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Inflation mit großer Dynamik

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Euroraum und EU

Euroraum und EU

Der Nahe Osten, Nordafrika und Pakistan dürften ebenso wie Israel und der Kaukasus sowie Zentralasien erneut mit gut vier Prozent zulegen. Afrika südlich der Sahara wird nach 3¾ Prozent Wachstum im letzten Jahr 2022 mit gleichem Tempo wachsen können, sofern die Pandemie nicht zu größeren Verwerfungen führen sollte. Südafrika ist 2021 deutlich besser aus der Krise herausgekommen als erwartet (plus fünf Prozent) und dürfte dieses Jahr mit zwei Prozent moderater zulegen. Nigeria wird erneut mit 2½ Prozent zulegen.

Inflation mit großer Dynamik

Die weltweite Inflationsentwicklung ist vorrangig durch die Pandemie geprägt. Während die Industrieländer 2020 nur eine Inflationsrate von 0,7 Prozent aufwiesen, wurden 2021 gut drei Prozent erreicht; 2022 dürfte sich die Dynamik etwas abschwächen und nach Ansicht des IWFs bei knapp 2½ Prozent liegen, nach Ansicht der OECD im ähnlichen Länderkreis jedoch bei 4,2 Prozent (OECD 2021). Für die Schwellenländer hat sich die Lage nicht so stark verändert, die Inflationsrate dürfte um einen halben Punkt von 5,5 Prozent auf gut fünf Prozent abnehmen (IWF 2021).

Inflationsgeschehen und Geldpolitik sehr uneinheitlich

In den zurückliegenden Monaten hat sich die Inflationsdynamik in Europa und den USA weiter verstärkt, während sie in den großen Volkswirtschaften Asiens schwach war. Die Notenbanken in den Vereinigten Staaten und in den europäischen Ländern sind von der Stärke des Aufschwungs, den fortdauernden diversen Engpässen und einigen Sondereffekten etwas auf dem falschen Fuß erwischt worden, ebenso wie die Märkte selbst, die kontinuierlich ihre Prognosen nach oben revidieren mussten. Die Inflationsraten haben dabei Größenordnungen erreicht, wie sie seit über 20 Jahren nicht mehr zu beobachten waren. Infolgedessen hat auch die öffentliche Debatte um daraus resultierende Risiken – insbesondere in Deutschland – an Bedeutung gewonnen, sodass die großen Notenbanken ihre expansive Geldpolitik zunehmend öffentlich rechtfertigen müssen bzw. allmählich den Hebel umlegen und die Straffung einleiten. In anderen Ländern, vor allem in China und Japan, blieb die Inflationsrate dagegen aufgrund der wirtschaftlichen Abschwächung niedrig. In einigen Industrie- und Schwellenländern wiederum musste bereits durch eine geldpolitische Straffung auf temporären Druck reagiert werden, etwa in Australien und Neuseeland, in Brasilien, Russland und Süd-Korea sowie in einigen osteuropäischen Ländern (Polen, Ungarn, Tschechien). Das Bild bleibt weiterhin heterogen.

Die USA und der Euroraum durchlaufen Inflationsschub

Die verstärkte Preisdynamik in Nordamerika und in Europa wird weiterhin von dem Jojo-Effekt des Aufschwungs nach der Pandemie, dem strukturellen Nachfragewandel von Dienstleistungen zu Gütern, von einigen temporären Faktoren auf den Energiemärkten (mit kurzfristig inflationärem Einfluss) sowie pandemiebedingten Sondereffekten (wie der Schließung von Häfen, das querliegende Schiff im Suezkanal und des Logistikdurcheinanders im Containerschiffverkehr vor allem in Kalifornien) dominiert. Ergänzend kam die starke weltweite Nachfrage, gestützt durch die expansive Geld- und Finanzpolitik, insbesondere in den USA, hinzu. In einigen Ländern spielten auch wirtschaftspolitische Entscheidungen eine Rolle, etwa die halbjährige Absenkung des Mehrwertsteuersatzes und die Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems in Deutschland bzw. das Auslaufen bestimmter Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik der USA. Die meisten Sondereffekte werden im kommenden Jahr auslaufen; allein die Halbleiterkrise dürfte noch deutlich bis ins Jahr 2023 andauern.

