[ :die Baustelle] 03-2021 Installationen Martin Cleis & Ulrich Wössner Stapflehus Weil am Rhein D

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[ :die Baustelle] 03-2021 EINS IN DREI

Martin Cleis Ulrich Wössner raumbezogene Installationen auf drei Stockwerken Städtische Galerie im Stapflehus Weil am Rhein



Grusswort

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung

[ :die Baustelle] 03-2021 EINS IN DREI

Martin Cleis | Ulrich Wössner raumbezogene Installationen auf drei Stockwerken Städtische Galerie Stapflehus Bläsiring 10 Weil am Rhein | Deutschland 13. März - 24. Mai 2021

EDITION HOWEG

Umschlagfoto: Zwei Baustellenleuchten am Messeplatz Weil am Rhein © Martin Cleis/ProLitteris ZH

[ :die Baustelle] 03-2021 ist nach einer mehrmonatigen, durch die Corona-Pandemie bedingten Schliesszeit die erste Ausstellung, die wir in der Städtischen Galerie Stapflehus in Weil am Rhein zeigen dürfen. Dass die Exposition für uns ganz besonders ist, lässt sich an zwei Aspekten festmachen: Zum einen möchten wir damit den Künstler Martin Cleis zu seinem 75. Geburtstag am 5. April 2021 ehren. Dass er sich entschieden hat, die Schau zusammen mit Ulrich Wössner zu gestalten, zeugt von seinem künstlerischen Gemeinschaftssinn und seiner Teamfähigkeit – beides Eigenschaften, die nicht jedem Künstler zugeschrieben werden können. Zum anderen ist beim Verfassen dieser Zeilen immer noch unklar, ob [ :die Baustelle] 03-2021 tatsächlich im März 2021 eröffnet werden darf. Martin Cleis nutzt die Bezeichnung »[ :die baustelle]« bereits seit 2004 für Ausstellungen, meist mit Datumszusatz, der auf die Vernissage hinweist. In all den Jahren konnten die Termine immer eingehalten werden. 2021 ist leider auch in dieser Hinsicht aussergewöhnlich. Unabhängig vom tatsächlichen Eröffnungstag wünsche ich den beiden Künstlern für ihre Schau in jedem Falle viele Besucherinnen und Besucher, denn das kulturelle Leben von Weil am Rhein benötigt nach den vielen Monaten des Lockdowns dringend einen physischen Neustart und dieser fällt mit [ :die Baustelle] 03-2021 aus meiner Sicht besonders sehenswert aus. Peter Spörrer Kulturamtsleiter


Prolog [ :die Baustelle]

Vor Baustellen wird gewarnt. Sie werden abgesperrt, gemieden, umfahren. Einige verhindern zeitweise ein Weiterkommen. Unbefugten ist das Betreten verboten. Das ärgert die einen; andere gruppieren sich schaulustig darum herum. Baustellen machen neugierig. [ :die Baustelle] 03-2021 der Weiler Künstler Martin Cleis und Ulrich Wössner in der Städtischen Galerie Stapflehus von März bis Mai 2021 darf, ja soll betreten und erkundet werden. [ :die Baustelle] 03-2021 ist für die beiden Künstler zugleich ein Arbeitsprinzip: Professionalität und Gleichwertigkeit der künstlerischen Arbeit sowie gegenseitiger Respekt und Toleranz stehen für sie im Mittelpunkt. Das eigens für diese Ausstellung erarbeitete Konzept entstand in intensiver Zusammenarbeit und ist bezogen auf die unterschiedlichen Räumlichkeiten der Galerie. Ideen beider Künstler wurden gemeinsam erwogen und bearbeitet, z.T. kontrovers diskutiert, verworfen, ergänzt, in Modellen visualisiert, manchmal beiseite gestellt, um nach einiger Zeit wieder aufgenommen und aus neuem Blickwinkel betrachtet zu werden. Zur Realisierung vorgesehen wurden schliesslich die Ideen, die von beiden Künstlern gleichermassen als stimmig erlebt wurden. Geleitet wird diese Arbeitsweise von der Erfahrung, dass ein Ganzes mehr ist als die Summe seiner Teile.


