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Der Pflegeprozess darf

wieder Spaß machen –mehr Zeit für die Bewohner durch weniger Bürokratie!

Der gesetzliche Startschuss zur Einführung der „Entbürokratisierten Pflegedokumentation“ ist gefallen – endlich stehen Selbstbestimmung des Bewohners sowie Fachlichkeit und soziale Kompetenzen von Pflegekräften wieder mehr im Mittelpunkt! Wir haben künftig die Chance, den Bewohner im Pflegeprozess wieder in seiner Gesamtheit, aber auch als Individuum zu sehen. Die Pflegedokumentation wird schlanker und übersichtlicher, ohne an Qualität und Transparenz zu verlieren.

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Welche Pflegekraft kennt das nicht: Für die Erstellung einer Pflegeplanung stundenlanges und zeitraubendes Abarbeiten der 13 AEDLs (Aktivitäten und existenzielle Erfahrungen des Lebens) und wenn endlich alle AEDLs bearbeitet sind, ist die Aktualität schon wieder verloren gegangen und man fängt wieder von vorne an. Auch das bisher von Pflegekräften als krampfhaft empfundene Zerpflücken jeder einzelnen AEDL in Probleme, Ressourcen, Maßnahmen und Zielen entfällt. In der Fülle der Details ist es kaum möglich, sich schnell einen Überblick über die aktuelle Pflegesituation zu verschaffen. Und dies ist nur ein Beispiel für den bisherigen enormen Zeitaufwand.

Nicht nur die Pflegeplanung, sondern der gesamte Pflegeprozess wird sich ändern. Was ist neu?

Im Mittelpunkt steht die sog. „Strukturierte Informationssammlung (SIS)“, die Rückbesinnung auf das Gespräch mit dem Bewohner, aus dem sich der individuelle Pflegebedarf ableitet. In Form eines Interviews wird ein Gespräch mit dem Bewohner geführt, in dem er seine Wünsche und Erfordernisse beschreibt. Das Ergebnis des Gesprächs findet sich später in der Maßnahmenplanung wieder. Zur Vervollständigung der Situationserfassung ergänzt die Fachkraft ihre Einschätzung unter Zuhilfenahme von sechs Themenfeldern:

1. Kognition und Kommunikation

2. Mobilität und Bewegung

3. Krankheitsbezogene Anforderungen und Belastungen

4. Selbstversorgung

5. Leben in sozialen Beziehungen

6. Wohnen/Häuslichkeit.

Anhand der gesammelten SIS leitet die Fachkraft die Maßnahmenplanung ab, für jeden einzelnen Bewohner individuell angepasst. Sie wird in Form einer übersichtlichen Tagesstruktur dargestellt. Für diesen Prozess ist die fachliche Expertise und Empathie der Pflegekraft gefragt, insbesondere bei Menschen mit eingeschränkter Ausdrucksfähigkeit, z. B. bei Demenz (durch sinnverstehendes Deuten von Symptomen und Äußerungen).

Für die Risikoeinschätzung gibt es in der SIS eine übersichtliche Matrix mit einem schnellen und einfachen Ankreuzverfahren. Zusatzdokumente im Rahmen des Risikomanagements (z. B. Trink-, Ernährungsprotokoll, Bewegungsplan, Skalen, Assessments etc.) werden nur noch gezielt nach Bedarf eingesetzt.

Durch den Verzicht auf die tägliche Pflegeberichtsführung entfallen sinnentleerte Eintragungen, wie z. B. „heute nichts Besonderes“, „alles wie gehabt“ usw.. Der Focus im Pflegebericht liegt nun auf den Abweichungen, z. B. Unwohlsein des Bewohners, Verbesserungen oder Verschlechterungen seines Allgemeinzustandes, Wirkungen von Medikamentenänderungen, Arztvisiten. Diese Abweichungen werden in der Maßnahmenplanung/Tagesstruk- tur schriftlich festgehalten. Ansonsten wird nur noch ein Wochenbericht erstellt.

Am 1. Dezember 2014 wurde den leitenden Pflegemitarbeitern der Johanneshäuser im Beisein von Frau Dr. Waltraud Hannes (MDK Baden-Württemberg, Foto) die Grundlagen der entbürokratisierten Pflegedokumentation durch Herrn Friedhelm Rink, ehemaliger Projektkoordinator im Bundesgesundheitsministerium für das Projekt „Effizienzsteigerung in der Pflegedokumentation”, vermittelt. Mit der Umsetzung wird in den Einrichtungen unter der Federführung von Frau Monika Werner im März 2015 begonnen.

Die Evaluierung (Auswertung/Aktualisierung) wird nicht mehr in eng gesteckten Zeiträumen festgelegt. Die Zeitabstände werden jetzt hausintern selbst festgelegt oder sie entstehen durch das Abweichen vom Pflegeplan. Daraus ergibt sich das Datum der Evaluierung und sie wird in Form der Maßnahmenplanung festgehalten.

Das sinnentleerte Abzeichnen von sich täglich wiederholenden Routinetätigkeiten der Grundpflege entfällt. In der Behandlungspflege und im Bereich der Aktivierung (nach § 87b) bleibt jedoch alles wie gehabt.

