3 minute read

Zum Geleit

Next Article
Vorbemerkung

Vorbemerkung

Zum Geleit Die Eberswalder Forstfakultät und die DDR-Aufarbeitung

MARTIN SABROW

Advertisement

Die DDR lässt sich auf unterschiedliche Weise erzählen. Ihre vierzigjährige Existenz präsentiert sich als Geschichte einer staatssozialistischen Diktatur, die ihren von Teilen der Gesellschaft gestützten Bemächtigungsanspruch mit vielen Windungen, aber im Kern unbeirrt bis in die letzten Winkel ihres Staates vorantrieb. Sie offenbart sich im Nachhinein ebenso als Geschichte einer forcierten Modernisierung, die im Kampf der Systeme zunächst glaubte, den von allen Vergangenheitsrücksichten befreiten Fortschritt auf ihrer Seite zu wissen, und am Ende an ihrer strukturellen Reform- und Innovationsunfähigkeit zugrunde ging. Die DDR umfasst schließlich auch die fortwirkenden Traditionen und institutionellen Beharrungskräfte in der ostdeutschen Gesellschaft, deren Bürger dem staatlichen Durchherrschungsanspruch überwiegend mit skeptischer Distanzierung und eigensinnigem Durchlavieren begegneten und darin die Erziehungsdiktatur zunächst nur zu härterem Handeln anspornten, um sie späterhin zu den als »Realsozialismus« bezeichneten Kompromissen und Rücknahmen zu drängen und am Ende in die Resignation und Auflösung zu zwingen.

In diese dreifache Perspektive bettet sich auch das hier erzählte Schicksal der traditionsreichen Forsthochschule Eberswalde ein, die 1946 als Forstwirtschaftliche Fakultät der Berliner Humboldt-Universität angegliedert und 1963 wieder aufgelöst wurde. Wie in jeder historischen Darstellung überlagern sich auch in dieser die Zeitschichten von Gegenstand und Betrachtung: Die vorliegende Studie erschließt aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte einer institutionellen Abwicklung im SED-Staat und ist zugleich selbst Zeugnis einer schon historisch gewordenen Phase der DDR-Aufarbeitung nach 1990, deren Annahmen und Sehepunkte das Buch strukturieren und seine Erzählfäden weben. Dass dieses Buch seinen Charakter als im Fluss befindliche und unfertige Annäherung an einen im kulturellen Gedächtnis noch nicht gültig verorteten Gegenstand in diesem Fall besonders erkennbar darbietet, hängt mit den besonderen Umständen seiner Textgeschichte zusammen. Sein Hauptautor, der Berliner Zeithistori-

ker Burghard Ciesla, hatte seine auf einem Forschungsauftrag zum 50. Jahrestag der Schließung der Forstwirtschaftlichen Fakultät Eberswalde beruhende Studie in enger Kooperation mit dem Forstwissenschaftler Hans-Friedrich Joachim weit vorangetrieben, als der Tod 2020 erst seinem Mitautor und dann ihm selbst vor Abschluss der Arbeit die Feder aus der Hand nahm. Die Zusammenstellung der teils abgeschlossenen, teils bloß skizzenhaften Abschnitte der geplanten Geschichte der Forstfakultät bedurfte eines weiteren zeitaufwendigen und mühseligen Arbeitsschritts. Ihn besorgte Ulrich Schulz, der zur Abrundung des Texttorsos weitere Beträge und Stellungnahmen von Fachhistorikern und Zeitzeugen einbezog. So spiegelt das vorliegende Buch in seinen verschiedenen Bearbeitungsstufen, seinen Akzentsetzungen und Unwuchten nicht nur die methodische Vorgehensweise in der fortschreitenden Erhellung eines vordem weithin unbeachteten Forschungsthemas, sondern zugleich auch die sich wandelnden Blickachsen und Nuancierungen der zeithistorischen DDR-Aufarbeitung nach 1990.

Dies gilt insbesondere für die das Buch wie ein roter Faden durchziehende Frage nach den Ursachen für das abrupte Ende der forstwirtschaftlichen und forstwissenschaftlichen Ausbildung in Eberswalde, das sich ebenso diktatur- wie modernisierungsgeschichtlich deuten lässt. Unter dem Titel »… wegen mangelhafter politischer Erziehung« stand eine 2013 anlässlich des fünfzigsten Jahrestags der Fakultätsschließung durchgeführte Tagung in Eberswalde, die sich in Vorträgen und Diskussion ausgiebig den repressiven Hintergründen der Fakultätsschließung 1963 widmete und das Grundgerüst der vorliegenden Publikation bereitstellte. Entsprechend betonen die verschiedenen Teilkapitel des Buches insbesondere das Maß an Verfolgung und Unterdrückung, das die Fakultätsgeschichte in der frühen DDR kennzeichnete und nicht von der exponierten Lage der Fakultät nahe Berlins und der bis 1961 noch keineswegs abgedichteten Nahtstelle des Kalten Krieges zu trennen ist. Ein anderes Narrativ bietet die parteiamtliche Aktenlage an, die keineswegs die desolate politische Situation in Eberswalde ins Zentrum rückt, sondern lediglich eine vorherige Stellungnahme der zuständigen ZK-Abteilung zur Begründung ihres Schließungsvorschlags angeführt hatte. Ganz im Gegenteil hebt der Beschluss des ZK-Sekretariats vom 29. August 1962 über die »Konzentration der forstlichen Hochschulausbildung an der Fakultät für Forstwirtschaft der Technischen Universität in Tharandt« allein auf die zuvor in mehreren ZK-Plenen orchestrierte Kampagne zur Sparsamkeit und Zentralisierung ab, die das SED-Regime nach dem Mauerbau ausgelöst hatte, um für den weiteren Wettlauf der Systeme gewappnet zu sein.

Was ist Wahrheit, was Camouflage? Aus diktaturgeschichtlicher Perspektive fällt die Antwort anders aus als aus modernisierungsgeschichtlicher. Die DDR-

Aufarbeitung der ersten Jahrzehnte nach 1990 bezog sich mehr auf die grundlegenden Unterschiede von Demokratie und Diktatur als auf die systemübergreifenden Herausforderungen von Rationalisierung und Transformation im Kontext der sich ändernden globalwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die seither zunehmend in den Fokus der Forschung geraten sind und die Konjunkturkrisen der 1960er Jahre als Vorboten des folgenden industriegeschichtlichen Strukturbruchs erscheinen lassen. Beide Sichtweisen können plausible Argumente für sich in Anspruch nehmen. Das vorliegende Buch spiegelt in seinen unterschiedlichen Argumentationslinien am Beispiel des Schicksals der Eberswalder Forstausbildung somit zugleich die Anerkennung und die Abwehr, die die unterschiedlichen Blickwinkel auf die DDR im Geschichtsdiskurs nach 1990 und angesichts des nahenden Abschieds von der Zeitzeugenschaft der Systemkonkurrenz erfahren haben.

»Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, ihr Grundmuster nicht der Kontrast eines Schachbretts; die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen.«

Thomas Nipperdey, 19981

This article is from: