Arp im Ohr - Band 1

Page 1

»Arp im Ohr« ist ein Projekt von ArpMuseum Bahnhof Rolandseck und Künstlerhaus Edenkoben der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur.

© 2017 Verlag Das Wunderhorn GmbH Rohrbacher Straße 18 D-69115 Heidelberg www.wunderhorn.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gestaltung & Satz: Leonard Keidel Druck: NINO Druck GmbH, Neustadt/Weinstraße ISBN: 978-3-88423-574-4


Arp im Ohr 1

Hans Thill (Hg.)

Wunderhorn | eine Reihe des Arp Museums Bahnhof Rolandseck


Hans Thill Vorwort »Ich habe mit Hans Arp nur selten gesprochen. […] Ich war noch sehr jung, als ich ihn in der Nähe seines Ateliers bei Locarno sah. An einem Wintermorgen, erinnere ich mich, schneite es. Er stand im Freien, direkt vor seinem Atelier […] Hier, in der südlichen Vorstadt von Locarno, gab es Gebäude, die Rossi an renommierte Künstler vermietete, Freunde wie Hans Richter, Italo Valenti und eben Arp. Hätte ich ihn anderswo gesehen, ich hätte ihn für einen Bürooder Bankangestellten, einen Arzt, einen Anwalt gehalten. Dies um zu sagen, wie elgeant er war, mit seiner perfekt bürgerlichen Ausstattung: Hut, Krawatte, Handschuhe, ein Spazierstock, auf dem er sich lässig abstützte. Ich erinnere mich, wie er seine Handschuhe auszog, sich bückte, eine Handvoll Schnee nahm, sie zu einem kompakten Ball formte, indem er seine gekrümmten Finger einpresste, die darin eine markante Spur hinterließen. Dann blinzelte er befriedigt und öffnete die Hand, besah sich mit kindlichem Staunen den Schnee, der eine plastische Form mit Ausbuchtungen und Höhlungen bildete, wo sich die Finger befunden hatten und ihre Zwischenräume. Er beschaute das mit einem lebendigen, erfreuten Blick; er lächelte, dann trat er in eines der Ateliers und befahl einem geschickten Bildhauer, der Rossi zur Hand ging, einem Italiener namens Meli, der genauer gesagt aus Bergamo stammte, ihm das in Gips zu modellieren […]«1 Soweit der Künstler Pierre Casè über eine Begegnung mit Jean Arp. Man kann seine Verblüffung verstehen: ein Künstler, der sich mit viel Fleiß und Ausdauer durch sei1  Arp et ses Amis, Katalog Chateau de Villneuve, Vence o.J. S. 12. Übersetzung HT

9


ne Materialien hindurcharbeitet, sieht den Avantgardisten Hans Arp mit gemischten Gefühlen, wenn er wie ein etwas eleganterer Charlie Chaplin mit Hut und Stock einfach so seine Skulptur aus dem Schweizer Schnee herausholt, um sich diese dann von einem anderen Künstler modellieren zu lassen. Auch als Dichter unter deutschen Kollegen glänzte Arp mit einer gewissen, allerdings ernsten, Nonchalance: In einer Sammlung poetologischer Statements, vom Herausgeber Walter Höllerer nach den Schwergewichten Pound und Benn und vor dem Leichtgewicht Schwitters positioniert, erhebt Arp seine klare Stimme, wenn er in aller Deutlichkeit sein Vorgehen als junger Dichter schildert: »Ich füllte Seiten um Seiten mit ungewöhnlichen Wortverbindungen und bildete ungebräuchliche Verben aus Substantiven. Ich gestaltete bekannte Verse um und deklamierte sie mit Hingebung und gehobenem Herzen ohne Un10

