Kapitel 2
Der suchende Hirte »So will auch euer Vater im Himmel nicht, daß einer von diesen Kleinen verloren geht« (Mt 18,14; Einheitsübersetzung).
aul Ries war noch ein Kind, als er aus Mexiko in die Vereinigten Staaten floh. Er lief weniger vor den ärmlichen Verhältnissen in seinem Land davon als vielmehr vor seiner familiären Situation – vor einem Vater, der Alkoholiker war und extrem brutal sein konnte. Außerdem war Raul von den Ritualen in der Kirche, in der er aufgewachsen war, abgestoßen und frustriert, weil er sie nicht verstand. Südkalifornien erwies sich nicht unbedingt als das Gelobte Land. Aber Ries lernte zu überleben, indem er sich auf seine Fähigkeit zu kämpfen verließ. In der High School in West Covina führte er eine Jugendgang an. Als er einen Footballspieler eines gegnerischen Teams bei einer Party zum Krüppel schlug, beschloss ein Richter, dass einige Zeit beim Militär die einzige Möglichkeit wäre, ihn vom Gefängnis fern zu halten. Ries war ein guter Soldat. Töten war für ihn ein Leichtes. Er bekam die Tapferkeitsmedaille und wurde Kung-Fu-Experte. Eine Zeit lang war er bei seiner Einheit Frontmann, das heißt derjenige, der vor allen anderen Soldaten lief und deshalb auch der größten Gefahr ausgesetzt war. Erstaunlicherweise meldete sich Ries freiwillig für diese Position. Nach einer Weile fiel ihm das Töten noch leichter und seine Einheit fiel in die Dörfer im vietnamesischen Urwald ein und begann, einfach auf die Menschen zu schießen. Er erzählte mir später mit Tränen in den Augen, dass unter den Opfern auch Frauen und Kinder gewesen waren. Doch das war ihm damals einfach egal gewesen.
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