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Die zehn Hoppalas der österreichischen Wehrpolitik seit 1955
Spätestens seit der Niederlage im Ersten Weltkrieg genoss die bewaffnete Macht in Österreich nicht mehr jene Wertschätzung bei der Bevölkerung und den entscheidungsbefugten Politikern, wie dies noch während der Zeit der Habsburgermonarchie der Fall war. Lediglich wenn die Regierenden keine Möglichkeit zur Beherrschung von Krisen jeder Art mehr hatten, griffen sie auf das ansonsten eher unbeliebte Bundesheer zurück. Das Bundesheer musste dabei auch Tätigkeiten durchführen, welche es unweigerlich in die Kritik der Opposition brachte und wodurch es auch über Jahrzehnte belastet blieb, wie der Einsatz zur Niederschlagung der Unruhen 1934 gezeigt hat. / Wäre seit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1955 dem Bundesheer mehr seriöse Aufmerksamkeit durch die Regierenden zuteilgeworden, würden die Streitkräfte heute zweifelsohne besser dastehen. Dass dies nicht der Fall ist, dafür sorgten zumindest zehn Hoppalas, welche durch die damals Regierenden unter tatkräftiger Beteiligung willfähriger Organwalter (= Spitzenbeamte des Ressorts) verursacht wurden. Hier eine Auflistung in chronologischer Reihenfolge.
1. Wehrdienstzeit von „nur“ neun Monaten
Die Anfänge des Bundesheeres der Zweiten Republik waren gekennzeichnet durch die Uneinigkeit der Koalitionspartner über die Ausgestaltung des Bundesheeres. Während die SPÖ eher ein Milizheer mit einer sechsmonatigen Grundwehrdienstzeit bevorzugte, wollte die ÖVP ein Heer mit zwölfmonatiger Grundwehrdienstzeit. Der Kompromiss war dann ein neunmonatiger Grundwehrdienst, welcher im damaligen internationalen Vergleich zu gering war, um ein wirklich schlagkräftiges Heer aufstellen zu können. Beispielsweise war der Grundwehrdienst damals in Ungarn 27 Monate und in der Bundesrepublik Deutschland zunächst zwölf Monate, welche aber bald auf 18 Monate angehoben wurden.
2. Reduktion des Budgetansatzes für das erste reguläre Budget 1957
Für das Budgetjahr 1957 wurde von der Beamtenschaft des Verteidigungsministeriums und des Finanzministeriums zunächst ein Budget für die militärische Landesverteidigung von 2,1 Milliarden österreichischen Schillingen (öS) ermittelt. Die damals vorgesehenen 2,1 Mrd. waren im Vergleich zu dem Verteidigungsbudget von Ungarn (4,5 Mrd. öS), der Schweiz (5 Mrd. öS) und von Jugoslawien (6 Mrd. öS) geradezu lächerlich gering. Nach hochrangig besetzten Verhandlungen im Finanzministerium wurden die 2,1 Mrd. auf 1,5 Mrd. gekürzt und diese Kürzung nach einem Vortrag des Finanzministers beim Bundeskanzler von ihm gutgeheißen. Damit wurde das ohnehin als sehr gering veranschlagte Verteidigungsbudget um 35 % gekürzt, was sich bis heute als fatal für die Ausrüstung des Bundesheeres erwiesen hat. Wären nämlich zumindest die 2,1 Mrd. über die Jahrzehnte fortgeschrieben worden, würde das Bundesheer heute knapp über 3,3 Mrd. Euro verfügen können, immerhin um 800 Millionen Euro mehr, als der aktuelle Voranschlag für 2022 ausweist.