T-Room

memento mori

Die Fülle der Leere

EG

OG

DG

Im Erdgeschoss werden wir – unübersehbar platziert – mit einem Gebilde konfrontiert, das ziemlich de-platziert erscheint: In einer Galerie zum einen, da es die Sicht behindert; in einem historischen Gebäude andererseits, in dem es in seiner nüchternen Form fremd wirkt. Es ist ein wuchtiger, T-förmiger Corpus, der, unter die alten Deckenbalken gesetzt, offenbar eine Stütze verbirgt.

Im Obergeschoss treffen wir auf eine den Boden überziehende Installation. In strenger Reihung sind handelsübliche Backsteine platziert, die in dieser Struktur schon für sich genommen eine starke Wirkung entfalten, aber auch an Analoges aus der schillernden Vorderseite unserer Zivilisation erinnern: Reihenhaussiedlungen, Flächen mit neuen Autos, Solarkraftwerke etc. Die Anordnung verweist zugleich auf moderne Massenphänomene, etwa eine Massierung und Uniformierung von Menschen in riesigen Arenen, jedoch ebenso in Slums oder Flüchtlingslagern. Noch trister und ganz konkret drängen sich schliesslich Bilder auf von Lehmziegelreihen, die von Kinderhänden hergestellt und zum Trocknen sorgfältig ausgelegt wurden; das sind Realitäten aus der Rückseite dieser Zivilisation, die wir geographisch und somit auch mental weitgehend aus unserem Blickfeld verbannt haben.

Im Dachgeschoss wird nun auch das Sujet »EINS IN DREI« offenbar. Wir finden hier erneut ein Tau vor und sehen damit zwar von zwei Künstlern aber im Sinne des Projektes [ :die Baustelle] aus einer Hand ein Thema in drei Stockwerken in drei Ausprägungen verwirklicht. - Das Tau steht auf einem Spiegel mitten im Raum mit weichrotem Bodenbelag, bleibt allerdings solitär. Es ist schlicht, erscheint weiter ausladend und erweckt so den Eindruck, wie wenn es »Raum« zu gewinnen trachte oder Teil der Struktur des Dachstuhls ist. Es scheint zu überbrücken oder eine Spannung zu halten, wird durch seine Platzierung aber zugleich zu einem Zentrum, das umkreist werden kann oder zur stillen Kon-zentration auf eine Mitte hin einlädt.

Was nun als unpassend erscheint und was in einer Galerie die Offenheit des Raumes eingrenzt, kann jedoch mit einem anderen Blick als durchaus inspirierend erlebt werden, als provozierendes, monolithisches Raumelement, ja als symbolträchtige Figur. Ist das T doch nicht nur als Majuskel aus Alphabeten bekannt oder, wie hier suggeriert, als robuste Stützform in der Architektur. Die auch Tau genannte T-Form erscheint vielmehr seit alters in vielfältigen Gestaltungen ebenso als Zeichen, Symbol und Kompositionsprinzip in den Werken der Kunst Eine besondere Akzentuierung erhält diese Reihung durch einige unterschiedlich jedweder Provenienz und Kultur. aus den Backsteinen herausragende Tau Um dieses Tau nun klar als Skulptur er- aus Klappmetern, die das Grundthema kennbar zu machen, bot sich an, es zu fortführen. Zum einen kann man darin pokopieren und dieses Doppel dysfunktional sitiv ein simples Abbild von realen Baustelim Raum so zu platzieren, dass es ebenso len mit Kranen sehen. Die Grösse des Felunübersehbar wird wie das bereits vorhan- des erinnert dabei gleichzeitig an die undene. Dies kann deshalb nicht mehr als be- gehemmte Ausdehnung von Städten und fremdlich empfunden werden, sondern er- Strassen. Zum anderen kann diese Instalscheint zusammen mit dem zweiten als lation so vollends mit dunkleren GegebenSkulpturenverbund und wird so von seiner heiten unseres Daseins verbunden werDe-platziertheit quasi befreit. Der Raum den. Das von den Backsteinen her bodenwird dadurch neu strukturiert, und die Be- verhaftet und »schwer« erscheinende Getrachtenden können mit der Doppelskulp- füge wird durch die Tau fragiler und vertur interagieren, die an den Wänden er- mag auf die Zerbrechlichkeit unserer Exigänzt wird mit Arbeiten, die weitere künst- stenz hinzuweisen, durch ihre vertikale lerische Gestaltungen dieses Symbols Ausrichtung wiederum auf eine Tendenz, zeigen. Das Tau entfaltet hier eine starke der Schwerkraft oder jeder »Einreihung« Präsenz und offenbart nebenbei durch ein entfliehen zu wollen. Deutlicher jedoch Tea-Room-Setting Augen-zwinkernd ein können dahinter einfache Friedhöfe oder Massengräber neuester Zeit imaginiert kommunikatives Element. werden, so dass in diesem Raum ein Und diesem „Tea“ erweisen die Künstler »memento mori« nicht zu übersehen ist. wiederum ihre Reverenz, indem sie die beiden T-Skulpturen schwarz respektive grün Angesichts des Todes kommt aber zubemalen - eine Würdigung, welche der gleich jeder Ordnungsversuch an sein traditionellen kulturell-rituellen Bedeutung Ende, wie schlussendlich auch diese rigide An-Ordnung zu ihrer Auflösung drängt. dieses Getränkes durchaus zusteht.

