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Auf die Hütte, fertig, los!

Eine Saison auf einer Alpenvereinshütte mitzuarbeiten war ein Traum für mich, der letzten Sommer auf der Gablonzer Hütte (Alpenverein Neugablonz-Enns) in Erfüllung ging. Dankbar für diese Erfahrung, habe ich ein kleines „Tagebuch“ verfasst.

von Jacqueline Bossdorf

Die Gosaukammbahn bringt mich auf 1.500 m Höhe. Ein paar Meter zu Fuß und ich sehe die Gablonzer Hütte, meinen Arbeits- und Wohnort für die nächsten Monate. Mache ich das Richtige? Eine TV-Producerin, die nun Toiletten putzt: klingt wie ein neues Realityformat.

Schmerzen

Ich bin jetzt eine „Allrounderin“. Mein Tag beginnt mit Bettenmachen. Im Haus gibt es zwei Bettentypen: Doppelstockbetten im Lager und Betten im Mehrbettzimmer. Letztere werden jeden Tag frisch bezogen. Schon nach drei Betten spüre ich Arme und Finger. Mit meiner Hausfrauentechnik bin ich langsam. In den großen Schlafräumen müssen die Matratzen geputzt, die Kopfkissen geschüttelt und die Wolldecken gefaltet werden. Zwei Stunden später kann ich meine Arme kaum noch heben.

Nun geht es in den Service. Um die Gablonzer Hütte herum gibt es eine große Terrasse. Über 80 Gäste können sich hier stärken. Ich schleppe Tabletts mit Getränken und Speisen. Ununterbrochen. Bis es regnet und die Bergbesucher sich in Luft auflösen. Noch nie habe ich einen Wetterwechsel so geliebt. Ließe sich der Regen umarmen, würde ich mein müdes Haupt in seine Halsbeuge legen.

Die Hütte

Mein Zuhause auf Zeit, die Gablonzer Hütte, steht exakt auf 1.550 Meter Höhe. 1934 wird sie nach nur zehn Monaten Bauzeit eröffnet. Jedes Stück Holz, jeder Dachziegel, jedes Inventarteil wird über 500 Höhenmeter nach oben getragen. Erst 1960 wird für die Hütte eine Materialseilbahn gebaut und das elektrische Licht erreicht den Berg. 1967 wird die Gosaukammbahn in Betrieb genommen. Innerhalb von vier Minuten ist man nun „auf dem Berg“. Und um die Hütte herum entsteht ein Skigebiet. Heute ist die Hütte ein beliebter Ort für Tagesausflügler, Kurzzeitwanderer, Kletterer und Tourengeher, die auch bei uns übernachten. Im Sommer ist die Hütte fast jeden Tag ausgebucht. Das ist gut so. Denn die vielen Übernachtungen sichern das Überleben der Hütte. Durch die Einnahmen kann der Alpenverein nach und nach Sanierungsarbeiten durchführen.

Eine Cola bitte!

Eine Familie lässt sich müde auf der Terrasse nieder. Die Eltern wollen Bier, die Tochter eine Cola. „Wir haben keine Cola, keine Fanta, keine Sprite. Auf der Hütte gibt es nur Bioprodukte.“ Das Pächterehepaar Jeannette und Gunnar führt die Hütte nachhaltig. Am Haus gibt es Solarpanele, den Strom liefern Wasserkraftwerke. Alle Lebensmittel sind biozertifiziert, kommen von Biobauern aus der Region oder Jeannette ist mit ihrem kleinen Transporter im Tal unterwegs und kauft Bioprodukte ein. Das Mädchen weint. „Gibt es Eis?“ Wieder muss ich verneinen. Verständnis bekomme ich nicht. Aber es gibt Gäste, die das Konzept der Hütte begrüßen.

Tod am Berg

Draußen kracht und blitzt es. Die Hütte wackelt. Dann ist der Strom weg und ich höre einen Hubschrauber. Er landet neben der Hütte. Ein Bergretter wird an einem Seil eingehakt. Dann hebt der Hubschrauber mit diesem ab Richtung Großer Donnerkogel: Zwei Kletterer sind mitten im Gewitter noch am Berg. Der Eisenweg zum Kogel hoch auf über 2.000 Meter ist ein Klettersteigklassiker und berühmt für seine 40 Meter lange Himmelsleiter, die über eine Schlucht führt. Jedes Jahr zieht es Tausende Kletterer aus der ganzen Welt zum Steig. Der Hubschrauber kommt vom Berg zurück. Am Seil führt der Bergretter einen Verletzten mit sich. Wir stehen vor der Hütte, sind stumm und geschockt. Am nächsten Tag lesen wir im Internet: Ein 61-jähriger Ungar und sein 25-jähriger Sohn waren gestern Nachmittag am Donnerkogel klettern. Dort wurden sie von einem Gewitter überrascht. Nach einem Blitzschlag stürzte der Vater vor den Augen des Sohnes ab und verunglückte tödlich. Der junge Ungar kam mit Verbrennungen ins Krankenhaus. Er hatte die Bergretter gerufen.

