machen, so die Landesregierung. In “Trial and Error”. Gemeint ist der schleswig-holsteinischen Landesvertretung in Berlin wurde kürzlich ein umfangreiches Programm durch das Digitalisierungskabinett vorgestellt. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) möchte die Digitalisierung in den nächsten Jahren ambitioniert vorantreiben: “Wir wollen das Land werden, in dem die Menschen beruflich wie privat so gut wie nirgendwo anders die Vorteile der Digitalisierung nutzen können.” Zugleich sprach er aber auch diejenigen Gruppierungen an, die sich vor dem digitalen Wandel und seinen Auswirkungen auf das alltägliche Leben sorgten. Günther betonte, dass er alle schleswig-holsteinischen Bürger mitnehmen wolle, um sie vom Vorhaben der Digitalisierung zu überzeugen. Für das Land und insbesondere dessen ländlichen Raum sei das eine “Jahrhundertchance”, die nicht verpasst werden dürfe. Der schleswig-holsteinische Digitalisierungsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) unterstrich, dass die Regierung einen “verlässlichen Rahmen für alle schaffen wolle” und dass Innovationsfreudigkeit als wirtschaftlicher Treiber durch die Digitalisierung erst möglich sei.

Moderne Netze für wirtschaftliches Wachstum Damit dieses Vorhaben gelingen kann, setzt die Landesregierung auf den Ausbau ihrer Netze. Flächendeckende Glasfaserkabel und moderne Mobilnetze in 5G-Technologie – vor allem in den ländlichen Räumen:

Die Dateninfrastruktur soll in den nächsten Jahren mit modernster Technologie wachsen. Ministerpräsident Günther sieht Schleswig-Holstein beim Glasfasernetz mit einer Ausbauquote von 35 Prozent der Haushalte im Ländervergleich weit vorne. Ein Konglomerat an Programmpunkten ist bei der Sitzung des Digitalisierungskabinetts beschlossen worden. Allen Projekten sei das hohe Datenschutzniveau gemeinsam, so Habeck, welches – den Unkenrufen zum Trotz – kein Ausschlusskriterium für erfolgreiches Wirtschaften sei.

Digitalisierungskompetenz als gesellschaftlicher Motor Neben dem Ausbau der Netze steht die Verbesserung der Digitalisierungskompetenz der schleswig-holsteinischen Bürgerschaft weit oben auf der Agenda. An sogenannten Digitalisierungsknotenpunkten können Bürger Fachleute zu neuen Trends und dem Umgang mit smarten Technologien um Rat fragen oder Geräte- und Softwaretipps einholen. Die Landesbibliothek soll hier Dreh- und Angelpunkt sein, es wird aber auch Pilotprojekte in Meldorf, Lauenburg und Oldenburg zu den Knotenpunkten geben. Die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für die Digitalisierung soll in diesem Zusammenhang eine herausgehobene Bedeutung erfahren. Auch in den Bereichen Jus-

tiz und Innere Sicherheit sind Maßnahmen angedacht. Schon seit Herbst vergangenen Jahres wurde der elektronische Rechtsverkehr in Schleswig-Holstein eingeführt. Für die vollständige Umsetzung der elektronischen Aktenführung ist das Jahr 2026 als Planziel definiert worden. Spezielle elektronische Postfächer sollen einen sicheren Dokumentenaustausch gewährleisten. Darüber hinaus werden im selben Zeitraum alle Sitzungssäle der schleswig-holsteinischen Gerichte für das digitale Zeitalter mit Mobiliar, Bildschirmen und Verkabelung aufgerüstet, um sie so für die Justiz 4.0 fit zu machen.

Digitale Spuren besser auswerten Das Landeskriminalamt wird mit einem “Kompetenzzentrum digitale Spuren” bereichert, um die Ermittlungen im Netz für die Polizei zu perfektionieren. Digitale Spuren wie Funksignale und digital aufgezeichnete Spuren stellen das moderne Äquivalent zu Fingerabdrücken und DNASpuren dar. Ob Alltagskriminalität, Tötungsdelikte, Verkehrsunfälle oder Cyber-Kriminalität – das Kompetenzzentrum soll digitale Spuren anhand von Datenanalysen zur Aufklärungsarbeit begangener Straftaten durch Experten beitragen, die für ihre detektivische Tätigkeit im Netz für alle Teile des Landes ausgebildet werden sollen.

her in der “Beidhändigkeit” oder “Ambidextrie”, der Verbindung von Dr. Joey-David Ovey ist Organisationsberater, Moderator Tagesgeschäft und Coach mit den Schwermit Innovation, punkten öffentlicher Sektor, von Linien- und Non-Profit-Organisationen Projektarbeit. Wie und Gesundheitswesen. kann eine solche “beidhändige Foto: BS/privat Führung” in der Verwaltung auseine bessere Fehlertoleranz in sehen? Was sind die Erfolgsfaklernenden Organisationen, die es toren dafür? ermöglicht, unter Unsicherheit Entscheidungen zu treffen. Was Bürogestaltung bedeuten die Schlagwörter für Der digitale Arbeitsplatz soll die Rolle von Hierarchie in der Kreativität fördern und InnovatiVerwaltung und für die häufige on ermöglichen. Die ArbeitswelBeobachtung, dass Entscheidun- ten der Zukunft sehen gänzlich gen nach oben verlagert werden? anders aus als die Zellenbüros Wie kann die Digitalisierung die der Gegenwart. Gute ZusammenVerantwortungsübernahme auf arbeit hängt auch mit der räumliallen Hierarchieebenen fördern? chen Umgebung zusammen. Wie viel Bedarf hat die Verwaltung an Veränderte Kommunikation Kreativitäts- und InnovationsDie neuen Verwaltungsmitarbei- räumen und wie können diese terinnen und ‑mitarbeiter sind konkret aussehen? mit Facebook, Instagram und Co. groß geworden und haben Seminarangebot andere Ansprüche an KommuMit dem Seminar “Think digital” nikation als die Generationen bietet der Behörden Spiegel im davor. Messenger-Dienste haben November in Düsseldorf Fühsich zugleich über alle Genera- rungskräften in der öffentlichen tionen hinweg als unmittelbarer Verwaltung eine Gelegenheit, in Kommunikationsweg etabliert. einem Kreis von Gleichgesinnten Was bedeutet der Generatio- über die veränderten Anforderunnenwechsel für den Job in der gen an Führung zu reflektieren. Verwaltung und wie können die Ziel ist es, praktikable Lösungen Medienkompetenzen der neuen und Anregungen für die nächsten Generation in die Verwaltungs- Schritte für die Digitalisierung in praxis integriert werden? den Dienststellen der Teilnehmenden zu generieren und so eine Agilität aktive Führungsrolle zu stärken. Der Begriff “Agilität” beschreibt Der Autor führt gemeinsam eine flexible, iterative Arbeitsweise, die eine schnelle Anpassung mit Martina Dierks, Leiterin der an Ereignisse erlaubt und In- Zentralen Vergabestelle im Kreis novation fördert. Er eignet sich Soest, am 6./7. November in als Prinzip für die Projektarbeit. Düsseldorf das Seminar “Think Gleichwohl muss die Verwaltung digital: Digitalisierung der VerRegelaufgaben erfüllen, die hoch waltung und Auswirkungen auf zuverlässig sein müssen und von die Führung” durch. Weitere Inforgroßer Kontinuität geprägt sind. mationen und Anmeldung unter Die Herausforderung liegt da- www.fuehrungskraefte-forum.de

Veröffentlicht Landkreistag-Studie zur Digitalisierung (BS/gg) Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat Mitte Juni die Ergebnisse einer Umfrage zum Stand der Digitalisierung in den 294 Landkreisen veröffentlicht. DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager: “Die Umfrage zeichnet ein bislang nicht vorhandenes, repräsentatives Bild über den Stand der Digitalisierung in den Landkreisen. Sie macht deutlich, dass sich die Landkreise den Herausforderungen der digitalen Welt stellen und bereits jetzt über eine große Zahl funktionierender digitaler Anwendungen verfügen.” Die Umfrage, die in Zusammenarbeit mit Fraunhofer IESE erfolgte und an der sich mit 146 rund die Hälfte aller Landkreise beteiligt haben, betraf zum einen die typischen Kreisaufgaben der Daseinsvorsorge, d. h. die medizinische Versorgung, Bildung und Mobilität, die wirtschaftliche Entwicklung einschließlich Mittelstand 4.0, die Stärkung der Versorgung vor Ort und die Innovationsförderung. Zum anderen wurden aber auch Fragen zum E-Government in der Kreisverwaltung gestellt. Neben der Umfrage hat der kommunale Spitzenverband in einer weiteren Veröffentlichung eine Reihe von guten Beispielen und strategischen Ansätzen aus den Landkreisen zusammengetragen. “Beide Broschüren dienen dazu, die Landkreise bei der Ausarbeitung ihrer kreisspezifischen Digitalisierungsstrategie zu unterstützen. Sie liefern einen Überblick kreislicher Handlungsfelder in der digitalen Daseinsvorsorge und der digitalen Wirtschaftsförderung und beschreiben die in diesen Berei-

Aktuelle Publikation des Deutschen Landkreistages zum Stand der Digitalisierung Grafik: BS/DLT

chen bereits jetzt zum Einsatz kommenden digitalen Instrumente”, so Sager.

Unterschiedlichste Handlungsfelder Die Gestaltung dieses Lebensund Arbeitsumfeldes durch neue, digitale Lösungen für Schulen, eine schnellere und noch bessere medizinische Versorgung durch digitale Assistenzsysteme oder die Unterstützung des heimischen Handwerks

bei seiner Anpassung an die Anforderungen einer digitalen Wirtschaft seien wichtige Aufgaben der Landkreise. “Die Handlungsfelder sind so unterschiedlich wie die Landkreise selbst. Kein Landkreis kann und muss sich in allen Bereichen engagieren, jeder Landkreis wird eine für sich passende Digitalisierungsstrategie entwickeln müssen.” So könne die Digitalisierung dazu beitragen, dem demografischen Wandel zu begegnen und die ländlichen Räume noch lebenswerter auszugestalten. Zu den Zielen einer digitalen Wirtschaftsförderung gehöre es beispielsweise, hochwertige Arbeitsplätze zu erhalten und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu befördern. “Dies betrifft digitale Berufsschulen, sog. Lernwerkstätten 4.0 ebenso wie die Innovationsförderung und die Stärkung der Nahversorgung durch Plattformenlösungen”, so der DLT-Präsident. Beide Publikationen stehen unter www.landkreistag.de zum Download zur Verfügung.


Informationstechnologie

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e-nrw 2018 in Neuss

Entwurf vorgelegt

Erstausgabe des Almanachs “Deutschland Digital 2019”

Eine Strategie für das digitale NRW

(BS/Wilfried Kruse*) Mit dem Titel “Deutschland Digital 2019 – Das Jahrbuch für E-Government und Ver­ (BS/wim) Der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Digitalminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart hat Anfang waltungsmodernisierung in Bund, Ländern und Kommunen” präsentiert der Behörden Spiegel in Koopera- Juli einen Entwurf der Strategie für das digitale Nordrhein-Westfalen vorgelegt. tion mit IVM2 den Start einer bundesweit neuen Dokumentation seiner vier Kongresse in Düsseldorf/Neuss, “Die Digitalisierung ist eine der dynamischen Prozess, weswegen und Stakeholdern die Möglichkeit ­München, Stuttgart und Berlin zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung im föderalen Staat. Seit rund 20 Jahren stehen für den Behörden Spiegel die Themen von Digitalisierung und E-Government – vorrangig mit Bezug zum Öffentlichen Dienst – im jährlichen Fokus. Zahlreiche Partner haben sich auf diesem Weg mitengagiert. Weil dies so ist und die vielfältigen gemeinsamen Aktivitäten sich insbesondere in den erfolgreichen Kongressgeschichten der letzten Jahre abbilden, hat sich der Behörden Spiegel in Kooperation mit IVM² entschlossen, eine neue Publikation als jährlichen Almanach herauszugeben. In der neuen Premiumausgabe sollen sich Impulse und Beiträge der bundesweit etablierten Kongresse gemeinsam und rückblickend aus 2017/2018 in kompakter Form nachvollziehen und für das kommende Jahr 2019 als aktuelle Themencluster ausrichten lassen. Das Jahrbuch ist die erste ­Dokumentation dieser Art, es wird zum Kongress “e-nrw” am 8. November 2018 in Düsseldorf/ Neuss erscheinen; es wird ebenso auf den Digitalisierungskongressen des Behörden Spiegel,

dem “Digitalen Staat” in Berlin, dem “Zukunftskongress Bayern” in München und auf dem Kongress “Baden-Württemberg 4.0” in Stuttgart im Jahre 2019 zur Verfügung stehen. Mit dieser neuen – in Zukunft jährlich erscheinenden Publikation – sollen diese vier bundesweiten Kon-

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 8. November 2018 Düsseldorf / Neuss gresse gleichzeitig im Sinne einer gemeinsamen Themenklammer und dem Ziel von Ideenaustausch und gegenseitiger Befruchtung auf neue Weise im Gesamtkontext der Digitalisierung adressiert werden! Die Kongressteilnehmer werden den Almanach als Teilnehmer­ gabe zur Verfügung gestellt bekommen; der Behörden Spiegel als Herausgeber und IVM² als

*Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM², ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses ­“e-nrw”, den der Behörden Spiegel am 8. November in Neuss veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.e-nrw. info

größten Gestaltungsaufgaben unserer Zeit. Wenn wir sie richtig angehen, bietet sie große Chancen, unser Land zu modernisieren und den Menschen durch Teilhabe an diesem Prozess neue Möglichkeiten zu eröffnen”, so Pinkwart. So will der Minister eine effiziente und klimaschonende Mobilität, eine zukunftsfähige und auf die Ansprüche des Individuums eingerichtete Arbeitswelt sowie eine medizinische Versorgung erreichen, die so weit möglich auch auf digitalem Wege nutzbar sein kann. Laut Pinkwart ist sich die Landesregierung ihrer Verantwortung dafür bewusst, auf diesem Weg alle Menschen mitzunehmen. So sehe man in Düsseldorf “die ethisch-rechtlichen Fragen genauso wie die soziokulturellen, ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Entwicklungen. Die Digitalstrategie soll uns als Landesregierung Orientierung geben und dabei helfen, uns auf jene Felder zu konzentrieren, in denen wir für Nordrhein-Westfalen am meisten erreichen können.” Gleichzeitig beschreibt der Digitalminister die aktuelle Entwicklung als hoch-

die Strategie ebenso dynamisch anpassbar sein müsse: “Deshalb werden wir sich schnell entwickelnde Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz, Autonomes Fahren oder die Anwendung der Blockchain-Technologie einbeziehen und unsere Strategie im Laufe der Legislaturperiode fortschreiben.” Für den Bürger am stärksten spürbar sind Veränderungen in den Bereichen Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Mobilität, Gesundheit sowie Energie, Klima und Umwelt. Dazu sollen die Rahmenbedingungen für Startups verbessert und gleichzeitig die Forschung vorangebracht werden. So plane man beispielsweise die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Künstliche Intelligenz sowie die Gründung eines Blockchain-Instituts in NRW. Als Themen mit Schnittstellencharakter kommen zudem die Digitalisierung der Verwaltung, die digitale Infrastruktur sowie Datenrechte mit Datenschutz und -sicherheit hinzu. Der Strategieentwurf soll nun in eine Phase der Beteiligung gehen und die Landesbürger sollen gemeinsam mit Experten

Digital Leader Award 2018

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er “Digitize Society”-Award ging nach Forchheim, weil es eine integrierte digitale In­ frastruktur aufgebaut habe, so die Begründung der Jury. Gleichzeitig werde diese bereits erweitert. Hinzu komme, dass die Prozesse durchgängig digitalisiert seien und dabei vor allem die Mitarbeiter geschult und mitgenommen würden. Dann sei noch der gesellschaftliche Nutzen entscheidend. Denn die Rettungswagen der Region seien mit dem Klinikum verbunden worden. Dadurch könnten die Ärzte sich im Notfall durch die Daten der Rettungswagen auf die ankommenden Patienten vorbereiten. Das Projekt sei damit abgerundet worden, dass die Ärzte mit Tablets ausgestattet worden seien und so bei ihren Rundgängen jederzeit die aktuellsten Informationen wie Labordaten für die jeweiligen Patienten abrufen könnten. Arvato Systems hat mit “Smart

Verantwortlicher für den redaktionellen Teil stehen für Partner, die sich am Almanach und seinem bundesweiten, gesamtkonzeptionellen Anspruch beteiligen und ihn unterstützen wollen, gern zur Verfügung. Kontaktadresse dazu: wilfried.kruse@ ivmhoch2.de Das Jahrbuch wird im DIN-A 4­­ Format mit ca. 100 Seiten in einer Gesamtauflage von 5.000 Exemplaren gedruckt; darüber hinaus wird es auch als PDF elektronisch verfügbar gemacht. ­Unternehmen aus dem Digital­ sektor bietet das Jahrbuch verschiedene Möglichkeiten der Präsentation von Produkten und Services mit Blick auf Bund, Länder und Kommunen.

Vordenker und Digitalisierer ausgezeichnet in Berlin (BS/Adrian Bednarski) Beim Digital Leader Award 2018 wurden Ende Juni digitale Vordenker und Führungspersönlichkeiten geehrt, die mit ihren Ideen Lösungen für aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme bieten. In den Bolle-Festsälen gewann das Klinikum Forchheim die Trophäe im Bereich der “Digitize Society”. Im Rahmen des Awards, den IDG Business Media und Dimension Data vor drei Jahren ins Leben riefen, wurden aber auch noch weitere innovative Projekte ausgezeichnet. Logistics” eine Plattform entwickelt, die dazu dient, die Logistik effizienter zu gestalten. Die Jury lobte dies, weil es “die Königsdisziplin ist, alte Strukturen durchzudigitalisieren”, und Arvato gewann deshalb den “Create Impact”-Award.

der Zimmertür - alles soll, durch vollständige Digitalisierung der Prozesse, bequem per App erledigt werden können.

Unternehmenskultur 4.0

KI im Kurs Eucon Digital hat mit dem Projekt “Smart Claims” eine Dokumentenverarbeitung entworfen, die KI-basiert ist und damit die Trophäe im Bereich “Shape Experience” erhalten. Mithilfe der KI können Versicherungen im Schadensfall schneller agieren, weil Dokumentation und Katego-

Digitales Vordenken wurde in diesem Jahr beim Digitalen Leader Award bereits zum dritten Mal ausgezeichnet. Foto: BS/obs_Dimension Data Germany AG & Co. / Foto Vogt GmbH

risierung digitalisiert sind. Die Koncept Hotel Management gewann mit “Re-Designing Hos-

pitality” den “Invent-Markets”Award. Von der Buchung bis zur Ankunft im Hotel und Öffnung

Capgemini Consulting hat mit der digitalen Plattform “DigiCertif” eine Fort- und Weiterentwicklungsmöglichkeit für seine Mitarbeiter ins Leben gerufen, um diese auf die digitale Welt vorzubereiten und sie zu digitalen Experten weiterzuentwickeln. Damit gewannen sie den “Transform Culture”-Award. Wohingegen die “Envision Strategy”-Trophäe an die Daimler AG überreicht wurde, weil die-

2018: Digitalisierungsoffensive 4.0 für NRW

erhalten, Feedback und Ideen zur Strategie einzubringen.

Breit angelegte Diskussion Neben einer moderierten OnlineBeteiligung wird es dazu auch verschiedene Veranstaltungen und eine zentrale Konferenz im Oktober geben. Bis zum Jahresende werden die Rückmeldungen ausgewertet und fließen dann in eine finale Fassung der Strategie ein, die das Kabinett beschließen wird. Mit Blick auf die Dynamik des Themas sei die Beteiligung damit aber nicht abgeschlossen. Stattdessen solle sie kontinuierlich weitergeführt werden.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine Digitalstrategie vorgelegt, die sich der weiteren digitalen Entwicklung flexibel anpassen können soll. Foto: BS/Andreas Lischka, cc by 2.0, flickr.com

se eine Digitalisierungsstrategie entwickelt hat, um Innovationen und digitale Trends mit den Kundenbedürfnissen in Einklang zu bringen. Sie bildet dabei vor allem die gesamte Prozesskette ab: Von der Idee bezüglich des Fahrzeugs, bis hin zur Planung, dem Bau bis schließlich zum Verkauf. Ein wichtiges Thema, auch für Verwaltungen, ist das Marketing. Im Bereich “Rethink Marketing” hat die abl social federation mit ihrem Projekt “OCMP” gewonnen. OCMP erhebt Daten von Kunden – EU-Datenschutzgrundverordnungskonform –, die gerade ein Geschäft betreten und im WLAN-Hotspot angemeldet sind. Durch schnelle Analysen erhalten die Kunden dann passende Angebote. Der neu eingeführte “Digital Newcomer”-Award ging an Andrea Steverding von Oliver Wyman, die Innovationen und kreative Ideen im Unternehmen vorantreibt.

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen

Land, Kommunen, Regionen, IT-Dienstleister – kooperative Modellakteure und innovative Treiber 8. November 2018 in Düsseldorf / Neuss Prof. Dr. Andreas Pinkwart Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitales und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen eröffnet den Kongress mit der Digitalisierungsoffensive 4.0 für NRW.

Anja Weber

Hartmut Beuß

Die Vorsitzende des DGB NRW beschreibt künstliche Intelligenzen als Gestaltungs- und/ oder Konfliktfeld für Personalräte.

Der Beauftragte der Landesregierung Nordrhein-Westfalens für Informationstechnik (CIO) reflektiert Ziele und Schwerpunkte der E-GovG-Projekte.

Ausführliche Informationen zum Programm und Anmeldung unter:

www.e-nrw.info Eine Veranstaltung des


Informationstechnologie

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e hörden Spiegel: Frau Scheiber, wodurch unterscheidet sich die Big-Data-Studie zu E-Government vom eGovernment MONITOR? Scheiber: Der eGovernment MONITOR liefert jährlich ein umfassendes Lagebild zur Nutzung und Akzeptanz digitaler Verwaltungsangebote. Dafür befragen wir die Online-Bevölkerung nach ihrem Wissen und ihrer Einstellung zu E-Government. Damit können wir allerdings nicht erfassen, wie die Menschen sich unbewusst verhalten oder dazu äußern. Anstelle von konkreten Fragen zu Verwaltungsdiensten hatte die erstmals durchgeführte Big-Data-Studie daher das Ziel, das Unterbewusste zu erfassen. Statt einzelne Personen zu befragen, analysierte sie große Mengen von Medieninhalten im Internet. Die Big-Data-Studie stellt damit eine Ergänzung zum eGovernment MONITOR dar und bietet eine neue Dimension an Erkenntnissen, die bei der Bewertung von E-Government in Deutschland hinzugezogen werden kann. Die Leitfrage war: Was können wir aus diesen Ergebnissen lernen, um digitale Verwaltungsangebote attraktiver zu machen? Behörden Spiegel: Herr Mall, wie lassen sich unterbewusste Assoziationen überhaupt messen? Mall: Die Big-Data-Studie untersuchte großflächig Medieninhalte, die nach Erkenntnissen aktueller Marktforschung für einen durchschnittlichen Bürger relevant sind. Das sind Zeitungen, Onlineartikel und Soziale Medien, die die Wahrnehmung von Bürgerinnen und Bürgern prägen. Sie beeinflussen, wie wir beispielsweise Produkte, Personen oder Begriffe wahrnehmen bzw. was wir mit diesen verbinden. Die umfassende Auswertung

Big-Data-Studie zu E-Government Analyse bietet neue Dimension an Erkenntnissen (BS) Die Initiative D21 beleuchtet mit dem eGovernment MONITOR jährlich die aktuelle Lage der digitalen Verwaltung in Deutschland. Nun führte das Netzwerk erstmals eine Big-Data-Studie zu E-Government durch. Über deren Zielsetzung und Ergebnisse sprach der Behörden Spiegel mit Patricia Scheiber, Kommunikationsreferentin bei der Initiative D21, und Jonathan Mall, CEO & Founder von Neuro Flash. dieser Medieninhalte zeigt, welche unterbewussten Assoziationen Konsumenten zu Marken, Begriffen oder Konzepten haben. Denn was Menschen über Themen denken, wird zwischen den Zeilen ausgedrückt. Um unterbewusste Assoziationen zu messen, analysieren wir, wie wahrscheinlich Wörter in Medieninhalten in bestimmten Zusammenhängen vorkommen. Außerdem gewichten wir die Wörter, die im Zusammenhang zu einem anderen stehen: Je häufiger das der Fall ist, desto größer ist ihre Assoziationsstärke. Beispielsweise prägt der Titel “Ausfälle bei der Einführung von E-Government” eine Assoziation von Unsicherheit mit digitalen Verwaltungsdiensten. Wenn sich ein ähnlicher Kontext in der Vielzahl der Beiträge und in der Berichterstattung widerspiegelt, manifestiert sich eine entsprechende Prägung in der Bevölkerung. Behörden Spiegel: Wie nimmt die deutsche Bevölkerung EGovernment unterbewusst wahr? Scheiber: Die Untersuchung zeigt die Verwendung des Begriffs E-Government in all seinen Ausprägungen auf. Wie verwenden Bürgerinnen und Bürger ihn und mit welchen anderen Wörtern bringen sie ihn in Verbindung? Am stärksten assoziieren die Menschen E-Government mit dem Begriff “Verwaltungsmodernisierung”, daneben dominieren Begriffe wie “IT-Sicherheit”, “Nachhaltigkeitsmanagement”,

modern, schnell, effektiv und recht sicher wahrgenommen.

Patricia Scheiber ist Kommunikationsreferentin bei der Initiative D21.

Jonathan Mall ist Gründer und Geschäftsführer von Neuro Flash.

Foto: BS/Initiative D21

“Informationstechnologie” oder “Technologiepolitik”. Die allgemeinen Assoziationen zum Thema stammen also eher aus der Fachcommunity und in den allgemeinen, ich nenne sie mal Alltagsgesprächen im Netz, findet der Begriff kaum Anwendung. Gängige Begriffe für Verwaltungen, wie z. B. “Behörde” oder “Amt”, kommen hingegen nicht im Assoziationsraum vor. Das zeigt, dass klassische Behörden nicht mit dem Begriff EGovernment assoziiert werden. Interessanterweise verbinden die Menschen unterbewusst Begriffe wie “modern”, “effektiv”, “schnell” und “sicher” mit E-Government. Das zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger also durchaus Hoffnungen einer Modernisierung der klassischen Behörden mit dem Begriff assoziieren.

Verwaltung der Zukunft gestalten Ministerpräsident Günther eröffnet “Innovatives Management 2018” (BS/gg) Drei Keynotes, zehn Werkstätten, 18 Referenten und 300 Teilnehmer bieten den Rahmen für das Führungskräfteforum “Innovatives Management” der MACH AG am 14. November 2018 in Lübeck. Zum 18. Mal treffen sich Entscheider aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft, um über Zukunftsperspektiven für die öffentliche Verwaltung zu diskutieren. Wie kann der Fachkräftemangel strategisch angegangen werden? Wie kann sich die öffentliche Verwaltung als attraktiver Arbeitgeber positionieren? Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei dieser Aufgabe? Welche Innovationen – technisch und methodisch – bringen die Verwaltung nach vorn? Diesen und weiteren Fragen werden sich die Teilnehmer des Kongresses stellen.

zu diesem brennenden Thema”, erklärt der Vorstandsvorsitzende der MACH AG, Rolf Sahre. Das Programm startet in diesem Jahr mit einem besonderen Höhepunkt: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther wird die Veranstaltung eröffnen und über die Chancen der Digitalisierung sprechen. Dr. Steffi Burkhardt, GenerationY-Vertreterin und Human Capi-

“Innovatives Management” in Lübeck stellt sich in diesem Jahr noch breiter auf. Foto: BS/MACH

“Die öffentliche Verwaltung sucht vermehrt nach Antworten für die Gestaltung der Verwaltungsarbeit der Zukunft. Schließlich ist der demografische Wandel bereits heute schon in den Verwaltungen spürbar. Es gilt, neue Denk- und Arbeitsweisen zu ergründen, die Verwaltungen nicht nur entlasten, sondern auch attraktiv für Fachkräfte machen. “Innovatives Management” bietet mit spannenden Keynotes, kontroversen Podiumsdiskussionen und interaktiven Werkstätten wertvolle Impulse

Behörden Spiegel / Juli 2018

tal Evangelist, geht nachfolgend in ihrem Impulsvortrag darauf ein, welche Anforderungen junge Arbeitnehmer und zukünftige Führungskräfte heute an die Arbeitswelt stellen. Interessante Einblicke und neue Impulse verspricht auch ein Case zum Thema Arbeiten 4.0. “Alles digital? Wie wir in Zukunft arbeiten, führen und verwalten wollen” – in der Podiumsdiskussion setzen sich namhafte Entscheider aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft mit dieser Frage auseinander und diskutieren u.

a., welchen Mehrwert Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, Augmented Reality und Blockchain für die Verwaltungsarbeit von Morgen liefern können. Zu den Diskutanten zählen z. B. Dr. Sönke E. Schulz, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Landkreistages, und Friedhelm Schäfer, zweiter Vorsitzender und Fachvorstand Beamtenpolitik des DBB. “In den letzten Jahren hat sich der Kongress “Innovatives Management” zu einer führenden Plattform für Deutschlands Führungskräfte aus öffentlicher Verwaltung, Wissenschaft und NonProfit-Bereich entwickelt – schon jetzt freue ich mich auf lebendige Diskussionen und inspirierende Gespräche”, so Sahre Neben der klassischen Zielgruppe aus allen Bereichen der Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen bis hin zu Lehrund Forschungseinrichtungen, Kirchen sowie Nicht-Regierungsorganisationen, richtet sich die Veranstaltung in diesem Jahr zusätzlich auch an Innovationstreiber aus Politik, Wirtschaft und der Start-up-Szene sowie an zukünftige Führungskräfte und Studierende, welche die Zukunft der Verwaltung mitgestalten möchten. Der Behörden Spiegel ist auch in diesem Jahr wieder Medienpartner der Veranstaltung. Eine Anmeldung ist unter www. mach.de/innovatives-manage ment kostenfrei möglich.

Foto: BS/Neuro Flash

Behörden Spiegel: Welche Daten haben Sie für diese Studie erhoben und ausgewertet? Mall: Die Analyse beruht auf einer sogenannten neuro-semantischen Textanalyse von Milliarden von Texten. In die Analyse flossen zum einen Beiträge von Nachrichtenseiten und zum anderen Inhalte aus Sozialen Medien ein. Insgesamt wertete die Studie über 42 Milliarden Wörter aus. Behörden Spiegel: Die Ergebnisse aus dem eGovernment MONITOR werfen ein eher trübes Licht auf E-Government in Deutschland. Die Nutzung und Zufriedenheit sinken. Die Big-Data-Studie zeigt hingegen positive Assoziationen – wie erklären Sie sich das? Scheiber: Wie gesagt finden die Diskussionen über digitale Verwaltungsangebote fast ausschließlich innerhalb einer Fachszene statt und kaum in Sozialen Medien. Der Begriff ist noch nicht im allgemeinen Sprachgebrauch und damit bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen. In der Fachcommunity wird EGovernment aber dann vor allem mit Verwaltungsmodernisierung assoziiert und durch die Darstellung in Medieninhalten als

Letztlich ist auch die Möglichkeit, auf unterbewusste Meinungen zu schließen, für eine effektive Gestaltung von Behördenmodernisierung essentiell: Wovor haben Bürger am meisten Angst? Bei welchen Themen würden Sie am ehesten online gehen wollen? Wann ist Datenschutz und persönlicher Kontakt essenziell? Behörden Spiegel: Was können wir aus den Ergebnissen lernen, um E-Government in Deutschland attraktiver zu machen?

Behörden Spiegel: Kann Big Data auch die geringe Nutzung von E-Government in Deutschland erklären und warum die Bürger/-­ Scheiber: Die Analyse zeigt deutlich, dass E-Government als innen unzufrieden sind? Begriff bisher in der Fachwelt verMall: Um dies zu beantworten, harrt. Dementsprechend bringt haben wir zusätzlich zu den Me- die Bevölkerung E-Government dieninhalten bisher nicht sys- auch nicht mit den ihnen betematisch ausgewertete Daten kannten Behörden in Verbinaus dem eGovernment MONITOR dung. Wenn Bürgerinnen oder untersucht. Die Befragten sollten Bürger einen Verwaltungsdienst offen beantworten, wie sie sich in Anspruch nehmen müssen, eine moderne Behörde vorstellen denken die wenigsten daran, und welche Aspekte ihnen dabei dass sie diesen digital abwiwichtig sind. Hier zeigte sich, ckeln könnten. Hier zeigt sich dass die deutsche Bevölkerung E- ein hoher Kommunikations- und Government allgemein durchaus Aufklärungsbedarf. Es empfiehlt in einem positiven Licht sieht und sich, Maßnahmen zu fördern, die als sicher bewertet. Mit Schnel- digitale Verwaltungsangebote im ligkeit assoziiert sie den Begriff täglichen Leben der Menschen allerdings weniger. Eine zügige bekannter und damit leichter und effektive Umsetzung der An- auffindbar machen. Bezüglich gebote und somit eine schnelle der qualitativen und inhaltlichen Abwicklung von Verwaltungsleis- Bewertung bietet die Big-Datatungen erschien den Befragten Analyse ebenfalls Anhaltspunkals immer unwahrscheinlicher. te: Die Bürgerinnen und Bürger interessieren sich beim Thema Behörden Spiegel: Was kann E-Government hauptsächlich eine solche Untersuchung ergän- für Mobilität und Flexibilität. zend zu einer persönlichen Befra- Sie assoziieren mit einer digitagung zeigen? len Behörde eine schnelle Bearbeitung und kurze Wartezeiten. Mall: Eine Big-Data-Untersu- Um dies zu gewährleisten, gibt chung ist in der Lage, das breite es allerdings noch deutlichen Spektrum an Assoziationen in Nachholbedarf. Für die Zukunft der Bevölkerung aufzufangen. empfehlen sich detaillierte BigEine Online-Befragung ist immer Data-Analysen zu einzelnen limitiert auf die direkt befrag- Verwaltungsleistungen, um zu ten Bürgerinnen und Bürger. klären, welche positiven und So kann man mit Big Data sehr negativen Assoziationen Bürgeviel tiefer in die Bedeutung von rinnen und Bürger beispielsweise E-Government eintauchen und mit der elektronischen Steuererauch Folgefragen beantworten, klärung oder dem Online-Kinz. B. welche Behördentätigkei- dergeldantrag haben. Bessere ten die Menschen am ehesten Kenntnisse von Nutzungsbarriemit Online-Diensten verbinden ren und Faktoren zur Steigerung oder bei welchen Themen Daten- der Zufriedenheit können dabei schutz eine große Bedeutung hat. helfen, Verwaltungsdienste zu Zudem sind Big-Data-Resultate verbessern und zielgerichteter schneller verfügbar und sofort bekanntzumachen. mit Daten aus vorigen Jahren Die Big-Data-Studie ist zu finden vergleichbar, selbst wenn man in diesen Jahren keine direkte unter www.initiatived21.de/pu­ Befragung durchgeführt hat. blikationen/big-data-egov

Urbane Datenräume Möglichkeiten von Datenaustausch und Zusammenarbeit in Kommunen (BS/ab) “Die erfolgreiche Verwaltung und Nutzung der Datenbestände in den Kommunen können die Attraktivität, die Transparenz sowie Demokratie und das Leben in den Kommunen verbessern”, eröffnete Prof. Dr. Ina Schieferdecker von Fraunhofer FOKUS die Vorstellung der neuen Studie “Urbane Datenräume – Möglichkeiten von Datenaustausch und Zusammenarbeit im urbanen Raum”. Dabei könne die Studie gleichzeitig als erste Umsetzungshilfe dienen. Die Stadt Emden soll bis 2030 digitalisiert werden. 25 Akteure wie die Volkshochschule, die Hochschule, das Klinikum, aber auch die Stadtwerke haben sich zusammengesetzt und eine Vision von ihrer Kommune entwickelt. All diese Akteure und ihre Daten bilden dann den urbanen Datenraum von Emden ab. Auf deren Basis dann beispielsweise eine IoT-Plattform entwickelt werde. Insgesamt seien 16 Projekte wie E-Mobilität, intelligente Verkehrsfluss- und Parkraumsteuerung oder Glasfaserausbau geplant, die Emden bis 2030 digitalisieren sollen.

