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Paulus – Eine Sternstunde des Glaubens für Europa Die Bedeutung des Apostels Paulus ist nicht hoch genug zu würdigen. Durch ihn ist Europa mit der Botschaft des Evangeliums bekannt geworden. Gewiss gab es in Rom schon einige wenige Christen, wie aus dem Brief des Paulus an die Römer hervorgeht, aber sie waren ohne größeren Einfluss auf ihre Umgebung.

Um das Jahr 50 n. Chr. hat der Völkerapostel zum ersten Mal griechischen Boden betreten. Fast 2000 Jahre sind seitdem vergangen. Weltreiche sind gekommen und wieder zerfallen, die eigentlich ewig dauern sollten. Von manchen Staaten sind kaum noch Spuren vorhanden. Wie viele Kriege hat Europa durchleiden müssen! In diesen wirren Zeiten sind Kaiser und Könige eingesetzt und wieder vom Thron gestoßen worden. Eines aber ist geblieben: das Christentum.

Klein waren die Anfänge der wenigen Gemeinden. Aber im Laufe der Zeit haben sie sich ausgebreitet. So gibt es heute in jedem Land Europas Christen. Das kleine Samenkorn, um es in einem Bild zu verdeutlichen, ist aufgegangen, gewachsen und hat sich zu einem mächtigen Baum entwickelt, in dem die Vögel ihre Nester bauen. So drückt es Jesus im Gleichnis vom Senfkorn aus.

Klar muss aber auch gesagt werden, dass die Christen viel Verfolgung, Unterdrückung, Gefangenschaft, ja sogar Tod um ihres Glaubens willen auf sich genommen haben. Hinzu kamen noch die Unfähigkeit, Schwachheit, Unzulänglichkeit der Christen selbst. Und doch durfte dieses zarte Pflänzlein christliche Gemeinde wachsen und gedeihen. Der Ruhm für dieses 7

Gelingen ist nicht Menschen zuzuschreiben, obwohl sie wesentlich bei der Ausbreitung des Evangeliums beteiligt waren, sondern Gott allein. Das war von Anfang an so und ist auch bis heute so geblieben.

Zu denen, die das Vorrecht hatten, Gottes Mitarbeiter in diesem gewaltigen Werk zu sein, gehört der Apostel Paulus.

Welch ein Geschenk hat uns Gott mit ihm gemacht. Paulus war bereit, in seiner Missionstätigkeit Neuland zu pflügen.

Dabei war er kein Einzelgänger, sondern er besprach seine Pläne und Strategien mit seinen Mitarbeitern. Er überließ sich ganz der göttlichen Leitung. Dabei war er kein tiefsinniger Grübler, sondern ein Mann, der schnell und spontan Entscheidungen traf und sie dann auch entschlossen in die Tat umsetzte. Seine Weisungen hat er immer von seinem Herrn erhalten.

War ihm ein Weg verstellt, dann rechnete er fest damit, dass Gott andere Türen auftun würde. Ihn bewegte nur ein einziger Gedanke: die Welt für Christus zu gewinnen. Die aufregende Siegesbotschaft Jesu hatte ihn im Innersten erfasst, nachdem er auf dem Weg nach Damaskus Christus selbst begegnet war und sein Leben eine radikale Wendung genommen hatte.

Fast kann man es nicht glauben, dass aus einem der schärfsten Verfolger der Christen einer der bedeutendsten Botschafter Jesu aller Zeiten wurde. Bis zu seinem letzten Atemzug war es ihm ein Anliegen, das Evangelium weiterzutragen. Sogar die damalige Welthauptstadt Rom wollte er damit erreichen. Im Brief an die Römer schreibt er: „Seit vielen Jahren habe ich das Verlangen, zu euch zu kommen“ (Römer 15,23). Aber dieses Ziel hat er nur als Gefangener, in Ketten geschmiedet, erreichen können. Wir wissen, wie gerade seine Briefe aus der Haft für die Christenheit zu einem Vermächtnis geworden sind, den Lauf des Evangeliums durch die Welt voranzutrei8

ben. Aber zunächst wirkte er in Kleinasien. In dieser Zeit wurde er fast gegen seinen Willen von Jesus beauftragt, seinen Fuß auf europäischen Boden zu setzen. Er befand sich auf seiner zweiten Missionsreise und wollte die Gemeinden besuchen, die er auf seiner ersten Reise gegründet hatte. Auch sollten neue Gemeinden hinzukommen. Er war voller Eifer und sah vortreffliche Möglichkeiten, die Sache Gottes in dieser Region zu festigen und auszubauen.

