WINGbusiness Heft 03/2023

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Leadership & Strategy

Strategic Leadership: Führungseffektivität durch Orchestrierung der Leadership Value Chains 6

Führung im Zeitalter einer volatilen, unsicheren, komplexen und unklaren Umgebung 14

Hybride Teams:

Freiheit braucht Regeln

Vorteile maximieren, Nachteile minimieren 20

ISSN 0256-7830; 56. Jahrgang, Verlagspostamt A-8010 Graz; P.b.b. 02Z033720M 3/23

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Leadership & Strategy

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Güttel

Professor für Leadership & Strategy am Institut für Managementwissenschaft, TU Wien und Dekan der TU Wien Academy for Continuing Education

Liebe Leserinnen und Leser, in turbulenten Zeiten sind Unternehmen besonders gefordert, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Sie müssen einerseits ihr Kerngeschäft profitabel halten, nach Effizienz und Qualität streben, um Wettbewerbsvorteile zu sichern oder zu erlangen. Andererseits bedarf es Investitionen in die Zukunft, um mit neuen Produkten oder Geschäftsmodellen wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir als Forschungsgruppe Leadership & Strategy am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien bezeichnen diese Herausforderung als Strategic Change. Exploitative, auf Effizienz gerichtete Aktivitäten müssen im Unternehmen mit explorativen Maßnahmen zu Capability Development und Innovation strategisch balanciert werden. Der Change wird strategiegeleitet.

Führungskräfte auf allen Ebenen nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein. Sie müssen wachsam in die Zukunft blicken, um Chancen und Gefahren für ihre Verantwortungsbereiche zu erkennen. Sie sind gefordert Entscheidungen über wahrgenommene Innovations- und Veränderungsideen zu treffen; denn nur wenige Ideen sind reif für die Umsetzung. Schließlich sind Führungskräfte in der Verantwortung mit ihren Teams mittels strategischer Initiativen Innovation und Wandel konsequent umzusetzen: Leading Strategic Change!

Innovation und Wandel werden in vielen Fällen durch Technologien getrieben. Unternehmensbeispiele zeigen, wie eng Erfolg und Misserfolg bei Entwicklung und Umsetzung von technologischen Entwicklungen auseinanderliegen können. Aus diesem Grund ist besonders für technische Universitäten und Hochschulen bedeutsam, dem Zusammenspiel aus Technologie, Strategie und Leadership, wie in diesem WING Business-Heft, Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

In diesem Heft zeigen Wolfgang Güttel und Astrid Kleinhanns-Rollé mit ihrem Beitrag, dass fachliche, methodische und soziale Fähigkeiten von Führungskräften nicht ausreichen, um Unternehmen durch den strategischen Wandel zu führen. Führungskräfte benötigen zusätzlich strategisch-konzeptionelle Fähigkeiten, um durch das situationsspezifische Aktivieren der Leadership Value Chains (Execution als Issue Value Chain zur inhaltlichen Ausrichtung, Engagement als People Value Chain zur sozialen Integration, Enhancement als Development Value Chain zur strategisch-konzeptionellen Weiterentwick-

lung) ihre Verantwortungsbereiche mit den dort agierenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern operativ managen und strategisch in die Zukunft führen zu können. In einem weiteren Beitrag betont Bernd Kögler, dass Führung in einer volatilen, unsicheren, komplexen und unklaren Umwelt, in der sich Unternehmen aktuell befinden, eine noch zentralere Rolle einnimmt, aber gleichzeitig mit höherer Komplexität konfrontiert ist. Dazu beschreibt der Beitrag die Methodik des „Führungskompasses“ zur persönlichen Orientierung und das „Pipeline-Modell“ zur Unterstützung einer transparenten Realisierung von Veränderungsvorhaben. Es ist jedoch nicht nur Führung, sondern besonders auch Teamarbeit durch den zunehmenden Einsatz von Technologien grundlegenden Veränderungen unterworfen, wie Martina Hartner-Tiefenthaler und Kolleginnen sowie Kollegen in ihrem Beitrag verdeutlichen. Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit zeigt sich besonders durch die Etablierung von Homeoffice und der daraus resultierenden hybriden Teamarbeit. In einer randomisierten kontrollierten Studie bei Audi beschäftigten sich die Autorinnen und Autoren mit dem Effekt von gemeinsam getroffenen Vereinbarungen für die Zusammenarbeiten in hybriden Teams. Martin Gersch und Kollegen greifen in ihrem Beitrag mit Datenökonomie ein weiteres zentrales Thema für Organisationen in einem digitalen Zeitalter auf. Im Fokus des Beitrags steht, der im Mai 2022 veröffentlichte, erste domänenspezifische Entwurf zur Regulierung der zukünftigen Datenökonomie “European Health Data Space“ (EHDS). Dabei beleuchtet der Beitrag Gaia-X als möglichen Tech-Stack des zukünftigen EHDS und diskutiert die Aktualität dieses Gestaltungsversuches sowie die Implikationen einer sich verändernden Gesundheitsdatenökonomie als Innovationsfeld für neue Geschäftsmodelle. Abschließend adressiert der Beitrag von Walter Schwaiger und Gerhard Weinhofer potenzielle Risiken für Unternehmen. Konkret beleuchten die Autoren das Ausfallrisiko von Unternehmen mit der GesmbH-Rechtsform sowie die Wirksamkeit von Covid19-Stützungsmaßnahmen. Dabei erörtern sie die Analysemethode „Event Study-Ausfallanalysen“.

Besonderer Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forschungsbereichs für Leadership & Strategy der TU Wien, die in vielfacher Weise die Zusammenstellung des Heftes unterstützt haben. Bedanken möchten wir uns bei den Gutachtern der Beiträge. Ohne konstruktives Feedback in Form kollegialer Unterstützung wären nur wenige Beiträge von selbst so ausgereift. Großer Dank gilt den Autorinnen und Autoren für ihr Engagement bei der Überarbeitung der Beiträge. Schließlich möchten wir uns als Newcomer noch für die großartigen Unterstützung von Ulrich Bauer und Beatrice Freund bedanken, die uns immer mit Rat und Tat weitergeholfen haben.

Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir abschließend einen guten Start in den Herbst sowie ins neue Jahr, wo wir hoffen, dass es weniger turbulent verläuft als die letzten Jahre!

Wolfgang Güttel und Ihre Nicole Lettner

3 WINGbusiness 3/2023 EDITORIAL
Ihr

TOP-Thema: Leadership & Strategy

4 WINGbusiness 3/2023
Wolfgang H. Güttel, Astrid Kleinhanns-Rollé Strategic Leadership: 6 Führungseffektivität durch Orchestrierung der Leadership Value Chains Bernd Kögler Führung im Zeitalter einer volatilen, unsicheren, komplexen und unklaren Umgebung 14 Herausforderungen und potenzielle Lösungsansätze für das Gelingen von Transformationen Martina Hartner-Tiefenthaler, Miriam Baumgärtner, Carina Behrends, Stephan Böhm, Tarek Carls, Denise Mathieu Hybride Teams: Freiheit braucht Regeln 20 Vorteile maximieren, Nachteile minimieren Martin Gersch, Tim Schurig, Arthur Kari Europäische Datenräume als öffentliche Güter und Wettbewerbsvorteil: 10 Jahre zu spät oder gerade noch rechtzeitig?! 26 Walter S.A. Schwaiger, Gerhard M. Weinhofer Ausfallrisiko von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GesmbH): Messung der Häufigkeit (Wahrscheinlichkeit) des Ausfalls via Bilanzdaten und Event Study-Ausfallanalyse 32
5 WINGbusiness 3/2023 Inhaltsverzeichnis EDITORIAL Leadership & Strategy 3 UNINACHRICHTEN Marion C. Unegg IIM Alumni Reunion: Ein Rückblick auf das Event 19 Marion C. Unegg Innovation Gala 2023 am IIM-Institut 24 17 Jahre Product Innovation an der TU Graz WINGNET Jörg Kowollik Neues vom WINGnet Graz 13 IMPRESSUM Impressum 37

Strategic Leadership:

Führungseffektivität durch Orchestrierung der Leadership Value Chains

Einleitung

Strategic Leadership beschreibt die situative Orchestrierung von Führungsaktivitäten innerhalb der Leadership Value Chains, um den Verantwortungsbereich mit den dort agierenden Mitarbeitern operativ zu managen und strategisch in die Zukunft zu führen. Dazu reichen fachliche, methodische oder soziale Fähigkeiten nicht aus. Führungskräfte benötigen zusätzlich strategisch-konzeptionelle Führungsfähigkeiten. Im Kern ermöglicht Strategic Leadership die situativ passende Nutzung von drei Leadership Value Chains, die dazu dienen, dass eine Führungskraft ihre „Kraft“ zur Einflussnahme entfalten kann. Es hängt vom Mindset der Führungskraft ab, inwieweit sie in ihren Führungsaktivitäten tatsächlich strategisch vorgeht, um das Potenzial der Leadership Value Chains zu aktivieren. Dazu unterscheiden wir mit Execution die Issue Value Chain zur inhaltlichen Ausrichtung, mit Engagement die People Value Chain zur sozialen Integration sowie

mit Enhancement die Development Value Chain zur strategischen Weiterentwicklung des gesamten Verantwortungsbereichs. Alle drei Leadership Value Chains dienen dazu, dass jene Themen effektiv abgearbeitet werden, für die letztlich die Führungskraft die Verantwortung trägt. Tragfähige Arbeitsbeziehungen und ein gut entwickeltes Team dienen als Basis. Schließlich sind punktuell Impulse für die Gestaltung der Zukunft zu setzen.

Strategic Leadership

Führungskräfte sind in der Verantwortung, die operative Performance in ihren Bereichen zu gewährleisten und ausreichend in die Weiterentwicklung zu investieren (Helfat & Martin 2015, Güttel & KleinhannsRollé 2021). Dazu dienen drei Leadership Value Chains. Die Issue Value Chain Execution als Kernprozess sorgt dafür, dass jene Issues erledigt werden, die notwendig sind, um die operativen und strategischen Ziele des Verantwortungsbereichs zu errei-

chen (Effektivierung des Leistungsprozesses). Die People Value Chain Engagement als sozialer Unterstützungsprozess dient dazu, den Execution-Prozess mit hohem Energie-Level durch die Gestaltung motivationaler Rahmenbedingungen aufzuladen (Energetisierung des Leistungsprozesses). Schließlich dient die Development Value Chain Enhancement dazu, dass die persönlichen Fähigkeiten sowie der Verantwortungsbereich der Führungskraft auf Team- und organisationaler Ebene kontinuierlich weiterentwickelt werden, um den Anforderungen eines komplexen und dynamischen Wettbewerbsumfeldes zu entsprechen (Entwicklung des Leistungsprozesses) (Abb. 1). Dadurch wird in Summe die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sichergestellt, da die Aufgaben erledigt und eine evolutionäre und kontinuierliche Anpassung an sich wechselnde Wettbewerbsbedingungen gesichert wird. Strategic Leadership basiert auf der orchestrierten Nutzung der vier grundlegenden Fähigkeiten (Güttel & Kratochvil 2021) von Führungskräf-

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Foto: ©peterschreiber.media – stock.adobe.com

ten. Für die zielgerichtete Bearbeitung von Issues und die Umsetzung in operative Ergebnisse entlang der Issue Value Chain (Execution) sind fachliche und methodische Fähigkeiten (u.a. Managementmethoden der Planung, Organisation und Kontrolle) notwendig. Die soziale Integration der Mitarbeiter zu einem leistungsfähigen Team entlang der People Value Chain (Engagement) wird über die sozialen Fähigkeiten (u.a. Kommunikations-, Konfliktlösungs-, Kollaborationsfähigkeiten, Empathie) gewährleistet. Für die strategische Weiterentwicklung des Verantwortungsbereichs entlang der Development Value Chain (Enhancemen t) müssen strategisch-konzeptionelle Fähigkeiten (u.a. für Innovations-, Risiko-, Portfolio-, Changemanagement, kulturelle Transformation) zur Gewinnung sowie zur Analyse von Weiterentwicklungsimpulsen aktiviert werden.

Inwiefern Führungskräfte von ihren Fähigkeiten Gebrauch machen, hängt von ihrer Führungsidentität, der Auslegung ihrer Führungsrolle,

ab. Verstehen sie sich selbst primär als Fachexperten (in Führungsrolle), dann wenden sie sich vorrangig fachlichen Themen zu und vernachlässigen weitgehend ihre Management- und Führungsaufgaben (z.B. Planung, Organisation, Kontrolle sowie ständige Koordination, Kommunikation und Entscheidungsfindung). Vorhandene Führungsfähigkeiten werden kaum aktiviert. Sehen sie sich hingegen primär als Führungskräfte, werden sie sich den Managementund Führungsaufgaben zuwenden und bestrebt sein, den Verantwortungsbereich inhaltlich, sozial und strategisch gut auszurichten. Vorhandene Führungsfähigkeiten werden eingesetzt und eine maßgeblich größere Wirkung auf ihre Mitarbeiter und folglich auf die Aufgabenerledigung und Weiterentwicklung des Verantwortungsbereichs ausgeübt. Führungseffektivität resultiert daher aus den Führungsfähigkeiten und aus der Identität als Führungskraft (Abb. 2).

Leadership Value Chains

Die Leadership Value Chains beschreiben zusammenhängende Aktivitäten des Führungsprozesses. Zur Ermöglichung einer hohen Wirksamkeit der Führungsaktivitäten adressieren die Leadership Value Chains alle drei sozialen Ebenen, die als Kraftfelder Führungstätigkeiten zu verstärken vermögen: die individuellen Teammitglieder mit ihren Leistungspotenzialen (individuelle Ebene), das teamspezifische Leistungsvermögen, um die Potenziale gesamthaft für den Verantwortungsbereich zu nützen (Team-Ebene) und den organisationalen Leistungsrahmen, der sich in den strukturellen und organisations-

kulturellen Rahmenbedingungen abbildet (organisationale Ebene). Die Führungskraft ist gefordert, die Potenziale jeder Ebene zur Entfaltung zu bringen. Entlang der drei Value Chains ergeben sich somit unter Nutzung der drei Kraftfelder in Summe neun Führungsaktivitäten, die beschreiben, was eine Führungskraft inhaltlich und sozial im operativen und im strategischen Bereich tun soll, um aktiv Einfluss auf die Gestaltung ihrer Aufgaben und auf die Weiterentwicklung ihres Verantwortungsbereichs zu nehmen (Abb. 3).

Execution - Issue Value Chain: Ergebnisse erzielen!

Führungskräfte werden in Organisationen eingesetzt, um strategische bzw. operative Ziele umzusetzen (Execution). Zusätzlich zu den strategischen Zielen des Unternehmens gilt es auch, laufend und oft überraschend entstehende Issues (Aufgaben und Themen) aus den operativen Aktivitäten oder aber aus den Überlegungen zur Weiterentwicklung des Verantwortungsbereichs aufzugreifen. Diese Vielzahl an Issues muss im Blick behalten und meist unter knappen Ressourcen –Zeit, Personal, Budget und vor allem Aufmerksamkeit der Führungskraft – erledigt werden. Die Issue Value Chain umfasst drei Aktivitäten, deren effektive Ausführung notwendig ist, um die für die Zielerreichung notwendigen Issues effektiv und effizient umzusetzen: Prioritizing, Assigning und Tracking

Die Kernaufgabe von Führungskräften ist definiert durch ihre Ziele und die Vielzahl an Issues, die effektiv erledigt werden müssen. Je klarer Führungskräfte diese formulieren und in

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Abb. 1: Strategic Leadership Abb. 2: Strategic Leadership, Führungsfähigkeiten & Führungsidentität

operationalisierbare Aufgaben oder Issues herunter brechen, desto wirksamer dienen sie als Ausgangsbasis jeder Führungstätigkeit. Dabei ist wichtig, dass die gesetzten Ziele in die übergeordneten Unternehmensoder Teamziele eingebettet sind und zur Gesamtstrategie und Vision beitragen (Ates 2019). Durch die Begrenztheit von Ressourcen und ihrer eigenen Aufmerksamkeit sind Führungskräfte ständig gefordert, Ziele und Issues (Aufgaben und Themen) zu priorisieren, um ein effektives Arbeiten zu ermöglichen (Prioritizing) (Covey 2015). Die Führungskraft muss im Zielsystem Klarheit für sich und nachgelagert für das Team schaffen, um ein konsistentes und konsequentes Planen und Umsetzen zu ermöglichen. Dadurch wird jedem einzelnen Teammitglied die Prioritätenreihung bewusst und kann als Handlungsmaxime dienen. Sind die Ziele und Prioritäten klar, ist die Zuweisung der Issues das Kernstück des situativen Führens (Assigning) (Yukl 2012, 2019). Die Zuweisung muss so erfolgen, dass für die Führungskraft und jedes Team-Mitglied klar ist, wer im Team die Verantwortung für die Ausführung der Aufgaben bzw. Umsetzung der Ziele trägt. Durch die Bündelung in Rollen werden für die Teammitglieder die Verantwortungsbereiche mit Entscheidungskompetenzen transparent gemacht. Sobald Issues von verschiedenen Teammitgliedern umgesetzt werden, müssen Führungskräfte die Bearbeitung

dieser Issues und deren Fortschritt im Auge behalten (Tracking) (Vercic & Zerfass 2016). Am besten gelingt dies, indem sie strukturierte formalisierte Kommunikationssysteme (z.B. Meeting-Strukturen) schaffen und die Issues auf die passenden Agenden setzen, um darüber die Umsetzung der zugewiesenen Ziele und Aufgaben nachzuverfolgen, bei StatusUpdates unterstützend zur Seite zu stehen und die Erreichung zu kontrollieren. Schließlich hat die Führungskraft auch die Verantwortung, effektive operative, strategische und administrative Prozesse zu etablieren und deren allgemeine Anwendung zu „tracken“.

Engagement - People Value Chain: Mitarbeiter einbinden!

Der Fokus auf Ziele und Aufgaben ist wichtig, doch wenn die soziale Ebene nicht ausreichend berücksichtigt wird, leidet die Bearbeitung der Issues fundamental. Letztlich üben Menschen in ihrer Rolle als Mitarbeiter die Issue Value Chain aus. Deren motivationale Grundhaltung auf individueller Ebene sowie ihre zwischenmenschlichen Beziehungen sind entscheidend, wie Issues abgearbeitet werden. Führungskräfte müssen motivationale Rahmenbedingungen für jedes einzelne Teammitglied gestalten, ihre Teams gut (weiter)entwickeln sowie ein auf Partizipation und Leistung gerichtetes Wertefundament aufbauen, um die Leistungspoten-

ziale der Mitarbeiter für die gemeinsame Zielerreichung zu aktivieren: Energizing, Connecting und Encouraging. Motiviert arbeiten entfesselt Energie (Energizing). Doch Motivation kann nicht verordnet werden, sie muss durch passende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Abhängig von der Persönlichkeit mit den individuellen Präferenzstrukturen führen unterschiedliche Motive dann zur Motivation, wenn sie durch die Führungskraft passend angesprochen werden (Energizing) (Deci et al. 1999). Teammitglieder, die ihre Arbeit zudem bedeutungsvoll und sinnstiftend erleben, sind motivierter und engagierter. Aufgabe der Führungskraft ist es daher, individuell zugeschnittene Rahmenbedingungen zu gestalten, in denen sich Motivation für sich selbst und jedes Teammitglied entfaltet.

