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Aus dem Leben

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Im Fokus

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HÖHERE ÜBERLEBENSRATE ALS FRÜHER Es sind viele kleine Bausteine, mit denen in den letzten Jahrzehnten Fortschritte betreffend Behandlungsmöglichkeiten gemacht wurden. Vor allem Verbesserungen bezüglich der Erstversorgung und der Betreuung erhöhen heute die Überlebensrate deutlich. «So können wir die Kinder meist nach spätestens 48 Stunden extubieren – während sie früher viele Wochen beatmet wurden – und sie mit anderen Massnahmen beim selbständigen Atmen unterstützen. Zudem bekommen sie ab dem ersten Tag Nahrung in Form von Muttermilch oder gespendete Frauenmilch über eine Sonde», sagt Birkenmaier. Auch, dass die Eltern 24/7 bei ihren Kindern sein und die Kängurupflege anwenden könnten, trage zu einer guten Entwicklung der Frühchen bei. Letztlich sei es immer ein Abwägen der individuellen Situation und das Treffen guter, für die Eltern tragbarer Entscheidungen. Ein gesundes Baby mit nach Hause zu nehmen: Dieser Wunsch geht für immer mehr Eltern von Frühgeborenen dank der medizinischen Entwicklung in Erfüllung.

Frühgeburt – zarte Fussspuren im Leben

Wenn Babys das Licht der Welt erblicken, ist das für die Eltern oft der schönste Moment ihres Lebens. Doch was ist, wenn sie zu früh kommen und der Kampf ums Überleben zum Spiessrutenlauf wird? André Birkenmaier ist leitender Arzt auf der Neonatologie im Kinderspital St. Gallen und erzählt von Frühchen und ihrer emotionalen Reise ins Leben.

Im Laufe des Lebens durchläuft ein Mensch Meilensteine: die ersten Schritte, das erste Wort, der Schuleintritt. Doch die erste grosse Hürde ist wohl die Geburt, die gemeistert werden muss – ein Wunder der Natur. Für die einen ein schönes Erlebnis, für die anderen ein traumatischer Start in einen Kampf, den sie nicht vorbereiten konnten. Es geht um Rückschläge, Ängste und Verluste, und manchmal auch um die Auseinandersetzung mit dem Tod oder dann um Höhenflüge, Hoffnung und Wunder. Es geht um das Überleben des zu früh geborenen Babys. Etwa 400 Früh- und Neugeborene – darunter etwa 100 Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm – werden in der Neonatologie des Kinderspitals in St. Gallen behandelt. «Von einer Frühgeburt sprechen wir, wenn das Kind vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt», sagt André Birkenmaier, leitender Arzt der Neonatologie und der Intensivstation des Kinderspitals in St. Gallen. «In der Schweiz ist das in fünf bis zehn Prozent aller Schwangerschaften der Fall», ergänzt er. Die häufigsten Gründe hierfür sind: Infektionen, Blutdruckprobleme oder Fehlbildungen des Kindes. Aber auch bei Mehrlingsschwangerschaften besteht dieses Risiko. «Wir bezeichnen Babys, die vor der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen als Extrem-Frühgeborene», erklärt André Birkenmaier. Diese haben auch heute noch ein hohes Risiko für eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Beeinträchtigung.

DIE CHANCE AUF EIN LEBEN «Droht eine Frühgeburt, so führen wir als Neonatologen gemeinsam mit den Kollegen der Geburtshilfe ein Pränatalgespräch mit den Eltern», erzählt Birkenmaier. Das Ziel sei, die Eltern auf die folgenden, teilweise schweren Wochen auf der Intensivstation vorzubereiten, mögliche Risiken mit ihnen zu besprechen, aber auch herauszuhören, wie die werdenden Eltern zu möglichen Komplikationen stehen. Dabei sei es schwierig, den Eltern eindeutige Vorhersagen zu machen. Fest stehe nur, dass mit jeder Woche, die ein Kind zu früh geboren wird, die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung steigt. «Ab der 24 Schwangerschaftswoche beginnen wir aktiv vorzugehen und ums Überleben des Neugeborenen zu kämpfen. Kommt es früher zur Welt, zählt der ausdrückliche Wunsch der Eltern oder der Lebenswille des Babys», so der Arzt.

HOFFNUNG AUF EIN LEBEN Frühgeborene hätten häufig mit Lungenproblemen zu kämpfen, da die Lunge das schwächste Organ sei. «Die Lunge durchläuft den grössten Wandel vom Mutterleib hinaus ins echte Leben, wo sie alleine funktionieren und ganz anders arbeiten muss», erklärt André Birkenmaier. Extrem-Frühgeborene werden unmittelbar nach der Geburt praktisch immer für einige Tage beatmet. «Gelingt es, sie in den folgenden Wochen vor Infektionen zu schützen, haben die Kinder gute Chancen, dass sich dieses Organ normal entwickelt», so André Birkenmaier. Je nach Schwangerschaftswoche können die Neugeborenen auch Schwierigkeiten mit der Verdauung, eine Sehschwäche bis hin zu motorischen und intellektuellen Behinderungen haben. «Grosse Sorgen bereitet uns als Ärzten und den Eltern das Risiko einer Hirnblutung, an der Frühgeborene versterben können oder aber überleben und unter Umständen eine schwere Behinderung davontragen. Das Risiko hierfür ist in den ersten Tagen am grössten», erklärt André Birkenmaier. Ob das Kind jemals ein selbständiges Leben führen kann, ob es die Schule besuchen oder eine Ausbildung machen kann – Fragen, auf die Eltern keine Antwort bekommen. Zu gross ist die individuelle Ausprägung, aber auch das Erholungspotenzial. Die Frage, wie viel eine Familie aushalten und mittragen kann, sei ein zentraler Faktor bei Entscheidungen. Doch André Birkenmaier hat Hoffnung.

Jana Berisha

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