Da wurde er plötzlich in seinem Tatendrang gestoppt. Nicht Menschen hielten ihn auf, sondern Jesu klarer Befehl. Auf der Reise durch Phrygien und Galatien, so wird uns in Apostelgeschichte 16 berichtet, stellte sich ihm der Heilige Geist entgegen und verwehrte es ihm, das Wort Gottes weiter in Asien zu verkündigen. So mussten Paulus und seine Begleiter Mysien und Betynien links liegen lassen.

Ich möchte auf die tapferen Männer, die sich Paulus zur Unterstützung ausgesucht hatte, näher eingehen. Er reiste nicht gern allein. Das hing schon mit seinem schlechten Gesundheitszustand zusammen. Man nimmt an, dass er von Malariaanfällen geplagt wurde. Aber er vertraute den Anordnungen seines Herrn, der seine Jünger immer paarweise zum Dienst ausgesandt hatte. Silas war für ihn der rechte Begleiter: zuverlässig, treu und zu jedem Opfer bereit. Wichtig war auch, dass er ebenso wie Paulus die römische Staatsangehörigkeit besaß.

Er hatte sich von Paulus zu diesem wagemutigen Unternehmen begeistern lassen. Wer dem Kraftfeld des Völkerapostels nahe kam, wurde in die innere Bewegung, für Gott Großes zu bewirken, mit hineingenommen. Und so wurde Silas sehr eng mit dem Schicksal des Paulus verbunden.

Sein zweiter Begleiter war Timotheus, ein junger Mann mit vielen Fähigkeiten. Es war vor allen Dingen seine Klugheit, 9

aber noch mehr seine Frömmigkeit, die Paulus bewogen hat, ihn zum Mitstreiter zu machen. Hohe Anforderungen hat Paulus an ihn gestellt und wurde darin nicht enttäuscht. Paulus war sich dessen bewusst, dass er für seine Missionsvorhaben tüchtige Leute um sich scharen musste, die er in der Jüngerschaft schulte. Es war ein Glücksfall für ihn, dass Timotheus in einer frommen Familie aufgewachsen war. Wir wissen um seine Mutter und Großmutter, die ihn von Kindheit an in der Lehre der Heiligen Schrift unterrichtet haben, so dass er große Teile davon auswendig kannte. So legten ihm die Ältesten der Gemeinde die Hände auf und segneten ihn zum Missionsdienst.

Er gab vor vielen Menschen Zeugnis davon, was er mit Jesus erlebt hatte. So wird es uns in 1. Timotheus 1, 18 berichtet.

Paulus wurde diesen jungen Streitern Christi ein rechter Vater.

Beiden half die tiefe Verbundenheit mit ihm, alle Strapazen, die mit einer solchen Missionsreise verbunden waren, auf sich zu nehmen. Als Timotheus vor seiner Reise Abschied von seinen Lieben nahm, war ihm bewusst, dass er seine Heimat wahrscheinlich nie wiedersehen würde. An der Seite von Paulus lernte er, seinem Gott zu vertrauen und Großes von ihm zu erwarten. Er gab sich ganz der Verkündigung des Evangeliums hin. Wie sehr aber hat Paulus einen solch tapferen Mitarbeiter an seiner Seite gebraucht. Oft war er krank und stark angefochten. In dankbarer Erinnerung an diese unschätzbaren Dienste seines Freundes gibt ihm Paulus aus der Zelle seines Gefängnisses in Rom ein wunderbares Zeugnis von seinem Einsatz: „Ich habe keinen, der so mit mir eines Herzens und Sinnes ist ... Er hat sich bewährt: Wie ein Sohn seinem Vater, so hat er mir Hilfe geleistet im Dienst für das Evangelium“(Philipper 2,20+22). Er nennt ihn voller Anerkennung und Stolz seinen „echten Sohn im Glauben“ (1.Timotheus 1,2).