3. Wahlkampfslogan des Oppositionsführers Dr. Bruno Kreisky (SPÖ): „Sechs Monate sind genug“
Mit dem Wahlversprechen „Sechs Monate sind genug“ zog die SPÖ in den Wahlkampf für die Nationalratswahl 1970 und wollte damit vor allem die Stimmen der jüngsten Wähler für sich lukrieren. Nach dem Sieg in dieser Auseinandersetzung war die SPÖ danach gezwungen, das Wahlversprechen auch umzusetzen. Nach Beratungen im Rahmen einer Bundesheerreformkommission führte man schließlich einen sechsmonatigen durchgehenden Präsenzdienst und Truppenübungen in der Dauer von zwei Monaten ein. Es gab aber auch die Möglichkeit, acht Monate durchzudienen. Im internationalen Vergleich betrachtet, waren die sechs plus zwei Monate lächerlich gering. Die Militärexperten waren sich einig, dass man innerhalb von sechs Monaten keinen voll feldverwendungsfähigen Soldaten ausbilden kann. Die hohe Politik entschied sich aber, wie so oft schon vorher, gegen die Interessen der Militärs (abgesehen von ein paar Opportunisten unter den Militärs, die im Sog der neuen politischen Machthaber noch etwas werden wollten.).
4. Verzicht auf Überschallkampfflugzeuge bis 1987
Wirkliche Streitkräfte in Europa, auch jene von Staaten, die im Vergleich zu
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Während alle andere Armeen in Europa schon längst Lenkwaffen hatten, musste das Bundesheer noch mit einfachen Panzerabwehrrohren die Panzerabwehr planen und üben.
Bis Mitte der 1980er-Jahre gab es keine Abfangjäger. Bei Übungen flogen aus reiner Höflichkeit gegenüber dem Bundesheer die Feinddarsteller langsamer, um von den Saab 105 Oe überhaupt abgefangen werden zu können.
Österreich in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in Kaufkraftparitäten gemessen wesentlich ärmer waren, entschieden sich bald nach dem Aufkommen von Überschallkampfflugzeugen für die Beschaffung derartiger Waffensysteme, beispielsweise kaufte die Schweiz die französische Mirage III, Finnland die schwedischen Saab J 35 Draken und auch die kleinen Staaten in den Bündnissystemen verfügten über Überschallkampfflugzeuge. In Österreich wurden zwar von den planungsverantwortlichen Militärs Überschalljets gefordert, angeschafft wurden aber solche erst Mitte der 1980er-Jahre. Die ersten gebrauchten, aber generalüberholten Abfangjäger Saab J 35 Draken aus den Beständen der schwedischen Luftwaffe kamen 1987 nicht ohne Protest eines Landeshauptmanns nach Österreich. Die Saab J 35 Draken wurden damals bereits von allen Staaten, die diesen Typ geflogen hatten, eingemottet oder ausgemustert, da sie 1964/65 produziert wurden und es damals schon längst modernere Nachfolgemodelle gab. 5. Kein politisches Bemühen um Anschaffung von Lenkwaffen bis in die Mitte der 1980er-Jahre
Österreich musste, wollte es wieder rasch unabhängig werden, 1955 einen Staatsvertrag zustimmen, der unter anderem auch das Verbot von Spezialwaffen festschrieb, beispielsweise Lenkwaffen. Ab Anfang der 1960erJahre gehörten Lenkwaffen zu Verteidigungszwecken, etwa Panzerabwehr- und Fliegerabwehrlenkraketen zum Standardrepertoire jeder modernen Armee. Finnland hatte damals ein ähnliches Problem wie Österreich, denn in dem 1947 abgeschlossenen Friedensvertrag zwischen Finnland und den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges gab es eine ähnliche Klausel wie im Staatsvertrag, den Österreich zu unterschreiben hatte. Finnland beschaffte aber unter Duldung der Vertragspartner bereits in den 1970er-Jahren bei- ›

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Kaum eine Rüstungsbeschaffung war politisch mehr umstritten als der Eurofighter-Kauf. Ein eigentlich einwandfreier Flieger wurde durch den damals amtierenden Bundesminister seiner vielfältigen Fähigkeiten beraubt, sodass er wenig kann, aber teuer in der Erhaltung ist.
