Bezirk Affoltern
Freitag, 13. November 2015
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Vom Bauern zum staatlich subventionierten Landschaftsgärtner Martini-Pressekonferenz des Zürcher Bauernverbandes in Bonstetten bei Werner Locher Die Landwirtschaftspolitik des Bundes zwingt die Bauern zunehmend in die Rolle des staatlich subventionierten Landschaftsgärtners und macht die Lebensmittelversorgung immer mehr vom Ausland abhängig. Dagegen wehren sich die Bauern. Auch an der Martini-Pressekonferenz des Bauernverbandes in Bonstetten. ................................................... von martin platter Am konkreten Beispiel des Letten-Hofs von Carole und Werner Locher in Bonstetten erläuterte die Spitze des Zürcher Bauernverbandes am Mittwochmorgen vor Ort, wie sich die Landwirtschaftspolitik des Bundes in der Praxis auswirkt. Locher bewirtschaftet zusammen mit seiner Frau, unter temporärer Mithilfe seiner zwei erwachsenen Söhne und einem Mitarbeiter einen Gutsbetrieb von knapp 33 Hektaren Grösse; davon 13,6 ha Ackerbau. Er betreibt Milchwirtschaft mit 60 Milchkühen und zieht pro Jahr 25 Mastkälber auf. Dazu kommen 300 Hochstammobstbäume und doppelt so grosse Biodiversivitätsflächen, wie vom Bund gefordert. Der Produktionsertrag beläuft sich auf 326 000 Franken. Da die Art des Betriebes, die veraltete Bausubstanz des Hofes und das zerklüftete Land nicht rationell zu bewirtschaften sind, bleibt nach Abzug des Betriebsaufwandes und trotz Deckungsbeitrag unter dem Strich nur ein Ertrag für jede der vier Vollzeitstellen von 20 000 Franken im Jahr.
Modernisierung unrentabel Modernisieren ist wegen des tiefen Milchpreises illusorisch und auch sonst sind die Erträge aus der hiesigen Nahrungsmittelproduktion unter Preisdruck. Dennoch hat Werner Locher über all die Jahre an seinem Betrieb festgehalten. «Kühe waren immer meine Leidenschaft», sagt der
Wehren sich gegen die Bevormundung durch den Staat: Christoph Hagenbuch, Berater Betriebswirtschaft des ZBV, ZBV-Geschäftsführer Fredi Hodel, Kaspar Locher, Werner Locher und ZBV-Präsident Hans Frei. (Bild Martin Platter) Bonstetter, der zuerst drei Jahre als Primarlehrer gearbeitet und sich auf dem zweiten Bildungsweg zum Meisterlandwirt weitergebildet hat. In drei Jahren erreiche er jedoch das Pensionsalter und die Rahmenbedingungen würden nicht einfacher, so Locher. Das ist auch seinem Sohn Kaspar nicht entgangen, der den Hof übernehmen will. Unter den vorgegebenen politischen Rahmenbedingungen und mit der bestehenden Infrastruktur hätte er jedoch keine Zukunft für sich gesehen. Der 27-jährige Landschaftsgärtner mit Zusatzausbildung zum Gartenbau-Polier wird deshalb die
Milchwirtschaft aufgeben und sich auf den Ackerbau und die Mutterkuhhaltung konzentrieren. Damit reduziert sich der Betriebsertrag zwar auf 66000 Franken. Im gleichen Zug fallen aber auch die Ausgaben markant, während die Deckungsbeiträge auf hohem Niveau gehalten werden können. Noch wichtiger ist: Mit dem neuen Modell kann rund die Hälfte der Arbeitskräfte eingespart werden. Damit steigt der Ertrag pro Arbeitskraft auf 31 000 Franken jährlich. Ernüchternd dagegen sieht die energetische Bilanz der produzierten Lebensmittel aus. Während vorher Milch, Käse und Getreide
im Gegenwert vom 310 Milliarden Kalorien produziert wurden, werden es mit dem neuen Modell nur noch 34 Milliarden Kalorien sein. Mit anderen Worten: Während Lochers heute rund 370 Personen ernähren, werden es künftig nur noch 40 sein.
Steigende Abhängigkeiten «Damit steigt nicht nur die Abhängigkeit vom Ausland. Die Bauern werden zunehmend zu staatlich subventionierten Landschaftsgärtnern, die immer mehr von den Direktzahlungen abhängig sind», sagte Christoph
Hagenbuch, betriebswirtschaftlicher Berater der Zürcher Bauernverbandes. «Eine seltsame Entwicklung», fand Fredi Hodel. Der Geschäftsführer des Bauernverbandes weiss aus den Umfrageergebnissen der Aktion «Heimisch», was die Konsumenten wünschen: «Qualitativ hochwertige Lebensmittel, die in der Region produziert wurden und von Tieren aus artgerechter Haltung stammen.» Die eingeschlagene Agrar-Politik des Bundes sei jedoch ernüchternd. Sie schwäche die produzierende Landwirtschaft. Das stehe im direkten Widerspruch zu den Bedürfnissen der Konsumenten.
