Martin Cleis Gebet der Wolken 1987/2023 Galerie Mollwo

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MARTIN CLEIS GEBET DER WOLKEN 1987/2023 Going through the Archives II

Galerie Mollwo Riehen/Basel



Edition loftPPRODUCTIONS 2023

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Dieser Katalog erscheint zum Jubiläum

MARTIN CLEIS 50 Jahre freischaffend 1973/2023 im Rahmen der Ausstellung: «Künstlerinnen und Künstler der Galerie unter besonderer Hervorhebung von Martin Cleis» 22. Dezember 2023 bis 4. Februar 2024 Galerie Mollwo Gartengasse 10 CH 4125 Riehen/Basel www.mollwo.ch

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ZWEIERLEI WEGE EIN VORWORT Martin Cleis hat, wie auch ich, die Zeichenlehrerausbildung an der Kunstgewerbeschule Basel absolviert, einfach einige Jahre früher. Beide genossen wir Unterricht bei Lehrern wie Gustav Stettler, Alex Maier oder Johannes Burla, Ausbildungsleiter war Lenz Klotz. Alle Lehrer verstanden sich in erster Linie als Künstler. Zum Studienabschluss gab uns Lenz Klotz einige Gedanken mit auf den Weg: Nun böten sich zwei Wege mit gleichem Ziel an. Wir könnten im Teilpensum unterrichten und uns daneben Zeit für das Kunstschaffen nehmen, oder aber uns für die Kunst entscheiden. Da werde dann halt mehr Zeit für die Geldsuche benötigt, für die Teilnahme an Wettbewerben, für Gesuche um Stipendien, Werkbeiträge, etc. Sowohl Martin Cleis wie ich haben vorerst den Weg in die Unterrichtsstuben gewählt. Er wurde erster Zeichenlehrer an der neu geschaffenen Sekundarschule in Oberwil, ich war dort sein Nachnachfolger. So kam es zu unseren ersten Begegnungen, die später in Freundschaft mündeten. 1973, damals Zeichenlehrer am Lehrerseminar Aarau, verabschiedete sich Martin Cleis für immer aus dem Schuldienst. Es drängte ihn, sich mit ganzer Kraft der Kunst zu widmen. Er hat es nie bereut

und eine erfolgreiche Künstlerlaufbahn hingelegt… Zeichnen unterrichten und Kunst schaffen verlangen nach unterschiedlichen Engagements. Guter Unterricht zeigt den Lernwilligen, worin die Gesetze des Bildes liegen, was zu einem guten Bild führen könnte. Als Pädagoge erkennt er, was Schülerinnen und Schüler in ihren Arbeiten ausdrücken wollen und vermag ihnen dabei zur Seite zu stehen. Ganz anders der freie Künstler. Er muss alles mit sich selber austragen, tief in seinem Innern nach den richtigen Lösungen graben und sich bei jedem Schritt fragen, ob das Geschaffene auch wirklich dem entspricht, was er ausdrücken, was er mitteilen will. Die scheinbar ähnlichen Tätigkeiten stehen sich meist im Weg. Nur schwer ist es möglich, beides ernsthaft zu betreiben. Cleis hat seinen Weg gewählt. Er ist ihn bereits ein halbes Jahrhundert lang mit allen Höhen und Tiefen, die er dabei erlebt hat, mutig und manchmal auch verzweifelt gegangen. Dazu gratuliere ich ihm freundschaftlich!

Urs Berger

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v Teich im Ryoanji Tempelgarten Kyoto

GEBET DER WOLKEN EINE INSTALLATION

r Detail aus der Installation, 90x90 cm, Acryl auf Baumwolltuch

Anlass für meine Reise in den fernen Osten war die Ausstellung «CONSTELLATIONS – Aspects of Contemporary Swiss Art», die im Herbst 1986 zuerst im Hara Museum of Contemporary Art in Tokio/Japan und danach im Museum of Fine Arts in Taipeh/Taiwan gezeigt wurde, und an welcher ich als einer von acht Kunstschaffenden teilnehmen durfte. – Japan war schon lange mein ersehntes Reiseziel. Die Unterstützung des Projekts durch die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und eine grosse Anzahl grosszügigster Sponsoren in der Schweiz und vor Ort machten es möglich, dass mein Traum wahr werden konnte. – Die Affinität, die ich seit Jahren zur japanischen Kultur verspürte, fand nicht nur im Bildnerischen ihren Ausdruck: Ich begann zeitweise japanisch zu kochen, lernte in einem Kurs Sushi zu machen und liebte es, zu versuchen mich mit einfachen Sätzen auf japanisch zu verständigen. 7


