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Notizblock

Foto: Maren Fischinger/Picture-Alliance/Westend61

Gefahrenzulage für Pfleger?

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Hannover. Die Präsidentin der Pflegekammer Niedersachsen, Nadya Klarmann, fordert von Politik, Gewerkschaften, Krankenkassen und Arbeitgebern das Versprechen, nach der Corona-Krise über bessere Bedingungen für die Pflegekräfte zu verhandeln. »Wir freuen uns jetzt über die Bonuszahlungen als Anerkennung – aber da muss noch viel mehr geschehen«. Das derzeitig allgegenwärtige Lob für die Pflegekräfte dürfe kein Lippenbekenntnis bleiben. In Niedersachsen gibt es rund 90.000 Pflegefachkräfte. Die angekündigte Einmalzahlung von 1.500 Euro seien nicht mehr als ein Symbol. Zudem sei völlig unklar, ob tatsächlich alle Pflegekräfte von einem Bonus profitierten. Bisher gebe es nur eine entsprechende Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche. Für das Pflegepersonal in den Krankenhäusern oder von Zeitarbeitsfirmen gebe es bislang kein Abkommen. Da die Corona-Pandemie ein akutes Krankheitsgeschehen sei, stünden aus ihrer Sicht die Krankenkassen in der Pflicht, die Bonuszahlungen zu refinanzieren. Klarmann forderte zudem eine Gefahrenzulage für diejenigen, die mit Corona-Patienten arbeiten müssten. EPD

Viele Kita-Stellen unbesetzt

Vechta. In einer von vier Kindertagesstätten in Deutschland ist nach Angaben der Professorin Anke König zurzeit mindestens eine Stelle nicht besetzt. Dies habe eine bundesweite Befragung zur Personalentwicklung in Kitas ergeben, sagte die Leiterin des Arbeitsbereiches Frühpädagogik an der Universität Vechta. Kleinere Kita-Träger investierten aktuell zwar viel, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, jedoch nur wenig, um sie weiterzubilden, so König. »Die Kita-Landschaft droht unter den unterschiedlichen Bedingungen auseinanderzudriften.« Gerade Personalentwicklung habe aber ein hohes Potenzial, um die Zukunft der Kitas zu sichern, sagte die Professorin. Die Befragung habe deutlich gezeigt, dass Kita-Fachkräfte einen Bedarf an Orientierung hätten. Doch in vielen Kitas fehle die Zeit dafür. Ohne Investition in die pädagogische Betreuung drohe ein Szenario, über das Fachkräfte sich bereits beklagt hätten: »Wir verwahren die Kinder nur noch, für Bildung bleibt keine Zeit.« Laut dem Statistischen Bundesamt gab es 2018 rund 56.000 Kindertagesstätten in Deutschland. Sie sind den Angaben zufolge in der Regel klein. In einer Kita arbeiten im Durchschnitt etwa zwölf pädagogische Fachkräfte zusammen. EPD

75.000 Euro gegen Antisemitismus

Hannover. Das niedersächsische Justizministerium stellt in diesem Jahr bis zu 75.000 Euro für Projekte gegen Antisemitismus zur Verfügung. »Antisemitismus geht uns alle an«, sagte Justizministerin Barbara Havliza (CDU). »Wir stehen alle in der Pflicht, jüdisches Leben in Niedersachsen zu fördern und zu erhalten. Genauso stehen wir in der Pflicht, antisemitischen Strömungen in Niedersachsen entgegen zu wirken und sie zu verhindern.« Präventionsarbeit leiste dabei einen ganz wichtigen Beitrag. Der ehrenamtliche Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, Franz Rainer Enste, sagte: »Wir brauchen Projekte, die sich alten und neuen Ressentiments und Vorurteilen entgegenstellen. Gerade in einer Zeit, in der die sozialen Netzwerke von Verschwörungstheorien überkochen.« EPD

Fürst will 8. Mai

Hannover. Der jüdische Verbandspräsident Michael Fürst unterstützt den Vorstoß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, den 8. Mai in Niedersachsen in diesem Jahr zu einem gesetzlichen Feiertag zu machen. »Ich begrüße Ihre Absicht sehr und hoffe, dass Sie die Parteien davon überzeugen können«, so Fürst an den DGB-Landeschef Mehrdad Payandeh. »Hier stehen wir sehr gerne an Ihrer Seite.« Fürst leitet den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Der DGB hatte in einem offenen Brief an die Landesregierung appelliert, den 8. Mai zum Feiertag zu erklären. Zugleich forderte er die Kirchen und die Arbeitgeber sowie weitere Verbände auf, sich der Initiative anzuschließen. In Erinnerung an die Befreiung vom Nationalsozialismus vor 75 Jahren betonten auch die Staatskanzlei und Unternehmerverbände die Bedeutung des Datums. Von einem arbeitsfreien Tag allerdings halten die Unternehmer nichts. Die Staatskanzlei betonte am Mittwoch in Hannover, die Debatte sei nur zielführend, wenn über einen bundesweiten Feiertag nachgedacht werden würde. EPD