Vertrauen legt die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit. Der Aufbau einer tragfähigen, vertrauensvollen und zwischenmenschlichen Arbeitsbeziehung zu jedem Teammitglied sowie die (Weiter)Entwicklung eines kohäsiven Teams mit starkem sozialem Zusammenhalt bilden die Voraussetzung, dass die Ziele des Bereichs arbeitsteilig erreicht werden können (Connecting) (Edmondson 2012). Gefühle der Verbundenheit und der Zugehörigkeit beeinflussen maßgeblich die Produktivität von Teams und basieren auf dem Wissen über die motivationalen Bedürfnisse jedes einzelnen Mitarbeiters und über die Konstitution des Teams in Bezug auf Persönlichkeitscharakteristika und Fähigkeiten. Die Schaffung von Kohäsion durch Teamentwicklungsaktivitäten auf der sozialen Ebene ist eine zentrale Führungsaufgabe bei der Steuerung von Teamprozessen. Schließlich braucht es ein Wertefundament, das ausreichend psychologische Sicherheit gewährt, um trotz unterschiedlicher Wertvorstellungen eine Zusammenarbeit zu sichern. Die gleichgewichtige (d.h. gleichberechtigte bzw. gleichverteilte) und psy-

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Abb. 3: Leadership Value Chains mit neun Führungsaktivitäten

chologisch sichere Einbindung der Mitarbeiter in die kommunikativen Prozesse im Team ist essenziell für den Teamerfolg (Encouraging) (Edmondson 1999). Die Teammitglieder gleichen ihre Bewertung von Partizipation in Meetings, Einbringung von Ideen, Arbeitsleistung, Kundenorientierung, oder Umgang mit Fehlern untereinander ab und setzen auf Teamebene als soziale Normen vorschreibende Erwartungen und Ansprüche an das Verhalten aller Teammitglieder. Diese Leistungsnormen wirken insbesondere bei kohäsiven Teams stark auf ihre Produktivität und müssen daher proaktiv von der Führungskraft gestaltet und gesteuert werden, um die Leistungspotenziale des Teams ausschöpfen zu können.

Enhancement – Development Value Chain: Weiterentwicklung fördern!

In den komplexen und dynamischen Umfeldbedingungen des globalen Wettbewerbs reicht die Gewährleistung operativer Exzellenz in der Gegenwart nicht aus, um auch in Zukunft Wettbewerbsvorteile zu halten und neue zu erringen. Unternehmen insgesamt benötigen intern eine evolutionäre Dynamik, die ein ständiges Verbessern, Verändern, Lernen und Innovieren zulässt und fördert. Führungskräfte sind gefordert, proaktiv neue Marktchancen und strategische Handlungsspielräume zu erkennen, diese über definierte Entscheidungsmuster zu ergreifen und über strategische Initiativen oder Wandelprozesse wirksam werden zu lassen (Teece 2007, Helfat & Martin 2015): Sensing, Seizing und Reconfiguring.

Führungskräfte sind gefordert, dass sie Weiterentwicklungsoptionen in Form von Chancen oder -notwendigkeiten durch das Vorsorgen gegenüber Bedrohungen erkennen (Sensing). Sensing beschreibt das Beobachtungsmuster der Führungskraft, in welchen Umfeldern sie nach Chancen und Gefahren sucht (d.h. wie weit der Suchraum vom Kerngeschäft bzw. des Aufgabenbereichs im Unternehmen entfernt ist) und wie weit sie in die Zukunft blickt (d.h. mit welchen Zukunftstrends sie sich in zeitlicher Dimension beschäftigt). Die Impulse zur Weiterentwicklung können aus eigenen Aktivitäten durch

Medienkonsum, durch Gespräche mit Kunden oder Lieferanten oder dem Engagement in Netzwerken resultieren. Gespräche mit Teammitgliedern liefern gleichermaßen Ideen und Einsichten für die Weiterentwicklung des eigenen Verantwortungsbereichs bzw. des Unternehmens insgesamt. Die Suche nach Neuerungsideen benötigt jedenfalls Zeit und steht meistens im Widerspruch zu operativen Ansprüchen oder teamspezifischen Aktivitäten. Deshalb ist auch die Frage nach der Zeit, die für Suche und Verarbeitung der unterschiedlichen und oft mehrdeutigen Signale aus dem Umfeld gewidmet wird, relevant, um die Zukunftsorientierung der Führungskraft beurteilen zu können. Sensing beschränkt sich im Idealfall aber nicht nur auf die Aktivität der Führungskraft. Die Teammitglieder sollten sich, abhängig vom Tätigkeitsbereich, ebenfalls kontinuierlich mit Weiterentwicklungsmöglichkeiten auseinandersetzen. Um die verschiedenen Impulse im Team verarbeiten zu können, liegt es an der Führungskraft in Form von Meetings (z.B. bei Strategieklausuren oder bei Debriefings) Raum für die kollektive Auseinandersetzung mit Chancen und Gefahren aus dem Umfeld zu schaffen. Nur dann wird es möglich werden, die vielen Ideen und Informationen im Team im Sinne eines kollektiven Sensemaking (Weick et al. 2005) einzuordnen und verarbeitbar zu machen, um ein Bild über die Zukunft zu gewinnen (Konlechner et al. 2019). Die Entscheidung über Weiterentwicklungsmöglichkeiten bzw. -notwendigkeiten, d.h. über den Umgang mit den Ergebnissen des Sensing, wird durch die Führungskraft getroffen (Seizing). Sie kann entweder unmittelbar Neuerungsimpulse aufgreifen, ignorieren oder ablehnen bzw. im Team einen kollektiven Diskussionsprozess darüber in die Wege leiten. Bauchentscheidungen (Gigerenzer 2007), d.h. erfahrungsbasierte Vorgehensweisen, prägen oftmals den Umgang mit Veränderungs- und Innovationsideen am Beginn des Entscheidungsprozesses. Im Zuge einer Konkretisierung der Neuerungsoptionen kommen nachfolgend in vielen Unternehmen rationale Kriterien (z.B. Return of Investment-Rechnungen, Stage gates in Innovations-

prozessen) bei Entscheidungen zum Einsatz. Beiden Entscheidungsmustern liegen aber implizit und explizit Kriterien zu Grunde, die letztlich darüber entscheiden, welche Optionen diskutiert und für die Umsetzung in Form von strategischen Initiativen, Change- oder Innovationsprojekten vorgesehen werden. Führungskräfte sollten sich daher punktuell mit jenen Kriterien auseinandersetzen, die sie anwenden und deren Funktionalität in Bezug auf die Dynamik des Umfeldes hinterfragen und bei Bedarf modifizieren. Auf Ebene des Teams können in diesem Zusammenhang sowohl die Entscheidungsprozesse als auch die angewandten Kriterien hinterfragt werden. Je nach Situation können Alleinentscheidungen durch die Führungskraft (z.B. bei Krisen und Zeitknappheit) oder kollektive Entscheidungsprozesse im Team (z.B. wenn Akzeptanz im Team wichtig ist) durchgeführt werden. Führungskräfte sollten diesbezüglich situationsspezifisch passende Formen der Entscheidungsfindung über Innovations- und Changeprojekte anwenden und sich alleine bzw. auch im Team Klarheit über angemessene Entscheidungskriterien schaffen.

Die Gestaltung der Umsetzung der Weiterentwicklungsinitiativen (Reconfiguring) resultiert aus den Fähigkeiten der Führungskraft (Helfat & Martin 2015). Innovations- und Veränderungsprojekte sind deshalb so komplex, weil sie von der Führungskraft umfänglich die Anwendung ihrer Fähigkeiten abverlangt. Sie müssen ihre strategisch-konzeptionellen Fähigkeiten nutzen, um die Architektur für das Projekt inhaltlich, methodisch, sozial und zeitlich gut aufzusetzen, und unterschiedliche Entwicklungsszenarien berücksichtigen, da beim dynamischen Zusammenspiel vieler, auch unbekannter, Variablen im Umsetzungsprozess mit Überraschungen zu rechnen und ein lineares Vorgehen nahezu ausgeschlossen ist. Führungskräfte müssen zudem fachlich die Kompetenz haben, sich in neue Materien einzuarbeiten, methodisch in der Lage sein, gute Strukturierungs- und Komplexitätsreduktionsmechanismen einzusetzen, um den Überblick im Projekt zu wahren und sich auch auf der sozialen Ebene mit den individuellen

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und kollektiven Dynamiken im Team auseinanderzusetzen. Jede Veränderung bzw. Innovation bricht mit bestehenden Mustern und führt daher potenziell zu Machtverschiebungen und Konflikten. Im Idealfall verfügt auch das Team über Kompetenzen zum operativen Management von Veränderungen, d.h. wie Veränderungsprojekte inhaltlich, sozial und zeitlich gestaltet werden (Königswieser & Exner 2006). Auch im Aufsetzen von Veränderungsarchitekturen wird einem Anspruchsniveau gefolgt, das von tiefer Reflexion der Hintergründe, Szenarien und Möglichkeiten für die Ausgestaltung bis zu hemdsärmeligen und kurzsichtigen Entscheidungen mit einem sehr begrenzten Methodenrepertoire reicht. Es hängt von der Positionierung des Unternehmens bzw. des Bereichs ab, wie viel Innovations- und Change-Know-how notwendig ist, um schnell und effektiv Neuerungsprojekte umzusetzen.

Ebenen und Formen der Weiterentwicklung

Um mit einer dynamischen und vielfältigen Wettbewerbsumgebung mitzuhalten, ist neben der Entwicklung von externen Chancen auch die Weiterentwicklung des eigenen Verantwortungsbereichs essenziell. Jede Führungskraft hat daher die Aufgabe, die Ausführung der Value Chains zu analysieren und daraus Weiterentwicklungsimpulse abzuleiten. Die Reflexion – auch mithilfe systematischer Assessments – dient als Ausgangspunkt für die Ableitung von Weiterentwicklungsimpulsen. Schließlich kann auch die Form der Weiterentwicklung selbst gleichermaßen reflektiert und optimiert werden, indem entweder kleine Verbesserungen bei der Gestaltung von Lernprozessen gefunden werden (z.B. bessere Debriefings oder Innovationsmeetings) oder grundlegend das Lernniveau erhöht werden muss (z.B. Ausweitung des Suchfeldes für neue Ideen über die Branchengrenzen hinaus, völlige Neugestaltung des Innovationsprozesses durch Dezentralisierung). Die evolutionäre Kraft durch Enhancement ist auf individueller (Individual Development), Team- (Team Development) und organisationaler Ebene (Organizational Development) möglich.

Individuelle Entwicklung betrifft sowohl die Führungskraft selbst als auch die einzelnen Teammitglieder (Individual Development). Ausgangspunkt jeder Entwicklungsmaßnahme ist die Analyse der Ausgangssituation in Bezug auf die Ausprägung der fachlichen, methodischen, sozialen und strategischkonzeptionellen Fähigkeiten gemäß dem aktuellen und zukünftigen Anforderungsspektrum und Karriereoptionen (Mumford et al. 2000). Die Wahrnehmung und Bewertung von Situationen zur Ableitung geeigneter Führungsaktivitäten basiert auf individuellen Grundannahmen und Überzeugungen (Mindset). Es benötigt daher regelmäßige persönliche Reflexion sowie regelmäßiges Feedback von außen, damit Führung über persönliche Entwicklung ihre Wirkung entfalten kann. Bei der Entwicklung des Teams (Team Development) steht ebenfalls ein Assessment am Beginn der Entwicklungsplanung, das sich sowohl auf inhaltliche Dimensionen als auch auf die Phasen der Gruppenentwicklung (z.B. Forming, Storming, Norming, Performing) beziehen kann (Titscher, & Stamm 2012). Im Execution -Bereich sind Klarheit in Bezug auf Ziele, Rollen und Prozesse zu hinterfragen. Auf der Engagement-Ebene richtet sich die Analyse auf das Vorhandensein eines sinnstiftenden Bezugsrahmens, von Vertrauen sowie eines Wertefundaments mit ausreichender psychologischer Sicherheit. Schließlich kann die Form der Weiterentwicklung im Team (Enhancement) untersucht werden. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Organisation (Organizational Development), d.h. der Strukturen und Prozesse auch in Bezug auf Meetings, dient als weiterer Bereich, um Effektivität und Effizienz im eigenen Verantwortungsbereich zu steigern (Vercic & Zerfass 2016). Hierbei ist die Funktionalität der Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen auf Team- und auf individueller sowie auf strategischer und auf operativer Ebene zu hinterfragen. Dies betrifft die inhaltliche Dimension (Execution) der Meetings (z.B. Klarheit und Konsistenz der Informationen, Interaktion und Dokumentationen), die soziale Dimension (Engagement ; z.B. Vertrauen, Par-

tizipation und Transparenz) sowie die Weiterentwicklung in Form innovations- und entwicklungsoffener Strukturen (Enhancement). Daraus können jeweils Weiterentwicklungsoptionen abgeleitet werden, die kontinuierlich dazu dienen können, dass der Verantwortungsbereich optimiert wird, um Zielerreichung (Execution bzw. die inhaltlichen Aspekte zu Kommunikation), Zusammenarbeit (Engagement bzw. die Akzeptanz der Kommunikation) und Entwicklung (Enhancement) zu verbessern.

Situative Führung entlang der Leadership Value Chains

Für die situative Schwerpunktsetzung in der Orchestrierung der Leadership Value Chains braucht es die Einbeziehung von Umfeldkriterien (Hansen et al. 2019; Abb. 4). Unterschiedliche Wettbewerbsumfelder bedingen ein verschiedenartiges Ausmaß an Ausrichtung (Stabilität) bzw. Flexibilität im organisationalen Design und Innovationsverhalten (inkrementelle oder radikale Innovationen) (Eisenhardt & Martin 2000, Gibson & Birkinshaw 2004, Tushman & O’Reilly 2021).

In stabilen bzw. moderat dynamischen Umfeldbedingungen basiert Erfolg auf einer klaren Ausrichtung der Organisation durch die Nutzung detaillierter Prozessvorgaben, mit denen Stabilität und Berechenbarkeit gesichert wird (z.B. im Lebensmitteleinzelhandel oder Prozesse in der Luftfahrt). Execution steht unter diesen Umfeldbedingungen im Vordergrund, um durch klare Zielvorgaben, eine stabile Aufgabenverteilung und einer wirkungsvollen Kontrolle die Erfolgspotenziale der Organisation wiederkehrend nutzen zu können. Hoch dynamische Umfeldbedingungen, die das ständige Streben nach radikalen Innovationen bedingen (z.B. in Forschung & Entwicklung oder im Bereich völlig neuer Märkte), erfordern eine starke Betonung von Enhancement, um neue Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, schnell Weiterentwicklungsentscheidungen zu treffen und in der Umsetzung die Nutzung der Neuerung zu ermöglichen. Umfeldbedingungen können aber auch ein hohes Ausmaß an Flexibilität erfordern, ohne, dass radikale Inno -

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vationen angestrebt werden, wenn sich Kundenanforderungen schnell ändern, um innovative Technologien neue Geschäftsmodelle entstehen oder die Konkurrenz sehr rasch auf Marktveränderungen reagieren kann (z.B. Consulting-Industrie). In diesen dynamischen Wettbewerbsumfeldern wird vielfach ein hohes Ausmaß an Flexibilität durch losere Strukturen (z.B. Projektstrukturen in Beratungsunternehmen) benötigt, um erfolgreich gegenüber der Konkurrenz bestehen zu können. Dazu sind starke Ausprägungen gleichermaßen in Enhancement und in Engagement notwendig, um durch die hohe Bindung der Mitarbeiter, die über großes Hintergrundwissen verfügen müssen, um schnell neue Lösungen zu entwickeln, das notwendige Flexibilitätspotenzial zu erzeugen. Motivierte Mitarbeiter, ein gut geformtes Team mit einem hohen Ausmaß an Einbindungsmöglichkeiten für Ideen und Beiträge aller Teammitglieder ist hilfreich. Schließlich brauchen Umfelder (z.B. Pharmaindustrie) mit sowohl einem stabilen Kerngeschäft als auch einem Neuerungsbereich, der radikale Innovationen anstrebt, gleichermaßen Execution und Enhancement. Das Kerngeschäft muss mit einem hohen Ausmaß an Stabilität geführt werden, wohingegen in anderen Unternehmensbereichen radikale Innovationen angestrebt werden, um auch für die Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.

Situative Führung erfordert daher je nach Umfeldbedingungen eine unterschiedliche Nutzung der Leadership Value Chains. Führungskräfte sollten daher sensibel in der Wahrnehmung der jeweiligen Umfeldanforderungen

sein, um situativ passend ihr Verhalten zur Aktivierung der Leadership Value Chains verändern zu können. Die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer strategischen Führungskompetenz vergrößert dazu den Handlungsrahmen und steigert die Wirksamkeit der Führungsaktivitäten. Unternehmen sind auf situativ versierte Führungskräfte angewiesen, um in überraschungsreichen Umfeldbedingungen zu bestehen. Turbulenzen, Krisen oder Innovationssprünge treten immer auf und verändern Branchenspielregeln fallweise substanziell.

Conclusio

Effektive Führung trägt dazu bei, dass Mitarbeiter den kontinuierlichen Wandel kognitiv und emotional meistern können. Führungskräfte sind gefordert, dass sie sowohl die Execution der Ziele und Issues als auch das Engagement der Mitarbeiter beachten und sich ausreichend mit den Weiterentwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten (Enhancement) auseinandersetzen. Denn nur die kontinuierliche Weiterentwicklung auf individueller, Team- und organisationaler Ebene stellt sicher, dass sich alle Teile eines Unternehmens evolutionär innerhalb des strategischen Rahmens anpassen, um Bedrohungen abzuwenden oder proaktiv Chancen zu ergreifen. Je nach Wettbewerbsumfeld ist ein verschiedenartiges Ausmaß an Flexibilität im organisationalen Design und Innovationsverhalten gefordert.

