Programmheft »Der Rosenkavalier«

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DER ROSENKAVALIER Richard Strauss


Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie, in meinen Schläfen fließt sie. Und zwischen mir und dir, da fließt sie wieder. Lautlos, wie eine Sanduhr. Marschallin, 1. Aufzug

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INHALT

Die Handlung

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Synopsis in English

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Über dieses Programmbuch

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Ungeschriebenes Nachwort zum Rosenkavalier → Hugo von Hofmannsthal

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Von der Menschlichkeit des Rosenkavaliers → Philippe Jordan

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Jede Komödie enthält tragische und lyrische Momente → Interview mit Otto Schenk

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Anmerkungen zu Hugo von Hofmannsthal → Markus Siber

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Briefe und Eintragungen zur Entstehung

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Strauss komponiert mit Haut und Haar → Oliver Láng

38

Die Keuschheitskommission → Andreas Láng

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Die Musik ist unendlich liebevoll → Thomas Leibnitz

46

Die Figuren im Rosenkavalier → Oliver Láng

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Alfred Roller und Der Rosenkavalier → Evan Baker

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Eine Morgengabe für den Nachfolger → Andreas Láng

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Der Kreis des Rosenkavaliers → KS Christa Ludwig

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Ein Gespräch zwischen Freud und Hofmannsthal → Norbert Abels 3

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DER ROSENKAVALIER → Komödie für Musik in drei Akten Musik Richard Strauss Text Hugo von Hofmannsthal

Orchesterbesetzung 2 Flöten, 1 Piccoloflöte, 2 Oboen, 1 Englischhorn, 2 Klarinetten, 1 Es-Klarinette, 1 Bassklarinette, 2 Fagotte, 1 Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Tuba, Pauken, Schlagwerk, 1 Celesta, 2 Harfen, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Bühnenmusik 1 Flöte, 1 Oboe, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 1 Trompete, Klavier, 1 kleine Glocke, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass Spieldauer 4 Stunden 15 Minuten (inkl. zwei Pausen) Autograf Österreichische Nationalbibliothek, Wien Uraufführung 26. Jänner 1911, Königliches Opernhaus Dresden Erstaufführung im Haus am Ring 8. April 1911




DIE HANDLUNG Den sonnigen Morgen, nützen die Marschallin und Octavian, ihr Geliebter, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Man nimmt die Frühstücksschokolade ein, als ein plötzliches Lärmen aus dem Vorraum dringt. Die erschrockene Marschallin, die ein verfrühtes Heimkehren ihres Gemahls befürchtet, gewinnt die frühere Unbefangenheit wieder zurück, als sich der Ankommende als ihr Cousin Ochs auf Lerchenau herausstellt. Da eine Flucht unmöglich ist, verkleidet sich Octavian, der die Geliebte nicht kompromittieren möchte, eilig als Kammermädchen. In dieser Kostümierung sucht er das Schlafzimmer der Marschallin zu verlassen, als er mit dem eben eintretenden Baron Ochs zusammenstößt, der an dem Kammermädchen spontan Gefallen findet. Der eigentliche Grund des Besuches gilt der Ankündigung seiner bevorstehenden Vermählung mit der einzigen Tochter des reichen, erst kurz zuvor in den Adelsstand versetzten Herrn von Faninal. Was den Baron nicht hindert, ganz nebenbei auch dem vermeintlichen Kammermädchen Mariandl schöne Augen zu machen. Ochs bittet die Marschallin, einen geeigneten Brautwerber zu suchen, der nach »hochadeliger Gepflogenheit« der Braut eine silberne Rose überreichen soll. Sie nennt ihm den Grafen Octavian Rofrano als den Geeigneten und zeigt ihm dessen Medaillonporträt. Der Baron verwundert sich über die Ähnlichkeit des Grafen mit dem Kammermädchen und vermutet dahinter einen Ausrutscher des Vaters von Rofrano. Als Octavian die im Vorraum wartenden Antichambrierer zum Einlass holen soll, gelingt ihm endlich die Flucht vor dem liebeshungrigen Baron. Eine bunte Gesellschaft – u.a. das intrigante Pärchen Valzacchi und Annina, das dem Baron Kupplerdienste anbietet – nimmt Besitz von dem Raum. Ochs übergibt der Marschallin die silberne Rose mit der Bitte, sie dem Grafen Rofrano weiterzureichen. Von dem zunehmenden Tumult im Raum gereizt, entlässt die Fürstin die Morgengesellschaft, um allein ihren – an diesem Morgen wehmütigen – Gedanken nachzuhängen. Der unerwartet zurückkehrende Geliebte wird von der Fürstin mit der Bemerkung fortgeschickt, dass er sie ohnehin binnen Kurzem einer Jüngeren wegen verlassen werde. Trotzig eilt Octavian davon. Als die Marschallin bemerkt, dass sie vergessen hat, den Geliebten zum Abschied zu küssen, schickt sie ihm eilig die Dienerschaft nach, die ihn aber nicht mehr erreicht. Herr von Faninal, glücklicher und stolzer Brautvater, verabschiedet sich feierlich von seiner Tochter Sophie, um ihr den »Herrn Zukünftigen« zuführen zu können. In der Zwischenzeit soll die Braut den Rosenkavalier erwarten. DIE H A N DLU NG

