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Aus dem Leben

»EINFACH ANGST«

Aus dem Leben: Im Gespräch mit Asphalt-Verkäuferin Andrea (62).

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Hallo Andrea, am 26. April war dein Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch! In deinem letzten Interview vor vier Jahren hast du von deinen gesundheitlichen Problemen erzählt. Wie geht es dir aktuell?

Nicht so gut. Ich habe viele Angstzustände. Schizoaffektive Psychose nennen die Ärzte das. Und dann habe ich noch eine MS-Diagnose bekommen. Ich kriege auch immer wieder so einen Pfeifton im Ohr, so ein Surren ist das. Das kriege ich, wenn ich Situationen schlecht aushalten kann. Ich kann auch nicht so toll laufen, deshalb werde ich ambulant betreut. Einmal die Woche für zwei Stunden kommt ein netter junger Mann, mit dem ich dann einkaufen gehen kann oder zum Arzt.

Hast du Familie?

Ich habe einen Zwillingsbruder. Der lebt in Süddeutschland und ist sehr fit. Er ist ziemlich engagiert gesundheitlich, macht sich Smoothies und so. Und ich habe eine Schwester. Sie ist krank und lebt in der Psychiatrie. Meine Eltern sind schon über 90. Mein Vater lebt alleine, geht aber kaum noch raus. Meine Mutter ist mittlerweile im Altenheim.

Hast du Kontakt zu deiner Familie?

Ja, aber nicht sehr viel. Kontakte strengen mich an, ich bin ein einsames Kerlchen. Ich war 16 Jahre jeden Sonntag in der Kirchengemeinde und habe keine Kontakte gefunden. Jetzt gehe ich nicht mehr hin, weil ich da Angstzustände bekommen habe – Visionen, in denen ich verfolgt werde. Aber ich glaube immer noch an Gott. Wenn ich meinen Glauben nicht hätte, hätte ich schon längst alles hingeschmissen, weil es so negativ ist. Ich gucke mir auch jeden Tag Joyce Meyer bei Bibel TV an. Sie predigt seit 40 Jahren. Was sie sagt, finde ich immer ganz gut. Ich kann das zwar nicht wiedergeben und nicht behalten, aber es beeinflusst mich positiv. Und ich lese auch gerne in der Bibel. Die Bibel ist doch sehr positiv, finde ich. Einen Kontakt habe ich aber doch aus der Gemeinde, meinen Freund, den habe ich da kennengelernt. Er war der Einzige aus der Gemeinde, der sich mit mir eingelassen hat.

Freund im Sinne von Partner?

Ja. Ich bin froh, dass ich ihn habe. Er hat sehr viel Charme. Wir sind seit 1999 zusammen. Wenn ich ihn nicht hätte, wäre ich wohl schon öfter in der Psychiatrie gelandet. Wir telefonieren täglich und treffen uns auch, aber wir leben nicht zusammen.

Wann fing das mit deinen psychischen Problemen an?

Ich hatte eine Abtreibung mit 22, danach hatte ich sofort Depressionen. Vorher ging es mir auch nicht richtig toll, aber besser. Und danach ging es mir immer schlechter. Der Vater des Kindes war mein erster Freund, eigentlich war er meine große Liebe. Das war mir aber nicht klar. Wir haben uns damals auch getrennt. Nach der Abtreibung war alles schwarz, das war, als wäre eine Entwicklung abgebrochen worden. Ich habe gespürt, ich bin Mutter. Ich habe mich auch auf das Kind gefreut, aber ich hatte einfach Angst, ein Kind großzuziehen.

Also hast du die Entscheidung aus Angst getroffen?

Ja. Und ich habe damals gedacht, dass ich kein Kind in diese Welt setzen will. Ich dachte: Ich schaffe das nicht – das ist eine Lebensaufgabe. Mein Vater hat auch gesagt, bloß keine Kinder in diese Welt setzen. Und der Arzt hat gesagt, das ist nur ein Fötus. Ich habe das geglaubt. Und dann habe ich gemerkt: So ist es absolut nicht!

Hast du die Entscheidung mit deinem Freund gemeinsam getroffen?

Nee. Das habe ich entschieden.

War das der Trennungsgrund?

Ja. Er wollte das Kind haben.

Bereust du deine damalige Entscheidung?

Ja. Ich würde es echt nicht noch mal machen. Das hat was mit mir gemacht.

Hast du es schaffen können, deinen Frieden damit zu machen?

Eine ganze Weile habe ich mich wie eine Mörderin gefühlt. Der Arzt hatte mich nicht gewarnt, dass so etwas gefühlsmäßig passieren kann. Später, in der Gemeinde, habe ich dann aber das Gefühl gehabt, ganz viel Vergebung von Gott zu erfahren.

Und wie ist es mit deiner Psyche? Du lebst schon viele Jahre mit deiner Erkrankung, hilft dir deine Erfahrung, besser damit leben zu können?

Ich bekomme Psychopharmaka, die bekommen mir im Moment sehr gut, auch gegen dieses Rauschen und Pfeifen im Ohr, das ist manchmal nicht auszuhalten. Alle zwei Monate gehe ich zu meinem Psychiater. Und ich weiß mittlerweile ungefähr, wie das ist mit diesen Schüben. Wenn es schlimm ist, muss ich in die Psychiatrie. Es gab aber auch mal eine Phase, in der war ich acht Jahre nicht in der Psychiatrie. Jetzt ist es aber auch schon drei Jahre her, dass ich das letzte Mal auf Station war. Ich bin immer froh, wenn ich gut durch den Tag komme. Der Asphalt-Verkauf hilft mir auch dabei. Drei Samstage im Monat mache ich das, mehr schaffe ich nicht wegen meiner Angstzustände. Manchmal muss ich mich echt zwingen, raus und unter Leute zu gehen, aber das lohnt sich. Interview und Foto: Svea Müller

Andrea verkauft Asphalt in Meyers Garten in Hannover-Misburg, zwischen »Göing« und »Rossmann«.

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