terlaß, fort und fort, als sollte es kein Ende nehmen: Sterne sterne manchen Stern, daß zum Zwecke Sterne sternen«2 Die Teilnehmer des Projekts »Arp im Ohr« können sich also Arp ganz nah fühlen, wenn sie Motive, Zitate von ihm aufnehmen, etwa um sie zum Gedicht zu erweitern. Freilich und paradoxer Weise entsteht eine Arbeit, die sich Arp verdankt, doch gewiß mit etwas mehr Schweiß als wenn man eigenen Wegen folgt. Dieses Eigene im Fremden und Fremde im Eigenen ist ein interessantes Spiel. Es ist mehr als ein Spiel. Wenn man unter Einfluß arbeitet, lernt man sich selber kennen. Alle Beiträge zu diesem Band verpflichten sich auf den ersten Blick zu persönlicher Zurückhaltung. Um dann aber in der Auslegung, Präsentation und Erweiterung des Themas Arp zu sich selber zu finden. Das geht, wie gesagt, nicht ohne Mühen. Arne Rautenberg hat hierfür ein schönes Bild gefunden: als »ewiger 2  Walter Höllerer (Hg.), Theorie der Modernen Lyrik, Reinbeck, Rowohlt 1965, S. 210


Treppenläufer im Turm zu Babel« befindet er sich weit entfernt von der oben skizzierten Winterszene bei Locarno. In den zurückliegenden 8 Jahren von »Arp im Ohr« hat das Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Kooperation mit dem Künstlerhaus Edenkoben prominente Autorinnen und Autoren eingeladen, sich zu Arp etwas einfallen zu lassen. Die Pallette der Darbietungen war groß, denn jeder war frei in der Wahl von Thema und Form, soweit es nur eine eigenständige Annäherung an Arp war. Die Mischung der Ansätze und Generationen war Absicht, allerdings wurden die Organisatoren erst im Fortgang der Reihe gewahr, welch mannigfachen Einfluß Hans und Sophie Taeuber Arp noch auf zeitgenössische Autoren ausüben, nachzuvollziehen in der vorliegenden Anthologie. Die unterschiedlichsten Formen der Vergegenwärtigung wurden gewählt, vom autobiographischen Essay (Arne Rautenberg, Eugen Gomringer), über die kommentierte Rezitation (Nora Gomringer), über die poetische Erweiterung in der Tradition Johan Fischarts (Franz Mon, Ulf Stolterfoht, Hans Thill, Zsuzsanna Gahse), bis zum biographischen Essay über Sophie Taeuber-Arp (Ursula Krechel), die man beim Markennamen Arp nicht vergessen sollte. Weshalb auch Sophie-Taeuber ein echter Arp ist, kann man in diesem sehr persönlichen Essay verfolgen. In diesem Buch sind also alle Beiträge der Reihe »Arp im Ohr« versammelt, vorgetragen an je einem Abend im Arp Museum Bahnhof Rolandseck »mit Hingebung und gehobenem Herzen«. Aufgrund einer erneuerten Kooperation der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur mit dem Arp Museum Bahnhof Rolandseck wurde ein Stipendium gleichen Namens geschaffen, das einen dreimonatigen Aufenthalt in seiner Nähe ermöglicht. So reißt der Faden nicht ab. Weitere Anthologien werden folgen.

11



Arne Rautenberg Abgehoben, erdverbunden

Dada fĂźllt den Hohlraum mit SchĂśnheit und Gelächter – arne rautenberg die didi die didi diderot didi diderot didi die didi die didi dieter roth didi dieter roth didi die didi die diderot died dieter roth died so two didis died two didis died first died didi diderot than died didi dieter roth so two didis died two didis died die didi die die didi die die didi diderot die die didi dieter roth die