Die situative Ausgestaltung und Ausführung der drei Leadership Value Chains trägt dazu bei, dass das Führungsverhalten den verschiedenartigen und sich ändernden Umfeldbedingungen entspricht. Strategic Leadership ermöglicht Führungskräften, dass sie ihre orchestrierenden Fähigkeiten einsetzen, um passend die Leadership Value Chains zu aktivieren, um ihre Verantwortungsbereiche mit den dort agierenden Mitarbeitern operativ zu managen und strategisch in die Zukunft zu führen.

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Autor:in

Univ.Prof. Dr. Wolfgang H. Güttel ist Professor für Leadership & Strategy am Institut für Managementwissenschaft an der TU Wien und Dekan der TU Wien Academy for Continuing Education. Sein Hauptforschungsgebiet ist "Leading. Strategic Change" und beschäftigt sich mit Führung, strategischem Wandel und Lernen im Zusammenhang mit neuen Technologien in komplexen und sich dynamisch entwickelnden Umgebungen.

Er ist in der Weiterbildung und Beratung von Führungskräften, Unternehmen und öffentlichen Organisationen tätig und berät sie im Umgang mit strategischem Wandel, d.h. in der Balance zwischen Effizienz im Kerngeschäft und der Schaffung von Innovationen für die Zukunft.

Zuvor war er an den Universitäten Linz, Kassel, Hamburg, Liverpool, Padua und der WU Wien tätig. Gastaufenthalte führten ihn an das King's College London, die Universität Genf und die RuhrUniversität Bochum. Vor seiner akademischen Laufbahn war er als Unternehmensberater in Stuttgart und Wien tätig. Seither unterstützt

er Unternehmen und Führungskräfte in Beratungsprojekten und Führungskräftetrainings mit dem Ziel, wissenschaftliches Managementwissen zur Lösung praktischer Herausforderungen in Entwicklungs- und Veränderungsprozessen einzusetzen.

Dr. Astrid Kleinhanns-Rollé ist Assistant Professor am Institut für Managementwissenschaften an der TU Wien (Leadership & Strategy Research Group). Als Managing Director begründete sie 2004 die WU Executive Academy der Wirtschaftsuniversität Wien mit und führte die Business School in 16 Jahren zu einem international anerkannten Anbieter von Management- und Führungskräfteentwicklung. Davor war sie als Unternehmensberaterin für die Strategieberatung Boston Consulting Group tätig.

Astrid Kleinhanns-Rollé verbrachte wissenschaftliche Forschungsaufenthalte an den Universitäten Harvard (Program On Negotiation), MIT Sloan School of Management (Leaders for Manufacturing Program) und der National University of Singapore (Center of Best Practices). Ihre Lehrund Forschungsaktivitäten umfassen die Bereiche Führung (Leading yourself, Leading teams), Leadership Development, Digital Leadership, Virtual Teams, Online Education and Learning. Ihr Doktorat in Wirtschaftswissenschaften erhielt sie von der Johannes Kepler Universität Linz in Kooperation mit der MIT Sloan School of Management.

Dr. Astrid

Professor für Leadership & Strategy am Institut für Managementwissenschaft, TU Wien und Dekan der TU Wien Academy for Continuing Education

Kleinhanns-Rollé Assistant Professor am Institut für Managementwissenschaften, TU Wien (Leadership & Strategy Research Group)

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Univ.Prof. Dr. Wolfgang Güttel

Neues vom WINGnet Graz

Vom 25. bis 30. April fand in Porto das halbjährliche Council Meeting von ESTIEM statt. Wir freuen uns dort durch unsere beiden Vorstandsmitglieder Paul Wirth und Jörg Kowollik als Delegates vertreten worden zu sein.

Sie konnten hier viele neue Kontakte im ESTIEM Netzwerk knüpfen und bestehende Partnerschaften ausbauen. Vor allem sind wir stolz auf ihr Engagement Wien im ESTIEM Netzwerk zu halten. Des Weiteren freuen wir uns auf die geplanten Events mit den Local Groups aus Paderborn, Deutschland und mit der Local Group Luleå, Schweden. Auch wurden beim Council Meeting viele wichtige Entscheidungen getroffen um ESTIEM in Zukunft noch attraktiver zu machen und mehr technisch-wirtschaftliche Studierende zu erreichen.

Besonders erwähnenswert ist auch noch das Zusammentreffen aller fünf Gründungsmitgliedern von ESTIEM (VWI ESTIEM Hochschulgruppe Dresden; VWI ESTIEM Hochschul-

gruppe TU Darmstadt; VWI-ESTIEM Hochschulgruppe Karlsruhe; Prodeko, Guild of Industrial Engineering and Management Helsinki; WINGnet / ESTIEM Graz). Die Gründungsväter von ESTIEM hätten sicher nicht erwartet wie gut sich das Netzwerk entwickelt und welchen Einfluss es mittlerweile in ganz Europa hat. Dementsprechend stolz sind wir, dass auch die EU den Nutzen des Netzwerks erkannt hat und ESTIEM kofinanziert. Im Rahmen der Veranstaltung ist das Bild mit den Local Groups der Gründungsmitglieder entstanden. (siehe Bild)

Wir freuen uns schon auf das nächste Zusammentreffen beim Council Meeting in Budapest Ende Oktober!

Ausblick für das Wintersemester 2023/24:

Im Wintersemester 23/24 sind wieder zahlreiche Events geplant, unter anderem steht ein Austausch

mit den Local Groups aus Luleå und Paderborn an. Einen Einblick in die Arbeitswelt sollen Exkursionen zum Verbund und zu Remus liefern. Außerdem sind Lookins geplant, für welche wir schon mit interessierten Firmen in Kontakt stehen.

Sollten auch Sie Interesse haben Ihr Unternehmen interessierten Studenten vorzustellen oder mit uns zusammen zu arbeiten können Sie gerne auf uns zukommen. Wir freuen uns jederzeit über Ihre Anfrage. Melden Sie sich gerne per Mail unter wingnet.graz@gmail.com.

13 WINGbusiness 3/2023 WINGNET
Fotos: Paul Wirth

Herausforderungen und potenzielle Lösungsansätze für das Gelingen von Transformationen

Das Umfeld, in dem sich Unternehmen heutzutage befinden, verändert sich viel häufiger und umfassender, als wir es in der Vergangenheit gewohnt waren. Die direkte Konsequenz der zunehmenden Volatilität („Volatility“) ist, dass zukünftige Entwicklungen viel schlechter prognostiziert werden können, Ursache und Wirkung weniger durchschaubar werden und Probleme teilweise scheinbar aus dem Nichts auftauchen („Uncertainty“). Daraus resultiert, dass die Qualität der Führung einen noch größeren Stellenwert erhält, diese aber auch um ein Vielfaches herausfordernder wird. Die zweite direkte Folgerung der Volatilität ist eine steigende Komplexität („Complexity“) für Unternehmen, die wiederum dazu führt, dass die Mehrdeutigkeit („Ambiguity“) von Situationen zunimmt: Informationen und Anforderungen können unterschiedlich gedeutet und interpretiert werden, was wiederum zu größerer Unsicherheit führt. Bild 1 verdeutlicht die Zusammenhänge zwischen Vola-

tilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit in Erweiterung des klassischen VUCA Konzeptes.

Es braucht somit die Fähigkeit der Führungskräfte, mit Unsicherheit umzugehen, und es braucht neue Strategien im Umgang mit der Komplexität. Dieser Beitrag beschreibt in Anlehnung an das Fachbuch „Die Digitale Transformation des Qualitätsmanagements - Potenziale nutzen, Strategien entwickeln, Qualität op -

timieren (Freisinger, Jöbstl, Kögler, Lipp, & Strohrmann, 2021) dazu die Methodik des „Führungskompasses“ zur persönlichen Orientierung und das sogenannte „Pipeline-Modell“, welches die Realisierung von Veränderungsvorhaben auf eine transparente Art und Weise unterstützt.

Je stärker die Ausprägungen im Umgang mit der Komplexität sind, desto wichtiger wird es, sich diesen Themen mit Offenheit und Kommu-

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Foto: AdobeStock
Bernd Kögler
Führung im Zeitalter einer volatilen, unsicheren, komplexen und unklaren Umgebung
Bild 1: VUCA – Zusammenhänge (Freisinger, Jöbstl, Kögler, Lipp, & Strohrmann, 2021)

nikation zu stellen und aktiv sowie flexibel mit der Veränderung umzugehen. Wir müssen dafür unsere Kreativität, Selbstorganisation und auch das bewusste Scheitern zulassen. Somit ist zukünftig nicht mehr alles für uns kontrollierbar und Vertrauen und das Zulassen vielfaltiger Denkund Sichtweisen wird mehr denn je zum absolut notwendigen Fundament der professionellen Zusammenarbeit. Es ist die Gelegenheit aus gemachten Fehlern zu lernen , die wir machen müssen, um die Komplexität zu meistern. Wichtig für das Gelingen sind jedenfalls Geduld und Mut zu neuen Wegen sowie die Fähigkeit, Feedback nicht nur zu geben, sondern auch aktiv annehmen zu können. Daraus entsteht eine iterative Vorgehensweise mit häufiger Möglichkeit zur Korrektur des eingeschlagenen Weges sowie den von uns getroffenen Entscheidungen. Agile Ansätze verbinden stärkere Vorbereitung mit höherer Flexibilität, also mehrere unterschiedliche Möglichkeiten einzubeziehen und weniger starr zu planen. Für die Mitarbeiterführung bedeutet das, dass Coaching als Unterstützung zur Selbsthilfe immer wichtiger wird. Für die Mitarbeitenden selbst bedeutet es, dass sie zukünftig mehr Verantwortung übernehmen dürfen und partnerschaftliche Kooperationen auch über Unternehmensgrenzen hinweg eine hohe Bedeutung erlangen werden. Je komplexer das Umfeld, desto wichtiger sind einfache Prinzipien und weniger detaillierte Regeln. (Güttel, 2021), (Güttel, Austrian Management Review: Volume 12 | 2022, 2022).

Zu berücksichtigen ist auch die Tatsache, dass die sogenannten „Digital Natives“ – also die Generation von Menschen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind, neue Erwartungen an ihre Unternehmen und an ihre Vorgesetzten haben, und dass es daher oftmals einen anderen Führungsstil braucht als für die sogenannten „Digital Immigrants“. Es wird den Digital Natives zugeschrieben, dass ihnen primär die Werte „Offenheit“, „Schnelligkeit und Agilität“, „persönliche Weiterentwicklung“, „Selbstwirksamkeit“, „globale Interaktion“ und „Work Life Balance“ wichtig sind. Die Werte der Menschen, die als Digital Immigrants

(primär vor 1970 geboren) bezeichnet werden, sind „Qualität“, „Sicherheit“, „Privatsphäre“ und „persönliche Beziehungen“. Man kann derartig pauschale Aussagen im Einzelnen kritisch hinterfragen, entscheidend ist aber, dass sich ein gewisser Gesamttrend zeigt, der dazu führt, dass sich die Führungskraft zukünftig auf Menschen mit unterschiedlichen Wertevorstellungen einzustellen hat. Um in diesem sich stark verändernden Umfeld den Überblick zu bewahren und Orientierung zu geben, kann ein sogenannter Führungskompass hilfreich sein. Ziel dieses Instruments ist es, den Wert der Führung bewusst zu machen und den Veränderungsprozess beim Thema Führung aktiv zu unterstützen. Der Führungskompass ist gedacht

„ als persönliches Steuerinstrument für Führungskräfte mitsamt ihren Führungsaufgaben.

„ für die Kommunikation der Führungskräfte mit den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten.

„ für die Präzisierung des Beitrages der Führungskraft, den sie für ihr Unternehmen und das Umfeld leistet.

„ für die persönliche Weiterentwicklung der Führungskraft.

Der Führungskompass wird individuell durch jede Führungskraft selbst angefertigt, wird Teil ihrer Grundhaltung und bildet damit das Fundament des täglichen Handelns. Die Grundlage jedes Führungskompasses bildet die strategische Ausrichtung des Unternehmens oder des eigenen Bereichs. Für die Führungskraft gilt es, die festgelegte Strategie (sozusagen die Ausrichtung gegen Norden) durch die Optimierung des Wertbeitrags des Teams und jeder einzelnen Person zu erreichen. Nun wirken aber auf die Kompassnadel unterschiedlichste Momente ein, welche die Führungskraft tendenziell daran hindert, ein nachhaltiges Gleichgewicht sicherzustellen. Nicht nur, dass die einwirkenden Kräfte in jedem Unterneh-

mensbereich unterschiedliche Größe aufweisen können, so haben sie zudem auch verschiedene Hebelarme und erzeugen demnach verschiedene Momente auf die Kompassnadel.

Für die Führungskraft stehen demnach wiederkehrend folgende Herausforderungen an:

„ Wie müssen die strategischen Ziele meines Bereichs aussehen, um der Unternehmensausrichtung zu genügen?

„ Welchen Wertbeitrag müssen wir leisten, um die Ziele unseres Bereichs zu erreichen?

„ Wie können wir die Exzellenz unseres Ergebnisses messen und geeignete operative Ziele und Kennzahlen ableiten?

„ Wie muss die Organisation hinsichtlich Kultur und Zusammenarbeit gestaltet sein, um ein sinnerfüllendes Erreichen der Ziele zu ermöglichen?

„ Welches Wissen und welche Kompetenzen sind im meiner Organisationseinheit erforderlich, um die vorgegebenen Ziele vollumfänglich erreichen zu können?

Im ersten Punkt beschäftigt sich die Führungskraft mit den strategischen Bereichszielen. Es geht dabei um die Beantwortung von Zukunftsfragen, wie etwa nach den langfristigen Zielen oder dem Zusammenspiel eigener Ziele mit jenen der übergeordneten

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Bild 2: Der Führungskompass (Freisinger, Jöbstl, Kögler, Lipp, & Strohrmann, 2021)

Einheiten. Anschließend wird der notwendige Wertbeitrag der Organisationseinheit abgeleitet, für die die jeweilige Führungskraft verantwortlich ist. Dabei gilt es Antworten zu finden, für welche Prozesse der eigene Bereich zuständig ist, wer der Kunde ist, welche Anforderungen dieser an die Organisationseinheit stellt und welchen Nutzen er durch den Wertbeitrag hat. Im dritten Schritt wird darauf basierend das angestrebte Ergebnis näher und in Form von Zielen und Kennzahlen beschrieben. Dazu stellt sich initial die Frage was die Exzellenz von Ergebnissen charakterisiert und wie diese messbar sind. Schritt vier beschreibt die Ambitionen der Führungskraft . Fragen, die es in diesem Zusammenhang zu beantworten gilt, sind etwa:

„ Was muss erfüllt sein, damit ich selbst zufrieden bin?

„ Wofür stehe ich als Führungskraft und welche Vorbildrolle mochte ich einnehmen?

„ Was kann ich tun, um Verbesserungspotentiale zu erkennen und zu realisieren?

Danach erfolgt die Ableitung der Schwerpunkte und notwendigen Maßnahmen in Bezug auf Organisation, Teamkultur und Zusammenarbeit . Dabei gilt es zu klären, wie man die Funktionseinheit an die zukünftigen Aufgaben und Prozesse anpassen kann, welche Rollen im Team benötigt werden, um optimal ans Ziel zu gelangen und wie die Zusammenarbeit verbessert werden kann. Letzen Endes stellt sich die Frage nach den notwendigen, individuellen Kompetenzen , die es zukünftig für die Führungskraft zu entwickeln gilt. Und wieder beginnt man bei sich selbst und überlegt, an welchen Führungskompetenzen man zukünftig arbeiten möchte. Danach gilt es zu klären, wie der Aufbau von Kompetenzen der Mitarbeitenden gestaltet werden soll. In diesem Zusammenhang sollte auch die systematische Erfassung von vorhandenen Schlüsselpositionen im Bereich stattfinden, und wie für diese mittels entsprechenden Kompetenzaufbaus eine langfristige strategische Nachfolgeplanung gestaltet werden kann. Nur die beiden zuletzt beschriebenen Punkte sind direkte

Führungsaspekte im engeren Sinn, aber genau darin liegt die Stärke des Führungskompasses: dass Führung nämlich eine integrierte Aufgabe darstellt, um die Ziele einer Organisation zu erreichenden und nicht isoliert als Handlungsanleitung für Personen zu betrachten ist . Die Inhalte im Führungskompass sind hochgradig individuell; die jeweilige Führungskraft als Urheber, Autor und Eigner beschreibt darin, wie aus ihrer Sicht das Ergebnis ihres Verantwortungsbereichs aussieht, wie es entstehen soll, und was dazu in ihrem Bereich verändert oder vertieft werden muss. Damit wird der Führungskraft die diesbezügliche Gesamtaufgabe nochmals klarer bewusst, wodurch sich Verbindlichkeit und der Mut zur Verantwortungsübernahme bei ihr verstärken.

„ Der Führungskompass ist ein Navigationsinstrument, das bildlich gesprochen sowohl bei ruhiger See als auch in stürmischen Zeiten für Orientierung und Motivation sorgt.

„ Der Führungskompass sollte stets auf aktuellem Stand gehalten werden , nur dann kann er den Führungskräften zeigen, ob sie auf Kurs sind oder ob aufgrund entsprechender Hinweise eine Veränderung erforderlich ist, um zielgerichtet zu bleiben. Dadurch erzeugt der Führungskompass Transparenz und ermöglicht den Abgleich von gegenseitigen Erwartungen mit den angrenzenden Bereichen, den hierarchischen Ebenen sowie im eigenen Team.

Für die initiale Erstellung des eigenen Führungskompasses bietet sich die Möglichkeit, begleitend zu entsprechenden Schulungsmaßnahmen ein 360° Feedback mit seinem Vorgesetzten durchzuführen, sowie die Ergebnisse mit seinen Mitarbeitenden und Kollegen kontroversiell zu diskutieren. Speziell ist es wichtig, dem Entwicklungsprozess des Führungskompasses die notwendige Zeit einzuräumen. Anleitung, vertrauensvoller Austausch mit Kollegen und individuelles Coaching sind dabei von großer Bedeutung, da die Eigenperspektive durch Fremdsichten ergänzt, und damit tragfähig wird.

Nachdem der Führungskompass die persönliche Roadmap darstellt, geht es im Folgenden darum, welche Methoden anwendbar sind, um einen Wandel zu begünstigen, zu beschleunigen und die gewünschten Veränderungen effektiv umzusetzen. Wir kennen aus der Vergangenheit Veränderungsbemühungen, die gut geplant, gewollt und gut gemeint begonnen wurden und dann im weiteren Verlauf entweder nur halbherzig umgesetzt wurden oder ganz im Sand verlaufen sind. In der Regel sind die Initiatoren der Veränderung dann vom Misslingen überrascht, da der geplante Wandel ihrerseits gut vorbereitet war, jedoch bei den Mitarbeitenden letztendlich nicht richtig ankam. Wie also lassen sich Veränderungen nachhaltig in einer Organisation implementieren?