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Ganz in Silber und Weiß gekleidet, erscheint – die silberne Rose in Händen – Octavian. Schüchtern nähert er sich Sophie, die vor Aufregung ganz blass geworden ist. In einer angeregten Unterhaltung kommen die beiden jungen Leute einander näher, bis ihr zartes Gespräch durch das Erscheinen des Bräutigams und des Brautvaters unterbrochen wird. Sophie ist entsetzt über die schlechten Manieren des Bräutigams, der sich plumpe Vertraulichkeiten herausnimmt. Faninal zieht sich mit dem künftigen Schwiegersohn zur Unterzeichnung des Ehevertrages zurück. Die im allgemeinen Eifer allein Zurückgelassenen, Sophie und Octavian, gestehen einander die aufkeimende Liebe. Valzacchi und Annina, das immer zu Intrigen bereite Pärchen, haben das Liebesgestammel belauscht und rufen Bräutigam und Brautvater als Zeugen herbei. Ochs nimmt den Zwischenfall zunächst nicht ernst. Als Sophie zur Unterzeichnung des Ehekontraktes mehr gedrängt als gebeten wird, tritt Octavian mit gezogenem Degen dazwischen. Bei einer ungeschickten Bewegung wird Ochs leicht am Oberarm verwundet. Über sein polterndes Benehmen zutiefst entsetzt, erklärt Sophie ihrem Vater, dass sie den ihr zugedachten Bräutigam auf keinen Fall zum Gemahl nehmen werde. Dem durch die Ereignisse unbeirrt gebliebenen Baron Ochs wird von Annina ein Briefchen übermittelt, das ihm für den nächsten Abend ein zärtliches Beisammensein mit Mariandl in Aussicht stellt. Im Extrazimmer eines Gasthauses treffen Valzacchi, Annina und der Wirt Vorbereitungen für das galante Abenteuer des Barons mit Mariandl. Ochs betritt freudig erregt, Octavian-Mariandl am Arm, den Raum. Als Ochs versucht, Mariandls Mieder aufzuschnüren, und sich Stück für Stück seiner eigenen Kleider entledigt, tauchen einige versteckte Gestalten auf und beginnen einen Mummenschanz. Eine Dame in Schwarz, Annina, erscheint und bezeichnet Ochs als den Vater ihrer Kinder, die auch sogleich, laut »Papa! Papa!« rufend, in den Raum stürmen. Ochs reißt ein Fenster auf und ruft nach der Polizei. Von Octavian heimlich verständigt, finden sich binnen kurzem auch Sophie und Faninal ein. Faninal entsetzt sich über das Benehmen des künftigen Schwiegersohnes, als er erfährt, dass dieser dem herbeigerufenen Kommissär Mariandl als Fräulein von Faninal ausgegeben hat. Zuletzt erscheint über die Vermittlung des Barons die Marschallin, die alles für eine Farce erklärt. Ochs erkennt im Verlauf des folgenden Gesprächs, dass die Mariandl-Geschichte in der Not des Augenblicks entstanden war, und erlaubt sich der Fürstin gegenüber eindeutige Bemerkungen. Die Marschallin erinnert ihn an sein Kavalierswort und empfiehlt ihm, Wien schleunigst zu verlassen. Unter dem Gejohle der ihm folgenden Menschenmenge verlässt Ochs das Gasthaus. Verlegen bleiben Octavian und Sophie mit der Marschallin zurück. Als sie sich der neuen Neigung Octavians gewiss ist, führt sie ihn – ganz Herrin der Szene – der jüngeren Sophie zu und überantwortet das junge Paar seinem Schicksal. 5

