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Einstand im Krisenmodus Der neue Arbeitsminister Martin Kocher im Gespräch
from medianet 29.01.2021
by medianet
„Die Krise wird sich bis 2024 auswirken“
Der neue Arbeitsminister Martin Kocher übernimmt das Ressort in einer äußerst schwierigen Phase. Man darf gespannt sein.
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Weiterbildung
Kocher: „Es geht darum, jetzt in Aus- und Weiterbildungen, also in Qualifikation, zu investieren, um bei besserer Konjunktur ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte zu haben.“
••• Von Sabine Bretschneider
Mit Martin Kocher hat ein parteiloser, ausgewiesener Wirtschaftsexperte die Nachfolge der zurückgetretenen Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) übernommen. Kocher leitete seit September 2016 das Institut für Höhere Studien und übernimmt das Ressort in der größten Arbeitsmarktkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Mit medianet sprach er über seine Pläne.
medianet: Sie haben bei der Angelobung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag bekommen, Ihre Politik danach auszurichten, dass es zu keinen sozialen Verwerfungen in Österreich kommt. Wie interpretieren Sie diesen Auftrag? Martin Kocher: Diesen Auftrag kann man als Arbeitsminister nur dann erfüllen, wenn wir alles daransetzen, nach der Pandemie Beschäftigung zu schaffen. Dafür braucht es die Zusammenarbeit zwischen mehreren Ressorts. Der Auftrag des Bundespräsidenten ist aber natürlich auch in meinem Sinn. medianet: In der ‚ZIB2‘ meinten Sie kürzlich, sie würden langfristig ‚Vollbeschäftigung‘ anpeilen. In Österreich gilt eine Arbeitslosenquote von unter 3,5% als Vollbeschäftigung. Laut Arbeitsmarktservice belief sich die Arbeitslosenquote im Dezember 2020 in Österreich auf 11%. Wie realistisch ist also dieses Ziel? Kocher: Aktuell befinden wir uns mit rund 530.000 Arbeits
losen in einer besonders herausfordernden Situation für den Arbeitsmarkt und in der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Vollbeschäftigung ist wohl das Ziel eines jeden Arbeitsministers – und ein ambitioniertes Ziel, weil sich die Krise sicher noch einige Jahre auf die Beschäftigungssituation und den Standort auswirken wird.
Akut geht es jetzt um die Bewältigung der Krise und die Abfederung der Arbeitslosigkeit, danach darum, möglichst rasch Beschäftigung zu schaffen.
medianet: Pragmatisch betrachtet: Wie lange wird es dauern, bis wir bei der Arbeitslosigkeit das ohnehin hohe Vorkrisenniveau wieder erreichen? Kocher: Eine Prognose ist schwierig, weil die wirtschaftliche Entwicklung davon beeinflusst wird, wie lange die Gesundheitskrise noch dauert und inwiefern es uns gelingt, nach der Krise den Konsum anzukurbeln und am Arbeitsmarkt zu vermitteln. Aus Beschäftigungssicht hängt das von der Geschwindigkeit der Öffnungsschritte ab. Die wiederum können nur stattfinden, wenn sich die Infektionslage beruhigt. Laut
Aktuell befinden wir uns mit rund 530.000 Arbeitslosen (…) in der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
Martin Kocher
Arbeitsminister einer IHSPrognose wird sich die Krise am Arbeitsmarkt bis zum Jahr 2024 auswirken. Ziel ist es, davor schon das Vorkrisenniveau erreicht zu haben.
medianet: Der Finanzminister hat schon zu Beginn der Coronakrise betont: ‚Koste es, was es wolle.‘ Wird dieses Credo auch für die Belebung des Arbeitsmarkts gelten? Kocher: Es stimmt, dass sich die Krise im Beschäftigungsbudget widerspiegelt. Wir investieren sehr breit in die Kurzarbeit, aber auch 700 Millionen Euro in Weiterbildungs und Qualifizierungsprogramme im Rahmen der Joboffensive. Wichtig ist mir persönlich auch, dass wir spezifische Angebote für die unterschiedlichen Zielgruppen bereitstellen, die besonders stark betroffen sind. Auch das findet sich im Budget 2021 wieder.