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Der Dritte im Bunde war Lukas. Wir kennen ihn als den Verfasser des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte. Er war ein sehr begabter und fähiger Arzt, der sich aber auch in der Seemannskunst auskannte. Wahrscheinlich ist er in einer Hafenstadt geboren worden und ist auch selbst viel herumgereist. Er hat Paulus öfter auf seinen beschwerlichen Reisen begleitet. Sogar die Gefangenschaft in Rom teilte er mit ihm und ist in dieser bedrohlichen Situation nicht von seiner Seite gewichen. Paulus erwähnt diesen treuen Freund dreimal in seinen Gefangenschaftsbriefen: „Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt.“ Wie dankbar war Paulus, dass er einen Mediziner zum Freund haben durfte, da er doch oft von Krankheiten gequält wurde. Im Philemonbrief erwähnt ihn Paulus als seinen Mitarbeiter und im Brief an Timotheus schreibt er wehmütig: „Lukas allein ist bei mir“ (2. Timotheus 4,11).

Wie Paulus ist Lukas ledig geblieben und im hohen Alter gestorben. In Theben ist seine letzte Ruhestätte. Lukas besaß auch große schriftstellerische Fähigkeiten und eine ausgezeichnete griechische Bildung. Seine scharfe Beobachtungsgabe hat ihn zu einem herausragenden Chronisten werden lassen. Sehr genau hat er bei Augen- und Ohrenzeugen Informationen gesammelt und über das Leben Jesu berichtet (Lukas 1,1-4).

Sorgfältig hat er alles, was er in Erfahrung bringen konnte, auf dünnen Papyrusblättern aufgeschrieben und dann später als Buch herausgebracht. Wahrscheinlich ist er Paulus schon in Tarsus begegnet, wo beide eine Zeit lang studiert haben.

Ein bemerkenswerter Charakterzug ist seine bescheidene, sanfte Art, die ihn in treuer Anhänglichkeit mit Paulus bis zu seinem Tod verbindet. Wie wertvoll ist es für uns, dass Gott gerade diesen ruhigen, ausgeglichenen, auf Versöhnung be11

dachten Mann dem impulsiven Völkermissionar Paulus zur Seite gestellt hat, so dass er der Biograf des leidenschaftlichen Apostels werden konnte.

Wer selbst um den Wert einer Freundschaft weiß, wird es gut einschätzen können, dass Paulus für seinen treuen Wegbegleiter dankbar war. Die Tiefe und Glut der prophetischen Vision des Paulus und die klare Darstellungskunst des Lukas haben zusammengewirkt, so dass wir einen wertvollen Bericht erhalten haben, wie das Evangelium nach Europa gekommen ist. Es war die Strategie Gottes, dass gerade diese Männer zusammengeführt wurden, als es um die Ausbreitung des Reiches Gottes ging.

Aber zunächst traten Schwierigkeiten auf. Sicher haben Paulus und seine Begleiter es nicht verstehen können, dass ihnen vom Heiligen Geist verwehrt war, ihre so erfolgreiche Arbeit in Kleinasien fortzusetzen. Welch lange Wegstrecken hatten die Männer auf sich genommen. Meistens zu Fuß oder auf dem Rücken von Pferden. Aber es war von Vorteil, dass es im Römischen Reich gut ausgebaute Heer- und Handelsstraßen gab.

Wie viele Wochen, ja Monate sie trotzdem benötigten, um nach Troas zu kommen, ist uns nicht bekannt. Aber es war sicher eine lange, entbehrungsreiche Reise.