Inflation in den USA löst geldpolitische Reaktion aus

Das Inflationsgeschehen in den USA in den letzten beiden Jahren hat seit dem Sommer eine größere Diskussion über die Geldpolitik ausgelöst. Insbesondere die Frage, ob der Preisdruck nur vorübergehend sei und daher ignoriert werden könne oder doch einem stärkeren und breiteren Inflationstrend folge, auf den zu reagieren ist, beherrscht die Debatte. In der Kommentierung herrscht vorübergehend die Meinung vor, die FED reagiere zu spät. Nun stehen die Zeichen bereits auf Straffung.

Die US-Notenbank hat im Dezember letzten Jahres die geldpolitischen Zügel angezogen, um dem mittlerweile breiteren Preisauftrieb entgegenzuwirken. So wird die FED die Ankaufprogramme um monatlich 30 Milliarden US-Dollar reduzieren. Die FED hat auch das Argument, der Preisdruck sei nur temporär, ad acta gelegt und den Fokus auf die Erreichung einer maximalen Beschäftigung als zweitem Ziel neben der Inflation gelegt. Angesichts der FED-Aussagen rechnet man damit, dass das Beschäftigungsziel im Laufe des Jahres erreicht werden wird (dann bei einer Arbeitslosenquote von 3½ Prozent). Zudem ist die mittlere Erwartung von Zinsschritten der Mitglieder des zuständigen Offenmarktausschusses deutlich angehoben worden: von 0,3 Prozent auf 0,9 Prozent 2022, von einem Prozent auf 1,6 Prozent 2023 und von 1,8 auf 2,1 Prozent 2024 (FED 2021). Zugleich hat die FED die Inflationsprognose für die Preisentwicklung der privaten Konsumausgaben 2021 um einen Punkt deutlich auf über fünf Prozent (5,3 Prozent) angehoben, während die Wachstumserwartung um einen halben Punkt heruntergenommen wurden (auf 5,5 Prozent). Für das laufende Jahr wurde dagegen die Wachstumserwartung leicht auf vier Prozent erhöht; die FED erwartet eine Inflationsrate von 2,6 Prozent und eine höhere Kerninflation von 2,3 Prozent. Insofern erwartet der Markt nun ein Auslaufen der Kaufprogramme bereits im März 2022 und im Schnitt drei Zinsanhebungen von je einem Viertelprozentpunkt im laufenden Jahr, gefolgt von weiteren Schritten bis 2024/25, mit denen der Leitzins dann leicht über zwei Prozent angehoben würde. Die FED wird freilich datenabhängig agieren und die möglichen negativen Auswirkungen des Infektionsgeschehens berücksichtigen.

Für die Inflationsentwicklung in den USA spielen neben den Nachhol- und den Basiseffekten bei Energie- und Rohstoffpreisen, den Lieferproblemen bei Halbleitern (und implizit dadurch die Preisentwicklung bei Gebrauchtwagen) und statistischen Sondereffekten auch die Überauslastung des Produktionspotenzials durch die expansive Finanzpolitik der Biden-Administration eine Rolle. Insofern bewahrheitet sich die Erwartung einiger führender, den Demokraten nahestehender Ökonomen, dass der Mix aus Pandemieeffekten, Lieferproblemen und expansiver Nachfragepolitik der öffentlichen Hand Inflationsprobleme verursachen und eine geldpolitische Reaktion erforderlich machen dürfte.

EZB legt vorsichtig den Schalter auf Straffung um

Auch die Europäische Zentralbank hat im Dezember ihre Einschätzung der Wachstums- und Inflationsentwicklung und ihre Geldpolitik leicht angepasst. So geht die EZB von einem Wachstum im Euroraum in Höhe von 4,2 Prozent 2022 aus, während sie die Inflationsrate bei 2,6 Prozent 2021 und 3,2 Prozent 2022 liegen sieht (EZB 2021). Sie hat ihre Inflationseinschätzung deutlich angehoben, für das laufende Jahr gar um anderthalb Punkte. Die EZB hat jedoch auch ein härteres Pandemieszenario betrachtet, in dem das Wachstum im Euroraum sich nur auf 1,5 Prozent 2022 (2,2 Prozent und 2,5 Prozent 2023/24) beläuft und die Inflationsrate von 3,1 Prozent im laufenden Jahr auf 1,4 bzw. 1,3 Prozent in den Folgejahren zurückgehen dürfte. Die Kernrate verbleibt der EZB zufolge im Hauptszenario jedoch über den gesamten dreijährigen Projektionsraum unter zwei Prozent.