Die Erlebnisse und Eindrücke visueller, emotionaler und spiritueller Art, die ich von diesem fast dreimonatigen Aufenthalt in Japan und Taiwan mit nach Hause nahm, waren überwältigend. Die Bandbreite an Ästhetik gerade in Japan war gross und vielfältig. In Tempeln und den dazu gehörenden Gärten, an Architektur und in Designergeschäften dominierte eine asketische Kargheit von klaren Linien und ausgewogenen Proportionen; so eben, wie ich mir das von der japanischen Kultur vorgestellt hatte. Aber bereits im Quartier hinter dem Hotel, wo ich wohnte, war es bunter und ungezwungener. Die kleinen Geschäfte um die Ecke konnten auf dem geringen Platz, der zur Verfügung stand keine ZEN-Ästhetik zelebrieren. Sie waren eher eine Art «Tante Emma Lädelchen», mal mit Lebensmitteln, mal mit Haushaltwaren, mal als Imbisslokal mit Nudelgerichten oder einfach nur eine Art kleine Bar, in der man sich auf den Boden, auf die Tatami-Matten, hockte und in einem Schluck einen Hiyazake, einen kalten Reisschnaps (den gewärmten bestellen die Touristen) genehmigte, nachdem sich zuvor alle Anwesenden im Chor «Kanpai!» (Prost) zugerufen hatten. Nach meiner Rückkehr in mein Atelier in Basel fehlte es mir nicht an Ideen für neue Werke und Projekte. r Meiji Jingu Shrine Tokio / Detail rr Nudelimbiss in Tokio abseits der grossen Geschäftsstrassen w Daisen-in Tempelgarten Kyoto 8


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GEBET DER WOLKEN KUNSTHALLE BASEL SAAL VII Ausstellung CONSTELLATIONS 5. Dezember 1987 – 10. Januar 1988

w Die Bodeninstallation mit 17 1/2 Bildtafeln im Tatami-MattenFormat von je 180 x 90 cm und einem begehbaren Holzsteg bilden das «centerpiece» der Ausstellung im Saal VII. ww Die Musiker Ueli Derendinger und Jürg Zurmühle bereiten in dieser «Kulisse» ein klassisches Shakuhachi*- Konzert vor. *japanische Bambusflöte

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Das Angebot des damaligen Kunsthalle-Direktors, Jean-Christophe Ammann, den grossen Saal zu bespielen, um zu zeigen, wie die Reise in den fernen Osten uns Künstler inspiriert hatte, war herausfordernd. – Die Idee zu meinem Ausstellungsbeitrag, dem floor piece «Gebet der Wolken», trug ich seit dem Aufenhalt in Japan mit mir herum. Nun ist sie umgesetzt. – Die 32 m2 beanspruchende Arbeit, welche die räumlichen Dimensionen meines Basler Ateliers sprengte, wirkte in dem grossen Ausstellungsraum klein. Erst beim Durchqueren der Installation auf dem Holzsteg, also mitten im Bild stehend, wurde offenbar, wie man doch von allen Seiten von der Malerei umgeben wird.


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GEBET DER WOLKEN BIENNALE DER SCHWEIZER KUNST ST. GALLEN 11. Juni – 31. Juli 1988

Aus dem damaligen Ausstellungskatalog: Lebensraum. Im klassischen japanischen Wohnhaus sind die Böden der Zimmer mit Tatami-Matten aus Reisstroh ausgelegt. Niemals würde es jemand wagen, sie mit Schuhen zu betreten. Man setzt und legt sich zu Boden. Andachtsraum.

r Die Bodeninstallation an der Biennale der Schweizer Kunst in St. Gallen konnte in einem eigenen Raum gezeigt werden. Diese intime Stimmung machte es möglich, das Werk mit vier Texten und dazu gehörenden Schwarzweiss-Fotografien zu ergänzen.