Das Thema bewegt die Kommunen “Ein urbaner Datenraum ist ein virtueller Raum, der alle städtischen Daten eines Ortes umfasst”, erläuterte Lina Bruns von Fraunhofer Fokus. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat die Studie gefördert, aber sie sei keinesfalls abgeschlossen. Florian Frank, Referatsleiter für Grundsatzfra-

gen aus dem BMBF, sagte bei der Vorstellung: “Wir werden mit den Kommunen gemeinsam das Thema Datenräume verfolgen, sehen, wie diese auf die Handlungsempfehlungen reagieren und ihr Feedback nutzen, um diese weiterzuentwickeln.” Die Studie untersuchte die Städte Emden, Bonn, Dortmund und Köln.

Kernergebnisse und Tipps Bei der Studie kam heraus, dass es “meist in den Kommunen an einem systematischen Überblick fehlt und datenbasierte Geschäftsmodelle kaum gefördert werden”, so Schieferdecker. Ansätze und Konzepte seien nur punktuell vorhanden. Abhilfe könnte ein gemeinsamer offener Plattformkern für die urbanen Daten sein, der kostengünstig entwickelt werden könnte. Außerdem sei bei der technischen Umsetzung eine offene Referenzarchitektur empfehlenswert, wie sie in der DIN SPEC 91357 für Offene Urbane Plattformen definiert werde. Diese Daten könn-

ten auch mit jenen aus Sozialen Netzwerken, der Cloud oder kommerziellen Daten verknüpft werden, wodurch sich nochmal andere Analysen und Ergebnisse ergäben. “Schwieriger wird es im Hinblick auf die Rechtslage, da diese mehrdeutig ausfällt, eine Vielzahl von divergierenden Schutzrechten und unterschiedliche branchenspezifische Nutzungsrechte existieren”, erläuterte die Professorin. In diesem Zusammenhang trete in der Regel die “faktische Verfügungsgewalt” zutage. Dies bedeutet, dass jene die Datenhoheit besäßen, bei denen die Daten lägen und diese darum kontrollieren würden. “Deshalb könnte es hilfreich sein, wenn die kommunale IT eine eigene Infrastruktur für Daten besitzt, wodurch die Kommunen mehr Handlungspielräume bei der Nutzung von Daten gewinnen”, erörterte Schieferdecker. Die Studie steht unter www. fraunhofer.fokus.de zum kostenlosen Download zur Verfügung.


Informationstechnologie / IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Juli 2018

S

o wies Mayer auf die Einführung der elektronischen Akte sowie Rechnung, die ­E-Beschaffung und die elektronische Gesetzgebung als wichtige Digitalisierungsprojekte in der Bundesverwaltung hin. Geplant sei etwa, den gesamten Einkaufsprozess der öffentlichen Hand zu digitalisieren und medienbruchfrei zu gestalten. Des Weiteren solle es ab 2021 eine elektronische Plattform geben, auf der Entwürfe von Bundesgesetzen ressortabgestimmt und schließlich im Bundesgesetzblatt verkündet werden sollen. Dabei handele es sich im Vergleich zum derzeitigen Ist-Zustand eindeutig um ein “beschleunigendes Element”, so Mayer auf einem Politischen Abend des Behörden Spiegel im Berliner Hotel Adlon im Juni. Insgesamt komme es jedoch weiterhin darauf an, das OnlineAngebot der gesamten Verwaltung attraktiver zu gestalten. Das gelte auch für die Ebene der Länder und Kommunen. Bisher seien die verschiedenen Plattformen oftmals noch nicht miteinander verknüpft. Abhilfe könnte diesbezüglich der Portalverbund schaffen, in dem 2022 575 Verwaltungsdienstleistungen angeboten werden müssen.

Dem Wandel begegnen Einen Blick über den Tellerrand des digitalen Staats hinaus in die digitale Gesellschaft wagte Andreas Könen, Leiter der Abteilung Cyber- und IT-Sicherheit im Bundesinnenministerium (BMI). Eine herausragende Rolle für digitale Infrastrukturen würden elektronische Identitäten spielen. “Diese werden in Zukunft noch weit mehr über uns transportieren als heute”, sagte Könen. So etwa beim bargeldlosen Bezahlen, bei der Steuerung des Smart-Home-Netzwerks oder der Nutzung von modernen Dienstleistungsmodellen wie der Parkplatz-Reservierung per App. “Wir gehen immer mehr über zu

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Bundesrepublik digital? Die Verwaltung setzt auf mehr Agilität (BS/mfe/stb) Was die umfassende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung angeht, hat die Bundesrepublik definitiv noch brachliegende Potenziale. Das räumte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Stephan Mayer, ein. Der CSU-Politiker betonte: “Hier sind wir noch nicht so weit, wie wir sein könnten.” Mehrere große Digitalisierungsprojekte und verschiedene Ansätze, mehr Agilität und Innovation in die Verwaltung zu bekommen, weisen jedoch den Weg in eine digitalere Bundesrepublik.

Empfahl, der Digitalisierung positiv entgegenzutreten und stärker auf frische Perspektiven und die Kreativität junger Leute zurückzugreifen: Doris Albiez, Senior Vice President & Geschäftsführerin bei Dell EMC Deutschland. Foto: BS/Feldmann

einer dynamischen Identität”, so der Abteilungsleiter. “Dabei geht es weniger darum, nachzuweisen, dass eine elektronische Identität zum Beispiel auf einer Karte authentisch mit meiner analogen Identität ist. Sondern es geht darum, mich dafür zu legitimieren, dass ich bestimmte Transaktionen ausüben darf.” Darin liege auch eine Chance für die Datensparsamkeit, weil in vielen Anwendungsfällen nicht die Preisgabe der persönlichen Identität vonnöten sei, sondern nur die Preisgabe der – digital abgebildeten – Rechte, über die eine Person verfüge. Wandel steht aber nicht nur im Bereich der Nutzung von Dienstleistungen bevor, sondern trifft alle Branchen, Sektoren und Gesellschaftsbereiche. “Dieser Shift ist größer und läuft dramatisch viel schneller ab als alles, was wir

bisher erlebt haben”, betonte Doris Albiez, Senior Vice President und Geschäftsführerin von Dell EMC Deutschland. Wichtig sei es, die Digitalisierung aber dennoch nicht als Gefahr, sondern als eine positive Entwicklung voller Chancen zu betrachten. “Wir müssen unsere Ängste ein Stück weit beiseiteschieben, wenn wir nicht links und rechts von denen überholt werden wollen, die weniger auf Sicherheit achten”, mahnte Albiez. Vielmehr müsse man sich ganz bewusst fragen, wie es gelingen könne, auf den Zug aufzuspringen.

Jungen Leuten zuhören “Digitalisierung in der Umsetzung braucht Innovation, sonst läuft man den Entwicklungen nur hinterher”, ergänzte dazu Dr. Heiner Genzken, Business Development Manager bei Intel

Die Teilnehmer des Politischen Abends diskutierten über Möglichkeiten, die öffentliche Verwaltung agiler und innovationsfreudiger aufzustellen. V.l.n.r: Sebastian Hufnagel (Dell), Andreas Könen (BMI), Dr. Markus Richter (BAMF), Stephan Mayer (BMI) Foto: BS/Stiebel

Deutschland. Die entsprechenden kreativen Köpfe zu gewinnen und zu halten, erfordere auch neue Ansätze im Denken. “Die Millenials sind flügge und entsprechend schnell weg”, warnte Genzken. Er gab zu Bedenken, dass bald ein Großteil der Mitarbeiter aus dieser Generation stammen würde, in der ganz andere Anforderungen an die Arbeit gestellt würden: “Die Work-LifeBalance ist ihnen viel wichtiger als die Anzahl der Zylinder im Dienstwagen.” Dem pflichtete auch Albiez bei. Junge Leute würden auch hart arbeiten wollen, aber eben dann, wenn es passt. Gleichermaßen hätten sie aber auch andere Perspektiven auf Geschäftsabläufe und Technologien. “Junge Leute bringen sehr gute Impulse und sollten viel öfter angehört werden – auch in der Politik”,

empfahl die Geschäftsführerin. Ihrer Erfahrung nach komme man besser und schneller voran, wenn man in gemischten Teams aus erfahrenen und jüngeren Leuten zusammenarbeite.

Ansätze für eine agilere Verwaltung Wie Innovation in der eher als träge geltenden Verwaltung vonstattengehen kann, erläuterte Dr. Markus Richter. Der ehemalige Abteilungsleiter für Infrastruktur und IT im Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berichtete etwa, dass seine Behörde bereit komplett auf elektronischem Wege mit den Verwaltungsgerichten kommuniziere und bei Asylanhörungen auf Spracherkennungssoftware setze. Dabei spreche der Antragsteller zwei Minuten lang in einen Telefonhörer. Anschließend er-

Die Gefahr wächst

Eine Frage der Zeit

Qualität und Quantität von Cyber-Attacken nehmen zu (BS/mfe) Cyber-Kriminelle und ausländische Nachrichtendienste greifen immer öfter und mit steigender Professionalität IT-Strukturen in Deutschland an. Leicht macht ihnen ihre Arbeit dabei die teilweise schlechte Absicherung informationstechnischer Systeme aufgrund mangelhafter Qualität von Hard- und Software. Diese Lücken nutzen Hacker gnadenlos aus. Davor warnt der Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), ­A rne Schönbohm. Um diese ­M ängel zu beheben, sieht er zahlreiche Akteure in der Pflicht. “Cyber-Sicherheit ist eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.”

zeug zahlreicher ausländischer Nachrichtendienste entwickelt hätten. Maaßen konst­atierte auf der Potsdamer Konferenz für Nationale Cyber-Sicherheit: “Der Cyber-Raum ist ein Hochrisiko-Raum.” Und er unterstrich: “Cyber-Sicherheit ist ein sehr wichtiges Element nationaler Souveränität.” Aus diesem Grunde käme es bei IT-gestützten Angriffen auch nicht nur darauf an, technische Parameter auszuwerten, sondern vor allem Kenntnisse über die Angreifer Arne Schönbohm, Chef des Bundesamtes für Sicherheit zu erlangen, in der Informationstechnik, sieht Cyber-Sicherheit als eine ergänzte der Aufgabe an, die mehrere Akteure fordere. Staat, Gesell- Vizepräsident schaft und Privatwirtschaft müssten einen Beitrag leisten. für militäriFoto: BS/Dombrowsky s c h e A n g e legenheiten Zudem betont er: “Die Informa- des Bundesnachrichtendienstionssicherheit ist die Voraus- tes (BND), Generalmajor Werner setzung für die Digitalisierung.” Sczesny. Ähnlich analysiert Dr. HansGeorg Maaßen die Situation. Der Verfolgungsdruck aufrechterhalten Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) berichDes Weiteren sei entscheidend, tet, dass die Angriffs­fläche für Da- dass Straftäter auch im digitalen tenausspähungen immer größer Raum einen behördlichen Verfolwerde und sich Cyber-Attacken gungsdruck verspüren müssten. inzwischen zum Standardwerk- Bei Cyber-Crime-Delikten müsse

es vermehrt zu strafrechtlichen Verurteilungen kommen, fordert der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch. “Wir brauchen nicht nur eine Polizei 4.0, sondern auch ein Recht 4.0.” Die Rechtslage müsse an heutige Herausforderungen sowie an die derzeitige Sicherheitssituation angepasst werden. Zudem müssten Polizeien künftig intensiver in Netzwerken miteinander kooperieren. Denn noch sei das Dunkelfeld bei Cyber Crime schlicht zu groß, kritisierte Münch.

Auch für hybride Kriegsführung nutzbar Der Cyber-Raum sei auch ein potentes Werkzeug im hybriden Krieg, ergänzte Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven. Aus Sicht der Nato gehe diesbezüglich eine besondere Gefahr von Russland, China und Nordkorea aus, so der beigeordnete Generalsekretär des Bündnisses. Da man täglich Attacken auf Netze des Nordatlantikbündnisses zu verzeichnen habe, arbeite die Nato auf allen Ebenen daran, die Fähigkeiten zur Cyber-Verteidigung zu stärken. Dies umfasse sowohl das Bündnis selbst als auch dessen Mitgliedsstaaten und Partner. Zu Letzteren gehörten unter anderem die Europäische Union und die Ukraine. Eigene offensive Cyber-Fähigkeiten wolle die Nato jedoch nicht aufbauen, stellte von Loringhoven klar.

halte der BAMF-Mitarbeiter eine Information darüber, woher die Person wahrscheinlich stammt. Dieses Verfahren sei derzeit aber noch nicht gerichtsfest und weise eine Fehlerquote von rund 20 Prozent auf. Darüber hinaus stellte Richter, der mittlerweile Vizepräsident im BAMF ist, das “Netzwerk – Experten digitale Transformation der Verwaltung” (NExT) vor. Er sagte: “Ziel von NExT ist es, die Digitalisierung des öffentlichen Sektors aktiv voranzutreiben.” In sechs thematischen Werkstätten würden durch Experten von insgesamt ­23 Behörden innerhalb weniger ­Monate digitale Vorhaben entwickelt und erprobt. Dieser Ansatz, der alle Aspekte der Digitalisierung umfasse, garantiere eine schnelle und spezifische Umsetzung in der jeweiligen Behörde und spare Ressourcen. Beteiligt sind momentan unter anderem das BMI, das Finanzministerium sowie das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). Ein weiteres Vorhaben, das agiles Arbeiten an innovativen Ideen in der Verwaltung voranbringen soll, stellte BMI-Abteilungsleiter Könen vor. Die im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigte “Agentur für Disruptive Innovationen in der Cybersicherheit und Schlüsseltechnologien“ (ADIC) soll es ermöglichen, kleine Teams mit einer kurzfristigen Finanzierung über wenige Monate an innovativen Ideen arbeiten zu lassen. So sollen vielversprechende Ansätze schnell evaluiert werden, um sie dann weiterzuverfolgen oder gegebenenfalls auch fallen zu lassen. Die Agentur wird eine gemeinsame Einrichtung des BMI und des BMVg sein, wobei das im Bereich Ressortforschung erfahrenere BMVg die Rolle des “Seniorpartners” übernehmen wird. “Die Haushaltsmittel für die ADIC sind da und wir werden voraussichtlich im vierten Quartal des Jahres mit rund 20 Leuten starten”, kündigte Könen an.

von Jan Lindner, Geschäftsführer Panda Security

Hackerangriffe sind Grundlage für Raub und Erpressung im Cyber-Raum, die Haupteinnahmequellen der professionell organisierten Kriminalität. Die wahren Akteure im Cyber War, Nationen und Institu­ tionen, verfolgen andere Ziele. Propaganda und Spionage, ja auch Sabotage, werden mithilfe neuester Technologien, einem Heer an Cyber-Kriegern und ­gigantischen Budgets vorbereitet und auf Knopfdruck realisiert.

Die aktuellen Angriffswellen auf deutsche Energieerzeuger zeigen wieder einmal deutlich, wie ausgeklügelt und mit welcher technischen Raffinesse die Hacker vorgehen und wie diese dabei vor allem die Fehlbarkeit der Anwender ausnutzen. Der indirekte Weg über die Büronetze ermöglichte teilweise den Zugriff bis in die zentralen Bereiche der Stromversorger. Der Schutz vor Cyber-Attacken ist daher eine komplexe Herausforderung und mit traditionellen

Abwehrstrategien nicht mehr ausreichend gewährleistet. Um Datendiebstahl und Kontrollverlust über die IT-Infrastruktur zu verhindern, ist eine Echtzeitbewertung aller Prozesse und das Monitoring derselben unerlässlich! Die Technologien sind verfügbar, es liegt nun in der Hand der Entscheider, diese endlich auch einzusetzen! Ihr Jan Lindner


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IT-Sicherheit

“W

Mehr als singuläre Maßnahmen

ir setzen dieser Bedrohung einiges entgegen”, versicherte Schneider auf dem IT-Sicherheitstag Sachsen. So würden Prozesse im Sicherheitsmanagement des Freistaats ständig weiterentwickelt und Meldeabläufe optimiert. Derzeit werde außerdem ein Informationssicherheitsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem Verantwortlichkeiten der Landesbehörden und die Zusammenarbeit bei Vorfällen weiter konkretisiert würden. Die sächsische Verwaltung setzt außerdem auf innovative technische Lösungen, um mit Gefahren umgehen zu können. So wurde in Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut der Identity Leak Checker eingerichtet, der digitale Identitäten der sächsischen Verwaltungsmitarbeiter mittels fortlaufenden Abgleichs mit verschiedenen Datenbanken auf Diebstahl und Missbrauch überwacht. Die Lösung stehe allen Ländern zur Nachnutzung offen, sagte Schneider auf der Veranstaltung, die das sächsische Innenministerium und der Behörden Spiegel gemeinsam in Dresden durchgeführt haben. Mittlerweile finde sich auch das Projekt HoneySens in der praktischen Erprobung. In Teilnetzen des SVN setze man sogenannte Honeypots ein – Software, die lohnenswerte Ziele simuliert, wie Netzwerkdienste mit typischen Sicherheitslücken. Wie der Bär vom Honigtopf würden Eindring-

Der Freistaat Sachsen setzt auf Technik, Sensibilisierung und Kooperation (BS/stb) “Mit der Pflicht des Bürgers, persönliche Daten mitzuteilen, geht auch die Verpflichtung der öffentlichen Verwaltung einher, diese Daten zu schützen.” Das stellte der Staatsekretär im sächsischen Staatsministerium des Innern, Prof. Günther Schneider, klar. Angesichts der Zunahme von Angriffen auf die IT-Systeme des Staates sei das allerdings keine leichte Aufgabe. Allein 1.800 Attacken auf das Sächsische Verwaltungsnetz (SVN) seien im Jahr 2017 registriert und abgewehrt worden – 28 Prozent mehr als im Vorjahr.

Der Staatssekretär im Dresdner Innenministerium, Prof. Günther Schneider, appellierte an die Verantwortung des Staates für die Sicherheit von Bürgerdaten.

Betonte die Wichtigkeit von Prävention für die IT-Sicherheit: BSI-Vizepräsident Dr. Gerhard Schabhüser. Fotos: BS/Stiebel

linge davon angezogen. Je mehr sie mit dem vermeintlichen Angriffsziel kommunizierten, desto mehr Information über Vorgehensweise und Motivation könne das System sammeln.

Austausch mit Wirtschaft und Wissenschaft.Um mehr Zusammenarbeit bemüht sich auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) intensiv, wie der Vizepräsident Dr. Gerhard Schabhüser ausführte. Nach einer Bedarfsabfrage in den Ländern 2017 würden schrittweise Kooperationsvereinbarungen getroffen. Noch in diesem Jahr solle eine mit dem Freistaat Sachsen folgen. Schabhüser schränkte aber ein: “Eine Übernahme technischer Schutzmaßnahmen ist derzeit rechtlich nicht möglich. Es bleibt abzuwarten, ob sich das mit der Fortschreibung des IT-Sicherheitsgesetzes ändern wird.” (Mehr zur Zusammenarbeit der Länder mit dem BSI im ­Arti­kel links auf dieser Seite.)

Intensivere Zusammenarbeit gefordert “Wir können uns aber nicht auf singulären Maßnahmen ausruhen”, mahnte der Staatssekretär.

“Trotz mehrstufiger Sicherheitssysteme sieht der Staat noch längst nicht alle Angriffe auf seine Netze und viele auch erst recht spät.” Zentral sei es, noch viel mehr grenz- und sektorübergreifend zu kooperieren. “Vor allem Bund und Länder”, so Schneider weiter, “müssen die Zusammenarbeit ihrer Sicherheitsbehörden intensivieren.” Genauso wichtig sei auch der

Netzwerker BSI Cyber-Sicherheitsbehörde baut Zusammenarbeit mit Ländern aus (BS/stb) Die Erkenntnis setzt sich durch: Auf grenzübergreifende Bedrohungen im Cyber-Raum muss grenzund ebenenübergreifende Kooperation die Antwort sein. In diesem Sinne stellt sich das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) den Ländern als Kompetenzzentrum zur Verfügung. Bilaterale Vereinbarungen sollen die Zusammenarbeit im formalen Gewand beflügeln. Zuletzt ist das Land Niedersachsen diesen Schritt gegangen. Im Rahmen der Cebit haben BSIPräsident Arne Schönbohm und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) eine Absichtserklärung zur Verstärkung der Kooperation im Bereich der Cyber-Sicherheit unterzeichnet. Nach Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen ist Niedersachsen das vierte Land, das die Zusammenarbeit mit der Cyber-Sicherheitsbehörde des Bundes in dieser Form in­ stitutionalisiert. Das BSI fungiere als zentrales Kompetenzzentrum für die CyberSicherheit, erklärt dazu Schönbohm. Für die Länder handele es sich um eine “Opt-in-Situation”. “Sie können sich wie an einem Buffet bedienen”, so der BSIPräsident. Gedeckt ist dieses mit Produkten und Dienstleistungen, die bereits beim Bund im Einsatz sind, sowie mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten. So soll das BSI das Land Niedersachsen unter anderem beim Aufbau von Detektionstechnologie beraten. Bei schwerwiegenden IT-Sicherheitsvorfällen soll die Cyber-Sicherheitsbehörde die Landesverwaltung mit sog. Mobile Incident Response Teams (MIRTs) unterstützen. Außerdem sollen Qualifizierungsangebote, etwa das Übungszentrum Netzverteidigung, mitgenutzt werden können. Eine für Ende dieses Jahres geplante Verbindungsstelle des BSI in Hamburg soll auch als Ansprechpartner für Niedersachsen dienen, ein Ausbau des Verbindungswesens im Raum Hannover sei denkbar, heißt es aus dem BSI. In die Region Rhein-Main nach Wiesbaden werden bereits seit Frühjahr und in die Region Ost nach Berlin seit Sommer 2017 Verbindungspersonen entsandt. Die Region Süddeutschland soll ab Oktober mit Verbindungspersonal in Stuttgart erschlossen werden. Diese regi-

Behörden Spiegel / Juli 2018

onalen Anlaufstellen richten sich nicht nur an die Länder, sondern auch an Bundesbehörden, Kommunen und Unternehmen.

Ein wachsendes Netzwerk Rheinland-Pfalz war im Herbst 2017 das erste Land, das eine offizielle Kooperation mit dem BSI eingegangen ist. Von der Bundesbehörde erhalte man täglich Berichte zur Cyber-Lage sowie Informationen über relevante Schwachstellen in IT-Systemen, heißt es aus dem Innenministerium. Zum vorgesehenen Aufbau eines landesweiten Informationssicherheits-Managements stehe man in Kontakt. Die Nachnutzung von technischen Produkten des BSI im geltenden rechtlichen Rahmen werde derzeit geprüft. Hessen greift vor allem regelmäßig auf die Beratungsangebote des Bundesamts zurück und nutzt Lage-Informationen auch für die eigene Beratungsarbeit in der Landesverwaltung. Das Land nutzt BSI-Ausbildungsangebote und ergänzt diese vor allem im Bereich Sensibilisierung durch eigene Formate für Kommunen und Unternehmen. Übungen zum IT-Krisenmanagement (Kritex) werden mit Einlagen unterstützt, die das BSI zuspielt. Geplant ist der Aufbau eines gemeinsamen IT-Krisenmanagements mit standardisierten Abläufen. Auch Nordrhein-Westfalen (NRW) strebt im Bereich Krisenmanagement Austausch zu Prozessen und technischen Hilfsmitteln an. Außerdem werde auf gegenseitige Hospitationen vor allem im Umfeld der bestehenden CERT-Strukturen gesetzt, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Zur Vertiefung und Konkretisierung der Zusammenarbeit sei eine Verwaltungsvereinbarung beabsichtigt. Erste Gespräche hätten dazu bereits stattgefunden. Auch Rheinland-Pfalz arbeitet bereits mit dem BSI an einer Verwaltungsvereinbarung. Aus dem hessischen Innenmi-

nisterium heißt es, gemeinsam werde an einer rechtlichen Handlungssicherheit für beide Seiten gearbeitet. Die übrigen Länder gehen natürlich nicht leer aus. Abgesehen von der etablierten Zusammenarbeit im Rahmen der AG Informationssicherheit des IT-Planungsrates sowie der operativen Vernetzung im Verwaltungs-CERT-Verbund stellt das BSI seine Kompetenzen auch auf individuelle Anfrage zur Verfügung. Eine Formalisierung wollen aber die meisten Länder. Baden-Württemberg, Berlin, Bremen und das Saarland arbeiten mit dem BSI bereits an einer Absichtserklärung. In Sachsen und Thüringen könnte die Unterzeichnung noch in diesem Jahr erfolgen. Schleswig-Holstein und Hamburg streben direkt eine Verwaltungsvereinbarung an. In Mecklenburg-Vorpommern haben erste Gespräche zur Verfestigung der Zusammenarbeit mit dem BSI stattgefunden. Aus dem bayerischen Finanzministerium ist zu hören, das Land profitiere von einem engen fachlichen Austausch zwischen dem BSI und dem neugegründeten Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) des Freistaats. Aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt waren diesbezüglich keine Stellungnahmen zu erhalten. Neben einem stärkeren strategischen und operativen Informationsaustausch liegt für viele Länder ein besonderer Fokus der Zusammenarbeit auf der Aus- und Fortbildung von ITSicherheitsbeauftragten und ITSicherheitsspezialisten. Bremen, Hamburg und Saarland sehen vor allem Bedarf für mehr Koordinierung im IT-Krisenmanagement und eine gemeinsame Notfallplanung. In Schleswig-Holstein soll eine gemeinsame Nutzung von SIEM-Infrastrukturen angestrebt werden, dazu müsse aber landesseitig zunächst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden.

Hersteller und Anwender in die Pflicht nehmen Der BSI-Vizepräsident kritisierte die Qualität der heutigen IT-Systeme. Deren Grundlagen seien in einer Zeit entstanden, als noch nicht absehbar war, in welch sensiblen Bereichen diese zum Einsatz kommen würden. “Das hat zu einer Kultur geführt, in der Fehler als hinzunehmendes Übel betrachtet werden”, so Schabhüser. In anderen sicherheitsrelevanten Bereichen sei das in dem Ausmaß undenkbar. “Hier muss dringend gegengesteuert werden. Die Sicherheits-

lücken müssen alle weg, und zwar schnell.”Schabhüser sah aber nicht nur die Hersteller in der Pflicht. Die Probleme, die im letzten Jahr die Schadprogramme WannaCry und NotPetya ausgelöst hätten, würden auch auf die Kappe der Anwender gehen. “Wenn alle die IT-Sicherheit so umsetzen würden, wie sie müssten, hätte das gar nicht passieren können”, so Schabhüsers Einschätzung. Das zuweilen vorgebrachte Argument, häufige Sicherheitsupdates seien in einigen komplexen Betriebsumgebungen aufgrund des Ausfallrisikos nicht möglich, ließ der BSI-Vize nicht gelten: “Wenn ein System empfindlich auf Updates reagiert, muss man es eben ausreichend abschotten.” Auch Staatsekretär Schneider plädierte für einen Kulturwandel im Umgang mit Informationstechnik. “Cyber-Angriffe werden in der Öffentlichkeit leider immer noch als bloßes Ärgernis wahrgenommen. Tatsächlich sind sie aber längst hoch effizient und führen zu enormen realen Schäden”, betonte er. Diese Fehleinschätzung sei eine der entscheidenden Baustellen. Schließlich seien 90 Prozent der IT-Sicherheitsvorfälle auf Unwissenheit und Leichtsinn im alltäglichen Umgang zurückzuführen. Für Schneider stand fest: “Der größte Unsicherheitsfaktor im Netz sind wir selbst.”

Das habe aber nichts mit Dummheit zu tun, ergänzte dazu Schabhüser, sondern mit der Professionalität der Täter. Gerade bei Betrugsmaschen wie dem CEO-Fraud sei es erschreckend, mit welcher Akribie sich einige Angreifer vorbereiteten. “In manchen Fällen sind Mails von Geschäftsführern so stilsicher gefälscht worden, dass diese im Nachgang selbst geglaubt haben, sie verfasst zu haben”, erzählte Schabhüser. Auch viele andere Angriffsstrategien, die auf Zugriff auf Systeme oder das Abschöpfen von sensiblen Information zielen, bauen direkt oder indirekt auf den Unsicherheitsfaktor Mensch. “Kriminelle Hacker nutzen gnadenlos alle menschlichen Eigenschaften und Schwächen aus, die im Büroalltag vorkommen können, sei es Gutherzigkeit, Unachtsamkeit oder regelrechter Leichtsinn”, pflichtete der Leiter des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt, Jochen Hollmann bei.

Eine Art Cyber-Hygiene etablieren Dass ein Wandel hin zu mehr Sorgsamkeit im Digitalen langwierig sein kann, machte Dr. Maxim Asjoma vom Hasso-PlattnerInstitut deutlich. So, wie es eine Zeit gegeben habe, in der das Händewaschen noch nicht üblich gewesen sei, seien heute grundlegende Regeln zum Umgang mit IT noch nicht verinnerlicht. “Wir müssen dahin kommen, dass eine Art Cyber-Hygiene so selbstverständlich wird wie das Händewaschen”, sagte Asjoma. Ein wichtiger Baustein auf dem Weg dahin ist die Sensibilisierung von Mitarbeitern. In dem Bereich sei die sächsische Verwaltung bereits seit 2012 sehr aktiv, erklärte Schneider. Allein mit verschiedenen Präsenz-Veranstaltungen habe man schon über 10.000 Verwaltungsmitarbeiter aus Land und Kommunen erreicht. Wichtig sei es, der üblichen Kultur der Arbeitsteilung und Fremdversorgung etwas entgegenzuhalten, betonte dazu Bastian Fermer, Referent im sächsischen Innenministerium. “Wir müssen uns von dem alten Denken verabschieden, die IT-Abteilung sei für die Sicherheit zuständig.” In einer zunehmend digitalisierten Welt funktioniere dieses Abgeben von Verantwortung nicht mehr, so Fermer. “Heute ist jeder für die IT-Sicherheit verantwortlich.”

ISIS12 und IT-Grundschutz mit DocSetMinder Informationssicherheit für jede Behörde (BS/Krzysztof Paschke*) Eine Vielzahl von Migrationsprojekten und die große Nachfrage nach dem GSToolNachfolger DocSetMinder zeigen eine hohe Akzeptanz des modernisierten IT-Grundschutzes und auch des ISIS12 in der öffentlichen Verwaltung. Durch die konfigurierbare Aus­ wahl der Umsetzungsmethoden (Basis-, Kern- und Standard-Absicherung) und des Schutz­niveaus (Basis-, Standardanforderung und erhöhter Schutzbedarf) eignet sich DocSetMinder für den Einsatz in ­Behörden jeder Größe. Die Effizienz der Software zeigt sich insbesondere bei der gleichzeitigen Umsetzung der BSI-Standards 200-2/-3, der EUDSGVO und des BSI-Standards 100-4 durch die gemeinsame Durchführung der Strukturanalyse, Risikoanalyse, Umsetzung der Sicherheits- und Schulungsmaßnahmen sowie von internen Audits. Für den Übergang von den BSI-Standards 100-2/-3 zu 200-2/-3 kann ­optional ein Pa­ rallelbetrieb ­konfiguriert werden. Neben den BSI IT-GrundschutzKatalogen und dem -Kompendium stehen auch die generischen Maßnahmen aus dem StandardDatenschutzmodell (SDM 1.1) zur Verfügung. Alternativ ist insbesondere für kleinere Behörden das Modul “ISIS12” verfügbar.

Die bestehend klare Modulstruktur unterstützt die Anwender bei der Umsetzung der Informationssicherheit. Die Module “ISIS12” und “EU-DSGVO” werden als Paket besonders preiswert angeboten. Unabhängig vom gewählten Sicherheitsstandard unterstützen durchdachte Softwarefunktionen die Anwender aktiv in jeder Phase des Sicher-

heitsprozesses von der Planung, über die Umsetzung und Doku­ mentation bis hin zum Audit. DocSetMinder bietet somit eine hervorragende Grundlage, um Behörden nicht nur sicher, ­sondern auch “Ready for Audit” zu machen. * Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der GRC Partner GmbH.


IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Juli 2018

A

ls Bestandteil Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) unterliegen Stadtwerke den Anforderungen aus dem IT-Sicherheitsgesetz – vorausgesetzt sie überschreiten den Regelschwellenwert der Versorgung von 500.000 Personen. Registriert haben sich beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bisher 418 KRITISBetreiber aus dem Sektor Energie – darunter 336 Stromversorger. Für Stromerzeugungsanlagen entspricht der Schwellenwert offiziell einer installierten elek­ trischen Netto-Nennleistung von 420 Megawatt. Nach Schätzung der Bundesnetzagentur (BNetzA) betrifft das rund 80 Einzelanlagen. Die Pflichten greifen allerdings auch, wenn mehrere Anlagen im engen räumlichen und betrieblichen Zusammenhang den Schwellenwert gemeinsam überschreiten. Was konkret zu tun ist, regelt der IT-Sicherheitskatalog für Energieanlagen der BNetzA. Dieser befindet sich nach einer öffentlichen Konsultation derzeit in Überarbeitung und soll im Herbst 2018 veröffentlicht werden. Darin wird im Wesentlichen ein zertifiziertes Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) gemäß ISO 27001 gefor-

Stadtwerke sehen Cyber-Risiken Digitalisierung und Informationssicherheit fordern den KRITIS-Sektor Energie heraus

die Digitalisierung, dicht gefolgt von mangelnder Personalausstattung und -qualifikation sowie fehlenden IT-Ressourcen.

Noch nicht alle Stadtwerke auf IT-sicherem Kurs (BS/stb) Vorstände und Geschäftsführer von Stadtwerken nehmen das Risiko von Stromausfällen infolge von Cyber-Angriffen zunehmend ernst. Immer mehr etablieren ein IT-Sicherheitsmanagement und lassen sich zertifizieren. Luft nach oben gibt es aber allemal. dert. Im Aufbau entspricht er dem schon 2015 veröffentlichten IT-Sicherheitskatalog für Strom- und Gasnetze. Schwellenwerte gibt es hier nicht. Für die gut 900 Stromnetzbetreiber in Deutschland gelten anders als für die Erzeugungsanlagen die IT-Sicherheits-Vorgaben ausnahmslos – sofern der Betrieb von IT-Systemen abhängig ist. Die Umsetzungsfrist endete am 31. Januar 2018, für die Umsetzung des Katalogs für Energieanlagenbetreiber werde ebenfalls ein angemessener Zeitraum eingeräumt, heißt aus der BNetzA.

Stadtwerke unter Druck Doch ungeachtet gesetzlicher Pflichten ist die Gewährleistung der IT-Sicherheit für alle Stadtwerke geboten. Schließlich sind sie aufgrund ihrer Rolle in der Daseinsvorsorge attraktives Ziel für Cyber-Angriffe (mehr dazu im Artikel auf Seite 42). Neue Angriffsvektoren ergeben sich

Mit dem Energiemix kommt der Bedarf nach mehr Digitalisierung und Automatisierung. Die Informationssicherheit muss als zwingende Kehrseite mitgedacht werden. Foto: BS/ © Kai Krüger, fotolia.de

durch zunehmende Digitalisierung und Automatisierung in den Produktions- und Steuerungsprozessen in Energieanlagen und beim Netzbetrieb. Wie in vielen anderen Sektoren gilt jedoch: Ohne Digitalisierung geht es nicht. Mit der Energiewende wächst die Zahl kleiner, dezentraler Erzeuger. Wetterabhängige Energie-

quellen führen zu schwankenden Leistungen, die sich nur mit intelligenten Steuerungssystemen regeln lassen werden. Entsprechend beschäftigt das Thema die Betreiber der Stadtwerke. Drei Viertel von ihnen wollen sich in den kommenden zwei bis drei Jahren stark oder sehr stark mit der Digitalisierung auseinander-

setzen. Das ergibt die Stadtwerke studie 2018, die der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Auftrag gegeben hat. Befragt wurden fast 200 Entscheider von deutschen Energieversorgern – davon drei Viertel im mehrheitlichen Besitz der kommunalen Hand. Gut die Hälfte der Stadtwerke sieht die Digitalisierung demnach inzwischen als Chance, 22 Prozent nehmen sie eher als Bedrohung war. Das hängt auch mit hohen Regelungsaufwänden zusammen, die eine umfassende Transformation der Geschäftsabläufe zusätzlich erschweren – neben dem IT-Sicherheitsgesetz und dem Energiewirtschaftsgesetz müssen auch Vorgaben aus dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende und dem Messstellenbetriebsgesetz berücksichtigt werden. 65 Prozent der Befragten sehen entsprechend bürokratische Aufwände als größtes Hindernis für

Bremser beim Datenschutz

S

eit dem 25. Mai 2018 ist die DSGVO direkt anwendbar und Deutschland war das erste EU-Mitglied, das national im Juni 2017 die Öffnungsklauseln der DSGVO mit dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ausfüllte. Diese Umsetzung verfolgte aber fast durchgängig das Ziel, das hohe europäische Grundrechtsniveau zu senken. Die Landesgesetzgeber, deren Landesdatenschutzgesetze (LDSG) erst zwischen Ende April bis Anfang Juni 2018 angepasst wurden, folgten dabei inhaltlich dem Bund. Statt nun eine bundesweite Harmonisierung anzustreben, wurden Koordinierungsversuche früh aufgegeben. Die LDSG weichen in Struktur, Inhalten und Verfahren weit voneinander ab. Beim länderübergreifenden Datenaustausch, etwa bei Forschungskooperationen, wird dies absehbar zu gewaltigen Problemen führen. Die DSGVO will das Datenschutzrecht gemäß folgender Ansätze harmonisieren: Marktortprinzip, One-Stop-Shop für Verantwortliche und Betroffene, mehr Betroffenentransparenz,

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Die Umsetzung der DSGVO in Deutschland (BS/Dr. Thilo Weichert) Deutschland ist Vorreiter beim Datenschutz! Diese frühere Feststellung gilt schon lange nicht mehr. Die Menschen in Deutschland sind diesbezüglich sensibler als anderswo. Die Organisation des Datenschutzes in Unternehmen und Verwaltung ist besser entwickelt als in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Seit der Anfang 2012 gestarteten Diskussion um die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) betätigt sich aber die Politik in Berlin wie in den Bundesländern als Bremser beim Datenschutz. “Privacy by Default” und “Privacy by Design”, risikoorientierte Bewertung einschließlich Datenschutz-Folgenabschätzung, rechtssicherere DrittlandsDatentransfers, verbesserte Beschwerde- und Rechtsschutzmöglichkeiten, wirksame Sanktionen.

Aufsicht eingeschränkt Die deutschen Gesetzgeber legten es nun darauf an, diese positiven Ansätze zu beschneiden, wo dies nach EU-Recht zulässig erschien. Die Kontrollkompetenzen der unabhängigen Datenschutzkontrolle insbesondere im hochsensiblen Bereich der Berufsgeheimnisse wurden beschnitten, in Niedersachsen wurde das gesamte strafrechtliche Ermittlungsverfahren von der Kontrolle ausgenommen. Der Staats-

Auch für Polizei und Justiz gibt es in der zeitgleich verabschiedeten Richtlinie präzise Vorgaben. Bei den Behörden wird oft ohne weitere Konkretisierung in den allgemeinen Regelungen von der Aufgabe auf die Befugnis geschlossen. Anders als vom EU-Recht gefordert, verzichten viele LDSG-Regelungen auf Abwägungsklauseln. Anwendende können sich so nicht mehr allein auf den deutschen Gesetzestext verlassen. Die separate nationale Umsetzung für Justiz und Polizei im allgemeinen Recht kompliziert die Anwendung zusätzlich. Bei den Betroffenenrechten, allen vor-

Dr. Thilo Weichert ist Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Von 2004 bis 2015 war er Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD). Foto: BS/Privat

anwaltschaft wurde, entgegen ihrer Rechtsstellung, vielerorts justizielle Unabhängigkeit zugesprochen. Die Sanktionsmöglichkeiten der Datenschutzaufsicht wurden im öffentlichen Bereich auf Beanstandungen sowie nicht vollstreckbare Anordnungen durch die Datenschutzaufsicht reduziert. Die materiellen Regelungen der DSGVO sind dagegen umfassend verbindlich.

an dem Anspruch auf Auskunft und auf Information, wurden in Überdehnung der EU-Vorgaben die Verweigerungsgründe ausgeweitet, wird so den Bürgern Transparenz vorenthalten. Abschreckender Vorreiter ist insofern die Abgabenordnung, die den Finanzämtern viele Geheimhaltungsargumente gegenüber den betroffenen Steuerpflichtigen liefert.

Nachbesserung nötig Die Hoffnung besteht, dass diese Verfassungsverstöße, die jetzt auch EU-Recht verletzen, vom datenschutzfreundlich gestimmten Europäischen Gerichtshof gestoppt werden. Einige Parlamente kündigten an, ihre Gesetze nach etwa zwei Jahren zu evaluieren. Spätestens dann sollte der Kleinstaaterei beim Datenschutzrecht

Diese Faktoren sind auch typische Hemmschuhe für die Eta­ blierung ausreichender Maßnahmen zur Informationssicherheit. Die Energieversorger haben das Thema aber zumindest im Blick, wie aus der Stadtwerkestudie hervorgeht. Knapp 70 Prozent schätzen die Gefahr, dass es durch die zunehmende Digitalisierung vermehrt zu CyberAngriffen und daraus folgenden Stromausfällen kommen könnte, als hoch oder sehr hoch ein. Allerdings sehen auch ganze 12 Prozent nur ein geringes Risiko. Immerhin steigt aber die Zahl der Unternehmen, die Maßnahmen ergreifen. So geben 37 Prozent an, ein Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) eingerichtet zu haben. Im Vorjahr waren es nur 13 Prozent. Etwas mehr als ein Drittel der Stadtwerke gibt an, sich nach ISO 27001 zertifiziert zu haben – auch das ist ein deutlicher Anstieg. Jedoch haben nach wie vor vier von zehn Stadtwerken keinen ITSicherheitsbeauftragten benannt.

ein Ende gemacht werden. Schon zuvor sind spezifische Regelungen, etwa zur Forschung, nötig. Vom alten Recht übernommene Regelungen widersprechen sich oft und behindern den Fortschritt der Wissenschaft. Bund-LänderStaatsverträge könnten insofern zur Harmonisierung beitragen. Kurz vor dem 25. Mai gab es im Bereich der Wirtschaft hektische Betriebsamkeit, weil – grundlos –Abmahnungen und heftige Sanktionen wegen Datenschutzverstößen befürchtet wurden. Anders reagierten viele Großkonzerne insbesondere aus den USA, die – ebenso unbegründet – behaupten, schon DSGVO-konform zu arbeiten. Die Verwaltung ist erst am Anfang eines Anpassungsprozesses. Auch wenn der Sanktionsdruck geringer ist; die Bürger haben mit der DSGVO neue Rechtsinstrumente, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Nicht-Regierungs-Organisationen wollen sie dabei unterstützen. Zunächst ist bei öffentlichen Stellen Fortbildung nötig und in einem zweiten Schritt die DSGVO-konforme Überarbeitung von IT-Verfahren und Prozessen.


Cyber Akademie

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Themenseite in Kooperation mit:

Neues aus der Cyber Akademie

Juli 2018

Angriffsziel Versorgungsnetze (CAk/fl/stb) Cyber-Kriminelle und Hacker im staatlichen Auftrag nehmen Kritische Infrastrukturen immer stärker ins Visier. Vor allem im Energiesektor sind die Herausforderungen groß, wie das KRITIS-Fachforum der Cyber Akademie beim IT-Sicherheitstag Sachsen am 14. Juni 2018 in Dresden zeigte. Unter dem Titel ”Schutz Kritischer Infrastrukturen – (Un-) Sicherheit im Energiesektor?!“ kamen Vertreter aus Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden, der Energiewirtschaft, der Wissenschaft und der öffentlichen Verwaltung beim IT-Sicherheitstag Sachsen im Dresdner Hygiene-Museum zusammen. Erst am Vortag der Konferenz hatte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor einer großangelegten Angriffskampagne auf Energieversorger gewarnt. So informierte das BSI darüber, dass in einigen Fällen Angreifer bereits in die Büronetzwerke von Unternehmen eingedrungen seien und es Hinweise auf Angriffsvorbereitungen zur späteren Ausnutzung gegeben habe. Zuvor war bekannt geworden, dass das Unternehmen Netcom, eine Tochter des Energieversorgers EnBW, schon im Sommer letzten Jahres Opfer eines erfolgreichen Cyber-Angriffs geworden war. Auch wenn dem BSI nach eigenen Angaben derzeit keine Hinweise auf erfolgreiche Zugriffe auf Produktions- oder Steuerungsnetzwerke vorlägen, seien die Vorfälle aber ein deutliches Signal, Systeme noch besser zu schützen, stellte BSI-Präsident Arne Schönbohm klar. ”Diese Entwicklung offenbart, dass es womöglich nur eine Frage der Zeit ist, bis kritische Systeme erfolgreich angegriffen werden können.“ Herkulesaufgabe Ausfallsicherheit Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmer des Forums die gegenwärtige Problemlage. Dr. Thomas Werner, Managing Director der DNV GL Energy Advisory GmbH, stellte die Entwicklungstrends von der ”traditionellen“ zur modernen Energieerzeugung und -verteilung dar. Die Energiewende mit ihrer komplexen, dezentralen Energieerzeugung und -einspeisung

Zentrum für Informationssicherheit Informationssicherheit durch Know-how

September-Seminare 2018 Informationssicherheit nach BSI-Grundschutz und ISO 27001 im Praxisvergleich 04.09.2018, Bonn Incident-Response 04.–05.09.2018, Bonn Robust oder resilient? Wie muss die Energieversorgung von morgen gestaltet werden? Foto: CAk/© masterart2680, stock.adobe.com in die Netze erfordere eine zunehmende Automatisierung der Steuerung. Dr. Bernd Benser, Chief Business Officer der GridLab GmbH, griff diese Trends auf und hob die Herausforderungen, die sich hieraus für die Netzbetreiber und Versorger ergeben würden, hervor. Die zunehmende Vernetzung und Automatisierung führe zu einer wachsenden Verwundbarkeit. Doch gerade der Energiesektor sei die ”kritischste aller Infrastrukturen“, hänge doch jede Kritische Infrastruktur von einer stabilen Stromversorgung ab. Ausfallsicherheit sei somit das herausragende Problem, mit dem sich Politik, Wirtschaft, KRITIS-Betreiber und (Sicherheits-)Behörden auseinandersetzen müssten. Unterstützt wurde dieses Plädoyer von Mario Faßbender vom Landesamt für Verfassungsschutz des Landes Brandenburg. Faßbender bestätigte, dass die Gefahr von Angriffen auf Kritische Infrastrukturen sehr real sei und gab einen praxisnahmen Einblick in die aktuelle Gefährdungslage sowie identifizierte Gruppierungen, von denen Angriffe ausgingen. Von der Robustheit zur Resilienz Ein besonders attraktives Schlupfloch gerade für nachrichtendienstlich gelenkte Sabotage stellen SCADA-Systeme dar. Die Überwachungs- und Steuerungstechno-

logie für Produktions- und Betriebsumgebungen wird überwiegend in westlichen Ländern eingesetzt. Daher eignet sie sich besonders als Angriffsvektor für feindliche Akteure aus Russland, China und dem Iran, wie es auch aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) heißt. Der Schutz der Kritischen Infrastrukturen, besonders der Stromnetze, wird sich angesichts der wachsenden und schnell veränderlichen Herausforderungen nicht mehr allein durch präventive Maßnahmen zur Ausfallsicherheit bewerkstelligen lassen. So fordert der Digitalbranchenverband Bitkom ein Umdenken von der Robustheit zur Resilienz. Da sich erfolgreiche Cyber-Angriffe auf Hochwertziele auch bei sorgfältiger Umsetzung des Sicherheitsmanagements nicht ausschließen lassen, muss zusätzlich sichergestellt werden, dass erfolgreiche Angriffe schnell erkannt und eingedämmt sowie Folgen für das Gesamtsystem und die Versorgungssicherheit bestmöglich kompensiert werden können. Die Cyber Akademie wird den branchenübergreifenden Austausch zum Schutz Kritischer Infrastrukturen im Energiesektor auf der Public IT Security am 10. und 11. September 2018 im Hotel Adlon in Berlin fortsetzen.

(CAk/sl) Auch im Herbst 2018 können Sie die Cyber Akademie wieder auf unterschiedlichen Veranstaltungen rund um das Thema IT-Sicherheit, Datenschutz und Cyber Security in ganz Deutschland antreffen. PITS 2018, Public-IT-Security in Berlin Am 10. und 11. September 2018 findet im Hotel Adlon in Berlin die PITS 2018 statt. Unter dem Motto ”Sicherheit und Risiko – Strategien für eine erfolgreiche Digitalisierung“ ist auch die diesjährige Konferenz Treffpunkt für IT-Verantwortliche von Bund, Ländern, Kommunen, Streitkräften, europäischen Polizeibehörden, Nachrichtendiensten, Nato, den Anbietern von Sicherheitslösungen und der Wissenschaft. Florian Lindemann, Leiter der Cyber Akademie, wird in einem Fachforum u. a. über die Themen Cyber-Sicherheit in Deutschland und ”IT-Security made in Germany“ diskutieren.

2. Jahrestagung Cyber Security Berlin (CyB) Angesichts zunehmender Bedrohungen ist es im Cyber-Raum schwieriger gewor-

Cyber-Sicherheitstag Niedersachsen in Hannover

Certified Data- and Information-Security Manager 10.09.–17.11.2018, Freudenstadt/Schwarzwald Mobile Device Security – Risiken und Schutzmaßnahmen 10.–12.09.2018, Düsseldorf Cyber Defence Simulation Training 11.–13.09.2018, Berlin Belastbare IT-Gutachten erstellen und bewerten 12.09.2018, Berlin Mac-Forensik – digitale Spuren auf Mac Systemen 12.–14.09.2018, Bonn ISMS-Tools im Einsatz 13.09.2018, Berlin Webanwendungssicherheit und Penetrationstests 13.09.2018, Berlin Datenschutz-Praxis – Datenschutzaudits vorbereiten und durchführen 17.09.2018, Bonn IT-Sicherheitsbeauftragte(r) in der öffentlichen Verwaltung 17.–21.09.2018, Bonn Datenschutz-Praxis – IT-Grundlagen für Datenschutzbeauftragte 18.09.2018, Bonn IT-Risikomanagement – Identifikation, Bewertung und Bewältigung von Risiken 18.09.2018, Hamburg Grundlagen der Kryptologie 18.–19.09.2018, Berlin

Cyber-Veranstaltungen im Herbst den, den Überblick zu behalten und Gefahren richtig einzuschätzen. Denn: Nicht nur die Zahl der Attacken auf Unternehmen nimmt zu, sondern auch die Qualität der Angriffe steigt. An diesem Punkt setzt die 2. Jahreskonferenz Cyber Security Berlin (CyB) am 11. und 12. September 2018 an.

Arbeitsrecht in der digitalisierten Arbeitswelt 05.09.2018, Bonn

mit einer 2. BLUFF CITY-Konferenz nach. Die Konferenz wendet sich an alle Zielgruppen, die sich mit zunehmender Akzeptanz und gestiegenem Interesse mit dem Themenkreis ”Social Engineering“ beschäftigen. Neben den klassischen Manipulationsansätzen werden auch die Bereiche Phishing und Desinformation angesprochen, allesamt wichtige Informationssicherheits-Themen der letzten Jahre.

IT-Notfallplanung – vorausschauende Vorbereitung auf den IT-Notfall 19.–20.09.2018, Hamburg IT-Forensik – Spurensuche auf elektronischen Datenträgern 19.–21.09.2018, Berlin Datenschutz-Praxis – Fahrplan für das erste Jahr als Datenschutzbeauftragte(r) 20.09.2018, Bonn KRITIS kompakt – was das BSI von KRITIS-Betreibern fordert 20.09.2018, Bonn

Während beim ersten Cyber-Sicherheitstag Niedersachen 2014 der programmliche Schwerpunkt auf der Vernetzung der Landes- und Kommunalverwaltungen, Sicherheitsbehörden und Betreiber Kritischer Infrastrukturen lag, wird dieses Jahr die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft im Fokus stehen. Denn die aktuelle Bedrohungslage zeigt, dass Cyber-Sicherheit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und es gilt, eine höhere Resilienz im digitalen Zeitalter zu erreichen. Der Cyber-Sicherheitstag findet am 22. Oktober 2018 im HCC Hannover Congress Centrum statt.

LeetCON in Hannover Unter dem diesjährigen Motto “Expedition IT-Security” trifft sich zum dritten Mal die IT-Securityszene am 7. und 8. November im ExpoWal Hannover. Datenschützer, Netzaktivisten, Hacker und IT-Forensiker haben in der niedersächsischen Landeshauptstadt Gelegenheit, über Fragen der technischen und organisatorischen Informationssicherheit zu diskutieren. Am Rande der Konferenz bietet die Cyber Akademie außerdem drei Seminare zu den Themen DSGVO, Sicherheit in Druck- und Dokumenteninfrastrukturen sowie ein Cyber Defense Simulation Training.

Hacking-Methoden in der Praxis: Vorgehen des Angreifers und Schutzmaßnahmen 25.–26.09.2018, Berlin

BLUFF CITY in Köln

Wir würden uns freuen, Sie auf einer der Veranstaltungen zu sehen. Weitere Informationen finden Sie unter www.cyber-akademie.de.

Weitere Informationen zu diesen und anderen Seminaren unter: www.cyber-akademie.de

Nach dem Erfolg der ersten beiden TAKE AWARE-Konferenzen legen die Veranstalter am 16. und 17. Oktober 2018 in Köln

Netzwerk- und WLAN-Sicherheit 25.–27.09.2018, Düsseldorf Personalrat und Datenschutz 27.09.2018, Hannover


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Juli 2018

Wenn der Hahn zugedreht wird

KNAPP Wieder Grenzpolizei für Bayern

Gasmangellage würde Millionen Deutsche treffen

(BS/Marco Feldmann) Bei einer längerfristigen Unterbrechung der Gasversorgung hierzulande müssten über kurz oder lang Polizeidienststellen ihren Betrieb massiv einschränken und (BS/mfe) Die bayerische GrenzKindertagesstätten schließen. Auch könnten fast 20 Millionen Wohnungen nicht mehr beheizt werden. Es gäbe massive Ausfälle in der Fernwärmeversorgung, weil circa 40 Prozent der polizei ist zurück. Im Mittelpunkt so bereitgestellten Wärme auf Basis von Erdgas erzeugt werden. Betroffen wären laut Schätzungen etwa 42 Millionen Bundesbürger. der zunächst 500 Beamten steht Kein Wunder, dass es sich dabei um eines der größten Schreckensszenarien für jeden Katastrophen- und Bevölkerungsschützer handelt. Egal, ob als politisches Druckmittel genutzt oder aufgrund von tatsächlichen Lieferschwierigkeiten oder Förderengpässen: Auch in Gebäuden des Öffentlichen Dienstes, Heiz- und Stromkraftwerken, in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und der Lebensmittelindustrie würden über kurz oder lang Probleme auftreten, prognostiziert der Fachgebietsleiter Versorgungssicherheit Gas beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Christian Sametschek. Irgendwann wären nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens, darunter auch zahlreiche Kritische Infrastrukturen (KRITIS), betroffen, heißt es auch von anderen mit den Vorgängen vertrauten Personen.Gerechnet wird damit, dass etwa jeder zweite Deutsche die Auswirkungen einer Gasmangellage zu spüren bekäme.

Szenario richtig gewählt? Um hierauf möglichst gut vorbereitet zu sein, ist eben dieses Szenario Inhalt der nächsten Länderübergreifenden Krisenmanagementübung (Lükex). Dort wird eine Gasmangellage im süddeutschen Raum simuliert. Ob diese regionale Festlegung sinnvoll war, kann jedoch zumindest kritisch hinterfragt werden. Immerhin meint der BDEW-Experte, dass der Anteil an Erdgas-Zentral- oder -Etagenheizungen sowie erdgasbasierter Fernwärme in den dieses Mal intensiv übenden Ländern Bayern und Baden-Württemberg im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt relativ niedrig sei. Er liege nur bei etwa 30 Prozent, was einem Betroffenenkreis von circa 7,3 Millionen Menschen entspreche. Einen anderen Kritikpunkt spricht der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser an. Der Berichterstatter für den Bereich Katastrophen- beziehungsweise Bevölkerungsschutz im Innenausschuss bemängelt: “Dass sich von 16 Bundesländern ganze sechs gar nicht an der Übung beteiligen, ist ein Schwachpunkt der Lükex 2018.” Er halte es für erforderlich, die Übung und das Szenario so zu gestalten, dass eine Beteiligung für alle Bundesländer attraktiv erscheine. “Denn nur eine bundesweit gut funktionierende Zusammenarbeit kann den bestmöglichen Schutz für die Bevölkerung im gesamten Bundesgebiet gewährleisten.” Und die Sprecherin für Innenpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Irene Mihalic, ergänzt: “Gemeinsame Übungen wie Lükex erfüllen im Föderalismus eine wichtige Funktion, denn im Notfall müssen zu allererst die Kommunikationswege klar sein.” Gerade aufgrund ihrer Bedeutsamkeit dürften die Übungen jedoch nicht zu politischen Inszenierungen missbraucht werden. Auch und gerade die Bundeswehr müsse sich daher im Rahmen solcher Übungen an ihren verfassungsmäßigen Auftrag halten.

Sollte – etwa weil Russland den Hahn abdreht und nichts mehr durch die Pipelines leitet – das Erdgas in Deutschland für längere Zeit knapp werden, hätte das weitreichende Folgen. Nicht nur private Wohnungen, sondern auch Kritische Infrastrukturen (KRITIS) müssten dann schrittweise vom Versorgungsnetz abgekoppelt werden. Das ganze öffentliche Leben käme nach und nach zum Erliegen. Foto: BS/©Funny Studio/Adobe Stock

Sie dürfe keinesfalls “aktiv für eine faktische Militarisierung der Innenpolitik sorgen”. Dies werde keinesfalls geschehen, heißt es aus dem Bundesverteidigungsministerium. Die Aufgaben der Bundeswehr würden sich im Szenario der anstehenden Lükex auf den Bereich der Amtshilfe beschränken. Teilnehmen würden rund 50 Angehörige der Streitkräfte aus Bundesämtern, Führungskommandos der militärischen Organisationsbereiche, der Streitkräftebasis sowie aus Landeskommandos sowie einigen Bezirks- und Kreisverbindungskommandos. Bundesseitig beteiligt sich auch die Bundesnetzagentur (BNetzA) an der diesjährigen Übung. So werden sowohl am Krisenstab der Behörde selbst als auch als Verbindungspersonen an anderen Krisenstäben und an der Übungssteuerung rund 45 Mitarbeiter beteiligt sein. Sie stammen unter anderem aus verschiedenen Referaten der Energieabteilung und aus den Einheiten des Querschnittsbereiches. Dieser setzt sich unter anderem aus Referaten der Zentralabteilung, der IT-Abteilung und dem Leitungsstab zusammen. Die Beschäftigten arbeiten während der Lükex in Krisenteams, die im “Notfallplan Gas” vorgesehen sind. Diese Gruppen setzen sich aus Vertretern von Bund und Ländern sowie der Gaswirtschaft zusammen. Sie werden einberufen, wenn es zu einer Störung der Erdgasversorgung kommt.

BNetzA fungiert als Lastverteiler Darüber hinaus ist im Übungsverlauf die Feststellung der Notfallstufe gemäß des Plans vorgesehen. Dieser Energiesicherungsfall wird per Verordnung der Bundesregierung festgelegt. Dann agiert die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler. Als solcher können ihre Beschäftigten Lastreduzierungen und Abschaltungen durchsetzen, um den lebenswichtigen Energiebedarf zu sichern und folglich die Auswirkungen einer Gasmangellage auf die Bevölkerung möglichst gering zu halten. Einen geringen Übungsanteil hat das Bundesministerium für

Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Dort werden voraussichtlich nur etwa zehn bis 15 Personen aktiv in den Verlauf eingebunden sein. Sie werden in einer Rahmenleitungsgruppe arbeiten. Dort sollen alle für die Übung notwendigen Abläufe abgebildet werden. Besetzt sein wird sie während der Lükex 2018 durch Mitarbeiter der Stabsstelle Krisenmanagement. Fachabteilungen werden, sofern erforderlich, punktuell eingebunden. Ebenfalls mit einer Rahmenleitungsgruppe beteiligt sich das Bundesamt für Güterverkehr (BAG), das zum BMVI-Geschäftsbereich gehört. Des Weiteren beübt das BMVI mit dem BAG während der Lükex in einem eigenen Nebenszenario die Abläufe im Rahmen der Anwendung des Verkehrsleistungsgesetzes.

Nicht alle Ressorts beteiligen sich aktiv Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass sich das Ministerium rein beobachtend und nicht aktiv übend an der diesjährigen Übung beteilige. Man sei fachlich und organisatorisch in die Informationsveranstaltungen eingebunden gewesen, nicht jedoch in die Szenarien-Entwicklung. Ähnlich sieht es beim Bundesgesundheitsministerium aus. Auch dieses nimmt nicht aktiv teil. Gleichwohl werden zwei bis drei Mitarbeiter aus den Bereichen Gesundheitssicherheit und Organisation/Krisenmanagement als Beobachter anwesend sein. Völlig auf die Vorbereitung der Übung beschränkt hat sich die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Von dort haben Mitarbeiter an den Fachtagungen teilgenommen, die im Vorfeld der Lükex stattfanden. Länderseitig beteiligen sich Bayern und Baden-Württemberg als sogenannte intensiv übende Länder an der Übung im November. Sie nehmen mit ihren obersten Krisenstäben teil. Aus dem Freistaat beteiligen sich das Innen- und das Wirtschaftsministerium sowie die Regierungen von Oberbayern und Unterfranken an der Stabsrahmenübung. Aus dem Münchner Innenministerium werden insbesondere Mitglieder der Führungsgruppe Ka-

tastrophenschutz zugegen sein. Ihre exakte Zahl steht aber noch nicht fest. Aus dem Ländle waren keine detaillierten Angaben zur Beteiligung zu erfahren. Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann (CSU) sagt zur Mitwirkung seines Bundeslandes: “Krisen und Katastrophen machen nicht vor Landesgrenzen halt. Deswegen müssen wir im Katastrophenschutz auch länderübergreifend und auf allen Ebenen eng zusammenarbeiten.” Übungen seien dabei ein wichtiges Instrument, um sich auf den Ernstfall vorzubereiten. “Die Lükex-Übungen tragen dazu bei, dass sich Bund und Länder besser auf außergewöhnliche Krisen- und Bedrohungslagen vorbereiten können.” Ähnlich äußert sich der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Dr. Mathias Middelberg. Er meint: “Naturkatastrophen, internationaler Terrorismus, Pandemien oder große Versorgungsausfälle sind Szenarien, die wir uns nicht wünschen, auf die wir uns aber vorbereiten müssen.” Das gelte nicht nur für staatliche Stellen, sondern auch für Unternehmen in der Wirtschaft. Regelmäßige Übungen seien dabei eines der zentralen Instrumente, um sich auf solche Krisen vorzubereiten. Sein SPD-Kollege aus dem Innenausschuss, Sebastian Hartmann, sagt: “Die 2004 ins Leben gerufenen und vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dem BBK, organisierten Lükex-Übungen tragen maßgeblich zur öffentlichen Sicherheit für die Bürger in unserem Land bei.”

Konkrete Drehbucharbeit steht an Die zuständige Abteilungsleiterin im BBK, Dr. Miriam Haritz, berichtet: “Wir befinden uns am Ende der Vorbereitungszeit. Jetzt geht es um die konkrete Drehbucharbeit.” Vorgesehen sei im Szenario, dass am ersten Übungstag die Privatwirtschaft sowie die KRITIS-Betreiber und am zweiten die Auswirkungen auf den Bevölkerungsschutz im Fokus stehen. “Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen.” Zudem wer-

de mit Zeitsprüngen gearbeitet, sodass nach und nach Betriebe und private Haushalte vom Versorgungsnetz abgeschnitten würden. “Grundsätzlich gehen wir bei der Lükex 2018 davon aus, dass zunächst der Markt eine Gasmangellage regulieren kann.” Im Verlaufe der Übung, die aus vier Phasen bestehe und in die zwischen 2.000 und 3.000 Personen involviert seien, gebe es dann jedoch verschiedene Eskalationsstufen, erläutert Haritz. Sie zeigt sich überzeugt: “Am spannendsten sind die Übergänge, bis schließlich die Stufe der Sicherstellungsgesetze erreicht ist.” Als weitere Länder neben den intensiv übenden beteiligen sich Rheinland-Pfalz, Berlin, das Saarland, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, SachsenAnhalt und Hessen. Sie werden jedoch nicht mit Mitgliedern ihrer Krisenstäbe vor Ort in Bad-Neuenahr sein. Auch Niedersachsen war laut Hannoveraner Innenministerium an den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaften und den Themen­tagen beteiligt. Gleiches gelte durch eine Rahmenleitungsgruppe für die Übung selbst, auch wenn es nicht möglich gewesen sei, bei dem zugrundeliegenden Szenario eine eigene Betroffenheit zu erzeugen. Grundsätzlich beteilige sich Niedersachsen aufgrund des hohen Aufwandes, der mit der Planung und Durchführung der Übungen verbunden sei, stets im Wechsel als intensiv übendes Land beziehungsweise mit einer Rahmenleitungsgruppe. Entsprechend werde man sich an der Lükex 2020, bei der ein Cyber-Angriff auf KRITIS simuliert werden soll, wieder als intensiv übendes Bundesland beteiligen, hieß es. Dafür sei bereits mit dem Aufbau einer Vorbereitungsgruppe im Referat für Brand- und Katas­ trophenschutz begonnen worden. Außerdem würden schon erste Vorbereitungsarbeiten geleistet und man nehme an Vorübungen teil. Und aus dem Schweriner Innenministerium war zu vernehmen, dass das Land auch ohne direkte Übungsbeteiligung davon ausgehe, am Erkenntnisaustausch teilzunehmen und die gewonnenen Informationen nutzen zu können.