Um die Erfolgsaussichten von Veränderungsprozessen zu erhöhen, ist das sogenannte Pipeline-Modell nach David Peterson und Mary Dee Hicks hilfreich, das in erster Linie als Coachinginstrument gedacht war, um die persönliche Entwicklung von Menschen zu unterstützen. Das Pipeline-Modell der Veränderung beschreibt fünf Aspekte in Veränderungsvorhaben , die jeweils separat dafür sorgen können, dass der Plan nicht vollständig umgesetzt werden kann. Diese Gesichtspunkte werden vergleichbar mit den Elementen einer Rohrleitung dargestellt, wobei sie nur bei hundertprozentiger Erfüllung den vollen Durchmesser der Leitung haben, bei Abstrichen verringert sich der Durchmesser entsprechend dem realisierten Erfüllungsgrad. Die Darstellung einer Pipeline verdeutlicht, dass der Aspekt mit dem geringsten Durchmesser der Flaschenhals oder die Drossel ist, die den Gesamtdurchsatz begrenzt. Ist also ein Durchmesser kleiner, so verliert das Vorhaben etwas von seinem Gesamtimpact, der durch nachfolgende Aspekte niemals wieder vergrößert, sondern nur noch weiter gedrosselt werden kann. Einmal Verlorenes kann also nicht mehr zurückgewonnen werden, der Aspekt mit dem kleinsten Durchmesser begrenzt den Durchfluss, also das Maß an Veränderung, das tatsachlich realisiert werden kann. In Bild 3 kann man erkennen, dass in diesem Fall der

16 WINGbusiness 2/2023 TOP-THEMA

Aspekt der Wirkung der limitierende Faktor ist. Die zuvor erwähnten fünf Gesichtspunkte im Veränderungsprozess lauten wie folgt:

„ Die Erkenntnis , dass die Veränderung rein rational richtig, logisch, wichtig und damit auch nachvollziehbar ist. Dieser Aspekt beschreibt das Ergebnis einer kognitiven Beschäftigung mit der Veränderung, in deren Zusammenhang die Argumente dafür und dagegen abgewogen werden.

„ Die gefühlsmäßige Zustimmung , also unser Bauchgefühl zu dem Vorhaben (das „Wollen“), ist vereinfacht gesagt das Maß, inwieweit die Veränderung den Motiven, Werten und Glaubenssätzen jedes einzelnen entspricht. Dieser Aspekt legt auch die Zeit und Energie fest, welche die Betroffenen bereit sind, in das Veränderungsvorhaben zu investieren.

„ Die Fähigkeiten und das Können , um die Veränderung umzusetzen.

„ Die Möglichkeit zur Veränderung, also das Dürfen. Insbesondere geht es dabei um die organisatorischen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Entscheidungskompetenzen, strategische Leitplanken oder Ressourcen. Dadurch sind insbesondere die Führungskräfte gefragt, die mit ihrer Haltung und ihren Entscheidungen als Ermöglicher wirken.

„ Die Wirkung , also inwieweit die positiven Auswirkungen der Veränderung bereits spürbar und erfahrbar sind.

Zwei Aspekte des Veränderungsmodells sind an dieser Stelle besonders hervorheben: Zum einen, dass in dem Modell die Wichtigkeit der Wirkung explizit und stark betont wird, da sie

zählt, um zu beurteilen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Zum anderen, dass zwischen rationaler und emotionaler Zustimmung unterschieden wird. Dies erlaubt einen differenzierteren Blick auf die geplante Veränderung. Es kann sein, dass der Wandel als sinnvoll und logisch eingeschätzt wird und dennoch die emotionale Zustimmung nicht gegeben ist („ich verstehe die Notwendigkeit, aber ich mag nicht mitmachen“). In diesem Fall macht es keinen Sinn, weitere Sachargumente einzubringen, vielmehr sollte hinterfragt werden, welchen Motiven die geplante Veränderung entgegensteht, welche Werte verletzt und welche Befürchtungen daraus generiert werden. Dann ist der Einbezug der Skeptiker gefragt, um gemeinsam einen Weg festzulegen, den sie auch mitzugehen bereit sind. Wie zuvor beschrieben, kann jeder Aspekt separat das gesamte Veränderungsvorhaben stark behindern, sodass auch die Umsetzung nicht zur Gänze gelingt. Zusätzlich wirken auch noch Rückkopplungen, die positiv oder negativ verstärken können: Die einzelnen Aspekte „kommunizieren“ miteinander und wirken aufeinander ein. Beispielsweise kann mangelnde Kompetenz („ich fühle mich überfordert“) zu einer absinkenden emotionalen Zustimmung führen. Auch das Kommunizieren oder Nichtkommunizieren von Erfolgserfahrungen und Ergebnissen, wie dem Erreichen erster Zwischenziele hat einen positiven bzw. negativen Einfluss auf die rationale und emotionale Zustimmung.

Wie kann man dieses Modell effizient nutzen? Es wird einerseits zur Vorbereitung von Veränderungsvorhaben als Planungsinstrument eingesetzt und andererseits zur ständigen Begleitung als Kontrollinstrument während der Umsetzung. Wichtig ist

immer, die Orientierung und Ausrichtung an den Interessensgruppen, die beispielsweise im Vorfeld in einer Stakeholder-Analyse zur geplanten Veränderung identifiziert wurden. Zu Beginn sollte außerdem eine Einschätzung der Durchmesser der einzelnen Aspekte vorgenommen werden, um eine Vorstellung davon zu bekommen, welchen Aspekten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, um die Risiken des Scheiterns quantifizieren zu können. Beispielsweise kann dazu der Initiator einer vertrauten Person von dem Vorhaben berichten und bittet diese, seine Einschätzung abzugeben, wo – also bei welchem Aspekt – mit dem kleinsten Durchmesser, also mit dem größten Verlustpotenzial zu rechnen ist. So erhält man eine Selbst- und eine Fremdeinschätzung, woraus zusätzliche Erkenntnisse für die Führungskraft gewonnen werden können.

Während der Veränderung kann das Modell danach kontinuierlich als Ursachenanalyseinstrument genutzt werden, um dynamische Änderungen aufgrund der Rückkopplungen zu berücksichtigen. Idealerweise wird das Modell gemeinsam mit den betroffenen Personen verwendet und es wird mit diesen auch offen über die verschiedenen Aspekte diskutiert.

Wie wir schon aus den letzten Ausführungen erahnen können, greifen Führungskompass und Pipeline-Modell direkt und kontinuierlich in einander ein bzw. verstärken einander. Habe ich beispielsweise in meinem Verantwortungsbereich bereits die Kultur der Neugierde und die Offenheit für das Mittragen von Veränderungen ausreichend gut institutionalisiert, so kann ich dies bei der Beurteilung des Faktors „Wollen“ im Pipeline-Modell berücksichtigen und den Durchmesser in der Darstellung entsprechend groß gestalten. Ist dies nicht der Fall, so wird mir die „Drossel“ im Durchfluss den Hinweis darauf liefern, dass ich den Führungskompass die strategische Ausrichtung anpassen muss, um die Empfänglichkeit für anstehende Neuerungen zu vergrößern.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir auch weiterhin vor großen Herausforderungen stehen

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Bild3: Pipeline-Modell (Freisinger, Jöbstl, Kögler, Lipp, & Strohrmann, 2021)

werden, die nur in der kooperativen Zusammenarbeit und unter entsprechend professioneller Führung zu bewerkstelligen sein werden. Je besser wir als Führungskräfte darauf vorbereitet sind, je flexibler wir in unserer Denkensweise sind und je vertrauensvoller wir im Umgang mit unseren KollegInnen agieren, desto besser werden wir jede Form der Veränderung meistern und dadurch auch langfristig am unternehmerischen Erfolg in einer volatilen, unsicheren, komplexen und unklaren Umgebung teilhaben können.

Literaturverzeichnis

Freisinger, G., Jöbstl, O., Kögler, B., Lipp, J., & Strohrmann, M. (2021). Die digitale Transformation des Qualitätsmanagements: Potenziale nutzen, Strategien entwickeln, Qualität optimieren. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG.

Güttel, W. (2021). Austrian Management Review: Volume 12 | 2022. Nomos.

Güttel, W. (2021). Erfolgreich in turbulenten Zeiten: Impulse für Leadership | Change Management | Ambidexterity. Nomos.

Autor Dipl.-Ing. Bernd Kögler, MBA

Geboren 1972 in Wien, Maschinenbaustudium an der TU Wien, Abschluss 1999.

Seit 2006 bei Pankl Racing Systems

A.G. Aktuell technischer Leiter der Pleuel – Serienfertigung sowie verantwortlich für konzernübergreifende Aufgaben im Bereich Automatisierung und Digitalisierung. Von 2015 – 2017 berufsbegleitendes post graduate – Studium MBA Auto -

Dipl.-Ing.

Bernd Kögler, MBA technischer Leiter der Pleuel – Serienfertigung, Pankl Racing Systems AG

motive Industry an der TU Wien und STU Bratislava.

Neben den beruflichen Aufgaben ist Bern Köglert als Autor tätig, das Erstlingswerk „Lessons learned…?!“ in 2021 beschäftigt sich mit der Führung in Familie und Beruf, im Sommer 2022 Veröffentlichung des Fachbuchs „Die digitale Transformation des Qualitätsmanagements: Potenziale nutzen, Strategien entwickeln, Qualität optimieren“.

18 WINGbusiness 3/2023 TOP-THEMA
Die nächsten Ausgaben WINGbusiness 2023 / 2024 Heft 04/2023: "Simulation in Produktion Logistik" Heft 01/2024: "Energiewirtschaft" Heft 03/2024: "Kongressheft"

IIM Alumni Reunion: Ein Rückblick auf das Event

Am 7. Juni fand die Alumni Reunion des Instituts für Innovation und Industriemanagement (IIM) der TU Graz statt. Über 100 Teilnehmer*innen folgten der Einladung von Univ.-Prof. Dr. Christian Ramsauer. Die Veranstaltung bot den Absolvent*innen die Möglichkeit sich zu vernetzen, in Erinnerungen zu schwelgen und sich auch über aktuelle Projekte des IIM zu informieren. Im Rahmen der Feier, wurde die Gelegenheit genutzt, dem ehemaligen Leiter des Instituts, Em.Univ.-Prof. Dr. Josef W. Wohinz, zu seinem 80. Geburtstag zu gratulieren.

Josef W. Wohinz leitete das IIM von 1979 bis 2011. Er trug maßgeblich zum Erfolg des Instituts bei. Darüber hinaus stellt er eine bedeutende Persönlichkeit in der Geschichte der Technischen Universität Graz dar. Von 1989 bis 1991 war er als Dekan der Fakultät für Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen tätig und in den Jahren von 1993 bis 1996 war er Rektor der TU Graz.

Seine Arbeit legte das Fundament für den erfolgreichen Werdegang des IIM, welcher seit 2011 von Christian

Ramsauer erfolgreich weitergeführt wird.

Die Alumni Reunion stellte die Auftaktveranstaltung von vielen weiteren Alumni Treffen dar. Das nächste Alumni Treffen des IIM ist bereits geplant.

Save the Date: 9.Mai 2025

Zusätzlich zu regelmäßigen Veranstaltungen wurde auch eine OnlinePlattform gegründet um das Alumni Netzwerk zu pflegen. Zum Aufbau eines starken IIM-Alumni Netzwerks wurden rund 650 Personen kontaktiert, welche am Institut ihre Diplomarbeit bzw. Masterarbeit oder Dissertation verfassten. Diese können sich auf der Plattform registrieren. Die Plattform bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit, Karrierewege zu verfolgen, Stellen auszuschreiben und regelmäßige Neuigkeiten über das IIM zu erhalten (siehe Alumni Plattform: http://iim-alumni.tugraz.at).

„Es war eine inspirierende Erfahrung, so viele bekannte Gesichter wiederzusehen und neue Verbindungen zu knüpfen. Die Alumni ka -

men aus verschiedenen Branchen und Generationen, was zu faszinierenden Diskussionen und einem regen Austausch von Erfahrungen führte“, so Christian Ramsauer nach der erfolgreichen Alumni Reunion.

In diesem Sinne freuen wir uns auf zahlreiche Anmeldungen auf unserer Alumni Plattform und auf noch viele weitere Alumni Treffen! Die Highlights können als Video auf unserem YouTube Kanal ab 15.September angesehen werden, scannen Sie dazu den nebenstehenden QRCode.

19 WINGbusiness 3/2023 UNINACHRICHTEN
Marion C. Unegg Foto: © Oliver Wolf für TU Graz

Hybride Teams: Freiheit braucht Regeln

Vorteile maximieren, Nachteile minimieren

Die Covid-19-Pandemie hat die Praktiken der Teamarbeit und damit das Verständnis von Führung grundlegend verändert. War vor der Pandemie nur rund jede:r fünfte Arbeitnehmer:in zumindest teilweise im Homeoffice, schnellte diese Zahl beinahe auf die Hälfte der Arbeitnehmer:innen in die Höhe (Bock-Schappelwein et al., 2020). Auch wenn die Prävalenz von Homeoffice mittlerweile wieder etwas gesunken ist, sind sich alle einig: Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Damit stellt sich die Frage, wie Zusammenarbeit in hybriden Teams – also Teams, deren Mitglieder zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten arbeiten – und Führung zielführend gestaltet werden können.

Seit der Pandemie beschäftigen sich zahlreiche wissenschaftliche Studien mit dem Thema Führung von hybriden Teams. Nach Bell und Kolleginnen (2023) kommen den folgenden vier Bereichen für Führung im virtuellen Kontext eine noch stärkere Bedeutung zu: Selbstmanagement unterstützen, Erwartungen und Ziele abklären, das soziale Klima stärken und den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie erleichtern. Wie diese Punkte in Team-Interventionen gestärkt werden könnten, wurde bis dato allerdings noch nicht untersucht.

In einer randomisierten kontrollierten Studie bei AUDI AG widmeten wir uns diesem Thema und überprüften den Effekt von gemeinsam getroffenen Vereinbarungen für das Zusammenarbeiten im hybriden Team. Rund die Hälfte der 109

Teams erhielt einen Teamworkshop, der sich zum Ziel gesetzt hat, im Team Regeln der Zusammenarbeit zu vereinbaren. Dabei wurden die Themen Arbeitsort und Arbeitszeit, Kommunikation sowie Organisation und Zusammenarbeit diskutiert. Moderiert wurde der Workshop von einem Audi-internen Moderator oder einer Moderatorin und die Führungskraft war als Teilnehmer:in dabei.

Der Workshop wurde gemäß des Teamreflexionsprozesses (West, 1996) anhand der folgenden drei Phasen aufgebaut:

1. Offenlegen individueller Strategien bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort

Im ersten Schritt wurden alle Teilnehmer:innen gebeten, sich über das eigene Verhalten und die indi-

viduellen Präferenzen Gedanken zu machen. Wann und wo wird am liebsten gearbeitet? Welche unverrückbaren Termine gibt es beruflicher, aber auch privater Natur? Welche Zeiten sind zwar möglich, aber werden ungern für berufliche Termine zur Verfügung gestellt?

Das gemeinsame Besprechen der individuellen Bedürfnisse stärkt einerseits die Beziehungen im Team und andererseits ermöglicht dieses Zusatzwissen es, die Bedürfnisse der anderen Teammitglieder zukünftig besser zu berücksichtigen – beispielsweise, wenn es darum geht, einen gemeinsamen Termin zu finden. Damit gelingt es, auch die Perspektive der anderen zu verstehen und die Vorhersehbarkeit und Transparenz im Team zu erhöhen. Aus der Forschung wissen wir, dass Vertrauen gerade im virtuellen Kontext essenziell ist

20 WINGbusiness 3/2023 TOP-THEMA
Martina Hartner-Tiefenthaler, Miriam Baumgärtner, Carina Behrends, Stephan Böhm, Tarek Carls, Denise Mathieu
Foto: © AUDI AG

(Breuer et al., 2016) und dieses Vertrauen wird vor allem aufgebaut, wenn auch Informationen geteilt werden, die nicht direkt im Zusammenhang mit den Aufgaben stehen (siehe Abbildung 1).

munikationsmittel werden wofür verwendet und wie geht das Team mit der Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit um?

Auf der Ebene der Teams verbesserte der Workshop die eingeschätzte Leistung der Teams erheblich. Wir haben die Mitglieder der Teams nach der selbsteingeschätzten Leistung ihrer Teams gefragt und diese Werte für die entsprechenden Teams zusammengefasst.

In der zweiten Phase verschiebt sich der Fokus vom Individuum auf die Gruppe. Alle Teammitglieder sind gefordert, gemeinsam die bestehenden (impliziten und expliziten) Erwartungen zu reflektieren sowie Antworten auf neue Fragestellungen zu ihrer flexiblen Zusammenarbeit zu entwickeln.

Ziel ist es, sich über die unverrückbaren Anforderungen im Team zu verständigen, die den Rahmen für die zeitliche und räumliche Arbeitsgestaltung aller Teammitglieder setzen und die vorherrschenden Verfügbarkeitsnormen prägen. Hierbei steht die Reflexion der bestehenden Prozesse im Vordergrund (Konradt et al., 2016). Die Teammitglieder tauschen ihre Erfahrungen und Kenntnisse sowie unterschiedlichen Perspektiven aus und besprechen, wie sie zukünftig zusammenarbeiten möchten. In dieser Phase werden neben den Wünschen auch Verantwortlichkeiten geklärt. Welche Termine haben absolute Priorität gegenüber anderen oder auch privaten Terminen? Wann ist die Anwesenheit vor Ort gewünscht und wann gefordert? Welche Kom -

Wesentlich ist in dieser Phase, dass geteilte mentale Modelle im Team darüber entstehen, wie zukünftig gemeinsam gearbeitet werden soll, um das Arbeiten zu erleichtern und Reibungsverluste bezüglich der Koordination zu verhindern.

3. Adaption: Verfeinern der Teamregeln

Nachdem die Regeln formalisiert wurden und jedes Teammitglied das Commitment für die Umsetzung gegeben hat, gibt es die Möglichkeit diese Vereinbarungen nach einiger Zeit noch einmal zu reflektieren und anzupassen. Die Führungskräfte wurden von den Moderator:innen beauftragt, nach ein paar Wochen eigenständig mit ihren Teams, die Regeln zu überdenken und zu adaptieren. Damit bleibt auch die Verantwortung für den Prozess beim Team.

