Innere Sicherheit
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ier gibt es aber noch viel zu tun, wie unter anderem Thomas Franke vom “Forum Vernetzte Sicherheit” meint. Er kritisiert: “Bei Lieferketten gibt es bisher keine einheitlichen Standards. Damit sind sie etwas sehr Fragiles und ein großes Einfallstor für Täter aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität.” Zustimmung hierfür erhält Franke vom ehemaligen Polizeidirektor Hans-Joachim Kensbock-Rieso. Er betont: “Auch Kriminelle nutzen Infrastrukturen und Lieferketten für ihre Zwecke aus.” So würden zum Beispiel beim Zigarettenschmuggel, bei dem es ein großes Dunkelfeld gebe und der erhebliche Steuerausfälle verursache, enorme Geldsummen generiert. Die Kosten, die die Schmuggler für den Transport eines Containers aufbringen müssten, lägen bei nur rund 60.000 Euro. Ihr Gewinn – sofern der Schmuggel gelinge – wiederum betrage pro Container etwa 1,8 Millionen Euro. Diese Mittel flössen dann zum Teil auch in die Terrorismusfinanzierung, warnt der frühere Polizeibeamte.
Oftmals Desinteresse festzustellen Außerdem bemängelt Kensbock-Rieso, dass das entsprechende Lagebild des Bundeskriminalamtes nicht den gesamten Komplex wiedergebe. Scharfe Kritik übt der pensionierte Polizeidirektor aber auch an den Landespolizeien: “Dort interessiert sich – mit Ausnahme Berlins – niemand für den illegalen Zigarettenhandel.” Dabei gebe es einfache Mittel und Wege, gegen dieses Kriminalitätsphänomen vorzugehen, meint Kensbock-Rieso. Über sogenannte Track-and-Trace-Systeme könnten illegale Glimmstängel leicht erkannt werden. Diese Lösungen, bei denen jede legal hergestellte Zigarettenstange und
Behörden Spiegel / Januar 2017
Kaum Standards bei Lieferketten Mangelnde Einheitlichkeit bietet Kriminellen zahlreiche Möglichkeiten (BS/Marco Feldmann) Produktpiraterie verursacht jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Experten des Europäischen Patentamtes gingen in einer Studie bereits 2014 davon aus, dass durch diese Form der Kriminalität europaweit 4,7 Billionen Euro Umsatz und 77 Millionen Jobs gefährdet seien. Und das Problem dürfte seither keineswegs an Bedeutung verloren haben. Um hier zumindest etwas gegensteuern zu können, sind sichere Lieferketten von großer Bedeutung. -packung eine individuelle Kennzeichnung erhalte, erlaubten eine lückenlose Rückverfolgung der Produkte. Dadurch könnten nicht zuletzt Polizei und Zoll Informationen zu Produktionsstätten, Lieferwegen und ersten Verkaufsorten erhalten, zeigt sich der ehemalige Polizist überzeugt.
Zentralstelle gewährleistet Zusammenarbeit Bei der deutschen Zollverwaltung gebe es bereits seit 1995 eine “Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz”, erläutert in diesem Zusammenhang Mona Poppe vom Kontrollreferat der Generalzolldirektion. Diese Einrichtung gewährleiste die Zusammenarbeit zwischen Zoll und Privatwirtschaft im Kampf gegen Produktpiraten. Dort könne der jeweilige Rechteinhaber bei einem Verdacht auf Verletzung seines geistigen Eigentums einen sogenannten “Grenzbeschlagnahmeantrag” stellen. Sofern dieser gut belegt sei und zum Beispiel Informationen zu technischen Details oder Erkennungshinweisen des fraglichen Produkts enthalte, gehe der Zoll dann gegen die Fälscher vor. 2015 seien rund 1.200 solcher Anträge gestellt worden. Insgesamt sei es hierdurch zu circa 23.300 Beanstandungen im Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes gekommen. Damit rangiere Deutschland im europäischen Vergleich auf Platz eins. Im Einsatz gegen die Produktpiraterie seien sowohl die Beschäftigten in den stationären
Zollämtern als auch die Mitarbeiter der mobilen Kontrolleinheiten gefragt, die im gesamten Bundesgebiet unterwegs seien. Letztere würden im Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes insbesondere auch auf Messen aktiv, so Poppe. Dort würden sie häufig auch durch Staatsanwälte begleitet, was ihnen die Erhebung von durch die Beschuldigten zu hinterlegenden Sicherheitsleistungen erlaube. Generell stellt sie im Hinblick auf die mobilen Kontrolleinheiten fest: “Sie dienen mit ihren flächendeckenden Kontrollen neben der Abfertigungstätigkeit der Zollämter quasi als “zweites Netz”, was die Aufdeckungschancen natürlich erhöht.”