Und dann geschah das Unglaubliche. Mitten in der Nacht hatte Paulus eine Vision. Er sah einen Mann aus Mazedonien, der ihn bat: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ (Apostelgeschichte 16,9). Für Paulus bestand kein Zweifel, dass es Gottes Ruf war. Die Worte dieses Mannes im nächtlichen Gesicht sind schon etwas sehr Denkwürdiges.

Drei Jahrhunderte zuvor hatte ein Ereignis in umgekehrter Richtung stattgefunden. Da war aus Mazedonien der junge Alexander nach Asien aufgebrochen und hatte in einem un12

vergleichlichen Siegeszug die halbe (damals bekannte) Welt erobert. Nicht umsonst hat ihm die Geschichte den Namen „Alexander der Große“ gegeben. Städte wie Jerusalem oder Tarsus, die Heimat des Paulus, waren für diesen Eroberer unbedeutende Orte geworden. Nun war ein Mann, der aus Tarsus stammte, in Jerusalem seine Ausbildung erhalten hatte und auf dem Weg nach Damaskus Christus begegnet war, von Gott gerufen worden, dem Land, aus dem Alexander der Große aufgebrochen war, die wichtigste Botschaft aller Zeiten zu bringen. Das Reich Alexanders war mittlerweile längst gefallen, und die Römer hatten die Herrschaft übernommen. Eines jedoch hatte Alexander bewirkt, ohne dass es ihm bewusst war: Seine Muttersprache, das Griechische, war im Römerreich mittlerweile zur Welt- und Verkehrssprache geworden. Für Paulus und die anderen Boten des Evangeliums war somit eine Verständigungsbasis geschaffen. Sie hatten eine Sprache, in der sie zu den verschiedensten Völkern reden konnten. Aber das Wichtigste blieb die Tatsache, dass Paulus und alle anderen Boten Jesu das Evangelium von einem Reich verkündigten, das nie vergehen würde. Denn wo immer Menschen diese Botschaft hörten und ihr Glauben schenkten, ist Gottes Herrschaft angebrochen. Da ist es nur zu verständlich, dass Paulus und seine Mitarbeiter sofort bereit waren, Gottes Befehl Folge zu leisten und sich auf den Weg nach Mazedonien zu begeben. So brach Paulus auf und suchte ein Schiff, das ihn und seine Mitarbeiter nach Neapolis bringen würde.

Nach Philippi sind Thessalonich, Beröa, Athen und Korinth die nächsten Ziele ihrer Wirksamkeit in Griechenland. Die Apostelgeschichte berichtet uns recht gedrängt von den Erfahrungen, die sie mit Jesus gemacht haben. Es ist erstaunlich, wie Gott den Auftrag des Paulus, Silvanus, Timotheus und 13

Lukas bestätigt hat. Überall, wo sie predigten, entstanden geistliche Aufbrüche, die tiefe Spuren hinterließen.

Lydia war die erste Christin in Europa. Paulus begegnete ihr an der Wasserstelle, wo sie mit anderen Frauen ihre morgendliche Meditation hielt. Sie war eine dankbare Hörerin und nahm, vom Heiligen Geist erfasst, das Zeugnis von Jesus in ihr Herz und Leben auf. Diese kluge Geschäftsfrau hatte gefunden, wonach sie schon lange gesucht hatte. Sie ließ sich auch sofort taufen und öffnete ihr Haus für die Boten Christi. Schlicht und einfach heißt es in Apostelgeschichte 16,14: „Dieser tat der Herr das Herz auf, dass sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet ward.“ Mit allem, was sie besaß, – und sie war eine wohlhabende Unternehmerin, die mit teuren, kostbaren Stoffen handelte – stellte sie sich ihrem neuen Herrn, Jesus Christus, zur Verfügung.

Solange die Bibel gelesen wird, wird auch ihr Name genannt werden. So begann die Sternstunde des Glaubens für Europa klein, zart und schlicht mit einer Frau. Es ist kaum zu glauben, dass daraus die weltweite Gemeinde entstanden ist. Millionen und Abermillionen haben sich seitdem in die Nachfolge Christi rufen lassen.