Wie erwartet hat die EZB beschlossen, Nettokäufe im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms PEPP im März auslaufen zu lassen. Zugleich wird man die Tilgungszahlungen nun um mindestens ein Jahr länger als zuvor geplant bis Jahresende 2024 reinvestieren. Dabei wird man flexibel vorgehen und ggf. auch Nettokäufe griechischer Staatsanleihen vornehmen können. Zudem werden die Käufe im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) von 20 auf 40 Milliarden Euro im zweiten und auf 30 Milliarden Euro im dritten Quartal erhöht. Ab Oktober sollen dann Käufe im Volumen von 20 Milliarden Euro so lange fortgeführt werden, wie die geldpolitische Flankierung es erfordert. Zudem enthielt die Entscheidung einen Hinweis darauf, dass das Liquiditätsprogramm TLTRO III, also die dritte Serie gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte (GLRG III), im Juni auslaufen dürfte.

Inflationsentwicklung ebenso dynamisch wie unerwartet

Die EZB war in der öffentlichen Debatte ebenfalls unter Druck geraten. Dies lag an den Monatswerten für die Inflationsrate. Diese war für den gesamten Euroraum (gegenüber dem Vorjahresmonat) im November letzten Jahres auf einen Wert von 4,9 Prozent angestiegen und hatte damit den bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2008 deutlich übertroffen. Im dreimonatigen Durchschnitt (September bis November) ergibt sich eine Rate von etwas über vier Prozent. Für Deutschland erwartet die Bundesbank wiederum einen Anstieg der Verbraucherpreise (HVPI) von 3,6 Prozent im laufenden Jahr, der sich auf je 2,2 Prozent in den beiden Folgejahren abschwächen sollte. Die Spitze der Teuerungsrate sollte im Dezember letzten Jahres gelegen haben (Deutsche Bundesbank 2021).

Neben den auch für die USA geltenden Basiseffekten, den Energie-, Rohstoff- und Zwischengüterpreisen, und steuer- oder klimapolitischen Maßnahmen wie in Deutschland kamen im Euroraum noch weitere Effekte für die jüngste Inflationsentwicklung hinzu. Die statistische Anpassung des Warenkorbs verstärkte den gemessenen Preisanstieg zudem um wenige Zehntel-Prozentpunkte. Die Kernrate der Inflation (ohne Berücksichtigung der Preisentwicklung für Energie und Nahrungsmittel) war allerdings deutlich niedriger, legte aber ebenfalls kräftig zu und stieg im November auf 2,6 Prozent an. Der dreimonatige Durchschnitt lag bei etwa zwei Prozent.

Energiepreise von vielen Sondereffekten getrieben

Der Anstieg der Energiepreise hat sich bis Oktober erstreckt, zuletzt haben teils Preisrückgänge eingesetzt, die von einem erneuten Anstieg Mitte Dezember abgelöst wurden. Der Ölpreis hat sich wieder auf das Vorkrisenniveau begeben und damit seit Juni 2020 mehr als verdoppelt. Der Gaspreis am Spotmarkt ist dramatisch gestiegen. Der Kohlepreis hat sich verachtfacht. Am Ölmarkt spielten Produktionskürzungen der OPEC, der Frost in Texas im Februar 2020 und der Hurrikan Ida im August eine limitierende Rolle. Ähnliche Sondereffekte schränkten die Kohleförderung um fünf Prozent ein. Auf dem Gasmarkt sind fünf Effekte dominant: hohe LNG-Nachfrage in China und Südamerika, harter Winter 20/21, niedrige Lagerbestände im Sommer (ca. 50 Prozent des Normalniveaus), Restocking in Russland und Flaute in der EU 2021 (und damit Gasbedarf für die Verstromung). Diese Entwicklung trägt zu einem weiterhin hohen Anstieg der Import- und Verbraucherpreise bei. Die Märkte erwarten jedoch deutlich nachlassende Notierungen für Brent und WTI im Frühjahr 2022. Der Gasmarkt dürfte noch einige Monate angespannt bleiben.