Verwahrung für bis zu 90 Tage möglich Bei den Zollämtern können Waren, bei denen ein Fälschungsverdacht bestehe und für die ein Grenzbeschlagnahmeantrag vorliege, zunächst von den Beamten zurückgehalten und nicht an den Einführenden ausgehändigt werden. Waren können bis zu 90 Tage in der vorübergehenden Verwahrung gelagert werden, erläutert Hendrik Becker vom Zollamt Waltershof. Innerhalb dieser Zeitspanne müsse der Warenempfänger seine Güter, die währenddessen bereits Kontrollen unterzogen werden können, zollrechtlich anmelden. Allerdings könnten Fälschungen zunächst nur vernichtet werden, sofern der Grenzbeschlagnahmeantrag durch den Rechteinhaber auf-
Eindeutige Abgrenzung nicht mehr möglich
Im Kampf gegen Medikamenten-Plagiate setze die Bayer AG darauf, die Wege ihrer Originalpräparate fortwährend zurückverfolgen zu können, erläutert Marina Bloch. Foto: BS/Dombrowsky
rechterhalten werde und der Einführende der Vernichtung zustimme. Anderenfalls müsse der Rechteinhaber ein zivilrechtliches Verfahren gegen den Produktpiraten einleiten. Bis dieses rechtskräftig abgeschlossen sei, halte der Zoll die fragliche Ware zurück, erklärt Becker.
Zoll als Partner In diesem Zusammenhang berichtet der stellvertretende Bundesvorsitzende der BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft, Thomas Liebel, nicht ohne Stolz, dass der deutsche Zoll 2015 mehr als 23.000 Plagiatsfälle aufgedeckt habe. Aus diesem Grunde stellt er auch klar: “Der Zoll ist ein Partner der Wirt-
schaft.” Außerdem betont der Gewerkschafter: “Das Ziel des Zolls ist es, die Lieferkette mit möglichst vielen zuverlässigen Wirtschaftsbeteiligten zu hinterlegen.” Schließlich seien diese verpflichtet, die Zollbehörden vorab über beabsichtigte Lieferungen zu informieren. Ungeachtet dessen sieht Liebel große Aufgaben auf den Zoll zukommen. Er sagt voraus: “Die zunehmende terroristische Bedrohungslage ist auch eine Herausforderung für den Zoll.” Und das ist beim Weitem nicht das einzige Problemfeld. Liebel zufolge müssen auch der enorm wachsende Internethandel, zusätzliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Verwaltung der KfzSteuer, der demografische Wandel und die Gewinnung einer ausreichenden Zahl an Nachwuchskräften bewältigt werden.
Rückverfolgbarkeit entscheidend Eine ganz besondere Art von Plagiaten macht Marina Bloch von der Bayer AG Sorgen. Die Rechtsanwältin und Leiterin der Counterfeiting Group Medical des Pharmaunternehmens versucht, Medikamentenfälschungen aufzudecken. Der Handel mit diesen Nachahmungen, die nicht immer leicht vom Original zu unterscheiden seien, sei mit einer großen Gewinnspanne verbunden, erläutert Bloch. Um dennoch effektiv gegen diese Delikte vorgehen zu können und die Gesundheitsrisiken für Pa-
tienten möglichst gering zu halten, setze Bayer auf eine ständige Rückverfolgbarkeit der Originalmedikamente und bestimmte Sicherheitsmerkmale auf den Packungen und Arzneien. Außerdem stelle man die Verpackungen so her, dass diese nicht ohne Weiteres wieder verschließbar seien. Allerdings gibt Bloch zu: “Im Bereich der Arzneimittelfälschung ist das Internet für uns die größte Herausforderung.” Sofern jedoch ein Plagiatsfall aufgedeckt werde, verfolge das Unternehmen die Verantwortlichen im Sinne einer Null-Toleranz-Strategie sowohl zivil- als auch strafrechtlich. Außerdem sei man sehr bemüht, die Patienten über potenzielle Gefahren der Fälschungen aufzuklären. Insgesamt verfolgten ihr Team und sie das Ziel, Angebot und Nachfrage gefälschter Arzneimittel zu kappen. Dazu arbeite man auch sehr eng mit Behörden zusammen, so Bloch.
