Zum Geleit Die Eberswalder Forstfakultät und die DDR-Aufarbeitung M A R T I N S A B RO W
Die DDR lässt sich auf unterschiedliche Weise erzählen. Ihre vierzigjährige Existenz präsentiert sich als Geschichte einer staatssozialistischen Diktatur, die ihren von Teilen der Gesellschaft gestützten Bemächtigungsanspruch mit vielen Windungen, aber im Kern unbeirrt bis in die letzten Winkel ihres Staates vorantrieb. Sie offenbart sich im Nachhinein ebenso als Geschichte einer forcierten Modernisierung, die im Kampf der Systeme zunächst glaubte, den von allen Vergangenheitsrücksichten befreiten Fortschritt auf ihrer Seite zu wissen, und am Ende an ihrer strukturellen Reform- und Innovationsunfähigkeit zugrunde ging. Die DDR umfasst schließlich auch die fortwirkenden Traditionen und institutionellen Beharrungskräfte in der ostdeutschen Gesellschaft, deren Bürger dem staatlichen Durchherrschungsanspruch überwiegend mit skeptischer Distanzierung und eigensinnigem Durchlavieren begegneten und darin die Erziehungsdiktatur zunächst nur zu härterem Handeln anspornten, um sie späterhin zu den als »Realsozialismus« bezeichneten Kompromissen und Rücknahmen zu drängen und am Ende in die Resignation und Auflösung zu zwingen. In diese dreifache Perspektive bettet sich auch das hier erzählte Schicksal der traditionsreichen Forsthochschule Eberswalde ein, die 1946 als Forstwirtschaftliche Fakultät der Berliner Humboldt-Universität angegliedert und 1963 wieder aufgelöst wurde. Wie in jeder historischen Darstellung überlagern sich auch in dieser die Zeitschichten von Gegenstand und Betrachtung: Die vorliegende Studie erschließt aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte einer institutionellen Abwicklung im SED-Staat und ist zugleich selbst Zeugnis einer schon historisch gewordenen Phase der DDR-Aufarbeitung nach 1990, deren Annahmen und Sehepunkte das Buch strukturieren und seine Erzählfäden weben. Dass dieses Buch seinen Charakter als im Fluss befindliche und unfertige Annäherung an einen im kulturellen Gedächtnis noch nicht gültig verorteten Gegenstand in diesem Fall besonders erkennbar darbietet, hängt mit den besonderen Umständen seiner Textgeschichte zusammen. Sein Hauptautor, der Berliner Zeithistori-
Z u m G eleit
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