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Herausforderung Herkunft
Lieferkettengesetz
Verantwortungsvolle Unternehmensführung steht zunehmend im Fokus der globalen Wirtschaft. Doch freiwillige Maßnahmen reichen nicht aus. Über die ab Januar 2021 EU-weit geltende Sorgfaltspflicht bei Konfliktmineralien und das geplante Lieferkettengesetz der Bundesregierung sprach AnachB mit Supply-Chain-Experte Dr. Rainer Hackstein.
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Ist Ethik in der Lieferkette Pflicht oder Kür? Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 verpflichtet, einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht per Gesetz nachzukommen, sofern deutsche Großunternehmen nicht bis zum Jahr 2020 mehrheitlich entsprechende Prozesse freiwillig veranlassen. Dies geschieht leider nicht flächendeckend. Die Konsequenz: Ein Lieferkettengesetz der Bundesregierung ist in Ausarbeitung. Vorreiter für derartige gesetzliche Regelungen gibt es bereits für einige Bereiche. Bei den sogenannten Blutdiamanten wurde im Kimberley-Prozess 2003 der erste Schritt für offizielle Herkunftszertifikate getan. Für die Konfliktmineralien Gold, Zinn, Tantal und Wolfram hat die EU am 17. Mai 2017 die Verordnung (EU) 2017/821 erlassen. Diese regelt Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer dieser Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten. Sie zeigt, wie Unternehmen beim Handel mit diesen Konfliktmaterialien agieren müssen und welche Unterlagen sie benötigen, um die Einhaltung der Pflichten nachzuweisen. Ab 1. Januar 2021 tritt sie in Kraft. Dr. Rainer Hackstein, der das Thema Lieferkettensicherheit schon jahrelang aus den verschiedensten Blickwinkeln begleitet, erklärt im Interview, welche Änderungen jetzt bei Konfliktmineralien wirksam werden. Und er erläutert, warum dies ein weiterer wichtiger Schritt ist, damit die Sorgfaltspflicht auf Dauer keine Kür bleibt.
AnachB: Was bedeutet eigentlich die Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette?
Dr. Hackstein: Die Sorgfaltspflicht ist ein fortlaufender, langfristiger und individueller Lernprozess, der proaktiv Risiken in der Lieferkette identifizieren und beheben soll. Die fünf Kernelemente bestehen darin, Verantwortung anzuerkennen, Risiken zu ermitteln, Risiken zu minimieren, zu informieren und berichten sowie Beschwerden zu ermöglichen. Kurz: Die Unternehmen müssen Transparenz schaffen, wie Menschenrechte und Umweltstandards an jedem Punkt der Lieferkette eingehalten werden. Und sie müssen sicherstellen, dass Übertretungen gemeldet bzw. bei regelmäßigen Überprüfungen erkannt und vor allem behoben werden.
Diese Sorgfaltspflicht wird für Unternehmen in der EU für „Konfliktmineralien“ ab 1. Januar 2021 gesetzlich vorgeschrieben. Doch was sind Konfliktmaterialien und in welchen Ländern kommen sie vor?
Rohstoffvorkommen von lokal, regional oder global stark nachgefragten Mineralien finanzieren in manchen Ländern bewaffnete Konflikte. Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit oder Korruption und Geldwäsche sind in solchen Ländern an der Tagesordnung. Durch Herkunftsnachweise soll ein wirtschaftliches Regulativ gefunden werden, um diesem Unrecht entgegen zu wirken.
Wie wirkt die neue EU-Verordnung und warum gilt sie nur für vier Materialien?
Die vier häufigsten Mineralien, die mit Menschenrechtsverletzungen und bewaffneten Konflikten in Verbindung gebracht werden, sind Gold, Zinn, Wolfram und Tantal. Die EU-Verordnung verlangt nun Nachweise von verantwortungsvollen und konfliktfreien Quellen, um den Missbrauch zu unterbinden. Jeder EU-Mitgliedstaat muss ab 1. 1. 2021 auch die Einhaltung der Verordnung durch die EU- Importeure kontrollieren. Bei Verstößen werden Fristen zur Behebung gesetzt und weitere Kontrollen durchgeführt.
Die EU stellt verschiedene Anforderungen an „vorgelagerte“ und „nachgelagerte“ Unternehmen – was ist darunter zu verstehen?
