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Ein Schinken mit Anspruch Rudolf Berger über Tierwohl, Branchenimage und Corona
from medianet 19.03.2021
by medianet
„Das Handwerk braucht ein Revival“
Rudolf Berger im Interview über das Image der Branche, das Tierwohl-Programm und die schönen Seiten an seinem Beruf.
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Berger Schinken
Der namensgebende Schinken hat sich auch 2020 bewährt, sowohl umsatz- als auch mengenmäßig. Im Bild: Claudia Berger, Rudolf Berger und Gaby Kritsch.
••• Von Daniela Prugger
Zumindest eine positive Seite hatten die vergangenen Skandale in der Fleischbranche: Die Konsumenten fragen verstärkt nach der Herkunft der Produkte. Berger Schinken spielt genau dieser Trend in die Hände, denn der heimische Produzent schreibt sich das Tierwohl groß auf die Fahne. Geschäftsführer Rudolf Berger dazu: Nur wenn Konsumenten die Unterschiede in der Tierhaltung wahrnehmen, sind sie bereit, den Aufpreis zu bezahlen.
medianet: Wie geht es dem Unternehmen in diesem zweiten Pandemie-Jahr? Rudolf Berger: Als Familienunternehmen kann man potenziell rascher auf sich verändernde Umstände reagieren. Bedingt durch die Coronakrise, haben wir im Vorjahr einen Boom im Selbstbedienungs-Regal erlebt. Der Trend geht zu vorverpackten Produkten – auch, weil diese länger haltbar sind. Dem begegnen wir als verantwortungsbewusstes Familienunternehmen mit neuen, ökologischen Verpackungen, die ab Ende März im Handel sein werden.
medianet: Vor welchen Herausforderungen steht Ihre Branche? Berger: Die Fleischbranche steht vor einem Umbruch: Immer öfter wird aktiv Tierwohl gefordert – aber nicht immer gekauft. Auf
der einen Seite ist der TierwohlRohstoff stark begrenzt, auf der anderen Seite ist die Nachfrage noch nicht entsprechend hoch, die den Ausbau der Programme rechtfertigen würde. Wir als Berger Schinken würden gern wollen, brauchen aber die eine Seite, die produziert, und die andere Seite, die regelmäßig und wiederholt kauft. Wir sind einer der größten Bio-Produzenten in Österreich. Bio im Fleischbereich hat aus meiner Sicht auch begrenzte Wachstumsmöglichkeiten, da der gesamte bäuerlichen Betrieb umgestellt werden muss. Tierwohl lässt sich wesentlich einfacher für Mäster umsetzen, und daher sehen wir hier das größere Potenzial.
© Berger Schinken

medianet: Zuletzt gab es in Deutschland einige Skandale in der Fleischbranche. Welche Auswirkungen hatten diese Fälle? Berger: Als Reaktion auf die Skandale in Deutschland fragen nehmend eingefordert wird: Die Landwirtschaft war viele Jahre lang eine Art Black-Box – die Konsumenten konnten die dort herrschenden Produktionsprozesse nur schwer durchschauen.
Rudolf Berger
Geschäftsführer Berger Schinken
Konsumenten sowie der Handel verstärkt die Produktherkunft nach. Wir sehen diesen Trend sehr positiv – da wir bei unseren qualitativ hochwertigen Schinken seit jeher auf heimisches Schweinefleisch setzen. Um heimische Qualität bewusst greifbar zu machen, ist auch Transparenz gefragt, die – zuRecht, wie wir finden – nun zumedianet: Sehen Sie, dass sich seither etwas an den Arbeitsbedingungen osteuropäischer Arbeiter in Deutschland verbessert hat? Berger: Wir können und wollen die Arbeitsbedingungen in Deutschland nicht beurteilen. Was wir tun können, ist, unseren eigenen Mitarbeitern das bestmögliche Umfeld zu bieten, und das tun wir. Auch wir in Österreich sind davon abhängig, Arbeitskräfte aus den Nachbarländern zu beschäftigen.
medianet: Seit November sind Berger-Produkte auch unter dem neuen Tierwohl-Label erhältlich. Was hat sich an den Produkten verändert ? Berger: Die Tiere für unser Berger Tierwohl-Programm wachsen bei bäuerlichen Zulieferbetrieben rund um die Produktionsstätte in Niederösterreich auf. Die Tiere haben im Vergleich zum gesetzlichen
100%
Tierwohl
Als Kriterien für das Programm wurden pro Tier 100% mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben, die Trennung von Liege- und Aktivitätsbereich, kein Vollspaltenboden, weiche Stroh-Einstreu sowie Verzicht auf Schwanzkupieren und Kastration unter Vollnarkose definiert.
Schinken
Speziell für die SB-Regale bietet Berger Schinken Hofschinken, Extrawurst, Knacker und Frankfurter an; der Tierwohl-Beinschinken im Ganzen ist an der Bedientheke erhältlich.
