WINGbusiness Heft 01 2021

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ISSN 0256-7830; 54. Jahrgang, Verlagspostamt A-8010 Graz; P.b.b. 02Z033720M

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WING

business

Reifegradmodelle in der Techno-Ökonomie

Unternehmensweites Risikomanagement: Reife der Implementierung... 9

Integration von Risiko in Performance- und Compliance-Managementsysteme 16

Reifegradbewertung digitaler Kompetenzen von MitarbeiterInnen 20


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EDITORIAL

Reifegradmodelle in der Techno-Ökonomie

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Siegfried Vössner Liebe Leserin, lieber Leser, in unserer modernen Welt, in der die Digitalisierung der letzten verbliebenen analogen Werte, automatisierte Verarbeitung und Interpretation aller Daten bereits zum Alltag gehören, entsteht meiner Beobachtung nach immer öfter der Eindruck, dass alles was nicht messbar und beobachtbar ist, nicht existiert, oder eben für ein gesamtheitliches Situationsverständnis nicht benötigt wird bzw. nicht wert ist, beachtet zu werden. Als Informatiker habe ich hier von Haus aus kein Problem. Die Informatik definiert sich so wie die Mathematik ihre Spielwiese selbst und erforscht diese abstrakten Strukturen mit Logik und System. Kritische Bereiche kann man, wie böse Zungen behaupten, notfalls wie in Nachbardisziplinen einfach „weg-definieren“. Unsere Computer, die wir für die praktisch-experimentelle Seite in der Informatik brauchen, bestehen auch aus mess- und beobachtbaren Komponenten bzw. Größen. So innerlich gefestigt spazierte ich eines Tages nach einem langen Arbeitstag über den Campus von Berkeley. Ich war zwar müde doch trotzdem inspiriert von der Interaktion mit den Kollegen am Institut - allesamt Mathematiker. Auf einmal sprang mir ein Spruch auf einem Aufkleber ins Auge. Zwischen „Free Tibet“ und „Go Bears“ stand zu lesen: „The Best Things in Life are NOT Things!“. Die besten Dinge im Leben sind also keine Dinge? Klingt spontan einleuchtend, außer man ist freilich fanatischer Materialist. Sie ahnen aber schon das sich anbahnende Dilemma: Wenn dieser Satz stimmt, was mir emotional sofort klar war, steht er jedoch zum wissenschaftlich reduktionistischen Gebot der „Messbarkeit und Beobachtbarkeit“ in krassem Gegensatz. Zum Glück fiel mir noch ein, dass die Informatik auch oft zu den Ingenieurswissenschaften gezählt wird und sich damit hoffentlich ein pragmatischer Ausweg aus dem Dilemma eröffnet: Es existiert mehr als sich messen und bewerten lässt! Daher ist es umso wichtiger, die richtigen, relevanten Dinge zu messen und sich dafür die richtigen Metriken zu überlegen, aus denen man dann die richtigen Schlüsse ziehen kann – mit wissenschaftlich akzeptierten Methoden, versteht sich. Wie sich später herausgestellt hat, war dieser Ansatz mehr als eine Beruhigung meines Gewissens. Gerade in der Beschäftigung mit der Modellierung von sozio-technischen Systemen, in denen Menschen und Technik in einem gesellschaftlichen

und wirtschaftlichen Kontext miteinander interagieren, erweist es sich als unumgänglich, sich der Grenzen der Erfassbarkeit/Messung und Beurteilbarkeit von Systemeigenschaften bewusst zu sein und gleichzeitig möglichst relevante, messbare Größen zu identifizieren. Wie schwierig dies ist, sieht man an den weitgehend gescheiterten Erklärungs- und Vorhersagemodellen für die aktuell (immer noch) grassierende Covid-19 Pandemie. Dass relevante Systemeigenschaften, beispielsweise der Reifegrad von komplexen Systemen, hinreichend gut messbar sind, zeigt unser Titelbild eindrucksvoll. Sowohl ökonomischer Erfolg als auch gesellschaftliche Akzeptanz des abgebildeten Nachtschattengewächses lassen sich hervorragend aufgrund des Key-Performance Indikators „Farbe“ vorhersagen. Dies gilt natürlich auch für viele andere Dinge: Beispielsweise für Himbeeren, Avocados, oder Kiwis, bei denen unter Umständen auch taktile Eigenschaften wertvolle Aufschlüsse geben. Wenn es nur in unserem Bereich so einfach wäre wie in der Gemüseabteilung: Das Bedürfnis, den Reifegrad von realen und abstrakten Dingen und Vorgängen festzustellen ist leider in der Technoökonomie viel, viel schwieriger und gleichzeitig für die effektive Steuerung und Ressourcenplanung sehr, sehr wichtig. Die Menge an IT-Projekten, die gescheitert sind, weil es bis zum Projektende nicht möglich war, den Fertigstellungsgrad zu bewerten, ist Legion. Am Projektende stand meist in einer Fußnote „*) hier passiert dann ein "Wunder" im Projektplan. Mit unterschiedlichen Modellen zur Beurteilung des Reifegrades haben wir es in der Technoökonomie in vielen Bereichen zu tun. Die Ansätze sind ebenso verschieden und bunt, wie es die Aspekte der Technoökonomie sind. Darum haben wir uns dieses Thema als Motto für unser aktuelles WINGbusiness gewählt und Kolleginnen und Kollegen aus Forschung und Praxis eingeladen, uns ihre Ansätze, die einen großen Bogen vom Risikomanagement über Instandhaltung bis zu Weiterbildungsthemen spannen, in diesem Heft näherzubringen. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Kollegen Prof. Dr. Walter Schwaiger und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bereichs Rechnungswesen und Controlling der Technischen Universität Wien, für die gute Zusammenarbeit und die Koordination der Zusammenstellung dieses Heftes bedanken. Ich verbleibe im Namen des gesamten Redaktionsteams mit freundlichen Grüßen und wünsche Ihnen in der aktuellen Situation viel Kraft und Ausdauer und dass Sie den kommenden Frühling genießen können. Viel Freude beim Lesen und bleiben Sie gesund! Ihr Siegfried Vössner

Foto: Adobe Stock

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Top-Thema: Reifegradmodelle in der Techno-Ökonomie Walter S.A. Schwaiger, Michael Brandstätter

Unternehmensweites Risikomanagement: Reife der Implementierung – Fitness Check

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Holger Klier, Walter S.A. Schwaiger

Integration von Risiko in Performance- und ComplianceManagementsysteme 16 Markus Steinlechner, Andreas Schumacher, Benedikt Fuchs

Reifegradbewertung digitaler Kompetenzen von MitarbeiterInnen

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Jörg Schweiger

Reifer industrieller Einkauf

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Mit Systematik zu mehr Professionalität und Resilienz

Hans Thomas Maier, Oliver Schmiedbauer, Hubert Biedermann

Lean Smart Maintenance Reifegradmodell zur Transformation der Instandhaltungsorganisation

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Florian Kaiser, Mari Kollegger

Der Digitalisierungsreifegrad österreichischer Unternehmen im Bereich der Instandhaltung

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Inhaltsverzeichnis EDITORIAL

Reifegradmodelle in der Techno-Ökonomie

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WING-INTERVIEW

Hans-Jörg Gress Interview mit Dipl.-Ing. Dr.Thomas Nemetz Gründer und CEO Ocean Maps GmbH

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UNINACHRICHTEN

Andreas Kohlweiss Ankündigung: 11th Conference on Learning Factories

Ulrich Bauer Best-Teacher Award für Gunter Nitsche

CALL FOR PAPERS

Call for Papers Themenschwerpunkt: "Learning Factories" in WINGbusiness 03/2021

WING-INTERN

Neues Veranstaltungsformat: WING-digital

FACHARTIKEL

Die Abgrenzung von Patentrecht, Markenrecht und Urheberrecht – dargestellt am Beispiel von ‘Rubik’s Cube’ (Teil I)

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Sigrid Weller 15

Gunter Nitsche

IMPRESSUM Impressum

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INTERVIEW

Interview mit Dipl.-Ing. Dr. Thomas Nemetz Gründer und CEO Ocean Maps GmbH Wirtschaftsingenieur Foto: Dipl.-Ing. Dr. Thomas Nemetz

Wie es der Name nahelegt begann Ocean Maps damit, Sporttaucher mit interaktiven Tauchkarten zu unterstützen, um ihre Sicherheit zu erhöhen. Mittlerweile ist das von Thomas Nemetz im Jahr 2015 gegründete Start-up-Unternehmen mit der Bereitstellung von digitalen Zwillingen zum innovativen Dienstleister für die Energiewirtschaft, Bauindustrie und die öffentliche Hand geworden.

Herr Dr. Nemetz, nach Jahren erfolgreicher Managementtätigkeit in internationalen Unternehmen fassten Sie 2015 den Entschluss ein eigenes Unternehmen zu gründen. Was waren Ihre Beweggründe dafür? Ich habe eigentlich schon als Student den Wunsch gehabt, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Diesem Zustand bin ich bei Sony bereits sehr nahe gekommen, als ich die Sony NetServices als Spin-off gründete und diese Einheit sehr rasch zu einem Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden wurde. 2015 war ich dann in einer Situation, in der vieles gepasst hat. Ich hatte eine gute Geschäftsidee, nämlich die Visualisierung von komplizierten Unterwasserwelten, für die Kunden bereit sind zu bezahlen, und ich hatte die Finanzierung. Mit Michael Altrichter als Partner und Business Angel war es möglich, den notwendigen Finanzierungsbetrag von 800.000 Euro zu beschaffen. Der Aufbau eines Start-up-Unternehmens ist mit großen Herausforderungen verbunden. Welche technischen und kaufmännischen Aspekte haben Sie dabei am meisten

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gefordert und wie konnten Sie diese bewältigen? Technisch herausfordernd ist vor allem die richtige Einschätzung der eigenen Technik im Vergleich zur Konkurrenz, dass man sich nämlich dabei nicht überschätzt. Wirtschaftlich herausfordernd sind die Erstellung eines realistischen Businessplans und die Finanzierung. Die größten Herausforderungen sehe ich aber im Unternehmertum selbst. Es ist ein großer Unterschied, ob man eine eigene Firma aufbaut oder angestellter Geschäftsführer ist. Man geht ein größeres Risiko ein und das Risiko des Scheiterns hält viele davon ab ein Start-up zu gründen. Man muss Mut und Selbstvertrauen mitbringen, denn es wird genügend Zweifler geben. Und in diesem Zweifel muss man standhaft sein. Ocean Maps startete mit interaktiven Tauchkarten, weitete jedoch bald seine Geschäftsfelder aus. Welche Dienstleistungen bieten Sie heute an? Wir haben mit Unterwasservermessung begonnen und daraus interaktive

3D-Unterwasserkarten entwickelt. Auch heute bieten wir Unterwasservermessungen als erstes Gechäftsfeld an und als zweites Geschäftsfeld den digitalen Zwilling, der technisch sehr nahe an den interaktiven Unterwasserkarten konzipiert ist. Das Thema „Digitaler Zwilling“ ist ja nun in aller Munde. Was versteht man denn unter einem digitalen Zwilling? Ein digitaler Zwilling (digital twin) ist eine digitales Abbild einer technischen Anlage, wobei zwischen dem digitalen Abbld und der realen Anlage Daten in beide Richtungen automatisch ausgetauscht werden. Werden die Daten nur von der realen Anlage zum digitalen Abbild gesendet, spricht man vom digitalen Spiegel (digital mirror). Und welchen Nutzen bringt er in den Anwendungen, die Ocean Maps anbietet? Wir arbeiten für die Energiewirtschaft, die Bauwirtschaft und die öffentliche Hand. Im Kraftwerksbetrieb sind die Wartungskosten der

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INTERVIEW größte Kostenblock und hier hilft der digitale Zwilling mittels Predictive Maintenance Kosten zu sparen. Ich erkenne im digitalen Zwilling Zustände und kann daher frühzeitig und kostensparend in der Anlage reagieren. Im konkreten Beispiel heißt das: Wir verstehen die Situation am Turbineneinlauf ganz genau und diese hat direkten Einfluss auf die Höhe der Stromproduktion und damit den Umsatz des Kraftwerks. Für die Bauwirtschaft zeigen wir zum Beispiel, wie ein Kran auf einer Baustelle optimal aufgestellt werden muss. Das spart viel Zeit und Geld in der Planung und im Genehmigungsverfahren. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz in der Schulung von Fachkräften. Wir können im digitalen Zwilling komplexe Abläufe wie die Reduktion der Turbinenleistung virtuell abbilden und der Benutzer kann die notwendigen Maßnahmen an der virtuellen Schalttafel durchführen. Dabei erkennt das System auch eine Fehlbedienung und zeigt dem Benutzer die richtige Bedienung. Welche Strategie ist nun essentiell für die erfolgreiche Weiterentwicklung Ihres Unternehmens? Ich denke, dass wir eine gute Strategie haben und von unseren Zielbranchen gut aufgestellt sind. Wir befinden uns in einer Rollout-Phase, denn wir besitzen ein Leistungsangebot, das nachgefragt und honoriert wird, und können in den existierenden Branchen stark wachsen. Hier spielt die weitere Internationalisierung eine bedeutende Rolle. Im Kraftwerksbereich ist es uns im letzten Jahr gelungen, große Kunden auch in Deutschland zu gewinnen, und ich freue mich schon auf den weiteren internationalen Roll-out. Gleichzeitig sehe ich aber auch neue Geschäftsfelder für unser Wachstum, wie die Verknüpfung des digitalen Zwillings mit der künstlichen Intelligenz. Digitale Zwillinge, die wir von Brücken erstellt haben, werden mit künstlicher Intelligenz verknüpft.

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Diese erkennt, wo potenzielle Schäden auftreten können und wann und wie sie am besten zu behandeln sind. Für den nachhaltigen Geschäftserfolg benötigt man auch die richtigen Leute. Ist die Personalrekrutierung für ein junges Unternehmen schwierig? Das Team ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren und sowohl große Unternehmen wie Sony als auch kleine Unternehmen wie Ocean Maps stehen immer im Wettbewerb mit anderen beim Werben um qualifiziertes Personal. Daher ist gutes Recruiting und gutes Personalmanagement so wichtig. Ich glaube, dass Ocean Maps ein sehr attraktiver Arbeitgeber ist. Die Idee, die Ozeane zu vermessen und auch viel für den Umweltschutz zu tun, kommt vor allem bei den jungen Leuten sehr gut an. Die meisten Mitarbeitenden haben wir daher durch Mundpropaganda oder durch ihre eigene Kontaktaufnahme mit mir gewonnen. Was sind Ihre Erfolgsfaktoren im Management und welche Führungsgrundsätze wenden Sie an? Ein CEO hat drei wesentliche Aufgaben, erstens eine Strategie zu entwickeln, um erfolgreich zu sein, zweitens die dafür notwendigen Maßnahmen bzw. Änderungen festzulegen und einzuleiten und drittens, der wichtigste Punkt, die Mitarbeitenden und das Team aufzubauen. Mein Führungsstil ist geprägt von meinen beruflichen Erfahrungen bei Accenture und Sony und ich versuche das Beste davon auch in meiner eigenen Firma anzuwenden. Ein wichtiger Aspekt ist für mich die Delegation von Verantwortung und Aufgaben und zugleich regelmäßig einen objektiven Status über die aktuelle Situation zu bekommen, also die Dinge zu sehen wie sie sind und nicht wie sie sein sollen. Das erfordert natürlich, dass Probleme sofort offen angesprochen und nicht verschleiert werden. Nur so können wir rechtzeitig mit Korrekturmaßnahmen eingreifen. Welche Empfehlungen können Sie jungen Wirtschaftsingenieuren für

ihren Berufseinstieg und eine erfolgreiche Karriereentwicklung geben? Ich habe drei Söhne in ihrer Ausbildung, einer davon als Wirtschaftsingenieur in Wien. Ihnen empfehle ich, sich das Doppel-T-Modell vor Augen zu halten. Das Doppel-T-Modell sagt, dass man sich einerseits Wissen möglichst breit aneignen soll, also neben technischem und wirtschaftlichem Wissen auch soziale Fähigkeiten wie Kommunikation und Präsentation erlernen soll, und andererseits sich in zwei unterschiedlichen, eng definierten Fachgebieten besonders vertiefen soll, um hier wirklich ein Speziaist zu sein. Besonders wichtig ist auch das gute Beherrschen der englischen Sprache. Englisch kann man nicht gut genug können und auch dafür sollte man genügend Zeit und Mühe investieren. Generell empfehle ich den jungen Wirtschaftsingenieuren, sich mit den persönlichen Ausbildungszielen und der Karriereplanung immer wieder im Detail auseinanderzusetzen. Abschließend zum Thema WorkLife-Effectiveness: Wie finden Sie Entspannung von Ihren beruflichen Anforderungen? Mir macht meine Arbeit großen Spaß und deshalb arbeite ich auch sehr viel. Seit 2 Jahren verwende ich einen Fitness Tracker und da sehe ich, dass mich mein beruflicher Alltag nicht stresst. Am meisten stresst mich, wenn ich im Stau stehe. Das war für mich noch mehr Grund, dass ich Auto fahren vermeide und wenn möglich öffentliche Verkehrsmittel benütze oder einfach zu Fuß gehe. Kraft tanke ich in der Natur und hier schätze ich besonders das Skifahren im Winter und im Sommer das Segeln, Radfahren und Mountainbiken. Ich freue mich schon auf meine morgige Skitour, die in diesem Winter bereits die achtzehnte ist. Dipl.-Ing. Dr. Thomas Nemetz, Wirtschaftsingenieur, 57 Seit 2015 CEO und Gründer Ocean Maps GmbH, Salzburg Seit 2012 Geschäftsführer DIGIPIT GmbH, Salzburg

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INTERVIEW 2006 – 2012 Geschäftsführer Reditune Bornhauser, Infotainment 1999 – 2006 Geschäftsführer Sony NetServices GmbH, Berlin 2001 – 2002 Managing Director Sony E-solutions BV, Brüssel 1998 – 1999 Director E-Commerce, Sony DADC AG, Salzburg

1995 – 1998 Manager Intern. Operations, Sony DADC AG, Salzburg 1993 – 1995 Doktoratsstudium und Promotion, TU Wien 1989 – 1995 Unternehmensberater, Andersen Consulting, Wien 1987 – 1989 MBA International Marketing, University of Hawaii

1982 – 1987 Studium Wirtschaftsingenieurwesen, TU Graz Das Interview führte Herr Dipl.-Ing. Dr. Hans-Jörg Gress

Uninachrichten

Foto: "Lead Factory" - IIM-TUGraz

Foto: Lunghammer TU Graz

Ankündigung: 11th Conference on Learning Factories

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ie 11th Conference on Learning Factories wird vom 30.6. bis zum 2.7.2021 an der TU Graz physisch stattfinden, sofern es die Covid-19 Situation bis dahin erlaubt. Nach der erfolgreichen Organisation und Durchführung der zehnten Lernfabrikskonferenz im April 2020, die erstmals online stattfinden musste, wird dem Conference Chair Univ.-Prof. Dr. Christian Ramsauer die Möglichkeit gegeben die Konferenz mit spannenden Workshops physisch nachzuholen. Es wurden über 130 Abstracts aus über 30 Nationen für die Konferenz zu den folgenden Konferenzthemen eingereicht: Machine Learning and Artificial Intelligence in Learning Factories Teaching Global Value Chains in Learning Factories Sustainability and Circular Economy in Learning Factories 5G and IoT in Learning Factories Mixed Reality in Learning Factories Learning Factory Concepts Im Rahmenprogramm sind unter anderem spannende Workshops zu den Themen digitale Produktion, Virtual Reality und Product Tear Down geplant. Je nach Covid-19-Bestimmungen wird das Programm auch durch gesellschaftliche Events ergänzt. Wir würden uns freuen, Sie bei der 11th Conference on Learning Factories im Sommer 2021 in Graz begrüßen zu dürfen.