Monika Werner

MHT Gesellschaft für soziale

Dienstleistungen mbH, Pflegemanagement

Im Nachgang zum nb-Bericht zur Palliativmedizin in der vergangenen Ausgabe baten wir Dr. Frank Stammler um Aussagen zu nachfolgenden

Fragen:

1. Wie stellen Sie sich die optimale Versorgung von Palliativ-Bewohnern aus ärztlicher und pflegerischer Sicht vor?

2. Wie ist die Versorgung mit schmerzlindernden Medikamenten?

Palliativpatienten ob Bewohner einer Pflegeeinrichtung, stationär oder ambulant – haben durch eine fortgeschrittene und progrediente Erkrankung eine begrenzte Lebenserwartung. Das Ziel einer optimalen Versorgung dieser Patienten ist eine möglichst hohe Lebensqualität bis zum Tod zu erreichen. Palliativ tätige Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger sollten im Heim die Voraussetzungen schaffen, die verbleibende Zeit des Betroffenen so angenehm wie möglich zu gestalten. Dies bedeutet konkret, dass Diagnostik und Therapie keinesfalls die verbleibende Lebensqualitität verschlechtern darf. Der Schwerpunkt der medizinischen Betreuung liegt in der Linderung von Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und anderen Symptomen. Schwerkranke und sterbende Patienten und deren Angehörige werden in der Zeit des Sterbens und der Trauer begleitet. Die Wünsche des Patienten stehen ganz im Vordergrund und sollten offen erfragt und umgesetzt werden. In der letzten Phase des Lebens, dem Sterben, sind dies nicht alleingelassen zu werden, an einem vertrauten Ort, beleitet von vertrauten Menschen zu sterben, nicht und starken körperlichen Beschwerden zu leiden, die letzten Dinge regeln und die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen zu können. Ein Patient ist niemals „austherapiert”, dieser Begriff gilt heute als obsolet. Optimale Palliativversorgung im Heim erfolgt durch speziell geschulte Ärzte und Pflegekräfte, einem multiprofessionellen Team aus Ärzten, Pflegekräften, Seelsorgern, Sozialarbeitern, Psychologen und ehrenamtlichen Hospizmitarbeitern.

Schmerz ist ein sehr häufiges Symptom bei palliativen Patienten, so leiden ca. 50 – 80 % der Tumorpatienten unter Schmerzen. Leider werden viele Schmerzpatienten, insbesondere hochbetagte und demente, unzulänglich analgetisch versorgt. So erhalten beispielsweise nicht demente Patienten nach einer Schenkelhalsfraktur 3 x soviel Morphin wie demente. Grundlage einer optimierten Schmerztherapie ist in jedem Fall eine Schmerzanamnese und -diagnostik, auch bei dementen Patienten. Wenn es gelingt, die Schmerzursache zu identifizieren, kann eine multimodale medikamentöse und nichtmedikamentöse Schmerztherapie gezielt angewandt werden. In der medikamentösen Therapie sind die Grundsätze der des WHO Stufenschemas und die orale Applikation als Methode der Wahl zu berücksichtigen. So lässt sich zwar nicht immer Schmerzfreiheit erzielen, meist aber eine signifikante Linderung, die die Lebensqualität am Ende des Lebens verbessern hilft.

3. Wie sind Ihre Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit den Hausärzten?

Hausärzte betreuen ihre Patienten meist über viele Jahre und kennen sie besser als jeder andere Arzt. Dies gilt auch für Patienten in palliativen Situationen. Viele Aspekte der Palliativmedizin werden durch eine engagierte hausärztliche Tätigkeit abgedeckt. Nach meiner Erfahrung hat eine gute Zusammenarbeit zwischen Palliativ- und Hausärzten viele Vorteile, auch für den Hausarzt: eine palliativmedizinische Expertise kann jederzeit auch telefonisch eingeholt werden. Auf diese Weise lässt sich die Versorgung der Palliativpatienten verbessern. Nicht immer kennen oder nutzen die Hausärzte ihre regionalen Palliativangebote: im Oberen Enztal gibt es 2 niedergelassene Palliativmediziner (Frau Dr. Ulrike Beck und ich), 1 Pallia-

Zur Person

Dr. Frank Stammler, geb. 1960 in Heidelberg, absolvierte sein Studium in Heidelberg, Zürich und London. Nach dem Erwerb seiner fachärztlich internistischen Ausbildung in Heidelberg und Lörrach wechselte er 1994 zur gefäßmedizinischen Ausbildung in das Klinikum Karlsbad-Langensteinbach und war von 1997 bis 2012 Chefarzt der Klinik für Innere Medizin an den Sana-Kliniken in Bad Wildbad. Im Oktober 2012 übernahm er seine hausärztliche Praxis.

Er ist Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), des Bundes Deutscher Internisten (BDI), der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (Gefäßmedizin) sowie der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) und der Deutschen Hochdruckliga.

Qualifikationen: Facharzt für Innere Medizin, Teilgebietsbezeichnung: Angiologie (Gefäßkrankheiten), Phlebologie (Venenkrankheiten), Hypertensiologe (der Deutschen Hochdruckliga), Palliativmedizin, Reisemedizin tivenheit (am Sana-Krankenhaus) sowie den ambulaten Hospizdienst Oberes Enztal. Weiterhin ist eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) im Landkreis Calw im Aufbau. Diese Angebote sollten meines Erachtens intensiver genutzt werden.

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