Freddy

Um die Gablonzer Hütte grasen Mutterkühe mit ihren Kindern. Sie fressen in immer wieder gleichen Runden das Gras der Alm ab und pflegen damit die Hänge. Freddy, eine Mutter aus unserer Kuhtruppe, liebt den Komposthaufen der Gablonzer Hütte. Für die Terrassengäste ist es ein Spektakel, wenn Freddy das Gartentor selbstständig öffnet und zum geliebten Fressplatz flitzt. Immer rufen wir dann Hüttenchef Gunnar, der dann Freddy an den Hörnern packt und wieder auf die Alm schickt. Warum die Mutterkuh einen männlichen Namen trägt, weiß ich nicht. Ich weiß aber, sie wird morgen wieder unsere Hütte besuchen.

Das rote Licht

Die Wasserversorgung ist für jede Hütte in den Alpen eine Herausforderung. Für die Gablonzer kommt das Wasser aus eigener Quelle und wird über einen Kilometer von dieser zur Hütte geführt. Seit Tagen haben wir weniger Wasser, das rote Warnlicht blinkt. Immer wieder sagen wir dies den Hüttengästen. Aber es gibt Gäste, die minutenlang duschen, die in den Waschbecken ihre Sachen und Wanderschuhe waschen. Auf vielen Hütten gibt es Münzapparate für Duschwasser. Chef Gunnar überlegt nun, auch Wasserchips einzuführen. Maßnahmen dieser Art mag Gunnar nicht. Aber das rote Warnlicht mag er auch nicht.

Rituale

Rituale flankieren Herausforderungen helfend. Habe ich keinen Frühdienst, bin ich trotzdem vor den Gästen auf den Beinen und gehe zur Hüttenchefin in die Küche. Ich hole mir den ersten Kaffee und genieße es, Jeannette zuzuschauen. Sie backt Kuchen mit guter Butter, braunem Zucker und vielen Früchten. Das Team frühstückt immer mit den Gästen. Wir haben jeden Tag eine kleine Dienstbesprechung. Nach Küchenschluss kochen wir gemeinsam. Und wenn Ngima aus Nepal ChiliMayonaise macht, teilen wir uns alle einen großen Teller mit Pommes.

Weit, weit weg

Ngima kennt die Berge. Er hat schon Bergsteiger im Himalaja zum Basiscamp des Mt. Everests geführt. Seit vier Jahren ist er Saisonarbeiter in Österreich. Und seit dieser Saison arbeitet an seiner Seite in der Küche der Gablonzer Hütte seine Schwester Yangi. Deren Mann ist mit den beiden Töchtern wegen der Schule in Nepal geblieben. Nur noch 44 Prozent der im Tourismus Beschäftigten haben eine österreichische Staatsbürgerschaft. Viele Nepalesen arbeiten auf den Hütten, wenn daheim Regenzeit ist und die Bergsteiger ausbleiben. Der Verdienst ist gut, die Unkosten sehr gering. Doch die Heimat ist weit weg. Arbeitet Yangi allein in der Küche, hört sie laut Musik aus der Heimat. So langsam können wir ihre Lieblingssongs mitsummen.

Save the Nature

Colabüchsen, Plastikflaschen und Verpackungen unterschiedlichster Art verstopfen die kleinen Mülleimer in den Toiletten der Gablonzer Hütte. Dabei hängt im Flur eine große Schrifttafel mit der Bitte, den eigenen Müll vom Berg zu tragen. Arbeite ich im Service und sehe leere Plastikflaschen auf den Tischen, bitte ich die Gäste, diese mitzunehmen.

Der Österreichische Alpenverein betreibt 225 Alpenvereinshütten. Die meisten sind um die 100 Jahre alt und kämpfen mit hohen Sanierungskosten und teuren, aber wichtigen ökologischen Umbaumaßnahmen. Steigen dazu noch die Kosten wegen zusätzlicher Müllabfuhr, Personalmangel oder Wasserproblemen, wird man sich bald vom Hüttenzauber mit Alpenglühen verabschieden müssen.