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TOP-THEMA

Foto: https://pixabay.com/de/users/pixxlteufel

Walter S.A. Schwaiger, Michael Brandstätter

Unternehmensweites Risikomanagement: Reife der Implementierung – Fitness Check Unternehmensweites Risikomanagement (Enterprise Risk Management, kurz: ERM-System) ist ein systematischer Zugang zur Identifikation und Einbindung von Risiko- und Chancen-Informationen in die Planungs- und Steuerungssysteme der verschiedenen Managementbereiche des Unternehmens. In einem von der Funk-Stiftung Hamburg geförderten Forschungsprojekt wurde an der TU Wien ein Best Practice-Reifegradmodell zur Messung der Qualität der ERM-System-Implementierung entlang des ISO-Risikomanagement-Standards (ISO-RM 2018) und des COSO-Enterprise Risk Management Frameworks (COSO-ERM 2017) entwickelt und im ERM-Maturity Assessment (ERMMA)-Online Tool für die öffentliche Nutzung verfügbar gemacht. In diesem Beitrag wird das ERM-Reifegradmodell vorgestellt und seine Nutzung durch die Maschinenbau-EWF demonstriert. 1.ERM-System: Definition und Reifegrade der Implementierung Ein systematischer Zugang zur Identifikation und Einbindung von Risikound Chancen-Informationen in die Planungs- und Steuerungssysteme der verschiedenen Managementbereiche des Unternehmens liegt vor, wenn die Generierung derartiger Informationen (Information Provider) und ihre Nutzung (Information User) in der Corporate Governance verankert sind und diese ERM-Governance im Unternehmen nachhaltig umgesetzt, d.h. gelebt wird. Abbildung 1 zeigt die drei Bestandteile des systematischen Zugangs, u.z. A) ERM-Governance, B) Risikomanagementsystem (Information Provider) und C) Risiko-basierte Planungsund Steuerungssysteme (Information User) als die drei Dimensionen des

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ERMMA-Reifegradmodells. Alle drei Dimensionen sind mit jeweils drei Sub-Dimensionen untergliedert, sodass dem ERMMA-Modell eine umfassende Perspektive zugrunde liegt. Orthogonal zu den (Sub-)Dimensionen sind jeweils 5 Reifegrade (RG) spezifiziert, welche sukzessiv höhere Anforderungen an die Ausgestaltung der (Sub-)Dimensionen stellen. Im Reifegrad 1 (RG1) sind die Anforderungen definiert, welche sich an den gesetzlichen Mindestanforderungen für in Unternehmen einzurichtenden ERM-Systemen orientieren. Im Reifegrad 2 (RG2) kommen Überwachungs- und Prüfungsaspekte hinsichtlich der im Reifegrad 1 definierten Systeme hinzu.

Beim Reifegrad 3 wird zusätzlich eine unternehmensweit vorliegende holistisch differenzierte Perspektive sowie eine unternehmensweite Standardisierung der Systeme gefordert. Beim Reifegrad 4 kommt die unternehmensübergreifende Perspektive hinzu, wobei das Unternehmen gesamtheitlich betrachtet und mit Double Loop-Managementsystemen geplant und gesteuert wird. Im Reifegrad 5 wird schließlich zudem gefordert, dass sich das Top-Management interaktiv in die Ausgestaltung und Verbesserung der Managementsysteme einbindet. Nach dieser kompakten ERM-System-Definition sowie Skizzierung des ERMMA-Reifegradmodells wird

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TOP-THEMA

Abbildung 1: Klassifikationsschema des ERMMA-Reifegradmodells (siehe Schwaiger/Brandstätter, 2020, S. 74) nachfolgend die Implementierung des ERM-Systems in der MaschinenbauEWF beschrieben. Anschließend wird der Reifegrad der Maschinenbau-EWF-Implementierung mit dem ERMMA-Online Tool bestimmt. Schließlich wird auf die anhand des ERMMA-Feedbacks durgeführte Stärken/Schwächen-Analyse bezüglich Systemverbesserungen eingegangen. 2. ERM-System: Praktische Implementierung in der MaschinenbauEWF Die „Maschinenbau-EWF“ ist ein Unternehmenskonstrukt, welches in Anlehnung an eine wirkliche Firma (EWF) konzipiert wurde und am Institut für Managementwissenschaften (TU-Wien) im Rahmen der experimentellen Forschung eingesetzt wird. Wie bereits der Name andeutet ist die Maschinenbau-EWF in der Maschinenbau-Branche tätig. Das Kerngeschäft des Unternehmens liegt in der Produktion und der Montage von Fertigungsmaschinen. Dabei wurde im letzten Geschäftsjahr mit einer Belegschaft von 480 MitarbeiterInnen ein Jahresumsatz von EUR 104 Mio. erzielt. Das Unternehmen ist eigentümergeführt und hat die Rechtsform einer wirtschaftsprüfungspflichtigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Die Geschäftsführung umfasst drei Personen, wo-

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bei der Geschäftsführer (CEO) der Eigentümerfamilie entstammt. Die technische Leitung (CTO) und die kaufmännische Leitung (CFO) sind international rekrutierten Managern übertragen. Im Unternehmen spielt der technische Aspekt – nicht zuletzt aufgrund der technischen Universitätsausbildung des Geschäftsführers – eine zentrale Rolle. Dies zeigt sich beispielsweise durch die Zertifizierung des Qualitätsmanagements nach dem ISO-Standard DIN EN ISO 9001: 2015. Seit der Umstellung auf den 2015-Standard werden auch die mit der Qualität verbundenen Risiken (Qualitätsrisiken) im Qualitätsmanagement berücksichtigt. Im Zuge der Umstellung wurden auch das Prozessmanagement im Produktionsbereich sowie die Produktionsplanung um den Aspekt des Risikos erweitert. Konkret wurden Richtlinien zum Umgang mit Risiken im Produktionsbereich festgelegt, und die Produktionsprozesse wurden anhand dieser Richtlinien definiert und dokumentiert. Zur Sicherstellung einer lückenlosen Umsetzung werden auch alle in der Produktion tätigen Mitarbeiter hinsichtlich der neuen Vorgaben geschult. In der Produktionsplanung werden beispielsweise die mit unterschiedlichen Auslastungsgraden einhergehenden Betriebsunterbrechungsrisiken einbezogen. Die verschiedenen Risiken im Produktionsbereich werden in einem

Tabellenkalkulationsprogramm systematisch dokumentiert, und die quantifizierbaren Risiken werden anhand statistischer Berechnungen aus historischen Betriebsdaten ermittelt. Im strategischen Management zeigt sich die „technische Unternehmenskultur“ insofern, als dass insbesondere neue Entwicklungen bzw. Möglichkeiten im Fertigungsbereich (z.B. 3D-Druck) einem Monitoring unterzogen werden. Darüber hinaus werden fallweise auch Wettbewerbsanalysen durchgeführt, wobei technologisch disruptive Veränderungen sowie strategische Verhaltensänderungen bei den wichtigsten Konkurrenzunternehmen in Erfahrung gebracht und sodann geeignete Entgegnungsmaßnahmen entwickelt werden. Im Finanzbereich ist zur Sicherung einer zuverlässigen Berichterstattung ein internes Kontrollsystem (IKS) entsprechend den gesetzlichen Vorgaben eingerichtet. Die Ausgestaltung des IKS obliegt dem CFO. Die Interne Revision, welche im Unternehmen seit mehr als 30 Jahren eingerichtet ist, überprüft periodisch die Angemessenheit und Wirksamkeit des IKS und berichtet an den Aufsichtsrat (Prüfungsausschuss) des Unternehmens. Der dem CFO zugeordnete Leiter der Controlling-Abteilung übt in einer Teilzeitfunktion die Agenden des Corporate Risk Managers aus. Dabei sind ihm folgende Aufgaben übertra-

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TOP-THEMA

Abbildung 2: ERMMA-Reifegrad-Profil der Maschinenbau-EWF gen, u.z. die Koordination des Risikomanagementprozesses, das RisikoReporting an Geschäftsführung und die Betreuung des kaufmännischen sowie technischen Bereichs hinsichtlich der zur Messung und Beurteilung von Risiken zu verwendenden Methoden (Competence Center). Der dem CFO ebenfalls zugeordnete Treasurer

übt in Teilzeitfunktion das Risikomanagement hinsichtlich der finanziellen Marktrisiken aus. Dabei werden derivative Finanzinstrumente (v.a. Optionen und Forwards) eingesetzt, um die Rohstoffpreis-, Fremdwährungs-, Zins- und Liquiditätsrisiken innerhalb der von der Geschäftsleitung vorgegebenen Limite zu halten.

Die Geschäftsführung besitzt ein stark ausgeprägtes Risikobewusstsein, welches sich nicht nur in den hohen Sicherheitsstandards und dem sorgsamen Umgang mit Qualitätsund Finanzrisiken zeigt. Vielmehr hat die Geschäftsführung auch eine explizit formulierte Risikostrategie, wobei zwischen verschiedenen Risikoar-

Abbildung 3: Feedback-Informationen bezüglich Dimension B: Risikomanagementsystem WINGbusiness 1/2021

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TOP-THEMA ten unterschieden wird und die Höhe der einzugehenden Risiken sich an der Risikotragfähigkeit und den Unternehmenszielen orientiert. Zusammengefasst wird die Risikostrategie im risikopolitischen Grundsatz: „Das Eingehen von Risiken ist untrennbar mit unternehmerischen Tätigkeiten verbunden. Doch die eingegangen Risiken dürfen die Risikotragfähigkeit des Unternehmens nicht überschreiten, um die Existenz des Unternehmens nachhaltig zu sichern.“ An diesem Grundsatz ist das Risikomanagement des Unternehmens ausgerichtet, welches vom Corporate Risk Manager koordiniert und von der Internen Revision hinsichtlich Angemessenheit und Wirksamkeit überprüft wird.

zung der Risikoinformationen in den Planungs- und Steuerungssystemen aufweist. Die Ursachen für diesen Unterschied sind im auf der linken Seite von Abbildung 2 dargestellten „ERMMA-Profil“ zu erkennen. Dieses Profil zeigt für die drei Dimensionen die jeweils drei zugehörigen SubDimensionen. Zumal sich die ScoreWerte für die Dimensionen wiederum als gleichgewichtete Durchschnitte über die jeweiligen Sub-Dimensionen berechnen, erklärt sich der hohe Score für die Dimension C durch den Reifegrad (RG) von 4 in der C3-Subdimension. Der niedrige Wert in der Dimension B ergibt sich insbesondere aus den beiden niedrigen Reifegraden von 1 in den B2- und B3-Subdimensionen.

3. ERM-System: Reifegrad der Implementierung

Für die Interpretation der erreichten Reifegrade gibt das in Abbildung 1 dargestellte ERMMA-Klassifikationsschema, welches das theoretische Fundament des ERMMA-Online Tools darstellt, die benötigte Orientierung. Dieses Wissen ist erforderlich, um die unterschiedlichen Reifegrade in den 9 Sub-Dimensionen inhaltlich interpretieren zu können. Zumal in allen Sub-Dimensionen ein Reifegrad von mindestens 1, was sich in etwa mit der Erfüllung von gesetzlichen Mindestanforderungen deckt, erreicht ist, steht die regulatorische Ampel auf „Grün“. Die Reifegrade von 2 entsprechen in den Dimensionen A und B soliden Systemen, welche Überwachungs- und Prüfungsfunktionalitäten inkludieren. Bei

niedrigeren Reifegraden fehlen diese Funktionalitäten. Somit zeigt das in Abbildung 2 dargestellte ERMMAProfil, dass in den Sub-Dimensionen mit Reifegraden von 1 keine derart soliden Systeme vorliegen und somit eine gewisse Schwachstelle zu orten ist. In der Dimension C zeigt sich hingegen beim Reifegrad von 4 in der C3-Sub-Dimension eine große Stärke. 4. ERM-System: Stärken/Schwächen-Analyse Zur tiefergehenden Analyse der Stärken und Schwächen der ERMSystem-Implementierung gibt das ERMMA-Feedback die dazu benötigten Hinweise. Wie in der Wirtschaftsprüfung häufig üblich beginnt eine solche Analyse zumeist beim Risikomanagement-Prozess (B1-SubDimension). Ein Blick in Abbildung 3 zeigt einen Reifegrad von 2 (RG2) für die B1-Sub-Dimension. Somit – siehe „Erreichter Inhalt“ – liegt in ausgewählten Bereichen des Unternehmens ein überwachter und geprüfter Risikomanagementprozess vor. Zur Erreichung eines höheren Reifegrades (RG3) – siehe „Ausstehender Inhalt für höheren Reifegrad“ – bedarf es der Etablierung derartiger Prozesse in allen wichtigen Unternehmensbereichen. Folglich fehlt im Unternehmen die unternehmensweite Verankerung des Risikomanagements in allen wichtigen Bereichen. Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es einer konzeptionell vereinheitlichten Herangehensweise, derzufolge in allen

Der Controller der MaschinenbauEWF nutzte das ERMMA-Online Tool, um den sich für das Unternehmen im ERMMA-Klassifikationsschema ergebenden Reifegrad zu ermitteln. Das Ergebnis ist in Abbildung 2 zu sehen: Mit einem ERMMA-Gesamt-Score von 1,78 nimmt das Unternehmen den 34. Rang unter allen das ERMMA-Monitoring-Tool nutzenden Unternehmen, welche auf 100 % normiert sind, ein. Das Unternehmen liegt somit am unteren Ende des ersten Drittels, d.h. 33 % der Unternehmen haben ein besseres und 65 % haben ein schlechteres Gesamtergebnis. Der Gesamt-Score von 1,78 berechnet sich als gleichgewichteter Durchschnitt über die in den drei Dimensionen A, B und C erreichten Score-Werte, u.z. 1,67 in der „ERM-Governance“Dimension (A), 1,33 in der „Risikomanagementsystem“Dimension (B) und 2,33 in der „Planungs- und Steuerungssysteme“-Dimension (C). Die Unterschiede in den drei Score-Werten für die Dimensionen zeigen an, dass die in Dimension B erfolgende Generierung von Risikoinformationen einen deutlich geringen Reifegrad als die in Dimension C erfolgende Nut- Abbildung 4: Feedback-Informationen bezüglich Dimension A: ERM-Governance

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TOP-THEMA

Abbildung 5: Homepage von ERMMA-Online – https://ermma.imw.tuwien.ac.at Bereichen ein holistischer Ansatz mit kontextspezifisch differenzierten Ausgestaltungen zur Anwendung kommt. Beim Schulungssystem (B2) und beim Informationssystem (B3) zeigt der jeweilige Reifegrad von 1 eine gewisse Schwäche an. Es liegen zwar jeweils elementare Ansätze vor, doch fehlen weitergehende Bildungsmaßnahmen bzw. eine überwachte und überprüfte IT-Infrastruktur für das Risikomanagement in zumindest ausgewählten Unternehmensbereichen. In Abbildung 4 werden FeedbackInformationen in Form von erreichten und ausstehenden Inhalten für die ERM-Governance-Dimension (A) gegeben. Der Reifegrad von 2 bei der Risikostrategie (A1) zeigt an, dass in partiellen Bereichen überwachte und überprüfte Strategien eingerichtet bzw. für die Überwachung und Überprüfung Personen verantwortlich sind. Ein holistisch-differenzierter Ansatz über alle wichtigen Unternehmensbereiche fehlt allerdings. Gleiches gilt für die nicht mehr explizit gezeigte Risikoorganisation (A3). Beim ebenfalls nicht mehr gezeigten Risikoverständnis (A2) gibt es aufgrund des dort erreichten Reifegrades von 1 eine Schwachstelle. Zumal in den verschiedenen Unternehmensbereichen unterschiedliche Sichtweisen bezüglich der jeweiligen Risiken vorherrschen, bedarf es eines entsprechend differenzierten Risikoverständnisses, wobei zumindest zwischen reinen (nur Verlustpotentiale) und spekula-

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tiven Risiken (Gewinn- und Verlustpotentiale) unterschieden wird. Für die Dimension (C), i.e. Risiko(basierte) Planungs- und Steuerungssysteme gibt es ebenfalls Feedback-Informationen, welche aber aus Platzgründen nicht mehr bildlich dargestellt werden. Im Strategischen Managementsystem (C1) werden relevante Risiken (Key Risks) bei der Strategie- und Zielfestlegung einbezogen, was den Reifegrad von 2 begründet. Für den Reifegrad 3 wäre es notwendig, die relevanten Risiken nicht nur einzubeziehen, sondern diese auch proaktiv zu steuern. Der Reifegrad von 1 im Finanzmanagementsystem (C2) zeigt eine Schwachstelle an, zumal dort die relevanten Risiken nicht in die Strategie- und Zielfestlegung einbezogen werden, sondern lediglich mit Risikolimitsystemen gesteuert werden. Das operative Managementsystem deutet mit dem Reifegrad von 4 auf eine beachtenswerte Stärke hin.

In diesem Managementsystem werden nicht nur relevante Risiken gesteuert, vielmehr wird dort z.B. in der Produktionsplanung auch der Trade Off zwischen der Performance und den Risiken (risikoadjustierte Performance-Messung) explizit einbezogen. Wie in Abbildung 4 zu sehen ist, enthält das ERMMA-Feedback auch noch die von der Geschäftsführung eingestufte Zufriedenheit mit den durch die ERM-System-Implementierung verfügbar gemachten Risiko- und Chanceninformationen. Darin zeigt sich, das Verständnis der Geschäftsführung sowie die Bereitschaft, die im Feedback erhaltenen Anregungen für die Verbesserung der Implementierung zu nutzen. 5. ERM-System: Fitness Check Das ERMMA-Online Tool ist generisch konstruiert und nicht auf spezielle Branchen zugeschnitten. Es gibt den Unternehmen – mit Ausnahme der Finanzdienstleister, welche sehr spezifische aufsichtsrechtliche Zusatzanforderungen haben – eine präzise Standortbestimmung hinsichtlich des Reifegrads ihrer jeweiligen ERMSystemimplementierung sowie konkrete Informationen hinsichtlich der Systemverbesserung. Das Tool steht kostenlos zur Nutzung bereit. Referenzen: COSO-ERM 2017. Enterprise Risk Management Integrating with Strategy and Performance, Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission, https://www.coso.org/. ISO-RM 2018. Risk Management – Guidelines (ISO 31000:2018), https:// www.iso.org/standard/65694.html.

Sie wollen sich testen lassen? So funktioniert’s (siehe TOP GEWINN

September 2018): 1. Registrieren Sie sich unter https://ermma.imw.tuwien.ac.at. Dazu benötigen Sie eine gültige E-Mail-Adresse, ein Passwort und den Registrierungscode: ERMMA25. Die Anmeldung ist anonym. 2. Nach der Registrierung bekommen Sie einen Benutzernamen an die von Ihnen angegebene E-Mail-Adresse geschickt. 3. Mit Ihrem Benutzernamen und Ihrem Passwort können sie sich anmelden und die Reifegradanalyse durchführen (Dauer ca. 30 Minuten). 4. Nach Beendigung bekommen Sie sofort die Ergebnisse, die Sie als PDF herunterladen können. 5. Darüber hinaus können Sie künftig diese Analyse jährlich aktualisieren, um die Entwicklung des Reifegrads Ihres Unternehmens zu monitoren.

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TOP-THEMA Schwaiger W.S./Brandstätter M. 2020. Qualitätsmessung von ERM-Systemen anhand von Reifegraden, Controller Magazin (CM), März/April 2020, S. 73-77

Autoren: Univ.-Prof. Dr. Walter S.A. Schwaiger, MBA Ordinarius für Rechnungswesen und Controlling, TU WIEN

Walter S.A. Schwaiger ist seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls „Rechnungswesen und Controlling“ und Leiter des Forschungsbereichs „Finanzwirtschaft und Controlling“ am Institut für Managementwissenschaften der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften an der TU Wien.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Financial Enterprise Management, Enterprise Risk Management und IT-based Enterprise Management. Michael Brandstätter, BSc. Studentischer Projektassistent für ERM-Reifegrad-Analysen am Institut für Managementwissenschaften, TU WIEN

Univ.-Prof. Dr. Walter S.A. Schwaiger, MBA Ordinarius für Rechnungswesen und Controlling, TU WIEN

Michael Brandstätter, BSc. Studentischer Projektassistent für ERM-Reifegrad-Analysen am Institut für Managementwissenschaften, TU WIEN

UNINACHRICHTEN

Best-Teacher Award für Gunter Nitsche

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ie TU Graz vergibt alle 2 Jahre den Preis für Exzellente Lehre an besonders engagierte Lehrende. Diesmal übergab Vizerektor Stefan Vorbach einen der beiden Hauptpreise an den Patentrechtsexperten Univ.-Prof. Gunter Nitsche für seine herausragenden pädagogisch-didaktischen Leistungen. Gunter Nitsche ist seit dem Jahr 1988 als Lehrbeauftragter an der TU Graz tätig und damit wohl einer der längst gedienten Lehrenden, die derzeit an unserer Universität lehren. Durch seine sehr engagierte und stets studentenfreundliche persönliche Art, ist er wohl vielen Generationen von Wirtschaftsingenieur-Studierenden in bester Erinnerung geblieben und seine Beliebtheit zeigt, dass er es bestimmt auch für die aktuelle Studierendenschaft bleibt. Mit seinem unnachahmlichen Vortragsstil vermittelt er auf unterhaltsame Weise fundiertes rechtliches Fachwissen und geht keiner Frage oder Diskussion aus dem Wege. Dabei kommt ihm seine ausgeprägte Praxisnähe sehr zugute, aus der er ständig Beispiele bringt und den Zuhörern die Relevanz der Themen näher bringt. Fachlich vermittelt er vor allem Rechtsgrundlagen und deckt die Lehrveranstaltungen Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Patentrecht in verschiedenen Vertiefungsstufen ab. Weiters berät er den WING seit vielen Jahren in rechtlichen Fragen. Der WING gratuliert Gunter Nitsche sehr herzlich und wünscht ihm und den Studierenden noch viele interessante und spannende gemeinsame Lehrveranstaltungen! Ulrich Bauer

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WING-INTERN WING-digital Sigrid Weller

Neues Veranstaltungsformat: WING-digital

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orona macht uns allen auch das Arbeitsleben schwer. Vor allem Veranstaltungen sind eine große Herausforderung. Der Österreichische Verband der Wirtschaftsingenieure hat deshalb für seine Mitglieder ein neues Format gestartet: WING-digital als eine österreichweite, virtuelle Veranstaltungsreihe zum Erfahrungsaustausch. Kurz, informativ und aktuell. Österreichweit fahren war gestern. Einfach einloggen, mitmachen, zuhören, mitdiskutieren... Bereits zum vierten Mal fand im Januar eine WING-digital online Veranstaltung statt. Begonnen hat die Veranstaltungsreihe im September 2020 mit einem Vortrag von Dr. Wolfgang Zitz mit dem Thema „Automobilindustrie - quo vadis?“. Im Dezember und Januar fanden die Kaminabende des Management Center Innsbruck in Form einer WING-Digital Veranstaltungen statt. Dipl.-Ing. (FH) Johann Hofmann referiert zu „Industrie 4.0 - Erkennen, Verstehen, Umsetzen und Leben“ und Dr. Gernot Grömer berichtete zum Thema „Managing Martians“ - Was Wirtschaftsingenieure von der Raumfahrt lernen können… Das Thema „Digitaler Zwilling“ wurde uns Wirtschaftsingenieurinnen und Wirtschaftsingenieure durch den Vortrag von Dr. Thomas Nemetz, „SERIOUS GAMES: Nutzen von Digitalen Zwillingen für Wirtschaftsingenieure“, nähergebracht. Die WING-digital Veranstaltungen waren mit bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein voller Erfolg! Es werden weitere aufschlussreiche, für Wirtschaftsingenieurinnen und Wirtschaftsingenieure sehr interessante WINGdigital Veranstaltungen folgen. Informationen zu den nächsten Veranstaltungen erhalten Sie über unsere Newsletter Aussendungen, die Homepage und LinkedIn. Das WING-Team freut sich auf Ihre Teilnahme!