Standard doppelt so viel Platz, Auslauf ins Freie und weiche Stroheinstreu. Damit kommen wir auch den langjährigen Forderung von Tierschutzorganisationen nach.
medianet: Wie steht es um das Image der Fleischverarbeitungsberufe? Berger: Die Mehrheit der Österreicher konsumiert im Rahmen ausgewogener Ernährung auch tierische Produkte. Aber immer weniger Menschen können sich für den Beruf des Fleischverarbeiters begeistern. Was wir brauchen, ist ein Revival des Handwerks – ähnlich wie es Bäckern gelungen ist, den Beruf wieder attraktiv zu machen oder junge Köche zu Influencern werden, so muss uns das als Branche auch wieder gelingen. Den Schlüssel zum Erfolg sehe ich im Netzwerk und durchaus auch in Gemeinschaftsprojekten und dem intensiven Kontakt und Austausch mit allen Beteiligten der Wertschöpfungskette.
medianet: Was ist für Sie persönlich das Schönste an Ihrem Beruf? Berger: Das Schöne an meinem Beruf ist einfach die Herstellung eines Lebensmittels; aus guten Rohstoffen entsteht durch mein handwerkliches Geschick beispielsweise ein goldbraun geräucherter, angenehm riechender, würzig schmeckender Schinken. Ein gut gelungenes Endprodukt zu sehen und zu verkosten, ist für mich immer wieder Grund zur Freude, weil ich weiß, wie viele Faktoren richtig zusammenpassen müssen, damit ein Qualitätsprodukt entstehen kann. Fleischverarbeiter ist einer der vielseitigsten Berufe, die ich kenne. Man ist neben der Kernkompetenz in der Fleischverarbeitung teilweise Bauer, Tierarzt, Koch, Techniker, IT-Spezialist, Marketingexperte, Logistiker und natürlich auch Kaufmann.
Im Marktcheck: Hühner und Puten
Der AK OÖ-Konsumentenschutz und die Tierschutzorganisation Vier Pfoten nehmen Gütesiegel unter die Lupe.
Tierwohl
Über die sogenannte Besatzdichte, also die Anzahl der Tiere pro Quadratmeter, hinaus gibt es bei Puten und Masthühnern in Österreich keine Vorteile, stellt Vier Pfoten fest.

WIEN. Gemeinsam mit dem Konsumentenschutz der AK Oberösterreich zeigt die Tierschutzorganisation Vier Pfoten in einem Marktcheck die Haltungsbedingungen von Masthühnern und Puten in Österreich auf. Dabei wird deutlich, dass die Mindeststandards in Österreich im Vergleich mit dem EU-Ausland zwar besser, aber aus Tierschutzsicht nach wie vor viel zu schwach sind. Das gängigste der österreichischen Labels, das AMA-Gütesiegel, geht über die gesetzlichen Vorgaben kaum hinaus; mehr Tierwohl bieten Bio- und Tierwohl-Gütesiegel.
Fleisch aus dem Ausland
„Österreich bietet vor allem Puten mehr Platz als alle anderen EU-Länder. Denn bei der Pute gibt es in der EU überhaupt keine Mindeststandards, was wirklich eine Schande ist. Aber ansonsten werden auch bei uns sowohl bei der Pute als auch beim Masthuhn ganz wesentliche Tierwohlaspekte nicht berücksichtigt“, sagt Vier PfotenKampagnenleiterin Veronika Weissenböck. „Dazu kommt, dass wir vor allem über die Gastronomie und die verarbeiteten Produkte sehr viel Fleisch aus dem Ausland konsumieren. Das Argument, dass es bei uns ja ohnehin besser ist, gilt also leider wirklich nur sehr eingeschränkt; mangels Kennzeichnungspflicht bleibt das Tierwohl im Dunkeln.“
Bei einem durchschnittlichen Fleischkonsum von 62,6 kg im Jahr essen Herr und Frau Österreicher 9,3 kg Hühnerfleisch und 2,6 kg Putenfleisch, die Tendenz ist aber steigend. Der Selbstversorgungsgrad in Österreich bei Hühnerfleisch liegt bei 83%, bei Putenfleisch gerade einmal bei 42%.
Mehr Transparenz gefordert
Die Lösung für mehr Transparenz liegt für die Tierschutzorganisation in einer konsequenten Kennzeichnung von Haltungsstandards und Herkunft für alle Bereiche – vom Lebensmitteleinzelhandel bis zur Gastronomie. „Nur so können Konsumentinnen und Konsumenten wissen, was ihnen vorgesetzt wird und gute Entscheidungen treffen“, erklärt Weissenböck. (red)
Über die Gastronomie konsumieren wir sehr viel Fleisch aus dem Ausland. Mangels Kennzeichnungspflicht bleibt das Tierwohl im Dunkeln.
Veronika Weissenböck
Vier Pfoten
© privat