Einleitung ULRICH SCHULZ
Das vorliegende Buch bietet Bausteine für die Aufarbeitung der Eberswalder Hochschulgeschichte. Dabei geht es nicht um die Gründerzeit der Eberswalder Forstakademie seit 1830, es geht nicht um die Zeit im Kaiserreich, um die Zeit der Weimarer Republik oder gar um die Jahre des Nationalsozialismus. All dies wäre erzählenswert,2 doch hier geht es um die jüngere Zeit in der DDR und um die Prozesse, die zur Auflösung der Forstlichen Fakultät im Jahr 1963 führten. Das klingt so nüchtern. Aber in den verschiedenen Entwicklungssträngen, die bis zur Schließung der Fakultät führten, kamen Geschichten vor, die wie aus einem politischen Thriller entnommen wirken. So werden Studenten aufgrund politischer Proteste exmatrikuliert, Doktortitel aberkannt, ein Dekan degradiert. Viele Mitarbeiter der Forstfakultät fliehen. Eine Professorenfrau hat ein Verhältnis mit einem Studenten und spioniert mit ihm für den westlichen Geheimdienst. Echte und vermeintliche Spione treten auf, Doppelagenten lösen Verhaftungen aus und die Stasi setzt zunehmend Inoffizielle Mitarbeiter ein – sowohl in der Spitze der Verwaltung als auch in der Professorenschaft. Eberswalder Wissenschaftler sollen verpflichtet werden, keine Westliteratur mehr zu lesen und Westkontakte einzustellen. Es gibt Demütigungen und Bespitzelungen. Eberswalder Forstabsolventen in Joachimsthal werden als renitent angesehen, da sie der Einrichtung einer Staatsjagd für Mielke und Honecker im Wege stehen. Die Dozenten werden zunehmend unter Druck gesetzt, da sie »nicht im Sinne des Sozialismus unterrichten«. Eberswalder Fakultätsangehörige gelten »wegen mangelhafter politischer Erziehung« im Sinne der SED als unzuverlässig und der Vorwurf lautet, »dass nur fachliche Kenntnisse vermittelt« werden, anstatt bei dem Aufbau des Sozialismus zu helfen.3 Es gibt viele Einschüchterungsversuche bei Studierenden und Dozenten, es finden öffentliche Schauprozesse statt, Biografien werden gebrochen. Bewundernswert, dass in diesem Klima noch so gut gearbeitet werden konnte. Aber trotz der fachlichen Erfolge wird die Fakultät im September 1963 geschlossen. Von all dem erzählt dieses Buch.
E inleitung
Akademischer-Kahlschlag.indb 11
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01.06.22 08:29