Vorbereitungen für Lükex 2020 laufen bereits Derweil befindet sich das BBK laut Abteilungsleiterin Haritz parallel zu diesen Vorbereitungen, die über den Lenkungsausschuss zur diesjährigen Lükex politisch koordiniert werden und in dem das Bundesinnenministerium (BMI), das Bundeswirtschaftsministerium sowie Bayern und Baden-Württemberg vertreten sind, bereits in der Planungsphase zur Lükex 2020. Für diese existiert schon eine weitere Projektgruppe Lükex auf Bundesebene. Dazu meint BBK-Abteilungsleiterin Haritz: “Die Zyklen überlappen sich.” Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls plant, sich an der nächsten Lükex zu beteiligen, auch wenn die konkreten Inhalte noch nicht bekannt seien. Gleiches gilt für das BMVI.

die Fortentwicklung der Schleierfahndung. Außerdem sollen die Kontrolldichte sowie die Polizeipräsenz im grenznahen Raum des Freistaates erhöht werden. Bis 2023 ist eine Verdoppelung der Stellenanzahl der Behörde, deren Direktion sich in Passau befindet, auf 1.000 vorgesehen. Die Beamten werden unter anderem mit mobilen Fingerabdruckscannern in den allradfähigen Einsatzfahrzeugen, Drohnen sowie Wärmebild- und Nachtsichtgeräte zur Kontrolle der “grünen Grenze” ausgestattet. Die Verantwortlichen der Grenzpolizei, die es im Freistaat bis 1998 schon einmal gab und die dort damals alle Aufgaben wahrnahm, die inzwischen der Bundespolizei obliegen, sollen auch die nationale Zusammenarbeit mit Bundespolizei und Zoll sowie die grenzüberschreitende Kooperation in den Gemeinsamen Zentren koordinieren. Bei den 500 Beamten, die nun ihren Dienst angetreten haben, handelt es sich um bisherige Schleierfahnder der Landespolizei. Ab 2019 werden jährlich 100 weitere Vollzugskräfte der Landespolizei, zu der die Grenzpolizei gehört, hinzu kommen. Sie besitzen die gleichen Uniformen und Dienstgrade wie ihre Kollegen von der Landespolizei. Auch die Ausbildung ist identisch. Nur das Verbandabzeichen ist ein anderes. Von den rund 100 Grenzübergängen in Bayern werden nur drei stationär von der Bundespolizei kontrolliert. Die Überwachung der übrigen soll künftig in den Aufgabenbereich der Grenzpolizei fallen. Allerdings sind keine stationären Kontrollen vorgesehen.

Mehr Geld für die Bundeswehr (BS/por) Der Etat des BMVg für das laufende Jahr hat die parlamentarischen Hürden genommen. Dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung folgend, wird Deutschland in den kommenden Jahren deutlich mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben. Bereits in diesem Jahr wird der Wehretat gegenüber 2017 um 1,52 Milliarden Euro auf 38,52 Milliarden Euro – d. h. um 4,11 Prozent – steigen. Laut Eckwertebeschluss zum Bundeshaushalt 2019 ist geplant, den Einzelplan 14 im kommenden Jahr auf 41,54 Milliarden Euro – d. h. um noch einmal bemerkenswerte 7,84 Prozent – zu steigern. Gemäß der jetzigen Finanzplanung bis 2022 soll der Verteidigungshaushalt schließlich in vier Jahren 42,68 Milliarden Euro betragen. Das Ziel Zwei-Prozent vom BIP wird jedoch auch damit nicht erreicht werden.

Fast 150 fehlende Bundespolizisten (BS/mfe) Allein in NordrheinWestfalen fehlen 147 Vollzugsbeamte der Bundespolizei, um in allen Revieren zumindest eine Besetzungsquote von 100 Prozent zu erreichen. Das gesteht die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion ein (Drucksache: 19/2966).


Zahlen & Fakten

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Behörden Spiegel / Juli 2018

Kaum noch Selbstversorgung möglich (BS/mfe) Die Bundesrepublik wird im Hinblick auf die Versorgung mit Erdgas immer abhängiger von anderen Nationen, unter anderem durch die North-Stream-Pipelines. Die Importquote nimmt beständig zu. Eingeführt wird das Erdgas unter anderem aus Russland (43 Prozent 2015; BDEW 2016) und den anderen Staaten der früheren Sowjetunion sowie aus Großbritannien und Norwegen. Bei Lieferschwierigkeiten oder politisch motivierten Mengendrosselungen könnte das zu einer gefährlichen Mangellage führen (mehr dazu auf Seite 43). Denn: In der Bundesrepublik gibt es Erdgasförderung nur in Niedersachsen und in geringerem Maße in der Nordsee, in Bayern, im Oberrheintal, im Thüringer Becken und in Sachsen-Anhalt. Zugleich steigt der “Hunger” Deutschlands nach Erdgas. Der Erdgas-Anteil am Primärverbrauch stieg zuletzt um nahezu ein Fünftel.

Primärenergieverbrauch in Deutschland 2017

Erdgasförderung 2017

Veränderung im 1. Quartal 2018 gegenüber dem Vorjahreszeitraum

Braunkohle -1,5 %

Steinkohle -11,8 %

11 %

Kernenergie

11,2 %

+19,7 %

Europa 17,5 %

+29,3 %

Andere

6,1 % Erdgas

Russland (frühere UdSSR) 57,3 %

Amerika 18,4 %

0,4 %

23,7 %

13,2 %

Afrika 6,8 %

Erneuerbare +8,9 %

34,6 % Mineralöl -1,3 % Quellen: Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB), Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat); Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) Stand: Mai 2018

Erdgasbezugsquellen 2007 und 2017 im Vergleich

Quelle: Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e. V.

Erdgasabsatz in Deutschland

Industrie

Importe

Elektrizitätsversorgung

Haushalte

Inländische Förderung

Gesamt 2007: 1.104 Mrd. kWh (davon 917 Mrd. kWh importiert)

Gewerbe, Handel, Dienstleistungen

7% 41 %

10 %

Wärme- und Kälteversorgung

6%

Gesamt 2017: 1.366 Mrd. kWh* (davon 1.333 Mrd. kWh importiert)

2007:

13 %

40 %

9%

946 Mrd. kWh

2017*:

Erdgas wurde in der Vergangenheit u. a. aus den Niederlanden, Norwegen, aus Russland (frühere UdSSR) sowie dem Vereinigten Königreich und Dänemark importiert. Seit 2016 werden Importe aus Datenschutzgründen nicht mehr nach Ursprungsländern

15 %

29 %

975 Mrd. kWh

ausgewiesen. Quellen: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW); Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)

Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) Stand: Februar 2018

*vorläufige Zahlen

Monatlicher Erdgasverbrauch in Deutschland

30 %

*vorläufige Zahlen

Rohrnetzlängen der Gasverteilnetzbetreiber

Mrd. kWh

140

Prozentangaben: Veränderung zum Vorjahresmonat

2017 2018 10-jähriges Mittel

120 100

2017*:

488.700 km

80

2007:

60

416.568 km

40 20 0

Jan

Feb

Mrz

Apr

Mai

Juni

Juli

Aug

Sep

Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) Stand: Mai 2018

Illustration: BS/Liesegang unter Verwendung von © dikobrazik, adobe.stock.com; © cunico, Fotolia.com; © credon2012, adobe.stock.com Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.

Okt

Nov

Dez

*vorläufige Zahlen, teilweise geschätzt Quelle: Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW)


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Juli 2018

Ein gemeinsames Datenhaus entsteht

KOMMENTAR

Digitaler Neustart für die deutsche Polizei

Ein Medium für politische Schönfärberei (BS) Alle Jahre wieder das glei­ che Prozedere. Zuerst treten die Innenminister der Länder und schließlich der Bundesinnen­ minister gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Innenminis­ terkonferenz vor die Presse und stellen die Polizeiliche Kriminal­ statistik (PKS) für das vergange­ ne Jahr vor. Viele Zahlen zeigten eine erfreuliche Entwicklung, heißt es dann, die ergriffenen Maßnahmen würden Früchte tragen. Die Polizei mache einen guten Job. Den Bürgern dieses Landes wird in schöner Regel­ mäßigkeit versichert, dass sie sich in Stadt und Land sicherer fühlen können. Aus weniger re­ gistrierten Straftaten leitet die Politik gar ab, dass eine weitere Verbesserung der Sicherheits­ lage zu verzeichnen ist. Dabei ist die PKS lediglich ein Arbeits­ nachweis der staatlichen Straf­ verfolgungsorgane und hat mit der tatsächlichen Sicherheits­ lage im Land nichts gemein. Sie weist nämlich nur einen Bruchteil des tatsächlichen Kriminalitätsgeschehens im Land aus. Dabei handelt es sich ausschließlich um die der Polizei bekannt gewordenen, in Deutschland begangenen Straf­ taten, die angezeigt werden oder die die Polizei durch eige­

ne Kontrolltätigkeiten feststellt (Hellfeld). In der PKS nicht ent­ halten sind unter anderem alle Straftaten, die unmittelbar der Staatsanwaltschaft angezeigt werden, alle politisch motivier­ ten Straftaten und die im Inter­ net vorwiegend aus dem Aus­ land begangenen Betrügereien sowie die Vielzahl jener Delikte, die im sogenannten Dunkelfeld begangen werden. Allein dieses dürfte um den Faktor vier höher liegen als die in der PKS regis­ trierten Fälle. Die Beweggründe, dass Straf­ taten bei der Polizei nicht an­ gezeigt werden, sind vielfältig. Zudem entziehen sie sich jedwe­ den Einflussmöglichkeiten und unterliegen starken Schwan­ kungen. Gleiches gilt für die Kontrolltätigkeit der Polizei. Da aber der Anteil der Straftaten, die der Polizei im Rahmen ihrer Kontrolltätigkeit bekannt wer­ den, deliktsabhängig lediglich zwischen zwei und zehn Prozent der in der PKS insgesamt regis­ trierten Fälle beträgt, dürften sich die Auswirkungen dieser Schwankungen in Grenzen halten. Kritischer zu beurteilen sind jene in letzter Zeit zuneh­ menden Fälle, in denen Polizei vor der Kriminalität kapituliert und daher bestimmte Strafta­

ten überhaupt nicht mehr zur Anzeige kommen. Aussagen zur Kriminalität und Interpretationen von Trends auf Basis der PKS-Daten sind schlichtweg unseriös, da einer gemäß PKS niedrigen Deliktzahl eine hohe Dunkelziffer gegen­ übersteht. Während die PKS für das Jahr 2017 insgesamt 5,76 Millionen Straftaten ausweist, geht die Wissenschaft aufgrund von Erkenntnissen aus der Dun­ kelfeldforschung und von Hoch­ rechnungen von mindestens 20 bis 25 Millionen Straftaten aus. Zwischen der Realität und der von der Politik interpretierten PKS klafft also eine erhebliche Lücke. Um der Politik wieder mehr Glaubwürdigkeit zurückzuge­ ben und die politische Schön­ färberei einzudämmen, bedarf es einer validen wissenschaft­ lich fundierten Einschätzung der Sicherheitslage. Eine über die PKS hinausgehende Sicht­ weise unter Einbeziehung des Dunkelfeldes ist daher dringend angezeigt. Hierzu bieten sich in besonderer Weise periodisch er­ scheinende Sicherheitsberichte (PSB) an, wie sie von der Fach­ welt seit Langem gefordert wer­ den. Gerd Lehmann

MELDUNG

Weniger politisch motivierte Taten in Nordrhein-Westfalen (BS/mfe) Im bevölkerungs­ reichsten deutschen Bundes­ land Nordrhein-Westfalen hat die Zahl der rechts- und links­ extremistisch motivierten Straf­ taten im vergangenen Jahr abgenommen. Im Bereich des Rechtsextremismus beträgt das Minus knapp 20 Prozent. Beim Linksextremismus waren es gut zwölf Prozent Minus. Das geht aus dem neuesten Verfassungsschutzbericht her­ vor, den Innenminister Herbert Reul (CDU) vorstellte. Wurden 2016 noch 4.700 Straftaten mit rechtsextremistischer Motivati­ on aktenkundig, waren es im letzten Jahr “nur” noch 3.764. Im Bereich der linksextremis­ tisch motivierten Kriminalität waren es 2016 1.576 Delikte und im abgelaufenen Kalender­ jahr 1.374. “Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht. Aber leider bedeutet diese erfreuliche

Entwicklung keine Entwar­ nung”, erklärte der Ressortchef. Reul verwies auf die Anstiege im Zehn-Jahres-Vergleich. “Da liegen wir in beiden Extremis­ musbereichen nach wie vor auf erschreckend hohem Niveau. Wir müssen also weiter sehr wachsam bleiben”, forderte der Christdemokrat. Darüber hinaus befindet sich Nordrhein-Westfalen weiterhin im Fokus von Islamisten. Zwi­ schen Rhein und Ruhr leben 3.000 extremistische Salafis­ ten, davon zwölf Prozent Frau­ en. Auch die Anschlagsgefahr ist unverändert hoch. Hierzu sag­ te Reul: “Spätestens seit dem Rizin-Fund in Köln ist klar: Wir müssen leider auch bei uns mit einem solchen Anschlag rech­ nen. Jederzeit. Überall.” Sor­ gen würde ihm in diesem Zu­ sammenhang die hohe Zahl an Rückkehrern aus den ehema­

ligen Kampfgebieten des soge­ nannten “Islamischen Staates” (IS) machen. Ein wichtiges Thema für den nordrhein-westfälischen Ver­ fassungsschutz bleibe Spiona­ ge. Ausländische Nachrichten­ dienste zeigten weiterhin großes Interesse an Informationen zu Politik, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Neben der klassischen Infor­ mationsbeschaffung setzten sie zunehmend auf digitale Aus­ spähung. So gebe es Cyber-At­ tacken sowie Versuche der ver­ deckten Kontaktaufnahme zu Mitarbeitern in Sozialen Medien. Das Internet werde außerdem verstärkt für Desinformation und Propaganda genutzt. Reul verlangte: “Unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung muss wehrhaft bleiben. Wir müssen sie mit allen Mitteln des Rechtsstaats verteidigen.”

(BS/Andreas Lezgus*) Das Bundeskriminalamt (BKA) arbeitet mit dem Programm “Polizei 2020” daran, die Digitalisierung der deutschen Polizei voranzutreiben. Ziel ist eine gemeinsame digitale Plattform, auf die alle Polizisten und Polizistinnen in Deutschland Zugriff haben. Die Suche nach einer passenden App ist für viele Menschen heu­ te selbstverständlich: Für den Urlaub wird eine Navigationsan­ wendung heruntergeladen, zur Gedächtnisstütze ein digitales Notizbuch angeschafft, das Taxi wird per Smartphone bestellt. Was privat seit einigen Jahren möglich ist, wird künftig auch für die Polizei gelten: Vernetzt und digital werden die Beamten arbeiten, ausgerüstet mit Spe­ zialanwendungen, die auf einer zentralen digitalen Plattform be­ reitstehen. Jede Polizistin und jeder Polizist soll rund um die Uhr auf diejenigen Informatio­ nen Zugriff haben, die für sie oder ihn wichtig sind – ob per Computer, Tablet oder Smart­ phone. Dafür ist eine Neuor­ ganisation der polizeilichen IT notwendig. Ein Großprojekt, für das die Federführung beim Bun­ deskriminalamt liegt. Ziel ist die Schaffung eines ge­ meinsamen Datenhauses auf Basis einer zentralen digitalen Plattform der deutschen Polizei. Das Datenhaus soll allen Polizei­ dienststellen in ganz Deutsch­ land zur Verfügung stehen. Die Behörden können dort wie in einem “App Store” nicht nur auf verschiedene Anwendungen zu­ greifen, die sie für ihre tägliche Arbeit brauchen. Vielmehr soll das neue System auch einen ver­ besserten Datenaustausch zwi­ schen den Polizeien von Bund und Ländern ermöglichen.

Projekt erfordert viel Vorarbeit Schneller, flexibler und ef­ fektiver soll dieser Austausch werden, natürlich immer unter Beachtung des Datenschutzes, der höchste Priorität hat. Ein gemeinsames Datenhaus hilft bei der alltäglichen Verkehrs­ kontrolle genauso wie in der Ter­ rorabwehr. Mein Team arbeitet derzeit daran, die Weichen für dieses IT-Mammutprogramm zu stellen. Denn bevor das Da­ tenhaus “gebaut” und die erste App heruntergeladen werden kann, ist jede Menge Vorarbeit nötig. Wir wollen alle mitneh­ men, sowohl den Bund als auch die Länder. Und das bedeutet Gremienarbeit. Regelmäßig wird in der Innenministerkonferenz

über das Projekt beraten, in verschiedenen Arbeitskreisen, Bund-Länder-Arbeitsgruppen sowie polizeilichen Gremien stellen wir unser Konzept vor und informieren über bereits er­ zielte Fortschritte.

Agilere Modelle ausprobieren Das Programm firmiert dabei unter dem Arbeitstitel “Polizei 2020”. Ein zeitlicher Bezug, der aber nur einen Schritt in einem langfristig angelegten Prozess markiert. Wir hoffen, dass wir bis 2020 schon erste erfolg­ reiche Schritte und Lösungen in Bund und in den Ländern gemeinsam umsetzen können. Aber die Anpassungen der in der letzten Dekade entstandenen, sehr komplexen IT-Lösungen in allen Ländern erfordern sicher­ lich mehr Zeit. Wichtig ist jedoch bereits jetzt, dass wir die Art und Weise der gemeinsamen Lö­ sungsentwicklungen neu den­ ken und agilere Vorgehensmo­ delle ausprobieren. Noch stehen wir am Anfang, denn die große Herausforderung ist es, allen ge­ recht zu werden. 16 Landeskri­ minalämter, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt, die Polizei des Bundestages und natürlich auch das BKA müssen sich auf die konkreten Anwendungen und Inhalte des gemeinsamen Datenhauses einigen. Erst dann kann die genau dazu passen­ de IT angeschafft und der “App Store” der Polizei Wirklichkeit werden. Den Übergang zu einer zen­ tralen digitalen Plattform wollen wir so gleitend wie möglich ge­ stalten. Bestehende IT-Systeme sollen daher schrittweise in das neue System integriert wer­ den. Was sich bewährt hat, soll auch künftig eingesetzt werden. Gleichwohl soll die Plattform auch ein Motor für Innovationen sein. Neuerungen können im Datenhaus künftig allen Polizei­ en des Bundes und der Länder zur Verfügung gestellt werden. Das ist nicht nur effektiver, son­ dern spart auch Kosten. Ein­ sparpotenzial besteht für Bund und Länder darüber hinaus bei der Infrastruktur: Ist ein zentra­ les Datenhaus etabliert, müssen sie für polizeispezifische Anwen­ dungen nicht mehr Unmengen

Profi-Sprechstellen schützen bei Übergriffen

I

n Zeiten von Übergriffen und Terroranschlägen wird die Ar­ beit in Behörden und Ämtern oft von einem mulmigen Gefühl begleitet. Ausgangspunkt der Angst ist das subjektiv empfun­ dene Risiko im Job, beispiels­ weise durch gewalttätige Klien­ ten oder andere Gefährder. Was viele Arbeitnehmer nicht wissen: In Deutschland ist jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, für jeden angebotenen Arbeits­ platz eine individuelle Gefähr­ dungsanalyse anzufertigen. Der Bund, die Länder oder die Kommunen bilden dabei keine Ausnahme. Im Rahmen dieser Untersuchung gilt es auch, die Mitarbeiter zu subjektiv emp­ fundenen Bedrohungsszenari­ en zu befragen. Stellt sich dabei heraus, dass es im Joballtag zu Situationen kommen kann, in denen die Kollegen Angst um ihre Unversehrtheit haben müssen, ist der Arbeitgeber gezwungen, zu handeln und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Orientierung bietet hier seit drei Jahren die DIN VDE V 0827. Das Regelwerk, das derzeit auch als Vorbild für eine europäische Norm herhält, gibt Hinweise zu geeigneten einrichtungstechni­ schen und baulichen Lösungen.

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Deutsches Arbeitsschutzgesetz verpflichtet auch Behörden (BS/Michael Schenkelberg*) Das deutsche Arbeitsschutzgesetz schreibt Unternehmen und Behörden vor, ihre Mitarbeiter vor allen beruflichen Risiken in Bezug auf Leib und Leben zu schützen. Wie moderne Kommunikationstechnik dazu einen wichtigen Beitrag leisten kann, zeigt eine neue Generation an ausfallsicheren Sprachterminals. Die Geräte bieten auch Schutz in unvorhersehbaren Gefahrensituationen.

Flexibel angepasst an die Situation: Im Bedarfsfall kann aus der Sprechstelle in Sekundenbruchteilen ein Fluchtweg-Terminal werden.

Neue Innovation Ein gutes Beispiel für norm­ gerechte und zukunftssichere Risiko- und Gefahrenkommu­ nikation sind ausfallsichere Intercom-Sprechstellen. In diesem Segment tut sich von Herstellerseite einiges, erst

Fotos: BS/Schneider Intercom

Die “ID5” entfaltet sowohl an der Wand als auch am Arbeitsplatz oder an Tischen Wirkung.

kürzlich hat hier das österrei­ chische Spezialunternehmen Commend eine neue Innovation vorgestellt. Dabei geht es um ein Intercom-Sprachterminal mit Touch-Oberfläche, das be­ sonders effektiven Schutz ver­ spricht – auch vor unvorher­ sehbaren Gefahrensituationen.

Das besagte Modell, die neue “ID5”, ist in Deutschland aus­ schließlich über das deutsche Partnerunternehmen Schneider Intercom aus Erkrath erhältlich und bietet vor allem eines: Fle­ xibilität. Denn insbesondere dank einer intuitiv gestalteten Benutzeroberfläche empfangen

die Anwender Sprachrufe aus verschiedenen Quellen komfor­ tabel aus nur einem Ausgabe­ gerät. Türzugänge oder Zufahr­ ten zum Gebäude lassen sich so problemlos und einfach steuern. Gut für die Praxis: Aus einer Sammlung verschiedener Icons können verschiedene Bild­ schirm-Designs erstellt werden. Klein oder groß, numerisch, alphabetisch oder mit Bildern – das Layout des fünf Zoll gro­ ßen Touch-Displays ist somit an alle individuelle Bedürfnisse anpassbar.

Szenarios für jeden Notfall Ebenfalls bemerkenswert: Die “ID5”-Sprechstelle unterschei­ det zwischen dem Normalbetrieb und der Nutzung in einer Krisen­ situation. Je nachdem, welche Krisensituationen innerhalb ei­ ner Behörde oder eines Amtes auftreten können, werden bei der Installation des Systems entsprechende Szenarien fest­

von Speicherkapazitäten vor­ halten. Auch Wartung und Be­ trieb des Systems laufen zentral. Doch es geht nicht nur um die Kostenersparnis bei dieser Zen­ tralisierung. An erster Stelle ste­ hen der verbesserte Datenaus­ tausch und der Datenschutz. Derzeit wird für den Datenaus­ tausch in Bund und Ländern das “Informationssystem der deut­ schen Polizei” (INPOL) genutzt. Es ist ein komplexes System mit einer Vielzahl von Anwendun­ gen und verschiedenen Daten­ banken. Die Beamten speichern dort ihre Erkenntnisse ab, nut­ zen das System für Fahndungen oder für die Analyse komplexer Sachverhalte. Zwar können alle Polizisten aus Bund und Län­ dern auf diese Daten zugreifen, doch es gibt gleich mehrere Fall­ stricke. So werden die Daten in verschiedenen Dateien gespei­ chert. Dies führt dazu, dass ei­ ne Person in mehreren Dateien registriert sein kann. Doch das System kann keine Verknüp­ fungen zwischen diesen Dateien herstellen, erkennt auch nur be­ dingt Eingabefehler. Das kann bei Ermittlungen fatal sein, ge­ rade wenn phänomenübergrei­ fende Aspekte eine Rolle spielen, wie etwa bei der Terrorabwehr. Nur ein gemeinsames zentrales Datenhaus kann diese Probleme beheben und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, auf neue nati­ onale oder auch internationale Herausforderungen flexibel und schneller zu reagieren. Auf Basis standardisierter Datenstruktu­ ren und offener Schnittstellen lassen sich im “App-Store” nicht nur bestehende Systemanwen­ dungen zusammenführen, auch neue Apps können für die Nut­ zer unkompliziert bereitgestellt werden. Dass davon alle Poli­ zeidienststellen in Deutschland profitieren würden, davon ist nicht nur das Bundeskriminal­ amt überzeugt. Die Rückmel­ dungen aus Bund und Ländern sind positiv. Uns eint die Über­ zeugung, dass eine Modernisie­ rung des polizeilichen IT-Sys­ tems ganz oben auf der Agenda stehen muss. * Andreas Lezgus ist beim BKA das Projekt “Polizei 2020” verantwortlich.

gelegt. Beispiel: Tritt ein Notfall ein, reicht ein kurzer Befehl des Krisenteams oder des zustän­ digen Risikomanagers aus, da­ mit alle installierten Endgeräte ihre Displays passend auf die jeweilige Anforderung umschal­ ten. Benötigen die Angestellten beispielsweise ein visuelles Leit­ system zu einem Notausgang, werden die Geräte in Sekun­ denbruchteilen zu FluchtwegTerminals. Die Verständlichkeit von Anweisungen soll dabei auf­ grund hochwertiger UHD-Au­ diotechnik stets garantiert sein. In diesem Zusammenhang ist auch die vielseitige Platzierung der Geräte ein Faktor. Durch das kompakte Design ermöglicht die von Schneider Intercom vertrie­ bene Lösung eine Vielzahl ver­ schiedener Anwendungen, etwa die klassische Wandmontage oder die Platzierung auf Tischen oder an Arbeitsplätzen. So erhal­ ten Ämter und Behörden ein Si­ cherheitssystem für alle Zwecke aus einem Guss. *Michael Schenkelberg ist Vertriebs- und Marketingleiter bei der Schneider Intercom GmbH. Weitere Informationen unter: www.schneider-intercom.de


Innere Sicherheit

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udem machte er deutlich, dass jeder Angriff auf Vollzugsbeamte eine Attacke auf die Gesellschaft sei. Denn: “Polizisten sind nicht der Mülleimer der Nation.” Darüber hinaus unterstrich der Christdemokrat: “Wir sind mitten in der Digitalisierung.” Für die polizeiliche Arbeit habe dies zur Folge, dass nichts mehr privat sei und es noch mehr Transparenz brauche. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, würden die Social-MediaTeams der sächsischen Polizei künftig verstärkt. Außerdem kämen in diesem Jahr 100 zusätzliche Bundespolizisten und 2019 250 weitere im Freistaat zum Einsatz. Grundsätzlich machte der Dresdner Innenminister klar, dass der Kampf gegen Gewalt, Radikalisierung und Extremismus nicht nur eine polizeiliche, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Des Weiteren müsse der Staat überall und jederzeit in der Lage sein, den Rechtsstaat durchzusetzen. “Wir brauchen einen starken und sich selbst beschränkenden Staat”, verlangte Wöller.

Bürgernähe notwendig Für diese Forderung erhielt der Innenminister Zuspruch vom sächsischen GdP-Landesvorsitzenden Hagen Husgen. Auch er konstatierte, dass das Dulden von Kriminalität zu gesellschaftlicher Spaltung und Unmut bei den Bürgern führe. Damit die Beamten ihre Arbeit effektiv machen könnten, brauche es eine große Bürgernähe sowie eine gute Ausund Fortbildung. Zudem komme es auf ein zeitgemäßes Polizeirecht an, das nicht zwangsläufig eine Kennzeichnungspflicht für die Beamten beinhalten müsse. Denn eines sei klar: “Gewalt macht nicht vor der Polizei halt.” Außerdem unterstrich Husgen: “Gewalt, Radikalisierung und Extremismus sind Herausforderungen für die Polizei.” Und das nicht nur in Deutschland, son-

Polizei vor völlig neuer Lage Deradikalisierung und Extremismusprävention fordern zahlreiche Akteure

Keinerlei Spuren feststellbar Anders als anfänglich behauptet, waren in seiner Wohnung tatsächlich keinerlei Spuren von Rizin feststellbar. Nur das von ihm handgeschriebene Rezept zur Herstellung des Giftes konnte ihm vorgeworfen werden. Selbst die geplante Tatausführung (Bestreichen von Türgriffen im öffentlichen Raum) wäre fehlgeschlagen, da Rizin nicht über die Haut aufgenommen werden kann.

Beamten. So bräuchten sie etwa modernste stich- und schusssichere Westen. Zudem müsse der bestehende Strafrahmen bei Angriffen ausgeschöpft werden.

(BS/Marco Feldmann) Die Sicherheitssituation hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Das sieht auch Sachsens Innenminister Prof. Linken-Fraktion befürchtet Aufweichung Dr. Roland Wöller (CDU) so. Er betonte auf dem Dresdner Polizeitag, den der Behörden Spiegel zusammen mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP) veranstaltet: “Wir haben eine völlig neue Lage, die bei der Polizei durchschlägt.” So gebe es öfter Gewaltexzesse gegen Polizisten und Bedrohun- Enrico Stange von der Linken gen der Beamten in deren Privatleben, kritisierte der Ressortchef. wiederum verlangte, Möglichkeiradikalisierte Personen vor ihrem Abdriften in den Extremismus oftmals bereits kriminell und polizeilich auffällig geworden seien.

Dreiklang vonnöten

Verlangte eine große Bürgernähe der Polizei sowie ein zeitgemäßes Polizei­ recht: Hagen Husgen, sächsischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Fotos: BS/Feldmann

Sachsens Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller (CDU) sieht Polizisten deutlich öfter als früher Gewalt ausgesetzt. Diese offenbar niedrigere Schwelle für Attacken auf Vollzugsbeamte dürfe aber keineswegs hingenommen werden.

dern europaweit. Auf die entsprechende Gefahrenlage im Freistaat gingen Lutz Rodig, Referatsleiter für Kriminalitätsbekämpfung im Dresdner Innenministerium, und Gordian Meyer-Plath, Chef des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), ein.

islamistisch-salafistischen Spektrum drohe ebenfalls Gefahr. Es gebe aktuell 390 Islamisten und rund 200 Salafisten in Sachsen, erläuterte Meyer-Plath. Auch diese beiden Milieus seien äußerst heterogen. Gleichwohl eine alle ihre Mitglieder, dass sie religiöse Begriffe aufladen würden und es sich zum Ziel gesetzt hätten, eine islamistische Herrschafts- und Gesellschaftsordnung zu schaffen. Und die Salafisten verbinde, dass sie in einer Parallelgesellschaft lebten, so der Dresdner LfV-Präsident. Dabei hätten Radikalisierungsprozesse heutzutage kaum mehr noch nur einen einzigen Auslöser. In aller Regel seien sie multikausal bedingt, unterstrich Sven Forkert, Geschäftsführer des Landespräventionsrates Sachsen. Zudem machte er deutlich, dass

Keine Monokausalität So berichtete Rodig, dass Ende letzten Jahres 1.317 Personen in Sachsen der Reichsbürgerszene zugeordnet worden seien. Darunter hätten sich auch 79 Rechtsextremisten befunden. Seit 2012 seien die Mitglieder der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene, die keineswegs homogen sei, im Freistaat mit 1.759 Straftaten auffällig geworden. Auch im Bundesvergleich sei der Anteil der Reichsbürger mit 8,3 Prozent besonders hoch. Aus dem

Daher bedürfe es eines Dreiklangs aus Prävention, konsequenter Reaktion und Repression, unterstrich Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD). Und es müssten unterschiedliche Akteure, da­ runter unter anderem Polizeien, Sportvereine und Kirchen, miteinander kooperieren, war sie sich mit Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und dem Ersten Bürgermeister Dresdens, Detlef Sittel (beide CDU), auf dem Deutschen Präventionstag einig. Des Weiteren brauche es in diesem Bereich ein Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamt, ergänzte Melanie Blinzler vom Präventionsrat Oldenburg. Sie verlangte: “Wir müssen die Fäden verbinden und uns alle verantwortlich fühlen.” Hierfür erhielt sie Zustimmung von Florian Gruber vom Bundeskriminalamt (BKA). Er unterstrich: “Extremismusprävention ist keine One-Man-Show, sondern eine Zusammenarbeit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.” Polizei und Verfassungsschutz seien hier jeweils nur ein Akteur unter mehreren. Ähnlich äußerte sich der Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, Frank Nürnberger. Er forderte gut strukturierte Präventionsangebote auf allen staatlichen Ebenen sowie in allen Lebensphasen und stellte klar:

“Repression allein hilft nicht.” Vielmehr müsse es auch Tertiärprävention, also Angebote für bereits aktive Radikale, geben. Bei all diesen Bemühungen müssten immer drei Grundbedingungen berücksichtigt werden, ergänzte der hessische Generalstaatsanwalt Prof. Dr. Helmut Fünfsinn. Dies seien die Gewaltbereitschaft von (möglichen) Tätern, deren hohe Vorurteilsneigung und der Druck der Peer Group auf sie. Auf ein grundsätzliches Problem wies jedoch Katharina Leimbach von der Leibniz-Universität Hannover hin: “In jedem Bundesland wird Prävention anders verstanden.”

Gesamtgesellschaftliches Problem angehen Das müsse sich ändern, verlangte Albrecht Pallas. Schließlich handele es sich bei Übergriffen auf Polizeivollzugsbeamte und dem abnehmenden Respekt gegenüber Vertretern des Staates um ein gesamtgesellschaftliches Problem, so der SPD-Politiker aus dem Innenausschuss des Dresdner Landtages. Hier war er sich sogar mit seinem Kollegen Sebastian Wippel von der AfD einig. Beide verlangten auch keine Strafverschärfungen bei Attacken auf Polizisten. Vielmehr komme es darauf an, keine Abstriche in der Aus- und Fortbildung der Beamten zu machen, meinte Pallas. Einen anderen Schwerpunkt legte Wippel. Er plädierte für den Einsatz von Body-Cams und Distanzelek­ troimpulsgeräten sowie einen angemessenen passiven Schutz der

Keine rein staatliche Domäne mehr

B

ei Polonium 210 etwa reichen bereits zwölf Millionstel Gramm dieses Zerfallsproduktes von Uran aus, um einen Menschen zu töten. Im Januar 2003, als die britische Polizei verkündete, bei einer Al-QaidaTerrorzelle Rizin-Spuren und eine breite Palette von Gegenständen zur Herstellung einer chemischen Bombe gefunden zu haben, war die Welt, so kurz nach 9/11, erneut geschockt. Der Hauptangeklagte, ein Algerier, war zur Tatzeit 29 Jahre alt und 2000 nach England geflüchtet. Sein Name wurde vom Gericht als Kamel Bourgass festgelegt. Er hatte so viele Identitäten, dass selbst bei dieser Verhandlung keine eindeutig ermittelt werden konnte. 2003 erstach er bei einem Fluchtversuch in Manchester einen Polizeibeamten und erhielt dafür eine lebenslange, mindestens 22-jährige Freiheitsstrafe. Wegen versuchten Giftund Sprengstoffanschlags wurde Bourgass im April 2005 zu einer weiteren 17-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seinem Rizin­ anschlag soll er geplant haben, die Londoner und die britische Bevölkerung im Allgemeinen in Angst und Schrecken zu versetzen und so viele Menschen wie möglich zu töten.

Behörden Spiegel / Juli 2018

Auch Terrororganisationen nutzen CBRN-Waffen (BS/Uwe Kranz) Rizin und radioaktives Polonium 210 sind tödliche Stoffe und äußerst gefährlich. Das zeigen verschiedene Attentate. Insbesondere die britische Hauptstadt London scheint diesbezüglich ein gefährliches Pflaster für Dissidenten und geradezu eine Laborwerkstatt oder ein Versuchsfeld für technisch höchst anspruchsvolle Formen ihrer Liquidierung zu sein.