Auch Lieferengpässe haben Anstieg der Erzeugerpreise verursacht

Angebotsseitige Lieferengpässe haben zudem einen Anstieg der Input- und Erzeugerpreise verursacht, was die allgemeine Preisentwicklung zusätzlich treibt. Da mittlerweile über 90 Prozent der Unternehmen (in Deutschland) von Inputpreissteigerungen betroffen sind, schlägt sich dies auf die Erzeugerpreise nieder. Diese sind zuletzt so stark angestiegen wie lange Zeit nicht mehr: Für den Euroraum wurden mit deutlich zweistelligen Steigerungsraten die höchsten Werte seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1996 gemessen, während in Deutschland mit über 15 Prozent der stärkste Anstieg seit den 1970er Jahren zu verzeichnen ist. Der Anstieg der Erzeugerpreise wirkt sich deshalb auch auf die Verbraucherpreise und die allgemeine Teuerungsrate aus, da die Unternehmen solche Kostensteigerungen nicht allein über die Marge abfedern können.

Inflationserwartungen liegen nun leicht höher

Bislang sind verschiedene Messgrößen für die mittelfristigen Inflationserwartungen von Bürgern und Märkten zwar leicht angestiegen, haben aber noch keine bedenklichen Niveaus erreicht. Die mittelfristigen Inflationserwartungen haben sich kürzlich an den Zielwert von zwei Prozent angenähert. Daraus folgt, dass die Marktteilnehmer auf absehbare Zeit keinen dauerhaften oder überproportionalen Preisdruck erwarten.

Lohn-Preis-Spirale unwahrscheinlich, aber Lohnentwicklung mittelfristig stärker

Trotz des aktuellen Preisanstiegs lassen sich in Deutschland und in Europa noch keine Hinweise für eine Lohn-Preis-Spirale finden. Gleichwohl dürften die Lohnsteigerungen in den größeren Ländern aus mehreren Gründen zukünftig wieder ansteigen. Die Veränderung der Tariflöhne sowohl in Deutschland als auch Europa dürfte 2021 bei etwa 1,5 Prozent gelegen haben. Im laufenden Jahr dürfte die Entwicklung der Löhne im Euroraum knapp über drei Prozent liegen, da insbesondere die Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland für eine satte Erhöhung sorgen wird; 2023 dürfte sich der Trend wieder etwas abschwächen. Auch in Frankreich dürfte ein Lohnwachstum von über 2½ Prozent realisiert werden, während die Lohnentwicklung in Italien und Spanien mit eher 1½ Prozent noch etwas schwächer ausfallen dürfte (Deutsche Bank Research 2021b, Europäische Kommission 2021). Die Erholung des Arbeitsmarkts sollte sich noch in den meisten Ländern bis 2023 hinziehen, aber sektorale Knappheiten sind bereits vorzufinden. In realer Rechnung entwickeln sich die Vergütungen dagegen weiter vergleichsweise moderat. Nach einem Zuwachs von rund einem halben Prozent 2021 dürften 2022/23 wieder Werte von rund einem Prozent erreicht werden.

In Deutschland waren zusätzliche Preistreiber am Werk

In Deutschland fällt der Anstieg der Inflationsraten (im November 5,2 Prozent gegenüber Vorjahr) bereits seit einigen Monaten stärker aus als im gesamten Euroraum. Dafür sind auch politisch induzierte Sondereffekte verantwortlich. Hierzu zählen insbesondere zwei Faktoren: Erstens wirkte sich die Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems preissteigernd aus. Zweitens hat sich bis zum Ende des Jahres 2021 die Rücknahme der befristeten Senkung der Mehrwertsteuer bemerkbar gemacht. Beide Effekte sollten Anfang des Jahres zum Erliegen kommen und zu einer leichten Beruhigung der Preisdynamik beitragen.

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