DIE H A N DLU NG


SYNOPSIS

The Marschallin’s bedroom. The morning sunlight is gradually dispelling the memories of a night of love, and Count Octavian is just taking his leave of the Marschallin when a commotion outside heralds the arrival of an uninvited guest. lt can’t be the Marschallin’s husband because he is miles away shooting bears. It is a distant cousin of the Marschallin’s Baron Ochs auf Lerchenau, and he refuses to be put off by the Marschallin’s servants. Octavian had lost no time in making himself scarce, and now reappears dressed as a girl. The Marschallin tells Ochs it is her maid Mariandl, and Ochs, who is by no means fastidious in these matters, finds her bewitching. But for the time being he has more important matters to attend to: he is hoping to marry the daughter of the newly ennobled and wealthy nobleman von Faninal, and has come to ask the Marschallin to recommend him someone to act as the bearer of the silver rose which custom decrees a nobleman must send his bride. On a sudden impulse the Marschallin suggests Octavian. Now it is the Marschallin’s hour for receiving callers, and all sorts of people come crowding into her boudoir – people who have something to sell, people with a grievance, the usual intriguers, and a lawyer, who is promptly collared by Ochs. While the Marschallin is dressing and having her hair done, an Italian tenor performs. But after they have all gone she sinks into a reverie: she knows the way of the world and is well aware that one day she will lose Octavian. And when Octavian, now back in his own clothes, comes to take his leave she is still in pensive mood, but Octavian is too young to understand. He departs, and the Marschallin leaves her attempt to call him back till too late. So the silver rose has to be sent round to him. SY NOPSIS