Unternehmen, die Rohstoffe abbauen, verarbeiten und veredeln, gelten als „vorgelagerte“ Unternehmen. Das sind beispielsweise Bergbauunternehmen, Rohstoffhändler, Hütten und Raffinerien. Auch und vor allem sie müssen die verbindlichen Vorschriften zur Sorgfaltspflicht erfüllen. Schließlich handelt es sich hier um den risikoreichsten Teil der Lieferkette. Die sogenannten „nachgelagerten“ Unternehmen verarbeiten Metalle zu einem fertigen Erzeugnis und verkaufen dieses dann. Dabei wird unterschieden zwischen Unternehmen, die Metallerzeugnisse einführen. Diese müssen die verbindlichen Sorgfaltspflichtvorschriften ebenfalls einhalten. Für Unternehmen, deren Tätigkeit nach der Metallerzeugung stattfindet, bestehen auf der Grundlage der Verordnung keine Verpflichtungen. Doch auch sie müssen durch Berichterstattung aufzeigen, wie sie der Sorgfaltspflicht nachkommen.
Wie agieren andere Handelsmächte beim Umgang mit Konfliktmaterialien?
Das erste Gesetz dazu ist der Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Acts von 2010 in den Vereinigten Staaten. In Artikel 1502 werden börsennotierte Unternehmen verpflichtet, für genau diese vier Mineralien, die aus der Demokratischen Republik Kongo und Nachbarländern beschafft werden, eine Sorgfaltsprüfung vorzunehmen. Stellen wir das Thema in einen größeren Zusammenhang, so sind die 2011 veröffentlichen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinigten Nationen zu nennen. In diesem Jahr wurde auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gegründet. Sie besteht aus 35 Industrieländern. Ihre Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht gelten als internationaler Standard. Übrigens hat inzwischen auch die chinesische Handelskammer für Importeure und Exporteure von Metallen, Mineralien und Chemikalien (CCCMC)Leitlinien auf OECD-Grundlage zu Konfliktmineralien erstellt. Auch verschiedene afrikanische Länder wie Ruanda, haben Gesetze verabschiedet, die Unternehmen zur Kontrolle ihrer Lieferketten verpflichten.
Ist dieses Vorgehen vergleichbar mit dem seit 2003 in Kraft getretenen Kimberley-Prozess, der den Handel mit sogenannten Blutdiamanten unterbinden soll?
Im Grunde ist das Vorgehen dieser unterschiedlichen Verordnungen oder Regelungen deckungsgleich, auch wenn aus Prozesssicht andere Wege hierfür eingeschlagen wurden. Im Kimberley-Prozess-Zertifizierungssystem (Kimberley Process Certification Scheme; KPCS – Anmerkung der Redaktion) verpflichten sich Staaten zu innerstaatlicher Kontrolle und zur Sicherstellung, dass sämtlichen Verschiffungen von Rohdiamanten anerkannte Zertifikate beiliegen. Bei den Konfliktmaterialien – ebenso wie bei allen anderen Bestrebungen zu mehr Lieferkettensicherheit – wird noch mehr Wert darauf gelegt, dass Prozesse entlang der Lieferkette menschen- und umweltfreundlich geregelt, regelmäßig auditiert und bei Bedarf verbessert werden. Aber auch im Handel mit Diamanten wird ein Weg zu einem System gesucht, das soziale oder ökologische Fragen thematisiert. Statt mit „Blutdiamanten“ soll zukünftig mit „Diamanten für Entwicklung“ gehandelt werden.
Andere Kennzeichnungen wie der „Grüne Knopf“ der Textilindustrie kämpfen ebenfalls gegen Menschenrechtsverletzungen und bessere Arbeitsbedingungen. Wie schätzen Sie diese Maßnahmen ein?
Der „Grüne Knopf“ ist ein gutes Beispiel für mehr Verantwortung in der Lieferkette. Er beweist sich gerade in seiner Pilotphase und bietet schon jetzt den Verbrauchern eine gute Orientierung für sozial und ökologisch nachhaltige Textilien. So eine Pilotphase ist außerdem sehr zielführend und ein gutes Beispiel für andere Branchen. Eine abschließende Bewertung des „Grünen Knopfs“ ist erst nach der Pilotphase 2021 möglich. Doch ich bin überzeugt, dass die Textilbranche hier auf dem richtigen Weg ist. Mit dem Markenschutz des Siegels und Vor-Ort-Kontrollen in den Produktionsländern sind wichtige Schritt getan.
Wie sehen Sie die jetzige Entwicklung im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte sowie dem viel diskutierten Lieferkettengesetz?