Call for Papers Themenschwerpunkt: "Learning Factories" in WINGbusiness 03/2021 Für die Oktober-Ausgabe laden wir Sie recht herzlich ein, Beiträge zum Themenschwerpunkt „Learning Factories“ einzureichen. Von Interesse sind Artikel zu Projekten und Forschungstätigkeiten, die sich mit Themenstellungen rund um die Konzeption, den Aufbau, operativen Betrieb, sowie Schulungs- und Lehrprogrammen in und um Lernfabriken befassen. Die Themen reichen von der Gestaltung und Digitalisierung der

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Infrastruktur über den Wissenstransfer im Rahmen von Executive Education Programmen bis hin zu universitären Lehrprogrammen mit industriellem Anwendungsbezug. Seitens Industrie bitten wir Stimmen aus KMUs und Großunternehmen Ihre Erfahrungen/Ansichten zu teilen. Im universitären Bereich freuen wir uns über Forschungsergebnisse der österreichischen techno-ökonomischen Institutionen.

Zwei Arten von Beiträgen sind möglich: Fachartikel unter Einbindung von Praxiserfahrungen Wissenschaftliche Beiträge in Form eines WING-Papers mit Reviewverfahren. Die Ergebnisse des Reviewverfahrens erhalten Sie 4-8 Wochen nach der Einreichfrist. Bitte senden Sie Ihre Beiträge als PDF an office@wing-online.at. Annahmeschluss: 10.06.2021

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TOP-THEMA

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Holger Klier, Walter S.A. Schwaiger

Integration von Risiko in Performance- und Compliance-Managementsysteme Die adäquate Integration von Risikoinformationen in Managementsysteme – im Sinne eines unternehmensweiten Risikomanagements – ist insbesondere in einem unsicheren Geschäftsumfeld wichtig. Für das konkrete Design einer angemessenen Integration gibt es aber kein Patentrezept. Vielmehr gilt es aus den verschiedenen sich bietenden Designmöglichkeiten das zum Unternehmen passende Design zu wählen. In diesem Beitrag wird für die Selektion des adäquaten Integrationsdesigns ein von der traditionellen Vorgehensweise abweichender Ansatz propagiert, indem nicht zuerst ein Risikomanagementprozess aufgesetzt wird, welcher dann mit den unternehmerischen Managementsystemen „verknüpft“ wird. Vielmehr dienen die im Unternehmen eingerichteten Performance- und Compliance-Managementsysteme als Ausgangspunkt, welche sodann durch Einbeziehung von entscheidungsrelevanten Risikoinformationen „ausgebaut“ werden. 1. Integration von Risikoinformationen in vorhandene Managementsysteme: Problem und Lösungsdesign Traditionellerweise wird beim Aufbau eines unternehmensweiten Risikomanagements (Enterprise Risk Management, kurz ERM) in zwei Stufen vorgegangen: Im ersten Schritt wird ein Risikomanagementprozess eingerichtet, wobei die verschiedenen Risiken identifiziert, bewertet und gesteuert werden. Zu diesem Zwecke wird vorzugsweise auf den Risikomanagement-Standard der „Internationalen Standardisierungsorganisation“ (ISO-RM 2018) bzw. dem Enterprise Risk ManagementFramework des „Committee of Sponsoring Organization“ (COSO-ERM 2017) aufgesetzt. Im zweiten Schritt erfolgt sodann die Verknüpfung der

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im ersten Schritt identifizierten Risiken mit den bestehenden Managementsystemen. Der Vollzug des zweiten Schrittes erweist sich in der praktischen Umsetzung aber vielfach als sehr schwierig. Durch die im ersten Schritt erfolgte Institutionalisierung des Risikomanagementprozesses werden Strukturen und Fakten geschaffen, welche dem Primat der im Unternehmen bereits eingerichteten Managementsysteme häufig in die Quere kommen und folglich auch zu inadäquaten Risikointegrationen führen. Die Lösung dieses Integrationsproblems, welches an die „Henne/ Ei“-Metapher erinnert, gestaltet sich wie folgt: Die im Unternehmen bereits bestehenden Managementsysteme werden als die existierende „Henne“ gesehen, und das von ihr gelegte „Ei“ sind die zusätzlich erforderlichen Pro-

zesse, um die in den verschiedenen Managementsystemen benötigten Risikoinformationen zu generieren. Das zur traditionellen Vorgehensweise diametral entgegengesetzte „Managementsystems First“-Integrationsdesign stellt somit die traditionelle Vorgehenseise auf den Kopf. Unklar ist aber wie dieses Design zu implementieren ist, damit eine adäquate Integration von Risikoinformationen in die bestehenden Managementsysteme erreicht werden kann. Der Schlüssel zur Lösung besteht in einer tiefergehenden Differenzierung der Managementsysteme sowie der in diesen Systemen entscheidungsrelevanten Risiken. Nachfolgend werden die dazu benötigten Differenzierungen erörtert und sodann die praktische Implementierung anhand der IndustrieroboterEineWirklicheFirma illustriert.

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TOP-THEMA Bei den Ri- ses Verständnis gilt es schließlich in siken ist die ein verbal formuliertes Governance U nt er s c hei - Statement zu bringen, und sodann dung von auf höchster Managementebene zu reinen und verankern, sodass sich alle im Unterspekulativen nehmen tätigen Personen daran orienRisiken (Wil- tieren und ausrichten können. Durch liams 1966) die nunmehr erfolgte Einbettung von wichtig, um Risiko in die Managementsysteme des nicht nur Unternehmens handelt es sich dabei Abbildung 1: „Managementsystems First“-Design – Integradie negativ um die ERM Governance (Lundqtion von Risiken in bestehende Planungs- und Steuerungssyb e h a f t e t e n vist 2015), welche durch die explizite steme nach Risiko-Typen Risiken, son- Einbindung der Entscheidungen im 2. Klassifizierung von Managementdern auch die positiv belegten Chan- Zusammenhang mit den Zielfestlesystemen und Risiken sowie deren cen in die Betrachtung einzubeziehen. gungen als „entscheidungsorientierte“ Verankerung in einer entscheidungs- Durch den expliziten Bezug auf ge- ERM-Governance bezeichnet wird. orientierten ERM-Governance setzte Ziele werden Ereignisse mit poAbbildung 2 visualisiert die entsitiver Wirkung auf die Zielerreichung scheidungsorientierte ERM-GoverDie zur konkreten Ausgestaltung des als Chancen und solche mit negativer nance, indem es die Performance- und „Managementsystems First“-Integra- Wirkung als Risiken definiert. Mit Compliance-Managementsysteme ortionsdesigns erforderlichen Differen- dieser Definition werden reine Risiken thogonal den nach Mikes/Kaplan dezierungen beziehen sich auf die Ma- als solche definiert, welche nur nega- finierten Risikotypen gegenüberstellt. nagementsysteme selbst und die dabei tive Wirkung haben (z.B. Ausfall der Die darin enthaltene Semantik drückt ablaufenden Prozesse, verfolgten Ziele Produktionsanlage). Die spekulativen einerseits das Verständnis und das und wirkenden Risiken. Anthony Risiken beinhalten hingegen sowohl Commitment der Geschäftsleitung (1965) folgend lassen sich Manage- positive als auch negative Wirkungen und ihrer Aufsichtsorgane aus, und mentsysteme in Planungs- und Steu- (z.B. Wechselkurse die steigen oder andererseits definiert es die Sprache erungssysteme unterteilen. Innerhalb fallen können). Schließlich gilt es noch für das unternehmensweite Risikoder Planungs- und Steuerungssysteme die unterschiedliche Steuerbarkeit von management, welche es im Unternehlaufen Managementprozesse ab, Risiken zu beachten. Diesbezüglich men zu verstehen und zu sprechen gilt. welche sich gut anhand der aus dem unterscheiden Mikes/Kaplan (2015) Damit es für die Belegschaft des UnQualitätsmanagement stammenden – „When One Size Doesn’t Fit All“ – ternehmens auch handlungswirksam kybernetischen Plan-Do-Check-Act zwischen vermeidbaren reinen Risiken werden kann, gilt es die Sprache und (PDCA)-Regelkreisläufe beschreiben (Preventable Risks), welche es gänz- Denkweise in die einzelnen Unternehlassen. Ausgangspunkt beim PDCA- lich zu eliminieren gilt, den spekula- mensbereiche zu bringen. Managementprozess ist die Zielfest- tiven Geschäftslegung (Plan), also die Entscheidung risiken (Strategy über die Ziele, welche es nachfolgend Execution Risks), durch operative Tätigkeiten (Do) zu welche untrennbar erreichen gilt. Zur Sicherstellung der mit unternehmeZielerreichung werden im Zeitab- rischen Aktivitäten lauf Kontrollen (Check) durchgeführt verbunden und und gegebenenfalls Anpassungsmaß- größtenteils gut nahmen (Act) zur Beseitigung etwai- steuerbar sind, und ger Fehlentwicklungen durchgeführt. externen Risiken Hinsichtlich der den PDCA-Manage- (External Risks), mentprozessen zugrunde liegenden welche nicht bzw. Ziele werden Compliance- und Perfor- kaum beeinflussmance-Ziele unterschieden, anhand bar und häufig Abbildung 2: Entscheidungsorientierte ERM-Governance derer Performance- und Compliance- auch nicht quanti- – Sicherstellung von Risikobewusstsein und RisikoeinbeManagementsysteme differenziert tativ messbar sind. ziehung in allen Planungs- und Steuerungssystemen des werden (Tessier/Otley 2012). Die durch diese Unternehmens Im Compliance-Fall handelt es sich mehrfachen Diffebei den Zielen um Beschränkungen renzierungen gewonnene Denkweise 3. Das „Managementsystems First“für den operativen, geschäftlichen macht das in Abbildung 1 schematisch Design und dessen Implementierung: und strategischen Bereich, welche dargestellte „Managementsystems Illustration anhand der Industrieroausnahmslos einzuhalten sind. Im First“-Integrationsdesign verständ- boter-EWF Performance-Fall sind es die operativ, lich, wobei es um die zielbezogene geschäftlich und strategisch gesetzten Zuordnung von zu identifizierenden Die „Industrieroboter-EWF“ ist ein Zielvorgaben, welche es zeitlich nach- Risikotypen auf die jeweiligen Ma- an eine wirkliche Firma angelehntes gelagert bestmöglich zu erreichen gilt. nagementsystemtypen geht. Die- fiktives Mittelstandsunternehmen,

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TOP-THEMA welches Industrieroboter produziert. Zur formalen Verankerung an zentraler Stelle hat die Geschäftsleitung in Abstimmung mit den Aufsichtsorganen folgenden Passus in ihrem ERM Governance Statement aufgenommen: „Das Management des Unternehmens basiert auf einer entscheidungsorientierten ERM-Governance, der zufolge in allen im Unternehmen formal eingerichteten Planungs- und Steuerungssystemen für das Performance- und Compliance-Management die entscheidungsrelevanten Risikotypen einbezogen werden, um jeweils bestmögliche Entscheidungen im unsicheren Geschäftsumfeld zu treffen.“ Dieses klare Bekenntnis der Geschäftsleitung zur entscheidungsorientierten ERM Governance („Tone at the Top“) durchzieht nunmehr alle Planungs- und Steuerungssysteme in den verschiedenen Unternehmensbereichen. Die konkrete Ausgestaltung der in den einzelnen Unternehmen eingerichteten Unternehmensbereiche ist zwar verschieden, doch durch die Ankoppelung der ERM Governance an die jeweilige im Organigramm dargestellte Unternehmensorganisation lässt sich diese in jedem Unternehmen situativ angepasst implementieren. Das in Abbildung 3 dargestellte Organigramm zeigt die vier in der Industrieroboter-EWF eingerichteten Unternehmensbereiche in Form von Finanzen, Produktion, Personal und Vertrieb. In jedem der vier Unternehmensbereiche sind Planungs- und Steuerungssysteme eingerichtet, wobei Performance- und Compliance-Ziele unter Einbeziehung der jeweils ent-

scheidungsrelevanten Risikotypen geplant und gesteuert werden. In den Compliance-Managementsystemen werden Beschränkungen der Handlungstätigkeiten für das im Unternehmen tätige Personal als ComplianceZiele festgelegt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um reine Risiken, welche es durch die in den jeweiligen Steuerungssystemen implementierten Kontrollen gänzlich zu eliminieren gilt. In den verschiedenen PerformanceManagementsystemen gestaltet sich die Umsetzung der entscheidungsorientierten ERM Governance allerdings weitaus differenzierter. Im einfachsten Fall handelt es sich dabei um Risikolimitsysteme, wobei in der Planung ein Risikolimit gesetzt und dessen Einhaltung im Steuerungssystem geprüft bzw. bei unerwünschten Abweichungen Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Ein Beispiel für den Produktionsbereich ist das Qualitätsrisikomanagement, wobei negative Abweichungen der angestrebten Qualität als reine Risiken gesehen werden. Im Finanzbereich ist das Währungsrisikomanagement ein Beispiel, wobei Währungsrisiken als spekulative Risiken gesehen werden, zumal es nicht nur negative Abweichungen vom Risikolimit gibt, sondern auch Chancen im Falle von positiven Abweichungen möglich sind. Schwieriger und aufwändiger ist die Implementierung der entscheidungsorientierten ERM-Governance in den Performance-Managementsystemen, wo Zielwerte für explizit benannte Performance-Indikatoren vorgegeben werden. In der Produktion können dies beispielsweise geplante Durch-

Abbildung 3: Organigramm der Industrieroboter-EWF

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laufzeiten für einzelne Fertigungsbereiche sein, wobei es insbesondere reine Risiken auf der Prozessebene (z.B. Ausfall von Fertigungsanlagen und Ausschuss) zu berücksichtigen gilt. Im Finanzbereich ist es z.B. ein angestrebter Finanzerfolg, welcher von der gewählten Finanzierungsstruktur und den damit einhergehenden spekulativen Risiken auf den Finanzmärkten (z.B. Zinsrisiken bei Fremdfinanzierung) maßgeblich bestimmt wird. Die Sicherstellung der Erreichung der geplanten Zielwerte wird in derartigen Performance-Managementsystemen durch eine entsprechende Ausgestaltung des Steuerungssystems angestrebt. Von zentraler Bedeutung ist schließlich die Entscheidungsfindung hinsichtlich der zu verfolgenden Ziele selbst, welche in den Planungssystemen vollzogen wird. Die Festlegung der verschiedenartigen Ziele stellt einen Entscheidungsprozess dar, wobei die Einbeziehung adäquater Risikoinformationen vielleicht sogar am Wichtigsten ist. Diesbezügliche Beispiele sind die Festlegung von strategischen Zielen (z.B. Wettbewerbsstrategie), wobei häufig spekulative Risiken (z.B. Klimawandel), welche nicht oder nur teilweise steuerbar sind (externe Risiken), von höchster Bedeutung sind. Die große Relevanz der Risikoeinbeziehung bei der Entscheidungsfindung beschränkt sich allerdings nicht nur auf den strategischen Unternehmensbereich. Vielmehr durchzieht sie in einer entscheidungsorientierten ERM-Governance auch alle nachgelagerten Unternehmensbereiche. Zur Verdeutlichung und exemplarischen Veranschaulichung diene eine bei der Industrieroboter-EWF eingelangte Fertigungsanfrage. Im Unternehmen gibt es interne Regelungen, wobei je nach Auftragsvolumen bzw. -komplexität festgelegt ist, welche Bereiche bzw. welche Hierarchieebenen in die Entscheidung einzubeziehen sind. Bei einem kleinen Zusatzauftrag im Rahmen einer bestehenden Fertigung wird die Entscheidung durch den Produktionsleiter getroffen, während bei einem großvolumigen Neuauftrag ebenso andere Bereiche miteinbezogen werden und die finale Entscheidung durch die Geschäftsleitung getroffen wird. Aufgabe der entscheidungsorientierten ERM Governance ist es in diesem Zu-

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TOP-THEMA sammenhang zwei Funktionen zu erfüllen. Zum einen muss sie sicherstellen, dass die bestehenden Regelungen, welche Ebenen miteinbezogen werden, nicht nur auf Performance-Indikatoren (z.B. Umsatzgröße) beruhen, sondern auch auf Risikoindikatoren. Beispiel hierfür wäre ein kleiner Neuauftrag, der von einem Kunden eingelastet wird, der dem Unternehmen gänzlich unbekannt ist. Aufgrund der erhöhten Unsicherheit im Vergleich zu bekannten Kunden (Vertrauenswürdigkeit, Zahlungsmoral, Professionalität in der Zusammenarbeit, Reaktionen des bestehenden Kundenstamms) kann die verpflichtende Einbindung der Geschäftsleitung sinnvoll sein, obwohl es sich lediglich um ein kleines Auftragsvolumen handelt. Zum anderen muss sie sicherstellen, dass keine einseitige Darstellung der Risikolandschaft bzw. eine qualitativ nicht ausreichende Darstellung als Entscheidungsgrundlage dient. In Abstimmung mit Geschäftsleitung und Bereichsleitern muss eine einheitliche, dem Unternehmen angepasste Risikodarstellung gefunden werden, um Unsicherheiten für Entscheidungen so gut wie möglich greifbar zu machen. Angefangen von Worst Case – Realistic Case – Best Case Expertenschätzungen über Sensitivitätsanalysen bis hin zu Scenario Planning ist alles erlaubt. 4. Konklusion Die traditionelle Vorgehensweise beim Aufbau eines unternehmensweiten Risikomanagements ist insbesondere bei börsennotierten Unternehmen häufig vorzufinden, zumal dort die explizite Verwendung von diesbezüglichen Standards bzw. Frameworks üblich und somit ein Abweichen davon nur schwer begründbar ist. Andererseits birgt der damit verbundene „Ei/Henne“-Integrationsansatz Gefahren in sich, dass sich die aufgesetzten Risikomanagementprozesse verselbständigen und die angestrebte Integration von Risiko in die bestehenden Performance- und Compliance-Managementsysteme auf der Strecke bleibt. Durch den in diesem Artikel propagierten „Henne/Ei“-Integrationsansatz, welcher dem „Management-

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systems First“-Gedanken folgt, wird dieses Problem explizit umgangen, zumal die im Unternehmen bereits eingerichteten Managementsysteme den Ausgangs- und Ankerpunkt für die Integration von Risikoinformationen für die jeweiligen Planungs- und Steuerungssysteme bilden. Die dadurch gewonnenen Vorteile liegen klar auf der Hand. Die Verankerung an den bestehenden Systemen schafft Vertrautheit und Akzeptanz und stiftet durch die Verbesserungen des Status Quo auch einen Nutzen, welcher durch den Aufbau eines unternehmensweiten Risikomanagements angestrebt wird. Referenzen: Anthony R. 1965. Planning and Control Systems – A Framework for Analysis, Harvard Business Review Press. COSO-ERM 2017. Enterprise Risk Management Integrating with Strategy and Performance, Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission, https://www.coso.org/. ISO-RM 2018. Risk Management – Guidelines (ISO 31000:2018), https:// www.iso.org/standard/65694.html. Lundqvist S. 2015. Why firms implement risk governance – Stepping beyond traditional risk management to enterprise risk management, Journal of Accounting and Public Policy, 34, pp. 441-466. Mikes A./Kaplan R.S. 2015. When One Size Doesn’t Fit All: Evolving Directions in the Research and Practice of Enterprise Risk Management, Journal of Applied Corporate Finance, 27(1), pp. 37–41. Tessier S./Otley D. 2012. A conceptual development of Simons’ Levers of Control framework, Management Accounting Research, 23(3), pp. 171–185. Williams A. C. 1966. Attitudes toward speculative risks as an indicator of attitudes toward

pure risks, Journal of Risk and Insurance, 33(4), pp. 577–586.

