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Bezirk Affoltern

Dienstag, 5. März 2013

Atelierbesuch bei Hans-Ulrich Steger Willy Hug: Alte Geschichten aus dem Säuliamt – Serie (77) «H.U.St», die Kürzel von HansUlrich Steger waren während Jahrzehnten den Zeitungslesern in der Schweiz ein Begriff. Seine kritischen, witzigen und anspruchsvollen Karikaturen im «Tages-Anzeiger», der «Weltwoche», sowie im «Nebelspalter» machten ihn national bekannt. Am 21. März feiert der Maschwander seinen 90. Geburtstag. Im Korridor, welcher zu seinem Atelier führt, deutet Hans-Ulrich Steger auf ein grosses von ihm gemaltes Ölbild. Es zeigt eine Kathedrale in einer südfranzösischen Stadt. «Gestern erst habe ich Autor Willy Hug. daran wieder etwas verändert. Wenn ich meine Bilder sehe, will ich daran ständig arbeiten», erwähnt er, als er mein Erstaunen bemerkt. Denn auf dem Bild sehe ich auch das Entstehungsjahr: 1982. Steger fühlt sich herausgefordert, an seinen Bildern immer weiter zu arbeiten. Malen ist denn auch seit jeher eine seiner Passionen geblieben. An über 60 Ausstellungen hat er in all den Jahren teilgenommen. Er geniesst es, sich beim Malen seiner Öl- und Acrylbilder über einen längeren Zeitabschnitt mit einem Bild befassen zu können. Dies im Gegensatz zu den Karikaturen, welche er früher immer fast tagesaktuell den Zeitungen ablieferte. Als Karikaturist zeichnete er während über 50 Jahren und ist damit auch bekannt geworden. Sein Bekanntheitsgrad zeigte sich eindrücklich, als vor zehn Jahren aus Anlass seines 80. Geburtstages im Stadthaus in Zürich eine Ausstellung mit einer Feier eröffnet wurde. Die grosse Halle war randvoll mit Gästen besetzt. Aktuelles Wissen über weltpolitische, nationale und regionale Ereignisse und Entwicklungen waren für ihn als scharfen Beobachter unabdingbar, um die Karikaturen zu zeichnen. Dieses Wissen beschaffte er sich durch tägliche Lektüre mehrerer Zeitungen, sozusagen als Pflichtprogramm. Als zeichnerische Vorlage diente ihm eine umfangreiche Dokumentation, welche er angelegt hatte und ständig erweiterte. Aber die Ideen musste er sich selbst ausdenken, was denn auch einen guten Karikaturisten ausmacht. Seine Zeichnungen, anspruchsvoll, oft kleine Kunstwerke, bereiteten nicht immer allen eitel Freude. Schnell hiess es damals: von Moskau bezahlt! «Gab es auch negative Reaktionen?», frage ich ihn. «Ja, einmal», erinnert er sich schmunzelnd, «da gab es ein Bundesgerichtsurteil gegen den ‹Tages-Anzeiger› wegen meiner Karikaturseite ‹Club Medityrannis›. Heute wäre diese Reaktion kaum mehr denkbar».

Die Zeichnung von Maschwanden Einmal zeichnete er auch sein Dorf Maschwanden. Aber nicht so idyllisch wie es sich heute zeigt, sondern überquellend mit Fahrzeugen, Lastwagen, Panzern, Helikoptern und Militärflugzeugen. Steger erklärt dazu, dass es sich eine Zeit lang fast tatsächlich so verhielt. In der alten «Gerbi» befand sich damals ein Kantonnement für das Militär. Draussen bei den Waschanlagen, liessen die Soldaten ihre mitgebrachten Radios laufen, Panzer kurvten herum, Lastwagen fuhren zum Kieswerk hin und zurück und Ausbildungsflüge der Swissair machten vom Flugplatz Hausen aus ihre Rundflüge