Lotte Bormuth

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Wulfila – Bischof und Bibelübersetzer der Goten Vor seiner Himmelfahrt hatte Jesus seinen Jüngern den Auftrag erteilt, Menschen aus allen Völkern für seine Nachfolge zu gewinnen (Matthäus 28,19) und dazu seine Zeugen „bis an das Ende der Erde“ zu sein (Apostelgeschichte 1,8). Das Römische Reich mit seiner Ausdehnung von Britannien im Norden bis Nordafrika im Süden und von Spanien im Westen bis nach Persien im Osten war schon ein gewaltiges Gebiet. In den ersten drei Jahrhunderten ist die Botschaft Jesu auch in weite Teile dieses Reiches vorgedrungen, und es sind viele Gemeinden von Christen entstanden.

Aber die Welt ist noch größer als das Römische Reich von damals. Wenn auch Kontinente wie Amerika, Australien und manche Teile Hinterasiens noch unbekannt waren, so wusste man doch um viele Länder und Völker im asiatischen, afrikanischen und vor allen Dingen im europäischen Raum, die sich jenseits der Grenzen des Römerreiches befanden. Aber es gab keine Missionsgesellschaften und auch keine Missionsstrategien, wie wir sie heute kennen, die zu diesen Völkern hätten vordringen können. Doch Gott hatte in seiner Weltenlenkung längst einen Weg vorgesehen, wie gerade die Völker des nördlichen Europa mit dem Evangelium bekannt werden sollten. Es bewahrheitete sich das Wort Jesu, mit dem er seinen Missionsauftrag eingeleitet hat: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Er, der zur Rechten Gottes sitzt, lenkt die Gedanken der Völker und ihrer Herrscher, der Stämme und Stammesfürsten, wie es schon im Psalm 33,1015 zum Ausdruck kommt.

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Eine solche Fügung durch Gottes unsichtbare, aber vollmächtige Hand war die geschichtliche Bewegung, die wir unter dem Namen Völkerwanderung kennen. Viele der im nordgermanischen Raum ansässigen Stämme zog es nach Süden in Richtung auf das Römische Reich. Ob Landbesitz, Klimawechsel oder noch andere Beweggründe dafür verantwortlich waren, können wir nicht mehr bis ins Einzelne ergründen.

Sicher spielten dabei auch Abenteuerlust und Tatendrang eine Rolle. Doch was immer die Menschen bewegt haben mag, letztlich diente es dazu, dass die Germanen mit dem Evangelium bekannt wurden.

Zwar war schon im zweiten Jahrhundert der christliche Glaube in Bereiche vorgedrungen, die an den Grenzen des römischen Imperiums lagen, etwa im heutigen Rheingebiet, das an das römische Gallien (heute Frankreich) grenzte. Aber auch von dort wurden keine Missionare planmäßig in die ferneren Gebiete ausgesandt. Vielmehr kann man im Blick auf das Geschehen und die Auswirkung der Völkerwanderung für die Germanen feststellen: „Nicht das Christentum kam missionierend zu den Germanen, sondern die Germanen kamen zum Christentum.“ Eine Schlüsselstellung nahmen dabei die Goten ein. Sie verließen ihre angestammten Gebiete in Südschweden und siedelten sich zunächst im Bereich der Weichselmündung an. Das geschah schon im ersten Jahrhundert. Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts wanderten sie dann bis zur Küste des Schwarzen Meeres in Südrussland, wo sie sich um die Mitte des dritten Jahrhunderts in die beiden Gruppen der Ost- und Westgoten teilten. Die Westgoten zogen danach Ende des dritten Jahrhunderts in das Gebiet des heutigen Rumänien. Hier beendeten sie ihre Völkerwanderung, wurden ansässig und ließen sich als Bundesgenossen in das Römische 16

Reich aufnehmen. Von dieser Volksgruppe, die man später die Kleingoten nannte, ist eine der bedeutendsten Missionsbewegungen unter den übrigen Germanenstämmen ausgegangen.