Autoren: MMMag. Dr. Holger Klier, M.A. Holger Klier hat in Graz, Irland, Australien, Kanada und den Vereinigten Staaten studiert und begann seine Karriere bei Siemens Österreich. Er hat das unternehmensweite Risikomanagement der Magna Steyr Gruppe aufgebaut und leitete dieses zuletzt als „Director Enterprise Risk Management“. Univ.-Prof. Dr. Walter S.A. Schwaiger, MBA Ordinarius für Rechnungswesen und Controlling | TU WIEN Walter S.A. Schwaiger ist seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls „Rechnungswesen und Controlling“ und Leiter des Forschungsbereichs „Finanzwirtschaft und Controlling“ am Institut für Managementwissenschaften der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften an der TU Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Financial Enterprise Management, Enterprise Risk Management und IT-based Enterprise Management.

MMMag. Dr. Holger Klier, M.A. Enterprise Risk Management Professional

Univ.-Prof. Dr. Walter S.A. Schwaiger, MBA Ordinarius für Rechnungswesen und Controlling, TU WIEN

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TOP-THEMA

Foto: Suwin_shutterstock_429619858

Markus Steinlechner, Andreas Schumacher, Benedikt Fuchs

Reifegradbewertung digitaler Kompetenzen von MitarbeiterInnen Unternehmen, die bestehende technologische Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung bereits gut verstehen und in deren Strategie integriert haben, erkennen vermehrt, dass die digitalen Kompetenzen ihrer MitarbeiterInnen zum wichtigsten Faktor in der Digitalen Transformation werden (Tortorella et al. 2018). Des Weiteren verstärkt die aktuelle COVID-19-Krise bestehende Anforderungen in Bezug auf die digitale Zusammenarbeit und Kooperation. Ohne die Berücksichtigung individueller Eigenschaften - wie Bewusstsein, Wissen und Fähigkeiten - kann die Einführung digitalisierter und automatisierter Lösungen keinen nachhaltigen Nutzen stiften. Die digitalen Kompetenzen werden somit unausweichlich zum „Bottleneck“ der Digitalisierungsumsetzung und Unternehmen müssen vorrangig in diese investieren (Hecklau et al. 2016, S.1ff.). Um die Personalplanung und folglich Investitionen in digitale Kompetenzen zu unterstützen, wurde von Fraunhofer Austria ein digitales Kompetenz-Reifegradmodell (kurz: Digi-KoM) entwickelt. Dieses setzt sich das aus 49 Kompetenz-Reifeattributen in vier Bewertungsdimensionen zusammen und ermöglicht die Reifegradbewertung auf individueller MitarbeiterInnen-Ebene sowie die Ableitung des damit verbundenen Handlungsbedarfes. 1. Einleitung Die große Bandbreite an verfügbaren Ansätzen zur digitalen Transformation in industriellen Unternehmen erfordert zunehmend eine Analyse und Bewertung geeigneter technologischer Möglichkeiten für das eigene Unternehmen. Daher suchen Unternehmen vermehrt nach operativen Digitalisierungs- und Automatisierungslösungen und greifbaren Szenarien, die eine klare Priorisierung ermöglichen, um nachhaltige und positive Auswirkungen auf die Unternehmensperformance zu erzielen (Schumacher et al. 2016, S.161ff.; Schumacher, Sihn 2020a, S.14ff.; Schumacher, Sihn 2020b, S. 1310ff.). Im Vergleich hierzu scheint der Be-

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reich der heutigen und zukünftig erforderlichen digitalen Kompetenzen noch auf einer abstrakteren Ebene angesiedelt zu sein. So betrachten Unternehmen bisher im Kompetenzbereich vor allem ressourcenfokussierte Kompetenzen auf Managementebene wie z.B. das Bewusstsein der Manager für Digitalisierung oder ihre Bereitschaft, zusätzliche Ressourcen bereitzustellen. Die Wichtigkeit digitaler Kompetenzen auf operativer Ebene zur nachhaltigen Umsetzung digitaler und automatisierter Technologien bzw. Prozesse ist wissenschaftlich noch wenig untersucht und auf der Praxisseite erst im Stadium der Problemerkennung (Hecklau et al. 2016, S.1ff.).

Vor allem aufgrund fehlender praktischer Methoden zur Bewertung und Priorisierung digitaler Kompetenzen beginnen vor allem Industrieunternehmen, eigene Kompetenzmodelle und Bewertungsinstrumente zu entwickeln. Diesen Kompetenzmodellen mangelt es jedoch an Vollständigkeit und der Fähigkeit, zukünftige Trends außerhalb der aktuellen Ausrichtung der Organisation zu berücksichtigen. Des Weiteren berücksichtigen sowohl wissenschaftliche Modelle als auch Praxistools vor allem sogenannte "Hard Skills", die sich direkt aus neuen Technologien ableiten (z.B. Data-Analytics Skills) und vernachlässigen weichere Faktoren, die sich aus der graduellen Digitalisierung der Arbeitsumgebungen entwickeln. Die-

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Abbildung 1: Vorgehensweise zur Modellentwicklung se Erkenntnisse bilden die Basis für die Entwicklung des Kompetenz-Reifegradmodell „DigiKoM“, welches die erforderliche Bandbreite digitaler Kompetenzen auf allen Unternehmensebenen berücksichtigt und integriert. 2. Modelle zur Bewertung digitaler Kompetenzen – State-of-the-Art Existierende Bewertungsansätze (Acerbi et al. 2019, Grzelczak et al. 2017, Galaske et al. 2017, Federal Ministry for Digital and Economic Affairs 2018, Bongomin et al. 2020) im Bereich der Kompetenzentwicklung in digitalisierten Arbeitsumgebungen teilen sich in zwei grundlegende Strömungen: Bewertungsansätze, die sich mit der Definition und Festlegung von Rahmenmodellen für zukünftige Jobprofile beschäftigen, sowie Publikationen, welche Werkzeuge zur Messung und Bewertung individueller Kompetenzen vorschlagen - meist bezogen auf bestimmte Bereiche oder konkrete Technologien. Bei der Literatur wurden diese strategischen und operativen Ströme der Literatur kombiniert, um dem integrativen Charakter des DigiKoM von Theorie und Praxis gerecht zu werden. In Summe wurden ca. 1.200 Publikationen untersucht, ca. 340 Publikationen einer Detailbetrachtung unterzogen und 11 Publikationen als Basis für die weiteren Entwicklungen herangezogen. Zusammenfassend liegen aktuell meist nur theoretische Entwicklungen und Rahmenmodelle und nur vereinzelt Ansätze mit Praxisbezug vor. Des Weiteren wird die volle Bandbreite erforderlicher digitaler Kompetenzen aus gesamtheitlicher Unternehmenssicht nicht erfasst. Das entwickelte Reifegradmodell DigiKoM setzt genau an diesen Lücken an. Denn dieses soll als ganzheitliches Modell zur Bewertung möglichst aller erforderlichen digitalen Kompetenzen im Unternehmen entwickelt werden und als praktisches Tool für die Anwendung

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durch MitarbeiterInnen operationalisiert werden. 3. Modellentwicklung und resultierendes DigiKoM Bei der Modellentwicklung wurde auf die Kombination von praktischen und wissenschaftlichen Elementen Wert gelegt. Deshalb wurde der schrittweise Ansatz von (Becker et al. 2009, S. 2013-222), der seinerseits auf dem Design Science-Framework von Hevner aufbaut, verfolgt und eine Entwicklungs-Vorgehensweise bestehend aus fünf Phasen festgelegt (siehe Abbildung 1). In Phase 1 erfolgte die anfängliche Darstellung der Problemstellung sowie die bereits beschriebene State-of-the-Art-Analyse. In Phase 2 wurden weitere Reifegradmodelle aus anderen Bereichen zur Ableitung eines praxistauglichen Modelldesigns berücksichtigt (Schumacher et al. 2016, S.161ff, Schumacher, Sihn 2020b, S.1310ff.). Phase 3 diente der Entwicklung der Struktur und der Inhalte des DigiKoM, für welche auf den analysierten 11 Publikationen des SOTA aufgesetzt wurde, wobei das

Digital Competence Framework 2.2 des österreichischen Ministeriums für Wirtschaft und Digitalisierung hier die meisten Inhalte lieferte (Federal Ministry for Digital and Economic Affairs 2018),. In einem iterativen Ansatz wurden relevante Bewertungsdimensionen und Kompetenzattribute extrahiert, deren Relevanz, Eignung und Messbarkeit wurde innerhalb des Forschungsteams bewertet und anschließend in operativ messbare Attribute übertragen. Dies führte zu 49 Reifegradattributen, die in vier Dimensionen gruppiert wurden (siehe Abbildung 2). D1 - Digitale Inhalte: Kompetenzen, die erforderlich sind, um digitale Arbeitsinhalte zu erstellen und handzuhaben. D2 - Mensch-Maschine: Kompetenzen, die für die Interaktion mit digital ausgestatteten Technologien erforderlich sind. D3 - Mensch-Mensch: Kompetenzen, die für die Interaktion und Zusammenarbeit in virtuellen Arbeitsumgebungen erforderlich sind. D4 - Persönlich: Kompetenzen, die erforderlich sind, um sich in digitalen Arbeitsumgebungen zu entfalten und weiter zu entwickeln. Jede Dimension besteht aus 11 bis 15 Reifegradattributen, wobei jedes Attribut eine einheitliche Struktur aufweist (siehe Abbildung 3).

Abbildung 2: Bewertungsdimensionen des DigiKoM

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Abbildung 3: Beispiel – Kompetenzattribute Dimension 1: Digitale Inhalte Jedes Attribut enthält eine Bewertungsfrage, deren Verständlichkeit durch eine kurze Beschreibung und ein Beispiel unterstützt wird. Damit die selbstständige, praktische Anwendbarkeit garantiert ist, wurden die vier Reifegrade operationalisiert und individuell beschrieben. Zuletzt wird die Relevanz der Digitalisierungskompetenz abgefragt. Die Bewertung des Reifegrads sowie der Relevanz ermöglicht folglich die Berechnung eines sogenannten Entwicklungsbedarfsindex für jedes Attribut, welcher Werte zwischen 0 (kein Handlungsbedarf) und 100 (hoher Handlungsbedarf) annehmen kann. In Phase 4 der Entwicklung wurde das DigiKoM in ein praktisch

anwendbares Tool überführt, welches die Bewertung anonymisiert über eine Onlineabfragesoftware ermöglicht. Hierzu wurde ein zweistufiges Verfahren in Form einer Fremdbewertung durch einen Vorgesetzten kombiniert mit der Selbsteinschätzung der einzelnen MitarbeiterInnen definiert (siehe Abbildung 4). In der realen Bewertungsphase wurde diese Struktur über getrennte Fragebögen umgesetzt, welche kombiniert die Reifegradbeurteilung einer MitarbeiterIn ergeben. Um Aussagen über den jeweiligen Entwicklungsbedarf und Handlungsempfehlungen ableiten zu können, wurden die abgeschlossene Selbst- und Fremdbewertung in eine Berechnungslogik

Abbildung 4: Übersicht Bewertungsstruktur Fremd- und Eigenbewertung

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überführt, die den Entwicklungsbedarfsindex errechnet und die Ergebnisse in Reifegrad-Dashboards dargestellt. In Phase 5 wurde das Modell in realen industriellen Umgebungen getestet und auf Basis des Anwenderfeedbacks optimiert. 4. Anwendungsbeispiel des DigiKoM Um das Modell hinsichtlich Inhalt, Struktur und Anwendbarkeit zu evaluieren, wurde eine Fallstudie in zwei österreichischen Unternehmen durchgeführt, einem Unternehmen im Bereich des Maschinenbaus (ca. 150 MA) und einem Unternehmen in der Dienstleistungsbranche (ca. 100 MA). Der Vergleich der branchenübergreifenden Anwendung erlaubt neben dem Reifegradvergleich die Analyse, welche Anpassungen und Erweiterungen des Modells erforderlich sind, um dieses außerhalb der Kernanwendung (Produktionsunternehmen) nutzen zu können. Die Gegenüberstellung der Unternehmen zeigt über alle vier Dimensionen eine höhere digitale Kompetenzreife im Dienstleistungsunternehmen (siehe Abbildung 5). Der erhöhte Reifegrad ist hauptsächlich auf die Arbeitsinhalte des Dienstleistungsunternehmens zurückzuführen, welche hier fast voll-

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TOP-THEMA methodik bis auf einzelne MitarbeiterInnen heruntergebrochen werden. Hierbei muss jedoch maßgeblich auf die Sensibilität der erhobenen Daten geachtet werden. Anwenderfeedback führt hier zum Schluss, dass die anonymisierte Bewertung in Kombination mit Auswertungen auf Team- und Abteilungsebene zur höchsten Teilnahmebereitschaft führt bzw. den „social-bias“ der Antworten minimieren. 5. Fazit und Ausblick

Abbildung 5: Reifegradgegenüberstellung Produktions- vs. Dienstleistungsunternehmen ständig über digitale Medien bearbeitet werden. Zu beachten gilt, dass nur Bewertungsattribute berücksichtigt wurden, welche auch von beiden Unternehmen beantwortet werden konnten. Neben der Reifegradbewertung auf Dimensionenebene erlaubt das DigiKoM die Detailanalyse innerhalb einer Dimension auf Ebene einzelner Attribute und damit konkreter digitaler Kompetenzen. Im Folgenden wird exemplarisch auf Dimension D2 (Mensch-Maschine) des Produktionsunternehmens eingegangen (siehe Abbildung 6).

Im abgebildeten Netzdiagramm verteilt sich der Reifegrad (Bewertungsintervall 1-4) zwischen 1,0 und 3,0 über die sieben Attribute. Das Attribut "Wissen über Risiken der Automatisierung physischer Prozesse" zeigt den höchsten Reifegrad (3,0). Alle Attribute zeigen eine Relevanzbewertung (Bewertungsintervall 1-5) zwischen 3,5 und 5,0, wobei das Attribut "Wissen über Arbeitsabläufe im Unternehmen" die höchste Bewertung aufweist. Die Bewertung auf Dimensionsebene kann aufgrund der Bewertungs-

Das entwickelte DigiKoM ermöglicht die Operationalisierung abstrakter Kompetenzanforderungen durch die Digitalisierung in das reale Arbeitsumfeld. Des Weiteren stellt die Berücksichtigung von Hard- als auch Soft-Skills der Digitalisierung ein Bewertungsvorgehen sicher, welches die breite Masse der Belegschaft erreicht und keine einzelnen Spezialkompetenzen beleuchtet. Vor allem die Bewertung individueller MitarbeiterInnen sowie Ableitung der Handlungsbedarf-Indizes ermöglicht präzisere Ansätze zur Planung und Entwicklung digitaler Kompetenzen im Unternehmen. So können zum einen erforderliche Kompetenzen einzelner MitarbeiterInnen für konkrete Technologien bewertet und entwickelt und zum anderen die aggregierten Bewertungen über Teams, Abteilungen oder das gesamte Unternehmen mit der Gesamtdigitalisierungsstrategie abgestimmt werden, um erforderliche Kompetenzentwicklungen unternehmensweit anzustoßen. Die nächsten geplanten Entwicklungsschritte umfassen die Integration einer Methode zur Ableitung individueller Zielreifegrade, um die Kompetenzlücken explizit ausweisen zu können, sowie die Anpassung des Modells, um eine vollständige Kompetenzmessung auch im Dienstleistungs- und Administrationsbereich zu ermöglichen. Referenzen:

Abbildung 6: Reifegrad Produktionsunternehmen - Dimension 2 Mensch Maschine WINGbusiness 1/2021

Acerbi, F., Assiani, S., Taisch, M. (2019), A Methodology to Assess the Skills for an Industry 4.0 Factory, Advances in Production Management Systems To-

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TOP-THEMA wards Smart Production Management, Systems IFIP WG 5.7 International Conference, APMS 2019 Austin, TX, USA. Becker J., Knackstedt R., and Pöppelbuß J. (2009), Developing Maturity Models for IT Management: A Procedure Model and its Application, Business & Information Systems Engineering, vol. 1, no. 3, S. 213–222. Bongomin, O., Ocen, G., Nganyi, E., Musinguzi, A., Omara, T. (2020), Exponential Disruptive Technologies and the Required Skills of Industry 4.0, Hindawi Journal of Engineering, Volume 2020. Federal Ministry for Digital and Economic Affairs (2018), Digital Competence Framework for Austria DigComp 2.2 AT, Vienna, BMDW. Galaske, N., Arndt, A., Friedrich, H., Bettenhausen, K., Anderl, R. (2017), Workforce Management 4.0 - Assessment of Human Readiness Towards Digital Manufacturing, Advances in Intelligent Systems and Computing, Vol. 606. Grzelczak, A., Kosacka, M., WernerLewandowska, M. (2017), Employees competences for industry 4.0 in Polandpreliminary research results, 24th International Conference on Production Research. Hecklau, F., Galeitzke, M., Flachs, S., Kohl, H. (2016), Holistic approach for human resource management in Industry 4.0, Procedia CIRP, vol. 54, S. 1–6. Schumacher, A., Erol, S., Sihn, W. (2016), A Maturity Model for Assessing Industry 4.0 Readiness and Maturity of Manufacturing Enterprises, Procedia CIRP 52, S. 161–166.

Schumacher, A., Sihn, W. (2020a), A Strategy Guidance Model to Realize Industrial Digitalization in Production Companies, Journal of Management and Production Engineering Review 11(3), S. 14–25. Schumacher, Sihn, W. (2020b), A Monitoring System for Implementation of Industrial Digitalization and Automation using 143 Key Performance Indicators, Procedia CIRP 93, S. 1310–1315. Tortorella, G., Miorando, R., Caiado , R., Nascimento, D., Staudacher, A.P., (2018) The mediating effect of employees’ involvement on the relationship between Industry 4.0 and operational performance improvement, Total Quality Management & Business Excellence vol 29

Autoren: Univ.-Ass. Dipl.-Ing. Markus Steinlechner, BSc. Dipl.-Ing. Markus Steinlechner forscht seit 2018 im Bereich Methoden und Strategien des digitalen Lernens im Universitätsbetrieb, sowie der dafür erforderlichen digitalen Kompetenzen. Diese Forschungsresultate operationalisiert er in aktuellen Forschungsprojekten für die Anwendung in industriellen Unternehmen.

Dr. tech. Dipl.-Ing. Andreas Schumacher Projektleiter im Geschäftsbereich Advanced Industrial Management, Fraunhofer Austria Research GmbH

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Dr. tech. Dipl.-Ing. Andreas Schumacher Dr. Andreas Schumacher forscht seit 2016 im Bereich der industriellen Digitalisierungsstrategien mit Fokus auf Reifegrad- und Strategiemodelle und wendete diese in umfangreichen Industrieprojekten in der Praxis an. Aktuell forscht er vermehrt an Methoden zur systematischen Identifikation und Planung zukünftiger Mitarbeiterkompetenzen. Dipl.-Ing. Benedikt Fuchs Dipl.-Ing. Benedikt Fuchs setzt sich seit 2019 mit den Themen Mitarbeiterkompetenzen im Zeichen der Digitalisierung sowie mit den Effekten digitaler Technologien auf Kennzahlen der Unternehmensperformance. In diesem Zusammenhang ist er in unterschiedlichen Projekten mit Industriepartnern sowie in der Forschung tätig.

