so streitbar geben wie in seinen Büchern? Würde er seinem alten Weggefährten Billy Graham gegenüber verbittert sein? Würde er sich überhaupt zu einem Interview bereit erklären und es auch zu Ende bringen? Als er in einem kurzen Telefonat zwei Tage zuvor in ein Interview eingewilligt hatte, hatte er vage angedeutet, dass es ihm gesundheitlich nicht besonders gut gehe. Madeleine Templeton, die gerade dabei gewesen war, ihre Blumenbeete auf dem Dachgarten zu versorgen, öffnete mir und begrüßte mich warm und herzlich. „Ich weiß, Sie sind extra aus Chicago gekommen“, sagte sie, „aber Charles ist sehr krank, tut mir Leid, dass ich Ihnen das sagen muss.“ „Ich kann gern ein anderes Mal wiederkommen“, bot ich an. „Nun, wir können ja erst einmal sehen, wie es ihm jetzt geht“, meinte sie und führte mich eine mit rotem Teppichboden ausgelegte Treppe hinauf in ein luxuriöses Apartment, immer zwei große, schwanzwedelnde Pudel auf den Fersen. „Er hat geschlafen …“ In diesem Augenblick kam ihr 83-jähriger Mann aus dem Schlafzimmer. Er trug einen dunkelbraunen leichten Morgenmantel über einem etwas helleren braunen Schlafanzug. An den Füßen hatte er schwarze Hausschuhe. Sein lichtes graues Haar war etwas ungeordnet. Er war hager und blass, aber seine blaugrauen Augen waren wach und lebendig. Er streckte mir höflich die Hand zum Gruß entgegen. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er und räusperte sich, „mir geht es nicht gut.“ Und dann fügte er sehr nüchtern hinzu: „Genau genommen liege ich im Sterben.“ „Was haben Sie denn?“, fragte ich nach. Seine Antwort haute mich fast um. „Alzheimer“, erwiderte er. Meine Gedanken rasten zurück zu dem, was er über Alzheimer geschrieben hatte – dass die Krankheit ein Beweis für die Nichtexistenz Gottes sei –, und plötzlich 18
kannte ich wenigstens eines der Motive, aus denen heraus er sein Buch geschrieben hatte. „Ich habe es seit … lassen Sie mich überlegen, sind es jetzt drei Jahre?“, fuhr er mit gerunzelter Stirn fort, sich Hilfe suchend an seine Frau wendend. „Stimmt doch, oder, Madeleine?“ Sie nickte. „Ja, seit drei Jahren“, bestätigte sie. „Mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es einmal war“, sagte er, „und wie Sie wahrscheinlich wissen, verläuft Alzheimer immer tödlich. Immer. Es klingt vielleicht melodramatisch, aber ich bin zum Tode verurteilt. Über kurz oder lang wird es mich umbringen, doch zuvor wird es mir den Verstand rauben.“ Er lächelte schwach. „Und es hat schon angefangen, fürchte ich. Madeleine kann Ihnen das bescheinigen.“ „Es tut mir Leid, dass ich hier so hereinplatze“, entgegnete ich. „Wenn Ihnen jetzt nicht danach ist …“ Aber Templeton bestand auf unserem Gespräch. Er führte mich in ein hell und freundlich eingerichtetes Wohnzimmer, in das durch große Fenster mit einem grandiosen Ausblick auf die Stadt die Nachmittagssonne fiel. Wir saßen in tiefen Polstersesseln und innerhalb von wenigen Minuten schien Templeton neue Energie geschöpft zu haben. „Ich nehme an, Sie möchten von mir eine Erklärung, wie ich vom Geistlichen zum Agnostiker wurde“, sagte er. Und mit diesen Worten begann er die Ereignisse zu schildern, die dazu geführt hatten, dass er seinen Glauben an Gott ablegte. Das hatte ich erwartet. Ich hätte allerdings nie damit gerechnet, wie unser Gespräch enden würde.
Die Macht eines Bildes Templeton war jetzt völlig bei der Sache. Gelegentlich entdeckte ich Hinweise auf seine Krankheit, wenn ihm 19