über Maschwanden. Es war auch in jener Zeit, als eines Tages fremde Männer mit Messgeräten entlang der Dorfstrasse hantierten. Erst als Maschwander Bürger diese Vermesser ansprachen, wussten sie Bescheid: Die Dorfstrasse sollte begradigt werden, Kurven verschwinden, altvertraute Häuser ebenso, dies ohne Rücksicht auf das gewachsene Dorfbild. Ein solch radikal ausgeführtes Beispiel gab es bereits in einer Säuliämtler Gemeinde. In anderen Dörfern wurden einzelne markante Häuser bei Nacht und Nebel aus denselben Gründen abgerissen. Aber die Maschwander boten Widerstand und konnten so ihr vertrautes Dorfbild bewahren. Begründet wurden die Begradigungen unter anderem damit, dass die Schulkinder so sichere Schulwege hätten. «Heute jedoch», so Steger «wollen sie das Gegenteil machen, die Strassen werden bei den Einmündungen künstlich verengt.» Die Erlebnisse mit den Strassenbegradigungen und Hausabbrüchen bewogen Steger zusammen mit Reinhard Möhrle und Theo Kimmich dazu, die Vereinigung «Pro Amt» zu gründen. Ziel war es, der Zerstörung der ländlichen Dorfstrukturen im Säuliamt Einhalt zu gebieten. Widerstand war auch gegen die Linienführung der Autobahn N4 angebracht. In Zwillikon war eine Brücke über das Dorf geplant. Gefordert wurde von «Pro Amt» die Zimmerbergvariante. Es kam dann bekanntlich anders. Doch der Widerstand lohnte sich, die heutige Führung der Autobahn ist viel moderater als einst geplant. Im Rückblick sieht Steger sein Engagement im «Pro Amt» als durchaus lohnenswert.

Hans-Ulrich Steger im Atelier vor dem Bild «Argos» (Dorfwächter).

«Findelgrinder» und poetische Erzählungen Ich würde ihm sein Alter nicht geben, wenn ich ihn so vor mir sitzen sehe. Er strahlt viel Schalk aus, aber auch Zufriedenheit. Noch immer funkelt Feuer aus seinen Augen und doch auch Ruhe und Milde. Er steht auf, um mir eine Auswahl von seinen früheren und jetzigen Arbeiten zu zeigen. Waren es früher eher gegenständliche Gemälde mit Ölfarben, so sind es heute moderne, grossflächige Farbkompositionen mit Acryl. Sein grosszügiges Atelier im Dachstock einer umgebauten Scheune, angelehnt an sein Wohnhaus, wirkt aufgeräumt. Die Sujets einiger Gemälde weisen auf seine vielen Reisen hin. Doch davon später. In einer Ecke steht eine Figurengruppe, welche meine Aufmerksamkeit erregt. Bei näherem Betrachten kann ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen: Es sind «Grinde», hergestellt aus Abfallmaterial «Findelgrinder», dreidimensionale Karikaturen, nennt er sie. Sie stehen nebeneinander wie ein Männerchor. Dazu benötigte Steger alte Schuhe, Velosättel, Handschuhe, Körbe, Brillen, zusammengedrückte Bleche und vieles mehr. Es ist diese vielseitige Kreativität Stegers, welche so beeindruckt. 1972 und 1980 gewann er Wettbewerbe für Reiseandenken. Steger ist auch Autor zahlreicher Bücher. Viele sind bereits vergriffen. Noch erhältlich dank Neuauflagen sind die beiden Kinderbücher «Reise nach Tripiti» und «Wenn Kubaki kommt» mit bezaubernden bunt aquarellierten Federzeichnungen und poetischen Erzählungen. Als begabter Wortspieler zeigt er sich auch in seiner «Sprachmüllkippe» auf seiner Homepage oder in veröffentlichten Schriften.