Univ.-Ass. Dipl.-Ing. Markus Steinlechner, BSc. Universitätsassistent im Forschungsbereich Betriebstechnik und Systemplanung, Institut für Managementwissenschaften, TU Wien

Dipl.-Ing. Benedikt Fuchs Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Geschäftsbereich Advanced Industrial Management, Fraunhofer Austria Research GmbH

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TOP-THEMA

Foto: Pixabay

Jörg Schweiger

Reifer industrieller Einkauf Mit Systematik zu mehr Professionalität und Resilienz Die Bedeutung eines leistungsstarken und progressiven Einkaufs ist im industriellen Kontext seit Jahren unbestritten. Hohe Professionalität ist notwendig, um neben der Sicherstellung der Versorgungssicherheit bei niedrigen Kosten und hohem Qualitätsniveau, auch Impulse im Bereich der Produktinnovation, der Nachhaltigkeit oder im unternehmerischen Risikomanagement zu setzen. Um in all diesen Bereichen wirksam zu sein, ist der Einkauf gefordert sich kontinuierlich und multidimensional weiterzuentwickeln und sich dynamisch auf die situativen Anforderungen anzupassen. Reifegradmodelle können hier Orientierung und Unterstützung bieten. 1. Mit Methode zu den Elementen eines reifen Einkaufs Ausgehend von dem viel beachteten und häufig zitierten Aufsatz von Kraljic mit dem Titel "Purchasing must become supply management" (Kraljic, 1983) haben in den nun bald 40 Jahren seit Erscheinen unzählige Autoren aus dem akademischen oder betrieblichen/beratenden Umfeld versucht, die Aspekte eines ganzheitlichen und professionellen Einkaufs zusammenzufassen, sowie darauf aufbauend spezifische Reifestufen zu definieren. Eine 2017 erstmals veröffentlichte Meta-Studie zu diesem Thema hatte das Ziel einen Gesamtüberblick über den Stand der Forschung zu geben, und daraus die Kernelemente eines progressiven Einkaufs abzuleiten (Schweiger, 2017). In Summe wurden dabei (a) 47 Reifegradmodelle (25 Modelle aus dem

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Fokus der Veröffentlichung

Beispiele

Purchasing maturity model (Übeda et al., 2015) Quick scan purchasing maturity tool (Bemelmans et al., 2013) Purchasing and supply management development model (van Weele, 2010) Stages in purchasing strategy development (Monczka et al., 2010) Supply Management Maturity Model (Schiele, 2007) Reifegradmodelle im Einkauf

World Class Supply Management (Burt et al., 2003) From reactive to strategic procurement (Dobler/Burt, 1996) Strategic Stages in the development of a purchasing function (Reck/Long, 1988) Assessment of Excellence in Procurement (A. T. Kearney) Purchasing Value Excellence (Arthur D. Little) Stages of purchasing sophistication (McKinsey/Keough)

Managementframeworks im Einkauf & Lieferantenmanagement

The CIPS procurement and supply management model (Lysons/Farrington, 2012) Power in Procurement System (Bräkling/Oidtmann, 2012) Four enablers of good purchasing management (Monczka et al., 2010) Supply Management Navigator (Jahns, 2005) CPO Agenda (Camelot, 2019)

Trend- und Kompetenzstudien

The CPO’s Agenda (Aberdeen, 2016)

im Einkauf

The CPO Agenda (Roland Berger, 2016) Past, present and future trends of purchasing […] (Spina et al., 2013)

Tabelle 1: Relevante Quellen zum Thema „reifer Einkauf“

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TOP-THEMA

Reife-Dimension #

Die Strategie der wesentlichen Lieferanten wird bei der Ableitung der eigenen EK-

Lieferantenmanagement & externe

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Einkaufshandbuchs) und erfüllen auch die wesentlichen Anforderungen des 22

Prozessmanagements (z.B. Vorhandensein eines Prozess-Eigners, klare Notation). // Neben einem ERP System, werden weitere IKT-Systeme (z.B. SRM, eProcurement)

Digitalisierung

eingesetzt, oder befinden sich in Evaluierung. Die EK-Abteilung ist in der Organisation direkt Teil der Geschäftsführung oder dieser

Organisation & interne

hilft die Effizienz im Tagesgeschäft zu erhöhen (z.B. automatischer Datenaustausch

Die zentralen Prozesse sind klar dokumentiert (z.B. in Form eines

Prozess&

Strategie berücksichtigt. // Eine Prozess/IT Integration mit (relevanten) Lieferanten der Bestellungen, Rechnungsworkflow).

Schnittstellen

management

Beispiele

22

direkt unterstellt. // AKV (Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten) sind klar definiert und auch bekannt (z.B. Stellenprofile, Freigabe-Regeln).

Schnittstellen

Ausgehend von einer unternehmerischen Strategie entwickelt der Einkauf kurz-, Vision, Strategie & Pläne

Einkauf in einem strukturierten Vorgehen. // Die EK-Mitarbeiter kennen (oder sind im besten Fall Teil bei der Erarbeitung) die EK-Ziele und Strategien und

Es wird ein (cross funktionales) Training für EK-Mitarbeiter angeboten, um sie auf die notwendigen Tätigkeiten optimal vorzubereiten (z.B. interne, externe Schulungen,

Talente & 18

Job Rotation) // Zukünftige Kompetenzbedarfe werden antizipiert (z.B. neue Technologien, Märkte) und bei der Suche und beim Training der Mitarbeiter

management

berücksichtigt. Es sind Programme am Laufen die zur Reduktion der Komplexität in den Prozessen Innovation & Methoden

3. Reifegradframework für Einkauf & Lieferantenmanagement

mittel-, und langfristige Ziele und Pläne sowie eine grundlege Globalstrategie für den 20

berücksichtigen diese bei der eigenen Arbeit.

Komptenz-

(Stand: 03/2021) eines reifen Einkaufs in acht Dimensionen abzuleiten (Schweiger 2021, S.30). Alle Kriterien sind selbstsprechend in Form einer Zustandsbeschreibung formuliert, und lassen eine Korrelation von zumindest einer der zentralen Zielsetzungen im Einkauf zu: (a) Reduktion & Optimierung der Kosten(struktur), (b) Reduktion des Versorgungsrisikos, (c) Steigerung der Flexibilität, (d) Steigerung der Qualität, (e) Innovationsförderung und (f) Nachhaltigkeitssteigerung.

und im Beschaffungsportfolio (z.B. Standardisierung, Wertanalyse) führen sollen. // 12

Eine (werksübergreifende) Wissensdatenbank/Einkaufs-WIKI über "LessonsLearned" von vergangenen Projekten/Initiativen bzw. Erfolgsfaktoren vergangener

3.1. Grenzen von Reifegradmodellen und Notwendigkeit einer situativen Kontextualisierung Wenngleich die Analyse von bereits veröffentlichen Reifegradmodellen eine valide und wertvolle Basis für die Ableitung der inhaltlichen Aspekte eines progressiven und resilienten Einkaufs bietet, so zeigen sich methodisch und bezogen auf die praktische Anwendbarkeit einige Limitationen (Schweiger 2017, S.46).

Verhandlungen hilft dabei zukünftig effektiver und effizienter zu sein. Kennzahlen für die kritischen Prozesse und Ziele sind definiert, werden gemessen

Controlling & Performance

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Management

und regelmäßig auf deren Sinnhaftigkeit gereviewed (z.B. Liefertreue, Reklamationsquote). // Der Einkauf ist in Lage seinen Beitrag auf das Unternehmensergebnis (z.B. auf EBIT, Working Capital) im Zeitverlauf darzustellen. Der Einkauf überprüft auch die Aktivitäten und mögliche Zertifikate der Lieferanten

Nachhaltigkeit & Ethik

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im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich (z.B. ISO14001) sowohl im Beurteilungs- als auch im Bewertungsprozess. // Ein Code of Conduct/Verhaltensregeln ist/sind Teil der Lieferantenverträge.

Tabelle 2: Dimensionen und Kriterien eines exzellenten Einkaufs (#: Anzahl Kriterien) wissenschaftlichen Umfeld, 22 aus dem Beratungsumfeld) mit Einkaufsschwerpunkt, (b) 20 Einkaufs- und Lieferantenmanagement-Frameworks sowie (c) 11 Studien über Trends und Kompetenzen im Einkauf analysiert (siehe Tabelle 1). Mittels systematischem Mapping (siehe dazu u.a. Wendler, 2012), einer detaillierten Inhalts- und Kontextanalyse (siehe dazu Schneider/Wallenburg, 2013; Spina et al., 2012) sowie einer Validierung mit mittlerweile mehr als einem Dutzend österreichischer (und global agierender) Indus-

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trieunternehmen, konnten daraus die wesentlichen Kriterien und good practices eines progressiven industriellen Einkaufs redundanzfrei abgeleitet und bestätigt werden. Die seitherige Weiterführung der praktischen Validierung stellt sicher, dass die Kriterienliste kontinuierlich weiterentwickelt und somit aktuell bleibt. 2. Die acht Dimensionen eines professionellen Einkaufs Mit der soeben beschriebenen Methodik war es möglich 154 Kriterien

Das Verfolgen einer starr (und somit immer identen) vordefinierten Abfolge von Reifestufen (in der Regel drei bis fünf) hin zu einem finalen Exzellenzplateau mag zwar bei bestimmten unternehmerischen Konstellationen genau richtig und (zufällig) passend sein, für den größeren Teil der Unternehmen jedoch nicht. Dass auch in der Beschreibung der einzelnen Stufen von unterschiedlichen Reifegradmodellen inhaltliche Widersprüche darüber zu finden sind, was nun notwendig ist, um das finale „Reife-Prädikat“ zu erhalten, zeigt, dass es trotz jahrzehntelanger Forschung bislang nicht möglich war sich über alle Industrien und Unternehmensgrößen auf einen einheitlichen Pfad zu einigen. Viel eher ist es zielführend bei der Anwendung eines Reifegradmodells eine Kontextualisierung und flexible Anpassung zuzulassen, die sich durch die sich ändernden situativen (internen und externen) Faktoren (z.B. aktuelle Unternehmensziele und Branchenspe-

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TOP-THEMA 3.2. Reifegradframework für Einkauf & Lieferantenmanagement in a nutshell

Abbildung 1: Situatives Ableiten eines zielführenden Exzellenz-Szenarios im Einkauf zifika, Verhalten von Konkurrenz/ Lieferanten, Technologie-Änderung, politische und gesellschaftliche Veränderungen) ergibt. Sind beispielsweise Reaktionsgeschwindigkeit bei der Auskunftsbereitschaft über die Lieferfähigkeit an den Kunden sowie die Lieferfähigkeit an sich die zwei wesentlichen Erfolgskriterien in der Branche, dann gilt es genau diese Bereiche im Einkauf bestmöglich und prioritär zu bedienen. Solche Aspekte finden sich in den Reifegradmodellen aber zumeist auf den unteren Stufen, während Kriterien wie Designkooperationen mit Lieferanten beziehungsweise etablierte Nachhaltigkeitsprogramme auf der obersten Stufe zu finden sind. Gerade in Zeiten einer globalen Pandemie oder Allokationssituation am Beschaffungsmarkt, werden jene Einkaufsabteilungen als exzellent angesehen, denen es gelingt trotz der großen Versorgungsengpässe die Materialverfügbarkeit sicherzustellen. Laut vielen Reifegradmodellen aber eher eine Basis- als eine Exzellenz-Aufgabe. Denken wir zurück an die Finanz- oder die aktuelle Wirtschaftskrise, so war/ist die Margenund Kostenoptimierung das oberste Ziel, während zu Zeiten der Ökologie-Bewegung die Forderung an den Einkauf nachhaltiger und „grüner zu werden“ ganz nach oben auf die

Agenda rückte. Unterschiedliche Zeiten mit sich ändernden Herausforderungen verlangen auch nach unterschiedlichen Aufgaben und Schwerpunkten die man als reifer Einkauf erfüllen muss. Ein Kontextualisierungsbedarf ergibt sich ferner deshalb, dass man in (fast) allen Unternehmen mit li-

Abbildung 2: Konzept der situativen Reifegradbewertung mitierten Ressourcen zurechtkommen muss, und ein Fokus auf das eine rein praktisch nur mit einem (bewussten) Defokus auf etwas anderes machbar ist. Es geht also nicht um das starre Verfolgen eines finalen Reifeplateaus, sondern viel mehr um das dynamische Anpassen seiner Schwerpunkte und Strukturen auf die (zurzeit) notwendigen Dinge und Ziele.

Abbildung 3: Begleitende Faktoren einer effektiver Einkaufstransformation (#: Anzahl Kriterien) WINGbusiness 1/2021

Genau darauf zielt das von Schweiger entwickelte Reifegradframework für Einkauf & Lieferantenmanagement ab. Im Kern besteht das originäre Modell aus den zuvor beschriebenen 154 Reife-Kriterien, die jedoch nicht in vordefinierten Reifestufen hierarchisch klassifiziert werden, sondern grundlegend nebeneinander bestehen. In der konkreten Anwendung wird anhand dieser Kriterien und unter Einbindung aller Hierarchiestufen des Einkaufs (Einkaufsleitung, strategischer Einkauf, Serieneinkauf, sowie der direkten Reporting-Linie des Einkaufsleiters) ein (1) situatives Zieleszenario (fit for purpose), definiert. Dieses gilt es dann mit dem (2) Status-Quo abzugleichen (eigent-

licher Reifecheck), woraus (3) dann direkt Prioritäten von Verbesserungsinitiativen abgeleitet werden können. Es wird empfohlen diesen Durchlauf einmal jährlich zu wiederholen, um auch die Veränderung im Zeitverlauf mitverfolgen zu können. Sowohl die Gewichtungsvergabe (Zieleszenario) als auch die (Ist-) Reifegradbewertung erfolgt auf einer vier-stufigen Skala (unwichtig/niedrig: 1 bis sehr wichtig/hoch: 4), was eine nachgelagerte multidimensionale Auswertung und gestützte Interpretation der Ergebnisse einfach möglich macht (z.B. größtes Gap zwischen Wichtigkeit und aktueller Reife; größten Stärken und Herausforderungen; größten Meinungsverschiedenheiten im Team über Wichtigkeit und Reife). In der praktischen Anwendung hat sich für das Assessment ein fünfstu-

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TOP-THEMA figer Prozess als sinnvoll etabliert: (1) Kurzvorstellung der Methodik und der Kriterien und Klärung etwaiger Verständnisfragen, (2) selbständige Bewertung (Wichtigkeit und Reife), (3) Konsolidierung der Teamergebnisse, (4) Präsentation, Diskussion der Ergebnisse und direktes Ableiten von Optimierungsschwerpunkten, (5) Verfeinern der Optimierungs- und Change-Initiativen (Wer macht was bis wann?). Da eine gelungene und nachhaltige Transformation hin zu mehr Exzellenz neben dem fachlich-strukturellen auch die emotional-methodischen Kriterien berücksichtigen muss, umfasst das Reifegradframework für Einkauf & Lieferantenmanagement (siehe Abb. 3) ferner 45 Empfehlungen eines gelungenen Change-Vorhabens, gruppiert in sieben Kategorien (Schweiger 2017, S.89ff): Werden auch diese Faktoren antizipativ berücksichtigt, so kann die Wahrscheinlichkeit und Geschwindigkeit einer Transformation im Einkauf maßgeblich erhöht werden. 4. Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurden die acht Dimensionen eines progressiven Einkaufs thematisiert und darauf aufbauend ein originäres Reifegradentwicklungs-Framework vorgestellt. Dieses beinhaltet neben einer klaren Schritt-für-Schritt-Anleitung für das Assessment auch Hilfestellungen für das effektive Aufsetzen von Changeund Transformationsmaßnahmen in sieben Kategorien. Es wurde auch gezeigt, dass aufgrund unterschiedlicher unternehmerischer Zielsetzungen sowie externer Rahmenbedingungen ein blindes Verfolgen eines normierten Reife-Pfades nicht sinnvoll ist. Viel eher gilt es, kontinuierlich an seinen fachlichstrukturellen sowie methodischemotionalen Fähigkeiten zu arbeiten (dynamic capabilities des Einkaufs, Schweiger 2017, S. 97), um dadurch resilienter und somit schneller und flexibler in seiner Anpassung zu sein. Referenzen: 1. Aberdeen (2016): The CPO’s Agenda 2. Arthur D. Little (2010): Spitzenleistung im Einkauf: Ergebnisse der Benchmar-

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king-Studie „Purchasing Value Excellence“ (PVE), http://www.adlittle.com/ viewpoints.html?view=457. 3. A.T. Kearney (2014): Assessment of Excellence in Procurement, http://www. atkearney.com/procurement/assessmentof-excellence-in-procurement-study. 4. Bemelmans, J./Voordijk, H./Vos, B. (2013): Designing a tool for an effective assessment of purchasing maturity in construction, Benchmarking: An International Journal, Vol.20, No.3, S.342-361. 5. Bräkling, E./Oidtmann, K. (2012): Power in Procurement, Wiesbaden. 6. Burt, D./Dobler, D./Starling, S. (2003): World Class Supply Management: The Key to Cupply Chain Management, 7th Edition, New York. 7. Camelot (2019): CPO Agenda. 8. Dobler, D./Burt, D. (1996): Purchasing and Supply Management, 6. Auflage, New York. 9. Jahns, C. (2005): Supply Management: Neue Perspektiven eines Managementansatzes für Einkauf und Supply. St. Gallen/ Sternenfeld. 10. Keough, M. (1993): Buying your way to the top, McKinsey Quarterly, No.3, S.41-62. 11. Kraljic, P. (1983): Purchasing must become supply management, Harvard Business Review, Vol.61, No.5, S.109-117. 12. Lysons, K./Farrington, B. (2012): Purchasing and Supply Chain Management, 8. Auflage, Harlow. 13. Monczka, R./Handfield, R./Giunipero, L./Patterson, J./Waters, D. (2010): Purchasing & Supply Chain Management, 4. Auflage, Hampshire. 14. Reck, R.F./Long, B.G. (1988): Purchasing: a competitive weapon, Journal of Purchasing and Materials Management, Vol.24, No.3, S.2-8. 15. Roland Berger (2016): The CPO Agenda 2016. 16. Schiele, H. (2007): Supply-management maturity, cost savings and purchasing absorptive capacity: Testing the procurement-performance link, Journal of Purchasing & Supply Management, Vol.13, No.4, S.274293. 17. Schneider, L./ Wallenburg, C.M. (2013): 50 Years of research on organizing the purchasing function: Do we need any more?, Journal

of Purchasing & Supply Management, Vol.19, No.3, S.144-164. 18. Schweiger, J. (2017): Purchasing and Supply Management Maturity: Critical analysis of established maturity models and development of a situational PSM assessment and transformation framework based on literature review and multiple case studies, Leykam Verlag, Graz. 19. Schweiger, J. (2021) Procurement Excellence, in: Brunner, U./Obmann, G./ Tschandl, M.: Supply Chain Captain, Leykam Verlag, Graz, S. 29-34. 20. Spina, G./Caniato, F./Luzzini, D./ Ronchi, S. (2013): Past, present and future trends of purchasing and supply management: An extensive literature review, Industrial Marketing Management, Vol.42, No.8, S.1202-1212. 21. Übeda, R./Alsua, C./Carrasco, N. (2015): Purchasing models and organizational performance: a study of key strategic tools, Journal of Business Research, Vol.68, No.2, S.177-188. 22. Van Weele, A. (2010): Purchasing and Supply Chain Management, 5. Auflage, Hampshire. 23. Wendler, R. (2012): The maturity of maturity model research: A systematic mapping study, Information and software technology, Vol.54, No.12, S.1317-1339. Autor:

Dr. Jörg Schweiger Assozierter Professor (FH) am Institut Industrial Management und Leiter des MBA-Lehrgangs Master of General Management. Neben seiner Hochschultätigkeiten ist er Geschäftsführer des Beratungs- und Sparrings-Unternehmens Minds & Elephant. Davor war er Geschäftsführer und Bereichsleiter in der Industrie. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis sind Skalierungs- und Professionalisierungsfragen von Industrieunternehmen und Führungskräfteentwicklung.

Dr. Jörg Schweiger Assozierter Professor (FH) am Institut Industrial Management sowie Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Minds & Elephant

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TOP-THEMA

Foto: Christian Jungwirth:

Hans Thomas Maier, Oliver Schmiedbauer, Hubert Biedermann

Lean Smart Maintenance Reifegradmodell zur Transformation der Instandhaltungsorganisation Asset- und Instandhaltungsmanagement (IHM) rücken als Stellhebel zur Beeinflussung der Unternehmensrentabilität stärker in den Vordergrund industrieller Unternehmen. Vor diesem Hintergrund wurde das Konzept der Lean Smart Maintenance (LSM) mit dem Ziel der umfassenden Effizienz- und Effektivitätssteigerung der Instandhaltungsfunktion entwickelt. Zur Begleitung des Wandels zu LSM steht ein Reifegrad- Vorgehensmodell zur Transformation des Instandhaltungsmanagements zur Verfügung.