Der Terrorexperte des ­B ehörden Spiegel, Uwe Kranz, warnt vor der Nut­ zung von CBRN-Waffen durch ­Organisationen wie den ­Daesh.

Foto: BS/Dombrowsky

Der Fall Bourgass dient in Deutschland heute eher als Fallbeispiel für eine “drohende Gefahr”, wie sie schon 2016 vom Bundesverfassungsgericht postuliert wurde und aktuell in Bezug auf die Neugestaltung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes diskutiert wird. Als ein Warnzeichen oder gar Alarmsignal für Terrorattentate mit biologischen Waffen taugt dieser Fall nicht. Die Lage änderte sich jedoch mit dem Auftritt der Terrororganisation Daesh, schon mit ihrer ersten Vorläuferorganisation Al-Qaida im Irak (AQI), die von Abu Musab al-Zarqawi angeführt wurde. Ab 2003 ließ dieser eine Serie von Bombenanschlägen im marokkanischen Casablanca mit insgesamt 45 Toten und mehrere Lkw-Bombenanschläge in Istanbul mit 57 Toten durchführen. Ein geplanter Groß-Anschlag im April 2004 im jordanischen Amman konnte rechtzeitig vereitelt werden. Unter al-Zarqawis Kommando planten Terroristen also spätestens seit 2003 den Einsatz “schmutziger Bomben”,

chemischer und biologischer Waffen. Ein Drohneneinsatz beendete 2006 im Jemen das Leben al-Zarqawis und damit auch – zumindest vorerst – das der treibenden Kraft, CBRN-Waffen in Terroranschlägen zu nutzen.

Bisher wohl kein Einsatz biologischer Waffen in “Syrak” Anhänger des syrischen Machthabers Baschar al-Assad sollen für die Sarin-Attacke in Ghuta im August 2013 verantwortlich gewesen sein. Dieser Anschlag und die vermehrt in den Sozialen Medien erscheinenden Rezepte und Produktionsanleitungen zur Herstellung chemischer oder biologischer Waffen lenkten den Blick der Anti-Terrorexperten erneut auf diese Massenvernichtungswaffen. Als der Daesh 2014 große Teile des Iraks und Syriens übernahm, fielen ihm natürlich auch Produktionsstätten und Bestände chemischer und biologischer Waffen ebenso in die Hände, wie er Experten und Sachverstand anwerben, verpflichten und einsetzen konnte. Ohne zu zögern, nutzte er schon 2015 Senfgas gegen kurdische Einheiten und soll auch später zu chemischen Waffen gegriffen haben. Ein Einsatz biologischer Waffen in “Syrak” oder in anderen Terror-

regionen ist bis jetzt noch nicht dokumentiert worden. Es bleibt festzuhalten, dass der Daesh seit über einem Jahrzehnt auf den CBRN-Waffeneinsatz fokussiert ist. Staaten könnten sich eigentlich nicht ausreichend gegen derartige Anschläge wappnen, sie auch nicht wirksam präventiv bekämpfen. Nach einem CBRNAnschlag wäre die Wirkkraft verheerend. Es käme zu großen ökonomischen Verlusten in den attackierten Staaten. Ein einziger Anschlagserfolg hat zudem einen extrem hohen medialen Werbeeffekt für die Terroristen. Und das alles bei einem verhältnismäßig kleinen eigenen Einsatz. CRBN-Waffen versprechen eine strategisch bedeutsame KostenNutzen-Relation für die Terroristen. Selbst erfolglose Anschläge befeuern das Medieninteresse weltweit. Kein Wunder, dass diese “Anregungen” in den Szialen Medien auch Nachahmer finden. Mitte Mai bestellte der Tunesier Sief Allah H. im Internet Samen der Rizin-Pflanze sowie Chemikalien und weitere Gegenstände, die zum Bau einer explosiven botanischen Waffe erforderlich sind. Aufgrund eines Hinweises eines amerikanischen Nachrichtendienstes wurde er zunächst vom Verfassungsschutz beobachtet und später von den Strafverfolgungsbehörden in seiner Wohnung in Köln-Chorweiler festgenommen. Es ist schon bemerkenswert, dass Sief. Allah H. 2017 zweimal erfolglos versucht haben soll, in das “syrakische”

Reich des Daesh einzureisen. Erfolglos, weil er an aufmerksamen türkischen Beamten scheiterte, welche auch die deutschen Behörden ordnungsgemäß informierten. Warum er danach nicht mindestens als “Gefährder” eingestuft wurde, wird noch zu prüfen sein.

Rein polizeiliche Maßnahmen nicht mehr ausreichend Bei der Durchsuchung seiner Wohnung sind über 3.300 Samen gefunden worden. Das reicht aus, um einige Tausend tödliche Dosen herzustellen, die über Nahrungsmittel, Getränke oder als Aerosol verbreitet von größeren Menschengruppen aufgenommen werden könnten. Die Folgen wären fürchterlich. Im Falle eines solchen Anschlags auf ein Fußballstadion in Deutschland reichen rein polizeiliche Maßnahmen nicht aus, um die Lage zu bewältigen. Der EU-Kommissionsbericht zur Anti-Terror-Lage aus dem Juli letzten Jahres bleibt vage, obwohl er die CBRN-Pro­ blematik anspricht und auf den hierzu bestehenden Aktionsplan 2009 hinweist. Bei Europol soll ein Wissenszentrum eingerichtet werden. Zudem sollen der EUAktionsplan CBRN weiterentwickelt, Leitfäden erarbeitet und eine Plattform für gemeinsame Schulungen und Übungen geschaffen werden. Zu guter Letzt forderten die EU-Kommission und die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, kürzlich,

ten der gewaltfreien Konfliktlösung wieder besser vorzuleben und sie gesellschaftlich auch tatsächlich zu akzeptieren. Aus diesem Grunde sei er auch gegen das geplante neue Polizeigesetz in Sachsen. “In den Entwurf, der zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, wurden Kriegswaffen für die Polizei aufgenommen.” Dies sei nicht akzeptabel. Und Stange legte nach: “Der Gesetzentwurf weicht die Trennung zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit auf.” Ebenfalls Kritik an dem Vorhaben übte Valentin Lipmann von den Grünen im Dresdner Landtag. Seine Fraktion sehe mehrere der neu vorgesehenen Kompetenzen für die Polizei kritisch. Dazu zähle unter anderem die automatische Erfassung von Kennzeichen. Darüber hinaus bemängelte der Innenpolitiker eine Verwässerung von Gefahrenbegriffen und Eingriffsschwellen in dem Entwurf. Aus diesem Grunde konstatierte Lippmann: “Der Gesetzentwurf ist ein massiver Eingriff in Bürgerrechte.” Das wollte Christian Hartmann von der CDU so nicht stehen lassen. Er verteidigte den Entwurf als “sinnvoll, gelungen und handwerklich sauber”. Seiner Fraktion und ihm gingen die vorgesehenen Befugnisse sogar noch nicht weit genug. Als sinnvolle Ergänzungen benannte der Christdemokrat die Möglichkeiten zum Einsatz von Body-Cams, Quellen-Telekommunikationsüberwachung sowie Online-Durchsuchung. Hierzu sei aber keine Einigung mit dem Koalitionspartner SPD möglich gewesen.

zur Verbesserung der Abwehr von “hybriden” Bedrohungen auch die chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Bedrohungen einzubeziehen. Damit müssten die Kompetenzen der bestehenden Analyseeinheit für hybride Bedrohungen ausgebaut werden. Das ist alles hoch komplex, dauert und kostet insbesondere auf EU-Ebene wieder viel Zeit. Zeit, in der andere Saifs im Internet immer noch lernen können, Sprengstoffe herzustellen und Bomben zu basteln. Die rechtlich abgesicherte Einbeziehung der Bundeswehr zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit in Deutschland ist notwendig. Das wurde bei gemeinsamen Übungen deutlich. Sie sind notwendig und deutlich vielversprechendere

Serie TERRORZIELE (TEIL 24) Ansätze mit praktischen Erkenntnissen und Nebenwirkungen als das Brüsseler Wortgeklingel. Zugleich können aber auch sie erst ein Anfang sein auf dem Weg zu einem umfassenden nationalen Aktionsplan. Schon im Januar 2017 warnte das Bundeskanzleramt öffentlich davor, dass CBRN-Anschläge eine reale Option für Terroristen seien, die allzu lange übersehen worden sei. Wenn jetzt gar der Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank öffentlich davor warnt, dass Terroristen sehr kreativ seien und versuchten, asymmetrisch alle möglichen Szenarien auszutesten, darunter auch solche mit biologischen Kampfmitteln, wird die Brisanz der Thematik endlich deutlich. Die Zeit läuft – und sie läuft gegen uns.


Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / Juli 2018

E

ine ordnungsgemäße Bekanntmachung öffentlicher Beschaffungsvorhaben sei “seltener als ein Sechser im Lotto”, so Hermann Summa, stellvertretender Vorsitzender des Vergabe- und des ersten Strafsenats des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz, bei seinen Ausführungen zur Eignungsprüfung von Bietern. Diese haben sich nach einzelfallbezogenen Kriterien und unternehmensbezogenen Umständen gemäß Paragraf 122 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) des Bundes zu richten: Öffentliche Aufträge sollen nur an fachkundige und leistungsfähige Unternehmen vergeben werden. Geeignet ist ein solches Unternehmen nach Absatz 2, “wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt”. Diese Eignungskriterien betreffen ausschließlich erstens die – rechtliche – Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, zweitens die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit (zum Beispiel mittels Angaben zur Umsatzrendite und zum Eigenkapital) sowie drittens technische und berufliche Leistungsfähigkeit (zum Beispiel mittels Erfahrungswerten und qualifiziertem Personal).

Fairem Wettbewerb verpflichtet Auftragsvergabe möglichst nur an saubere Unternehmen vornehmen (BS/Dr. Gerd Portugall) “Nur saubere Unternehmen sollen öffentliche Aufträge erhalten.” Das verlangte Prof. Dr. Manfred Mayer, Geschäftsführender Gesellschafter der Mayburg Rechtsanwaltsgesellschaft. Des Weiteren wurde bei den nunmehr fünften Beschaffertagen für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) deutlich, dass sich beim BOS-Bechaffungswesen technische und rechtliche Sonderfragen stellen. Nicht-EU-Staaten ihren “Anbieter-Hut” in den Ring werfen”. Der erste Prüfschritt nach Paragraf 122 Absatz 1 GWB lautet: Gibt es Ausschussgründe? Wird dies bejaht, so hat der öffentliche Auftraggeber gemäß Paragraf 125 Absatz 2 die von dem Unternehmen ergriffenen sogenannten “Selbstreinigungsmaßnahmen” zu bewerten. Bei der Prüfung der fakultativen Ausschlussgründe nach Paragraf 124 stelle Absatz 1 Nummer 7 einen “Auftraggeber-Albtraum” dar: Öffentliche Auftraggeber könnten unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn “7. das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren

ein Sonderfahrzeug liefern könne. Beim förmlichen Vergabeverfahren seien öffentliche Auftraggeber fast immer im Vorteil. Lediglich auf einen Anbieter hin “maßgeschneiderte Ausschreibungen” würden meistens scheitern. Wichtig bei Ausschreibungen sei “die Gesamtbetrachtung des Rettungsdienstes”, nämlich vom Unfall über Großveranstaltungen bis hin zu Großschadenslagen. Daraus folge, dass Teillose an Firmen vergeben würden, die alle Lagen abdecken könnten. Sprach unter anderem über den Ausschluss “ungeliebter” Bieter: Hermann Summa vom OLG Koblenz.

öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat”. Wegen der unbestimmten Rechtsbegriffe “wesentlich” und “erheblich” handele es sich dabei

Bieter aus Nicht-EU-Staaten möglich Gemäß Paragraf 44 der Vergabeverordnung (VgV) des Bundes zur “Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung” beschränke sich das Herkunftsprinzip nicht auf Unternehmen innerhalb der Europäischen Union (EU), so Richter Summa. Demnach dürften auch Bieter aus

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Wies darauf hin, dass es bei der Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen und -fahrzeugen häufig individuelle Verhandlungslösungen geben müsse: Prof. Dr. Dr. Alexander Lechleuthner, Abteilungsleiter Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr Köln. Fotos: BS/Portugall

letztlich um einen “GummiParagrafen”, so der OLG-Richter. Dessen Anwendung muss letztlich die Rechtsprechung beurteilen. Aus der Ausschreibungspraxis der Stadt Köln von Rettungsdienstleistungen berichtete auf der Veranstaltung des Behörden Spiegel in Bonn Prof. Dr. Dr. Alexander Lechleuthner, Abteilungsleiter Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr der Domstadt. Die erste Frage, die sich stets stelle, laute: “Gibt es Wettbewerb?” Nun seien Rettungsfahrzeuge “sehr spezielle” Kfz-Produkte. Da diese nicht “von der Stange” zu haben seien, müssten individuelle Verhandlungslösungen gefunden werden. In Metropolen wie Berlin gebe es dabei durchaus Wettbewerb. “Auf dem Land” hingegen sei man froh, überhaupt jemanden zu finden, der solch

Niedersachsen bundesweit führend Oliver Suckow, Leiter des Projektes “lautlos & einsatzbereit” der Polizei Niedersachsen, wiederum berichtete über bisherige Erfahrungen bei der Beschaffung von elektrischen Einsatzfahrzeugen. Das Projekt begann 2016 und soll bis zum kommenden Jahr abgeschlossen sein. Die niedersächsische Landespolizei sei damit “bundesweit führend” bei der Umsetzung alternativer Antriebe bei den Polizeien des Bundes und der Länder. Für das Projekt “lautlos & einsatzbereit” gebe es europaweite Anfragen für Kooperationen und stark wachsendes Interesse an den noch ausstehenden Forschungsergebnissen. Dem Elektroantrieb gehöre die Zukunft, so Rico Wiersig vom Fuhrparkmanagement der Polizei Niedersachsen. Die entscheidende Frage laute nur: “Wo kommt

die Energie her?” E-Mobilität umfasse eine ganze Reihe verschiedener Fahrzeugtypen: unter anderem Voll-Hybrid, Plug-inHybrid und ausschließlicher Batterieantrieb. Jan Mummel, Projekt-leitender Ingenieur am Niedersächsischen Forschungszentrum der Technischen Universität (TU) Braunschweig, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass moderne Elektrizitätsspeicher mittlerweile technisch durchaus Alternativen zu den bisherigen Diesel-Notstromaggregaten darstellen könnten.

Katalog deutlich vergrößert Prof. Dr. Manfred Mayer warf einen “Blick hinter die Kulissen” des Gewerbezentralregisters und des neuen Wettbewerbsregisters auf Bundesebene: Die Gewerbeordnung (GewO) unterscheide bei Registerauskünften nach Anfragen von betroffenen Personen und von Behörden. Im Unterschied zur alten GewO enthalte das neue Wettbewerbsregister, das als elektronische Datenbank beim Bundeskartellamt geführt wird, einen deutlich vergrößerten Katalog. So seien etwa auch rechtskräftige Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung und Korruption in diesem Register enthalten. Außerdem eröffne es einen durchgängigen Rechtsweg und die Digitalisierung des Katalogs beschleunige die Beantwortung der Anfragen, so Mayer.

Die nächsten BOS-Beschaffertage finden am 6. und 7. Juni 2019 wiederum in Bonn statt. Weitere Informationen unter: www.bos-beschaffertage.de

Bundesweit hohe Anteile

Es braucht Kooperation

Zahlreiche Dieselfahrzeuge bei Polizeien und Feuerwehren

Beim Zivilschutz müssen alle Behörden mithelfen

(BS/mfe) Die für Beschaffungen bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Verantwortlichen lassen sich offenbar auch (BS/wim) Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurden die meisten von der derzeitigen Diskussion um Dieselfahrzeuge und ihre Emissionen nicht beirren. Sie erwerben oder leasen für Polizeien und Feuerwehren in Zivilschutzkonzepte schnell als obsolet betrachtet. In einer unsicherer ganz Deutschland weiterhin zahlreiche derart angetriebene Personen- und Lastkraftwagen. werdenden Welt wachsen langsam aber sicher wieder die Anforderungen sowie die Herausforderungen an und für den Bevölkerungsschutz. So beträgt der Anteil von Fahrzeugen, die mit einem Dieselmotor ausgestattet sind, bei der bayerischen Polizei 88 Prozent. Von rund 8.400 Kraftfahrzeugen werden etwa 7.350 auf diese Art und Weise angetrieben. Noch höher ist der prozentuale Anteil in Sachsen-Anhalt. Hier werden von 1.699 Fahrzeugen 1.530 mit Dieselkraftstoff angetrieben. Dies entspricht 90,05 Prozent am Gesamtbestand. Weitere 147 Fahrzeuge sind Benziner, 20 werden mit Erdgas angetrieben und zwei sind reine Elektrofahrzeuge. Bei der Landespolizei MecklenburgVorpommerns sind sogar rund 93 Prozent aller 1.160 Fahrzeuge mit einem Dieselmotor ausgestattet.

In Schleswig-Holstein fast nur Diesel Vergleichsweise niedrig ist der Anteil von Polizeifahrzeugen mit Dieselantrieb hingegen in Rheinland-Pfalz. Hier werden von 2.581 Kraftfahrzeugen 1.902 so angetrieben. Das entspricht einem Anteil von etwa 74 Prozent. Im hohen Norden, genauer in Schleswig-Holstein, wiederum sind fast alle Polizeiautos Diesel. Der Anteil dort beträgt 96,22 Prozent, von 1.324 Kraftfahrzeugen enthalten 1.274 einen Dieselmotor. Ebenfalls hoch ist der Prozentsatz von dieselbetriebenen Fahrzeugen bei der Brandenburger Polizei. In dessen Fuhrpark befinden sich 1.447 Dieselfahrzeuge, was einem Anteil von 93,5 Prozent entspricht. Sogar noch etwas höher ist der Anteil in Baden-Württemberg. Bei der Polizei im “Ländle” waren Ende 2016 – aktuellere Zahlen liegen

In allen Bundesländern sind größtenteils dieselbetriebene Polizeifahrzeuge im Einsatz. Foto: BS/Tobias Nordhausen, CC BY 2.0, flickr.com

noch nicht vor – von 5.222 Einsatzfahrzeugen 4.938 mit einem Dieselantrieb ausgestattet. Das sind fast 95 Prozent. Ähnlich hoch ist der Satz mit 92,35 Prozent bei der Polizei Bremen. Hier werden von 589 Fahrzeugen nur 45 nicht per Diesel angetrieben.

Vergleichsweise wenige Fahrzeuge in Berlin Relativ gering ist der Anteil hingegen in Berlin. Im Fuhrpark der Polizei der Bundeshauptstadt befinden sich 2.098 Dieselfahrzeuge. Dies entspricht einem Anteil von knapp 69 Prozent. Zumindest unter 80 Prozent liegt der Anteil bei der Thüringer Polizei. Leicht über diesem Wert (83,82 Prozent) befindet sich die Polizei Hamburg. Sogar oberhalb der 90-ProzentMarke liegen Niedersachsen (91,3 Prozent) und Sachsen (rund 92 Prozent). Bei der Bundespolizei schließlich gibt es in dem circa 7.200 Fahrzeuge starken Fuhrpark 6.100 mit Dieselantrieb. Mit

deutlichen größeren Problemen als bei den Polizeibehörden verbunden ist die Datenbeschaffung hinsichtlich des Dieselanteils an den Fuhrparks der Feuerwehren. So heißt es etwa aus dem Dresdner Innenministerium, dass die Feuerwehrjahresstatistik keine Angaben zu Dieselfahrzeugen enthalte. Aus Thüringen ist zu vernehmen, dass das Land nur für die zentralen Aufgaben des Brandschutzes und der allgemeinen Hilfe zuständig sei. Der (überörtliche) Brandschutz und die (überörtliche) allgemeine Hilfe hingegen fielen in den Verantwortungsbereich der Gemeinden und Landkreise. Diese Aufgaben erfüllten sie zudem als Pflichtaufgaben des eigenen Wirkungskreises. Den Katastrophenschutz nähmen sie als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises wahr. Aus diesem Grunde erfasse das Land Angaben zu Antriebswegen nicht zentral. Was jedoch bekannt ist: 2016 gab es 2.044

Lösch-, 97 Hubrettungsfahrzeuge sowie 346 Rüst- beziehungsweise Gerätewagen bei den öffentlichen Feuerwehren des Freistaates. Hinzu kamen 798 sonstige Einsatzfahrzeuge, 29 Sanitätsfahrzeuge und 197 Boote. Da sie sie überwiegend auf serienmäßigen Nutzfahrzeugfahrgestellen basierten und diese in ihrer Mehrheit Fahrgestellen von mehr als 3,5 Tonnen zulässiger Gesamtmasse entsprächen, seien sie in der Regel auch mit dieselbetriebenen Motorisierungen ausgestattet. Deshalb dürften nur rund 25 Prozent der Löschfahrzeuge des Fuhrparks der Thüringer Feuerwehren Benziner sein, hieß es. Auch aus Stuttgart verlautete, für die Feuerwehren gebe es keine belastbare Übersicht. Ähnliche Reaktionen gab es aus Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, RheinlandPfalz und Bayern. Detailliertere Angaben kamen aus Berlin, dem Saarland, Bremen und Hamburg. In der Bundeshauptstadt werden von 812 motorbetriebenen Kraftfahrzeugen nur 18 mit einem Ottomotor angetrieben. Die Dieselquote beträgt folglich 98 Prozent. Nur marginal niedriger (rund 94 Prozent) ist sie im Saarland. Dort werden 947 Feuerwehrfahrzeuge mit Dieselkraftstoff angetrieben. In Bremen beträgt die Dieselquote bei der Berufsfeuerwehr 99,19 Prozent. In Hamburg sind es 95 Prozent. Die Bundeswehr fährt bis auf ganz wenige Ausnahmen mit Diesel. Laut Nato-Standard müssen die Fahrzeuge im Verteidigungsfall auf Kerosin umgestellt werden können.

Nachdem die deutsche Teilung und die Bedrohungen des Kalten Krieges vor rund einem viertel Jahrhundert die nationale und weltpolitische Lage deutlich entspannten, wurden auch die Bevölkerungsschutzvorkehrungen des Staates auf das Nötigste heruntergefahren. Da auch die Konzepte von Krieg und Verteidigung sich inzwischen grundlegend verändert haben, stehen die Behörden daher heute vor vielen neuen Fragen.

Neue und alte Herausforderungen Die drei Mega-Trends Klimawandel, Digitalisierung und Migration bringen ungekannte Einschnitte in unsere globalisierte Welt. Dazu kommen eine Reihe von Risiko-Trends wie Terrorismus, die bröckelnde Einheit der EU sowie hybride Bedrohungslagen wie etwa wirtschaftliche Druckausübung, Cyber-Angriffe und Propagandakampagnen. Wichtig ist bei der Planung für Kommunen, dass die zivile Seite grundsätzlich verpflichtet ist, das Militär nach den Regeln von Landes- und Bündnisschutz zu unterstützen. So müssen zivile Kräfte unter anderem bei Großereignissen, Naturkatastrophen oder Fällen des sogenannten “Host Nation Support” mithelfen, um die Bundeswehr zu entlasten. Um ein System gesamtgesellschaftlicher und resilienter Strukturen gegen Angriffe, Katastrophen und Krisen zu schaffen, wurde mit der “Konzeption Zivile Verteidigung” (KZV) ein Basisdokument für die Aufgabenverteilung der zivilen

Verteidigung geschaffen. Dieses wird stetig weiterentwickelt, um auf die immer neuen Entwicklungen reagieren zu können. Bei der zivilen Verteidigung gibt es im Rahmen der Gesamtverteidigung vier Hauptpflichten: Die Aufrechterhaltung von Staatsund Regierungsfunktionen, den Zivilschutz, die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft sowie die generelle Unterstützung der Streitkräfte. Eine weitere zentrale Pflichtaufgabe der Kommunen liegt zudem darin, für die Selbstversorgung ihrer Bürger zu sorgen.

Für den Ernstfall nicht mehr vorbereitet Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bietet den Behörden dabei umfassende Beratungsund Schulungsmöglichkeiten. Da kaum noch Kommunen in Deutschland über Expertise und Ansprechpartner für die Bevölkerung und das Militär verfügen, hat das BBK zur Neuplanung solcher, durchaus möglicher, Fälle zwei Referenzszenarien entwickelt, wie die zivilen Aufgaben in Großschadenslagen bewältigt werden können. Teile dieser Ausarbeitungen liegen derzeit in der Ministerpräsidentenkonferenz, um diese mithilfe der Politik auf Länder- und kommunaler Ebene implementieren zu können. Wichtig laut BBK sei bei der Planung solcher Fälle vor allem, das föderale Denken etwas beiseite zu legen, um stattdessen in vernetzten Systemen Synergien und Resilienzen aufbauen zu können.


Katastrophenschutzkongress

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Behörden Spiegel / Juli 2018

14. Europäischer Katastrophenschutzkongress S

o machte etwa Dr. Anke Schröder vom niedersächsischen Landeskriminalamt deutlich, dass Katastrophenund Bevölkerungsschutzbehörden zusammen mit der Polizei gemeinsame Lösungen finden müssten. Sie unterstrich: “Wir wollen auf künftige Herausforderungen gut vorbereitet sein und vor die Lage kommen.” Als einen erfolgversprechenden Ansatz, insbesondere im Bereich “safe cities”, identifizierte sie interdisziplinäre Arbeitskreise.

Es geht nur gemeinsam Künftige Problemlagen müssen alle BOS zusammen bewältigen (BS/Marco Feldmann) Hybride Bedrohungen erfordern es, dass alle Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) an einem Strang ziehen. Auch grenzüberschreitend muss die Zusammenarbeit weiter verstärkt und mit Leben gefüllt werden. Zudem kann moderne Technik die Einsatzkräfte effektiv unterstützen. All das wurde auf dem diesjährigen Europäischen Katastrophenschutzkongress deutlich. Deutschen Roten Kreuz (DRK), sprach sich dafür aus, die Kapazitäten und Fähigkeiten des Bundes im Katastrophenschutz zu stärken. Dadurch könne dann den Bundesländern mehr Hilfe zuteil werden. Zuständigkeiten sollten dabei allerdings nicht beschnitten oder verändert werden, so Spieker.

Kein Vergleich mehr zu früher Zuspruch für ihre Forderung nach einer ganzheitlichen Vorgehensweise erhielt die LKAMitarbeiterin aus Hannover von Daniel Jordi. Der Chef des Fachbereichs “ABC-Schutz” im Labor Spiez des Schweizer Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS) sagte: “Die Szenarien ändern sich.” So gebe es heutzutage zum Beispiel oftmals keine Vorwarnzeiten mehr. Dies ist auch der Grund, weshalb in Deutschland keine öffentlichen Schutzräume mehr vorgehalten werden. Für mehr Zusammen-

“E

s gibt nicht nur Naturkatastrophen. Heute ist jedes siebente Land in irgend­ einen Konflikt verwickelt. Oftmals sind nicht nur zwei Staaten, sondern unzählige bewaffnete Gruppierungen beteiligt.” Auch seien Cyber-Angriffe auf Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sowie Pandemien absolut realistische Szenarien, auf die man sich einstellen müsse. Gut vorbereitet sei Europa auf keines davon. Problematisch sei, dass der Gesundheits- und der Katastrophenschutz strukturell kaum miteinander verknüpft seien. Dem schloss sich Franz-Josef Hammerl, Abteilungsleiter für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz im Bundesinnenministerium (BMI), an. “Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann eine Pandemie Europa erreichen wird. Auch mit Deutschlands sehr gutem Gesundheitssystem sind wir darauf aber nicht vorbereitet”, warnte Hammerl. So gebe es derzeit in der Bundesrepublik nur etwa 40 Betten zur Behandlung von Menschen mit hochinfektiösen Krankheiten. Ein weiteres schwer in den Griff zu bekommendes Problem seien chemische, biologische und nukleare Bedrohungen, ergänzte Raed Arafat, Staatsekretär im rumänischen Innenministerium. Besonders über biologische Gefahr- und Kampfstoffe werde noch zu wenig gesprochen. “Würde heute ein Terrorist einen synthetischen Virus an einem Flughafen freisetzen, sind schon 20 Länder betroffen, bevor die Sicherheitsbehörden überhaupt wissen, was vorgefallen ist”, gab der Vertreter aus Bukarest zu bedenken.

Keine zentrale Steuerung nötig Angesicht der vielschichtigen Bedrohungslage begrüßten die Teilnehmer der Debatte zur EUSicherheitsarchitektur Pläne zur Neuaufstellung des Katastrophenschutzes in der Staatengemeinschaft grundsätzlich. Strittig war aber die Idee von recEU, einem ergänzenden

UAVs können Einsatzkräften helfen Das Motto “In der Krise Köpfe kennen” wird angesichts neuer, hybrider Bedrohungen im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz immer wichtiger. Dafür braucht es dringend den regen fachlichen Austausch aller BOS-Akteure. Fotos: BS/Dombrowsky

arbeit zwischen Bund und Ländern im Bereich des Katastrophenschutzes plädierte vor rund 500 Teilnehmern in Berlin auch die Vorsitzende des Innenaus-

schusses im Deutschen Bundestag, Andrea Lindholz (CDU). Und Dr. Heike Spieker, stellvertretende Bereichsleiterin der Nationalen Hilfsgesellschaft vom

Hilfe können die nicht-polizeilichen BOS auch von anderer Seite erwarten: von moderner, einsatzunterstützender Technik. Ganz vorne dabei sind in diesem Bereich unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs). Sie sind bereits bei verschiedentlich im Einsatz. So etwa bei der Berufsfeuerwehr Dortmund, wie Robert Grafe berichtete. Dort

habe man mit entsprechenden (Forschungs-)Projekten bereits seit 2008 Erfahrungen gesam-

Der nächste “Katastrophenschutzkongress” des Behörden Spiegel findet 2019 wieder in Berlin statt. melt. In Realeinsätzen würde seit rund 18 Monaten auf die Geräte zurückgegriffen. Bisher würden die UAVs noch nicht autonom fliegen, sondern nur zur optischen Aufklärung verwendet. Genutzt werden sie laut Grafe unter anderem zur Suche nach Glutnestern, zur Unterstützung bei Löscharbeiten, zur

Die Herausforderungen nehmen zu Mehr Kompetenzen für die Europäische Union sind keine Lösung

Dokumentation der Brandausbreitung sowie zur Unterstützung bei Personensuchen und Gebäudeinspektionen. Einen Blick in die Zukunft warf, was die UAV-Nutzung angeht, Tom Griesbeck. Der stellvertretende Geschäftsführer der Bergwacht Bayern berichtete von erheblichen Gewichtsreduzierungen der Geräte in den letzten Jahren und prognostizierte, dass UAVs in einigen Jahren autonom, also ohne Piloten, unterwegs sein werden. Perspektivisch gehe es auf jeden Fall darum, bei UAV-Einsätzen eine autonome Bildauswertung zu gewährleisten, ergänzte Dr. Steven Bayer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Rein rechtlich sei auch bereits eine Besserung eingetreten, meinte Dr. Michael Judex vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Aufstiegsgenehmigungen würden inzwischen nicht mehr nur für ein einziges Bundesland gelten. Auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Denn wie sagte Judex: “Katastrophen machen nicht vor Ländergrenzen halt.”

Schutz von Menschenleben, Eigentum, Infrastruktur und Umwelt.

(BS/ab/mfe/stb) Die zunehmenden Unwägbarkeiten durch neue oder im Umfang zunehmende Gefahren fordern nationale Zivilschutzstrukturen Bisheriges wird infrage gestellt heraus. Neben Unwettern oder Waldbränden, die immer häufiger und heftiger auftreten, müsse man sich auch noch auf weitere Bedrohungen vorbereiten, warnte der Stellvertreter des Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes, Dr. Johannes Richert. Der Parlamentarische Staats-

­Katastrophenschutz ermöglicht werden. Denn, so der Zypriot: “Wir brauchen ein Europa, das seine Einwohner schützt und im Katastrophenschutz solidarisch ist.” Schließlich habe man eine gemeinsame Priorität: den

sekretär im BMI, Stephan Mayer (CSU), hingegen merkte an, dass kostenlose Katastrophenunterstützungshilfen durch die EU das bisher bewährte System infrage stellten. Auch die Übernahme der Kommandostrukturen bei gemeinsamen Einsätzen durch EU-Vertreter lehne die Bundesregierung ab, unterstrich Mayer und stützte damit die Ausführungen von BMI-Abteilungsleiter Hammerl. Zwar setze sich die Bundesrepublik dafür ein, dass das Unionsverfahren im Bereich des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes konstruktiv optimiert werde. Der rescEUVorschlag stelle jedoch einen Paradigmenwechsel dar. “Die Folgen werden eher abgewogen als der Nutzen”, kritisierte der Christsoziale. Aus diesem Grunde sehe die Bundesregierung keinen Reformbedarf. Vielmehr werde befürchtet, dass sich die Bundesländer zu sehr auf rescEU stützen und ihre Katastrophenschutzkapazitäten abbauen könnten. “Dann haben wir in der Notsituation weniger Ressourcen zur Verfügung als angedacht. Deshalb strebt Deutschland einen Kompromiss und eine Ko-Finanzierung an”, erläuterte Mayer.

Verteidigte seinen rescEU-Vor­ schlag gegen Kritik: Christos Stylianides, EU-Kommissar für Humanitäre Hilfe und Krisenmanagement.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, lehnte zu viel EUEinfluss ab. Fotos: BS/Dombrowsky

Diskutierten über die künftige Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union im Bereich des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes (v.l.n.r.): Dr. Johannes Richert (DRK), Franz-Josef Hammerl (BMI), Jean-Paul Monet (Moderator), Raed Arafat (Staatssekretär im rumänischen Innenministerium).

europäischen Pool an Katstrophenschutzressourcen. “Jede Anstrengung dahingehend, koordinierter und effizienter vorgehen zu können, ist sehr willkommen”, sagte Richert. Er fügte aber hinzu, dass es keinesfalls am Fehlen zen­ traler Steuerungsmechanismen kranke. “Mandate der Staaten untereinander reichen und das ist inzwischen auch verstanden”, so Richert weiter. BMI-Abteilungsleiter Hammerl stellte klar: “Es geht bei den Diskussionen nicht mehr um Steuerungsbefugnisse. Command and Control bei der EU wird es nicht geben – jedenfalls nicht mit der deutschen Bundesregierung.” Kritisch sehe er außerdem die Tendenz, die Katastrophenhilfe ähnlich wie die Grenzsicherung durch eine Agentur abbilden zu wollen. Es bestehe die Gefahr,

gerade die in Deutschland gut funktionierenden ehrenamtlichen Strukturen zu unterhöhlen, wenn kommerzielle Dienstleister ins Boot geholt würden.