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spielsweise Panzerabwehrlenkwaffen der Type 9M111 Fagot aus Beständen der Sowjetunion. Da die verantwortungsbewussten finnischen Politiker die Landesverteidigung ernst genommen haben – und auch heute noch ernst nehmen –, erfolgte die Beschaffung in zweckmäßiger Auslegung des Friedensvertrages und mit diplomatischem Geschick. In Österreich gab es zwar immer wieder große Diskussionen über eine mögliche Anschaffung derartiger Lenkwaffen und es wurden auch Schweizer Lenkwaffen getestet. Es bedurfte aber erst des Mutes von Verteidigungsminister Dr. Robert Lichal, der eine Beschaffung von Lenkwaffen einleitete, sodass gegen Jahresende 1989 die schwedische Bill als PAL 2000 eingeführt wurde, jedoch zu spät, um noch bei den Verteidigungsvorbereitungen während des Kalten Krieges, welcher bekanntlich mit dem Zerfall des Warschauer Paktes Anfang der 1990er-Jahre zu Ende ging, eine ernst zu nehmende Rolle spielen zu können. Die Möglichkeit, Jagdpanzer Jaguar 1 (mit Panzerabwehrlenkwaffe 4000 HOT) relativ günstig anzukaufen, führte nach langer innenpolitischer Diskussion 1996 zur Beschaffung des sogenannten „Mech-Paketes“, darunter auch Jagdpanzer Jaguar. Fliegerabwehrlenkwaffen vom Typ Mistral kamen etwas später zur Truppe. Die letzten Mistral-Einheiten wurden mit 1. Jänner 1997 aufgestellt.
6. Ein Vergleich mit dem Hersteller des Eurofighters führt zur Abbestellung der Tranche 2
2003 traten die Eurofighter-Kaufverträge in Kraft: Vertrag 1 (Ankauf von 18 Eurofighter-Abfangjägern) und Vertrag 2 (Ausrüstung, logistische Leistungen, Ausbildung und Simulation) mit der Eurofighter GmbH im Gesamtwert von rd. 1,959 Mrd. Euro. Nach dem Wahlsieg der SPÖ erhielt die SPÖ das Verteidigungsministerium. Der damalige Verteidigungsminister Mag. Norbert Darabos musste ein Wahlversprechen der SPÖ umsetzen, nämlich den Ausstieg aus dem Eurofighter-Vertrag. Da dies nicht möglich war, schloss er im Jahre 2007 einen Vergleich mit dem Vertragspartner Eurofighter ab, welcher zur Abbestellung von drei der ursprünglich 18 bestellten Flugzeugen und der Abbestellung der Tranche 2 führte. Laut Rechnungshof hat die Republik drei Flieger und Ausrüstung im Wert von 307 Millionen Euro abbestellt; die Rückzahlungsverpflichtung von Eurofightern betrug 250 Millionen Euro. Die Prüfer kritisierten damals, dass die „ausgabenreduzierenden Auswirkungen der Leistungsminderungen“ (nur Tranche-1- und auch gebrauchte Flieger) „nicht nachvollziehbar“ seien. Mehr als zehn Jahre nach seiner Inbetriebnahme bei der österreichischen Luftwaffe fliegt der Eurofighter noch immer im österreichischen Luftraum und sichert diesen – und wird dies wohl noch einige weitere Jahrzehnte tun. Ein friktionsloses Weiterbetreiben ist allerdings nur mit hohen Kosten möglich, denn die Flugzeuge der Tranche 1 mit ziemlich alter Technik an Bord müssen überholt werden, was bei einem Belassen der ursprünglich angeschafften Flugzeuge der Tranche 2 wesentlich billiger gekommen wäre.
7. Aussetzen der Truppenübungen
Vor der Nationalratswahl 2006 wurde vom damaligen Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP) angekündigt, dass eine Absolvierung von Truppenübungen für alle jene, die ihren Wehrdienst in der Dauer von acht Monaten noch nicht voll abgeleistet haben, vorläufig ausgesetzt wird. In weiterer Folge verordnete er, dass der Präsenzdienst ab 1. Jänner 2006 nur mehr sechs Monate dauern soll. Platters Weisung war im Wehrgesetz gedeckt, denn dort ist die Rede von sechs Monaten. Sofern militärische Interessen
es erfordern, sei eine Verlängerung auf bis zu acht Monate möglich. Das Wahlzuckerl schmeckte offensichtlich vielen jungen Menschen nicht, denn die ÖVP verlor die Wahlen und wurde hinter der SPÖ nur Zweiter. Die Folge dieser Anordnung war aber, dass die Miliz kaum mehr geeigneten Nachwuchs erhielt und still und heimlich ihr Dasein fristen musste.