Asset und Instandhaltungsmanagement Ressourcen und Kompetenzen einer Organisation tragen dazu bei, dass sie langfristig überlebt und sich einen möglichen Wettbewerbsvorteil sichern kann. Im Bereich der materiellen Ressourcen (Maschinen, Gebäude etc.) gilt es, durch intangible Fähigkeiten (immaterielle Ressourcen, intellektuelles Kapital) ein Asset Management zu implementieren, welches dazu einen Beitrag zu leisten vermag. Das Ziel ist die Schaffung und Erhaltung von Vermögenswerten über alle Lebenszyklusphasen von physischen Ressourcen. Das Management jener umfasst hierbei eine breite Palette von Kompetenzen und Prozessen, die die Lebenszyklusphasen der Entwicklung, Errichtung, Nutzung und Außerbetriebnahme eines physischen Vermögenswerts in ausgewogener Weise abdecken. (Amadi-Echendu

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2004) Das IHM wird als Teilbereich der Anlagenwirtschaft verstanden, wobei dieses die Kombination aller technischen und administrativen Maßnahmen sowie Maßnahmen des Managements während des Lebenszyklus einer Einheit, die dem Erhalt oder der Wiederherstellung ihres funktionsfähigen Zustands dient, sodass sie die geforderte Funktion erfüllen kann, umfasst. (EN 13306) Entwicklungen im IHM waren ab den 2000er Jahren durch den vermehrten Einsatz von risikobasierten Ansätzen und der Lebenszykluskostenbetrachtung geprägt. Condition Monitoring in der Instandhaltungsstrategie trat in den Vordergrund und das Konzept der wissensbasierten Instandhaltung wurde entwickelt. (Gohres und Reichel 2018; Biedermann 2001; Blanchard 1979) Die Zeit nach 2010 wird von Begriffen rund um Industrie 4.0 (I4.0), wie Digitalisierung, Smart Maintenance und Predictive

Maintenance beherrscht.(Gohres und Reichel 2018) Im Kontext dieser Entwicklungen wurde auch die LSM Philosophie entwickelt. (Kinz et al. 2016) Lean Smart Maintenance Philosophie Versteht man die Digitalisierung als die strategisch orientierte Transformation von Prozessen, Produkten, und Dienstleistungen unter Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien mit dem Ziel, nachhaltige Wertschöpfung effektiv und effizient zu gewährleisten, (Becker und Pflaum 2019) dann erfordert dies eine Anpassung der Instandhaltungsprozesse und nahezu aller zugehörigen Managementaspekte. Hierzu wurde LSM als ganzheitliche Führungs- und Managementphilosophie der Instandhaltung entwickelt. Das Ziel, höchste Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit bei gleichzeitig

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TOP-THEMA erhöhter Systemkomplexität und -dynamik zu gewährleisten, wird durch die LSM Philosophie mit dem dazugehörigen Reifegradmodell als Instrument für die Planung, Steuerung und Kontrolle der unterschiedlichen IH-Tätigkeiten angestrebt. (Biedermann 2017) Eine Erhöhung der Effizienz und Effektivität des vorhandenen Anlagenmanagementsystems wird durch die Konzentration auf Lean- sowie Smart-Aspekte innerhalb der Instandhaltungsorganisation erreicht. (Biedermann und Kinz 2019) Der Lean-Aspekt fokussiert auf die Reduktion von inputseitigen Verlusten der Produktionsfaktoren Personal und Material, um eine ressourcenschonende und somit nachhaltige, effiziente Instandhaltung zu gewährleisten. Der Smart-Aspekt beinhaltet die intelligente, lern- und wissensorientierte Gestaltung des Instandhaltungsmanagements mit dem Fokus auf der Instandhaltungsstrategie, welche anstelle der Kosten- die Wertschöpfungsorientierung forciert. (Kinz et al. 2016) LSM Reifegradmodell Reifegradmodelle (RGM) werden definiert als Artefakte mit Elementen, die in einer evolutionären Skala mit messbaren Übergängen von einer Ebene zur nächsten angeordnet sind und für Benchmarking, Selbstbewertung und kontinuierliche Verbesserung Verwendung finden. (Schmiedbauer et al. 2020; Caralli 2012; Mettler et al. 2010) Es bestehen unterschiedliche Möglichkeiten, ein RGM zu klassifizieren. Caralli 2012 teilt RGM in drei unterschiedliche Kategorien ein: (i) Fähigkeitsreife-Modelle, in denen die Fähigkeiten und Prozesse der Organisation im Mittelpunkt stehen; (ii) Progressionsmodelle, d.h. eine Evolution von Elementen; und (iii) Hybridmodelle, welche die Architekturattribute, Merkmale, Muster usw. des Progressionsmodells verwenden, wobei die Übergänge zwischen den Reifegraden durch eine Fähigkeitsreife-Hierarchie definiert sind. (Caralli 2012) Ein Reifegradmodell kann des Weiteren deskriptiv, präskriptiv oder vergleichend sein. (de Bruin et al. 2005) Das LSM RGM orientiert sich an der sogenannten CMMI-Architektur

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Abb. 1: LSM Reifegradmodell Aufbau (Capability Maturity Model Integration) und ist als präskriptives HybridModell charakterisiert. Ausgehend von den drei Managementebenen (normativ, strategisch, operativ), werden neun Hauptkategorien (HK) definiert, die den drei Hauptebenen zugeordnet sind. Eine Besonderheit in diesem RGM ist das Vorhandensein von zwei HK, die gleichzeitig als Querschnittkategorien fungieren und alle weiteren HK durchdringen. Hintergrund dieses Designs ist die Erkenntnis, dass spezielle Managementinstrumente nicht isoliert zu betrachten sind, sondern als integraler Bestandteil jeder Hauptkategorie behandelt werden müssen. Unter den HK ist das RGM weiter in Subkategorien (SK) und darunter in Items gegliedert. Die Reifegradabstufung innerhalb der HK ist ausgehend von Level 0 (unvollständig) bis auf den höchsten Reifegrad, Level 5 (Optimierung) festgelegt. (Schmiedbauer et al. 2020; Maier et al. 2020) Abb. 1 zeigt die vorhandenen HK sowie deren Zuordnung zu den Managementebenen. Inhalte des Reifegradmodells Auf der normativen Ebene befinden sich die HK „Philosophie & Zielsystem“ sowie „Unternehmenskultur“. Die HK „Unternehmensphilosophie“ beschäftigt sich mit dem gleichnamigen Themengebiet und der daraus abgeleiteten Führungsphilosophie. Diese geben Mitarbeitern eine Richtung für ihr Verhalten vor, die durch eine Vision als Beschreibung des Fernzieles des Instandhaltungsmanagements konkretisiert wird. (Bleicher und Abegglen 2017) Mit der Kategorie „Zielsystem“ werden die Ziele des AM sowie die Instandhal-

tungs- und Vermögensziele und deren Beziehungen zusammengeführt und entsprechend ihrer Zieldimension strukturiert. (Biedermann 2001) Die Unternehmenskultur besteht aus den Unterkategorien „Kultur & Motivation“, „Führung & Change Management“ und „Kommunikation“. Der strategischen Ebene zugeordnet sind die HK „Geschäftsmodell und Servicestrategie“; die „Asset Strategie“ umfasst die Themengebiete „Instandhaltungsstrategie“, „Instandhaltungsprävention“, „Outsourcing“ und „Ersatzteilmanagement“. Im Instandhaltungs- und Anlagenmanagement wird die Gestaltung der Organisationsstruktur wesentlich durch die Wahl des organisatorischen Strukturprinzips, die Festlegung der Strukturierungsmöglichkeit und des Grads der Dezentralisierung beeinflusst. (Schröder 2010) Entsprechend beinhaltet die HK „Aufbauorganisation“ Themengebiete wie „autonome Instandhaltung“ und „Dezentralisierungsgrad“. Im Übergangsbereich zwischen der strategischen und operativen Ebene befindet sich die HK „Budgetierung & Controlling“. Diese beschäftigt sich mit den Aspekten der Planung, Steuerung und Überwachung von Aktivitäten der Instandhaltung sowie der Koordination und Abstimmung mit Produktion, Materialwirtschaft und Controlling (Kosten- und innerbetriebliche Leistungsverrechnung). In der „Ablauforganisation“ werden die Prozesse der Instandhaltung adressiert, demzufolge liegen die Prozessorganisation, -planung sowie die systematischen Schwachstellenanalyse und die kontinuierlichen Verbesserungsprozesse im Fokus. Die beiden Querschnittskategorien „Wissensmanagement“

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TOP-THEMA und „Daten & Technologie“ sind mit den dargestellten HK verzahnt. Sie beinhalten die wesentliche Aspekte der Koordination, Verarbeitung, Speicherung und Analyse von Daten, Informationen und Wissen. Für diese Aufgaben werden neueste Entwicklungen aus der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) sowie die im Unternehmen vorhandenen Datenanalytik-Kompetenzen berücksichtigt. Organisationsentwicklung mithilfe des Reifegradmodells Die Evolution der klassischen Instandhaltung hin zur agilen, wertschöpfungsorientierten Lean Smart Maintenance erfordert einen Wandel im Kompetenzprofil der Instandhalter hin zu Asset-Managern, die über umfassenderen Fähigkeiten in der IT, dem Risikomanagement und der Schwachstellenanalyse verfügen. Daran setzt der Aufbau des Reifegradmodells mit seinen Hauptkategorien und den entsprechenden SK an. Durch die Aufgliederung in die drei Managementebenen sowie der HK- und SK- Struktur ermöglicht es den Anwender des RGM, Maßnahmen und Tätigkeiten zu identifizieren die einen Change Prozess unterstützen. Die im RGM beschriebenen Reifegrade von Prozessen, Strukturen sowie die kulturelle Ausprägung der Organisation dienen im nächsten Schritt zur Ableitung notwendiger Maßnahmen. Der prozessuale Ablauf des LSM Assessments ist das Ergebnis gewonnener Erkenntnisse aus Reorganisationsprojekten und ist aus sechs aufeinander folgenden Schritten aufgebaut, welche in Abb. 2 dargestellt sind. Im ersten Schritt wird das Projektziel und dessen Umfang definiert, das Projektmanagement vorbereitet, Dokumente gesichtet und das unternehmensseitige Projektteam unterzieht sich im Sinne des Change Managements eine Grundlagenschulung zu LSM. Im nächsten Schritt werden die notwendigen Informationen zur Festlegung des Ist-Zustands der Organisation mittels Fragebogen, Dokumenteneinsicht und semistrukturierter Interviews über die relevanten Ebenen und funktionalen Bereiche hinweg, erhoben. Der analysier-

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Abb. 2: Ablauf LSM Assessment (In Anlehnung an Biedermann und Kinz 2019) te Ist-Zustand wird gemeinsam mit den Key-Stakeholdern im Zuge von Konsens-Workshops abgestimmt. Im Anschluss wird im gemeinsamen Projektteam der Soll-Zustand, und somit die Entwicklungsrichtung der Organisation festgelegt, um im nächsten Schritt aus dem Unterschied zwischen Ist und Soll Maßnahmen ableiten zu können. In den letzten beiden Schritten wird die Umsetzung der Maßnahmen geplant, durchgeführt und in einen entsprechenden KVP-Prozess integriert. Zusammenfassung & Ausblick Die vom Markt ausgehenden Anforderungen an eine moderne Instandhaltungsorganisation stellen das Management sowie die Instandhaltungsmitarbeiter vor großen Anpassungsbedarf. Die Lean Smart Maintenance Philosophie greift diese aktuellen Herausforderungen auf um die Instandhaltung zum „Enabler“ der Industrie 4.0 im Bereich der physischen Ressourcen (Assets) zu entwickeln. Zur Identifikation aller wesentlichen Handlungsfelder für die Transformation in Richtung LSM wurden das vorgestellte Reifegradund Vorgehensmodell entwickelt. Dieses Modell mit den zugehörigen Instrumenten zeigt den Weg hin zu einer dynamischen, lern- und wertschöpfungsorientierten Instandhaltung und zur Sicherung eines nach-

haltigen Wettbewerbsvorteils auf. Im Sinne der kontinuierlichen Verbesserung, welche auch ein integraler Bestandteil der höchsten Reifegradausprägung ist, wird das RGM verfeinert und ggf. adaptiert und soll in Zukunft in einen ganzheitlichen ExcellenceRahmen integriert werden. Literaturverzeichnis: Amadi-Echendu, J. E. (2004). Managing physical assets is a paradigm shift from maintenance. In: M. Xie/T. S. Durrani/H. K. Tang (Hg.). Proceedings IEEE 2004 International Engineering Management Conference. Innovation and Entrepreneurship for Sustainable Development, 2004 IEEE International Engineering Management Conference, Singapore, Pan Pacific Hotel, 18.-21. October 2004. New York, N.Y, IEEE, 1156–1160. Becker, Wolfgang/Pflaum, Alexander (2019). Begriff der Digitalisierung - Extension und Intension aus betriebswirtschaftlicher Perspektive. In: Wolfgang Becker/Brigitte Eierle/Alexander Fliaster et al. (Hg.). Geschäftsmodelle in der digitalen Welt. Wiesbaden, Springer Fachmedien Wiesbaden, 3–13. Biedermann, Hubert (2001). Knowledge Based Maintenance. In: Hubert Biedermann (Hg.). Knowledge based maintenance. Strategien, Konzepte und Lösungen für eine wissensbasierte Instandhaltung. Köln, TÜV-Verl. Biedermann, Hubert (Hg.) (2017). Erfolg durch Lean Smart Maintenance:

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TOP-THEMA Bausteine und Wege des Wandels: 31. Instandhaltungsforum. Köln, TÜV Media. Biedermann, Hubert/Kinz, Alfred (2019). Lean Smart Maintenance - Value Adding, Flexible, and Intelligent Asset Management. BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte. https://doi.org/10.1007/ s00501-018-0805-x. Blanchard, Benjamin S. (1979). Life Cycle Costing - A Review 1 (1), 9–15. Bleicher, Knut/Abegglen, Christian (2017). Das Konzept integriertes Management: Visionen - Missionen - Programme. 9. Aufl. Frankfurt New York, Campus Verlag. Caralli, Rich (2012). Discerning the Intent of Maturity Models from Characterizations of Security Posture. Software Engineering Institute, Carnegie Mellon University. Online verfügbar unter https://resources.sei.cmu.edu/asset_files/ WhitePaper/2012_019_001_58924.pdf (abgerufen am 24.09.2020). de Bruin, Tonia/Freeze, Ron/Kulkarni, Uday/Rosemann, Michael (2005). Understanding the Main Phases of Developing a Maturity Assessment Model. In: ACIS 2005 Proceedings. Socialising IT: Thinking About the People. Australia, 8–19. EN 13306. Instandhaltung – Begriffe der Instandhaltung, 2015-09. Berlin. Gohres, Hans-Werner/Reichel, Jens (2018). Chronik der Instandhaltung – Schlaglichter einer Entwicklung. In: Jens Reichel/Gerhard Müller/Jean Haeffs (Hg.). Betriebliche Instandhaltung. 2. Aufl. Berlin, Springer Vieweg, 3–14. Kinz, Alfred/Bernerstätter, Robert/Biedermann, Hubert (2016). Lean Smart Maintenance - Efficient and Effective Asset Management for Smart Factories. In: Proceedings of the 8th International Scientific Conference Management of Technology – Step to Sustainable Production. Porec. Maier, Hans Thomas/Schmiedbauer, Oliver/Biedermann, Hubert (2020). Validation of a Lean Smart Maintenance Maturity Model. Tehnički glasnik 14 (3), 296–302. https://doi.org/10.31803/tg20200706131623. Mettler, Tobias/Rohner, Peter/Winter, Robert (2010). Towards a Classification of Maturity Models in Information Systems. In: Marco de Marco/Alessio Maria Braccini/Francesca Cabiddu (Hg.).

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Management of the interconnected world. ItAIS, the Italian Association for Information Systems. Heidelberg, S p r i n g e r -Ve r l a g Berlin Heidelberg, 333–340. Schmiedbauer, Oliver/Maier, Hans Thomas/Biedermann, Hubert (2020). Evolution of a Lean Smart Maintenance Maturity Model towards the new Age of Industry 4.0. https://doi. org/10.15488/9649. Schröder, Werner (2010). Ganzheitliches Instandhaltungsmanagement. Aufbau, Ausgestaltung und Bewertung. Zugl.: Leoben, Montanuniv., Diss., 2009. Wiesbaden, Gabler Verlag / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden.

Autoren Dipl.-Ing. Hans Thomas Maier, BSc ist als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften der Montanuniversität Leoben tätig. Er forscht vorwiegend im Bereich des Change Managements in industriellen Organisationen mit einem Fokus auf die Anlagenwirtschaft. Dipl.-Ing Oliver Schmiedbauer, BSc ist als Universitätsassistent am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften der Montanuniversität Leoben tätig. Er befasst sich vorwiegend mit der qualitativen und quantitativen Bewertung von Anla-

Dipl.-Ing. Hans Thomas Maier, BSc wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben

Dipl.-Ing Oliver Schmiedbauer, BSc Universitätsassistent am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben

o.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. mont. Hubert Biedermann Departmentleiter des Departments für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversitaet Leoben genmanagementsystemen. Außerdem ist er Assessor für den Staatspreis Unternehmensqualität. o.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. mont. Hubert Biedermann ist Departmentleiter des Departments für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften der Montanuniversitaet Leoben und forscht seit mehreren Jahrzehnten im Bereich des Instandhaltungs- und Anlagenmanagements. Des Weiteren ist er Präsident der Österreichischen Vereinigung für Instandhaltung und Anlagenwirtschaft (ÖVIA).

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TOP-THEMA

Foto: pixabay.com

Florian Kaiser, Mari Kollegger

Der Digitalisierungsreifegrad österreichischer Unternehmen im Bereich der Instandhaltung Die digitale Transformation im Rahmen von Industrie 4.0 basiert auf der Integration von Cyber-Physischen Systemen (CPS) sowie dem Internet of Things (IoT) in die Kernprozesse der Produktion. (Jazdi 2014) Dies geht mit simultan auftretenden Veränderungen von Produkten, Dienstleistungen sowie der Neugestaltung von Geschäftsprozessen oder -modellen einher. (Berghaus und Bäck 2016a; Westerman 2011) Die durch digitale Technologien ermöglichte steigende Automatisierung und Verkettung von Produktionsanlagen in der Industrie erhöht die Konsequenzen von unerwarteten Anlageausfällen bzw. -störungen signifikant. Dadurch steigt die Bedeutung der Instandhaltung im Unternehmen. In einem Bericht von 2015 hat McKinsey die Instandhaltungsorganisation in zwei von acht maßgeblichen Werttreibern für Industrie 4.0 identifiziert, nämlich in den Bereichen „Anlagennutzung“ sowie „Service & Aftersales“. Innerhalb dieser Studie wurden Potenziale wie eine mit Predictive bzw. Remote Maintenance verbundene Reduktion von Instandhaltungskosten zwischen 10-40 % sowie einer Senkung der Ausfallzeiten um 30-50 % erhoben. (McKinsey 2015) Die Durchführung von prädiktiven Analysen im Bereich der Instandhaltung und die Ausschöpfung der Potenziale zur Wertsteigerung im Unternehmen erfordert den Einsatz neuer Technologien. (Nemeth et al. 2018) Die digitale Transformation der Instandhaltung bzw. die Implementierung neuer Prozesse und Technologien kann dabei nicht ohne den Aufbau neuer Kompetenzen bei Mitarbeitern und Führungskräften erreicht werden. (Reichel et al. 2018) Das Erheben des Istzustandes innerhalb der Organisation ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer digitalisierten Instandhaltung und ermöglicht die Festlegung entsprechender Maßnahmen. In weiterer Folge können diese in einer Roadmap priorisiert werden. (Berghaus und Bäck 2016b) Vor allem durch Industrie 4.0 getrieben, wurden in den letzten Jahren vermehrt auf die digitale Transformation von Unternehmen ausgerichtete Reifegradmodelle entwickelt. (Teichert 2019)

Das Modell Der Status Quo der digitalen Transformation in den österreichischen Instandhaltungen wird durch eine Umfrage erhoben, die das St. Galler Digital Maturity Model (Berghaus und Bäck 2016a) mit Inhalten des Instandhaltungsassessments (Schmiedbauer et al. 2020) des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften der Montanuniversität

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Leoben kombiniert. Letzteres stellt den Reifegrad der Instandhaltungsorganisation in Bezug auf die normative, strategische und operative Managementebene dar. Die Basis für die Bewertung bildet eine Untersuchung von neun diesen Ebenen zugeordneten Hauptkategorien. (Schmiedbauer et al. 2020) Das St. Galler Modell fordert zur Erhebung eines Digitalisierungsreifegrades die Betrachtung der Di-

mensionen Strategie, Organisation, Zusammenarbeit, Kultur und Expertise, Customer Experience, Produktinnovation, Prozessdigitalisierung, ICT-Entwicklung und -Betrieb und Transformationsmanagement. Neben der technischen Infrastruktur sind unter anderem Faktoren wie das Vorhandensein von Fachkräften, die Bereitschaft der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zum Wandel, die strategische Ausrichtung und geeig-

