Einleitung ch nahm mein klingelndes Telefon bei der Chicago Tribune ab und wurde von der schluchzenden, sich überschlagenden Stimme eines panischen Vaters überfallen. Seine 19-jährige Tochter würde vermisst, stammelte er. Sie sei ein gutes Mädchen, mache nie irgendwelchen Ärger, nicht viel mehr als ein unschuldiges Kind – und jetzt war sie verschwunden. Die Polizei sei nicht sehr hilfreich. Ob ich nicht die Behörden auf ihr Verschwinden aufmerksam machen könne? Von seiner Verzweiflung bewegt, begann ich zu recherchieren. Doch als ich die Freunde seiner Tochter und die Polizei befragte, zeichnete sich ein ganz anderes Bild ab, als das, was er mir dargestellt hatte. Tragischerweise stellte sich heraus, dass das Mädchen drogenabhängig war, eine Kleinkriminelle, die Geliebte eines Gangmitglieds und eine Gelegenheitsprostituierte. Als einige Tage später ihre Leiche gefunden wurde, ergab die Obduktion, dass sie das Opfer einer Überdosis Heroin geworden war. Ich hatte nicht den Mut, dem Vater all die Details zu erzählen, die ich über das Mädchen herausgefunden hatte. Er glaubte wirklich, dass sie noch ein unschuldiges Kind gewesen sei – und da täuschte er sich gewaltig. Die Liebe zu seiner Tochter hatte ihn blind gemacht. Er hatte in ihr gesehen, was er sehen wollte, und die offensichtlichen Hinweise übersehen, die in eine ganz andere Richtung deuteten. Für diese Art von Wunschdenken konnte ich ihn kaum anklagen, schließlich bin ich selbst Familienvater. Für mich – damals überzeugter Atheist – war dies eine passende Analogie zur Denkweise der Christen. Aus meiner Perspektive betrachtet, machte ihr Glaube sie blind für die tatsächlichen Fakten über das Leben von Jesus. Sie
I
6
7