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Atotech veredelt die Exportkontrolle
Case Study
Als exportorientierter Spezialist für Lösungen zur Oberflächenbeschichtung muss die Atotech Deutschland GmbH für ihren vielfältigen Materialstamm die einschlägigen Zoll- und Exportkontrollvorschriften beachten. Eine ausgeklügelte Automatisierungsstrategie hilft dabei.
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„Geht nicht, gibt es bei uns nicht“, lautet das Motto von Axel Tuengerthal, Logistikleiter Anlagenbau des Chemieunternehmens und Sonderanlagenherstellers Atotech Deutschland GmbH am Standort Feucht. Mit seinem Team ist Tuengerthal ständig auf der Suche nach Optimierungspotenzial und Prozessverbesserungen in seinem umfangreichen Verantwortungsbereich. Neben klassischen Logistikaufgaben wie Verpackung, Versand, Organisation von Just-in-TimeTransporten, Lagerung und Dokumentation gehören auch Verzollung und Exportkontrolle dazu. Kein Wunder, denn das Atotech-Geschäft – die Entwicklung und Produktion von Chemikalien und Anlagen, die u. a. zum Beschichten von Leiterplatten aber auch zur Veredelung von Automobilteilen eingesetzt werden – ist vor allem im Bereich Anlagen stark exportorientiert. „90 % unserer Anlagen-Produktion verkaufen wir ins Ausland, vorwiegend nach Asien“, erklärt Tuengerthal.
Jeden Monat mehr als 1.000 neue Artikel einreihen
Gerade bei der Exportkontrolle haben die Atotech-Logistiker eine wahre Herkulesaufgabe zu bewältigen. Allein im Anlagen-Segment hat das Unternehmen rund 160.000 Artikel in seinem Materialstamm, und jeden Monat kommen 1.000 bis 1.200 Artikel dazu. Diese muss Atotech nach den Güterlisten des Exportkontrollrechts klassifizieren. Finden sich Dual-Use- oder Rüstungsgüter im Materialstamm, muss Atotech bei der Ausfuhr der gelisteten Güter – oder deren Verbringung – Genehmigungspflichten beachten. Für Tuengerthal und seinen Exportkontrollexperten Reinhold Thomae bedeutet das: Jeder Artikel muss überprüft werden, ob er als Dual-Use- oder Rüstungsgut gelistet ist.
Entscheidung für das Insourcing
Bis vor kurzem hatte Tuengerthal diese Herausforderung durch Outsourcing an einen externen Außenwirtschaftsberater gelöst. Dieser bekam wöchentlich eine Excel-Liste mit neu angelegten Artikeln zugesendet. Der Dienstleister reihte die Artikel nach dem Zolltarif ein, klassifizierte sie nach den Güterlisten des Exportkontrollrechts und pflegte diese Angaben permanent in einer Masterliste. Nach der Prüfung wurden die komplettierten Materialdaten in Excel zurück an Atotech geschickt und in das ERP-System importiert. Ebenfalls an den Dienstleister vergeben war die jährliche Kontrolle auf Änderungen in den einschlägigen Listen und Gesetzen. „Der Prozess funktionierte, hatte aber einige Nachteile“, erinnert sich Tuengerthal. Dazu gehörten Wartezeiten, während derer der betreffende Artikel im Materialstamm gesperrt blieb und nicht ausgeliefert werden durfte. Ein weiterer Nachteil: Teilweise sensible Daten mussten extern versendet werden. Außerdem ließ sich nur die Arbeit an den Dienstleister delegieren, nicht aber die außenwirtschaftliche Haftung für Fehler bei der Exportkontrolle.
Axel Tuengerthal, Logistikleiter Anlagenbau, Atotech
Die Exportkontrolle zurück ins eigene Haus geholt
Angesichts dieser Gemengelage entschied sich Tuengerthal, den Prozess zurück ins eigene Haus zu holen und gleichzeitig durch den Einsatz einer entsprechenden Software möglichst weitgehend zu automatisieren. Die Wahl fiel schließlich auf eine Lösung des Stuttgarter Anbieters AEB, mit dem Atotech bereits eine Reihe erfolgreicher Projekte in den Bereichen Fracht- und Zollmanagement sowie Compliance Screening abgeschlossen hatte. „Die von AEB angebotene Lösung hatte also den Vorteil, dass sie sich gut in die bestehende Systemlandschaft einfügte“, betont Tuengerthal. Implementiert wurde eine Lösung, welche die AEBProdukte Product Classification und Export Controls kombiniert. Product Classification ist eine Software, die eine Automatisierung des kompletten Einreihungsvorgangs ermöglicht. Export Controls automatisiert die Prüfung von Geschäftsvorfällen gegen die Embargoverordnungen der EU sowie auf bestehende Genehmigungspflichten nach der EG-Dual-Use-VO 428/2009 und der deutschen Außenwirtschaftsverordnung.