Wer sich etwas umschaut, wird schliesslich realisieren, dass ausser dem ausgreifenden Tau und einem leeren Blatt nichts anderes zu finden und der Raum tatsächlich leer ist. Und es mag die Ahnung aufsteigen, dass hier gerade diese Leere um das zentrale Tau herum die Installation ist, die auch als Befreiung erfahren werden kann, als geistig-seelische Öffnung in alle Richtungen. Es wird hier – gleichsam aus einer Mitte heraus – Entfaltung möglich, oder man wird ermuntert ganz bei sich zu bleiben, eigenen Gedanken nachzugehen, innere Bilder erscheinen zu lassen. So mag dieser Raum dazu anregen, selbst »leer« werden, sich auf Wesentliches konzentrieren zu können oder – eigentlich paradox – in Mitten einer Leere einer eigenen Fülle zu begegnen. Diese Erfahrungen beinhalten allerdings noch ein Paradox. Indem eine Person sich derart auf sie einlässt, wird diese Leere ja schon wieder aufgehoben, da man gleichsam »Inhalt« der Installation wird und dann lediglich sich selbst finden kann. Andererseits ist diese Leere ja wiederum nur durch Interaktion erfahrbar, und so ist man gefordert, dieses Dilemma mitzutragen – oder eben diesen Raum nicht zu betreten. Das allerdings bedeutete, sich der Auseinandersetzung mit der Leere, aber auch dieser paradoxen Intention zu entziehen.


T-Room EG



memento mori OG


NICHTS IST GEWISS


Die Fülle der Leere DG


da lasse ich einfach leer . . . . und stehe überwältigt mittendrin

hören, was ertönt – fühlen, was sich regt – ahnen, was kommt – sehen, was sich zeigt –


Epilog Eins in Drei

Das Tau oder die T-Form begleitet uns durch alle drei Etagen. Während es im Erdgeschoss fiktiv als Deckenstütze sichtbar ist, aber zur Skulptur gewandelt wird, begegnet es im Obergeschoss in einer eher bedrückenden Bodeninstallation mit vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten. In der Leere des obersten Raumes wird es schliesslich zur integrierenden Mitte. Strukturell zeigt das Tau darüber hinaus zwei scheinbar gegenläufige Aspekte. Während es durch seine Horizontale, das Ver-zweigen der senkrechten Linie nach links und rechts, eine Ent-scheidung, ein Auseinanderstreben in Gegensätze zu signalisieren vermag, kann es auch umgekehrt wahrgenommen werden. Es ist dann ebenso ein Symbol, welches die zwei unüberbrückbar scheinenden Pole zusammenführt und die Gegensatzspannung aushält. Anzusiedeln wäre dieser Aspekt dabei in dem Punkt, in dem Vertikale und Horizontale aufeinandertreffen. Dieser Punkt des Tau mit den drei Enden wäre so das ganz andere Vierte und zugleich das vereinigende Element, der Kern, der schlussendlich »trägt«. Ulrich Wössner


Biographisches

Martin Cleis (links)

Ulrich Wössner

Am 5. April 1946 in Basel geboren, lebt und arbeitet in Weil am Rhein.