Glücklich wie selten

Einsam sind wir hier oben nur, wenn wir in unseren kleinen Zimmern unterm Dach verschwinden. Manchmal riecht es herrlich nach Räucherstäbchen aus Jessys Zimmer. Ein Rasierapparat summt in Ngimas Zimmer: Koch Ondrej schneidet seinem Kollegen die Haare. Bei Luise ist es still. Sie klettert zum Großen Donnerkogel. Anna hängt im Flur Wäsche auf, Yangi putzt. Frieder dichtet laut. All dies passiert nur für uns. Vor der Tür steppt bei gutem Wetter der Bär. Ab acht Uhr bringt die Gosaukammbahn die Tagesgäste zu uns. Jeannette bindet dann ihre Rennsemmeln zu und flitzt über die Terrasse. Der Bierhahn läuft heiß. Aus der Küche kommen im Minutentakt Suppen, Jausen und Süßspeisen. Ununterbrochen nehme ich Bestellungen auf und kassiere. Ich frage mich, wer für mich auf die Toilette gehen kann? Keiner. Denn Gunnar bringt neue Waren ins Kühlhaus. Anna zapft Bier. Jessy checkt Nachtgäste ein. Luise und Regina schleppen Tabletts. Ondrej bereitet drei neue Riesenbleche Kaiserschmarren vor. Yangi kämpft mit dem Geschirrspülautomaten und Ngima weint. Ein 20-Liter-Eimer geschälter Zwiebeln steht vor ihm. Aber am Ende des Tages sind wir glücklich. Alles ist geschafft, nichts blieb liegen. Der neue Tag darf anklopfen.

Wenn die Mäuse auf dem Tisch tanzen

Manchmal nehmen Jeannette und Gunnar sich einen freien Abend und verschwinden ins Tal. Das Team übernimmt die Hütte und ruft laut: „Party!“ Jetzt können die Mäuse auf dem Tisch tanzen. Aber es kommt immer anders. Ein junger Mann vermisst seinen Freund. Zuletzt haben sich beide oben auf dem Großen Donnerkogel gesehen, dann kam der Nebel und der Freund verschwand. Nun sind die Bergretter unterwegs. Doch als es dunkel wird, muss die Suchaktion abgebrochen werden. Acht Bergretter landen in unserer Hütte am Tresen. Sie alle sind ehrenamtlich unterwegs, steigen auf, wenn Gefahr in Verzug ist. Wir spendieren Bier und Suppe und lauschen den Geschichten der Männer in Rot, vergessen die Hüttenparty.

Am nächsten Morgen meldet sich der Vermisste gesund und munter von der Stuhlalm und Jeannette und Gunnar kommen zurück und wollen wissen, ob die Mäuse fröhlich auf dem Tisch getanzt haben. Wir lachen laut. Wie geht es weiter? Ich vermisse Berlin nicht. Ich liebe die Arbeit hier, weil ich mich spüre, weil ich die Herausforderung angenommen habe. Ich weiß, dass ein Stück meiner Seele hier in den Bergen, in der Hütte bleibt, wenn ich mich verabschiede, und dass ich daheim im Mietshaus, wo ich wohne, alle Betten in 30 Minuten machen kann.

Viel zu tun –mit Yangi in der Küche.
Foto: Jacqueline Bossdorf

Autorin: Jacqueline Bossdorf ist freischaffende Autorin, Regisseurin und Producerin aus Berlin. Ihre Leidenschaft sind das Wandern, die Natur und Abenteuer.

Info: Gablonzer Hütte (1.550 m)

Die Gablonzer Hütte liegt im oberösterreichischen Dachsteingebirge, wird von Jeannette und Gunnar Niehusen betrieben und gehört dem Alpenverein Neugablonz-Enns. Die biozertifizierte Hütte ist Teil der Kampagnen „Mit Kindern auf Hütten“ und „So schmecken die Berge“. 2024 feierte sie ihr 90-jähriges Jubiläum.

www.alpenverein.at/gablonzerhuette

#hüttenjob Erfahrungen wie die von Autorin Jacqueline kannst du auch sammeln! Der Alpenverein schreibt immer wieder Hüttenjobs aus. Weitere Informationen sind hier zu finden: www.alpenverein.at/huettenjob

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