Nicht auslagern “Wir sollten unsere Notstandssysteme nicht outsourcen”, pflichtete ihm Arafat bei. Es handele sich hier nicht um Leistungen, sondern um hoheitliche Aufgaben. Von einer Überarbeitung der EU-Sicherheitsarchitektur erhoffe er sich vor allem einen gemeinsamen Ansatz, um notwendige Güter wie Schutzausrüstung oder Impfstoffe schnell und effizient beschaffen zu können. Konkrete Hilfsmaßnahmen im Rahmen von rescEU sollten dagegen nur außergewöhnlichen Situationen vorbehalten sein, forderte Arafat. “Jedes Land muss dringend selbst etwas tun, um den

eigenen Zivilschutz besser und robuster aufzustellen.”

Nationale Strukturen erhalten Dem wollte auch der EU-Kommissar für Humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Christos Stylianides, nicht grundsätzlich widersprechen. Sein rescEU-Vorschlag, über den auf EU-Ebene derzeit noch beraten wird, solle keineswegs nationale Strukturen und Abläufe ergänzen. “Wir wollen damit keine Zentralisierung erreichen. Ein gutes und effektives Katastrophenmanagement in den Mitgliedsstaaten ist eine Vorbedingung für ein starkes System auf europäischer Ebene.” Vielmehr gehe es um ein zusätzliches Element. Dadurch könnten existierende Fähigkeit verbessert, eventuelle Lücken bei speziellen Bedarfen geschlossen und höhere Investitionen in den


Katastrophenschutzkongress

Behörden Spiegel / Juli 2018

“D

as Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) steckt heute in seiner schwierigsten Phase seit seinem Abschluss”, sagte Stefan Mogl, Chef des Fachbereichs Chemie im Labor Spiez, dem Institut für CBRNSchutz im Geschäftsbereich des schweizerischen Bundesamts für Bevölkerungsschutz (BABS). Die für November anstehende Überprüfungskonferenz zum CWÜ stehe unter einem schlechten Stern, weil die Staatengemeinschaft sich bisher nicht zu einem Konsens zur Verurteilung von Sarin-Einsätzen in Syrien durchringen konnte. Eine Vorbereitung auf den Ernstfall ist also dringend notwendig. Entsprechende Expertise ist in Deutschland durchaus vorhanden, aber über Ebenen, Behörden und Hilfsorganisationen verteilt. Dr. Roman Trebbe, Leiter des Fachgebiets Chemie im Referat CBRN-Schutz des deutschen Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), forderte hier mehr Vernetzung. Konkret müsse ein regelmäßiger, offener Austausch über Bedrohungen, Tatmittel und den Umgang mit Gefahrenlagen koordiniert werden. “Wir können uns keine harte Teilung der Zuständigkeiten leisten”, betonte Trebbe.

Nato und EU müssen gemeinsam handeln Auch auf globaler Ebene. Da i­ mmer mehr Massenvernichtungswaffen geschaffen würden und die Risiken durch diese nicht an den Grenzen halt machten, müsse man die Bedrohungslage gut einschätzen können, betonte der Leiter des Regionalsekretariats der Golfstaaten der EU-CBRN-Kompetenzzentren, (CoE-)Ini­tiative, Bakhtiyor Gulyamov. “CBRNRisiken betreffen uns alle”, mahnte auch der Direktor des Regionalsekretariats für Südostasien, Danilo Servando. Die freiwillige Initiative besteht aus

Partnerschaften zur Risikominimierung Chemiewaffenübereinkommen in heftigem Fahrwasser (BS/Adrian Bednarski/Benjamin Stiebel/Katarina Heidrich) Der erreichte völkerrechtliche Konsens zum Verzicht auf die Verwendung von chemischen und biologischen Waffen ist instabil wie lange nicht mehr. Da CBRN-Risiken grenzübergreifend sind, sind internationale Kooperationen geboten – in der Abwehr genauso wie in Kontrolle und Prävention. Allerdings stellen unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen oftmals eine Hürde dar.

Berichtete von einer verstärkten Kooperation zwischen EU und Nato im CBRN-Bereich: Oberst Volker Quante. Fotos: BS/Dombrowsky

bisher 60 Partnerländern aus acht Regionen mit jeweils einem regionalen Zentrum. Um die Bedeutung von Kooperationen im Katastrophenschutz weiß auch der stellvertretende Direktor des Nato Joint CBRN Defence Centre of Excellence, Oberst Volker Quante. Die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato habe sich durch die Kooperationen zwischen den jeweiligen Kompetenzzentren in den letzten Jahren intensiviert. Dennoch seien die Nato-CoEs nicht Teil der Nato-Kommandostruktur. “Wir stehen außerhalb und haben eine bestimmte Aktions- und Denkfreiheit”, so Quante. Bisher schlossen sich zwölf Nato-Mitglieder und Österreich zusammen. Voraussichtlich im Herbst folgt Kanada. Auch Spanien hat bereits Interesse bekundet. Die

klassische Aufteilung, die viele im Kopf hätten, mit der EU als Zivilschutzeinheit und der Nato als militärischer, sollte in Zusammenarbeit münden, forderte der Staatssekretär aus dem rumänischen Innenministerium, Raed Arafat. Etwa bei der Ebola-Bekämpfung habe die Nato eine wichtige Rolle gespielt. “Das ist die Zukunft”, betonte der Staatssekretär aus Bukarest. Denn die Resilienz einer Gesellschaft sei eine Kombination aus ziviler Vorbereitung und militärischer Kapazität.

Gemeinsame Nutzung bringt Mehrwert Gerade bei Themen wie Patientenverlagerungen oder Übungen zu Massenevakuierungen könne es einen Mehrwert generieren, wenn Ressourcen und Leitlinien gemeinsam genutzt würden.

Der Staatssekretär aus dem rumänischen Innenministerium, Raed Arafat, betonte die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit beim Katas­ trophenschutz.

Etwa als Rumänien eine Patientenverlagerung nach Großbritannien und Norwegen organisieren musste und dies über den Nato-Luftwaffenstützpunkt “Pápa” in Ungarn organisieren konnte. Jedes Mitgliedsland hat eine bestimmte Stundenanzahl, die es sich dort aufhalten darf. Arafats Vorschlag ist, dass zukünftig ein Land “seine” Stunden an andere abgeben können sollte. Gemeinsame Übungen, auch ohne Ankündigung, wie “Earthquake 2016”, könnten helfen, darauf aufbauend Interventionskonzepte für Erdbeben zu entwickeln. Daneben gebe es auch die Möglichkeit virtueller Übungen. Diese füllten “die Lücke zwischen Planübungen und Feldübungen”, meinte Arafat. Neuerdings wird neben der Beurteilung der Mittel und des Be-

darfs sowie dem Erstellen von Aktionsplänen eine Risikoanalyse in den teilnehmenden Ländern durchgeführt, berichtete der Koordinator der EU-CBRNKompetenzzentren, Tristan Simonart, und betonte: “Wir betrachten uns nicht als Geber, sondern als Partner.”

Zweckentfremdung von Technik und Wissen Auch bei der Überwachung der Ausfuhr bestimmter Waren spielen diese Partnerschaften eine wichtige Rolle. “Die Exportkontrolle in der EU ist ein kompliziertes System, welches einen allgemeinen rechtlichen Rahmen besitzt, aber die Länder trotzdem sehr autonom darin agieren können”, sagte Dr. Christos Charatsis von der gemeinsamen Forschungsstelle Nukleare Überwachung und Sicherheit

Der große Wurf bleibt aus

“D

ie Politik hat das Thema nicht vergessen.” Nach der Debatte über die Hamsterkäufe sei das wirklich Wichtige jedoch etwas vernachlässigt worden, erwiderte Andrea Lindholz (CSU), Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Die Situation sei momentan so, dass die Politik mit “vielen Themengebieten überlagert ist, sodass zahlreiche Themen in den Hintergrund rücken”. Der Zivilschutz müsse bund- und länderübergreifend funktionieren. Jedoch bleibe der richtig große Wurf aus. “Die Bekenntnisse im Koalitionsvertrag sind wichtig, reichen jedoch nicht aus”, so Lindholz.

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Zwischen Stagnation und Entwicklung in der Zivilen Verteidigung (BS/ab) “Es gibt keinen Diskurs in der Politik zur Zivilen Verteidigung. Dieser war noch nach der Ukraine-Krise vorhanden, aber aktuell spricht die Politik nicht mehr darüber”, bemerkte Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Diese Kritik ließ die Politik jedoch nicht auf sich sitzen.

Vom Bund muss mehr kommen Dr. Herbert Trimbach, bis vor Kurzem noch Vorsitzender des Arbeitskreises V der Innenministerkonferenz (IMK), sieht die Kostenfrage als große Herausforderung, um die Zivile Verteidigung voranzubringen. Er kritisierte zugleich, dass der Bund eine generelle Kostentragungspflicht zur Umsetzung der “Konzeption Zivile Verteidigung” nicht sehe. Die Länger würden in Vorkasse gehen und der Bund prüfe anschließend, wie dies ausgeglichen werde. “Von der Seite des Bundes muss mehr dazu beigetragen werden.” Dieser Darstellung widersprach der BBK-Präsident. Die Länder würden den Eindruck erwecken, es kämen neue Aufgaben auf sie zu. Jedoch würden bereits rechtliche Regelungen existieren. Demnach übernähmen die Länder die Personalkosten und der Bund die restliche Finanzierung. “Die Kostenübertragungspflicht ist klar ge-

Debattierten über die “Konzeption Zivile Verteidigung” und ihren Umsetzungsstand (v.l.n.r.): Dr. Heike Spieker (DRK), Nikolas Hefner (THW), Fritz Rudolf Körper (Moderator), Dr. Herbert Trimbach (ehemaliger Vorsitzender des für Feuerwehr- und Zivilschutzangelegenheiten zuständigen Arbeitskreises in der Innenministerkonferenz), Andrea Lindholz (Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag), Christoph Unger (Präsident des BBK). Foto: BS/Dombrowsky

regelt. Die Länder könnten in ihre Haushalte vor 1989 hineinschauen, dann wüssten sie, was auf sie zukommt”, meinte Unger.

Gelder fließen erst nach Katastrophe Berlins Landesbranddirektor Wilfried Gräfling merkte an: “Seit 1982 diskutieren wir das bereits. Mein damaliger Ausbilder sagte, die Haushaltspläne der Feuerwehr werden mit Blut

geschrieben.” Folglich würden die Gelder erst fließen, wenn eine Katastrophe geschehen sei (mehr zur Verabschiedung Gräflings lesen Sie auf Seite 50). Auch Lindholz kritisiert wiederum die Kostendiskussion: “Es ist leider genau wie immer. Wir möchten handeln, aber sobald alles steht, wird die Kostenübernahme diskutiert. Wir können es uns in der Politik nicht mehr leisten, alles hin und her zu

schachern.” Ungeachtet der Tatsache, dass teilweise die Gefühle der Stagnation und der mangelnden Diskussion zum Ausdruck gebracht wurden, sind jedoch Fortschritte erkennbar. “Mit dem Konzept wurde uns, als “Praktiker des Bundes” ein Rahmen gestellt. Wir arbeiten gerade an der Ausgestaltung und sind mitten im Prozess”, erläuterte Nikolas Hefner vom nordrheinwestfälischen Landesverband

des Technischen Hilfswerkes (THW). Es bleibe aber noch viel zu tun. Zum einen bestehe weiterhin die Herausforderung, im Bereich des ehrenamtlichen Engagements die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Dafür brauche es Anreize und hierfür wiederum eine finanzielle beziehungsweise politische Grundlage, so Hefner. Zum anderen müsse nun investiert werden. So seien in seinem

der Europäischen Kommission. Exportkontrolle in der heutigen Diskussion drehe sich intern vielmehr um Prävention und Reaktion. Obwohl die Exportkontrolle sehr viele Bereiche umfasse: Nicht nur chemische, nukleare oder biologische Produkte, sondern auch Ausrüstung der Luft- oder Schifffahrt sowie Computer seien ein Teil davon. Insbesondere jene Güter, die nicht nur für gesellschaftliche oder wirtschaftliche Zwecke friedvoll genutzt werden könnten, stünden dabei im Fokus. Auch Wissen sei gefährlich, vor allem, wenn es unbedacht geteilt werde. “Jede Form der Technik oder Wissen kann auch zweckentfremdet werden. Deshalb ist Kontrolle und Sensibilisierung der Wissenschaft so wichtig”, ergänzte Lela Bakandize, technische Assistentin im Regionalsekretariat für Zentralasien.

Kooperationen scheitern am Recht Aber wenn jemand etwas schmuggeln wolle, dann werde er es auch versuchen, betonte sie. In ihrem Herkunftsland Georgien habe es sich deshalb als effektiv erwiesen, den Zoll, die Kunden und möglichst viele Akteure zu schulen. “Damit diese wissen, womit sie dort umgehen und wie sie damit umzugehen haben”, gab Bakandize Einblick in die georgische Arbeit. “Es geht darum, die Sachen an den Grenzen zurückzuhalten, wenn sie heikel sind. Dies kann mittlerweile auch Werkzeugmaschinen betreffen”, ergänzte Charatsis. Die Rechtsauslegung sei ungenau. Dies zeige sich auch am deutschen Beispiel der NGOs. “Wenn diese aus Deutschland in anderen Länder Hilfs- und Rettungseinsätze durchführen und ihre Ausrüstung nicht schnell durch die Kontrolle kommt, dann sollten rechtliche Rahmenbedingungen überdacht und eventuell angepasst werden”, so Charatsis.

Bundesland Fahrzeugflotten überaltert. “Wenigstens haben wir nun wieder das finanzielle Back-up wie wir es bereits 2002 hatten, bevor es abgebaut wurde”, so der THW-Vertreter.

1,6 Millionen Menschen auffangen Zudem sei durch die Flüchtlingssituation in den Jahren 2015 und 2016 vieles dazugelernt worden. “Wir haben sie analysiert und unsere Schlussfolgerungen gezogen”, erläuterte Dr. Heike Spieker, stellvertretende Bereichsleiterin der Nationalen Hilfsgesellschaft vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Schließlich müsse Deutschland im Krisenfall gemäß einer NatoVorgabe zwei Prozent seiner Bevölkerung unterbringen. In absoluten Zahlen betrachtet seien das 1,6 Millionen Menschen. Durch die Migrantenströme habe sich herauskristallisiert: “Wir sind gut vorbereitet hinsichtlich der Ausbildung des Personal und der Organisation eines solches Vorfalls. Aber wiederum schlecht aufgestellt, wenn es um die Materialien für die Unterbringung geht und bezüglich des ehrenamtlichen Personals”, so das Resümee von Spieker. Ziel müsse es sein, die Reaktionsfähigkeit des Bundes zu erhöhen, aber ohne die bestehenden föderalen Strukturen zu verändern. “Wichtig ist nun eine inhaltliche Diskussion über Bedarf sowie Kapazitäten und darauf aufbauend über Zuständigkeiten und Verfahren.” Der Bereich müsse mehr betreut werden als in der Vergangenheit, sagte auch Unger. In den letzten 20 bis 25 Jahren sei hier zu wenig gemacht worden.


Katastrophenschutzkongress

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Behörden Spiegel / Juli 2018

“Wir wollen den Helfern helfen”

Nicht nur drüber reden

Sicherheitsforschungsprogramm nimmt zivile Organisationen stärker in den Blick

Internationale Zusammenarbeit muss mit Leben gefüllt werden

(BS/Katarina Heidrich) Die zivilen Hilfsorganisationen sind die Instanzen, die bei der Bevölkerung großes Vertrauen genießen – anders als die Politik, ist sich der Leiter der Abteilung “Schlüsseltechnologien – Forschung für Innovationen” im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, sicher. Aus diesem Grund liege der Schwerpunkt des kürzlich beschlossenen Sicherheitsforschungsprogramms auch auf Lösungen, die diese Organisationen und die dort tätigen Menschen unterstützen sollen.

(BS/Marco Feldmann) Es reicht keineswegs aus, nur über den Erfolg grenzüberschreitender Kooperation im Katastrophenschutz zu sprechen. Entscheidender sind der tatsächliche Dialog miteinander und das Pflegen von Kontakten. Auch der Austausch von Verbindungspersonen habe sich bewährt.

Der stundenlange Stromausfall am Hamburger Flughafen Anfang Juni habe die Bedeutung der Hilfsorganisationen in Ausnahmesituationen gezeigt, erklärte Lukas. “Es war eine Situation, mit der das Deutsche Rote Kreuz umgehen musste und hervorragend umgegangen ist,” lobte er. Dies erfordere aber kooperatives und koordiniertes Handeln. Das Rahmenprogramm “Forschung für die zivile Sicherheit 2018 – 2023” liefere hierfür eine gute Grundlage und einen wichtigen Beitrag zum Katastrophenschutz. Lukas hob den zivilen Charakter des Programms hervor und forderte, diesen Bereich vom militärischen zu trennen, da im Zivilschutz anders vorgegangen werde. Hier gäbe es im Hintergrund keine großen Konzerne, “die Aufträge abgreifen wollen”. Demgegenüber sei ein ziviles Programm allerdings auf öffentliche Gelder angewiesen, die oftmals nicht ausreichten oder für veraltete Technik eingesetzt würden, monierte der Abteilungsleiter. Für das letzte Programm seien 600 Millionen Euro Fördergelder ausgegeben worden.

“Wo soll die Reise hingehen?” Die nötige Technik für den Katastrophenschutz solle seiner Meinung nach “stärker auf die Straße gebracht werden”, damit die Massenproduktion dieser Güter vereinfacht werde. “Lösungen dürfen nicht an finanziellen Grenzen oder Bund-Länder-Kompetenzen scheitern”, forderte Lukas, der das neue Förderfeld “Zivile Sicherheitsforschung” im BMBF etablierte. Solche “Lösungen für die Helfer” seien unter anderem autonome Systeme für die Feuerwehren zur Bombenentschärfung

Berichtete über das neue Rahmenprogramm “Forschung für die zivile Sicherheit 2018 – 2023”: Prof. Dr. Wolf-Dieter-Lukas, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Foto: BS/Dombrowsky

oder bei brennenden Tiefgaragen, die stark einsturzgefährdet seien. Künstliche Intelligenz (KI) sollte vor allem in “menschfeindlichen Umgebungen” eingesetzt werden, so Lukas. Entwickelt würden ebenfalls Nachrüstungskits zum automatisierten Fahren bei Baustellenfahrzeugen, oder Drohnen, die zu Suchaktionen bei Seenot eingesetzt werden könnten. “Helfer sollen nur dann Gefahren ausgesetzt werden, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt”, betonte der promovierte Physiker.

Digitale Potenziale nutzen Den starken Praxisbezug des neuen Programms hob ebenfalls Dr. Andreas Hoffknecht vom Projektträger VDI Technologiezentrum GmbH (VDI TZ GmbH) hervor: durch die Einbindung der Anwender und die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Nun müsse nur auch ein Praxistransfer erfolgen. Der Fokus sollte immer gleichzeitig auf technischen sowie gesellschaft-

lichen Entwicklungen liegen, so der Technologieberater. Andere Technologien wie das RadarWarn-und Informationssystem (RAWIS), dessen Förderung im Mai auslief, könnten bei Großschadenslagen wie dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs helfen. Die bisherigen laserbasierten Einsatzsicherungssysteme (ESS) seien zeitaufwendig, wodurch die Gefahr auch länger bestehe, und durch das optische System wetterabhängig, bemängelte der Geschäftsfeldsprecher Sicherheit am Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR), Dr. Jens Klare.

Drohnen und 3D als Unterstützung Die Vorteile 3D-basierter, luftgestützter Einsatzaufklärung bei Großschadenslagen stellte Helge Andreas Lauterbauch vom Lehrstuhl für Informatik an der Universität Würzburg vor. Durch die Festlegung vom Einsatzgebiet und von “No-flyZones” sowie die “On-the-fly”Berechnung der Flugwege sei eine bessere Einschätzung der Lage möglich. Allerdings sei der Einsatzbereich abhängig von der Akkuleistung der Drohne und rechtlichen Rahmenbedingungen, wie dem Abstand zum Piloten, erläuterte Lauterbach. Der Einsatz eines “Unmanned Aerial Vehicle” (UAV) spielt auch beim Projekt “Fliegendes Lokalisierungssystem für die Rettung und Bergung von Verschütteten (FOUNT²)” eine Rolle, welches Projektmanager Sebastian Schmitz von der Technischen Hochschule Köln vorstellte. Hier allerdings auf Basis eines Bioradars. Ziel des Projekts sei die Verbesserung des UAV-Einsatzes unbemannter Luftfahrzeuge bei der Suche nach Verschütteten.

Beiden Seiten geholfen Alltag in einem Flüchtlingslager in Tunesien (BS/jf) Die Flüchtlingsströme in den Jahren 2011 und 2015/16 zogen bei Behörden und Hilfsorganisationen in Tunesien und Deutschland umfassende Lageanalysen nach sich. Für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz wurden beiderorts Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert. Trotz aller organisatorischer Unterschiede kommen beide Länder u demselben Schluss: Es muss mehr getan werden. “Seit dem Ende des Kalten Krieges vor über 25 Jahren haben wir in Deutschland die Friedensdividende reichlich genossen”, sagte Christian Reuter, Generalsekretär beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Der damit verbundene Paradigmenwechsel, der sich im Zivilschutzkonzept wiederfinde, und der Rückbau im zivilen und militärischen Bereich seien gut, in Teilen gingen beide jedoch zu weit. Etwa bei der Vorhaltung von Ausrüstung und Verbrauchsgütern für größere Menschenmassen.

Ehrenamt ist wichtig Zudem habe die Flüchtlingssituation gezeigt, wie wichtig das Ehrenamt für den deutschen Bevölkerungsschutz ist. “Wir sind anders, aber besser”, brachte es Reuter auf den Punkt. Allerdings sieht er Differenzen zwischen dem, was Politiker in ihren Reden über die Stärkung des Ehrenamtes sagen und der Realität. Etwa bei der Helfergleichstellung oder bei der Anerkennung des Ehrenamtes. Hier plädierte der DRK-Generalsekretär für eigene Anreizsysteme, zum Beispiel bei der Anrechnung von Wartezeiten bei Studierenden oder in Form

Fordert eine bessere Bevorratung von Materialien für den Bevölkerungsschutz: Christian Reuter, Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Foto: BS/Dombrowsky

von Extrapunkten bei der Rente. Schließlich handle es sich bei den engagierten Helferinnen und Helfern um professionell ausgebildete Kräfte, die de facto eine zweite Berufsausbildung vorweisen. Deshalb habe seine Organisation auch ein Verbesserungskonzept erarbeitet, das derzeit im Bundesinnenministerium, aber auch im Haushaltsausschuss des Bundestages diskutiert werde. In Tunesien sei wenige Wochen

nach dem Arabischen Frühling deutlich geworden, wie unterschiedlich die Kapazitäten bei den verschiedenen nationalen Einheiten verteilt seien, beschrieb Militärarzt Oberst Dr. Riadh Allani, Generaldirektor der Militärmedizin in Tunesien, einen Lernpunkt. Zudem habe es kaum einheitliche Standards bei der technischen Ausrüstung gegeben. Über 345.000 Menschen aus dem benachbarten Libyen flohen über die Grenze. Neben 137.000 Tunesiern, die zuvor aus ihrer Heimat geflüchtet waren, vor allem Menschen aus Drittstaaten wie dem Tschad, Sudan oder Bangladesch. Rund 55.000 Menschen konnten bei Privatleuten unterkommen, für den Großteil mussten Zeltlager aufgebaut werden. “Wir haben gesehen, dass wir schon bei der Definition der Lage viel flexibler werden müssen, um zu wissen, welche Organisationen zum Einsatz kommen müssen”, so Allani. Reuter sprach auch noch den Rettungsdienst an: Dieser sei ein elementarer, systemrelevanter Bestandteil des Bevölkerungsschutzes. “Das ist kein Markt, diese Leistungen gehören nicht ausgeschrieben”, sagte er sichtlich unentspannt.

Und das nicht nur bei Großschadenslagen, sondern dauerhaft, unterstrich Hans Guggisberg. Zudem betonte der Chef des Bundesstabes im Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), dass Übungen insbesondere vom internationalen Dialog der Akteure lebten. Auch Jens Schindelholz, Bereichsleiter für Bevölkerungsschutz beim Amt für Militär und Bevölkerungsschutz des Kantons Basel-Landschaft, verlangte: “Die Partnerschaft muss gepflegt werden.” Wichtig sei vor allem eines: “In Krisen Köpfe kennen.” Für die Zusammenarbeit zwischen der Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik gelte das bereits. Hier würden sich die Zuständigen gut kennen. Gleiches gelte für die polizeiliche Kooperation zwischen der Schweiz und Frankreich. Im Bereich des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes gebe es hier jedoch noch Luft nach oben. Schindelholz wies darüber hi­ naus auf ein generelles Problem hin, als er anmerkte: “Bei einem Blackout können verschiedene Systeme nicht mehr miteinander kooperieren.”

Teilweise hapert es an Sprachkenntnissen Oberst Krzysztof Kedryk, Kommandant der Staatlichen Feuerwehr der polnischen Provinz Opole, ergänzte, dass es zwar zahlreiche Kooperationsabkommen zwischen Deutschland und der Regierung in Warschau gebe und sogar gemeinsame Seminare und Workshops stattfänden. Ein Problem existiere aber dennoch: Im Gegensatz zu seinen Kräften, von denen viele über

Unterstrichen die Bedeutsamkeit von Dialog und Austausch bei der grenzüberschreitenden Kooperation im Bereich des Katastrophenschutzes (v.l.n.r.): Jens Schindelholz (BABS), Thomas Hosp (Regierungspräsidium Freiburg), Hans Guggisberg (BABS), Oberstleutnant Enrico Fiebig (Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr), Christoph Flury (Moderator) und Oberst Krzysztof Kedryk (Staatliche Feuerwehr Opole).

deutsche Sprachkenntnisse verfügten, sprächen deutsche Feuerwehrleute nur selten Polnisch. Auf eine spezielle Hürde bei der Zusammenarbeit von Feuerwehren und Rettungsdiensten sowie bei Übungen zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz machte Thomas Hosp vom Regierungspräsidium Freiburg aufmerksam. Da es sowohl auf französischer als auch auf eidgenössischer Seite zahlreiche unterschiedliche Ansprechpartner gebe, werde die Kommunikation zum Teil erschwert. Daher benötige die internationale Kooperation einen gewissen institutionellen Rahmen, um tatsächlich zu funktionieren. Außerdem wichtig: “Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit muss immer wieder gelebt werden und darf nicht

Foto: BS/Dombrowsky

aus den Augen verloren werden.” Im Bereich der Streitkräfte existiere diese Gefahr nicht, meinte Oberstleutnant Enrico Fiebig. Der Vertreter des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr berichtete: “Im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit üben wir schon seit Jahren Großschadensszenarien.” Zudem habe die Bundesregierung mit allen Nachbarstaaten Kooperationsvereinbarungen zur Unterstützung bei solchen Einsätzen abgeschlossen. Auch das Bundesverteidigungsministerium sei hier bereits aktiv geworden. So bestünden entsprechende Übereinkommen mit den Streitkräften Österreichs und der Schweiz. Grundsätzlich konstatierte Fiebig: “Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit funktioniert.”

Niemals geht man so ganz Berlins Landesbranddirektor Gräfling aus Programmbeirat verabschiedet (BS/ab) Der Berliner Landesbranddirektor Wilfried Gräfling scheidet aus dem Amt und dem Programmbeirat des Europäischen Katastrophenschutzkongresses aus. Bei seiner Verabschiedung blickte er sowohl noch mal in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. “Obwohl ich gehe, werde ich dem Katastrophenschutz und der Feuerwehr erhalten bleiben, indem ich die Diskussionen verfolge und dem Wissenstransfer diene”, sagte Gräfling. Hinsichtlich der Kostendiskussion, wie sie im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz geführt wird, erinnerte er sich und sagte, dass diese “bereits seit 1982 geführt” werde. Einschneidende Erlebnisse hätten den größten Einfluss auf die Debatte. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei offen gefragt worden, ob die Ausweichleitstelle der Berliner Feuerwehr betriebsbereit sei, obwohl sie vorher vielfach kritisiert wurde. “Aber solche Momente zeigen uns unsere Verwundbarkeit.”

Die Welt habe sich aber noch weiter verändert. Die Herausforderung der Zukunft sieht Gräfling nicht mehr in der Diskussion über die Finanzierung des Katastrophenschutzes, sondern über die personelle Notlage. “Der demografische Wandel wirkt. Woher kommen dann die Leute, die unsere Fahrzeuge bedienen?”, fragte er. In Berlin sei dies verstanden worden und nun sei die Situation da, dass so viele finanzielle Mittel und Stellen zur Verfügung stünden wie noch nie. Die Attraktivität müsse gesteigert werden, damit die Feuerwehr und der Katas­ trophenschutz konkurrenzfähig blieben. “Ohne ehrenamtliche Helfer werden wir es sonst schwer haben”, so Gräfling.

Wilfried Gräfling, Landesbranddirektor Berlins, scheidet zwar aus dem Amt und dem Programmbeirat des Katastrophenschutzkongresses aus. Er möchte sich aber weiter in Diskussionen einbringen. Foto: BS/Dombrowsky

Experten-Delegation zu Gast

(BS/mfe) Auf dem Europäischen Katastrophenschutzkongress war eine zwölfköpfige Delegation von CBRN-Experten zu Gast. Sie arbeiten in von der Europäischen Union geförderten Zentren in Südeuropa, Afrika und Asien. Die internationalen Gäste besuchten nicht nur die zweitägige Veranstaltung, sondern absolvierten auch ein umfangreiches Begleitprogramm in Berlin. So waren sie bei der Berliner Feuerwehr und dem Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr zu Gast (Foto). Fotos: BS/Feldmann


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Juli 2018

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Neues aus der Wehrtechnik Industrie begrüßt Europäischen Verteidigungsfonds

Erstes “Defence-Cloud”-Angebot für Streitkräfte

BDSV

Thales

(BS) Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV e. V.) begrüßte Mitte Juni ausdrücklich den von der Europäischen Kommission vorgelegten Verordnungsentwurf für einen Europäischen Verteidigungsfonds (EVF). Dieser soll für die Jahre 2021 bis 2027 insgesamt 13 Milliarden Euro für die Durchführung gemeinsamer strategischer Rüstungsprojekte innerhalb der Union bereitstellen. Die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie erwartet spürbare Effekte für die zukünftige Zusammenarbeit, die Wettbewerbsfähigkeit und die strategische Autonomie Europas. “Der Europäische Verteidigungsfonds kann aus Sicht der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wichtiger Baustein und ein weiterer Anschub für funktionierende und effiziente europäische Kooperationen bei Forschung, Entwicklung und Beschaffung von Verteidigungs-Fähigkeiten sein”, so Dr. Hans Christoph ­Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des BDSV. Er erklärte weiter: “Kooperation muss aber aus Sicht der daran beteiligten Länder strategisch, technologisch und industriell sinnvoll sein.” Wichtig sei die rechtzeitige Abstimmung der beteiligten Mitgliedsstaaten über die Grundlagen der künftigen kooperativen Rüstungsvorhaben. Nur bei harmonisierten Spezifikationen sowie sich

angleichenden Bau-, Sicherheits-, Abnahme- und Exportkontrollvorschriften mit klar definierter Führung könnten sich nachhaltig erfolgreiche Kooperationsstrukturen herausbilden, so der BDSVHauptgeschäftsführer. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, könne der Verteidigungsfonds diese Kooperationsvorhaben zusätzlich unterstützen. “Am Ende braucht es aber für wettbewerbsfähige Produkte industriell machbare Strukturen, die nicht von politischen Begehrlichkeiten überlagert werden. (…) Die Mittel können nur Anreize für Kooperation darstellen; die Initiative und Finanzierung für gemeinsame Vorhaben muss von den Mitgliedsstaaten kommen”, so Dr. Atzpodien. Der Europäische Verteidigungsfonds finanziert eine Reihe von neuen EU-geförderten Projekten in der Verteidigungsforschung: Mit dem Projekt "Ocean 2020" zum Beispiel werden Missionen zur Überwachung des Seeverkehrs unterstützt. Zu diesem Zweck sollen Drohnen und unbemannte U-Boote in Flottenverbände integriert werden. Das Projekt wird von einem Konsortium unter der Führung von Leonardo S.p.A. durchgeführt, an dem 42 Unternehmen aus 15 EU-Ländern beteiligt sind, und es wird mit etwa 35 Millionen Euro gefördert. Mehr Informationen unter www.bdsv.eu

(BS) Mitte Juni präsentierte Thales die erste umfassende private “Cloud”-Infrastrukturlösung, um die Arbeitseffizienz von Streitkräften zu verbessern. Mit der “Nexium Defence Cloud” will das internationale Unternehmen mit Sitz in Frankreich sich bei der digitalen Transformation des Militärs an dessen spezifische Bedürfnisse anpassen. Die “Cloud”-Lösungen, die heutzutage in zivilen Bereichen verwendet werden, sind nicht für militärische Einsatzkräfte geeignet: Sie erfordern eine unbegrenzte Bandbreite, über die Armeen im Feld nicht verfügen. Die “Defence Cloud” von Thales versteht sich als unabhängige Lösung, die der Truppe dazu verhelfen soll, ihre Missionen im Einsatzgebiet selbständig ausführen zu können. Hyperkonnektivität auf dem Gefechtsfeld verspricht eine technologische Revolution für Streitkräfte und erhöht die Nachfrage hinsichtlich des Sammelns, Teilens und Verarbeitens großer Datenmengen in Echtzeit. Mit dem “Defence-Cloud”-Angebot und zugehörigen Konnektivitätslösungen bietet Thales eine Komplettlösung einschließlich sicherem und durchgehendem Hosting von Daten und Anwendungen. Alle Nutzer, vom Befehlshaber im Heimatland bis hin zu den Truppen im Einsatzgebiet, können geschützt in einer geeigneten Umgebung, die sich voll auf Thales’ Kompetenz in Sachen Cyber­-Sicherheit

Die Digitalisierung von Landstreit­ kräften ist ein großes Beschaffungsthema. Foto: BS/Thales

stützt, zugreifen. “Thales bietet Streitkräften Kompetenz in Sachen Sicherheit und interoperable Informations- und Telekommunikationssysteme”, so Marc Darmon, Thales Executive Vice President für Secure Communications & Information Systems, “kombiniert mit erstklassigen Fähigkeiten in digitalen Schlüsseltechnologien. (...) Mit der Nexium Defence Cloud erweitert Thales das Arsenal von Streitkräften um eine neue digitale Möglichkeit, die ihnen erlaubt, in Echtzeit und jedem entscheidenden Moment schnell und effizient Entscheidungen zu treffen.” Mehr Informationen unter www.thalesgroup.com