8. Garnisonsschließungen in großem Umfang
Das Bundesheer hat seit der letzten großen Reform „Bundesheer 2010“ durch die Strategische Immobilien Verwertungs-, Beratungs- und Entwicklungsagentur (SIVBEG) 160 Heeresimmobilien verwerten lassen; der Gesamterlös daraus betrug rund 371 Mio. Euro. Die Gesamtfläche aller verkauften Liegenschaften beträgt rund 13 Mio. Quadratmeter. Das entspricht ca. 1.810 Fußballfeldern oder ungefähr der Fläche der Wiener Gemeindebezirke 3 bis 7. Die Folgen des Ausverkaufes waren beträchtlich, denn in vielen Gegenden in Österreich ist das Bundesheer nicht mehr präsent. Dies wirkt sich für die Rekrutierung nicht gerade günstig aus. Des Weiteren blieben die Einnahmen hinter den Erwartungen zurück, da man zu Beginn der Verkäufe mit fast einer Milliarde an Erlösen rechnete.
9. Herumdoktern bei der Akademisierung der Offiziersausbildung
Die Truppenoffiziersausbildung des Bundesheeres der Zweiten Republik war bis 1997 keine akademische Ausbildung auf Universitäts- oder Fachhochschulniveau. Erst 1997 wurde mit der Einführung des Fachhochschulstudienganges „Militärische Führung“ die Truppenoffiziersausbildung akademisch. Eine besoldungsrechtliche Einstufung der Truppenoffiziere als Akademiker war damit aber nicht verbunden. Während in Europa fast alle Staaten den konsequenten Weg der Akademisierung der Truppenoffiziersausbildung auf universitärem Niveau gingen, gibt es beim Österreichischen Bundesheer lediglich einen Bachelor- und einen Masterstudiengang auf Fachhochschulniveau.

Rohrfliegerabwehrwaffen wurden im Einsparungswahn bis auf ein Minimum reduziert und fehlen heute bei der Einsatzplanung.
10. Gravierende Reduktion schwerer Waffensysteme
Unter Verteidigungsminister Norbert Darabos begann eine umfassende Bundesheerreform. Eine erste Maßnahme war der Verkauf oder die Verschrottung von Bundesvermögen, nämlich von mehr als 500 Panzern, das waren 50 Prozent der Panzer sowie ein hoher Prozentsatz an vorhandenen Fliegerabwehrgeschützen und mittlerer Granatwerfer, da ressortinterne Bedrohungsanalysen ergeben haben, dass ein konventioneller Krieg in Europa ausgeschlossen werden kann. Heute besitzt das Bundesheer unter anderem nur mehr 54 modernisierungsbedürftige Leopard 2 A4, 112 Ulan, 30 M-109 A5Ö, 85 schwere Granatwerfer 120 mm und 30 Zwillingsfliegerabwehrkanonen 35 mm und einige wenige in die Jahre gekommene Abschussvorrichtungen für Panzerabwehrlenk- und Fliegerabwehrlenkwaffen. Die genauen Zahlen können auf der Homepage der militärischen Zeitschrift „Truppendienst“ einsehen werden. Würde der hoch geschätzte General und ehemalige Bundespräsident Dr. h. c. Theodor Körner noch leben und den Zustand des Bundesheeres sehen können, würde er wahrscheinlich geneigt sein, seine Befundung über das damalige Bundesheer aus dem Jahr 1924 zu wiederholen, nämlich: „Was dann zurückbleibt und Bundesheer heißt, ist ein sich für Paraden und Ausrückungen vorbereitender Verein, der in der Tradition der Vergangenheit lebt, sich Luftschlössern hingibt und die Öffentlichkeit über die traurige Wirklichkeit hinwegtäuscht“. (Denkschrift über das Heerwesen der Republik (1924), Seite 16. (Red. Der Offizier, hapoe)