Ostergebäck aus dem Balkan Sein grosser Arbeitstisch steht an einem Fenster, viele Stifte liegen griffbe-

Schweizer Gardist. reit. Vom Fenster aus winkt die weite Ebene des Reusstals. Dort vorne stand einst ein Hügel mit dem Städtchen Maschwanden. Pech für die Ruinen, denn sie standen auf einem Kieshügel, den die Gemeinde abbaute. Die Dorfgeschichte von Maschwanden ist denn auch etwas, das Steger immer faszinierte, seit er 1960 mit seiner Familie hierhergezogen ist. 1972 gründete er zusammen mit Lehrer Gottfried Strickler das Dorfmuseum Maschwanden, ein regionales Juwel. Die reichhaltigen Sammlungen von Werkzeugen und alten Gebrauchsgegenständen sind zu einem grossen Teil sein Verdienst. «Woher stammen diese interessanten Gegenstände aus dem Dorfleben?», will ich wissen. «Vieles davon», schmunzelt er, «habe ich auf Abfalldeponien gefunden. Heute gibt es diese ja nicht mehr.» Aber auch Fotos und Dokumente des früheren Maschwanden ergänzen die Sammlung. Mit diesen Trouvaillen hat er das ganze frühere Dorfleben anschaulich dokumentiert. Die Museumskommission, welcher er heute noch angehört, ist sehr aktiv. Hervorragende Sonderausstellungen bereichern das Museum. Sammler ist Steger auch in anderen Bereichen. Das

Erotische Einlage. (Bild/Zeichnungen zvg.) Glück half ihm, dass von seinen Vorfahren, der Ärztefamilie Steger von Lichtensteig, noch reichlich Fotografien und Dokumente vorhanden waren. Diese Dokumente übergab er dem Toggenburger Museum in Lichtensteig. Mein Blick bleibt in seinem Atelier an einem Regal hängen, in welchem eine Vielzahl alter Spielsachen stehen. Besonders begeistert mich das Modell einer kleinen, rostigen Dampflokomotive. Sie wirkt sehr geheimnisvoll. «Früher wurden manchmal auf den Deponien unerlaubterweise Brände gelegt», erinnert er sich. Darum sieht diese kleine Dampflokomotive heute so aus. Wenn Steger sich dazu bekennt, dass er ein Sammler sei, so bleibt daran kein Zweifel. Auf einer seiner zahlreichen Schubladen in einem Metallgestell lese ich «Ostergebäck Balkan». Diese Figuren, geformt aus Teig und farbenprächtig verziert, hat er von einer seiner zahlreichen Reisen in den Balkan mitgenommen. Auch andere, vorwiegend südliche Länder waren seine Ziele. Schon damals trieben ihn nebst der Reisefreudigkeit auch volkskundliche Interessen an. Gereist sind er und seine Frau in einem kleinen «Döschwo». Sie übernachteten jeweils in einem mitgeführ-

ten Zelt. Steger zeigt mir Landkarten des Balkans, worauf er seine Reisen eingezeichnet hatte «Ich kann heute noch von diesen Erinnerungen und manchen Geschichten zehren», erzählt er.

Ein unermüdlicher, kreativer Schaffer Hans-Ulrich Steger kann auf eine über 70-jährige künstlerische Wirkenszeit zurückblicken. Wie ich ihn kennenlernte, bekam ich den Eindruck, dass er immer sich selbst bleiben konnte. Er liess sich nie verbiegen. Bis heute ist er ein wacher und kritischer Zeitgenosse geblieben. Es würde noch sehr vieles zu erzählen geben über sein Leben und was er alles gemacht hat. Beneidenswert ist, wie fit und beweglich er wirkt, voller Elan und Begeisterung. Ein unermüdlicher, kreativer Schaffer. Der «Anzeiger» und die Leserschaft wünschen dem berühmten Maschwander gute Gesundheit, alles Gute und ein schönes Geburtstagsfest im Kreise seiner Familie. Ausstellung in der Galerie Märtplatz in Affoltern vom 8. bis 24. März 2013: H. U. Steger, Malerei, Karikaturen, Grafiken, Souvenirs, Sprachmüll.


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