medianet: Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Sie haben diese Forderung bereits in einigen Interviews abgelehnt, weil es dazu führe, ‚dass einige Leute zu lange warten, bis sie sich intensiv auf die Suche nach einem neuen Job machen‘. Andererseits gibt es etwa von Andrea Weber, Institut für Arbeitsmarkttheorie und politik an der WU, eine Studie aus 2017, die belegt, dass ein längerer Bezug des Arbeitslosengeldes die Arbeitslosigkeit zwar durchschnittlich geringfügig erhöht, die Betroffenen aber danach ein höheres Einkommen erzielen. Was sagen Sie zu diesem Ansatz? Kocher: Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes halte ich in der jetzigen Situation nicht für zielführend. In einer Krisenzeit wie der jetzigen ist es wichtig, in die akute Bewältigung der Krise zu investieren. Das tun wir auch, zum Beispiel mit zwei Einmalzahlungen für Arbeitslose und der Anhebung der Notstandshilfe auf Höhe des Arbeitslosengelds.
Ein Modell, worüber man diskutieren könnte, wäre das degressive Arbeitslosengeld, wonach die Entschädigung am Anfang höher ist und dann absinkt. Jetzt in der Krise das System zu ändern, wäre aus meiner Sicht nicht sachgerecht.
medianet: Für die Zeit nach der Pandemie wurde eine Joboffensive in Aussicht gestellt. Wie wird sie aussehen? Kocher: Die Joboffensive ist bereits am Laufen. Es geht darum, jetzt in Aus und Weiterbildungen, also in Qualifikation, zu investieren, um bei besserer Konjunktur ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte zu haben. Es besteht vor allem die Möglichkeit, sich in Branchen weiterzubilden, in denen dringend Arbeitskräfte gebraucht werden. Zum Beispiel gibt es viele geförderte Möglichkeiten, um sich in der Pflege oder im Digitalisierungsbereich weiterzubilden.
medianet: Sie gelten als Verfechter von Aus und Weiterbildungsprogrammen. Regierungsseitig wurde dafür Budget bereitgestellt. Planen Sie diesbezügliche Schwerpunkte? Kocher: Die Joboffensive hat ihre inhaltlichen Schwerpunkte in Branchen, in denen ein besonderer Arbeitskräftebedarf besteht, sowie in Zukunftsbranchen. Zum Beispiel werden 17.500 zusätzliche Ausbildungsplätze in Elektro und Digitalisierungsberufen geschaffen. Wir weiten aber auch das Ausbildungskontingent in der Nachhaltigkeitsbranche aus. Auch ein Schwerpunkt im Bereich Pflege ist vorgesehen.
medianet: Für Politiker gibt es die berühmte 100TageFrist. Was würden Sie gern Mitte April 2021 schon erledigt haben? Kocher: Ich hoffe, dass im April mit einer hohen Impfquote und den für diese Jahreszeit üblichen saisonalen Beschäftigungseinstiegen etwas Erholung am Arbeitsmarkt eingekehrt ist. Außerdem sollte es zu diesem Zeitpunkt schon neue Regeln für das Homeoffice geben, ebenso wie eine Lösung für die Fortsetzung der CoronaKurzarbeit.
HomeofficeRegelung und Kurzarbeitsverlängerung wurden kurz nach diesem Interview am Dienstag dieser Woche bereits umgesetzt. (Anm.)
Arbeitsplätze in den Zeiten von Corona
Wirkungsvolles Krisenmanagement nimmt wegen Covid-19 ab, die Arbeitnehmer fühlen sich immer weniger gehört.
Ängste
67% der First Level-Führungskräfte und 52% des mittleren Managements beschreiben sich als von der Krise persönlich belastet.