Die Ergebnisse der Workshops sind vielversprechend

Der Workshop zeigte deutliche Veränderungen innerhalb der Teams. Fast alle Teams haben sich eigene Regeln der Zusammenarbeit gegeben, die das gemeinsame Verständnis über die hybride Zusammenarbeit gefördert haben. Das wiederum setzte eine Kaskade positiver Veränderungsprozesse sowohl auf der Teamebene als auch auf der individuellen Ebene in Gang:

Anschließend haben wir die Teams identifiziert, die sich durch eine besonders hohe selbsteingeschätzte Teamleistung auszeichnen. Liegt der Anteil dieser high performance Teams in der Interventionsgruppe vor dem Workshop bei 44 %, steigt er nach dem Workshop auf 63 % an und bleibt auch sechs Monate später noch auf diesem hohen Niveau. In der Kontrollgruppe dagegen bleibt der Anteil der high performance Teams unverändert. In einem sogenannten Random Intercept CrossLagged Panel Model (RI-CLPM, Hamaker et al., 2015) erbrachten wir den Nachweis, dass die teamspezifischen Regeln kausal über die Zeit die eingeschätzte Team-Leistung erhöhen.

Auch für die individuellen Teammitglieder hat der Workshop deutliche positive Effekte gezeigt: So nahm über die Dauer der Studie in der Interventionsgruppe der Anteil der emotional stark erschöpften Personen von 9 % um über die Hälfte auf 4 % ab. Auch hier konnten wir in einem RI-CLPM den Nachweis erbringen, dass die teamspezifischen Regeln eine treibende Kraft hinter der Reduktion emotionaler Erschöpfung sind.

Im gesamten Studienverlauf zeigte sich immer wieder, dass den teamspezifischen Regeln eine Schlüsselfunktion für Leistung und Gesundheit in hybriden Teams zukommt. Manche Teams haben sich ausgeprägte Regeln gegeben, manche Teams taten dies weniger. Vergleicht man die Teams mit ausgeprägten teamspezifischen Regeln mit den Teams, die sich selbst kaum Regeln gegeben haben, sind die Unterschiede deutlich: In Teams mit ausgeprägten Regeln ist die Arbeitszufriedenheit um 25 % erhöht, das Engagement der Mitarbeitenden ist um 19 % erhöht und die Kündigungsabsicht ist um 46 % reduziert.

21 WINGbusiness 3/2023 TOP-THEMA
2. Gemeinsames Vereinbaren von Teamregeln für hybride Arbeit Abbildung 1: Arbeitsblatt, das für diesen Schritt verwendet wurde

Die Rolle der Führungskraft verändert sich

Für Führungskräfte ist die Abstimmung im hybriden Team schwieriger geworden. Der spontane Austausch in der Teeküche verschwand aus dem Arbeitsalltag und vielen wurde bewusst, wie wichtig die spontane Kommunikation und der Wissensaustausch im Team für ein effektives Zusammenarbeiten ist (Hartner-Tiefenthaler et al., 2022). Das kurze Nachfragen zwischendurch ist nicht mehr möglich. Die Kommunikation verlagerte sich in den virtuellen Raum und direkter Austausch fand meist nur mehr mit jenen Kolleg:innen statt, mit denen aufgabenspezifisch zusammengearbeitet wurde und bereits Interdependenzen bestanden. Das hatte einerseits zwar den Vorteil, dass Aufgaben effizienter abgehandelt werden konnten, andererseits ging es jedoch zu Lasten des sozialen Austausches, der für den sozialen Zusammenhalt wichtig ist. In vielen Organisationen wurden während der Lockdowns alternative Teamevents initiiert (z. B. Online-Bier, blind dates, etc.), doch fehlte im Online-Setting eine wichtige Komponente, die im persönlichen Gespräch durchaus von Bedeutung ist.

In vielen österreichischen und deutschen Unternehmen herrschte bis vor kurzem eine starke Präsenzkultur. Die stark gestiegene Prävalenz von Homeoffice und die Flexibilisierung der Arbeitszeit können auch als Chance verstanden werden - die Chance, die manchmal behäbige Organisationskultur zu verändern. Damit ist auch eine Veränderung der Führungskultur verbunden. Arbeitsleistung wird weniger über Arbeitszeit und zunehmend über Output gesteuert. Das erfordert allerdings, dass Themen wie Kontrolle und Vertrauen in der Organisation diskutiert und adressiert werden. Es mag für Führungskräfte unterschiedlich sein, wie viel Kontrolle sie „brauchen“ und auf der anderen Seite unterscheiden sich auch die Teammitglieder wie viel Struktur von außen für sie erforderlich ist. Zu viel Autonomie kann auch überfordern (Stiglbauer & Kovacs, 2018). Daher ist es wichtig, dieses Thema im Team zu besprechen und dafür auch Raum und Zeit zu geben. Denn wie unsere Studie zeigt, werden diese Infor-

mationen nicht „nebenbei“ geteilt. Für ein geteiltes Verständnis braucht es eine eingehende Kommunikation darüber wie gemeinsam gearbeitet werden soll.

Lessons learned und wie geht’s weiter bei AUDI AG?

Aufgrund dieses Projekts haben wir sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis zentrale Erkenntnisse gewonnen. Für die Praxis waren vor allem die folgenden Punkte interessant:

„ Das Wort „Regeln“ ist allgemein unbeliebt. Damit wird meist eine Verpflichtung verbunden, die als Bedrohung der individuellen Freiheit gesehen wird.

„ Konkrete Vereinbarungen zur Zusammenarbeit sollen auf der Teamebene verhandelt werden. Die Betriebsvereinbarung auf der Unternehmensebene setzt zwar einen allgemeinen Rahmen, dieser sollte allerdings von jedem Team spezifisch ausgestaltet werden.

„ Sich neu kennen lernen: Ziel ist es, Regeln für die hybride Zusammenarbeit zu definieren. Durch den Blick auf die individuellen Bedürfnisse zu Beginn entfaltet der Workshops zusätzlich das Potential einer Teambuilding-Maßnahme.

„ Kein richtig oder falsch: Jedes Team ist für sich spezifisch. Vereinbarungen können dadurch sehr unterschiedlich aussehen – und das ist gut und richtig.

„ Neue Qualitäten: Ein Team-Workshop zur Definition von Vereinbarungen ist zentral und doch braucht es gerade für die Führungskräfte zusätzlichen Kompetenzaufbau im hybriden Führen. Gerade die Art und Intensität der Kommunikation ändert sich immens.

„ Komplexität bleibt: Unsere Arbeitswelt verändert sich kontinuierlich. Der Workshop ist ein Anfang einer Diskussion und Abstimmung, die immer wieder aufgegriffen werden muss – etwa, wenn Aufgaben oder Teamkonstellationen sich ändern.

„ Ein Kulturwandel beginnt bei den Menschen. Abhängig von den Bedürfnissen gestaltet jedes Team die Zukunft.

Mit der Studie war AUDI AG sehr schnell am Puls der Zeit. Die Studi-

energebnisse und die Erfahrungen aus den Workshops ermöglichten es, unmittelbar mit dem Wegfall der Homeoffice-Empfehlung im Frühjahr 2022 die nächsten Schritte in eine wirklich hybride Zukunft zu gehen (Onderka, 2022). Im Oktober 2022 trat eine Betriebsvereinbarung zu hybridem Arbeiten in Kraft, die die Verantwortung der konkreten Ausgestaltung in die Teams gibt und beispielsweise keinerlei Präsenztage vorschreibt. Auf dieser Basis beschloss der Vorstand im November 2022, dass alle Teams im Rahmen des validierten Workshop-Konzepts der Studie ihre Teamregeln zur hybriden Zusammenarbeit selbst festlegen . Seit Anfang März 2023 läuft der Rollout.

Conclusio

Während die Covid-19-Pandemie als Brennglas für die Flexibilisierung der Arbeit wirkte, stehen Unternehmen hinsichtlich der Ausgestaltung vor vielen Fragen und Herausforderungen. Durch teambasierte Vereinbarungen können Unklarheiten in den Erwartungen hinsichtlich der Nutzung von Flexibilität beseitigt und Eckpfeiler der Zusammenarbeit definiert werden. Die Studie zeigt, wie wichtig dieser Prozess für Mitarbeitende und Unternehmen ist, um die Vorteile der neuen Freiheit zu maximieren. Die Diskussion individueller Präferenzen und Lebenssituationen der einzelnen Teammitglieder legt die Basis für gegenseitiges Verständnis, Vertrauen und Zusammenhalt. Darüber hinaus geht es jedoch insbesondere darum, individuelle Bedürfnisse so mit Team- und Kund:innenbedürfnissen zu integrieren, dass das Team als Ganzes optimal funktioniert. Zentral für den Erfolg ist die Implementierung eines kontinuierlichen Lern- und Verbesserungsprozesses, der in der Verantwortlichkeit der Führungskraft liegt und (mit sinkendem Aufwand) in die Team-Routine übergeht. Auch eine unterstützende Technologieinfrastruktur und Normen im Umgang mit dieser sind von zentraler Bedeutung.

Dabei stellt hybrides Arbeiten höhere Anforderungen an die nachhaltige Selbststeuerung jedes einzelnen.

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Führung wird noch wichtiger, um die Weichen für die erfolgreiche Zusammenarbeit zu stellen, das Team für gemeinsame Ziele zu begeistern und dabei den Zusammenhalt im Team gezielt zu fördern. Dem Büro kommt eine neue Bedeutung als „Sozial-Tankstelle“ zu.

Referenzen

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Bock-Schappelwein, J., Firgo, M., & Kügler, A. (2020). Digitalisierung in Österreich: Fortschritt und Home OfficePotential. Digitalisierung in Österreich: Fortschritt und Home Office-Potential (wifo.ac.at).

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Hamaker, E. L., Kuiper, R. M., & Grasman, R. P. (2015). A critique of the cross-lagged panel model. Psychological methods, 20(1), 102-116.

Hartner-Tiefenthaler M, Loerinc I, Hodzic S and Kubicek B (2022). Development and validation of a scale to measure team communication behaviors. Frontiers in Psychology. 13:961732. doi: 10.3389/fpsyg.2022.96173

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Onderka, L. (2023). “Unterschied machen für uns den Unterschied“. Inter-

view mit Audi-Personalvorstand Xavier Ros. Personalwirtschaft 4, 14-16. Stiglbauer, B., & Kovacs, C. (2018). The more, the better? Curvilinear effects of job autonomy on well-being from vitamin model and PE-fit theory perspectives. Journal of Occupational Health Psychology, 23(4), 520–536. https://doi. org/10.1037/ocp0000107

West, M. A. (1996). Reflexivity and work group effectiveness: A conceptual integration. In M. A. West (Ed.), Handbook of work group psychology (pp. 555-579). Chichester, UK: John Wiley.

Autor:innen

Dr. Martina Hartner-Tiefenthaler ist Arbeits- und Organisationspsychologin und aktuell tätig als Senior Scientist am Forschungsbereich Arbeitswissenschaft und Organisation, Institut für Managementwissenschaften, TU Wien. Sie forscht an der Schnittstelle Technik – Menschen – Organisation und interessiert sich für das Spannungsfeld Autonomie und Kontrolle in Teams und deren Auswirkungen. Seit 2013 beschäftigt sie sich mit dem Thema New Work.

Dr. Miriam Baumgärtne r ist Arbeits- und Organisationspsychologin und promovierte Betriebswirtschaftlerin. Sie arbeitete über zehn Jahre als Wissenschaftlerin und Projektleiterin an der Universität St. Gallen zu den Themen Inclusion & Diversity, New Work und mentale Gesundheit, u. a. in Zusammenarbeit mit AUDI AG. Aktuell leitet sie als Senior Manager das ganzheitliche Gesundheitsmanagement bei PwC Schweiz.

Prof. Dr. Stephan Böhm ist Assoziierter Professor für Diversity Management und Leadership und Direktor des Center for Disability

and Integration an der Universität St. Gallen (CDI-HSG). Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich von Diversität und Inklusion, Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeit sowie der Gesundheit von Mitarbeitenden. Als Speaker, Trainer und Berater ist er für Unternehmen aller Branchen in ganz Europa tätig.

Tarek Carls MSc ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität St.Gallen. Nach seinem PsychologieStudium an der Universität Regensburg spezialisierte er sich auf Datenanalyse und arbeitet seit 2021 an der Universität St.Gallen mit dem Fokus auf quantitative Längsschnittuntersuchungen.

Dr. Carina Behrends ist Diversity Managerin bei AUDI AG. Als systemische Beraterin setzt sie sich für einen ganzheitlichen Ansatz im Diversity & Inclusion Management ein. Carina hat Kulturwirtschaft an der Universität Passau studiert. In einer Kooperation zwischen Audi, der LMU München und der Universität Passau forschte sie in ihrer Action Research-Dissertation zu interkultureller Organisationsentwicklung. Privat wie beruflich setzt sie sich für ein menschlicheres Wirtschaften ein und dafür, Komplexität zu ergründen, anstatt sie zu reduzieren.

Denise Mathieu leitet seit 2017 die Abteilung Diversity Management bei AUDI AG und koordiniert zugleich die Diversity-Aktivitäten im Audi Konzern weltweit. Sie arbeitete zuvor mehrere Jahre im Internationalen Personalmanagement sowohl bei Volkswagen als auch bei Audi und war HR-Projektleiterin bei Audi China Enterprise/Beijing.

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und Sustainable
Dr. Miriam
Baumgärtner Leiterin Be Well, Work Well
Performance bei PwC Schweiz
Dr. Martina Hartner-Tiefenthaler Senior Scientist am Forschungsbereich Arbeitswissenschaft und Organisation, Institut für Managementwissenschaften, TU Wien

Innovation Gala 2023 am IIM-Institut

17 Jahre Product Innovation an der TU Graz

Die Innovation Gala fand am 7. Juni 2023 an der TU Graz im Schumpeter Labor des Instituts für Innovation und Industrie Management (IIM) statt und wurde auch

via Livestream übertragen. In diesem Jahr wurden gleich drei unterschiedliche Innovationsformate des IIM-Instituts unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Christian Ramsauer

vorgestellt: Die beiden neuen Lehrveranstaltungs-Formate „Makerthon“ und „SpInnovation“ sowie das weiterentwickelte „Product Innovation“ Format.

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UNINACHRICHTEN
Tarek Carls MSc Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität St.Gallen Prof. Dr. Stephan Böhm Assoziierter Professor für Diversity Management und Leadership und Direktor des Center for Disability and Integration an der Universität St. Gallen Denise Mathieu Leiterin der Abteilung Diversity & Inclusion bei AUDI AG Dr. Carina Behrends Diversity & Inclusion Managerin, AUDI AG Marion C. Unegg Foto: © Oliver Wolf für TU Graz

Ein Highlight der Veranstaltung war die Keynote von Univ.-Prof. Dr. Johann Füller von der Universität Innsbruck zum Thema „How AI revolutionizes Innovation Management“. Johann Füller, Gründer der bekannten Firma Hyve Innovate GmbH aus München, sprach unter anderem über Smart Open Innovation Ecosystems, Identifikation von Trends, Maschinen und emotionaler Intelligenz sowie dem Nutzen von AI für den Innovationsprozess.

Der Makerthon (Maker & Marathon) ist eine 48-stündige Rapid-Prototyping Challenge. Zu Beginn der 48 Stunden werden den rund 25 Studierenden, aufgeteilt in bis zu 6 Teams, meist zwei Aufgaben aus der Industrie gestellt. Gemeinsam mit unseren Industriepartnern werden Prototypen gebaut, präsentiert und von einer Jury bewertet. Die Studierenden erhalten so Einblicke und direkte Kontakte zu den Partnerunternehmen. Das Gewinnerteam des Makerthons darf sich zusätzlich über tolle Preise freuen.

In den Jahren zwischen 2011 und 2021 gab es an der TU Graz 610 Erfindungsmeldungen welche schlussendlich zu 204 erteilten Patenten führten. Die praktische Umsetzung der Patente im Sinne von marktfähigen Produkten und Dienstleistungen erfolgt leider in zu geringem Maße. Das Format SpInnovation (Spinn-off und Innovation), setzt genau hier an. Gemeinsam mit dem Forschungs- und Technologiehaus (F&T Haus) der TU Graz werden erfolgversprechende Patente ausgewählt welche über eine Projektdauer von 8 Wochen von Studierendenteams in Kooperation mit den Erfinder*innen hinsichtlich möglicher Anwendungen analysiert. Die Teams entwickeln die Patentideen weiter und bekommen am Ende die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob sie die Idee bis hin zur Start-UpGründung weiterverfolgen wollen. Unterstützt durch das IIM-Institut und das F&T Haus der TU Graz, werden diese dann auf ihren Weg in die Selbstständigkeit begleitet.

Neben den beiden Lehrveranstaltungen Makerthon und SpInnovation stellt die Innovations Gala seit vielen Jahren auch den Abschluss der Lehrveranstaltung Product Innovation dar.

In diesem Jahr nahmen 26 Studierende aus 10 Ländern und aus 12 verschiedenen Studiengängen am Projekt teil. Diese bildeten fünf interdisziplinäre und internationale Teams und stellten sich den Herausforderungen unserer Industriepartner Andritz, AVL, Fronius, Palfinger und TDK.

Das „A-Team“ mit Industriepartner Andritz - suchte nach Lösungen für eine ökologisch nachhaltigere Nutzung der Energie im Faserstoffproduktionsprozess. Die Trocknung des Zellstoffs ist für die Lagerung und den Weitertransport essentiell. Der Trocknungsprozess der Fasern bot hierbei die größten Potentiale. Im Abluftstrom konnte 35 MW thermisches Energierückgewinnungspotenzial festgestellt werden. Ziel war es, so viel wie möglich davon wieder nutzbar zu machen. In ihrem finalen Konzept wurde die Abwärme mittels einer Wärmepumpe zur Generierung von temperiertem Dampf und zur Wassererwärmung genutzt. Durch diese Lösung können 32 Prozent der Wärme rückgewonnen werden. Das entspricht rund 13 MW oder dem jährlichen Energiebedarf von rund 15.000 durchschnittlichen Haushalten. Daraus resultiert eine Einsparung von 37.400 Tonnen CO2eq Emissionen pro Jahr. Im Vergleich zum Ausgangszustand entspricht das einer Reduktion von 35 Prozent.

Das Team „Sonic“ beschäftigte sich mit der Anwendbarkeit von Sensoren für die Messung zukünftiger Antriebssysteme für die AVL. Das Team löste die Challenge mittels Ultraschall Durchflussmesser, dem sogenannten „Sonic Duo“, welcher eine Messung durch eine V-förmige Anordnung und zwei Zulaufstellen ermöglicht.