Drohnen-Vertrag unterzeichnet

Thailand beschafft Luft-Luft-Flugkörper

BAAINBw

Diehl

(BS) Mitte Juni unterzeichneten Verantwortliche des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) sowie der Firma Airbus Defence & Space Airborne Solutions (ADAS) einen Vertrag über die Nutzung der israelischen Aufklärungsdrohne “Heron TP” (Turboprop). Nach Billigung des Vertragsschlusses durch den Verteidigungs- sowie den Haushaltsausschuss des Bundestages kamen noch am selben Tag Vertreter des Beschaffungsamtes sowie von ADAS in Koblenz zur Vertragsunterzeichnung zusammen. Insgesamt fünf Fluggeräte und vier Bodenstationen wird ADAS beim israelischen Hersteller Israeli Aerospace Industries (IAI) für diese Zwecke bestellen und nach den Vorgaben des BAAINBw an die deutschen Bedürfnisse anpassen lassen. Damit kann das System in bis zu zwei Einsatzgebieten gleichzeitig zum Einsatz kommen. Im Gegensatz zu anderen Beschaffungsprojekten wird die Aufklärungsdrohne "Heron TP" nicht gekauft, sondern mit einem Dienstleistungsvertrag von ADAS geleast und gewartet. Die Ausbildung der Piloten wird nach einer Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und Israel von den dortigen Streitkräften im jüdischen Staat selbst durchgeführt. Mit Vertragsschluss werden beide Seiten an der Umsetzung des Projekts arbeiten. Die Ausbildung der ersten Pilo­ten beginnt bereits in diesem Jahr und der Flugbetrieb soll 2020

(BS) Die Diehl Defence GmbH & Co. KG unterzeichnete Mitte Juni einen weiteren Vertrag über die Lieferung von Luft-Luft-Lenkflugkörpern des Typs IRIS-T (“Infrared Imaging System – Tail/ Thrust Vector Controlled”) an Thailand und setzt damit die Zusammenarbeit der vergangenen Jahre mit dem südostasiatischen Land fort. Bereits 2011 hatte sich die Royal Thai Air Force für den europäischen Kurzstrecken-Flugkörper zur Bewaffnung zunächst ihrer Saab JAS 39 “Gripen”– und später auch der eigenen F-16A/­ B-Kampfflugzeuge “Fighting Falcon” von General Dynamics – entschieden. Im Rahmen der neuen Beschaffung ist darüber hinaus die Integration des Flugkörpers an die mittlerweile betagte Flotte der Kampfjets vom Typ F-5E/F “Tiger II” von Northrop geplant, sodass IRIS-T nun auch zur Standardbewaffnung in der Luftwaffe des buddhistischen Königreichs wird. Mit seinen Leistungsmerkmalen gehört IRIS-T zu den modernen Luft-Luft-Flugkörpern kurzer Reichweite. Neben der Abwehr gegnerischer Kampfflugzeuge können auch angreifende Luft-Luft- sowie Boden-Luft-Flugkörper bekämpft werden. Selbst Angriffe von hinten kann der Pilot mit IRIS-T abwehren, ohne den Kurs des eigenen Flugzeugs ändern zu müssen. IRIS-T wurde als Nachfolger für die in die Jahre gekommenen “Sidewinder”-Flugkörper gemeinsam von Deutschland, Griechenland, Italien, Norwegen,

Vizepräsident Armin Schmidt-Franke (m.) präsentiert den unterzeichneten Vertrag in Koblenz gemeinsam mit (v.l.n.r.) Thomas Reinartz (ADAS), Manfred Dion (Projektleiter “Heron ­TP” im BAAINBw), Ralf Hastedt und Thomas Wehrhahn (beide ADAS). Foto: BS/Bundeswehr, Wullers

beginnen. Eine erste Verlegung in ein Einsatzgebiet könnte im Bedarfsfall dann voraussichtlich ebenfalls in zwei Jahren erfolgen. "Wir freuen uns, heute die Weichen für eine signifikante Verbesserung der strategischen Aufklärungsfähigkeiten der Luftwaffe und damit für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz gestellt zu haben", sagte Armin SchmidtFranke, Vizepräsident des BAAINBw, nach der Vertragsunterschrift. Mehr Informationen unter www.baainbw.de

Vertragsunterzeichnung in Überlingen (v.l.n.r.): Helmut Rauch, Geschäftsführer Diehl Defence, Air Marshal Maanat Wongwat, Stellv. Stabschef der thailändischen Luftwaffe, und Albert Zuzej, Leiter Luftwaffensysteme bei Diehl Foto: BS/Diehl

Schweden und Spanien entwickelt und beschafft. Die Serienfertigung begann 2005. Zu den weiteren Nutzerstaaten zählen heute Österreich, SaudiArabien, Südafrika und Thailand. Als Mehrzweckwaffe findet IRIS-T inzwischen auch Verwendung als Boden-Luft-Flugkörper in der bodengebundenen Luftverteidigung. Testschüsse einer Boden-gestarteten IRIS-T wurden 2000 und 2002 auf dem größten italienischen Testgelände von Salto di Quirra in Sardinien durchgeführt Mehr Informationen unter www.diehl.com

Millionenauftrag aus Kanada

Drohnen-Ausbildung im europäischen Netzwerk

Rheinmetall

General Atomics

(BS) Rheinmetall hat einen Folgeauftrag bei den kanadischen Streitkräften gewonnen. Die Marine des NATO-Partnerlandes beabsichtigt die Erweiterung von MASS-Schutzanlagen (“Multi Ammunition Softkill System”) auf Fregatten im Gesamtwert von rund 20 Millionen Euro. MASS ist ein automatisiertes Täuschkörpersystem, das Marineschiffe vor Bedrohungen durch moderne Anti-Schiffsraketen schützen soll. Das Projekt wird in Partnerschaft von Rheinmetall am bayerischen Standort Fronau und Rheinmetall Canada Inc. in Québec in einer Gesamtlaufzeit von vier Jahren (2018 bis 2022) realisiert werden. Die kanadische Beschaffungsbehörde hat jetzt den Auftrag freigegeben, von dem zunächst jeweils sechs Millionen Euro auf die entsprechenden Standorte in Deutschland und Kanada entfallen. Bereits installierte Zwei-Werfer-Systeme auf den Fregatten der “Halifax”-Klasse sollen im Zuge dieser Ausrüstung zu einer Drei-Werfer-Anlage ausgebaut werden. Dazu werden Baugruppen und Einzelteile der MASS-Anlagen zunächst zu Rheinmetall Canada gebracht, wo sie zusammengesetzt und in Betrieb genommen werden, bevor sie an Bord installiert werden können. Bereits 2009 war das Düsseldorfer Unternehmen mit der Ausrüstung von zwölf kanadischen

Fregatten der “Halifax”-Klasse mit MASS beauftragt worden. Auch die dazugehörige Täuschkörpermunition “Omnitrap” und “MASS-Due­ ras” haben die kanadischen Streitkräfte bei Rheinmetall unter Vertrag genommen. MASS ist – Eine MASS-Schutzanlage im scharfen inklusive der Schuss Foto: BS/Rheinmetall dazugehörigen Spezialmunition – ein am Standort Fronau entwickeltes Täuschkörper-Wurfsystem, das zum Schutz von Schiffen gegen Seeziel-Flugkörper entwickelt wurde. Marinekräfte in 13 Ländern weltweit nutzen aktuell insgesamt 224 MASS-Werfer zum Schutz ihrer schwimmenden Einheiten. Mehr Informationen unter www.rheinmetall.com

(BS) Das Aufklärungsgeschwader der Königlichen Luftwaffe der Niederlande baut seine drohnengestützten Fähigkeiten aus. Im Zentrum steht die Beschaffung von vier MALE UAS (“MediumAltitude Long-Endurance Unmanned Aerial System”) vom Typ “MQ-9A Predator B (Block 5)” in einer nicht-bewaffnungsfähigen Konfiguration. Die Aufklärungsdrohnen sollen auf einer Luftwaffenbasis in Leeuwarden in der Provinz Friesland stationiert werden. Bediener werden bereits geschult und Bildauswertungskapazitäten aufgebaut. Dazu nahm die Luftwaffe des Nachbarlandes neue Ausbildungssimulatoren in Betrieb. Die Simulatoren sind Teil eines europäischen Netzwerks von Ausbildungsmitteln für MALE UAS. Vernetzt üben die MQ-9-Nutzer Frankreich, Italien, die Niederlande sowie weitere Mitglieder der europäischen MALE-UAS-Gemeinschaft den Betrieb der Systeme. Weiteres erklärtes Ziel der europäischen Initiative ist “Pooling and Sharing” in der Instandhaltung gleichartiger UAV-Systeme, bei Logistik, Ausbildung und Verfahren. So können Einsatzerfahrungen ausgetauscht und Interoperabilität gesteigert werden. Erstmals haben niederländische Luftbildauswerter am Standort Leeuwarden Live-Bilder einer im Nahen Osten eingesetzten “Predator B”

Eine unbewaffnete Aufklärungsdrohne vom Typ “MQ-9A Predator B (Block 5)” Foto: BS/Portugall

der internationalen Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz des sogenannten “Islamischen Staates” (IS) ausgewertet. Damit unterstützt das westeuropäische Königreich die “Operation Inherent Resolve” (OIR) der US-Streitkräfte in Syrien und im Irak. Auch für künftige Einsätze soll die gesamte Prozesskette vom Empfang der Sensordaten, deren Verarbeitung und Auswertung bis zur Bereitstellung der Aufklärungsprodukte von Leeuwarden aus gesteuert werden. Mehr Informationen unter www.ga.com


Wehrtechnik

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ür französische Unternehmen wie den Panzerbauer Nexter und den Fahrzeughersteller Renault ist die Eurosatory stets ein “Heimspiel”. Die Thales Group – international zusammengesetzt, aber mit Sitz in Frankreich – konnte während der Messe vermelden, dass der Konzern zusammen mit der Microsoft Corporation als Partner eine “Defence Cloud” für Streitkräfte entwickeln möchte. Außerdem konnte sich Thales fortan als “strategischer Partner” für die Digitalisierung des französischen Heeres positionieren. In diesem Zusammenhang demonstrierten französische Soldaten im ThalesChalet die Funktionsweise der D-CID Lab-Studie (“Dismounted-Combat Innovation Design Laboratory”). Thales Australien war unter anderem mit dem Geländewagen “Hawkei” und dem Sanitätsfahrzeug “Bushmaster” vor Ort. Auffällig viele Unternehmen und Produkte aus der Türkei waren in Villepinte zu sehen: u. a. Aselsan aus Ankara, der größte Rüstungskonzern des Landes, und die Fahrzeughersteller BMC aus Izmir und Otokar aus Sakarya. Sogar der Schützenpanzer “Rabdan” 8x8 wurde in Villepinte ausgestellt, realisiert von einem Joint Venture der Otokar Land Systems und der Al Jasoor Heavy Vehicles Industry aus Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Auch zahlreiche US-Unternehmen, wie zum Beispiel die Lockheed Martin Corporation (Luftfahrt), die Raytheon Company (Elektronik) und die Oshkosh Corporation (Fahrzeugbau), waren vor Ort. Ostasien war eher schwach auf der Eurosatory vertreten. Weder China noch Japan waren mit schwerem Gerät nach Frankreich gekommen. Aus der Volksrepublik war zum Beispiel die Jihua Group, ein Unterneh-

Behörden Spiegel / Juli 2018

Bewegung auf dem Rüstungsmarkt Kooperative Lösungen allerorten (BS/Dr. Gerd Portugall) Mitte Juni fand die Eurosatory – die größte europäische Rüstungsmesse für Landstreitkräfte, Heeresflieger und Innere Sicherheit – nördlich von Paris im “Parc des Expositions” von Villepinte statt. Mit 1.802 Ausstellern aus 63 Staaten und 57.056 Fachbesuchern konnte der Veranstalter GICAT (“Groupement des Industries de Défense et de Sécurité terrestres et aéroterrestres”) einen neuen Rekord aufstellen. Auch die wehrtechnische Industrie aus der Bundesrepublik war stark vertreten. men der militärischen Leichtindustrie, vor Ort. Der japanische Schwerindustriekonzern Kawasaki zeigte hauptsächlich ein paar miniaturisierte Flugzeugmodelle. Ausnahmen bildeten lediglich Südkorea und Singapur: So waren unter anderem die Panzerhaubitze K9 am Stand des ostasiatischen Mischkonzerns Hanwha sowie das MehrzweckKettenfahrzeug “Bronco 3” des südostasiatischen Herstellers ST Kinetics zu sehen. Das kleine Israel hingegen drängt offenkundig nicht nur mit Macht auf den deutschen, sondern auch auf den französischen und europäischen Markt für Wehrtechnik. Mit einer Rekordzahl von 73 Unternehmen nahm der jüdische Staat an der französischen Messe teil. Neben dem Flugzeugbauer Israel Aerospace Industries (IAI), dem Drohnen-Hersteller Aeronautics und dem wehrtechnischen Konzern Rafael Advanced Defense Systems war unter anderem auch der Luft- und Raumfahrt- sowie Elektronikkonzern Elbit Systems auf der Eurosatory vertreten.

Starke deutsche Messe-Präsenz Bei einer internationalen Messe für Landstreitkräfte durften die deutschen Systemhäuser für Panzerfahrzeuge nicht fehlen: Rheinmetall stellte erstmals überhaupt die größere Variante KF41 des Schützenpanzers “Lynx” (Platz für acht Infanteristen) der internationalen Fachöf-

Dieser auf der Eurosatory gezeigte geschützte Geländewagen “Hawkei” ist von Thales Australien, Boeing Australien und dem israelischen Fahrzeugbauer Plasan entwickelt worden. Foto: BS/Portugall

fentlichkeit vor. Vor zwei Jahren hatte die kleinere Variante KF31 (Platz für sechs Infanteristen) in Villepinte Premiere. Während der Eurosatory hatten die Rheinmetall-Techniker innerhalb weniger Stunden das Modul “Schützenpanzer” des “Lynx” aus- und das Modul “Führungsfahrzeug” eingebaut. Ab etwa 2030 will die Bundeswehr das Projekt MGCS (“Main Ground Combat System”) als Nachfolger für den Kampfpanzer “Leopard 2” realisiert haben. Dafür hatten sich das deutsche Familienunternehmen KraussMaffei Wegmann (KMW) sowie sein französisches Pendant, der Staatsbetrieb Nexter, 2015 zur Panzer-Holding KNDS (“KMW +

Nexter Defense Systems”) zusammengeschlossen. Auf der Eurosatory hatte KNDS den hybriden Demonstrator des “European Main Battle Tank” (E-MBT) als eine denkbare Option für das MGCS im “Gepäck”: Das Chassis kommt vom “Leopard 2A7” von KMW und der Turm – mit Ladeautomatik – vom “Leclerc”Kampfpanzer von Nexter. Die Flensburger Fahrzeugbaugesellschaft mbH (FFG) zeigte u. a. die neueste Version des geschützten modularen Kettenfahrzeuges PMMC G5. Dieser “Protected Mission Module Carrier” läuft auf Gummiketten, die das Fahrzeug leiser und vibrationsärmer laufen lassen. Durch die Verwendung der Basisplattform G5 sowie der standardisierten und genormten Rüstsätze kön-

nen so nach Unternehmensangaben jederzeit neue Varianten für den jeweiligen Einsatzzweck geschaffen werden. Am Stand der Daimler AG war unter anderem der MercedesGeländewagen “G-Wagon” MRV (“Multi-Role Vehicle”) 4x4 ausgestellt, der besonders für Spezialkräfte geeignet ist. Auch war ein “Sprinter”-Transporter 516 CDI 4x2 in der Konfiguration Sanitätskraftwagen (“Sanka”) zu sehen. Nicht fehlen durfte in Villepinte natürlich die legendäre Fahrzeug-Baureihe “Unimog” in verschiedenen Ausführungen. Wie ein Mitarbeiter der MBDA Deutschland GmbH gegenüber dem Behörden Spiegel erklärte, sei im Chalet des gesamten MBDA-Konzerns das öffentliche Interesse besonders an dem Kleinflugkörper “Enforcer” ausgeprägt gewesen. Dieser ist vorgesehen für den Einsatz bei Infanterie und Spezialkräften bei Tag und Nacht. Durch seine Kompatibili-

tät mit der Abschusseinrichtung der Panzerabwehrwaffe “Wirkmittel 90” von Dynamit Nobel Defence unterstützt er den Standardisierungsansatz innerhalb der Bundeswehr im Bereich der Hand- und Schulterwaffen. Das Sensorsystemhaus Hensoldt legte einen Schwerpunkt auf das neue LuftverteidigungsRadar TRML-4D. Dabei handelt es sich um ein dreidimensionales, Software-definiertes G-BandMultifunktionsradar. Das TRML4D kann den Luftraum aufklären, Ziele zuweisen, Abwehrwaffen steuern und den Luftverkehr kontrollieren. Es benutzt eine rotierende AESA-Antenne. Selbst kleine und langsam fliegende Drohnen soll das Radar damit erfassen können. Mit der Abwehr speziell von kommerziellen Drohnen beschäftigte sich in Villepinte die ESG Elektroniksystem- und LogistikGmbH aus Fürstenfeldbruck. Seit 2015 kooperieren die ESG, die Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG sowie die Diehl Defence GmbH gemeinsamen bei Arbeitslösungen, um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken. Das daraus hervorgehende modulare Gesamtsystem “Guardion” umfasst marktverfügbare Sensoren und Effektoren sowie ein umfassendes Führungs- und Lagedarstellungs-System.

MELDUNG

BWI-Personalveränderungen (BS/por) Ende Juni hat der Aufsichtsrat der BWI GmbH, des IT-Dienstleisters für Bundeswehr und Bund, überraschend personelle Änderungen in der Geschäftsführung beschlossen: Der Aufsichtsrat sei zu dem Entschluss gekommen, dass sich u. a. “ausgewählte strategische Positionen” des Eigentümers Bund und des Aufsichtsrates auf der einen sowie die des Geschäftsführers und CEO, Ulrich Meister,

auf der anderen Seite auseinander entwickelt hätten. Daher ist Meister “mit sofortiger Wirkung” von seiner Funktion frei gestellt worden. Übergangsweise hat BWI-Geschäftsführer Dr. Jürgen Bischoff die Aufgaben des CEO übernommen. Außerdem stehe die Geschäftsführerin Finanzen, Katharina Hollender, “leider aus persönlichen Gründen” für ihre Aufgaben nicht mehr zur Verfügung.

Digitalisierte Landstreitkräfte Deutsche Verantwortlichkeiten

Foto: Bundeswehr

(BS/por) Die zentrale Aufgabe der aktuell stattfindenden Digitalisierung von Streitkräften sei es, deren “Kampfwert bestmöglich zu steigern”, so General a. D. Rainer Schuwirth, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), auf einer ihrer Veranstaltungen Ende Juni in Bonn. Noch deutlicher auf den Punkt brachte diesen Aspekt Generalleutnant Frank Leidenberger bei derselben Konferenz: Zweck der militärischen Digitalisierung sei es letztlich, “siegfähige Streitkräfte bereitzustellen”.

Praxisseminare Sicherheit und Verteidigung Rüstungsbeschaffung nach novelliertem CPM 12.09.2018, Berlin Preisrecht und Preisprüfung bei Verteidigungsaufträgen 20.09.2018, Berlin Belasteten und traumatisierten BOS-Einsatzkräften begegnen 25.10.2018, Berlin Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Aufträge 26.11.2018, Berlin

www.fuehrungskraefte-forum.de

Doch diese “Digitalisierung wird Geld kosten”, so General Leidenberger weiter in seiner Keynote. Der Kommandeur Deutsche Anteile Multinationale Korps/ Militärische Grundorganisation im Kommando Heer verwies darauf, dass Deutschland im kommenden Jahr als Rahmennation die Verantwortung für die neue schnelle Eingreiftruppe der NATO, die “Very High Readiness Joint Task Force” (VJTF), übernehmen werde. Zentrale Bedeutung komme dabei u. a. der “digitalen Resilienz”, d. h. dem Schutz der eigenen Vernetzungen, zu. “Was wir tun, tun auch andere”, so der Heeresgeneral. Vielleicht habe sich unbemerkt bereits ein “Cyber-9/11” ereignet? In jedem Fall werde die Digitalisierung “die Art, wie wir kämpfen, dramatisch verändern”. General Leidenberger erwähnte in diesem Zusammenhang natürlich die drei Thesenpapiere des Kommandos Heer aus 2017/2018 (von “Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?” bis “Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte”). Die auf digitalisierten Daten basierende Führungsfähigkeit solle letztlich einen “signifikanten Vorteil bei der Operationsführung” bewirken. Im Zuge des NATO-Gipfels in Wales von 2014 hatten die Staats- und Regierungschefs den “NATO Readiness Action Plan” (RAP) beschlossen, bestehend aus den Säulen “Adapta-

Generalleutnant Frank Leidenberger während seiner Keynote in Bonn

tion Measures” und “Assurance Measures”. Es geht also erstens um Anpassungsmaßnahmen bei Strukturen und militärischen Kräften zur Erhöhung der Reaktionsfähigkeit sowie zweitens um Rückversicherungsmaßnahmen zugunsten der östlichen Bündnispartner.

Hintergrund: VJTF Der Landstreitkräfteanteil der VJTF 2019 werde aus einer multinationalen Brigade (“Fighting Force”) bestehen, so General Leidenberger in Bonn, die im Kampf gegen einen gleichwertigen mechanisierten Gegner bestehen können müsse. Dabei ist vorgesehen, dass drei bis fünf Kampftruppenbataillone sowie zusätzliche Kräfte der Kampfund Einsatzunterstützung den Großverband zu Operationen im gesamten Intensitätsspekt-

Foto: BS/Portugall

rum befähigen. Diese deutsch geführte Brigade wird durch Luft- und Seestreitkräfte sowie Kräfte der Streitkräftebasis, des Sanitätsdienstes und des neuen Organisationsbereiches Cyberund Informationsraum verstärkt werden. Das Kommando Heer kann dabei auf die Erfahrungswerte zurückgreifen, die es bereits für die erste VJTF 2015 bei der Zusammenarbeit v. a. mit den Niederlanden gewonnen hat.

Industrie gefordert Der “Kleber”, der bei der Digitalisierung letztlich alles zusammenhalte, sei die Software – “und damit ist die Industrie gefordert”, so Generalmajor Reinhard Wolski, Amtschef Heeresentwicklung. Viel verspricht er sich dabei insbesondere von den Fortschritten bei der Künstlichen Intelligenz (KI).


Verteidigung

Behörden Spiegel / Juli 2018

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ie Volga-Dnepr Airlines ist eine russische Frachtfluggesellschaft mit Heimatbasis in Uljanowsk an der Wolga sowie weiteren Luftdrehkreuzen im sibirischen Krasnojarsk und in Ostdeutschland. Das Unternehmen verfügt über rund ein Dutzend schwere Transportflugzeuge der Typen Antonow An-124 und Iljuschin Il-76TD-90WD. Auf der Pariser Luftfahrtmesse 2015 hat Volga-Dnepr eine Absichtserklärung zum Kauf von 20 Boeing 747-8F, der Frachtversion des “Jumbos”, unterzeichnet. Die ukrainische Frachtfluggesellschaft Antonov Airlines mit Sitz in Kiew ist der dritte Vertragspartner im Bunde. Sie hat in ihrem Bestand neben zahlreichen Propeller-betriebenen Transportflugzeugen auch etwa ein halbes Dutzend An-124-100 sowie die einzige flugfähige An-225 “Mrija”. Bei dieser sechsstrahligen Antonov, die noch zu Sowjetzeiten entwickelt worden war, handelt es sich mit 88,4 Metern Spannweite um das größte und mit einem maximalen Startgewicht von 640 Tonnen um das schwerste Flugzeug der Welt.

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Strategischer Lufttransport in Europa Bundeswehr in der Zwickmühle (BS/Dr. Gerd Portugall) Plötzlich ist strategischer Lufttransport ein Thema europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP): Mitte April gab die russische Frachtfluggesellschaft Volga-Dnepr bekannt, ihren Vertrag mit mehreren europäischen NATO-Staaten für die Nutzung des vierstrahligen zivilen Großraumtransporters Antonov An-124 “Ruslan” zum Jahresende auslaufen lassen zu wollen. Davon wäre auch die BundeswehrLogistik mit den in Leipzig/Halle stationierten Zivilmaschinen betroffen. Wird das auch strategische Implikationen für die Europäer haben?

NATO-Programm SALIS Seit 2006 stellt Volga-Dnepr Airlines im Rahmen des Programms SALIS (“Strategic Airlift International Solution”) gemeinsam mit Antonov Airlines am Flughafen Leipzig/Halle militärische Großraum-Transportkapazitäten für friedenssichernde und humanitäre Einsätze von 14 europäischen NATO- und EU-Staaten bereit. Neben den “großen Drei” Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind unter anderem auch die Nicht-NATOStaaten Finnland und Schweden an SALIS beteiligt. Der Vertrag sieht eine feste Stationierung von zwei Jets in Sachsen sowie die Mindestabnahme eines jährlichen Flugstundenkontingentes vor. Die Bundesrepublik hatte sich zur Abnahme eines Flugstundenanteils von 750 Stunden p. a. im Wert von angeblich 20 Millionen Euro verpflichtet. Zusätzlich haben die Auftraggeber die Möglichkeit, weitere Luftfahrzeuge anzufordern. Deshalb können in Leipzig/ Halle dafür bis zu sechs große

Eine Antonov An-124 der russischen Frachtfluggesellschaft Volga-Dnepr auf der ILA 2014

Transportflugzeuge, überwiegend vom Typ An-124-100, vorgehalten werden. Die Antonov verfügt bei der maximalen Nutzlast von 150 Tonnen über eine Reichweite von 3.200 Kilometern. Bis 2016 geschah dies auf der Grundlage eines Vertrages zwischen der durch die Teilnehmerstaaten beauftragten “NATO Maintenance and Supply Agency” (NAMSA) und dem Gemeinschaftsunternehmen Ruslan SALIS GmbH; seit vergangenem Jahr über getrennte Verträge mit den jeweiligen Partnern aus Russland und der Ukraine. Mitte April dieses Jahres erklärte dann Volga-Dnepr Airlines, das SALIS-Abkommen zum Jahresende nicht, wie in einer Vertragsoption vorgesehen, verlängern zu wollen. Wenige Tage nach der Bekanntgabe dieser russischen Entscheidung erschien als “Überraschungsgast” auf der diesjährigen ILA Berlin Air Show die An-225 der ukrainischen Antonov Air-

lines. Dies war bestimmt kein Zufall. Die Kiewer Frachtfluggesellschaft wollte sich sicherlich als Alternative für Volga-Dnepr ins Gespräch bringen. Wirklich überraschen kann diese Entwicklung nicht, wenn man sich einerseits vergegenwärtigt, dass Russland und die Ukraine sich seit 2014 in einem nicht-erklärten Kriegszustand befinden. Andererseits hat der Westen aufgrund der russischen Aggressionen auf der Krim und in der Ostukraine Sanktionen gegen das riesige eurasische Land verhängt. Es verwundert eher, dass die russischen NATO-Flüge überhaupt noch bis jetzt stattgefunden haben.

Lufttransport über große Entfernungen Strategische Großraumflugzeuge befördern Truppen und Material über weite Distanzen zu Flughäfen abseits des unmittelbaren Einsatzgebietes, von wo aus der

Kommentar

Unbewaffnete Bundeswehr-“Kampfdrohnen” (BS) Man glaubt es kaum: Mitte Juni gab das Koblenzer Beschaffungsamt (BAAINBw) eine Pressemitteilung heraus, aus der hervorgeht, dass es mit der Industrie (Airbus) einen Vertrag zur künftigen Nutzung der neuen israelischen Drohne “Heron TP” unterzeichnet hat. Dieses MALE-UAS soll leistungsfähiger sein als die bisher eingesetzte “Heron 1” (mehr dazu auf Seite 51 in der Rubrik “Neues aus der Wehrtechnik”). In dieser Meldung ist immer nur von “Aufklärung” die Rede – zur Frage einer eventuellen Bewaffnungsfähigkeit fällt in diesem Zusammenhang kein Wort. Das ist weder die Schuld der Bundeswehr noch der Industrie, sondern der Politik – genauer: der Koalitionsabsprachen zwischen Union und SPD. Im Koalitionsvertrag vom März dieses Jahres steht dazu: “Wir werden im Rahmen der Europäischen Verteidigungsunion die Entwicklung der Euro-Drohne weiterführen. Als Übergangslösung wird die Drohne Heron TP geleast.” So weit, so gut. Doch dann ist weiterzulesen: “Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden.” Wie lange – bitteschön – soll diese “ausführliche Würdigung” andauern? Wann kann das Parlament endlich entscheiden? Entlang dieser Linien “hangelt” sich auch der nun im Bundestag erzielte Kompromiss zwischen CDU/CSU und SPD: Zwar kann jetzt das leistungsfähigere IAIProdukt beschafft werden, dessen Bewaffnungsfähigkeit (inkl. Ausbildung und Munition) soll aber noch nicht beauftragt werden. Im Klartext: Die deutsche “Heron TP” bleibt nach jetzigem Stand auf unbestimmte Zeit ein “zahnloser Tiger” bzw. “Flieger”.

Wer die Beschaffungsprozesse der Bundeswehr kennt, kann zumindest ungefähr erahnen, wie lange es dauern wird, bis die unbewaffnete Version vielleicht einmal in den Einsatzgebieten der deutschen Streitkräfte “eintrudelt”. Der Vizepräsident des BAAINBw, Armin Schmidt-Franke, sagte zwar nach der Vertragsunterschrift mit Airbus: “Wir freuen uns, die Weichen für eine signifikante Verbesserung der strategischen Aufklärungsfähigkeiten der Luftwaffe und damit für den Schutz unserer Soldaten im Einsatz gestellt zu haben.” Man muss kein militärischer Praktiker sein, um sich klarzumachen, dass der Schutz effektiver, d. h. wirksamer, und sogar auch effizienter, d. h. wirtschaftlicher, wäre, wenn z. B.die über einer Bundeswehr-Patrouille im Norden Malis kreisende Drohne nicht nur aufklären, sondern aufgeklärte Gegner direkt bekämpfen könnte – anstatt warten zu müssen, bis irgendwann eigene oder verbündete Kampfhubschrauber oder Kampfflugzeuge einfliegen.

Die Bundeswehr-Führung fordert schon lange Kampfdrohnen für die Truppe in den Einsatzgebieten – von der nun wieder anstehenden Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung ganz zu schweigen. Doch viele Verteidigungspolitiker hierzulande scheinen die Themen “Kampf”, Tod” bzw. “eventuelle zivile Kollateralschäden” zu fürchten wie der “Teufel das Weihwasser”. Das treibt dann “Stilblüten” wie die folgende im aktuellen Koalitionsvertrag: “Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.” Wer würde sich denn hinstellen und sich für “rechtswidrige Tötungen” aussprechen? All dies wiederum ist eine Folge der grundsätzlichen Ablehnung alles Militärischen in Teilen der deutschen Medien und Gesellschaft. Politiker im Parlament und erst recht in der Regierung tragen jedoch nicht nur Verantwortung für das große Ganze (“Deutschland und die Welt”), sondern auch für jeden einzelnen Bundeswehr-Soldaten im Einsatz! Dr. Gerd Portugall

Foto: BS/Portugall

taktische Transport ins Operationsgebiet einsetzt. Die großen und schweren Jets nutzen in der Regel befestigte Landebahnen und eine entsprechende technische Infrastruktur am Boden. Neben den genannten russischen Antonov- und Iljuschin-Maschinen sind in diesem Zusammenhang unter anderem auch die Lockheed C-5 “Galaxy”, bis zur Fertigstellung der sowjetischen An-124 das größte Flugzeug der Welt, und der Airbus A310 MRTT (“Multi-Role Transporter Tanker”) zu erwähnen. Seit einigen Jahren werden Transportflugzeuge entwickelt, die sowohl für den taktischen als auch für den strategischen Lufttransport geeignet sein sollen. Sie kombinieren die Landeeigenschaften taktischer Transporter auf unbefestigten oder kurzen Landebahnen mit einer größeren Reichweite und einer erhöhten Ladekapazität. Als Beispiele werden hierfür der Airbus

A400M und noch viel deutlicher die Boeing C-17 “Globemaster III” genannt. Der A400M verfügt bei einer maximalen Nutzlast von 37 Tonnen über eine Reichweite von 3.300 Kilometern. Die C-17 kann bei einer maximalen Zuladung von 77,5 Tonnen 4.450 Kilometer weit fliegen. Während des Kalten Krieges lag der strategische Lufttransport der NATO mit Masse bei den USA. In diesem Zusammenhang sei an die “Reforger”-Großmanöver (“Return of Forces to Germany”) erinnert. Das Ende des Ost-WestKonfliktes sowie der Beginn der NATO- und EU-Auslandseinsätze schufen einen gesteigerten Lufttransportbedarf bei den europäischen Streitkräften. Dramatische Defizite der Europäer zeigten sich beispielsweise beim NATO-Luftkrieg gegen Serbien (“Operation Allied Force”) und der anschließenden Befriedungsmission im Kosovo (KFOR) Ende der 1990er Jahre, die ohne zusätzliche USKapazitäten irgendwann hätten eingestellt werden müssen.

Alternative Lösungen Zwar verfügen die Vereinigten Staaten auch heute noch über die größte Lufttransportflotte der NATO. Dazu zählen 75 “Galaxiys”, von denen allerdings ein Teil aktuell ausgemustert wird. Die modernisierte C-5M “Super Galaxy” hat bei der maximalen Nutzlast von 122,5 Tonnen eine Reichweite von 5.480 Kilometern. Außerdem sind 213 “Globemaster III” vorhanden. Allerdings verteilen sich die US-Streitkräfte laut Pentagon-Angaben auf rund 5.000 Militärstützpunkte, von denen sich ca. 600 in Übersee befinden. Daraus folgt ein außergewöhnlich großer eigener Bedarf an Transportkapazitäten. Erschwerend kommt die NATOkritische Politik der Trump-Administration hinzu.