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Noble von Faninal’s house is a hive of activity: the bearer of the silver rose is expected at any moment, to be followed later by Baron Ochs himself; a great honour for the nouveauriche Faninal, who hopes his daughter’s marriage will smooth his entrée into high society. For his daughter Sophie, very young and ingénue, it is the great day of her life. And when the radiant Octavian appears with the silver rose Sophie is treading an air, only to be brought down to earth with a bump by the arrival of the uncouth Ochs, who immediately puts himself out of court with his boorish innuendos. Of all this Ochs himself is blissfully unaware: it never occurs to him that what Sophie thinks is of any importance, let alone the pretentious Faninal. Left alone for a time, Octavian and Sophie realize that it is a case of love at first sight, but their tête-à-tête is brusquely interrupted by Valzacchi and Annina, a scheming pair in the Baron’s pay. Ochs is fetched, but at first makes light of the matter: it is only when Octavian manages to blurt out that Sophie refuses to marry Ochs for the simple reason that she doesn’t like him that Ochs is moved to draw his sword and in the ensuing fight receives a scratch an the arm from Octavian’s blade. Ochs makes a tremendous fuss, as if he were bleeding to death, but after being tended by his minions soon recovers his old self-confidence, especially when Annina brings him a note signed Mariandl suggesting a rendezvous at a local inn. Ochs falls headlong into the trapin waltz-time. On the instructions of Valzacchi and Annina, who have now gone over to Octavian because Ochs didn’t pay them, the staff of the local inn are busy preparing a private room for Ochs’ discomfiture. No sooner have their plans been given a final run-through than Ochs appears with Mariandl. In high spirits the conducts her to their table and wastes little time before getting down to some crude advances. Now the well-laid plans are brought into operation: weird faces pop up through trap doors and windows, and Annina appears in widow’s weeds with a bevy of children who dance round Ochs crying »Papa, Papa!« In desperation Ochs calls the police, but this only makes matters worse: what is Ochs doing here, asks the Commissioner, with Mariandl, who is under age? Ochs’ feeble excuses cut no ice with Faninal either. Meanwhile Mariandl takes the Commissioner aside and revals her identity. At last Ochs perceives the uncanny resemblance between Octavian and Mariandl, and when the arrival of the Marschallin puts an end to the questioning he understands a lot more beside. The best thing he can do is get away as quickly as possible. And now it is as the Marschallin said it would be: with dignity and magnanimity she gives Octavian up and slips out unnoticed by the radiantly happy Octavian and Sophie.

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SY NOPSIS


Rainer Maria Rilke → Aus: Die Sonette an Orpheus

XXVII Gibt es wirklich die Zeit, die zerstörende? Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg? Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende, wann vergewaltigts der Demiurg? Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche, wie das Schicksal uns wahr machen will? Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche, in den Wurzeln – später – still? Ach, das Gespenst des Vergänglichen, durch den arglos Empfänglichen geht es, als wär es ein Rauch. Als die, die wir sind, als die Treibenden, gelten wir doch bei bleibenden Kräften als göttlicher Brauch.


ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

Der Rosenkavalier, die zweite Zusammenarbeit Richard Strauss’ mit dem kongenialen Librettisten Hugo von Hofmannsthal, gehört zu den Marksteinen der europäischen Kulturgeschichte. Die Handlung spielt in einem (imaginierten) Wien in den ersten Jahren der Regierung Maria Theresias, beschwört also eine zur Entstehungszeit längst versunkene Epoche herauf, verknüpft diese jedoch geschickt mit der Atmosphäre der Zeit um 1900. Gleich zu Beginn des Programmbuches gibt uns Hugo von Hofmannsthal in seinem »ungeschriebenen Nachwort« eine poetische wie persönliche Annäherung an das Werk (Seite 10). Markus Siber wirft ab Seite 27 Schlaglichter auf die vielschichtige Gedankenwelt des Dichters, Librettisten und Mitbegründers der Salzburger Festspiele. Die komplexe und überaus fruchtbare, glücklicherweise auch gut dokumentierte Zusammenarbeit zwischen dem Dichter, dem Komponisten wie auch weiteren Mitwirkenden wird einerseits in Briefen (ab Seite 32), andererseits in einem Beitrag von Oliver Láng (ab Seite 38) nachgezeichnet. Philippe Jordan beschreibt in einem Essay ab Seite 14 nicht nur musikalischen Einflüsse auf das Werk und Aspekte der Aufführungstradition, sondern gibt auch spannende Einblicke in Charaktere der Oper, Thomas Leibnitz nähert sich ab Seite 46 den Besonderheiten der Strauss’schen Rosenkavalier-Musiksprache. Seine Arbeitsweise beschreibt Regisseur Otto Schenk, der 1968 die aktuelle Rosenkavalier-Inszenierung schuf und sie im Jahr 2010 noch einmal überarbeitete, ab Seite 20 in einem Interview und leuchtet zusätzlich in die Seelen der handelnden Figuren. Mit den Kunstgeschichte schreibenden Rosenkavalier-Bühnenbildern und -Kostümen Alfred Rollers setzte sich Evan Baker ab Seite 58 auseinander, Andreas Láng umreißt die lange Wiener Aufführungsgeschichte – bislang wurde der Rosenkavalier über 1000mal im Haus am Ring gegeben – ab Seite 66. Einen persönlichen Einblick in »ihre« Rosenkavalier-Welt schenkt KS Christa Ludwig ab Seite 72 und der Dramaturg und Kulturwissenschaftler Norbert Abels entwirft ab Seite 76 ein fiktives Gespräch auf der Raxalpe zwischen Hofmannsthal und Sigmund Freud. 9

Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH


Hugo von Hofmannsthal

UNGESCHRIEBENES NACHWORT ZUM » ROSENKAVALIER «

Ein Werk ist ein Ganzes und auch zweier Menschen Werk kann ein Ganzes werden. Vieles ist den Gleichzeitig-Lebenden gemeinsam, auch vom Eigensten. Fäden laufen hin und wieder, verwandte Elemente eilen zusammen. Wer sondert, wird Unrecht tun. Wer eines heraushebt, vergisst, dass unbemerkt immer das Ganze entklingt. Die Musik soll nicht vom Text gerissen werden, das Wort nicht vom belebten Bild. Für die Bühne ist dies gemacht, nicht für das Buch oder für den Einzelnen an seinem Klavier. Der Mensch ist unendlich, die Puppe ist eng begrenzt; zwischen Menschen fließt vieles herüber, hinüber, Puppen stehen scharf und reinlich gegeneinander. Die dramatische Figur ist immer zwischen beiden. Die Marschallin ist nicht für sich da und nicht der Ochs. Sie stehen gegeneinander und gehören doch zueinander, der Knabe Octavian ist dazwischen und verbindet sie. Sophie steht gegen die Marschallin, das Mädchen gegen die Frau und wieder tritt Octavian dazwischen und trennt sie und hält sie zusammen. Sophie ist recht innerlich bürgerlich, wie ihr Vater und so steht diese Gruppe gegen die Vornehmen, Großen, die sich vieles erlauben dürfen. Der Ochs, sei er wie er sei, ist immerhin noch eine Art von Edelmann; der Faninal und er bilden das Komplement zueinander, einer braucht den andern, nicht nur auf dieser Welt, sondern sozusagen auch im metaphysischen Sinn. Octavian zieht Sophie zu sich herüber – aber zieht er sie wirklich zu sich und auf immer? Das bleibt vielleicht im Zweifel. So stehen Gruppen gegen Gruppen, die Verbundenen sind getrennt, die Getrennten verbunden. Sie H UGO VON HOFM A N NST H A L

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gehören alle zueinander und was das Beste ist, liegt zwischen ihnen: es ist augenblicklich und ewig, und hier ist Raum für Musik. Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick. Die Sprache ist in keinem Buch zu finden, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart als man ahnt, und weder die Faninal, noch die Rofrano, noch die Lerchenau sind ausgestorben, nur ihre drei Livreen gehen heute nicht mehr in so prächtigen Farben. Von den Sitten und Gebräuchen sind diejenigen zumeist echt und überliefert, die man für erfunden halten würde und diejenigen erfunden, die echt erscheinen. Auch hier ist ein lebendiges Ganzes und man kann den Figuren ihre Redeweise nicht vom Mund reißen, denn sie ist zugleich mit ihnen geboren. Es ist gesprochene Sprache, mehr als sonst vielleicht auf dem Theater, aber sie will nicht für sich allein das Fluidum sein, von dem alles Leben in die Gestalten überströmt, sondern nur mit der Musik zusammen. Wo sie ihr zu widerstreben scheint, ist es vielleicht nicht ohne alle Absicht; wo sie sich ihr hingibt, geschieht es von innen heraus. Die Musik ist unendlich liebevoll und verbindet alles: ihr ist der Ochs nicht abscheulich – sie spürt, was hinter ihm ist, und sein Faunsgesicht und das Knabengesicht des Rofrano sind ihr nur wechselweise vorgebundene Masken, aus denen das gleiche Auge blickt – ihr ist die Trauer der Marschallin ebenso süßer Wohllaut wie Sophiens kindliche Freude, sie kennt nur ein Ziel: die Eintracht des Lebendigen sich ergießen zu lassen, allen Seelen zur Freude.

