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Konzert des Ensembles Sarband in Bildern von Otto Pankok und Tobias Melle … und ich
from Neu Nota Bene 07
by Mateo Sudar
Gegen späten Nachmittag trafen die elf Musiker ein, per Zug aus München oder aus Basel, eingeflogen aus dem Libanon. Und eigentlich auch aus der Türkei – doch leider bekam dieser Künstler kein Ausreisevisum, der türkische Staat war dagegen. So hautnah habe ich die Auswirkungen von Erdogans Diktatur nie zu spüren bekommen, ich dachte nicht, dass Musiker unter das Genre „Gefahr für den Staat“ fallen. Was haben wir denn mit Politik zu tun?
Die Begrüßung untereinander war herzlich, auch wenn man sich noch nicht kannte. Einer von ihnen fragte mich, wo er denn sein Cello unterbringen könnte, er sei übrigens Thomas. Ich zeigte ihm den Weg zur Sakristei und freute mich, dass dieser international bekannte Künstler so unglaublich freundlich war. Auch wenn mir in dem Moment noch nicht ganz klar war, wie bekannt diese Musiker alle sind. Nicht nur als gemeinsames Ensemble, sondern auch jeder für sich hat eine beein- druckende Karriere vorzuweisen. Über das Modern String Quartett müssen wir gar nicht erst reden, dieses sollte eigentlich allen ein Begriff sein – wenn nicht, recherchieren Sie! Es lohnt sich, sie werden einige Werke und Künstler wiedererkennen.
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Der musikalische Leiter dieses interkulturellen Ensembles ist Vladimir Ivanoff. Einer der beeindruckendsten Menschen, die ich bis jetzt kennenlernen durfte. Allein sein Lebenslauf lässt einen nur ungläubig staunend mit dem Kopf schütteln. Er ist nicht nur von ganzem Herzen Musiker, sondern auch Humanist. Nicht nur hat er Sarband gegründet und leitet es, er unterrichtet auch noch nebenher und hat seine eigene Plattenfirma. Er erzählte mir von einem Projekt, bei dem Profimusiker in München Schüler mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung unterrichteten, und dass die Schüler nicht die einzigen waren, die mit sehr viel mehr als nur Musikpraxis und -theorie nach Hause gingen.
Die Sängerin Fadia el-Hage ist eine der herausragendsten Sängerinnen der arabischen Welt. Sie schafft es, als eine der wenigen die Vokaltechniken der westlichen klassischen und nahöstli- chen Musik zu vereinen. Abgesehen davon ist sie auch noch ein bekannter Film- und Fernsehstar im Libanon. Und eine unglaublich faszinierende, sanftmütige und warme Persönlichkeit. Die Geschichten, die sie uns abends gemeinsam mit Vladimir Ivanoff beim Essen erzählt hat, waren fantastisch. Sie erzählten uns von Ländern, in denen der Krieg zum Alltag gehört und ein Bombenanschlag auf einen Mobilfunkturm eher lästig als erschreckend ist. Wo Konzerte vor Politikern einer Zensur unterliegen und Soldaten mit Kalaschnikows wie selbstverständlich vor der Bühne stehen. Wo die Entscheidung, in einem anderen Land aufzutreten, bedeuten kann, niemals wieder seine Familie und Freunde im Heimatland zu sehen. Wo Textstellen des Alten Testaments ein Grund für eine Staatsaffäre sein können und Korrekturmaßnahmen mit vorgehaltener Waffe durchgesetzt werden.

Wenn man diese Erzählungen bei einem guten Glas Rotwein und gesättigt von edlem italienischen Essen hört, dauert es eine Weile, bis einem bewusst wird, wie privilegiert wir eigentlich sind.
Soviel zu den Musikern an sich. Das Besondere an diesem Projekt ist ja, dass nicht nur ein Konzert gegeben wird, sondern die Musik mit Bildern unterlegt wird. In unserem Fall sind es nicht nur der Passionszyklus des expressionistischen Malers Otto Pankok, sondern auch moderne Fotographien aus aller Welt von Tobias Melle.
Dieser entwickelte die „Sinfonien in Bildern“, ein Zusammenspiel von Fotografie und Musik, das seinesgleichen sucht. Ihm beim Arbeiten, oder eher Musizieren zuzuschauen, ist fesselnd. Er lässt die Bilderfolgen nicht einfach nur ablaufen, nein, er achtet auf die Musik, die auf der Bühne gespielt wird, und reagiert dann. Das Konzept entsteht natürlich schon vorher, doch wer- den alle Bilder im Vorhinein im Einklang mit der Musik ausgesucht und aneinandergefügt. hohen Spitzbogenfenster ragen, durch die das Mondlicht in silbernen Bahnen fällt.