BUND verlangt Moratorium

Gorleben. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert wegen der Corona-Krise ein Moratorium bei der Suche nach einem Endlager für den hochradioaktiven Atommüll. Durch die Pandemie hätten für das Suchverfahren wichtige rechtliche Vereinbarungen wie das Geologiedatengesetz nicht verabschiedet werden können, so der Umweltverband. Auch eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung sei durch die Kontaktsperre zurzeit nicht möglich. »Die Corona-Krise ist sozial und wirtschaftlich eine enorme Herausforderung. Wir sollten ihr adäquat begegnen«, schreibt der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt in einem Brief an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. »Sie darf aber kein Anlass sein, die notwendige Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung in der Atommülllager-Suche zu konterkarieren.« Konkret verlangt der BUND, dass die für den Herbst dieses Jahres angekündigte Veröffentlichung eines Zwischenberichts über mögliche Standortregionen mindestens in das Jahr 2021 verschoben wird. Die Endlagersuche war 2017 neu gestartet worden. In der Vergangenheit wurde nur der Salzstock Gorleben auf seine Tauglichkeit als Endlager untersucht. Der Standort ist wissenschaftlich umstritten, Umweltschützer bezeichnen ihn überdies als »politisch verbrannt« und fordern, dass der Salzstock aus dem Suchverfahren ausscheidet. EPD

Auf Flüchtlinge vorbereitet

Varel/Kr. Friesland. Die Landkreise in Niedersachsen sind nach Ansicht des Geschäftsführers des Niedersächsischen Landkreistages, Hubert Meyer, auf neue Flüchtlinge vorbereitet: »Wir beobachten die Situation an der türkisch-griechischen Grenze mit großer Sorge.« Allerdings erwarte er im Ernstfall eine Vorwarnung durch den Bund, damit die Kommunen entspannt und frühzeitig Maßnahmen treffen könnten. Landesweit stünden rund 5.000 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften als »schlafende Reserve« zur Verfügung, so Meyer. Diese seien jedoch für den Notfall gedacht und entsprächen nicht dem Standard der Unterkünfte der Landesaufnahmeeinrichtungen. Viele Einrichtungen seien geschlossen worden, so dass es in einigen Landkreisen keine Notunterkünfte mehr gebe. In anderen Regionen würden sie genutzt, um akuter Wohnungsnot zu begegnen. Allerdings habe man aus den Erfahrungen der Jahre 2015 und 2016 gelernt, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen und die Kommunen in großer Eile reagieren mussten. Auch auf den Plan des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD), aktuell unbegleitete jugendliche Flüchtlinge von den griechischen Inseln zu holen, könnten die 36 Landkreise und die Region Hannover angemessen reagieren. EPD

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HELDEN DER STRASSE

Fotos: V. Macke

»In der Krise beweist sich der Charakter«, soll Altkanzler Helmut Schmidt gesagt haben. Sechs Menschen von sechs Organisationen haben ihn in den vergangenen Wochen bewiesen. Sie haben die Stellung gehalten. An der Straßenfront. Für die Wohnungslosen. Wir stellen sie Ihnen mal kurz vor. Beispielhaft.

Hundertfach stehen die Obdachlosen, die Gestrandeten und Armen jeden Abend um fünf hinterm Pavillon am AndreasHermes-Platz. Die Obdachlosenhilfe Hannover (OHH) hat dann ihren Stand aufgebaut. Es gibt Essen, gekocht vom HCC, gespendetes Obst, Getränke, Seifen und dergleichen. Ehrenamtliche geben – mittlerweile mit Mundschutz und Handschuhen ausgestattet – aus, was benötigt wird, andere sorgen für Abstand in der langen Schlange. Kopf der Hilfe vor Ort ist Mario Cordes (49). Als Tafeln und Treffs schlossen, blieben er und seine Mitstreiter vor Ort und weiteten – gemeinsam mit anderen – ihr Versorgungsangebot aus. »Weil es einfach nicht zu verantworten wäre, die Menschen allein auf der Straße zu lassen«, sagt der einstige Asphalt-Verkäufer, der schon längst so etwas wie ein Manager der Krise ist. Im Schulterschluss mit der

