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Die Frage ist: Kulturell oder kommerziell?
Zukunft des Allgäuhallen-Areals weiter ungewiss
von Stephan A. Schmidt, Kulturquartier Allgäu e.v.
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Im Sommer 2022 endet eine knapp 100-jährige Ära in Kempten: In der 1928 als erste „Tierzuchthalle“ Süddeutschlands für Viehauktionen, aber auch für Massenveranstaltungen auf dem ehemaligen Viehmarktplatz erbauten Halle wird kein Rind mehr den Besitzer wechseln. Die Allgäuer Herdebuchgesellschaft (AHG), die diese Halle damals mit dem Oberbayerischen Zuchtverband, dem Württemberger Braunvieh-Zuchtverband und dem Zuchtverband fürs Norische Pferd betrieb, zieht in einen Neubau nach Unterthingau.
Zurück bleibt ein rund 11.000 m großes Areal, darauf die Allgäuhalle, wie sie seit den 50er Jahren genannt wird, die 1931 erbaute Kälberhalle mit über 900 m (inkl. Anbau) sowie Grünflächen und ein altertümliches Rondell mit ca. 40 Parkplätzen. Beide Hallen und der Stier „Roman“ aus ca. 2,5 Tonnen Muschelkalk stehen unter Denkmalschutz, Eigentümerin ist die Stadt Kempten.
Über den Neubau der AHG war in der Presse bereits im Herbst 2018 zu lesen. Über eine Nach- oder Umnutzung wurde seitdem nicht entschieden, aber zumindest die Regensburger Beratungsfirma eloprop mit einer Bedarfsanalyse beauftragt: Sommer 2020 kristallisierte sich in einer Umfrage plus einem Workshop unter diversen Vereinen, Schulen und Kulturakteuren vor allem ein hoher Bedarf an bezahlbaren wie eher mittelgroßen Räumen (unterhalb KultBox oder Kornhaus) für Veranstaltungen aller Art, aber auch für Musik- und Theaterproben oder Kunst heraus, während sich andere eine Markthalle z.B. für Biobauern wünschten. Zudem bekundete die benachbarte BigBox unter Christof Feneberg ebenfalls Interesse an weiteren Event-Räumen – aber nur allein unter seiner Hoheit.
Immenser Bedarf an Flächen für Kulturschaffende
Eine größer angelegte Untersuchung kam zu ähnlichen Ergebnissen: Seit 2019 erarbeitet die Stadt gemeinsam mit Kunst- und Kulturschaffenden sowie der Stuttgarter Agentur Kulturgold als externe Projektpartnerin ein Kulturentwicklungskonzept für Kempten (KEKK), das die kulturpolitischen Leitlinien für die kommenden Jahre enthält und Herbst 2021 fertiggestellt wurde.
Ab Sommer 2022 ohne Hauptmieter: Die Allgäuhalle und rechts die Kälberhalle - Foto: Stephan A. Schmidt
Darin auf Platz 1 als wichtigster Faktor mit dem größten Entwicklungspotential (bzw. der größten Not): Raum für die Präsentation, aber ebenso für das Proben und Produzieren von Kunst, also von Musik, Schauspiel, Malerei, Bildhauerei, Videokunst, gesprochenem Text wie z.B. Kabarett – und gleichzeitig ein Ort zum Austausch unter den Künsten, Künstlern und Interessierten, zumal diese Flächen in den letzten Jahrzehnten immer weniger wurden (s. Analyse im Altstadtbrief Nr. 47). Summa summarum: ein Kulturquartier.
Der Kulturquartier Allgäu e.V.
Für ein solches Quartier liegt seit 2020 (sowie in einer Spar- und Schnellstart-Variante seit Herbst 2021) ein detailliertes Konzept vor, das die Initiative „KQA“ (Kulturquartier Allgäuhalle) um den Kemptener Konzertveranstalter und Immobilienentwickler Thomas Wirth konzeptioniert hat – ebenfalls nach vielen Gesprächen mit Kulturschaffenden, aber auch mit Historikern, Skateboardern oder unter Inklusionszielen z.B. mit der Caritas. Die Kernziele sind niedrigschwellig, gemeinnützig, sozial, inklusiv, divers und ein würdiges Gedenken an dem Ort, wo das NS-Regime das KZ-Außenlager Kempten und direkt nebenan ein Ost- und Zwangsarbeiterlager betrieb und zeitweise zusammen bis zu 1.400 Insassen (nicht nur) ihrer Freiheit und Würde beraubte.
Im Sommer 2021 hat sich nun der Verein „Kulturquartier Allgäu“ gegründet, um die verschiedenen Interessen an diesem Quartier zu bündeln und zu vertreten, zumal die Kulturszene durch Corona schwer beschädigt ist und hier ein „Rettungsschiff“ sieht. Mitglieder sind inzwischen nebst hunderten von Privatpersonen namhafte Vereine wie Klecks, Classix unter Dr. Franz Tröger, artig oder der Theaterverein Stupor Mundi.
Öffentlichen Raum privatisieren?
Das zur Geschichte – aber wie geht‘s weiter? Es geht, wie auch aus der Politik zu hören ist, zuallererst um eine Grundsatzentscheidung: Soll das historische Areal künftig privatwirtschaftlich, also kommerziell oder (sozio-)kulturell genutzt werden? Und damit einhergehend: Wollen wir öffentlichen Raum, also unser aller Eigentum in private Hände abgeben oder kreativ für uns alle nutzen?
Die seit Jahren beschnittene Kulturszene jedenfalls braucht nicht für ein paar Abend-Events ein paar Bühnen oder einen Saal mehr, wie er z.B. auch im Sparkassen-Quartier angedacht ist, sondern ganztags einen Ort zum Leben, zum Arbeiten und zum Austausch.