Auf Standardisierung kommt es an Einen Beitrag hierzu kann wohl auch die Bundesdruckerei leisten. Immerhin unterstreicht Jens Ehreke, Abteilungsleiter Marketing Product Security und Value Print: “Wir haben eine hohe Kompetenz im Bereich der Produkt- und Fälschungsanalyse.” Und in Bezug auf die Sicherheit von Lieferketten hält er fest: “Standardisierung ist für deren Absicherung sehr wichtig.” Und auch Hansgeorg Lohl vom Bundesverband der Kurier-ExpressPost-Dienste meint, dass die eineindeutige Identifikation des Transportguts von entscheidender Bedeutung sei. Dies könne zum Beispiel mithilfe von Nummern- oder Ampelsystemen erfolgen. Insgesamt gelte aber: “Lieferkettensicherheit benötigt einen ganzheitlichen Ansatz.”
Moderne Schutzwesten für Thüringen Beamte künftig auch gegen Maschinengewehrfeuer abgesichert
Terrorismus und Kriminalität eng miteinander verknüpft
(BS/mfe) Der thüringische Innenminister Dr. Holger Poppenhäger (SPD) hat die ersten neuen, ballistischen Schutzwesten an Beamte der Landespolizei übergeben. Zunächst wurden Mitarbeiter des Einsatz- und Strei(BS/Marco Feldmann) Kriminelle und terroristische Organisationen weisen im Verhältnis zueinander zahl- fendienstes der Landespolizeiinspektion Erfurt sowie Bereitschaftspolizisten mit den modernen Schutzelereiche Verbindungsstellen auf. Teilweise wandeln sie sich auch untereinander. Dies führt dann dazu, dass menten ausgestattet. Bis Ende dieses Jahres sollen alle etwa 6.000 Vollzugskräfte im Freistaat mit der neuen, persönlichen Schutzweste ausgestattet sein. aus kriminellen Vereinigungen terroristische Organisationen werden. Auf diese Entwicklung, die heute enger als in der Vergangenheit ist, weist auch der Terrorismusexperte Prof. Peter Neumann vom Londoner King’s College hin. Außerdem betont er: “Dschihadistische Organisationen rekrutieren ihre Anhänger aus demselben Milieu wie kriminelle Vereinigungen. Wir stellen immer öfter eine – eigentlich nicht beabsichtigte – Konvergenz der Milieus fest.” Dies zeige sich unter anderem daran, dass vermeintliche Gotteskrieger und Kriminelle an den gleichen Orten, etwa in Gefängnissen, auf Nachwuchssuche gingen, so der Wissenschaftler. Und das übrigens nicht nur in Deutschland, sondern sogar in ganz Europa. Außerdem warnt Neumann, der zahlreiche Lebensläufe von Dschihadisten in einer Datenbank zusammengefasst und analysiert hat: “Kriminalität finanziert Terrorismus.” Das geschehe zum Beispiel durch die Erlöse aus dem illegalen Handel mit gefälschten Produkten, wie etwa Zigaretten, Sportschuhen und Arzneimitteln, den Gewinnen aus dem Drogenhandel oder der rechtswidrigen Kreditaufnahme mithilfe gefälschter Identitätsdokumente. Diese Interdependenz sei zuletzt etwa nach den Anschlägen von Paris und Brüssel deutlich geworden.
Alles in den Blick nehmen Darüber hinaus unterstreicht der Forscher, dass seinen Erkenntnissen zufolge Terroristen, die zuvor bereits kriminelle
Form des “public networking” ist aufgrund geltender Gesetze aber oftmals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.