Team „XpRt“ beschäftigte sich mit Extended Reality Anwendungen der Produktentwicklung für Fronius. Zur Lösung ihrer Challenge entwickelte das Team den „Frolly - ein umfassend mit XR Equipment ausgestatteter Trolly welcher die Kooperation zwischen Mitarbeiter*innen in VR bei Fronius erleichtern soll. Mittels des einfach transportfähigen Trollys, werden Termine in der Virtuellen Realität (VR) simpel und praktikabel in den Arbeitsalltag

eingebaut. Dadurch können räumlich voneinander getrennte Personen weltweit gemeinsam im VR-Raum an der Entwicklung von Produkten arbeiten und sehen dabei das virtuelle Produktmodell direkt vor sich.

Palfinger stellte die Challenge für das Team „Tail or Swift“. Das Team arbeitete an der Sicherheit von Ladebordwänden für LKWs. Die Studierenden entwickelten ein Sensor-System zur Detektion der Position sowie der Masse der Last auf der Ladebordwand. Der entwickelte Prototyp zeigte die vielfältigen Anwendungen welche auf Basis der Messdaten umgesetzt werden können. Beispielsweise kann eine predictive Instandhaltung sowie ein Support-System für die optimierte Ladungspositionierung umgesetzt werden.

Das Team „Wave Links“ suchte nach Anwendungen für eine ultraschallbasierte Energie- und Datenübertragung durch Metall für unseren Partner TDK. Die sogenannte „Acoustic Data Link“ Technologie kann für Einsatzgebiete in Bioreaktoren, Druckkammern, LithiumIonen-Batterien sowie in Fermentations- und Kühltanks genutzt werden. Um diese Nutzung zu evaluieren, wurden von den Studierenden entsprechende Tests durchgeführt. Für die Tests entwickelten die Studierenden eigens angefertigte Adjustierungs- und Platzierungstools.

Sie haben unsere Innovation Gala nicht live mitverfolgen können? Gar kein Problem. – Scannen Sie dazu einfach den nebenstehenden QR Code. Die Gala sowie ein Highlight Video können auf dem YouTube Kanal des IIM ab 15. September angesehen werden.

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10 Jahre zu spät oder gerade noch rechtzeitig?!

Digitale Kolonialisierung

Im Mai 2022 hat die EuropäischeKommission mit dem “European Health Data Space“ (EHDS) den ersten domänenspezifischen Entwurf zur Regulierung der zukünftigen Datenökonomie veröffentlicht. Dieser Regulierungsentwurf wird für die Domäne Gesundheit gelten und ab 2025 in allen EU-Mitgliedsstaaten umzusetzen sein. Der vorliegende Beitrag stellt Gaia-X als möglichen Tech-Stack des zukünftigen EHDS vor, und reflektiert, ob dieser Gestaltungsversuch durch die EU nicht

10 Jahre zu spät kommt. Außerdem analysiert der Beitrag Implikationen einer sich verändernden Gesundheitsdatenökonomie als Innovationsfeld für neue Geschäftsmodelle.

Die Datenökonomien weltweit werden von einigen wenigen Unternehmen dominiert. Aus den USA kommend, sind diese als GAFAM (Alphabet (G oogle), A mazon, Meta ( Facebook), Apple und M icrosoft) und aus China als BATX ( Baidu, A li-

baba, Tencent, und X iaomi) bekannt. Aufgrund ihrer in den letzten ca. 10 Jahren entstandenen Marktmacht können diese Unternehmen gegenüber ihren Komplementoren einseitig dominierende Regeln etablieren, ihre wertvollen Daten in proprietären Systemen einschließen und so Hindernisse für interorganisationale und kollaborative Innovationen schaffen. Dies führt dazu, dass durch sogenannte “Winner-Takes-All”-Mechanismen am Markt, wie zum Beispiel direkte und indirekte Netzeffekte, nur wenige Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen. Eine dies nutzende Strategie ist in der Wissenschaft auch als digitale Kolonialisierung bekannt, da diese Unternehmen infrastrukturelle Dienste anbieten, um so Daten zu sammeln und darauf aufbauende datenbasierte Produkte und Services anzubieten, die kommerzialisiert werden (Ozalp et al. 2021). Langfristig wird die Nutzung dieser Services aufgrund mangelnder Alternativen und entstehender LockIn Effekte für die Abnehmer alterna-

tivlos. Durch das “süße Gift” sehr nützlicher datenbasierter Services werden auch europäische Daten abgeschöpft und dann teilweise konträr zu den eigentlichen Interessen und Werten der Bürger:innen verwendet.

Diese Entwicklungen machen auch nicht vor besonders schützenswerten Industrien wie dem Gesundheitssektor halt (Gleiss et al. 2021; Gersch 2022). Eine drohende Dominanz durch GAFAM im zweiten Gesundheitsmarkt (dem sog. Privat- oder Selbstzahlermarkt) und erste Piloten im ersten Gesundheitsmarkt (der überwiegend national regulierten und durch staatliche Systeme finanzierten Gesundheitsversorgung) sind bereits heute erkennbar (Gersch & Wessel 2023). So haben beispielsweise Gleiss et al. (2021) herausgearbeitet, dass Amazon in den USA bereits eine Marke (Basic Care) für freiverkäufliche Arzneimittel und eine Online-Apotheke (PillPack) betreibt. Google hat 2019 für ca. 2 Milliarden Dollar mit Fitbit einen Fitness

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Foto © Blue Planet Studio/Shutterstock (Stock-Foto ID: 1569228421) Martin Gersch, Tim Schurig, Arthur Kari
Europäische Datenräume als öffentliche Güter und Wettbewerbsvorteil:

Tracker, inklusive Datenbestände, sowie mit Apigee einen API-Provider für Standards im Gesundheitswesen übernommen. Tim Cook, CEO von Apple, wird zitiert mit seiner Prognose: “If you zoom out into the future, and you look back, and you ask the question: ‘What was Apple’s greatest contribution to mankind?’ It will be about health.” (MedTechpulse 2022)

EU erwacht und gestaltet Datenräume nach europäischen Werten

Nach verschiedensten Versuchen beschränkender Regulierung, die vor allem von nachlaufenden Verboten geprägt waren, ist die EU nun erwacht und versucht, eine proaktiv gestaltende Position einzunehmen. Dies drückt sich unter anderem durch eine Reihe von EU-Regulierungsinitiativen für eine europäische Datenökonomie seit 2019 aus: Dazu zählen unter anderem die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA). Bisher waren die Regulierungsumsetzungen vor allem geprägt durch die Einschränkung bestimmter Funktionalitäten und Praktiken von GAFAM sowie deren Kopplung an die Inanspruchnahme der gebotenen Services, um missbräuchliche Szenarien der Datensammlung, -analyse und -nutzung zu unterbinden. Gleichzeitig wuchs in der EU aber die Erkenntnis, dass die prohibitive Regulierung auch dazu führt, dass gesellschaftlich wertvolle Daten und die damit einhergehenden Potenziale für unter anderem europäische Forschung nicht realisiert werden können. Die Frage wurde drängend, wie relevante Datenschätze für gemeinwohlorientierte Zwecke nutzbar gemacht werden können.

Der Wechsel in eine proaktive Datenstrategie der EU (Europäische Kommission 2020) sieht unter anderem die Entwicklung partizipativer Datenräume vor. Diese sind als Plattform-Ökosysteme zu verstehen, welche auf Basis von föderierten Infrastrukturen souveränen Datenaustausch auf Grundlage gemeinsam definierter Regeln und Standards ermöglichen. Im Gegensatz zu den bereits erwähnten privat-hierarchisch geführten Plattformen basieren sie auf partizipativen und aus den Stake-

holderinteressen abgeleiteten Governance Strukturen (vgl. Kretschmer et al. 2020). Während hierarchisch-dominierende Plattformen hauptsächlich durch einen zentralen Plattformanbieter kontrolliert werden, sind diese Datenräume darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse vieler verschiedener Interessengruppen einzubeziehen und die Gemeinwohlorientierung zu unterstützen. Datenräume sind diskriminierungsfrei konzeptioniert, das heißt, sie sind offen für alle Akteure, die sich an gemeinsam definierte Regeln, Standards und Protokolle halten. Um den Wandel von einem hierarchisch-dominierten zu einem partizipatorischen Ansatz zu unterstützen, kann auch die Eigentumsstruktur von Datenräumen auf mehrere Organisationen verteilt werden, die gemeinsam das entstehende Ökosystem konzipieren, betreiben und vor allem in seiner Weiterentwicklung orchestrieren (Beverungen et al. 2022). Insofern wird die Governance typischerweise von einer Allianz getragen, die heterogene (oft sogar im Wettbewerb stehende) Stakeholder-Organisationen umfasst (Otto & Jarke 2019).

In der im Februar 2020 veröffentlichten europäischen Datenstrategie wurde die Entwicklung von zunächst neun domänenspezifischen Datenräumen angekündigt (Europäische Kommission 2020). Diese sind: Gesundheit, verarbeitendes Gewerbe, Landwirtschaft, Finanzen, Mobilität, Green Deal, Energie, öffentliche Verwaltung, und Bildung. EU-Verordnungen beinhalten Vorgaben für alle 27 Mitgliedstaaten und entfalten ohne Übertragung in nationales Recht bindende Wirkung. Dies kann als ein Zeichen der hohen Priorisierung des Themas generell sowie einer möglichst einheitlichen Regelung für die Europäische Union gesehen werden.

Statt bisheriger Plattformen, die bei der Erreichung ökonomischer Ziele des Betreibers negative externe Effekte für die breite Gesellschaft bis hin zum drohenden Marktversagen verursachen können, erfordern Datenräume ein verändertes Verständnis von Infrastrukturen und Daten als öffentliche Güter: Öffentliche Güter werden anhand von zwei Prinzipien definiert, die die

Nutzungseigenschaften charakterisieren (Ostrom & Ostrom 2019). Zum einen können Akteure von der Nutzung eines öffentlichen Gutes nicht ausgeschlossen werden (NichtAusschließbarkeit) und zum anderen schränkt die Nutzung eines Akteurs nicht die Nutzungsmöglichkeiten anderer ein (Nicht-Rivalität). Darüber hinaus werden öffentliche Güter bereitgestellt, um einem konkreten gesellschaftlichen Bedarf nachzukommen (bspw. Bereitstellung einer öffentlichen Mobilitätsinfrastruktur), das Wohl der Bevölkerung zu steigern (bspw. medizinischer Notruf und Gesundheitsversorgung), oder negative externe Effekte zu vermeiden (bspw. Umweltverschmutzung). Somit ist die Bereitstellung öffentlicher Güter für die Realisierung eines gesellschaftlichen Interesses und die Steigerung des Wohlergehens der Bevölkerung zentral (Deneulin & Townsend 2007). Gesundheitsdaten bergen in gemeinwohlorientierten Nutzungsszenarien ein hohes Potenzial für die Verbesserung der breiten Gesundheitsversorgung (bspw. Forschungsvorhaben, Entwicklung innovativer Technologien und datengetriebener Services). Technische, rechtlich-regulatorische oder wirtschaftliche Barrieren, sowie das persönlich ausgeübte Recht einzelner Bürger:innen auf Privatsphäre, können hinderlich für mögliche medizinische Fortschritte sein oder diese gar verhindern. Gemäß des Solidaritätsprinzips werden Gesundheitsdaten somit immer mehr auch als öffentliche Güter interpretiert, was gleichzeitig jedoch die Notwendigkeit ergibt, Datenräume zu schaffen, die Gesundheitsdaten nach den Prinzipien der Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität zur Verfügung stellen, solange hierdurch ein positiver gesellschaftlicher Zweck verfolgt wird. Hierbei müssen diese Datenräume selbstverständlich die u.a. in der DSGVO bestimmten Rechte der Bürger:innen auf Datenschutz und Datensicherheit erfüllen und eine so genannte “sichere Verarbeitungsumgebung (sVU)” stellen (BMG 2023). Angewendet auf Datenräume, ergibt sich eine neue Perspektive auf Dateninfrastrukturen und -plattformen, die sich fundamental von den bisher dominierenden GAFAMPlattformen unterscheidet. Die Rollen

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und zentralen Aufgaben für die Entwickler und Betreiber solcher Datenräume verschieben sich maßgeblich. Statt der Entwicklung eigener technischer Komponenten oder einem Fokus auf die Ökonomisierung der Daten, gewinnen Fragen hinsichtlich der Daten-Fairness, der Umsetzung einer Prüfung auf Gemeinwohlorientierung innerhalb einzelner Datennutzungsszenarien sowie die Innovationsförderung von Startups und KMUs eine größere Bedeutung.

Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) als Innovationsfeld

Am 3. Mai 2022 wurde von der Europäischen Kommission ein EU-Verordnungsentwurf mit dem Titel “European Health Data Space (EHDS)” veröffentlicht und damit der erste sektorspezifische Datenraum konkretisiert (Europäische Kommission 2022). Im ersten Halbjahr 2023 bereitete die schwedische Ratspräsidentschaft Kompromissvorschläge zum Gesetzesentwurf vor, welcher dann bis zum Ende des Jahres 2023 finalisiert werden soll. Nach Veröffentlichung ist eine übliche Übergangsfrist von 12 Monaten vorgesehen, sodass nach aktueller Planung der Gesetzesentwurf bereits 2025 in Kraft treten könnte.

Der EHDS Gesetzesentwurf, welcher auf den verschiedenen, zuvor erwähnten europäischen Regulierungen aufbaut und diese domänenspezifisch adaptiert, versucht die bisher national unterschiedlichen Rechte und Pflichten für den Gesundheitsbereich zu harmonisieren und auch eine gemeinwohlorientierte Datennutzung zu ermöglichen. Ziel ist die "Förderung eines europäischen Binnenmarktes für digitale Gesundheitsdienste und -produkte", um das Potenzial der Gesundheitsdatenwirtschaft auszuschöpfen (Europäische Kommission 2022). Der EHDS bildet somit den konstruktiven Rahmen für eine entstehende Gesundheitsdatenökonomie, welche die Rechte von Datenbesitzenden und Datennutzenden, die institutionellen Rahmenbedingungen für einen fairen Datenaustausch, die erforderliche Infrastruktur, notwendige Governance Aspekte, sowie notwendige Interoperabilitätsanforderungen konkretisiert.

Gleichzeitig baut der EHDS auf europäischen Werten wie Bürger:innenzentrierung, Datenschutz, Datensouveränität und Transparenz auf. Gerade diese europäischen Prinzipien “by design”, wie die Bekräftigung des personenbezogenen Eigentumsrecht an den eigenen Daten sowie das “Recht auf Vergessen”, sollen und können im Vergleich zu den amerikanischen GAFAM und den asiatischen BATX ein internationales Alleinstellungsmerkmal werden. Daraus folgt, dass durch den Gesetzesentwurf jede:r Bürger:in sofortigen, entgeltfreien und elektronischen Zugang zu ihren/seinen Gesundheitsdaten bekommt und über ihre personenbezogene Verwendung gemäß DSGVO (mit)bestimmt ( Primärdatennutzung). Außerdem soll der Austausch von und Zugang zu verschiedenen Arten elektronischer Gesundheitsdaten, auch zwischen EU Mitgliedsstaaten, vereinfacht werden, um so eine bessere Versorgung zu ermöglichen sowie die Freizügigkeit innerhalb des europäischen Binnenmarktes zu fördern.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Verbesserung der Sekundärdatennutzung im Gesundheitsbereich. Dies könnte zur Verbesserung und Personalisierung der Gesundheitsversorgung führen, würde aber auch die Forschung und Entwicklung voranbringen, Innovationen fördern und datenbasierte politische Entscheidungen ermöglichen. Bei Anwendungen, die für die Öffentlichkeit von Nutzen sind (bspw. Forschungszwecke oder die Verbesserung der Gesundheitsversorgung), werden die Dateninhaber sogar im Sinne eines “Solidarprinzips” verpflichtet, Gesundheitsdaten für diese Zwecke zur Verfügung zu stellen. Datennutzende müssen in jedem Fall Rechte und Regeln (bspw. Datenschutz- und Datensicherheit) beachten, wobei die Datenverarbeitung nur in sicheren und geschützten Verarbeitungsumgebungen (sVU) stattfinden darf (BMG 2023). Somit wird einerseits die Datensouveränität der Bürger:innen gestärkt, indem diese die Transparenz über sämtliche personenbezogenen Gesundheitsdaten erhalten. Auf der anderen Seite werden auch Grenzen der Datensouveränität gesetzt (z.B. Verfügbarmachung von Daten für

die Forschung ohne explizite Zustimmung). Dabei müssen kontinuierlich das Kollektivinteresse der europäischen Gesellschaft gegenüber möglicher Individualinteressen in Form des Rechts individueller Selbstbestimmtheit abgewogen werden. Es ist zwangsläufig sicherzustellen, dass Personen nach Anonymisierung der Daten nicht re-identifizierbar werden. Um eine missbräuchliche Datennutzung zu untersagen, verbietet der EHDS die Verwendung von Daten zu Zwecken, die für Einzelne schädlich sind (bspw. Vertriebszwecke oder die pauschalisierte Risikoadjustierung von Versicherungsprämien). Allerdings ist im aktuellen Gesetzesentwurf noch nicht spezifiziert, anhand welcher Maßstäbe und Instrumente die Überprüfung für einzelne Szenarien der Datennutzung erfolgen soll. Es ist abzusehen, dass sich hier – mit einer zunehmenden Zahl von Anträgen auf Datennutzung – komplexe ethische Fragestellungen ergeben werden, die sich nur unter Abwägung gesellschaftlich legitimierter Leitlinien beantworten lassen. Dies ist einer der Gründe, weshalb die Europäische Kommission die genaue Implementierung des EHDS, mitsamt der notwendigen Details zur institutionellen Verankerung allgemein beschriebener Rollen und Aufgaben, in die Hände der Mitgliedsstaaten gibt.