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TOP-THEMA Daten angewandt und die Prozesse sind teilweise automatisiert. Digitalisierungsprojekte sind in Planung bzw. wurden teilweise umgesetzt. Im höchsten Reifegrad ist eine cloudbasierte modulare IT-Infrastruktur vorhanden und Echt-Zeit-Daten werden systematisch gesammelt und bewertet. Es gibt einen strukturierten Prozess zur Entwicklung, Evaluierung und Priorisierung von Digitalisierungsideen in allen Abteilungen. Bei den Hauptgründen für InitiatiAbbildung 1: Digital Maturity Model for Maintenance ven zur digitalen Transformation der nete Prozessstrukturen wesentlich Tests der Entwurf des Fragebogens Instandhaltung spiegelt sich das überfür das Erreichen eines hohen Digi- optimiert wurde, erfolgte die Aus- greifende Zielsystem der Instandhaltalisierungsreifegrades. (Berghaus sendung der Umfrage per Mail an tung stark wider (Biedermann 2008). und Bäck 2016a) Für die Bewertung ca. 2000 fachkundige Kontakte. Am Die Verbesserung der Prozesse in der und Erhebung des Istzustandes fiel Anfang der Umfrage befanden sich Organisation soll einerseits eine Madie Auswahl auf jene Inhalte des Rei- allgemeine Fragen zum Betrieb und ximierung der Anlagenverfügbarkeit, fegradmodells für Instandhaltungen, zur Einstellung bzw. die Einschät- andererseits eine Optimierung der die im Zusammenhang mit der di- zung der Umfrageteilnehmer zur di- Kostenstruktur ermöglichen. Ein weigitalen Reife der Abteilung stehen. gitalen Transformation ihrer Instand- terer Anlass, die Anlagenwirtschaft Die festgelegten Indikatoren wurden haltungsorganisation. Darauffolgend zu digitalisieren, ist die Verlängerung in einem Online-Fragebogen zusam- wurden Indikatoren zu jeder der der Lebensdauer der Anlagen, bei mengeführt und anschließend sieben bereits genannten Dimensionen ab- der man aufgrund der zunehmenden der insgesamt neun Dimensionen des gefragt. Einen Überblick der Anzahl Komplexität der Betriebsmittel mit St. Galler Modells (Berghaus und der Indikatoren pro Dimension gibt herkömmlichen Methoden schnell Bäck 2016a) zugeordnet. Tabelle 1. an die Grenzen stößt. Neben den geDie Kategorie ICT-Entwicklung nannten Überlegungen spielt für die und -Betrieb wurde zur besseren AbBefragten auch die Ergrenzung zukünftiger Vorhaben von höhung der Betriebssibereits eingesetzten Technologien in cherheit eine entscheizwei Kategorien unterteilt (Abbildende Rolle bei der dung 1). In diesem Zusammenhang Umsetzung von Digivom Modell ausgeschlossen wurden talisierungsprojekten die weniger relevant erscheinenden (Abbildung 2). Kategorien Customer Experience Im Folgenden werund Produktinnovation. In zukünfden die einzelnen tigen Entwicklungen ist beabsichtiDimensionen des gt, eine Kategorie Serviceinnovation Modells und die wichund -qualität in das Reifegradmodell tigsten Ergebnisse und zu integrieren und damit sowohl die Erkenntnisse aus der Produktion als Kunden als auch die Tabelle 1: Anzahl der Indikatoren pro Dimension Bewertung dieser erGeschäftsmodellinnovation im Moläutert: dell abzubilden. Die Auswertung Dimension 1 – Strategie Die Umfrage Die Bewertung der Indikatoren erfolgte pro Dimension, wurde am Die Kategorie „Strategie“ beinhaltet Die Grundgesamtheit der Befragten Ende zusammengefasst und den drei die strategische Ausrichtung des Unbesteht aus allen österreichischen Reifegraden Niedrig, Mittel und ternehmens und die Definition und Industriebetrieben, die eine eige- Hoch zugeordnet. Ein niedriger Rei- Entwicklung von Kernkompetenzen, ne Instandhaltung betreiben. Teil fegrad zeichnet sich durch vorran- welche IH-Mitarbeiter in einer digitader Stichprobe konnten all jene In- gig papierbasierte Aufzeichnung von lisierten Zukunft mitbringen müssen. standhaltungen werden, deren Kon- Daten aus. Vereinzelt finden Stan- Zusätzlich wird in dieser Dimension taktdaten dem Lehrstuhl für Wirt- dardprogramme wie Excel bei der die systematische Evaluierung und schafts- und Betriebswissenschaften Verarbeitung Anwendung. Maßnah- Priorisierung von Innovationen und der Montanuniversität Leoben zum men zur Digitalisierung der Instand- Projekten aus dem Bereich der DigitaAussendungszeitpunkt (Dezember haltung wurden bisher noch nicht lisierung thematisiert. 2019) bekannt waren. Nachdem auf gesetzt. Auf der mittleren Stufe werEs wurde am häufigsten ein mittBasis mehrerer intern durchgeführter den bereits Analysen auf historische lerer Reifegrad erreicht. Auffällig da-

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TOP-THEMA

Abbildung 2: Gründe für Digitalisierungsinitiativen bei ist, dass der Gesamtreifegrad vor allem durch Defizite bei der Definition und Auswahl zukünftig zu entwickelnder Kernkompetenzen negativ beeinflusst wird. Hohe Werte konnten sowohl bei der Evaluierung neuer am Markt verfügbarer Technologien als auch bezüglich der Einstufung der Priorität digitaler Projekte erzielt werden. Dimension 2 – Organisation Inhalt der Kategorie „Organisation“ sind die organisatorischen Voraussetzungen, die eine agile Reaktion auf neue Anforderungen der Digitalisierung ermöglichen. Unternehmens-, abteilungs- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit spielt bei Digitalisierungsinitiativen eine bedeutende Rolle. Die Abdeckung des Ressourcenbedarfs und die Identifikation relevanter Technologien für die Instandhaltung sind weitere wichtige Indikatoren für die Dimension Organisation und werden ebenfalls in dieser Kategorie abgebildet. Mit vorbeugender Instandhaltung und abteilungs- und funktionsübergreifender Zusammenarbeit hinsichtlich Digitalisierungsalternativen beschäftigen sich laut den Ergebnissen bereits viele Organisationen. Daraus lässt sich ableiten, dass sich Unternehmen in Richtung TPM (Total Productive Maintenance) weiterentwickeln. Externes Knowhow wird vor allem in den Bereichen Software und IT benötigt, aber auch der Austausch

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mit Lieferanten und wissenschaftlichen Einrichtungen ist durch gestiegene Anforderungen und Komplexität wichtig. Dimension 3 – Prozessdigitalisierung In der Kategorie „Prozessdigitalisierung“ werden die Automatisierung und Weiterentwicklung von Prozessen (z.B. Erhebung des Ersatzteilbedarfs) sowie der Einsatz von Big-Data-Analysen zur Entscheidungsunterstützung in der IH-Prävention fokussiert. Routineprozesse und der Datenaustausch zwischen Produktion und Instandhaltung werden zunehmend automatisiert. Die elektronische Abbildung der Lagerorte von Ersatzteilen fehlt großteils und auch die Bedarfsermittlung von Ersatzteilen erfolgt nur teilweise automatisiert. Kaum eines der befragten Unternehmen setzt künstliche Intelligenz zur Instandhaltungsprävention ein oder verfolgt Initiativen in Richtung präskriptive Instandhaltung (z.B. automatisch generierte Behebungsvorschläge). Condition Monitoring findet bereits gelegentlich Einsatz. Dimension 4 – Zusammenarbeit Die Kategorie „Zusammenarbeit“ beinhaltet die Weiterentwicklung von Kommunikationsmöglichkeiten für den KVP-Prozess, die bereichsübergreifende und ortsunabhängige

Zusammenarbeit sowie das Standardisieren von Workflows. Die Instandhalter verfügen mittlerweile großteils über ortsunabhängigen Zugriff auf die Instandhaltungsdaten. Ausgeschöpft wird die Möglichkeit des Fernzugriffs jedoch nur in den seltensten Fällen. Medienbrüche sind bei der Datenaufzeichnung in der Instandhaltung keine Seltenheit. Zugleich werden die Arbeitsaufträge in den meisten Unternehmen ausschließlich digital bereitgestellt. Überraschend ist außerdem, dass digitale Systeme zur Verbesserung von Betriebsverbesserungsvorschlägen (KVP) noch nicht weit verbreitet sind und, dass lediglich 50% der Unternehmen über Plattformen zur Echtzeitkommunikation verfügen. Dimension 5.1 – ICT-Entwicklung In der Kategorie „ICT-Entwicklung“ sind die Verfügbarkeit von WLAN und offene Schnittstellen zur effektiven und effizienten ortsunabhängigen Ausübung von Tätigkeiten und die Investitionsbereitschaft in die ITStruktur enthalten. Laut Umfrageergebnis sind die meisten Instandhaltungen bereit, Investitionen in die IT-Struktur zu tätigen. Flächendeckendes WLAN am Standort ist nicht die Norm, die Zufriedenheit der Instandhalter hinsichtlich ihrer Internetverbindung ist jedoch durchwegs hoch. Im Widerspruch zur fehlenden WLAN-Struktur steht der

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TOP-THEMA festgestellte Trend in Richtung papierlose Instandhaltung. Ein weiteres Hemmnis für die ICT-Entwicklung ist das Fehlen offener Schnittstellen. Dies erschwert das Anbinden neuer Systeme an vorhandene Lösungen. Dimension 5.2 – ICT-Betrieb Mit der Kategorie „ICT-Betrieb“ werden der Einsatz und das Verständnis digitaler Technologien zur Optimierung von IH-Tätigkeiten bewertet. Der Einsatz von Data Science Software und Cloud-Diensten in der Instandhaltung ist noch sehr gering. Hinsichtlich Cloud-Computing werden trotz geringem Einsatz viele Potenziale, wie bspw. der ortsunabhängige Zugriff und die zentrale Datenverwaltung, erkannt. Mobile Lösungen, insbesondere Tablets und Smartphones, finden bereits mehr Zuspruch. Die Bereitschaft zur Weiterentwicklung und für Investitionen ist vorhanden (siehe ICT-Entwicklung). Dimension 6 – Kultur und Expertise Mit der Kategorie „Kultur & Expertise“ wird der Faktor Humankapital in den Fokus gerückt. Es geht sowohl um die Bereitschaft der Mitarbeiter zum Aufbau fachlicher Kompetenzen als auch die des Unternehmens, gewisse Risiken im Zuge der Digitalisierung einzugehen. Des Weiteren werden auch die Probleme und folglich Hemmnisse im Rahmen der Digitalisierung berücksichtigt. Die Befragten schätzen den Prozess der Auswahl relevanter Kennzahlen durch die Digitalisierung einfacher und den damit verbundenen Aufwand geringer ein. Die Einstellung zu Digitalisierungsinitiativen ist eher positiv und digitales Knowhow wird zu einem wichtigen Einstellungskriterium bei neuen Mitarbeitern. Interessant ist, dass bei der Einführung neuer digitaler Anwendungen hauptsächlich auf Kommunikations- (z.B. Mitarbeitergespräche) und Qualifikationsinstrumente (z.B. Schulung), jedoch kaum auf Motivations- (extrinsische/intrinsische Anreize) und Organisationsinstrumente (z.B. Promotoren) gesetzt wird. Als Hemmnisse der Digitalisierung werden vor

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Abbildung 3: Übersicht der am häufigsten erreichten Reifegrade pro Dimension allem mangelhafte Datenqualität, fehlendes Knowhow in der Instandhaltung und fehlendes IT-Personal gesehen. Auch die Datensicherheit stellt für fast alle Befragten ein Problem dar. Dimension 7 – Transformationsmanagement In der Kategorie „Transformationsmanagement“ werden die Zuständigkeiten sowie der Support der Managementebene und die Definition eines Zielsystems für die digitale Transformation betrachtet. Eine zukünftig zu bewältigende Aufgabe ist die Definition, Quantifizierung, Kommunikation und in weiterer Folge Überprüfung der Erreichung von Zielen in Bezug auf Digitalisierungsinitiativen. Dies ist bisher kaum der Fall. Auch die Initiative des Managements hinsichtlich neuer digitaler Projekte ist noch gering. Mit definierten Ansprechpartnern für Digitalisierungsprojekte, die es in den meisten Unternehmen bereits gibt, ist jedoch der erste Schritt in Richtung strategische Planung getan. Schlussfolgerung/Zusammenfassung Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die teilnehmenden Instandhaltungen in allen Dimensionen, bis auf ICT-Betrieb und Prozessdigitalisierung einen mittleren Reifegrad aufweisen (Abbildung 3). Allgemein wird der Digitalisierungsgrad im Bereich der Instandhaltung im Gegensatz zum gesamten Unternehmen von den Probanden geringer eingeschätzt. Die Risikobe-

reitschaft hinsichtlich Investitionen im Zusammenhang mit Digitalisierungsinitiativen ist je nach Organisation sehr unterschiedlich. Viele Unternehmen setzen bei Digitalisierungsinitiativen auf externe Partner, insbesondere im Bereich Software/ IT sind Kooperationen sehr verbreitet. Am häufigsten als Hemmnisse bei der Digitalisierung genannt wurden mangelhafte Datenqualität, fehlendes Know-How und mangelndes IT-Personal. Die Potenziale digitaler Vernetzung und Automatisierung der Abläufe werden jedoch vielfach bereits erkannt. Die Auswertungen zeigen auch, dass die Herausforderung bezüglich der Auswahl und Definition zukünftig zu entwickelnden Kompetenzen noch kaum in den befragten Unternehmen bewältigt wurde. Verständnis und Akzeptanz bei den Mitarbeitern im Hinblick auf die digitale Transformation der Instandhaltungsorganisationen zu erzeugen, wird für Führungskräfte in Zukunft gleichermaßen eine Kernaufgabe als auch Herausforderung darstellen. Literaturverzeichnis: Berghaus, Sabine; Bäck, Andrea (2016a): Gestaltungsbereiche der Digitalen Transformation von Unternehmen: Entwicklung eines Reifegradmodells. In: Die Unternehmung 70 (2), S. 98–123. DOI: 10.5771/0042-059X-2016-2-98. Berghaus, Sabine; Bäck, Andrea (2016b): Stages in Digital Business Transformation: Results of an Empirical Maturity Study. In: Association for Information Systems (Hg.): MCIS 2016 Proceedings. Mediterranean Conference on Information Systems (MCIS). AIS Electronic Li-

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TOP-THEMA brary (AISeL), S. 1–18. Online verfügbar unter http://aisel.aisnet.org/mcis2016/22, zuletzt geprüft am 28.01.2021. Biedermann, Hubert (2008): Anlagenmanagement: Managementinstrumente zur Wertsteigerung. Verlag TÜV Rheinland. Westerman, George (2011): Digital Transformation: A Roadmap for Billion-Dollar Organizations. Unter Mitarbeit von Claire Calméjane, Didier Bonnet, Patrick Ferraris, Andrew McAfee. MIT Center for Digital Business & Capgemini Consulting. Online verfügbar unter https://www.capgemini.com/ wp-content/uploads/2017/07/ Digital_ Transformation_ _ A _ Road-Map_for_ Billion-Dollar_Organizations.pdf, zuletzt geprüft am 28.01.2021. Lundgren, Camilla; Skoogh, Anders; Bokrantz, Jon (2018): Quantifying the Effects of Maintenance – a Literature Review of Maintenance Models. In: Procedia CIRP 72, S. 1305–1310. DOI: 10.1016/j.procir.2018.03.175. McKinsey & Company (2015): Industry40-How-to-navigate-digitization-of-themanufacturing-sector. Hg. v. McKinsey & Company. McKinsey Digital. Jazdi, Nasser (2014): Cyber Physical Systems in the Context of Industry 4.0. Piscataway, NJ: IEEE (2014 IEEE International Conference on Automation, Quality and Testing, Robotics (AQTR 2012)). Nemeth, Tanja; Karner, Matthias; Biebl, Fabian; Sihn, Wilfried (2018): Mittels Machine Learning und innovativen IoT-Technologien zur »Predictive Maintenance«. Prognose der Overall Equipment Effectiveness: Eine Case Study. In: Hubert Biedermann (Hg.): Predictive Maintenance. Realität und Vision : 32. Instandhaltungsforum (Praxiswissen für Ingenieure - Instandhaltung), 105-118.

Reichel, Jens; Wiese, Wolfgang; Droese, Rainer (2018): Die digitale Transformation in der Instandhaltung. Wie ist das in einer gewachsenen Struktur zu schaffen? In: Hubert Biedermann (Hg.): Predictive Maintenance. Realität und Vision: 32. Instandhaltungsforum (Praxiswissen für Ingenieure - Instandhaltung), S. 11–22. Schmiedbauer, Oliver; Maier, Hans Thomas; Biedermann, Hubert (2020): Evolution of a Lean Smart Maintenance Maturity Model towards the new Age of Industry 4.0. Unter Mitarbeit von My University. Teichert, Roman (2019): Digital Transformation Maturity: A Systematic Review of Literature. In: Acta Univ. Agric. Silvic. Mendelianae Brun. 67 (6), S. 1673–1687. DOI: 10.11118/actaun201967061673.

AutorInnen: Dipl.-Ing. Florian Kaiser ist seit November 2018 als wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften an der Montanuniversität Leoben in den Bereichen Anlagenmanagement und Datenanalytik

Dipl.-Ing. Florian Kaiser wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben

Mari Kollegger, MSc. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Betriebswissenschaften, Montanuniversität Leoben tätig. Er studierte davor Petroleum Engineering, ebenfalls an der Montanuniversität. Mari Kollegger, MSc. ist seit April 2018 am Lehrstuhl für Wirtschaftsund Betriebswissenschaften an der Montanuniversität Leoben tätig und beschäftigt sich mit der Entwicklung von After Sales Geschäftsmodellen im Anlagenmanagement. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten B2B-Marketing und Wirtschaftsinformatik an der Karl-Franzens-Universität Graz.

Schwerpunkt-Themen WINGbusiness 2021 Heft 02/2021: „Klimaneutralität“ Heft 03/2021: „Learning Factories“ Heft 04/2021: „Technology Entrepreneurship“

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FACHARTIKEL Gunter Nitsche

Die Abgrenzung von Patentrecht, Markenrecht und Urheberrecht – dargestellt am Beispiel von ‘Rubik’s Cube’ (Teil I) Deskriptoren: Patentrecht; Markenrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Rubik’s Cube Normen: PatG; UrhG; UWG; MSchG; RL (EU) 2015/2436; VO (EG) Nr. 40/94; VO (EU) 2017/1001; Pariser Verbandsübereinkunft; WTO-Abkommen; WUA; RBÜ; WTO-Abkommen 1 Einleitung Als der ungarische Architekt und Designer Ernő Rubik [1] am 30. Jänner 1975 beim ungarischen Patentamt in Budapest seinen „Zauberwürfel“, den er ein Jahr zuvor erfunden hatte, um das räumliche Denkvermögen seiner Studenten zu fördern, zum Patent anmeldete, konnte er nicht ahnen, dass er damit eine Abfolge von Rechtsstreitigkeit auslösen würde, die seit mehr als 40 Jahre die Gerichte und Verwaltungsbehörden beschäftigen und die zu Rechtsfragen geführt haben, die vielfach bis heute nicht endgültig gelöst sind. Rubik’s Cube war zwar das bekannteste, aber bei weitem nicht das einzige mechanische Puzzle, das von Ernő Rubik erfunden wurde. [2] Doch erreichte kein anderes Puzzle auch nur annähernd den Erfolg, den Rubik’s Cube mit geschätzten 450 Millionen verkauften Würfeln in rund 40 Jahren erzielte. [3] Zu Recht hatte Ernő Rubik ein reges Interesse an Markt erwartet. Daher entschied er sich, solange seine Erfindung noch nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war, ein Patent zu erwerben, um selbst die Kontrolle über Herstellung und Vertrieb des „Zauberwürfels“ zu behalten. Vom ungarischen Patentamt wurde am 28. Oktober 1976 unter der Nummer 170062 für die Patentklasse A 63 F 9/12 [4] ein Patenterteilt. Die internationale Patentklassifikation (IPC) beruht auf dem Straßburger Abkommen [5], welches von 63 Staaten ratifiziert wurde [6]. Die Patentanmeldung wurde durch fünfzehn Zeichnungen erläutert, in denen das System dargestellt wurde. Die Erfindung wird wie folgt beschrieben: „Bei einem Zauberwürfel in Standardgröße handelt es sich um

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einen Würfel mit einer Kantenlänge von 57 mm, gemessen an den Mittelachsen. Es gibt allerdings auch größere oder kleinere Varianten wie mit einer Kantenlänge von 54,4 mm. Der Würfel ist in der Höhe, Breite und Tiefe in jeweils drei Lagen unterteilt, die sich durch 90-Grad-Drehungen um ihre jeweilige Raumachse drehen lassen. Dadurch können Position und Lage von 20 der insgesamt 26 Steine (die Mittelsteine sind fest verbaut) fast beliebig verändert werden. Auf die nach außen sichtbaren Flächen der Steine sind kleine Farbflächen geklebt oder die Steine selbst sind gefärbt. In der Grundstellung sind die Steine so geordnet, dass jede Seite des Würfels eine einheitliche, aber von Seite zu Seite andere Farbe hat. […] Ziel ist es für gewöhnlich, den Würfel wieder in seine Grundstellung zu bewegen, nachdem die Seiten in eine zufällige Stellung gedreht wurden.“ [7] 2 Patentrecht § 1 Patentgesetz (PatG) [8]: „(1) Für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik werden, sofern sie neu sind (§ 3), sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben und gewerblich anwendbar sind, auf Antrag Patente erteilt.“ Als „Patentrecht im objektiven Sinn“ wird die Summe der Normen bezeichnet, die das Patentwesen, also den Schutz von Erfindungen regeln. „Patentrecht im subjetiven Sinn“ ist das Ausschließungsrecht, das dem Patentinhaber an seiner Erfindung zusteht. Dieses Schutzrecht wurde

vom Gesetzgeber im PatG verselbständigt und damit verkehrsfähig gemacht. Das Patentrecht ist also ein übertragbares Vermögensrecht (§ 43 PatG). [9] Für das „subjektive Patentrecht“ gilt allerdings, wie für alle Fälle des geistigen Eigentums, das Territorialitätsprinzip. Ob dem Patentinhaber der Schutz, der ihm durch die Patentierung seiner Erfindung gewährt wurde, auch in einem anderen Land gewährt wird, hängt davon ab, ob der Schutz auch auf dieses Land erstreckt wurde. Diese Erstreckung muss gemäß Art 4 C. der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) [10] innerhalb von zwölf Monaten ab dem Prioritätstag der Erstanmeldung erfolgen. Im Anlassfall war daher das Datum, das für die Erstreckung des Patentschutzes für das am 28. Oktober 1976 beim Patentamt in Budapest angemeldete Patent „Rubik’s Cube“ mit der Nummer 170062 maßgebend war, der 28. Oktober 1977. Prüft man die Anmeldung für das „Spacial Logical Toy“ beim US Patent Office, wird zwar als Erfinder zutreffend Ernő Rubik genannt, jedoch als Prioritätsdatum der ungarischen Anmeldung wahrheitswidrig der 28. Oktober 1980 (!) angegeben. Offensichtlich wurde zur Wahrung der Jahresfrist des Art 4 C. PVÜ das Jahr der Anmeldung in Ungarn von 1976 auf 1980 verlegt. Der Anmelder, Politoys Ipari Szövetkezet aus Budapest,

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FACHARTIKEL

dem die Rechte aus dem Patent vom Erfinder Ernő Rubik übertragen worden waren, ging mit guten Gründen davon aus, dass der mit der Neuheitsprüfung befasste Rechercheur (patent examiner) des US- Patent and Trademark Office (USPTO) in Washington [11] keine Rückfrage an das damals noch hinter dem „Eisernen Vorhang“ befindliche Patentamt in Budapest richten werde. Tatsächlich wurde das beantragte Patent in den Vereinigten Staaten unbeanstandet erteilt. Die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung des Patents waren beim „Zauberwürfel“ erfüllt. Eine Erfindung ist dann schutzfähig im Sinn des § 1 PatG, wenn sie dem Gebiet der Technik zuzuordnen ist. Die Voraussetzung der „Technizität“ ist durch Art 27 TRIPS-Abkommens [12] vorgegeben: Patententable Subject Matter: „Subject to the provisions of §§ 2,3, patents shall be available for any inventions, whether products or processes, in all fields of technology, provided that they are new, involve an inventive step and are capable of industrial application[…]“. “Technizität” wird verstanden als die Beherrschung von Naturkräften im weitesten Sinn (einschließlich biologischer Kräfte und Energiearten), sozusagen die „Beherrschung der toten Materie“. [13] Hätte es allerdings in den USA einen Patentprozess der Politoys Ipari Szövetkezet gegen einen Mitbewerber wegen eines Patenteingriffs gegeben, wäre ein solches Gerichtsverfahren zweifellos wegen der fehlenden Neuheit der Erfindung gegen den Kläger entschieden worden, wenn sich im Verfahren die Unrichtigkeit der Angabe der Unionspriorität bei der Anmeldung in den USA herausgestellt hätte.