Die Römer haben aber allerdings das Vordringen der Germanenstämme bedauert; denn es trug nach und nach zum Zerfall und schließlich zum Untergang des Römischen Reiches bei. Aber es gab auch andere Stimmen hierzu. So schrieb im fünften Jahrhundert der christliche Presbyter Paulus Orosius in einem bis ins Mittelalter viel gelesenen Geschichtswerk: „Wenn nur darum die Barbaren über die römischen Grenzen geschickt wären, damit allenthalben die Kirchen Christi mit Hunnen, Sueben, Vandalen, Burgunden und den anderen unzählbaren Völkern erfüllt würden, dann müsste man die Barmherzigkeit Gottes loben und preisen; weil dann ja, wenn auch verbunden mit Erschütterung für uns, so große Nationen die Erkenntnis der Wahrheit erhielten, die sie nicht anders als bei solcher Gelegenheit finden konnten.“ Wie waren nun die Kleingoten Christen geworden? Bevor sie sich im Donauraum fest angesiedelt hatten und zu Bundesgenossen der Römer geworden waren, hatten sie, wie viele andere germanischen Stämme, gelegentliche Vorstöße und Raubzüge ins Römische Reich unternommen. Dabei nahmen sie römische Soldaten gefangen und verschleppten auch Zivilpersonen, unter denen sich manche Christen befanden. Die Goten wunderten sich, dass diese Leute nicht wie andere Römer fluchten und gegen ihr Schicksal als Gefangene aufbegehrten. Im Gegenteil, die römischen Christen kümmerten sich liebevoll um ihre kranken und leidenden Mitmenschen und regten durch ihren christlichen Lebenswandel ihre neuen 17

Herren dazu an, sich mit dem Gott der Christen zu beschäftigen. Das führte dazu, dass manch ein Gote Christ wurde.

Wir wissen von damaligen Geschichtsschreibern, dass im Jahre 264 die Goten einen Raubzug nach Kappadozien (in der heutigen Türkei) unternahmen, bei dem sie auch Christen gefangen nahmen und verschleppten. Diese Christen hielten an ihrem Glauben fest und wurden zu Missionaren für die Goten. Unter ihnen befand sich ein Ehepaar, dessen Tochter später einen Goten heiratete, der wohl auch Christ war. Aus dieser Ehe ging im Jahre 311 ein Kind hervor, das den Namen Wulfila (auf Deutsch Wölfchen) erhielt. Der Junge wuchs also in einer christlichen Familie und Gemeinde auf. Er lernte den Lebenswandel von Christen kennen, und seine gläubigen Eltern werden ihm früh die Jesusgeschichten erzählt haben. Der Junge war sehr begabt und hat neben seiner gotischen Muttersprache auch Griechisch und Latein beherrscht. So wird er, als er selber lesen konnte, wohl bald das Neue Testament, das ja in Griechisch geschrieben war, gelesen haben, daneben auch das Alte Testament, von dem es mittlerweile eine Übersetzung ins Griechische gab. In der Predigt des Gottesdienstes, aber auch im Gespräch mit seinen Eltern und gotischen Volksgenossen, wird er von dem Götterglauben der Germanen gehört haben, dem sie angehangen haben, bevor sie Christen geworden waren. Wie die Römer und die Griechen glaubten sie auch an viele Götter. Die Germanen sahen in ihnen vor allen Dingen die Helfer, die ihnen im Kampf gegen ihre Feinde beistehen sollten.

Aber der germanische Götterglaube hat auch eine sehr düstere Seite. Man rechnete nämlich damit, dass nicht nur die Menschen sterbliche Wesen seien, sondern dass auch die Götter einmal sterben müssten. Die große Götterdämmerung und 18

das Weltende würden einmal kommen. Welch eine hoffnungslose Aussicht auf die Zukunft! Dazu kam der Glaube an das Schicksal, das als ein unbekanntes und unnennbares Verhängnis über die Menschen hereinbricht. Ihm konnte man sich einfach nur ergeben. Doch das war keine wirkliche annehmbare Lösung für die Menschen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens blieb offen und bewegte sie. Welch eine ungeahnte Befreiung bedeutete da die Botschaft der Bibel von dem einzigen, wahren, allmächtigen und ewigen Gott, der Welt und Menschen erschaffen hat und alles in seiner Hand hält. Vor allem aber war es die Botschaft von Jesus, dem Retter und Erlöser, dem Befreier von Schuld und Sünde und der Macht des Bösen. Er gab Sinn und Hoffnung und einen Ausblick auf das ewige Leben.