Für die deutschen Streitkräfte koordiniert das Logistikzentrum der Bundeswehr (LogZBw) in Wilhelmshaven den Transport­ raum. Die im verzögerten Zulauf befindlichen A400M sind aufgrund ihrer technischen Daten (s. links) kein vollwertiger Ersatz für die An-124, deren Nutzlast vier Mal so groß ist. Die fünf Airbus A310-304 der deutschen Luftwaffe können zwar bei einer maximalen Nutzlast von 34 Tonnen immerhin 6.950 Kilometer weit fliegen. Ihre Stückzahl ist aber zu gering, um die sich durch Volga-Dnepr abzeichnende Lücke zu schließen. Theoretisch ließe sich der strategische Lufttransport auch weiterhin outsourcen. Die DHL Aviation N.V./S.A. zum Beispiel, hundertprozentige Tochter der Deutschen Post AG mit Sitz im belgischen Zaventem und einer Basis auf dem Flughafen Leipzig/Halle, ist das größte Frachtflugunternehmen Europas. Es verfügt über insgesamt 173 Transportstrahlflugzeuge. Nur die US-amerikanische FedEx Corporation bringt mit 356 Maschinen weltweit mehr CargoJets in die Luft. Lufttransport in Krisengebiete ist aber für private Anbieter immer kritisch und damit für militärische Auftraggeber mit großen Unsicherheiten verbunden. Unsicherheiten anderer Art erzeugen die Populisten dies- und jenseits des Atlantiks. Deshalb wird die Europäische Union letztlich eigene strategische Lufttransportkapazitäten aufbauen müssen. Zwar wollen die Europäer für die Verteidigung mehr Geld in die Hand nehmen. Damit werden aber auch viele Begehrlichkeiten geweckt und es bleibt abzuwarten, wohin die erhofften “Geldströme” schließlich fließen werden. Eins ist klar: Mit der Re-Fokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung nimmt unter anderem auch die Bedeutung der Logistik zu – von welcher der strategische Lufttransport ein wesentlicher Bestandteil ist. Dies gilt selbst für das “kleine” Europa, wenn man sich vergegenwärtigt, dass z. B. die Flugstrecke von Lissabon nach Warschau rund 2.750 Kilometer beträgt.

Bundeswehr sucht Öffentlichkeit Volksfeststimmung in Bonn, Tag der offenen Tür in Berlin (BS/por) Zum vierten Mal haben die deutschen Streitkräfte bundesweit Anfang Juni den “Tag der Bundeswehr” veranstaltet: An insgesamt 16 Standorten – von Flensburg im Norden bis Murnau im Süden, von Bonn im Westen bis Dresden im Osten – präsentierte sich die Bundeswehr mit ihren Fähigkeiten und Facetten, mit ihren Soldaten und zivilen Mitarbeitern. Der Tag stand unter dem offiziellen Motto “Willkommen Neugier”. In Bonn begrüßte der Inspekteur der Streitkräftebasis (SKB), Generalleutnant Martin Schelleis, als militärischer “Gastgeber” die zahlreich erschienenen Besucher. Er forderte ausdrücklich zum Dialog mit den anwesenden Angehörigen der Bundeswehr auf. Dies gelte auch und gerade für die anwesenden friedlichen Demonstranten. Dabei ließ sich General Schelleis nicht von lauthals störenden sogenannten “Friedensfreunden” aus der Ruhe bringen. Neben dem auf der Hardthöhe beheimateten Kommando SKB war auch das Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) aus der Bonner Rheinaue unter Führung von dessen Chef des Stabes, Generalmajor Michael Vetter, vor Ort vertreten. Auf dem Marktplatz vor dem historischen Rathaus in der Bonner Innenstadt erwartete die Besucher ein abwechslungsreiches Programm – u. a. mit Vorführungen der Diensthunde, der Spezialpioniere mit ihrer Trinkwasseraufbereitung, der Vorstellung neuester technologischer Entwicklungen und mit vielen Spitzensportlern. Neben Einsatzfahrzeugen der Bundeswehr – u.

Generalleutnant Martin Schelleis begrüßt die Besucher auf dem Bonner Marktplatz (links Jürgen Mathies, Staatssekretär im Düsseldorfer Innenministerium, und rechts Ashok-Alexander Sridharan, Oberbürgermeister der Bundesstadt). Foto: BS/Portugall

a. ein Spähwagen “Fennek” von Krauss-Maffei Wegmann – war ebenfalls ein Lkw des Technischen Hilfswerks zu sehen. Auch die BwFuhrparkService GmbH und die BWI GmbH waren mit eigenen Ständen vertreten.

Tag der offenen Tür in Berlin Die Hauptstadt war dieses Jahr nicht am “Tag der Bundeswehr” beteiligt. Dafür veranstalteten die deutschen Streitkräfte Ende Juni einen “Tag der offenen Tür” in der dortigen Julius-Leber-Kaserne,

der größten Kasernenanlage der Stadt. Die Soldaten mehrerer Berliner Einheiten stellten sich vor und zeigten, was sie können. Zu sehen gab es u. a. Fahrzeuge, Hubschrauber, historische und moderne Technik und dazu viel Unterhaltung und Informationen. Brigadegeneral Andreas Henne, der General Standortaufgaben Berlin, erklärte bereits im Vorfeld: “Wir haben alles in Berlin zusammengetrommelt und dafür gesorgt, dass unsere Gäste viel erleben und erfahren können.”


Verteidigung

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Atomkraft? Ja, bitte!

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iversifizierung der heimatlichen Wirtschaft ist der Schlüssel für eine sorgenfreie Zukunft. Saudi-Arabien und vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben Reformprogramme in diese Richtung initiiert, um ihren Staatshaushalt aus der Fessel des internationalen Ölpreises zu befreien. Atomkraft als Heilsbringer?

Behörden Spiegel / Juli 2018

er sein Land schleunigst aus der energiepolitischen Abhängigkeit und aus Schulden unbeglichener Gas- und Erdölrechnungen manövrieren.

Nuklearer Goldrausch am Persischen Golf

(BS/Heino Matzken*) Sprudelnde Ölquellen und flammende Gasförderung dominierten jahrzehntelang das Bild der Länder am Persischen Golf. Iran Aus­gestattet mit Lagerstätten schier unendlicher Energiequellen sah lange niemand in der Region die Notwendigkeit, Strom auf alternativen Wegen­ Kompliziert wird der “nukleare zu produzieren. Doch überquellende Staatskassen und unüberlegte Verschwendung sind passé. Bei verantwortungsbewussten Führern in Goldrausch” besonders durch verschiedenen Golfstaaten hat ein Umdenken eingesetzt. die bekannten Initiativen des

Vereinigte Arabische Emirate Die VAE schreiben derzeit die Geschichte neu. Das Kernkraftwerk Barakah wird der erste Atomreaktor zur Stromerzeugung in der arabischen – nicht persischen! – Welt sein. Kronprinz Mohammed bin Zayed und Seouls Präsident Moon Jae In besuchten die vier von Südkorea gelieferten Atommeiler auf der Baustelle in Barakah im März. 20 Milliarden Dollar soll sich die Föderation aus sieben Emiraten ihren neuen Status als Atompionier kosten haben lassen. Ein von der Korea Electric Power Corporation (KEPCO) angeführtes Konsortium führte den Bau der Reaktoren mit einer Leistung von jeweils 1.400 Megawatt (MW) durch. Aufgrund der “erstklassigen Sicherheitsphilosophie” sowie des Preises setzten sich die Firmen von der ostasiatischen Halbinsel gegen die Mitbewerber aus den USA und Frankreich durch. Im Dezember 2009 erfolgte die Beauftragung. Zweieinhalb Jahre später begann der Bau des ersten Blocks vom Typ APR-1400. Der Golfstaat begründet seine Hinwendung zur Atomenergie mit dem steigenden Elektrizitätsbedarf, welcher sich von 2009 bis 2020 mehr als verdoppeln werde (von 15.000 auf etwa 40.000 Megawatt pro Jahr). Obwohl sechs Prozent der weltweiten Erdölreserven unter dem Wüstensand der Halbinsel liegen, soll ab 2021 ein Viertel des Strombedarfs durch das Atomkraftwerk Barakah produziert werden. Abu Dhabis Kronprinz Mohammed bin Zayed Al-Nahyan sprach mit gewissem Stolz von einem Meilenstein für sein Land. Das Projekt würde “die Energiesicherheit erhöhen, die Wirtschaft diversifizieren und Arbeitsplätze schaffen.”

Saudi-Arabien Doch nicht nur Dubai, sondern auch die Regionalmacht Saudi-Arabien liebäugelt mit alternativer Energiegewinnung. Im Rahmen umfassender Reformbemühungen des neuen starken Mannes in Riad, Kronprinz Mohammed bin Salman, spielt auch die Kernenergie eine große Rolle. Erst im März einigte sich das saudische Kabinett auf ein Projekt, welches 16 Atomanlagen vorsieht. Um den 80-Milliarden Dollar Auftrag konkurrieren die USA mit Firmen aus China, Südkorea, Frankreich und Russland.

AKW-Modell: Atomkraft als Heilsbringer?

Ein nationaler Atomenergieplan sieht den Bau in den kommenden 20 Jahren vor. Obwohl weltweit der größte Erdöl-Exporteur, möchte Riad die Energieversorgung des Landes breiter aufstellen und somit die Abhängigkeit der Staatsfinanzen vom Ölpreis verringern. Damit könnte auch der eigene Ölverbrauch reduziert werden und es bliebe mehr “schwarzes Gold” für den Export. Der “Nationale Atomenergieplan” sieht eine Gesamtleistung von 22 Gigawatt am Netz vor, welche dann 20 Prozent des elektrischen Energiebedarfs des Landes abdecken könnte. Der Betrieb des ersten Reaktors ist für 2023 geplant.

Russland Im Kampf um den lukrativen Auftrag stehen dabei die Chancen für Russland nicht schlecht. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern entwickeln sich aktuell positiv. ARAMCO, der staatliche Öl-Gigant SaudiArabiens, plant unter anderem, in ein russisches 20-MilliardenDollar-Projekt für Flüssiggas zu investieren. Auch wirtschaftstechnisch hat Wladimir Putin die Nase vorn. Bislang konnte Moskau bereits mit Jordanien und Ägypten den Bau eines Kernkraftwerkes vereinbaren. Die Präsidenten Abdel Fattah AlSisi und Putin schlossen im Dezember des vergangenen Jahres einen Vertrag zur Konstruktion von vier 1.200-MW-Reaktoren

in der Region El Dabaa im Norden Ägyptens. Neben dem Bau des AKWs liefert der staatliche russische Konzern Rosatom die Kernbrennstoffe, zeichnet für die Wartung verantwortlich und schult das ägyptische Personal. Mittelfristig sollen zehn Prozent des ägyptischen Strombedarfs mithilfe der Nukleartechnik sichergestellt werden. Für die Entsorgung abgenutzter Brennstäbe errichtet Moskau einen eigens gebauten Lager- und Vorratsbehälter. Auch die Finanzierung unterstützt der Kreml mit einem dazugehörigen Kredit und einer Laufzeit von 35 Jahren. In Jordanien beabsichtigt der “russische Bär” den Bau eines Kernkraftwerkes mit zwei Reaktorblöcken und einer Gesamtleistung von rund zwei Gigawatt in der Wüste unweit der Industriezone Zarqa. 2015 unterzeichnete Amman einen Vertrag mit Moskau mit einem finanziellen Rahmen von ca. zehn Milliarden Dollar. Die Inbetriebnahme des ersten Kernreaktors ist für 2022 geplant. Jordanien deckt derzeit 98 Prozent seines Energiebedarfs durch importiertes Öl. Dafür wendet Amman ein Fünftel seines Bruttoinlandsprodukts auf. Rosatom übernimmt darüber hinaus die Belieferung der Reaktoren mit Kernbrennstoff sowie die Rückführung der verbrauchten Brennelemente nach Russland. Als weitere Regionalmacht strebt die Türkei eine Zusammenarbeit

Foto: BS/André Spiegel, CC BY-SA 2.0, flickr.com

mit Russland an. Wie eng die Beziehung beider Länder ist, zeigte sich am 2. April dieses Jahres. Bei seiner ersten Auslandsreise nach seiner Wiederwahl als russischer Präsident eröffnete Putin gemeinsam mit Recep Tayyip Erdogan den Bau des Atomkraftwerks Akkuyu in der Türkei. Der türkische Präsident betonte, dass das 16 Milliarden

Euro teure Projekt sowohl zur “Energiesicherheit” der Türkei als auch zum “Kampf gegen den Klimawandel” beitragen solle. Das AKW soll durch vier 1.200-Megawatt-Blöcke im Jahr 2026 zehn Prozent des Strombedarfs des Landes decken. Die Anlage wird von Rosatom errichtet. Erdogan befindet sich auf der “energetischen Überholspur”. So möchte

nördlichen Anrainers des Persischen Golfs. Der Iran plant eine Erweiterung seiner Anlage in Bushehr um weitere zwei Blöcke (1,8 Gigawatt) bis 2026. Seit 2011 verfügt der Iran mit Bushehr-1 über das erste Atomkraftwerk im Nahen Osten. Die 1,0 GigawattReaktoreinheit produziert fast sechs Millionen Kilowattstunden Strom jährlich. Die Endlichkeit fossiler Ressourcen – selbst in der Region des Persischen Golfes – wird langfristig strategische Veränderungen notwendig machen. Im Lichte des Pariser Klimaabkommens von 2015/2016 stehen Erneuerbare Energien zwar hoch im Kurs, doch deren Ausbau steckt weiterhin in den Kinderschuhen. Kernkraft gilt nach wie vor als sinnvolle Alternative. Bei jährlichen Wachstumsraten des Energiebedarfs von über sechs Prozent im Nahen Osten wird eine einseitige Abhängigkeit von fossilen Energiequellen – immerhin bei aktuell 95 Prozent – zu strukturellen Problemen der arabischen Volkswirtschaften führen. Atomenergie scheint auf den ersten Blick das “Wunderheilmittel” zu sein. *Heino ­M atzken M.Sc. Ph.D. ist als ­z ukünftiger deutscher Verteidigungsattaché im Libanon vorgesehen. Der Text gibt seine persönliche Meinung wieder.

HINTERGRUND

Regionale Machtkonstellation in Nahost (BS/por) Mit dem gewaltsamen Sturz von Diktator Saddam Hussein 2003 im Irak und dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 im benachbarten Syrien wurden – und werden – die machtpolitischen Karten zwischen Mittelmeer und Persischem Golf neu gemischt. Zwei antagonistische Lager haben sich herausgebildet, die sich zunehmend offen feindselig gegenüberstehen: Das schiitisch-persische Lager wird angeführt vom Iran, das sunnitisch-arabische von Saudi-Arabien und Ägypten. Der Einfluss Teherans reicht über die schiitisch-arabische Bevölkerungsmehrheit im Irak und die alawitische Minderheit um Machthaber Baschar al-Assad in Syrien bis zur Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon; aber auch nach Bahrain und in den Jemen hinein hat die Islamische Republik ihre Fühler ausgestreckt.

Kristallisationspunkte dieser Konfrontation sind die Bürgerkriege in Syrien und im Jemen: Für die beiden Staatsführungen in Teheran und Riad handelt es sich dabei letztlich um Stellvertreterkriege. Gegen die proiranische Huthi-Miliz der Schiiten im Jemen geht Saudi-Arabien sogar mit eigenen Bodentruppen – im Verbund mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) – vor. Von besonderer Brisanz ist darüber hinaus die Frage potenzieller nuklearer Bewaffnung in der Region. Dass der Iran entsprechende Ambitionen zumindest bis zum internationalen Abkommen von 2015/16 umzusetzen versucht hat, ist unbestritten. Saudi-Arabien und auch Ägypten haben wiederholt für den Fall einer iranischen Nuklearbewaffnung damit gedroht, militärisch nachziehen zu wollen. All diese Konstellationen wurden

Europäische Interventionsinitiative

zusätzlich durch die einseitige Aufkündigung des iranischen Atomabkommens durch die Trump-Administration erschüttert, deren Konsequenzen noch gar nicht absehbar sind. Unterdessen drängt Putins Russland immer stärker in den Nahen Osten. Seit 2015 fliegt die russische Luftwaffe Einsätze in Syrien, welche die Machtbalance zugunsten Assads verschieben. 2016 tauchten erste Meldungen auf, dass auch russische Bodentruppen dort eingesetzt würden. Seit Sowjetzeiten nutzt die Militärführung in Moskau den syrischen Marinestützpunkt in Tartus. Auch wächst der Einfluss Russlands als Waffenlieferant in Ägypten. So sollen künftig Kampfpanzer vom Typ T-90S/SK in Lizenz im Land am Nil gebaut werden. Zudem liefert die KremlFührung Kampfflugzeuge vom Typ MiG-29, MiG-35 und Su-30.

MELDUNG

Deutsche Beiträge

Frankreich drückt aufs Tempo

(BS/por) Verteidigungsminis-

(BS/por) Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron will mit seiner im vergangenen September verkündeten Europäischen Interventionsinitiative (EI2) die Realisierung zusätz- terin Dr. Ursula von der Leyen licher militärischer Fähigkeiten der Europäer forcieren, um besser und schneller gemeinsame Interventionen auch außerhalb von EU-Strukturen umsetzen zu können. Ende Juni fand ist Ende Juni, d. h. im Vorfeld nun unter anderem zu diesem Projekt ein Arbeitstreffen der Verteidigungs- und Außenminister der Europäischen Union (EU) auf dem Kirchberg in Luxemburg statt. des für Mitte Juli angesetzten Die Verteidigungs- und Außenminister von neun EU-Mitgliedsstaaten – Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Portugal und Spanien – zeichneten im Großherzogtum am Rande ihres Arbeitstreffens eine Absichtserklärung zur “Europäischen Interventionsinitiative”. Laut diesem “Letter of Intent” verstehen sich die Teilnehmer als “flexibles, nicht-bindendes Forum teilnehmender Staaten, die in der Lage und willens sind, ihre militärischen Fähigkeiten und Kräfte wann und wo nötig einzusetzen, um europäische Si-

cherheitsinteressen zu schützen”, ohne institutionelle Rahmenbedingungen von EU, NATO, UNO oder Ad-hoc-Koalitionen zu präjudizieren. “Ultimatives Ziel von EI2” sei es, eine “gemeinsame strategische Kultur” zu entwickeln, um die militärischen Fähigkeiten zu steigern.

Pesco Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO – “Permanent Structured Cooperation”) war ein weiterer Schwerpunkt der Gespräche des Rates für Auswärtige Beziehungen. Die teilnehmenden Mitgliedsländer hatten sich im Frühjahr auf eine

anfängliche Liste von17 Projekten geeinigt, die im PESCO-Rahmen durchgeführt werden sollen. Diese Projekte erstrecken sich auf die Bereiche Ausbildung, Fähigkeitsentwicklung und operative Einsatzbereitschaft. Ein Beispiel dafür ist die Verbesserung der militärischen Mobilität in Europa vor dem Hintergrund der Spannungen mit Russland. Mit der Beseitigung von technischen und bürokratischen Hürden sollen Truppenbewegungen innerhalb Europas reibungsloser und effizienter gestaltet werden. Die Fortschritte im Bereich der militärischen Mobilität waren auch Teil der gemeinsam mit

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erörterten Themen, bei denen die EU und die Atlantische Allianz eng zusammenarbeiten wollen.

EFV Ein weiteres Schwerpunktthema war der Europäische Verteidigungsfonds (EVF). Mit ihm sollen Investitionen, die auf nationaler Ebene in die Forschung, die Entwicklung von Prototypen und die Beschaffung von Verteidigungsgütern und -technologien fließen, koordiniert, ergänzt und verstärkt werden. Darüber hinaus diente das Treffen der Vorbereitung des

Französische Kräfte im Einsatz in Afrika Foto: BS/Ministère des Armées

EU-Gipfels in Brüssel. Auf der Tagesordnung der Zusammenkunft der europäischen Staatsund Regierungschefs standen ebenfalls die Themen EU/NATOKooperation, PESCO und der Verteidigungsfonds.

NATO-Gipfels, nach Washington gereist. Dort traf sie u. a. ihren Amtskollegen James Mattis und US-Außenminister Mike Pompeo. Dabei betonte sie die Beiträge der Bundeswehr für die Atlantische Allianz: “Deutschland ist der zweitgrößte Truppensteller in der NATO, Deutschland hat einen ausgezeichneten Ruf der Verlässlichkeit und wir sind die diejenigen, die seit Jahren die Verantwortung im Norden Afghanistans tragen. “Außerdem sei die Bundesrepublik der zweitgrößte Zahler in der NATO und das einzige kontinentaleuropäische Land, das an der östlichen Grenze als Rahmennation in Litauen die baltischen Staaten schütze.


Die letzte Seite

Behörden Spiegel / Juli 2018

S

Viel Hilfe untereinander

Seite 55

schule. Auch seien schon zahlo habe es bei Verständireiche gemeinsame wissengungsschwierigkeiten ohne schaftliche Studien durchgeführt Weiteres Übersetzungen aus der worden. “Hierfür muss viel mit Arbeitssprache Englisch in die dem Zoll und dem Bundesamt für Landessprache gegeben. Auch die Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bereitschaft, am Wochenende zu arbeiten, sei bei den Kräften vor (BS/Marco Feldmann) Auch wenn sie für diese Einheit bisher selbst nur einmal im Einsatz war, hat sie einen sehr guten Eindruck von der Arbeit zusammengearbeitet werden.” Ort uneingeschränkt vorhanden des Teams. Die Rede ist von Dr. Meike Pahlmann, Virologin am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) in Hamburg, und der Schnell Schließlich seien auch bei wisgewesen. Im Rückblick meint die einsetzbaren Expertengruppe Gesundheit (SEEG). Die Wissenschaftlerin hebt insbesondere die gute Arbeitsatmosphäre hervor, die sie im Februar senschaftlichen Vorhaben Fragen der Exportkontrolle oder der studierte Biologin: “Was sehr dieses Jahres bei ihrer Mission im westafrikanischen Benin erlebte. Nutzung und Ausfuhr von Dualschön zu sehen war, war die Hilfe Use-Gütern zu berücksichtigen untereinander.” Möglicherweise Damals bauten Experten von und die einschlägigen rechtlilag diese besonders ausgeprägte BNITM, RKI und der Deutschen chen Bestimmungen zu beachKooperationsbereitschaft auch Gesellschaft für Internationale ten. Dies habe sie – zumindest daran, dass sich die Mitarbeiter Zusammenarbeit (GIZ) in Togo anfangs – vor relativ große Hevor Ort in einem akuten Aus- die Lassafieber-Diagnostik auf rausforderungen gestellt, da sie bruch befanden und die Unter- und schulten das Laborpersonal. mit der Materie nicht vertraut stützung der deutschen Experten Dadurch konnten Tests unmittelwar. “Inzwischen habe ich mich benötigten. Zudem war die Mis- bar in dem afrikanischen Staat in die Thematik aber ganz gut sion aufgrund des annullierten durchgeführt werden. eingearbeitet.” Fluges recht kurz und die Mit“Selbst ins Labor gehe ich leider arbeiter vor Ort waren daher be- Diagnostik verbessern nur noch selten”, räumt die verreit, alle verbleibende Zeit für das Zu ihrer Mission in Benin sagt heiratete Mutter zweier Töchter Training zu nutzen. Außerdem Pahlmann: “In erster Linie ging ein. Auch am Wochenende arwandte sich der Laborleiter vor es darum, die Diagnostik zum beite sie, im Gegensatz zu einigen Ort, Dr. Anges Yadouleton, direkt Erkennen des Lassafiebers auf ihrer Kollegen am BNITM, kaum und aus eigener Initiative heraus den neuesten Stand zu bringnoch. Und an einem Tag in der an die SEEG-Verantwortlichen en.” Ursprünglich sei die MisWoche darf sie sogar Home-Office und bat sie um Hilfe. Diese wie- sion auf acht Tage angelegt gemachen. Diese Zeit am heimiderum hätten dann das BNITM wesen. Aufgrund wetterbedingter schen Schreibtisch nutzt Pahlkontaktiert, erzählt Pahlmann. Flugausfälle bei der Anreise und mann vor allem für die Analyse Tatsächlich im Einsatz gewesen entsprechender Verzögerungen von Daten, das Verfassen wisseien sie in Benin schließlich zu hätten sie effektiv jedoch nur senschaftlicher Artikel, anderdritt. Einen Mitarbeiter entsandte sechs Tage vor Ort arbeiten er Publikationen sowie für die die SEEG selbst und einen das können, erläutert die gebürtige Vorbereitung von Sendungen in Robert Koch-Institut (RKI). Hinzu Niedersächsin. “Dabei standen Partnerländer im subsaharischen kam die 42-jährige Forscherin Trainings im Labor sowie SchuAfrika. des BNITM. lungen der lokalen Kräfte im Hier zeigt sich der inter- Mittelpunkt.” Außerdem hätten Lange Karriere im BNITM disziplinäre Ansatz der Ein- ihre Kollegen und sie sich mit heit, zu der Vertretern der Früher war die Forscherin Experten verWeltgesunddeutlich häufiger selbst im La“Die Umstände machen h e i t s o r g a n i schiedenster bor aktiv. Nach ihrem BioloFachrichtunsation (WHO), Bei ihrem SEEG-Einsatz in Benin ging es Dr. Meike Pahlmann vor allem darum, die einheimischen Laborkräfte zur gie-Studium in Bremen, in dem es mittlerweile gen zählen. In des nationalen selbständigen Analyse von potenziellen Lassafieber-Fällen zu befähigen. sie bereits Virologie als Hauptfach notwendig, dass ich dem Pool befinGesundheitsbelegte, verfasste Pahlmann im mich viel intensiver mit ministeriums, 2016 im Togo sowie 2017 und tik geschult worden. Dabei sei es Nach der Rückkehr nach Jahre 2001 ihre Diplomarbeit zu den sich neben Virologen unter der GIZ sow- 2018 in Benin aktiv. Auch in zum einen darauf angekommen, Deutschland sei dann ein aus- Hepatitis B am BNITM. An diese administrativen und anderem Speund in der Demokra- erneut das Virus vorzustellen, führlicher Einsatzbericht verfasst schloss sich von 2002 bis 2006 logistischen Aufgaben idee umtist c hd eemn Nigeria zialisten für tischen Republik Kongo halfen auf Sicherheitsmaßnahmen im worden. Eines ist der brünetten die Promotion zur Grundlagenbefasse.” Wasser- und B o t s c h a f t e r sie schon lokalen Kräften bei der Umgang mit dem Erreger und Forscherin in diesem Zusam- forschung am Lassavirus an dem Sanitärvergetroffen. Auch Eindämmung und Analyse von den zu analysierenden Proben menhang sehr wichtig: “Die Hamburger Tropeninstitut an. Im einzugehen und die modernere Kollegen in Westafrika wissorgung sowie für Hygiene. Zusammenkünfte mit Vertretern Infektionskrankheiten. Rahmen dieser Doktorarbeit, Außerdem dabei: Anthropologen lokaler NichtregierungsorganisaFachlich sei es bei ihrer Mission Diagnostik zu erläutern. sen, dass sie sich auch bei der sie naturgemäß viel und Logistikfachleute. Dadurch tionen hätten auf der Tagesord- insbesondere darum gegangen, nach dem Einsatz an im Labor aktiv war, gelang sollen möglichst viele Faktor- nung gestanden. einen Erregernachweis in Echt- Unterstützung geht weiter uns wenden können.” es der Wissenschaftlerin, en und Blickwinkel auf einen Das sei bei SEEG-Einsätzen zeit im Labor in Cotonou einDie Schulung habe in mehr- Dies könne gegebeein System zu etablierSachverhalt oder die Ausbrei- durchaus nicht unüblich, sei zuführen. “Die Technik und das eren Etappen stattgefunden. “In nenfalls sogar eine en, mit dem essenzielle tung einer Infektionskrankheit ihr berichtet worden. Die Vi- Personal dafür standen schon einem ersten Schritt haben wir nochmalige AusTeile des Erregers Berücksichtigung finden. rologie-Abteilung des BNITM b e r e i t . D i e die Diagnos- wertung der in auch außerhalb Die erste Mission hatte das Epi- kann nämlich bereits auf einige Beschäftigten tik zusammen Benin erzielten von Hochsicher“Selbst ins Labor demie-Präventionsteam übrigens SEEG-Einsatzerfahrung zurück- waren zuvor heitseinrichtunmit den Vor- Analyseergebgehe ich leider nur noch O r t - K r ä f t e n nisse und dort im Mai 2016 zu bewältigen. blicken. So waren Mitarbeiter auch bereits gen untersucht im Umgang durchgeführt.” g e s a m m e l t e r werden können. selten.” mit dem EbNachdem dieses Ziel erSpäter habe sie Blutproben hierzulande ola-Erreger ihnen bei den bedeuten, so Pahlmann. reicht war und sie ihre geschult, mussten nun aber noch Analysen dann nur noch über die Hier folge man dem Urkunde in den Händen im Hinblick auf das Lassafieber Schulter geschaut, sie die Arbeit Prinzip “Kontakt und hielt, ging Pahlmann fortgebildet werden”, erläutert selbständig ausführen lassen Nachsorge”. Insge2007 für sechs Mondie Virologin. “Dafür haben wir und die Resultate gemeinsam samt konstatiert ate privat auf Reiszunächst das Labor in Benin mit ihnen ausgewertet. Pahl- sie mit Blick en. Anschließend und das Vor-Ort-Team evaluiert.” mann sagt dazu: “Bei unserem auf die SEEG: kehrte sie in die Denn: Das Lassafieber ähnelt von SEEG-Einsatz haben wir die “Sie ist weltHansestadt und den Symptomen her zwar Ebola, Kräfte in Benin in kurzer Zeit weit vor allem das BNITM zumuss aber anders nachgewiesen geschult und dabei gleichzeitig koordinierend rück und widwerden. mete sich der schon eine Evaluation des Trai- tätig und stellt Dabei sei es vor allem um nings vorgenommen.” Ausdruck nationale ExBetreuung eines die Funktionsfähigkeit der dessen sei gewesen, dass bereits pertenteams Forschungspro“Unbefristete Stellen jektes in SubAnalysegeräte und personelle am Wochenende mit dem prak- z u s a m m e n . ” Veränderungen im Team seit tischen Teil der Mission begon- Für den Besahara-Afrika. sind eben rar.” der letzten SEEG-Mission 2017 nen werden konnte, obwohl das reich der EpSeither sind in gegangen, bei der Pahlmann al- Team erst freitags in dem Land i d e m i o l o g i e der Abteilung lerdings nicht vor Ort war. “Dabei mit über zehn Millionen Einwoh- setzten sich diese vorrangig aus Virologie viele Projekte in diehaben wir ganz besonders auf nern eintraf. Mitarbeiter des BNITM und des ser Region hinzugekommen, die persönliche Gespräche gesetzt.” RKI zusammen. Einen großen betreut werden müssen. Anschließend seien die vier Vorteil habe die Einheit: Sie Ihre dienstlichen Reiseaktivikönne rasch Sachverstand und täten hat die Wissenschaftlerin Zunächst wurde ihnen aber der neueste Stand der Diagnostik zu viralen hä- Laborkräfte und ihr Vorgesetzter Dr. Yadouleton theoretisch in der technische Ausrüstung in alle deshalb inzwischen wieder vermorrhagischen Fiebern, wozu auch das Lassafieber gehört, erläutert. Winkel der Erde bringen. Dabei stärkt. War sie früher aufgrund Fotos: BS/privat neuartigen Lassafieber-Diagnoshätten die Verantwortlichen aus ihrer Kinder nur ein- bis zweimal der Ebola-Krise gelernt. “Jetzt jährlich unterwegs, waren es in geht es darum, früh zu helfen den letzten sechs Monaten schon und möglichst rasch vor Ort zu drei Reisen. Schließlich sei ihr sein.” Nachwuchs jetzt schon älter, was Dienstreisen leichter mache. (BS/mfe) Das Bernhard-Nocht-Institut für Tro- Institut, das als Mitglied der Leibniz-Gemein- Baustein des Nur noch selten schaft gemeinsam vom Bund, der Hansestadt deutschen penmedizin (BNITM) ist Deutschlands größte selbst im Labor Weiterhin keine entfristete Engagements Hamburg und den übrigen Bundesländern Einrichtung für die Forschung, Versorgung Stelle zur verbesfinanziert wird, über ein Labor der höchsten und Lehre auf dem Gebiet neu auftretender Pahlmann selbst ist – außer serten interbiologischen Sicherheitsstufe (BSL 4) sowie Infektionskrankheiten und tropentypischer wenn sie einmal im AuslandPahlmann sitzt – wie in der nationalen ein Sicherheits-Insektarium (BSL 3). Erkrankungen. Bei der Forschung konzenseinsatz ist – kaum noch im Labor Wissenschaft durchaus nicht ReaktionsfäDas BNITM entsendet zudem Experten in trieren sich die rund 400 Mitarbeiter am aktiv. “Die Umstände machen unüblich – auf einer befristeten higkeit auf Standort in Hamburg vor allem auf die Klinik, die Schnell einsetzbare Expertengruppe es mittlerweile notwendig, dass Stelle. Dazu sagt sie, die außerGesundheit (SEEG). An diesem Epidemie-Prä- GesundheitsEpidemiologie und Krankheitsbekämpfung ich mich viel intensiver mit ad- halb der Arbeit gerne Joggen ventionsteam, das im Auftrag des Bundesmi- krisen. Das sowie auf die Biologie der Erreger, ihrer ministrativen und logistischen geht und Zeit mit ihren Kindern nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit SEEG-Projekt, Reservoirtiere und Überträger. Der wissenAufgaben befasse.” Das liege verbringt, lakonisch: “Bisher ist dessen Fokus auf möglichst frühzeitigen und Entwicklung (BMZ) von der Deutschen schaftliche Fokus liegt derzeit insbesondere insbesondere daran, dass das es immer weitergegangen. UnbeEingriffen liegt, startete im Oktober 2015 auf Malaria, hämorrhagischen Fieberviren, wie Gesellschaft für Internationale ZusammenBNITM inzwischen auf bilateraler fristete Stellen sind eben rar. Man und dauert nach aktuellem Stand noch bis dem Ebola- oder dem Lassafiebervirus, sowie arbeit (GIZ) aufgebaut wurde, beteiligt sich Ebene eng mit Laboren in Nigeria, muss schauen, was die Zukunft September 2020. Virologen des BNITM waren auch das Robert Koch-Institut. Die Einheit, auf der Entwicklung neuester diagnostischer Togo und eben Benin zusamme- bringt”, betont die Forscherin, im Rahmen des Projektes bereits mehrfach Verfahren. Für den Umgang mit hochpathoge- die äußerst kurzfristig in allen Regionen narbeite, sie bei der Lassafie- die momentan noch in Teilzeit im Ausland tätig. nen Viren und infizierten Insekten verfügt das der Welt zum Einsatz kommen kann, ist ein ber-Diagnostik unterstütze und und während drei Viertel der ihre Mitarbeiter entsprechend regulären Arbeitszeit tätig ist.

Virologin Dr. Meike Pahlmann über die “schnell einsetzbare Expertengruppe Gesundheit”

Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin



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