1953 in Weil am Rhein geboren, wo er auch lebt und arbeitet.

Künstlerisch-pädagogische Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Basel, Abschluss mit dem Diplom als Kunsterzieher, unterrichtet wenige Jahre, bis er sich 1973 als Freischaffender ganz der Kunst (Malerei, Druckgrafik, Installationen, Fotografie und Video) zuwendet.

Er studierte Vergl. Religionswissenschaften, Ethnologie, Germanistik mit einem Abschluss als M.A., absolvierte eine Ausbildung zum diplomierten analytischen Psychologen nach C.G. Jung und war berufstätig im Jugendhilfebereich und in eigener Beratungspraxis.

Zahlreiche Auslandaufenthalte als Artist in Residence oder verbunden mit Ausstellungen in Galerien, Kunsthallen und Museen (z.B. in Spanien, Portugal, USA, Brasilien, Japan, Taiwan u.v.a.m.). Werke in öffentlichen und privaten Sammlungen im In- und Ausland (u.a. Grafische Sammlung Albertina Wien).

Seine Kreativität zeigt sich in religionswissenschaftlichen und tiefenpsychologischen Publikationen sowie in veröffentlichten Gedichten. Vor über 20 Jahren fand er im Sinne des Objet trouvé zur Objektkunst, ist seit 2016 als Künstler freischaffend in eigenem Atelier und beteiligt sich nach einer ersten Einzelausstellung an zahlreichen Gruppenausstellungen.

> www.martincleis.de

> www.ulrichwoessner.de

> mail: info@martincleis. de

> mail: scheune20@ulrichwoessner.de

Seit längerer Zeit sind die beiden Künstler in intensivstem Austausch über Möglichkeiten der künstlerischen Zusammenarbeit, wie sie gerade die aktuellen Installationen [ :die Baustelle] 03-2021 darstellen. > weiler-kultur.de/de/kulturschaffende


Rahmenveranstaltungen

Wir danken

Lesung

den Verantwortlichen des Kulturamts der Stadt Weil am Rhein, die uns diese Ausstellung im Stapflehus ermöglicht haben.

Ulrich Wössner liest eigene Gedichte Sonntag, 25. April 2021 16 Uhr »Nichts ist gewiss« Artist Talk Thea Breitenmoser, Kunstgeschichtsstudentin Universität Basel, im Gespräch mit den beiden Künstlern. Link zum Podcast später auf YouTube Kulturamt Weil am Rhein oder: www.stapflehus.de www.martincleis.de www.ulrichwoessner.de Parallelausstellung Galerie Mollwo 4125 Riehen/Basel | Schweiz Gartengasse 10 Zum 75. Geburtstag von Martin Cleis findet vom 7. März - 11. April 2021 eine Einzelausstellung statt

unreleased II

[Going through the Archives]

THE GALESBURG SERIES Malerei und Fotografie (Es erscheint dazu ein Katalog)

www.mollwo.ch

Herzlichen Dank auch an alle, welche die Realisation unseres Projektes tatkräftig oder moralisch unterstützt und uns temporär Material zur Verfügung gestellt haben.



Impressum

Verlegt 2021 bei Edition Howeg Bürglistrasse 21, CH 8002 Zürich edition_howeg@datacomm.ch © Texte: © Bildrechte:

Edition Howeg Peter Spörrer Ulrich Wössner Martin Cleis / ProLitteris

Korrektorat: Rainer Vogler Gestaltung: Martin Cleis ISBN 978-3-85736-352-8


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