Schon früh wurde Wulfila Lektor in seiner Gemeinde. Er las den Menschen die biblische Botschaft vor und erläuterte sie.

Der begabte junge Mann, der wohl auch im öffentlichen Leben seines Stammes eine wichtige Rolle spielte, wurde dann im Jahre 341 als Glied einer Gesandtschaft seines Volkes an den römischen Kaiser Constantinus zu einer griechischen Kirchenversammlung nach Antiochien geschickt. Dort traf er auf Euseb von Nikomedien, den Hofbischof des Kaisers. Dieser hat wohl die Fähigkeiten des jungen Lektors erkannt und ihn dann zum Bischof geweiht. Nach seiner Rückkehr hat Wulfila von 341-348 unter seinen Landsleuten als Missionsbischof gewirkt. Als eine Christenverfolgung einsetzte, musste er zusammen mit seinen Anhängern ins römische Reichsgebiet auswandern. Man wies ihnen bei der Stadt Nikopolis (im heutigen Bulgarien) ein Siedlungsgebiet zu. Von dort konnten sie missionierend weiterwirken. Nun überbrachten Germanen 19

anderen Germanen die Jesusbotschaft und führten sie zum Glauben. Politisch, wirtschaftlich und militärisch waren die Kleingoten unter Wulfila allerdings unbedeutend. Ihr Land war arm an Weizen, jedoch fruchtbar für andere landwirtschaftliche Erzeugnisse. Weinbau kannten sie nicht, und sie wussten auch nicht, dass es ihn anderswo gab. Aus benachbarten Orten kauften sie sich Wein, doch meistens tranken sie Milch.

Wenn sie demnach auch in äußerer Armut lebten, so besaßen sie doch umso mehr geistlichen Reichtum. Dieser bestand einmal in ihrem lebendigen Christusglauben, den sie auch unter Leiden und Verfolgung bewahrten. Aber noch etwas anderes gehörte dazu. Und das verdankten sie insbesondere ihrem Bischof Wulfila. Er hatte erkannt, wie wichtig es war, nicht nur eine bestimmte Bibelkenntnis und den Glauben im Herzen zu haben, sondern auch ein schriftliches Dokument der biblischen Wahrheit in eigener Schrift und Sprache zu besitzen.

Was mehr als ein Jahrtausend später die Bibelübersetzung Martin Luthers für das deutsche Volk werden sollte, das war damals Wulfilas Übersetzung der Heiligen Schrift in die gotische Sprache. Das war neben allem, was Gott durch diesen Mann gewirkt hat, eine Sternstunde für Gottes Sache in der Welt.

Wulfilas Tat war aber nicht nur ein Meilenstein in der Glaubensgeschichte der germanischen Christenheit, sondern auch eine große kulturelle Leistung. Denn bevor er in die gotische Sprache übersetzen konnte, musste er zunächst eine gotische Schrift entwickeln. Er schuf sie aus der germanischen Runenschrift und dem griechischen Alphabet. Nun konnte man im Gottesdienst den biblischen Text in der Muttersprache vorlesen. Alle verstanden ihn, und es war kein Übersetzer mehr nötig.

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Aus Schweden waren einst die Goten in Richtung Römerreich aufgebrochen. Wer heute die bedeutende Universitätsstadt Upsala in Schweden besucht, kann dort ein wunderschönes Dokument von Wulfilas Bibelübersetzung vorfinden. Es ist eine später angefertigte Abschrift eines Teiles der vier Evangelien. Man nennt es den „silbernen Kodex“, weil die Texte mit silbernen Buchstaben auf purpurrotem Grund geschrieben sind.

Karl-Heinz Bormuth

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