Mario Cordes

Lothar Baranek

Katharina Pätzold

OHH ist nicht weit entfernt der Bauwagen vom Neuen Land. Die freikirchliche Organisation ist seit Jahrzehnten in der Hilfe für Obdachlose und Süchtige aktiv, bietet Trost, Gespräche, Getränke und Essen. Auch jetzt wieder. Einer von ihnen ist Lothar Baranek (56). Sein Brot verdient er im großen Supermarkt unweit vom ZOB. Seine Freizeit ist Helfen. Seit mehr als 20 Jahren macht er das, im Bauwagen oder im SOS Bistro in der Oststadt, das, weil es so klein ist, in der Krise geschlossen hat. Direkte Hilfe auf der Straße könne man aber immer machen, sagt er. Dazu gehöre nicht mal Gottvertrauen – obwohl er beim Neuen Land aktiv ist, sei er nicht wirklich gläubig. »Menschlichkeit braucht keine Religion, sie schadet aber auch nicht«, sagt er. Ohne Essen ist alles nichts, aber Essen ist nicht alles. Körperliche Gesundheit, Zuspruch, Zuhören, individuelle Unterstützung sind gerade jetzt in der Unsicherheit der Corona-Pandemie wichtig. »Das merken wir jetzt mehr denn je«, sagt Katharina Pätzold (35), Sozialarbeiterin bei La Strada, einer »Beratungsstelle für drogengebrauchende Frauen«, die zumindest teilweise als Sexarbeiterinnen ihr Geld verdienen. Eigentlich bietet La Strada in einem kleinen Café unweit der Langen Laube Hilfe und eine Schlafcouch. Die ist enorm wichtig, denn Prostituierte arbeiten, wenn andere Obdachlose schlafen. Wenn sie schlafen wollen, haben die Notunterkünfte zu. Das ist schon in normalen Zeiten ein Problem. Jetzt in Corona-Zeiten sind die Frauen auch ohne jede Einnahme. Pätzold ist mit ihren Kolleginnen aktuell fast ausnahmslos als Straßensozialarbeiterin unter anderem am Treff der Drogenszene am Fernroder Tunnel unterwegs. »Viele haben Grunderkrankungen. Die haben quasi abge»Menschlichkeit schlossen, sagen, sie würden ohnehin nur auf braucht keine die Ansteckung warten und dann vermutlich

Religion, sie sterben«, erzählt sie von Gesprächen. »Das ist unheimlich traurig.« schadet aber Die fehlende Unterstützung seitens offiauch nicht.« zieller Stellen kritisiert auch Florian Schulz

Lothar Baranek (23) von der Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo). Auch die Masken, die er und seine KollegInnen tragen, sind selbstgenähte. »Im Grunde wurden die Einrichtungen – obwohl systemrelevant – anfangs sträflich allein gelassen, da gab es die Abstandsregeln, aber keiner hat gesagt, wie das laufen soll.« Mit einigen Kollegen hat er dann den Tagestreff Nordbahnhof auf eigene Faust und provisorisch wieder aufgemacht, damit Duschen und Kontakt weiter angeboten werden konnten. Denn Corona macht Angst und Unsicherheit, auch gerade bei denen, die ohnehin abgehängt sind. »Anfangs gab es noch Zuversicht in der Szene, auch die Armenspeisungen, die die Stadt mit den Verbänden organisiert hat, war definitiv hilfreich. Aber der Stress und die Unsicherheit machen die Menschen aus der Szene immer ruppiger und verzweifelter.«

Wem es richtig dreckig geht, geht zu Franziska Walter (56). Seit 28 Jahren ist sie die Krankenschwester im Mecki-Laden der Diakonie. Sie versorgt Stich- und Schnittverletzungen, gibt Tabletten aus, versorgt chronisch offene Wunden, assistiert ehrenamtlichen Ärzten bei medizinischen Untersuchungen der Leute von der Straße. »Eigentlich war immer gut zu tun, aber früher war es ruhiger«, sagt sie. Aktuell versorgt sie täglich 25 bis 30 Personen. Im Moment natürlich immer auch mit Blick auf Lungenerkrankungen. Die ersten beiden Wochen nach dem Shutdown hat sie die Leute an der Tür behandelt, weil Schutz»Anfangs gab es vorkehrungen fehlten. Mittlerweile hat noch Zuversicht sie mit anderen vom Mecki eine »Hygiein der Szene aber ne-Schleuse« improvisiert. »Wir machen das aktuell open end, wir sind im Modie Unsicherheit ment sowas wie die letzte Chance«. macht sie immer

Die, die sich an die allgemeinen Vorverzweifelter.« gaben halten, die zuhause in ihren maFlorian Schulz roden Unterkünften bleiben, versorgt das mobile Team von Sandra Lüke (50) mit dem Nötigsten. 110 Menschen an der Wörthstraße, rund 50 bis 60 an der Schulenburger Landstraße zum Beispiel. Aber auch obdachlose Familien in speziellen Familienobdächern. Dreimal pro Woche fährt sie mit dem privat finanzierten Transit los, verteilt Tüten und Päckchen mit Essen und Seifen. Denn der Bollerwagen, nach dem sie vor fünf Jahren ihre Organisation Bollerwagen-Café genannt hatte, reicht schon lange nicht mehr aus. »Manchmal backen wir auch Kuchen«, sagt die Wachkomapflegerin. Wir, das sind rund 15 MitstreiterInnen, alle ehrenamtlich. »Der Kuchen ist quasi wie eine Belohnung für die, die sich an die Shutdown-Regeln halten, denn wir wollen doch, dass alle nach der Pandemie noch leben.« Volker Macke

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Florian Schulz

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