Tobias Melle schafft es auf eine berührende Art, die Passionsbilder Otto Pankoks mit seinen eigenen Fotografien aus dem Nahen Osten und Amerika zu kombinieren. So entsteht eine völlig neue Art des Kunstgenusses, der nicht nur das Auge erfreut und ins Ohr geht, sondern einen auch tief bewegt zurücklässt.
Als ich das erste Mal dieses gemeinsame Zusammenspiel von Ton, Bild und Domatmosphäre abends bei der ersten Probe erlebte, war ich zutiefst beeindruckt und zu Tränen gerührt.
„Erbarme dich, mein Gott, um meiner Zähren willen!
Schaue hier, Herz und Auge weint vor dir bitterlich. Erbarme dich, mein Gott.“
Fadias Stimme bringt die Luft im Saal zu einem warmen, klagenden Vibrieren, das einem, unterstützt durch die anderen Instrumente, durch Mark und Bein geht. Auch wenn Sie auf Arabisch singt, hat man doch das Gefühl, jedes einzelne Wort bis ins Tiefste zu verstehen und zu verinnerlichen.

Stellen sie sich einen hohen Domsaal vor. Vorne, vor dem Altar, sind die Musiker auf einem Podest, in warmes Licht getaucht.
Hinter ihnen ragt eine große Leinwand empor, auf der die ersten Zeilen der Arie in Arabisch und in Deutsch auf einen steingrauen Hintergrund projiziert werden. Dahinter lässt sich das weitläufige Chorgestühl erahnen, über dem die
Doch dafür reicht keine Doppelseite, deswegen appelliere ich an Sie: Informieren Sie sich. Hören Sie sich die Musik entweder zuhause oder im Konzert an. Musizieren Sie selbst, fotografieren Sie, oder führen Sie einfach mal ein Gespräch mit jemandem, den Sie noch nicht kennen.
Zum Abschluss möchte ich mich noch bedanken. Danke für drei wundervolle Tage, gefüllt mit zauberhafter Musik, fantastischen Bildern und Künstlern, die nicht nur handwerklich unglaublich versiert sind, sondern einen auch auf persönlicher Ebene tiefgreifend zum Bessern verändern und berühren.
Doch vor allem lässt dieses Konzert in einem den Wunsch zurück, Brücken zu schlagen, neue Wege zu gehen und Hände zu reichen. Es zeigt einem, wie einfach es ist, Glück zu teilen, und Kulturen zu verbinden. Und die Künstler die bei diesem Projekt mitgewirkt haben, leben auf beispielhafte Weise die menschliche Güte im alltäglichen Miteinander, völlig unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Hintergrund, Orientierung, Religion oder Ansicht.
Ich könnte Ihnen noch so viel mehr über diese drei wundervollen Tage erzählen, über die Künstler, ihre Lebensgeschichten, ihre Freundlichkeit und ihren Humor, über die Otto Pankok Stiftung und deren Mitglieder und über den Maler mit dem großen Herz, der dahintersteckt. Über die Entstehung der Fotographien, die Arbeit mit Tobias Melle und mit allen Leuten, die daran beteiligt waren. Über diese unglaublich schöne Zeit, die mir so viel beigebracht hat.
Ich staune immer noch darüber, dass so unterschiedliche Kulturen in der Musik so mühelos Brücken bauen können, wo andere Jahre brauchen, um überhaupt eine Konversation zu Stande zu bringen.
Sarband zelebriert Bachs Passionswerke mit dem ihnen eigen orientalischen und jazzigen Touch, der seinesgleichen sucht, und erschafft eine musikalische Welt, in der die grausame Realität doch immer wieder von Hoffnung übertrumpft wird. Dazu die Projektion von Tobias Melle, der nicht nur seine eigenen beeindruckenden Sichtweisen in Bilder fasst, sondern diese mit den Gemälden von Otto Pankok in eine natürliche Symbiose bringt, die einen immer wieder tief gerührt zurücklässt.
Danke, dass ich mit Euch diese zauberhafte Zeit verbringen durfte, in der sich nicht nur mein Kunstverständnis komplett auf den Kopf gestellt hat, sondern auch meine persönliche Lebenseinstellung.
Wenn nur jeder einen Funken eurer Konzerte weitertragen würde, dann wäre die Welt um einiges friedlicher.
Rhea Felicitas Steckler