Logistikleiter Axel Tuengerthal und sein Team kümmern sich nicht nur um eine reibungslose Logistik, sondern sind auch für Verzollung und Exportkontrolle verantwortlich.
Den arbeitsintensiven Prozess konsequent digitalisiert
Der arbeitsintensive und zeitkritische Prozess wurde in Zusammenarbeit von Atotech und AEB neu aufgesetzt und konsequent digitalisiert. Wie bisher wird neues Material im SAP®-System von Atotech angelegt. Handelt es sich um ein Verkaufsteil, wird das neue Material an Product Classification übergeben. Der erstmalig angelegte Artikel wird mit bereits eingereihtem Material verglichen und anhand übereinstimmender Merkmale die entsprechende Zolltarifnummer entwickelt. Die Software prüft außerdem über das Umschlüsselungsverzeichnis, ob hinter der ermittelten Zolltarifnummer eventuell ein Dual-Use- oder Rüstungsgut stehen könnte. Finden sich im System nicht genügend Anhaltspunkte für eine sichere Einreihung nach dem Zolltarif, müssen die verantwortlichen Atotech-Mitarbeiter eingreifen. Diese werden mit einer automatisch generierten E-Mail informiert und können die notwendigen Schritte zur Tarifierung der in Frage stehenden Produkte vornehmen.
Automatische Benachrichtigung bei kritischen Fällen
Nach Abschluss der Einreihung wird das Material inklusive Außenhandelsdaten mit dem SAP®-System synchronisiert. Die tägliche Belegprüfung erfolgt mit Export Controls von AEB. Das System prüft automatisiert im Hintergrund, welche noch nicht abschließend klassifizierten Materialien hinterlegt sind und benachrichtigt die Verantwortlichen. Die fachliche Überprüfung der vom Umschlüsselungsverzeichnis vorgeschlagenen Güterlistennummern übernimmt dann der zuständige Mitarbeiter bei Atotech. Für den Fall, dass es sich um gelistete Güter handelt, werden die Güterlistennummern im System hinterlegt. Export Controls informiert den Verantwortlichen automatisch über bestehende Genehmigungspflichten bei der Ausfuhr bzw. der Verbringung. Systemgestützt entscheidet der Mitarbeiter, ob eine Einzelausfuhrgenehmigung beantragt werden muss oder eine bereits vorliegende Genehmigung genutzt werden kann. Erst wenn diese Fragen geklärt sind, wird das Material für den Export freigegeben. „Einreihung und Klärung brauchen nur einen Bruchteil der Zeit, die der Prozess vor Implementierung der Software benötigte“, sagt Reinhold Thomae. Das kommt auch den Kunden in Form von kürzeren Lieferzeiten bei kritischen Gütern zugute.

Warensendungen am Atotech-Standort in Feucht: Allein im Anlagen-Segment hat das Unternehmen rund 160.000 Artikel in seinem Materialstamm.
Ziele erreicht: Schneller, sicherer und die Wirtschaftlichkeit stimmt
„Wir haben unsere Ziele erreicht“, betont der Logistikchef des Atotech-Anlagenbaus Axel Tuengerthal. „Wir sind schneller bei der Einreihung und Klassifizierung geworden – und alle Daten bleiben im Hause. Außerdem ist die Einbindung in die bestehende Systemlandschaft gut gelungen.“ Auch die wirtschaftliche Bilanz stimmt. Trotz Insourcing hat sich der Personalaufwand in der Exportkontrolle nicht erhöht. Außerdem ist das Unternehmen unabhängiger von einzelnen Know-how-Trägern geworden. Last but not least: Auch bei Gesetzesänderungen wird Atotech durch die Software von AEB unterstützt.
Der Autor: Björn Helmke arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Journalist und Redakteur in den Themenbereichen Transport und Logistik. Für AnachB schrieb der Betriebswirt (WA) mit wachsender Begeisterung über praxisbezogene Themen in der Außenwirtschaft, bevor er als Pressesprecher zu einer Berufsgenossenschaft wechselte. Sein Anspruch: Auch bei Fachthemen Lesespaß und Nutzen unter einen Hut bekommen.