••• Von Paul Christian Jezek
WIEN. Die aktuelle Studie „Österreichs Unternehmen im Corona-Griff“ von Great Place to Work stimmt nachdenklich: Die andauernde Krisensituation hat mittlerweile folgenschwere Auswirkungen auf das gegenseitige Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. „Wer in den letzten Jahren seine Kultur-Aufgaben gemacht hat, kann auch in der Krise auf dem stabilen Fundament des Vertrauens aufbauen“, meint dazu Doris Palz, Managing Director von Great Place to Work. „Wenn alle im Unternehmen an dasselbe glauben, lässt sich auch eine unvorhersehbare Zukunft gestalten.“
Die Folgen der Krise zeigen sich bei Top-Führungskräften und dem Mittel-Management am stärksten ausgeprägt: 67% der First Level- Führungskräfte sowie 52% des mittleren Managements fühlen sich von der Krise persönlich belastet.
Orientierung dringend gesucht Bei einem Viertel der Führungskräfte des mittleren Managements geht das Belastungssymptom Hand in Hand mit der Sorge um Arbeitsplatzverlust. Ähnlich verbreitet ist mit 27% die Angst vor Jobverlust bei Menschen, die weniger als zwei Jahre in ihrer Firma tätig sind.
Die Unsicherheit der Führung zieht eine Verunsicherung bei Mitarbeitenden nach sich: Im Vergleich zur Great Place to Work Trend-Studie Juni 2020, als noch 57% der Befragten bestätigten, dass die Führungskräfte auch für ihre Ängste und Sorgen offene Ohren haben, erleben dies in der November Erhebung nur noch 41% der Befragten. Dieser Wert ist innerhalb von nur fünf Monaten um 16% gesunken.
Im Juni zeigten sich die Befragten gut informiert, was die Corona-Maßnahmen in ihrer Organisation betrifft. Knapp drei Viertel gaben demzufolge an, das Gefühl zu haben, stets auf dem Laufenden zu sein.
Die aktuellen Werte zeigen ein anderes Bild: Nur noch 57% der Befragten geben an, über die Maßnahmen der eigenen Organisation im Zusammenhang mit der Corona-Thematik gut informiert zu sein.
Befragt um die Vorbildwirkung der Führungskräfte, gaben im Juni 2020 immerhin 37% an, dass sie ihre Führungskräfte vorbildhaft wahrnehmen.
Die aktuelle Studie macht auch diesbezüglich nachdenklich: Lediglich 28% – also etwas mehr als ein Viertel der österreichischen Arbeitnehmer – stimmen der Aussage „Die oberen Führungskräfte leben die besten Eigenschaften unserer Organisation vor“ zu.
Waren im Juni 2020 noch beachtliche 42% davon überzeugt, dass sich aus der Coronakrise für ihr Unternehmen neue Chancen und Möglichkeiten ergeben und sie daher gestärkt aus der Krise gehen werden, sind es jetzt nur mehr 33%, die sich optimistisch zeigen – ein alarmierender Rückgang also um beinahe zehn Prozent.
Die wichtigsten Wünsche
Auf die Frage nach den drei Dingen, die sich im Unternehmen ändern sollen, haben 85% der Befragten geantwortet und folgende Top-Wünsche genannt:
Mit 16% aller Nennungen liegt die Sehnsucht nach klarer, kompetenter und empathischer Führung auf Platz 1. Danach folgt der Wunsch nach einer von Vertrauen geprägten Firmenkultur, in der gegenseitige Wertschätzung und Respekt gelebter Alltag sind (14%) – gleichauf mit Themen, die eine finanzielle Entschädigung beinhalten.
Homeoffice und dessen Ausstattung rangieren, gepaart mit dem Wunsch, auch weiterhin teilweise im Homeoffice arbeiten zu können, mit elf Prozent knapp dahinter.
© APA/Hans Klaus Techt