Ansatz anpassen
Prof. Peter Neumann vom Londoner King’s College vertritt eine eindeutige Meinung: “Kriminalität finanziert Terrorismus.” Foto: BS/Feldmann
Erfahrungen gesammelt haben, den Schritt hin zur politischen Gewalt schneller machten als solche ohne diese Vorerfahrungen. Angesichts der von ihm konstatierten engen Verbindungen zwischen internationalem Terrorismus und (Klein-)Kriminalität plädiert Neumann dafür, alle Quellen der Terrorismusfinanzierung zu betrachten und vorhandene Informationen zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden effektiver miteinander zu teilen. Außerdem käme es darauf an, neue Koalitionen zu bilden. Hier seien nicht nur Polizeien und Nachrichtendienste, sondern auch lokale Behörden und Akteure der Privatwirtschaft gefordert, betont der Wissenschaftler. Der Aufbau dieser
Ungeachtet dessen meint der Wissenschaftler, dass die Unternehmen über Informationen verfügten, die den Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung von Straftaten weiterhelfen könnten. Schließlich verlangt Neumann noch, neu über Radikalisierungsprozesse nachzudenken, da eine besonders stark ausgeprägte Religiosität seines Erachtens kein stichhaltiges Radikalisierungsindiz mehr darstelle. Vielmehr spielten bei diesem Weg in den Extremismus vermehrt psychische Störungen und Erkrankungen eine wichtige Rolle, unterstreicht der Wissenschaftler. Für seine These einer äußerst engen Verknüpfung zwischen terroristischen und kriminellen Organisationen erhält Neumann übrigens Zuspruch vom Vorsitzenden des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, Ansgar Heveling (CDU). Auch er meint, dass es Synergien zwischen diesen Strukturen gäbe. Außerdem unterstreicht der Christdemokrat, dass die Lage in Ländern wie Syrien oder dem Irak unmittelbare Folgen auf die Sicherheitslage hierzulande habe. Und er betont: “Der Dschihadismus ist eine große Herausforderung für unsere Demokratie.”
Poppenhäger erklärte zu dem Beschaffungsvorhaben: “Wir haben im Jahr 2016 etwa eine Million Euro für die Schutzausstattung unserer Polizistinnen und Polizisten ausgegeben, 2017 sollen insgesamt 15 Millionen Euro investiert werden.” So wolle man schrittweise die Sicherheit der Polizisten im Land verbessern. Insgesamt wurden bis zu 8.000 Schutzwestenpakete bestellt, davon 6.000 als feste Abnahmemenge und bis zu 2.000 als Option. Der Rahmenvertrag hat eine Laufzeit von vier Jahren. Die Option soll gezogen werden, wenn zusätzliche Be-
amte oder andere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) ausgestattet werden sollen. 1.100 der neuen Westen wurden bereits geliefert, 4.900 folgen in mehreren Tranchen.
Hohe Schutzklasse bei geringem Gewicht Die neuen Westen sind wesentlich leichter und bieten trotzdem einen besseren Schutz als ihre Vorgängermodelle. Die neuen Produkte, die modular aufgebaut sind und mit oder ohne Stichschutz getragen werden können, verfügen über die
Schutzklasse eins plus. Diese beinhaltet den durchschusshemmenden Schutz gegen Weichkern- und Polizeigeschosse aus Kurzwaffen – einschließlich Maschinenpistolen – im Kaliber 9 x 19 Millimeter und gegen Geschosse mit erhöhter Geschossenergie aus den Kurzwaffen Makarov, Tokarev oder Magnum. Darüber hinaus beinhaltet das ballistische Schutzpaket Traumaplatten, die lebenswichtige Organe und die Wirbelsäule schützen. Neu ist die sogenannte taktische Wechselhülle. Sie macht es möglich, die Weste direkt auf der Uniform zu tragen.
Als erste haben Beamte der Landespolizeiinspektion Erfurt sowie Kräfte der Bereitschaftspolizei die neuen ballistischen Schutzwesten erhalten. Ausgehändigt wurden sie von Thüringens Innenminister Dr. Holger Poppenhäger (SPD, 1. Reihe, 6. v. l.). Foto: BS/TMIK, Torsten Stahlberg