Die vier Handlungsfelder des Aktionsplans umfassen das Engagement der Bundesregierung, die unternehmerische Sorgfaltspflicht, Umsetzungshilfen sowie Abhilfe und Wiedergutmachung. Regierung und Wirtschaft machen sich also gemeinsam auf den Weg. Bisher freiwillig, aber mit Potenzial, wie es der „Grüne Knopf“ beweist. Dass Freiwilligkeit jedoch nicht ausreicht, zeichnet sich ab. Daher wird über das Lieferkettengesetz jetzt auch in Deutschland debattiert. Andere Länder auf dem europäischen Kontinent haben auf dem Gebiet bereits Gesetze. Denken Sie an den Modern Slavery Act gegen moderne Formen der Sklaverei, den es seit 2015 in Großbritannien gibt. Oder das „Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d'ordre“, ein Gesetz für unternehmerische Sorgfaltspflicht seit 2017 in Frankreich. Und die Niederlande haben 2019 das Child Labour Due Diligence Law gegen Kinderarbeit eingeführt. Wahrscheinlich ist es daher gut, diesen Weg von beiden Seiten aus zu gehen: Mit nationalen Initiativen, die auf EU- und UN-Richtlinien einzahlen. Und mit eben diesen globalen Richtlinien, die vor Ort überprüft werden müssen.
Dr. Rainer Hackstein, AEB SE
Was ist Ihre Hoffnung?
Oft enden Gesetze an Landesgrenzen, die Geschäfte vieler Unternehmen aber nicht. Es kann jedoch nicht sein, dass Unternehmen immer wieder an Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung beteiligt sind, ohne dass sie dafür rechtliche Konsequenzen befürchten müssen. Unternehmen müssen dazu verpflichtet werden, in der gesamten Wertschöpfungskette Sorgfalt walten zu lassen. Ich persönlich denke, dass wir im Zweifelsfall auf nationale Gesetze verzichten können und uns stattdessen auf die Kontrolle der EU-Gesetzgebung konzentrieren. Die Debatte um das Lieferkettengesetz, dessen Ausarbeitung sich gerade unter anderem um Unternehmensgrößen dreht, ist momentan ein politisches Ringen um die Wählergunst. Wir müssen aber sicherstellen, dass Menschenrechte und Rücksicht auf die Umwelt in jedem Fall durchgesetzt werden. Gerne durch national kontrolliertes EU-Recht. Überall auf der Welt brauchen wir mehr Sorgfalt in Lieferketten und Produktionstechnik. Ob beim Nähen, Schürfen oder Zustellen der Pakete. Daher sollten wir erfolgreiche Gesetze rund um den Handel mit Diamanten oder Konfliktmaterialien sowie Pilotprojekte à la „Grüner Knopf“ als Blaupause für den verantwortungsvollen Umgang mit unserer Welt nehmen.
Das Interview führte Ruth Setzler, AEB SE
Konfliktmineralien in der Praxis: Due Diligence Ready!
Sie handeln mit Erzen? Dann unterziehen Sie dieselben einer Sorgfalts- oder Due-Diligence-Prüfung. Die Europäische Kommission hat dafür das Portal Due Diligence Ready! eingerichtet. Es konzentriert sich hauptsächlich auf Zinn, Tantal, Wolfram und Gold, berücksichtigt aber auch andere Minerale und Metalle, wie beispielsweise Batterierohstoffe. Sie wollen wissen, welche Warennummern betroffen sind? Die von der Verordnung betroffenen Erze und Verbindungen von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold werden mit ihrer jeweiligen Warennummer in Anhang I der EU-Verordnung zu Konfliktmineralien vom Mai 2017 für Importeure, Hütten und Raffinerien gelistet. Das ist neu: Die EU verpflichtet Importeure …
•solide Managementsysteme für die Unternehmen zu schaffen,
• die Risiken in der Lieferkette zu ermitteln und bewerten,
• eine Strategie für den Umgang mit den ermittelten Risiken zu entwerfen und umzusetzen,
• Audits durch unabhängige Dritte zum Nachweis der Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette durchzuführen,
• jährlich über die Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette Bericht zu erstatten.
Unternehmen sollten beweisen, dass sie verantwortungsvoll handeln und Menschenrechte an jedem Punkt der Lieferkette achten. Da Kaufentscheidungen meist von der Reputation im Markt abhängen, zahlt sich ein umsichtiges Handeln sowohl für bessere Bedingungen in der Welt als auch für die Unternehmen direkt aus.
Dr. Rainer Hackstein ist gelernter Speditionskaufmann, Verkehrsfachwirt und Supply Chain Manager. Als Logistikverantwortlicher in einem internationalen Konzern, Projektleiter von AEO-Einführungen sowie als ISO-Auditor erwarb er umfassendes Know-how in Sachen Lieferkettensicherheit. Seit 2014 ist er beim Softwareunternehmen AEB im Vertrieb, bei der Lösungsimplementierung und als Dozent tätig. Zudem ist er Referent bei der Fachuniversität Rhein-Waal, Kleve.