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Heute spielt die Verfälschung der Unionspriorität anlässlich der Anmeldung von „Rubik’s Cube“ in den USA keine Rolle mehr. Die Höchstdauer für ein Patent beträgt 20 Jahre (§ 28 PatG). Diese Frist entspricht auch den Vorgaben des TRIPS-Abkommens. Damit können die Herstellung und der Vertrieb von „Rubik’s Cube“ seit dem Auslaufen des patentrechtlichen Schutzes vom Patentinhaber bzw seinem Lizenznehmer einem Dritten nicht mehr unter Berufung auf den Patentschutz untersagt werden. Im Hinblick auf die enorme wirtschaftliche Bedeutung, die sich in den erwähnten Verkaufszahlen widerspiegelt, liegt für den früheren Patentinhaber der Gedanke nahe zu prüfen, ob es andere Möglichkeiten der Aufrechterhaltung des Monopols an der Produktion und dem Verkauf des „Zauberwürfels“ gibt. 3 Urheberrecht Ernő Rubik betrachtete selbst seinen Würfel nicht als Rätsel, sondern als Kunstobjekt. [14] Daraus resultiert die Frage, ob der Erfinder des Zauberwürfels mit seinen 43 Trillionen Kombinationsmöglichkeiten, zu deren erstmaliger Lösung er selbst mehrere Wochen benötigte [15], nicht nur eine technische Erfindung, sondern auch ein Kunstwerk geschaffen hat: „Gemäß § 3 Abs 1 UrhG gehören zu den Werken der bildenden Künste im Sinne dieses Gesetzes auch Werke des Kunstgewerbes. Durch die damit erfolgte Einbeziehung der Werke der angewandten Kunst hat der Kunstschutz (Urheberrechtsschutz) ein breites Anwendungsfeld gewonnen. Die Bestimmung eines Werkes, also der Zweck, zu dem es geschaffen wurde, ob zum Gebrauche (und hier wieder als Einzelstück oder zur Unterlage industrieller Erzeugnisse) ist damit für die Frage des urheberrechtlichen Schutzes bedeutungslos. Die Zweckbestimmung kann sich somit ohne Gefährdung des Urheber-

rechtsschutzes im Gebrauchszweck erschöpfen.“ [16] Sollte diese Frage zu bejahen sein, wären die Auswirkungen weitreichend: Der Schöpfer eines Werkes der bildenden Künste, wozu auch Werke der angewandten Kunst zählen, genießt kraft des Realakts der Schöpfung, somit ohne Registrierung, lebenslänglich den Schutz des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) [17]. Gemäß § 23 Abs 3 UrhG ist das Urheberrecht unter Lebenden unübertragbar. Hingegen ist das Urheberrecht frei vererblich. Auch jene Personen, auf die das Urheberrecht des Schöpfers von Todes wegen übergegangen ist, können 70 Jahre lang post mortem auctoris den Schutz des UrhG in Anspruch nehmen. [18] Ernő Rubik ist 76 Jahre alt. Damit könnte er, wenn er ein Werk iSd § 3 UrhG geschaffen hat, jederzeit selbst das Monopol an den Verwertungsrechten (insbesondere an dem Vervielfältigungsrecht gemäß § 15 UrhG und an dem Verbreitungsrecht gemäß § 16 UrhG) in Anspruch nehmen. Auch das Territorialitätsprinzip stellt für den Schöpfer eines urheberrechtlich geschützten Werkes in der Praxis kein Problem dar. Dem Welturheberrechtsabkommen (WUA) [19] sowie dessen Zusatzprotokollen I,II und III sind alle westlichen Industrienationen einschließlich der Vereinigten Staaten [20] sowie auch China [21] beigetreten. Auch die revidierte Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ) [22] gewährt dem Schöpfer den gleichen Schutz. Die Vereinigten Staaten (seit 1991), China (seit 1994 mit Vorbehalten) und die wichtigsten europäischen Industrieländer[23] sind Vertragsparteien der RBÜ.[24] Gemäß Art 3 RBÜ sind die einem Verbandsland angehörenden Urheber für ihre veröffentlichten und unveröffentlichten Werke in allen Ländern, auf die die RBÜ Anwendung findet, geschützt. Nach dem Gegenseitigkeitsprinzip (Art 5 RBÜ) genießen die veröffentlichten und unveröffentlichten Werke der Angehörigen eines vertragschließenden Staates in jedem anderen vertragschließenden Staat den gleichen Schutz, den dieser den inländischen Urhebern gewährt. Ungarn ist seit 1982 Mitglied der RBÜ. Nur dort, wo der Urheber nicht An-

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FACHARTIKEL gehöriger eines Mitgliedslandes der RBÜ ist, kommt als Auffangnetz der Schutz durch das WUA in Betracht. [25] Wenn der Zauberwürfel ein Werk der bildenden Künste ist, kann Ernő Rubik als Schöpfer dieses Werkes sein ausschließliches Recht, den Würfel herzustellen und zu vertreiben, gegen jeden Dritten geltend machen, der in einem Mitgliedstaat der RBÜ gegen Ernő Rubiks Urheberrecht verstößt. Ist also der Zauberwürfel ein urheberrechtlich geschütztes Werk der bildenden Künste? [26] Die Antwort auf diese Frage setzt eine vertiefte Befassung mit dem Werkscharakter von Schöpfungen im Bereich der bildenden Künste voraus. Der OGH [27] hat in der bekannten Entscheidung „Formblätter des Bundesheeres“ ein klassische Zirkeldefinition vollzogen: „Entscheidend für das Vorliegen eines Werks der bildenden Künste ist, dass das Schaffensergebnis objektiv als Kunst interpretierbar ist“. Auch die weiteren Merkmale eines Werkes nach § 3 Abs 1 UrhG, wonach es sich „um das Ergebnis schöpferischer geistiger Tätigkeit handeln muss, das seine Eigenheit, die es von anderen Werken unterscheidet, aus der Persönlichkeit seines Schöpfers empfangen hat“, machen die Qualifikation nicht einfacher. [28] Dazu kommt, dass die Frage, ob ein „Werk“ iSd §§ 1,3 UrhG vorliegt, eine reine Rechtsfrage ist und folglich nur vom Richter und nicht von einem Sachverständigen zu entscheiden ist. Grundsätzlich kann für ein Werk des Kunstgewerbes, welches die erforderliche Individualität aufweist, neben dem Patentschutz auch der Schutz durch das UrhG in Anspruch genommen werden. In der Entscheidung „Mart Stam“-Stuhl [29] stellt der OGH das Erfordernis eines „erheblichen ästhetischen Überschusses“ als Bedingung für die Zuerkennung des Werkscharakters auf. Diesem Erfordernis ist zu folgen. Immerhin setzt der Urheberrechtsschutz – anders als das Patentgesetz, das Gebrauchs- und Geschmacksmustergesetz und das Markenschutzgesetz – keine Registrierung voraus. Folglich muss das „Werk“ als Ergebnis schöpferischer Geistestätigkeit sich durch die persönliche Note, die es durch das gei-

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stige Schaffen des Schöpfers erhalten hat, deutlich von anderen Erzeugnissen ähnlicher Art abheben. Auch wenn der OGH seit der Entscheidung „Blumenstück“ ausgesprochen hat, dass der Grad des ästhetischen Wertes außer Betracht zu bleiben hat und nur die Individualität entscheidend ist, bleibt doch der Kunstbegriff mit der Vorstellung von Ästhetik – richtig verstanden – untrennbar verbunden. Von einem ästhetischen Wert des „Zauberwürfels“ kann keine Rede sein. Vielmehr ist der Würfel seinem äußeren Erscheinungsbild nach nur dadurch gekennzeichnet, dass er aus 26 Steinen besteht, die insgesamt nur in einer Ebene horizontal oder vertikal verdreht werden können. Eine Wahl des Würfels aus Gründen des Geschmacks oder der Schönheit oder Ästhetik liegt nicht vor. Die technische Vorgabe ist durch das Ziel, jede der sechs Seitenflächen des Würfels in einer Farbe darzustellen, eingeengt. Von einem Werk der bildenden Künste kann erst dann gesprochen werden, wenn sich die Ausführung nicht bloß als technische Notwendigkeit, sondern als künstlerische Gestaltung darstellt. [30] Davon kann beim „Zauberwürfel“ keine Rede sein. Die Qualifikation als urheberrechtlich geschütztes Werk der bildenden Künste scheidet damit aus. 4 Zwischenergebnis Wie aufgezeigt, wurde die Erfindung des „Zauberwürfels“ von Ernő Rubik am 28. Oktober 1976 beim Patentamt in Budapest angemeldet. Aufgrund des Territorialitätsprinzips war der Schutz, den die Patenterteilung gewährte, auf Ungarn beschränkt. Von der Möglichkeit der Erstreckung auf weitere Mitgliedsländer innerhalb der Jahresfrist des Art. 4 der Pariser Verbandsübereinkunft wurde kein Gebrauch gemacht. Damit bestand nach dem 28. Oktober 1977 keine Möglichkeit mehr, außerhalb Ungarns ein Schutzrecht an dem „Zauberwürfel“ zu erwerben. Dies galt auch für Ernő Rubiks selbst. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre aufgrund des Art. 4 PVÜ nach Maßgabe der Priorität der Erstanmeldung innerhalb der Jahresfrist der Erwerb des Patentrechts auch in allen anderen Mitgliedsländern der PVÜ möglich gewesen. Die Erteilung

des Patents in den USA erfolgte aufgrund einer wahrheitswidrigen Angabe der Priorität der Erstanmeldung (1980 statt richtig 1976). Wäre die Wahrheit ans Tageslicht gekommen, hätte das Patent beim US Patent and Trademark Office wegen fehlender (weltweiter) Neuheit zum Anmeldungszeitpunkt wieder gelöscht werden müssen, ebenso wäre eine allfällige Klage, gestützt auf das USPatent, abzuweisen gewesen. Aber das ist Schnee von gestern. Da der patentrechtliche Schutz höchstens 20 Jahre ab der Anmeldung dauert, ist es seither weltweit nicht mehr möglich, Dritten die Herstellung und den Vertrieb des „Zauberwürfels“ unter Berufung auf das Recht des Erfinders an seinem Patent zu untersagen. Das führt zur weiteren Überlegung, ob Ernő Rubik (oder ein Lizenznehmer), gestützt auf eine andere Rechtsgrundlage, heute noch ein Recht an seiner Erfindung geltend machen könnte. Da Ernő Rubik seinen „Zauberwürfel“ selbst als „Kunstwerk“ bezeichnet hat, ist zu prüfen, ob der urheberrechtliche Schutz, den der Schöpfer an seinem Werk der bildenden Künste genießt, auch im Anlassfall Anwendung findet. Diese Frage ist jedoch zu verneinen. Ob ein „Werk“ iSd §§ 1,3 UrhG vorliegt, ist eine reine Rechtsfrage, die nicht vom Schöpfer, sondern vom Gericht zu entscheiden ist. Beim „Zauberwürfel“ steht die technische Funktion im Vordergrund. Die künstlerische Gestaltung spielt, auch wenn der Schöpfer selbst dazu eine andere Auffassung vertreten mag, nur eine untergeordnete Rolle. Ein Urheberrechtsschutz scheidet damit für den „Zauberwürfel“ aus. Im zweiten Teil dieser Untersuchung wird geprüft, ob Ernő Rubik einen wettbewerbsrechtlichen oder einen markenrechtlichen Schutz beanspruchen kann. Referenzen: [1] Ernő Rubik, geb 13. Juli 1944, Bildhauer, Architekt und Designer, war Professor an der Moholny-Nagy-Universität für Kunsthandwerk und Gestaltung in Budapest. Er erwarb 1967 den akademischen Grad des Diplomingenieurs für das Fach Bauwesen an der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest.

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FACHARTIKEL [2] Zu den mechanischen Rätseln und mathematischen Brettspielen, die von Ernő Rubik erfunden wurden, gehören auch Rubik’s Tac Toe, Rubik’s Kalender Cube, Rubik’s Magisches Domino, Rubik’s Magic, Rubik’s UFO Puzzle, Rubik’s Clock oder Rubik’s 360. [3] Süddeutsche Zeitung, Ein Mann und das 43-Trillionen-Projekt, 31.01.2020; < https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ rubik-zauberwuerfel-1.4777930 >. [4] Die Buchstaben A – H bezeichnen die Sektionen, welche die technischen Erfindungen in acht Bereiche unterteilen. „A“ ist der Technikbereich „täglicher Lebensbedarf“. Die Sektionen sind in Klassen (Ziffern) und Unterklassen (Buchstaben) unterteilt. Insgesamt gibt es rund 70.000 Haupt- und Untergruppen. [5] Amtlicher deutscher Text gemäß Artikel 16 Absatz 2 Straßburger Abkommen über die internationale Patentklassifikation vom 24. März 1971, BGBl 1975/517 idF BGBl III 2020/216. [6] Saudi Arabien wird gem BGBl III 2020/216 am 16. Oktober 2021 beitreten. [7] „Zauberwürfel“ in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungs-stand: 2. Januar 2021; Die Darstellung folgt der Beschreibung in der Patentschrift. Der Würfel wird in der englischen Übersetzung als „Spatial Logic Game“ bezeichnet: „The object of the invention is a spatial logic game consisting of 27 spacial shapes that can be assembled into a closed cube or a spherical surface – expediently sphered – or other amorphous body, while in the geometrical center of the cube is a small cube with flexible pins forming along the axis of its transverse spatial axes. Of the 27 elements a big cube can be made.” [8] Patentgesetz 1970, BGBl 259/1970 idF BGBl I 37/2018. [9] Kucsko, Geistiges Eigentum (2017) 130f. [10] Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20. März 1883, revidiert in Brüssel am 14. Dezember 1900, in Washington am 2. Juni 1911, im Haag am 6. November 1925, in London am 2. Juni 1934 und in Lissabon am 31. Oktober 1958, BGBl 385/1969 idF BGBl I 2/2008. [11] Dieses befindet sich seit 2006 in Alexandria, Virginia. [12] Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO-Abkommen) samt Schlußakte, Anhängen, Beschlüssen und Erklärungen der Minister sowie österreichischen Konzessionslisten betreffend landwirtschaftliche und nichtlandwirt-

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schaftliche Produkte und österreichische Verpflichtungslisten betreffend Dienstleistungen, Anhang 1C: ABKOMMEN ÜBER HANDELSBEZOGENE ASPEKTE DER RECHTE DES GEISTIGEN EIGENTUMS, BGBl 1/1995. [13] Wieser, Patentgesetz – Gebrauchsmustergesetz Kommentar (2016) § 1 PatG III B. [14] Vgl. Rubik, CUBED – Der Zauberwürfel und die großen Rätsel dieser Welt(2020) 98: Rubik bezeichnete den Würfel als sein „geistiges Kind“ und als Kulturgut (S 109); Für die Einverständniserklärung zur Nutzung seines Namens für den Würfel erhielt er von der Ideal Tox Corporation eine Entschädigung von einem (!) Dollar; Schulze, Ein Mann und das 43-Trillionen Projekt, Süddeutsche Zeitung GmbH vom 31.01.2020. < https:// www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rubikzauberwuerfel-1.4777930 > [15] Der deutsche Rekord im „Speedcubing“ liegt bei 11,74 Sekunden. Vgl Stolz, Die Rückkehr des Zaubers, ZEITONLINE 15.01.2009; um den Würfel mit Füßen zu lösen, benötigt der Rekordhalter 16,96 Sekunden. Vgl Zauberwürfel ist doch keine geschützte Marke, ZEITONLINE 24.10.2019. [16] RIS-JUSTIZ RS0076423. [17] Bundesgesetz über das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Kunst und über verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz), BGBl 111/1936 idF BGBl I 105/2018. [18] Salomonowitz in Kucsko/ Handig(Hrsg), urheber.recht2 § 23 UrhG Rz 3ff. [19] WELTURHEBERRECHTSABKOMMEN, BGBl 108/1957; revidierte Fas-sung am 24. Juli 1971 in Parin, BGBl 293/1982. [20] Die Vereinigten Staaten sind dem WUA im Jahr 1982 beigetreten. [21] China ist dem WUA im Jahr 1993 beigetreten. [22] Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9. September 1886 *), vervollständigt in Paris am 4. Mai 1896 *), revidiert in Berlin am 13. November 1908 *), vervollständigt in Bern am 20. März 1914 *) und revidiert in Rom am 2. Juni 1928 **), in Brüssel am 26. Juni 1948 ***), in Stockholm am 14.

Juli 1967 ****) und in Paris am 24. Juli 1971, BGBl 319/1982. [23] Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Vereinigtes Königreich jeweils seit 1982. [24] OGH 10.07.1984, 4 Ob 337/84: Art XVII WUA (Genf): Gem lit b der Zusatzerklärung zu diesem Art werden "verbandseigene" Werke der RBÜ - ds alle Werke, deren Ursprungsland ein Verbandsland dieser Übereinkunft ist - in den Verbandsländern der RBÜ, die gleichzeitig Vertragsstaaten des WUA sind, ausschließlich nach der RBÜ geschützt. Der Urheber eines solchen Werks kann sich im Geltungsbereich der RBÜ nicht auf das WUA berufen, sondern nur den Schutz nach der RBÜ in Anspruch nehmen. [25] OGH 29.06.1982, 4 Ob 413/81. [26] Rubik, CUBED – Der Zauberwürfel und die großen Rätsel dieser Welt 152: „Obwohl ich für die Farben und das Design verantwortlich bin, existiert [der Cube] als Kunstwerk in einer ganz eigenen Sphäre, irgendwie unabhängig von mir […] in diesem Bereich ist der Cube deshalb ein Kunstwerk, weil er eine Art Perfektion besitzt.“ [27] OGH 07.04.1992, 4 Ob 36/92; OGH 15.11.1988, 4 Ob 76/88, MR 1989,99 (Walter). [28] OGH 10.07.1984, 4 Ob 337/84. [29] OGH 10.07.1984, 4 Ob 337/84. [30] OGH 04.09.2007, 4 Ob 62/07g.

Autor: Prof. Dr. Gunter Nitsche (of Counsel): Juristisches Studium an der Karl Franzens Universität in Graz; seit 1988 Gastprofessor an der Technischen Universität Graz; ständiger Berater der Stadt Graz; Vortragender für die Rechtsanwaltskammer, die Kammer der Notare und die Kammer der Wirtschaftstreuhänder; Funktionen als Mitglied des Vorstandes mehrerer Privatstiftungen und als Mitglied des Aufsichtsrates mehrerer Aktiengesellschaften; seit 2009: Of Counsel bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH

Prof. Dr. Gunter Nitsche Gastprofessor an der TU Graz

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