Die EU Vorgaben auf der Makro-Ebene werden zu notwendigen Anpassungen in den verschiedenen nationalen Gesundheitssystemen führen. Diese müssen nun für die handelnden Akteure neue “Spielregeln” definieren, unter deren Rahmenbedingungen dann digitale Transformationsprozesse beginnen, und somit Innovationen auf den verschiedenen Ebenen der Wertschöpfung geschaffen werden können (Gersch 2022). In Deutschland führte dieses Vorgehen zur Entwicklung einer eigenen Digitalisierungsstrategie für das deutsche Gesundheitswesen, die am 9. März 2023 vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) veröffentlicht wurde und in die nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren, wie dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz, einfließen werden (BMG 2023). Die formulierte Strategie ist geprägt von der Überzeugung, dass auf der Makroebene (EU und nationale Mitgliedsstaaten)

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Abbildung 1: Gersch, M. & Danelski, A. (2022) Integrationsarchitektur zu Dateninfrastrukturen, Datenräumen und Datenökosystemen basierend auf Otto, B. & Burmann, A. (2021): Europäische Dateninfrastrukturen - Ansätze und Werkzeuge zur Nutzung von Daten zum Wohl von Individuum und Gemeinschaft. Informatik Spektrum 44(4), 283–291.

verbesserte digitale Arenen medizinischer Forschung und Versorgung entstehen. Auf der Meso-Ebene befördert und rahmt dies die Herausbildung von Innovationsökosystemen in Form von Netzwerken, Clustern und/ oder Industrie- und Forschungskonsortien. Sie werden neue Ansätze in sicheren Verarbeitungsumgebungen (sVUs) für spezifische Nutzungsszenarien in Forschung, Prävention und Versorgung entwickeln, die aber alle durch die übergreifenden Prinzipien der Bürger:innenzentrierung und Datensouveränität gekennzeichnet sind. Es entstehen digital koordinierte und integrierte Therapieansätze “Digital Therapeutics (DTx)” (Fürstenau et al. 2023), die höheren Nutzen und bessere Effizienz durch breitere Datenverfügbarkeit und Nutzung versprechen (Gersch & Wessel 2023). Orchestratoren realisieren beispielsweise digital unterstützte und integrierte Versorgungspfade entlang einer Patient Journey für spezifische Indikationsgebiete (z.B. Diabetes, Herzinsuffizienz oder Krebs). Im Rahmen dieser “digitalen Disease Management Programme (dDMP)” (BMG 2023) werden intersektoral-, interorganisational-, interdisziplinär- und interprofessionell- interoperable Daten als Grundlage neuer Entscheidungsunterstützungssysteme für Leistungserbringer oder Therapie begleitende Apps für Patient:innen und Angehörige verfügbar (“Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA)” (Fürstenau et

al. 2023). Auf der Mikro-Ebene handelnder Akteure ist es u.a. notwendig, dass Patient:innen, Angehörige und Leistungserbringende mit ihren Anforderungen und Bedürfnissen zum Ausgangspunkt der Entwicklung dieser neuen digitalen und hybriden Versorgungsangebote werden (BMG 2023). Die Akzeptanzforschung zeigt hier die große Bedeutung von Vertrauen sowie einer den Kompetenzen verschiedener Nutzer:innen angepassten Gestaltung neuer Anwendungen (Health und Data Literacy) (Vgl. Holden & Karsh 2010; Fürstenau et al. 2023).

Eine mögliche technische Grundlage für die entstehenden Datenräume bietet Gaia-X.

Gaia-X ist eine in 2019 gegründete deutsch-französisches Initiative, welche eine leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige europäische Dateninfrastruktur zur Verfügung stellt, die auch als Tech-Stack für den EHDS dienen kann (Gaia-X 2023; Gersch & Wessel 2023). Ziel ist es, die Attraktivität digitaler Dienste zu erhöhen, Abhängigkeiten zu reduzieren und Datensouveränität zu fördern. Dies ermöglicht Gaia-X, indem es Infrastrukturen der beteiligten Akteure vernetzt und sogenannte föderierte Dienste (sogenannte „Federated Services“) bereitstellt, welche den souveränen, interoperablen und transparenten Datenaustausch realisieren. Gaia-X hat drei primäre

Aufgaben, die in der Referenzarchitektur beschrieben werden. Erstens spezifiziert es die technische Infrastruktur und Regeln für einen fairen Datenaustausch. Zweitens entwickelt Gaia-X Standard-Datenmodelle und die Referenzumgebung für die Softwarekomponenten, die für die Datenräume und Open-Source Föderationsdienstleistungen benötigt werden. Diese werden in regelmäßig überarbeiteten Gitlab Veröffentlichungen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Drittens akkreditiert Gaia-X die Teilnehmer:innen und die angebotenen Dienste durch die Einrichtung von Registern und Zertifizierungsmechanismen (Identify, Credential and Access Management). Auf Basis der Gaia-X Technologie fördert das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz seit 2021 11 Forschungsprojekte aus verschiedenen Branchen mit insgesamt 117 Millionen Euro. Zwei dieser Projekte sind Health-X dataLoft sowie TeamX. Deren Ziel ist es, die Bürger:innen in das Zentrum der Bereitstellung, Nutzung sowie Kontrolle ihrer eigenen Gesundheitsdaten zu stellen (Health-X 2022, Team-X 2022). Die Gesundheitsdaten aus dem 1. und 2. Gesundheitsmarkt sollen in einem legitimierten, offenen und föderierten Datenraum als sVU für verschiedene Nutzungsszenarien in den Bereichen Forschung, Prävention und Versorgung verfügbar gemacht werden. Abbildung 1 fasst die Layer-Architektur im Zusammenspiel von Gaia-X, dem entstehenden Gesundheitsdatenraum und darauf aufbauenden innovativen und datengetriebenen Smart Services zusammen.

Der Erfolg der Datenräume hängt dabei stark vom Zusammenspiel technischer, organisatorischer und regulatorischer Innovationen und Rahmenbedingungen ab, die eine leistungs- und wettbewerbsfähige Datenökonomie hervorbringen sollen. Zum einen erfordert es eine Weiterentwicklung des bisherigen Verständnisses von digitalen Infrastrukturen. Wurden diese bisher vor allem im Hinblick auf die Zurverfügungstellung von Hardware-Komponenten gedacht (u.a. Datennetze und Server-Strukturen), muss sich diese Perspektive auch auf die notwendigen regulatorischen und organisato -

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rischen Managementaufgaben bzgl. des Aufbaus, der Nutzung und der kontinuierlichen Weiterentwicklung funktionierender Datenräume weiten. Hierzu gehören auch Geschäftsmodellinnovationen zur nachhaltigen Realisierung und dauerhaften Tragfähigkeit erforderlicher Aufgaben entlang der neuen digitalen Wertschöpfungsketten. Zu diesen Geschäftsmodellinnovationen gehören u.a. Datentreuhandmodelle, Datenaggregatoren sowie Orchestratoren von Nutzungsszenarien, die als Intermediäre zwischen Datenhaltenden und Datennutzenden agieren. Zum anderen bedarf es aber auch neuer Gestaltungs- und Handlungsprinzipien, wie beispielsweise der “Digital Responsibility Goals (DRG)” (Identity Valley 2023). Sieben Ziele konkretisieren erforderliche Maßnahmen (inkl. deren Operationalisierung und Messung) für eine kollaborative, interorganisationale Zusammenarbeit, die über die eher grundlegenden Anforderungen einer sicheren Verarbeitungsumgebung hinaus auch für alle Nutzer:innen vertrauenswürdig ist.

Fazit: 10 Jahre zu spät oder gerade noch rechtzeitig?!

Mit Blick auf die Zukunft stellt sich die Frage, welche Rolle GAFAM und BATX im zukünftigen europäischen Datenraum spielen werden. In der Vergangenheit haben sie sich mit “süßem Gift” eine Machtposition gesichert, indem sie äußerst nützliche, datenbasierte Services angeboten haben, die das alltägliche Leben aller Bürger:innen in zentralen Lebensbereichen prägen. Hieraus resultierte eine monopolähnliche Position direkt an der Quelle personenbezogener Daten, die sie nach ihren Regeln weiterverwenden und ökonomisieren konnten. An dieser Vormachtstellung wird sich so schnell und durch freie Marktkräfte nichts ändern, denn das Serviceangebot geht für alle Beteiligten mit kaum aufholbaren Vorteilen einher, u.a. ökonomische Größeneffekte und realisierte Kompetenzvorteile hinsichtlich IT-Infrastruktur, Kund:innenzentrierung, Data Analytics Expertise und Innovationskraft. Zudem stabilisieren Netzwerkeffekte und die erreichte kritische Masse auf Seiten der Nutzer:innen und Komple-

mentäre diese Position (Jacobides et al. 2018).

Ein gänzlicher Ausschluss dieser Akteure könnte unter Umständen zu einer deutlich schlechteren Gesundheitsversorgung für die EU-Bürger:innen führen. Die europäischen Datenräume sollten also keinesfalls als direkter Wettbewerb, sondern vielmehr als Einladung auf Geschäfte mit rund 450 Millionen zahlungskräftigen EU-Bürger:innen (Statista 2022) positioniert werden. Voraussetzungen hierfür ist es aber, sich an die nun proaktiv entwickelten Rahmenbedingungen zu halten und damit die explizierten europäischen Regeln und Prinzipien zu beachten. Schien dies für einzelne nationale Gesundheitssysteme zuvor als zu aufwändig, kann es sich nun durch den entstehenden föderierten Europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS auch für GAFAM und BATX lohnen. Das nächste Jahrzehnt wird zeigen, ob und welche neuen Ausprägungen einer europäischen Datenökonomie Realität werden. Neben den europäischen Bürger:innen gilt es auch, Startups, KMUs und öffentliche Institutionen auf diesem Weg zu begleiten. Die neuen Gegebenheiten implizieren für alle Akteure aufregende Zeiten mit vielen Chancen und Herausforderungen. Nach einer Phase des “digitalen Wilden Westens” definieren nun “neue Sheriffs” die Spielregeln für eine zukünftige kollaborative, datenbasierte Wertschöpfung in Europa. Es gilt die Ideen einer “sozialen Marktwirtschaft” auch für die Datenökonomie weiter zu entwickeln, um Prinzipien der Gemeinwohlorientierung und des Solidarprinzips so zu konkretisieren, dass sie die Mechanismen einer Marktwirtschaft in einer demokratisch legitimierten Richtung nutzen, Fehlentwicklungen aber vermeiden.

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Autoren

Martin Gersch ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, Information

Professor für Betriebswirtschaftslehre, Information und Organisation am Department Wirtschaftsinformatik der Freien Universität Berlin

und Organisation am Department Wirtschaftsinformatik der Freien Universität Berlin. Gleichzeitig forscht er zur Digitalen Transformation als Principal Investigator am Einstein Center Digital Future (ECDF) und begleitet wissenschaftsbasierte Startups am Digital Entrepreneurship Hub (DEH). Er fungiert als Projektleiter von Seiten der FU Berlin in dem vom BMWK geförderten Forschungsprojekt Health-X.

Tim Schurig ist Doktorand am Department Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem vom BMWK geförderten Forschungsprojekt Health-X. Seine Forschungsinteressen umfassen die Governance von öffentlichen Datenräumen, digitale Plattformen, Digital Health sowie Natural Language Processing (NLP).

Arthur Kari ist Doktorand am Department Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem vom BMWK geförderten Forschungsprojekt Health-X. Seine Forschungsinteressen umfassen Digitale Plattformen und Ökosysteme, die kollaborative Wertschöpfung in öffentlichen Datenräumen sowie Digital Health.

Tim Schurig, MSc

Doktorand am Department Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin

Arthur Kari, MSc

Doktorand am Department Wirtschaftsinformatik am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin

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Prof. Dr. Martin Gersch

Ausfallrisiko von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GesmbH): Messung der Häufigkeit (Wahrscheinlichkeit) des Ausfalls via Bilanzdaten und Event Study-Ausfallanalyse

Unternehmensausfälle geben wichtige Hinweise auf den Zustand der Wirtschaft. Traditionellerweise werden bei Ausfallanalysen aktuelle Ausfallraten, d.h. die in Prozent aller aktiven Unternehmen gemessenen Unternehmensausfälle, dargestellt und den Ausfallraten früherer Perioden gegenübergestellt. In „statistischen Ausfallanalysen“ werden die Ausfallraten der früheren Perioden über einen längeren Zeitraum betrachtet und in einer Ampeldarstellung anhand der Maximal- (rot), Medi-an- (gelb) und Minimal-Werte (grün) zusammengefasst. Dies ermöglicht eine Betrachtung der aktuellen Ausfallraten mittels einer statistischen Benchmark-Analyse. In „Event Study-Ausfallanalysen“ beziehen sich die Unternehmensausfälle auf den Eintritt eines einheitlichen Ereignisses (Event Day). Im vorliegenden Beitrag wird diese Analysemethode erörtert, um vertiefte Einblicke in das Ausfallrisiko von Unternehmen mit der GesmbH-Rechtsform sowie die Wirksamkeit von Covid19-Stützungsmaßnahmen zu erhalten.

1. Event Study-Ausfallanalyse: Referenzierung des Ausfallereignisses (Default Event) auf den Bilanzstichtag (Event Day)

Der vorliegende Beitrag ist eine Methoden-fokussierte Zusammenfassung der „Statistische Ausfallstudie mit Bilanzdaten und Covid19Stützung – GesmbH und Co.KG“ (Creditreform Österreich, 2022a).

In dieser Studie werden Ausfälle von rechnungslegungspflichtigen Unternehmen – mit der GesmbH-Rechtsform – mittels „Event Study“-Analysemethode statistisch untersucht. In der Event Study-Ausfallanalyse werden die Ausfälle der Unternehmen mit einer sich auf den Bilanzierungs-

zeitpunkt („Event Day“) beziehenden Zeitverzögerung von einem Jahr gemessen. Das Ausfallereignis („Default Event“) wird mit dem Bonitätsindex von Creditreform in Form einer mangelhaften bzw. ungenügenden Bonität des Unternehmens gemessen.

Zur Analyse der Ausfallursachen wird die Eigenkapitalquote als die wichtigste Bilanzkennzahl in die Analyse einbezogen. Weiters werden zwei Zeiträume unterschieden, u.z. die Abschlussjahre 2015 bis 2018 bzw. 2019 bis 2020, um die Auswirkungen der von öffentlicher Seite gesetzten Covid19-bedingten Stützungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirkungen auf die Ausfallraten zu untersuchen. Zur statistisch fundierten Betrach-

tung von mehreren Einflussfaktoren wird eine logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Schließlich wird auch untersucht, inwiefern sich die Zeitspanne zwischen Bilanzierungszeitpunkt und Bilanzeinreichung („Reporting Delay“) auf die Ausfallraten auswirkt bzw. inwiefern sich dieser Zusammenhang durch die Stützungsmaßnahmen verändert.

Zur Messung des Ausfallrisikos wird eine Basel III-konforme Definition des Ausfallereignisses, welches in der Bankwirtschaft durch das aufsichtsrechtliche Regelwerk weltweit eingesetzt wird, gewählt. Konkret wird das „Ausfallereignis“ (Default Event) anhand eines Creditreform Bonitätsindex von 500 und 600 – si-

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Foto: © Creditreform

Abbildung 1: Ausfallmessung mit Event Study-Ansatz – Event Day Zero und Ausfallereignis (Bonitätsindex ab 500)

ehe linke Seite von Abbildung 1 – gemessen. Ein Bonitätsindex von 500 wird vergeben, wenn ein Zahlungsverzug vorliegt bzw. wenn davon ausgegangen werden muss, dass das Unternehmen auf Basis der Informationen von Creditreform seinen Zahlungsverpflichtungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht nachkommen wird können. Bei einem Bonitätsindex von 600 liegen „harte Negativmerkmale“ vor, d.h. dass sich das Unternehmen bereits in einem Insolvenzverfahren befindet.

Anhand des über den Bonitätsindex gemessenen Ausfallereignisses werden einjährige Ausfallraten für die wirtschaftsaktiven Unternehmen berechnet. Zumal in der Studie die Bilanzkennzahlen den zentralen Referenzpunkt für die Ausfallbetrachtung darstellen, beziehen sich die Ausfallraten jeweils auf den Bilanzstichtag. Wird das Geschäftsjahr eines Unternehmens z.B. Ende März des Jahres abgeschlossen, dann bezieht sich die Ausfallrate bis Ende März des folgenden Jahres. Zur Berechnung der Ausfallrate aller innerhalb eines Jahres rechnungslegenden und wirtschaftsaktiven (Bonitätsindex kleiner als 500) Unternehmen wird die Anzahl der während jeweils eines Jahres ausgefallen Unternehmen (Bonitätsindex von 500 oder größer) zur Anzahl aller im jeweiligen Jahr

rechnungslegenden und wirtschaftsaktiven Unternehmen in Beziehung gesetzt.

Bei dieser Vorgehensweise handelt es sich um eine ‚Event Study‘-Analyse mit dem Bilanzstichtag als Event Day Zero. Sie stellt sicher, dass die in der Stichprobe enthaltenen Unter-

Ausfallereignisse und die damit verbundenen Ausfallraten gemessen.

Die Bilanzstichtage („Event Day“) selbst werden aus den im Firmenbuch eingereichten Bilanzen ermittelt. Für Unternehmen, welche im Bilanzjahr keine Bilanzen eingereicht haben, werden die Bilanzstichtage gemäß den Bilanzstichtagen der vorangegangenen Jahre mit Einreichungen rekonstruiert.

2. Häufigkeiten von Ausfällen (Ausfallraten): Isolierte Analyse einzelner Einflussfaktoren

Datengrundlage für die Event StudyAusfallanalyse ist die Wirtschaftsdatenbank von Creditreform Österreich, welche mit ihren Datensätzen

Abbildung 2: Wirtschaftsaktive Unternehmen mit GesmbH-Rechtsform – Anzahl und Ausfallraten

nehmen einen gemeinsamen fiktiven Referenzpunkt für die Ermittlung der Ausfallraten haben. Diese Event Study-Ausfallanalyse – siehe rechte Seite von Abbildung 1 – unterscheidet sich von der traditionellen Event Study-Methode, welche vom Nobelpreiseträger Eugene Fama (Fama E./ Fisher L./Jensen, M./Roll, R., 1969) eingeführt wurde. Es werden nämlich nicht auf den Event Day Zero folgende Entwicklungen von Aktienrenditen analysiert, sondern künftige

Abbildung 3: Ausfallraten (in %) – Nach Eigenkapitalquote

zu Unternehmen und selbständige Tätigen ein umfassendes und repräsentatives Abbild des österreichischen Unternehmertums darstellt. Für die Studie wurden über den Zeitraum von 2015 bis 2021 wirtschaftsaktiven Unternehmen‘ mit der GesmbHRechtsform analysiert. Dabei handelt es sich um Unternehmen, welche aktive Wirtschaftsbeziehungen unterhalten und Finanzmittel nachfragen. In Abbildung 2 sind die Anzahl sowie die Ausfallraten dieser Unternehmen zu sehen. Der nach dem Jahr 2018 eingezeichnete fette rote Trennstrich zeigt die für die „statistische Benchmark-Analyse“ vorgenommene Unterteilung der Stichprobe gemäß den zwei Zeiträumen, u.z. die Abschlussjahre 2015 bis 2018 bzw. 2019 bis 2020 an. Der erste Zeitraum wird als „Normalszenario“ bezeichnet, in welchem es keine Covid19-Stützungsmaßnahmen von öffentlicher Seite gegeben hat. Die Maximal- (rot), Median- (gelb) und Minimal-Werte

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der sich in diesen Jahren ergebenden Ausfallraten werden zur Ampeldarstellung der Ausfallratenverteilung über diesen Zeitraum verwendet. Auf der linken Seite von Abbildung 2 ist die Ampel anhand der drei farbigen Punkte zu sehen. Sie dient zum statistischen Benchmarking der Ausfallraten der Bilanzabschlüsse in den Jahren 2019 und 2020. Die mit diesen beiden Jahren verbundenen Ausfallraten sind deutlich geringer als im Normalszenario, was sich mit den, an die diesbezüglichen Jahresabschlüssen verknüpften Covi19-Stützungsmaßnahmen begründet.