13


so two didis died two didis died diderot died and dieter roth died too Gestern noch war ich ein normaler Teenager, meine Gedanken waren erfüllt von schulfreier Zeit, dem Höhenflug des HSV , dem Beobachten von Sumpfvögeln vor unserer Reihenhaustür; ich sammelte Fossilien, Briefmarken, angelte Hechte, las die BRAVO , hörte Kiss und AC/DC ; 1980 erstickte Bon Scott an seiner eigenen Kotze, ich hängte mir das Bon Scott-Abschiedsposter aus der Pop/Rocky an die Zimmertür und heute? Heute spürte ich, dass etwas Neues in mir keimte, ja, vielleicht segelte mich eine Art Sehnsucht nach Autonomie an, schließlich hatte die Schulwelt ihre Daumenschrauben abermals angezogen und ich war ein schlechter Schüler, dem eben grad das Mitlaufen gelang. 14

Ich war 14, einer der Schlusohren der Mittelstufe, faul und irgendwie immer hinterher. Jedenfalls kratzte ich mein Spargeld zusammen, radelte zum nahe gelegenen Großmarkt und kaufte mir auf eigene Faust einen tragbaren Schwarzweißfernseher. Den schweren Karton schob ich stolz wie ein Triumphator auf dem Gepäckträger meines Damenrades in unsere Reihenhaussiedlung. Meine Eltern rasteten aus: »Den bringst du morgen zurück!« hieß es mit vielen Ausrufezeichen; doch da ich den Fernseher nun schon mal ausgepackt hatte, beschloss ich, wenigstens den einen Abend in meinem Zimmer der Souveränität zu frönen, bevor ich das Gerät anderntags wieder abgeben und mich ins familiär-patriachale Dreiprogrammfernsehen zurückfügen musste. Ich sah im ZDF den Spätfilm »Vincent van Gogh – ein Leben in Leidenschaft« mit Kirk Douglas und Anthony Quinn. Die vom Schauspieler Douglas mit Verve ausgefüllte Figur des van Gogh, diese leidende Künstlerkreatur, schlug


mich sofort in ihren Bann – dass etwas im Menschen stecken konnte, das raus wollte, ja, raus musste, und dass dieser Drang im Dienst einer höheren Sache lag, die niemand verstand, für die man aber bereit war, alles hinzugeben, schlichtweg, weil sie einen erfüllte – war eine so große Verheißung für mich, dass sie einen Schalter in mir umzulegen verstand. Am nächsten Tag brachte ich den Fernseher zurück in den Laden, kramte meine Buntstifte heraus und begann so frei es mir möglich war, mit heiligem Ernst zu zeichnen. Ich spreche nicht vom Ab- oder Nachzeichnen, nein, ich versuchte aus meiner Vorstellung heraus etwas aufs Papier zu bringen. Zudem wechselte ich das Regal in unserer Gemeindebücherei: von den Krimis zum Kunstregal. Fortan würde ich die nächsten zehn Jahre ausschließlich Kunstbücher lesen. Van Gogh, natürlich. Doch es dauerte nicht lange, da bewegte ich mich von van Gogh ausgehend, lesend und betrachtend weiter in die Moderne hinein: Picasso selbstverständlich, Kubismus, dann die erste Boygroup der Moderne, die Futuristen. Sie gefielen mir, denn sie waren laut, wild und malten spektakuläre Bilder (etwa Ballas »Hundeleine in Bewegung«) – ein Aufruhr von explodierender Dynamik, zugleich auch ein Rausch an Vitalität, – brechende Farben, springende Syntax – irgendetwas war so passend verschoben, dass es sich viel richtiger anfühlte als im vorherigen An-Ort-und-Stelle-System – ich schlug das Wort »Synästhesie« im Wörterbuch nach … jedenfalls dauerte es nicht lange, ich war vielleicht 16 Jahre alt, bis ich bei DADA ankam – und ich merkte sofort die Wirkungstreffer, die von dieser Kunstrichtung auf mich ausgingen. Der Künstler Christian Schad (heute vor allem als bedeutender neusachlicher Maler im kollektiven Gedächtnis) sagte: »Unbelastet von allem zu sein, war die Größe von Dada.« Und vielleicht war es mein Glück, dass ich eine gute Einzelkindheit hatte und, ohne es recht zu merken, das

15


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.