Im Shinto-Glauben ist ein Baum voller Geheimnisse und der Wind etwas Verehrungswürdiges. Was aber ist ein Baum, dessen Blätter von einer Brise bewegt werden? Sind es die Verstorbenen, die ein Lebenszeichen geben? Oder ist es unser eigenes unvollkommenes Wissen von den Dingen dieser Welt, von ihrer Vergangenheit, in welche die Zukunft eingebettet ist? Die japanischen Tempelgärten sind in diesem Sinne gestaltet. Jenseitiges findet hier Ausdruck. Ein Weiher, in welchem dein Blick versinkt. Du siehst Wasser, Wolken? Wolken, die die leichte Bewegung des Wassers aufnehmen oder Wasser, welches der Tiefe des Himmels anheimfällt? Das Spiegelbild ist das shintoistische Symbol für Reinheit und Echtheit. Schmerzraum. Nichts kann sich so sehr ins Unendliche steigern wie der Schmerz. Er lässt die Seele erblinden. Er drängt mich aus meinem Raum und droht ihn zu vernichten. Dann gibt es eine Übersteigerung des Schmerzes, die ihn aufhebt. Der Schmerz wird damit nicht aus meiner Welt geschafft, sondern er löst sich von meiner Körperlichkeit. So berührt er mich zwar nicht mehr, aber er umgibt mich wie ein Horizont. Die Ferne aus der ich ihn betrachte, macht ihn schön. Bildraum. Siebzehneinhalb Tatami werden zu Bildtafeln – und umgekehrt. Sie zwingen unseren Blick zu Boden. Die Vorstellung, das Bild zu betreten – aus Unachtsamkeit – löst ängstliche Scheu aus. Ein Weiher, über den uns ein Steg führt. Unter uns spiegelt sich die Ferne des Himmels. Zwei Seiten des Gleichen: Ahnung von echtem Schmerz ... Ahnung von reiner Leichtigkeit.

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GEBET DER WOLKEN GALERIE MOLLWO RIEHEN 22. Dezember 2023 - 4. Februar 2024

Nach den Ausstellungen 1987/88 versanken die 17 1/2 Bildtafeln im Dornröschenschlaf. Mit dem Angebot nun die grosse Wand in der Galerie damit bespielen zu dürfen, werden Teile des ursprünglichen «floor piece» zu einer 2x7 m grossen Wandinstallation. Die Dynamik der nun hängenden Bilder verändert sich dabei: Es ist, als würden die «Spiegelungen im ruhenden Teich» zum Leben erwachen, als würde ein Sturmwind das Wasser hin und her treiben und zu bedrohlichen Wogen aufpeitschen. – Die Kraft der Malgesten wird spürbar und überraschend klingt auch die Nähe zu japanischen Hozdrucken an.

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w Ausschnitt aus einem japanischen Holzdruck ww Detail aus einer der Bildtafeln s Wandinstallation für die Galerie Mollwo


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mein japanischer Namensstempel (vergrössert)

MARTIN CLEIS 50 Jahre freischaffend 1973/2023

v.r.n.l. Martin Cleis Maler

Limitierte Auflage eines Sammelordners im Schuber mit ausgewählten Ausstellungskatalogen aus 5 Jahrzehnten Zu beziehen in der Galerie Mollwo oder beim Künstler

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BIOGRAPHISCHES

Martin Cleis wurde am 5. April 1946 in Basel geboren, lebt und arbeitet seit 2016 in Weil am Rhein. Künstlerisch-pädagogische Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Basel, Abschluss mit dem Diplom als Kunsterzieher, unterrichtete wenige Jahre, bis er sich 1973 als Freischaffender ganz der Kunst (Malerei, Druckgrafik, Installationen, Fotografie und Video) zuwandte. Zahlreiche Auslandaufenthalte als Artist in Residence oder verbunden mit Ausstellungen in Galerien, Kunsthallen und Museen (u.a. in Spanien, Portugal, Deutschland, USA, Argentinien, Brasilien, Japan, Taiwan). Werke in öffentlichen und privaten Sammlungen im In- und Ausland. Weitere Informationen auf > www.martincleis.de

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Edition loftPPRODUCTIONS 2023

IMPRESSUM Verlegt 2023 bei Edition loftPRODUCTIONS [ :atelier martin cleis] Bognor-Regis-Strasse 9 D 79576 Weil am Rhein loftproductions@martincleis.de © Texte 2023 bei Urs Berger und Martin Cleis/ProLitteris ZH © Konzept/grafische Gestaltung/Fotos 2023 bei Martin Cleis/ProLitteris ZH

ISBN 978-3-00-077676-2


ISBN 978-3-00-077676-2


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