«Ich will nicht Millionär werden, aber ein faires Auskommen haben» Interview mit Kaspar Locher, der in drei Jahren den Bauernhof seines Vaters übernehmen will Die Agrarpolitik 14/17 des Bundes hat den Milchbauern massive Ertragseinbussen beschert. Es werden keine Direktzahlungen mehr für Kühe ausgerichtet, sondern für die bewirtschafteten Landflächen und deren Qualitätsaufwertung. Das zwingt zu Anpassungen. «Anzeiger»: Kaspar Locher, Sie werden in drei Jahren den Bauernhof ihres Vaters übernehmen und markant umstellen, weg von der Milchwirtschaft. Das klingt zunächst etwas seltsam. Wir hatten in den letzten Jahren in der Schweiz einen massiven Bevölkerungszuwachs. Steigen da nicht auch die Absatzraten der Milch- und Lebensmittelproduzenten? Kaspar Locher: Das ist in der Tat seltsam. Ich wundere mich zudem über den laufend sinkenden Milchpreis für die Produzenten. Wo verschwindet die Differenz zwischen dem Kaufpreis im Laden und der Summe, welche die Milchbauern erhalten? Das Dilemma hat in dem Moment begon-
Produkt zahlen will. Das wäre doch ziemlich frech. Wieso schütten die Bauern die Milch aus Protest nicht einfach weg? Dann sässen die Milchverarbeiter doch in der Patsche. Könnten die die Milch etwa aus dem Ausland beziehen? Nein, die Bauern in den umliegenden Ländern haben ja sehr ähnliche Probleme, klagen ebenfalls über tiefe Milchpreise. Zudem würde die Importmilch mit massiven Zöllen belegt.
Kaspar Locher. (Bild Martin Platter) nen, als nicht mehr der Bundesrat, sondern die Milchverarbeiter den Preis zu bestimmen begonnen haben. Das aber ist doch eigentlich komisch. Ich gehe ja auch nicht in den Laden und sage, was ich für ein bestimmtes
Ist das nicht einfach eine normale Marktbereinigung? Wo ein grosses Angebot besteht, fallen die Preise. Diejenigen, die mit den Erträgen nicht auskommen, müssen aufgeben. Es kommt zur Marktbereinigung und die Preise erholen sich. Ich frage mich einfach, wohin das führt. Es führt zur Massentierhaltung mit mehreren Hundert Tieren auf engstem Raum. Das wiederum löst Stress und Krankheiten aus. Es kommt zum Einsatz von Antibiotika. Das Tierwohl bleibt auf der Strecke. Also genau das Gegenteil, was sich der Konsu-
ment eigentlich wünscht. Mir ist schon klar, dass man, übertrieben gesagt, nicht jeden zweiten Arbeiter in der Schweiz als Bauern beschäftigen kann, wie das noch nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Aber das Heil in der Massentierhaltung zu suchen, ist meiner Meinung nach der falsche Weg. Tendenziell wird so die Milchmenge auch nicht sinken. ...............................................................
«Ich möchte nicht mehr melken, denn ich fühle mich verarscht ...» ............................................................... Weshalb planen Sie den Fokus auf den Ackerbau und die Mutterkuhhaltung zu legen? Das genaue Konzept, wie der Betrieb meines Vaters künftig aussehen wird, steht noch nicht fest. Nur so viel: Ich möchte nicht mehr melken, denn ich fühle mich verarscht, wenn mir jemand sagt, was er für den Liter bezahlen will. Mir fehlt auch die poli-
tische Konstanz. Alle fünf Jahre ein neues Konzept in der Landwirtschaft wirkt auf mich nicht besonders vertrauenserweckend. Was wären für Sie die Vorteile eines Mastbetriebes? Ich könnte daneben wider in meinem Beruf als Landschaftsgärtner arbeiten und müsste dann nur noch morgens und abends zu den Tieren schauen. Oder auf Ackerbau umstellen und für andere als Lohnunternehmer arbeiten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ich habe mich noch nicht definitiv entschieden und habe ja auch noch etwas Zeit. Hätte denn ihre Partnerin Interesse an einem Bauernbetrieb? Sie würde mitmachen, das haben wir bereits besprochen. Für mich ist das eine Erleichterung. Meine Eltern haben uns Kindern die Gemeinsamkeit stets vorgelebt. Wir durften auch früh mitbestimmen. Das prägt einen. Interview: Martin Platter