dabei entsteht, ist ungeheuer. Akzente zur Unzeit werden zur neuen Regel, die dann wieder aus den Angeln gehoben wird. Bei Beethoven lernt man die Ausnahme als das Eigentliche lieben. Nicht nur als Komponist, der Streichquartette schreibt, sind Beethovens Quartette, insbesondere die späten Werke, für mich von zentraler Bedeutung. Seit Jahren liegen die Partituren von op. 127 und op. 130 auf meinem Nachtkästchen. Ich habe sie wieder und wieder gelesen und analysiert – und trotz allem lassen mich schon die ersten acht Takte des „Alla danza tedesca“ ratlos zurück. Es ist eine Musik, die ich bis auf den heutigen Tag nicht verstehe, Musik, in der jede zweite Note im Widerspruch zur vorhergehenden zu stehen scheint. Sich ihr als Interpret zu nähern, nur diese wenigen Takte zu proben, sich ihnen auszuliefern, ihre Ambivalenzen zu erforschen, Entscheidungen darüber zu treffen, bedeutet eine enorme künstlerische Herausforderung. In der Musik des späten Beethoven wird Interpretation zur Spekulation, zur utopischen Angelegenheit. Denn sobald ich mich für eine Interpretation entscheide, beraube ich die Musik ihrer Ambivalenzen und damit ihres Reichtums. Deshalb kann Interpretation an diesem Punkt nicht mehr das sein, was sie vor Beethoven war. Ich muss mich zu dieser Musik anders verhalten. Doch wie sollen wir alle Ambivalenzen eines Werks wie Opus 130 je hörbar machen? Es bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Ignaz Schuppanzigh, der mit seinem Quartett die meisten der späten Quartette Beethovens uraufgeführt hat, beklagte sich einmal, die Musik sei unspielbar. Beethovens Reaktion ist legendär: „Was kümmert mich Seine elende Geige, wenn der Geist zu mir spricht.“ Wir neigen dazu, diese Antwort auf ein Moment der Arroganz zu reduzieren, doch ich glaube, Beethoven hat tatsächlich so gedacht. Seine Musik, zumal die am Ende seines Lebens entstandene, ist direkter Ausdruck dieses Gedankens. Es kann keine vollständig schlüssige Interpretation eines Stücks wie der Großen Fuge geben. Ist es utopische Musik?
Beschäftigt man sich als Komponist mit Beethoven, überkommt einen manchmal das Gefühl, mit einem Giganten zu kämpfen, und man begreift plötzlich einen so dramatisch anmutenden Satz wie den Ausspruch von Brahms, der meinte, einen Riesen hinter sich schreiten zu hören. Ich arbeite zur Zeit an meinem Siebten
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