Abbildung 3 zeigt die Ausfallraten, welche sich durch Einteilung der wirtschaftsaktiven Unternehmen in die 4 Eigenkapitalquoten-Klassen ergeben, u.z. (i) negativ (<0 %), (ii) bis 10 % (<10 %) und (iii) 30 % (<30 %) sowie (iv) darüber (>=30 %). Die sich auf das Normalszenario beziehende Ampeldarstellung zeigt einen monotonen Abfall der Ausfallratenverteilung mit zunehmender Eigenkapitalquote. In den beiden mit nachfolgenden Stützungsmaßnahmen verbundenen Bilanzierungsjahren 2019 und 2020 ergeben sich deutlich reduzierte Ausfallraten. Die Ausfallraten über die 4 Klassen bleiben monoton abfallend, aber das Niveau der Ausfallraten hat sich ca. halbiert. Hinsichtlich der Ausfallraten zeigen die Stützungsmaßnahmen somit eine positive Wirkung, indem diese trotz Covid19bedingtem Konjunktureinbruch auf historische Tiefststände gesenkt wurden. Für weitere Details zur dadurch entstandenen „Covid19-Blase“ siehe Schwaiger (2022).

Abbildung 4 zeigt die Ausfallraten, welche sich durch Einteilung der wirtschaftsaktiven Unternehmen in 11 Branchen ergeben. Linksseitig erfolgt die Anordnung der Branchen nach Zunahme der Median-Werte,

wie sie sich in den Ausfallstudien (Creditreform Österreich, 2022) bezüglich aller wirtschaftsaktiven Unternehmen im Normalszenario ergibt. Bei Betrachtung der (gelben) MedianWerte fällt auf, dass die Reihenfolge bei Fokussierung auf Unternehmen mit GesmbH-Rechtsform durchaus unterschiedlich ist. Beispielshaft erwähnt sei die Branche „Chemie/ Kunststoffe“, welche hinsichtlich der Ausfallverteilung im Normalszenario den zweiten Platz nicht halten kann. Auch bei den Branchen zeigen sich die positive Wirkung der mit den Bilanzierungsjahren 2019 und 2020 verbundenen Stützungsmaßnahmen.

3. Wahrscheinlichkeiten von Ausfällen: Simultane Analyse mehrerer Einflussfaktoren

In der bisherigen Erläuterung der Event Study-Ausfallanalyse wurden die Ausfallraten hinsichtlich einzelner Einflussfaktoren bestimmt. Bei einer simultanen Analyse mehrerer Einflussfaktoren – wie z.B. die gleichzeitige Betrachtung von Eigenkapitalquoten und Branchen – ergeben sich recht rasch Stichprobenprobleme. Die Kombination von verschiedenen Klassifizierungen erfordert die Aufspaltung der Stichprobe in Sub-Stichproben, welche aber häufig für sta-

tistische Analysen einen zu geringen Umfang aufweisen. Dieses Problem wird mittels logistischer Regressionsanalyse gelöst, wo das gesamte verfügbare Datenmaterial verwendet wird und somit die Einrichtung von Sub-Stichproben entfällt. Das in Abbildung 2 vorgestellte Datenmaterial umfasst 349.047 „Firm Year“-Beobachtungen, welche in der logistischen Regressionsanalyse verwendet werden. Weiters werden dabei nicht mehr Ausfallraten in Form von Häufigkeiten ermittelt, sondern Ausfallwahrscheinlichkeiten anhand der logistischen Funktion berechnet.

Abbildung 5 zeigt die simultan ermittelten Ausfallwahrscheinlichkeiten für die 11 Branchen und die 4 Eigenkapitalquoten-Klassen für das Normalszenario, also den Zeitraum von 2015 bis 2018 ohne Stützungsmaßnahmen. Es handelt sich somit um die gemeinsame Betrachtung der beiden isolierten Ampeldarstellungen in Abbildung 3 und Abbildung 4. Die simultane Betrachtung liefert einen statistisch soliden Einblick für jede mögliche Kombination von Branche und Eigenkapitalquote, welcher aus den beiden isolierten Ampeldarstellungen nicht berechenbar ist.

Die positive Wirkung der mit den Bilanzierungsjahren 2019 und 2020 verbundenen Stützungsmaßnahmen wird ermittelt, indem die logistische Regressionsfunktion auch an der Stelle „mit Stützung“ ausgewertet wird und die diesbezüglichen Wahrscheinlichkeiten mit den Wahrscheinlichkeiten „ohne Stützung“ verglichen werden.

Abbildung 6 zeigt auf der linken Seite die sich aus diesem Vergleich ergebende Reduktion der Ausfallwahrscheinlichkeiten und somit die Wirksamkeit der Stützungsmaßnahmen.

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Abbildung 4: Ausfallraten – Nach Branche Abbildung 5: Ausfallwahrscheinlichkeiten von GmbH nach Branche & Eigenkapitalquote (ohne Stützungsmaßnahmen)

Auf der rechten Seite werden die Reduktionen der Ausfallraten gezeigt, wenn die GesmbH-Rechtsform nicht eine eigene Rechtsform ist, sondern in der Rechtsform einer GesmbH & Co.KG eingebettet ist.

Bei genauer Betrachtung der Verbesserungen auf beiden Seiten von Abbildung 6 fällt auf, dass die Prozentwerte unterschiedlich sind, die relative Struktur der jeweiligen Unterschiede ist sich aber sehr ähnlich. Diese Besonderheit ist auch auf der linken Seite von Abbildung 5 erkennbar, wo die drei eingezeichneten Linien sich ebenfalls relativ sehr ähnlich sind. Sie ist darauf zurückzuführen, dass in der logistischen Regressionsanalyse die verschiedenen Effekte anhand von dichotomen „Dummy“Variablen modelliert werden, sodass sich paarweise betrachtete Unterschiede nur auf die Regressionskoeffizienten der jeweiligen Dummy-Variablen beziehen.

4. Häufigkeiten von Ausfällen (Ausfallraten): Reporting Delay-Analyse

Die bisherige Erläuterung der Event Study-Ausfallanalyse hat sich auf zwei Ereignisse bezogen, u.z. dem Bilanzstichtagsereignis als Event Day Zero und dem um ein Jahr versetzten Ausfallereignis (Default Event). Nunmehr wird noch ein drittes Ereignis in die Analyse einbezogen, u.z. der Zeitpunkt der Bilanzeinreichung. Die zeitliche Differenz zwischen dem Bilanzstichtag und dem nachfolgenden Einreichungstag der Bilanz ist der „Reporting Delay“ (siehe Abbildung 1). Untersuchungen hinsichtlich der Reporting Delay gibt es seit den 80erJahren (Ohlsen, 1980 und Lawrence, 1983) und sie sind nach wie vor von großem Interesse (siehe z.B. Lukason/ Camacho-Miñano, 2019). Grundsätzlich ist bei dieser Ursachenanalyse davon auszugehen, dass die Dauer des Reporting Delay eine Signalwirkung

hat, u.z. je früher die Einreichung –also je kürzer der Reporting Delay –desto niedriger die Ausfallrate.

Abbildung 7 zeigt mit den drei Ampelpunkten die Verteilung der Ausfallraten im Normalszenario, d.h. im Zeitraum ohne Stützung für die 5 Reporting Delay-Klassen, u.z. (i) bis 3 Monate, (ii) zwischen 4 und 6 Monaten, (iii) zwischen 7 und 9 Monaten, (iv) zwischen 10 und 12 Monaten sowie (v) über 1 Jahr. Dabei zeigt sich – bis auf die Ausnahme im Jahr 2015 in (i) – eine monoton zunehmende Anordnung der Ausfallrateverteilungen mit dem Reporting Delay, d.h. je länger der Reporting Delay desto höher die Ausfallraten. In den beiden mit Stützungsmaßnahmen verbundenen Jahren 2019 und 2020 verliert sich diese Monotonie weitestgehend. Einzig eine über ein Jahr hinausgehende verzögerte Abgabe führt zu klar höheren Ausfallraten. Die recht hohe Ausfallrate mit den Bilanzen des Jahres 2019 und der kürzesten Abgabeverzögerung von bis zu 3 Monaten weist darauf hin, dass die frühzeitig einreichenden Unternehmen nicht nur von den Stützungsmaßnahmen nicht profitierten, sondern für die vorzeitige Einreichung offensichtlich auch noch „besonders hart beurteilt“ wurden.

Eine weitere Besonderheit im Zusammenhang mit den Reporting Delay-Klassen zeigt sich in Abbildung 8, wo die Verteilung der Unternehmen

hinsichtlich der jeweiligen Reporting Delays gezeigt wird. Dabei fällt auf, dass sich im Zeitraum mit Stützung die Verteilung deutlich in Richtung längerer Reporting Delays verschoben hat. Linksseitig in der Abbildung wird diese Verschiebung visuell veranschaulicht, indem die kumulierten Prozentwerte bezüglich der durchschnittlichen Ausfallraten im Zeitraum ohne Stützung – DS(ohne) – denen der durchschnittlichen Ausfallraten im Zeitraum mit Stützung –DS(mit) – gegenübergestellt werden. In beiden Fällen wird in der letzten Reporting Delay-Klasse der Wert von 100 % erreicht. Im Zeitraum ohne Stützung liegt eine „stochastische Dominanz“ gegenüber dem Zeitraum mit Stützung vor. Zu erkennen ist dies, da die kumulierten Prozentwerte des Zeitraums mit Stützung in allen Reporting Delay-Klassen über den entsprechenden Werten des Zeitraums ohne Stützung liegen.

5. Zusammenfassender Ausblick

In vorliegenden Beitrag wurde die Funktionsweise der Event StudyAusfallanalyse erläutert und deren Vorzüge anhand der praktischen Implementierung (Creditreform Österreich, 2022a) gezeigt. Sie ermöglicht durch die zusätzliche Einbeziehung von publizierten Bilanzinformationen eine verbesserte statistische Analyse von Ausfallereignissen in mehrfacher

Hinsicht:

„ Das 1-jähirge Ausfallrisiko lässt sich zeitlich präzise, d.h. auf den Bilanzstichtag bezogen ermitteln.

„ Die Verwendung von Bilanzkennzahlen ermöglicht die Analyse zusätzlicher wirtschaftlicher Ursachen von Unternehmensausfällen (z.B. Eigenkapitalquote).

Abbildung 7: Ausfallraten – Nach Reporting Delay

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Abbildung 6: Reduktionen durch Stützungsmaßnahmen – GesmbH (links) und GesmbH vs. Co KG (rechts)

Abbildung 8: Reporting Delay – Verteilung der Unternehmen

„ Der Reporting Delay, d.h. das Timing von Bilanzstichtagen und Einreichungszeitpunkten lässt sich ebenfalls ermitteln und in die Ausfallanalyse einbeziehen.

„ Die statistische Benchmark-Analyse und die logistische Regressionsanalyse sind weiterhin einsetzbar, allerdings mit verbesserter Informationsgrundlage aufgrund der zuvor aufgelisteten Vorteile.

Abschließend sei die an detaillierteren Ergebnissen interessierte Leserschaft auf die diesem Beitrag zugrundeliegende und im Internet frei verfügbare „Statistische Ausfallstudie mit Bilanzdaten und Covid19Stützung – GesmbH und Co.KG“

(Creditreform Österreich, 2022a) verwiesen. Demnächst wird es zudem eine Aktualisierung der Default Study-Ausfallanalyse geben, wo die Abschlüsse des Jahres 2021 und die im Jahr 2022 nachfolgenden Ausfälle analysiert werden.

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Autoren

Univ. Prof. Dr. Walter S.A. Schwaiger, MBA Ordinarius für Rechnungswesen und Controlling | TU WIEN

Walter S.A. Schwaiger ist seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls „Rechnungswesen und Controlling“ und Leiter des Forschungsbereichs „Finanzwirtschaft und Controlling“ am Institut für Managementwissenschaften der Fakultät für Maschinenwesen und Betriebswissenschaften an der TU Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Financial Enterprise Management, Enterprise Risk Management und IT-based Enterprise Management.

Mag. Gerhard M. Weinhofer

Mitglied der Geschäftsleitung von Creditreform Österreich

Jahrgang 1977

Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien Europarechtsstudium am CIFE Nice Seit 2005 Unternehmenssprecher von Creditreform in Österreich Seit 2011 Geschäftsführer des Österreichischen Verbandes Creditreform, eines vom BMJ bevorrechteten Gläubigerschutzverbandes gemäß § 266 IO

Zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Insolvenz, Risiko- und Forderungsmanagement sowie zweimal pro Jahr die Studie „Die aktuelle Wirtschaftslage des österreichischen Mittelstandes“

Ordinarius für Rechnungswesen und Controlling | TU

36 WINGbusiness 3/2023 TOP-THEMA
Univ. Prof. Dr. Walter S.A. Schwaiger, MBA WIEN Mag. Gerhard M. Weinhofer Mitglied der Geschäftsleitung von Creditreform Österreich

WING to your success

…wir sind für Sie garantiert von Nutzen … Gerade in Zeiten wie diesen stellen ein reizvoller Workshop, das Verteilen von lukrativen Flyern oder eine interessante Firmenpräsentation effiziente und kostengünstige Möglichkeiten zur Werbung für Unternehmen in Fachkreisen dar. Hervorzuheben ist der Zugang zur Technischen Universität als Innovations- und Forschungsstandort der besonderen Art, denn im Zuge von Bachelor- und/oder Masterarbeiten können Sie Studenten in Ideen für Ihre Firma miteinbeziehen und mit ihnen innovative Lösungen ausarbeiten. Nicht zuletzt wird auf diesem Weg auch für die Zukunft vorgesorgt.

Denn schließlich sind es die heutigen Studenten der Technischen Universität, die morgen als Ihre Kunden, Händler oder Lieferanten fungieren. Mit WINGnet-Werbemöglichkeiten kann man diese nun schon vor dem Eintritt in das Berufsleben von sich und seiner Firma überzeugen und somit eine gute Basis für eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit schaffen. WINGnet Wien veranstaltet mit Ihrer Unterstützung Firmenpräsentationen, Workshops, Exkursionen sowie individuelle Events passend zu Ihrem Unternehmen. WINGnet Wien bieten den Studierenden die Möglichkeit- zur Orientierung, zum Kennenlernen interessanter Unternehmen und Arbeitsplätze sowie zur Verbesserung und Erweiterungdes universitären Ausbildungsweges. Organisiert für Studenten von Studenten.Darüber hinaus bietet WINGnet Wien als aktives Mitglied von ESTIEM (European Students of Industrial Engineering and Ma-

WINGbusiness Impressum

Medieninhaber (Verleger)

Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure

Kopernikusgasse 24, 8010 Graz

ZVR-Zahl: 026865239

Editor Heft 2/2023

Univ. Prof. Dr. Wolfgang Güttel

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Chefin vom Dienst & Marketingleiterin: Mag. Beatrice Freund

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E-Mail: thomas.draschbacher@tugraz.at

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E-Mail: florian.schierlinger-brandmayr@tugraz.at

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E-Mail: andreas.kohlweiss@tugraz.at

Dipl.-Ing. Marco Berger, BSc

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Mag. Beatrice Freund

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nagement) internationale Veranstaltungen und Netzwerke. In 24 verschiedenen Ländern arbeiten 66 Hochschulgruppen bei verschiedenen Aktivitäten zusammen und treten so sowohl untereinander als auch zu Unternehmen in intensiven Kontakt. Um unser Ziel - die Förderung von Studenten - zu erreichen, benötigen wir Semester für Semester engagierte Unternehmen, die uns auf verschiedene Arten unterstützen und denen wir im Gegenzug eine Möglichkeit der Firmenpräsenz bieten. Die Events können sowohl in den Räumlichkeiten der TU Wien als auch an dem von Ihnen gewünschten Veranstaltungsort stattfinden. Weiters können Sie die Zielgruppe individuell bestimmen. Sowohl alle Studienrichtungen als auch z.B. eine Festlegung auf Wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ist möglich. Außerdem besteht die Möglichkeit eine Vorauswahl der Teilnehmer, mittels Ihnen vorab zugesandten Lebensläufen, zu treffen.

Auf unserer Webseite http://www.wing-online.at/de/ wingnet-wien/ finden Sie eine Auswahl an vorangegangenen Events sowie detaillierte Informationen zu unserem Leistungsumfang

WINGnet Wien: Theresianumgasse 27, 1040 Wien, wien@wingnet.at ZVR: 564193810

Druckhaus Scharmer GmbH, Europastraße 42, 8330 Feldbach

Auflage: 1.800 Stk.

Titelbild: (c) AdobeStock Lizenz TU Wien

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Kopernikusgasse 24, 8010 Graz, Tel. (0316) 873-7795, E-Mail: office@wing-online.at

WING-Homepage: www.wing-online.at

Erscheinungsweise

4 mal jährlich, jeweils März, Juli, Oktober sowie Dezember. Nachdruck oder Textauszug nach Rücksprache mit dem Editor des „WINGbusiness“. Erscheint in wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit den einschlägigen Instituten an den Universitäten und Fachhochschulen Österreichs. Der Wirtschaftsingenieur (Dipl.-Wirtschaftsingenieur): Wirtschaftsingenieure sind wirtschaftswissenschaftlich ausgebildete Ingenieure mit akademischem Studienabschluss, die in ihrer beruflichen Tätigkeit ihre technische und ökonomische Kompetenz ganzheitlich verknüpfen. WING - Österreichischer Verband der Wirtschaftsingenieure ist die Netzwerkplattform der Wirtschaftsingenieure. ISSN 0256-7830

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MASTERING the GREEN & DIGITAL TRANSITION

Executive MBA Digital Leadership

Digital Economy I Führungsverhalten I Spezialisierung im Anwendungsfeld:

 Digital & Sustainable Production

 Future Mobility & Management

 Digitization & Energy Management

 Digital Construction Management

 Agile Skills & New Work

 Digital Finance & Accounting

 Smart Service Systems & Management

Executive MBA Green and Digital Transition

Digital & Green Economy I Zero Carbon Management in zwei Anwendungsfeldern:

 Energy & Green Production: System Solutions for Industry, Energy Efficiency

 Energy & Green Production: New Processes, Biorefinery, Green Hydrogen

 Corporate Mobility

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Start: 1. März 2024

Anmeldefrist: 15. Februar 2024

Dauer: 18 Monate

Format: berufsbegleitend (75 ECTS)

EMBALead.tugraz.at

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www.LifeLongLearning.tugraz.at START März 2024

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