→ Nächste Seiten: Bühnenbildentwurf von Alfred Roller

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U NGE SCHR IEBEN E S NACH WORT Z UM »ROSEN K AVA LIER«


KOLUMN EN T IT EL

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KOLUMN EN T IT EL


Philippe Jordan

VON DER MENSCHLICHKEIT DES » ROSENKAVALIERS «

Von Hugo von Hofmannsthal ist die Anmerkung überliefert, dass im Rosenkavalier die Vereinigung von Text, Musik, Raum und Schauspiel einzigartig sei. Ihm ist ohne jeden Zweifel zuzustimmen. Wobei gleichzeitig festzuhalten ist, dass die Interpretinnen und Interpreten in gleichem Maße gefordert sind. Es ist eben nicht nur so, dass das Werk viel anbietet – es fordert ebenso viel. Für einen Rosenkavalier bedarf es eines breiten Wissens, das sich nicht so PHILIPPE JOR DA N

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einfach und schnell von heute auf morgen erwerben lässt, es braucht Jahre, um an diesem Werk zu wachsen, mit diesem Werk zu wachsen und in das Werk hineinzuwachsen. Wobei es ja gar nicht nur um die Musik geht. Für den Rosenkavalier braucht es einen weiten Blick, denn das Werk enthält unendlich viel: Das Spiel mit den Epochen, das in der imaginierten Zeit gespiegelte Zeitgenössische, die Atmosphäre, die Sprache, die Zitate, das gesamte Kompendium des Fühlens und Denkens der Jahrhundertwende. Und trotzdem muss man achtgeben, dass dieser Rosenkavalier, der in so vieler Hinsicht als Riesenapparat daherkommt (ein Erbe Wagners!), mit Leichtigkeit über das Meer gleitet und manövrierfähig bleibt. Der Rosenkavalier ist ja kein Tristan, keine Götterdämmerung, sondern im besten Sinne eine Operette, oder – um mit Strauss zu sprechen – wie eine Mozart-Oper. Und hier liegt eine der Besonderheiten dieses Werks: Natürlich, sie ist ein Stück des 20. Jahrhunderts, doch spielt sie in einem – erdachten – Rokoko und ist, wie die Autoren es ja hervorheben, mit Mozarts Le nozze di Figaro verwandt. Im Geiste muss der Rosenkavalier also ganz bei Mozart sein, und bei aller Komplexität soll die Musik klar und leicht klingen. Denn wir wissen, dass Mozart, das wird ab dem Rosenkavalier immer ausgeprägter und führt zu einer partiellen Ablösung von Richard Wagner, ein absoluter Bezugspunkt für Strauss war. Gleichzeitig, und das zeigt, wie sehr diese Oper ein Kind zweier Welten ist, kann und will der Rosenkavalier seine Beheimatung im Beginn des 20. Jahrhunderts nicht verleugnen. Die Verknüpfung mit seiner Zeit und ihren Strömungen ist offenbar, man spürt – vorhin sprach ich von der Operette – selbst eine Verbindung zum Klang- und Spielraum eines Franz Lehár, etwa, was agogische Aspekte betrifft. Die Vielgestaltigkeit des Rosenkavaliers besteht auch darin, dass Strauss bei aller Rokoko-Nähe das Deftig-Derbe nicht verstecken wollte, wie er in einem Brief an den Dirigenten Willem Mengelberg explizit hinwies. Auch das gehört in diesen Kosmos und auch das will gezeigt und musiziert sein – solange man nicht ins Vulgäre abgleitet. Hier müssen die Interpretierenden die feine Grenze erfühlen. Der Ochs zum Beispiel soll ja laut Strauss etwa 35 Jahre alt, ein – »sogar hübscher« – Don Juan vom Lande sein, der sich im Boudoir der Marschallin zumindest halbwegs manierlich benehmen kann. Man muss also darauf achten, dass der jeweilige Sänger die Partie nicht zu vulgär singt – die Musik zeichnet die Figur ja ohnedies ausreichend derb. Und da sind wir wieder ganz bei der Mozart’schen Einfachheit und Klarheit: Die Marschallin muss im 1. Akt vor jedem großen Dramatisieren bewahrt werden, vor der allzu tragischen Note. Strauss beschreibt das in einem Brief an Willi Schuh: Sie glaubt ja nicht, dass die Trennung von Octavian so bald passieren wird. Sondern: »Sie hat sich nur über den Friseur geärgert«, so Strauss. Und das betont er mit drei Rufzeichen. Ich liebe diesen Satz, weil er so viel erklärt. Kein großes Drama also, sondern einfach nur schlechte Laune. Wie gern verfallen Sängerinnen da ins Schleppen und wie gern fühlen 15

VON DER MENSCHLICHK EIT DE S »ROSEN K AVA LIERS«


wir Dirigenten uns verpflichtet, das auch noch zu verstärken. Es ist aber falsch. »Leichte, flüssige Zeitmaße«, schreibt Strauss. »Leichte, flüssige Zeitmaße«! Das bedeutet, dass im Rosenkavalier vieles nicht ganz so schwer genommen werden muss, das bedeutet weiters, dass man die Marschallin ruhig ein wenig vermenschlichen darf. Sie gilt ja als die große Philosophin unter den Strauss-Figuren – und unter diesem Eindruck wird ihr mitunter zu viel Pathos aufgebürdet. Ich sehe in ihr aber auch einen recht durchtriebenen Charakter und habe sogar einen Verdacht, was ihre Vergangenheit anbelangt: Im 3. Akt kennt sie den auftretenden Polizeikommissar von früher und spricht das auch an: »Dem Herrn Feldmarschall seinʼ brave Ordonnanz gewest?« – Ich glaube, die beiden hatten etwas miteinander und es handelt sich um den im 1. Akt angesprochenen einmaligen Fall, als sie von ihrem Ehemann ertappt wurde. Die doppeldeutig gemeinte »brave« Ordonnanz wurde daraufhin zum Vorstadt-Unterkommissarius degradiert. Also: Sie ist eine ganz menschliche Frau in ihren besten Jahren, die ihr Leben lebt – und keine kühle Statue. So wie der Feldmarschall im kroatischen Wald ja auch nicht nur Bären und Luchse jagt. Der große Moment der Marschallin ist für mich somit auch nicht das Monologische im 1. Akt, sondern das »So schnell hat Sie ihn gar so lieb?« am Ende der Oper, als sie Octavian für Sophie freigibt. Was übrigens auch von der Musik unterstrichen wird. Und genau das meint Hofmannsthal, wenn er von der Harmonie der Kontraste spricht: Das zutiefst Menschliche und das Faszinierend-Besondere treffen sich in manchen der Figuren auf fast unnachahmliche Weise. Verlassen wir die musikdramaturgische Ebene und kommen zu rein musiktechnischen Fragestellungen. Wir wissen, dass Richard Strauss als Kind mehrere Instrumente lernte. Doch wenn man seine Kompositionen betrachtet, scheint es fast, als ob er alle Instrumente beherrscht hätte – denn er schreibt für ausnahmslos jedes unglaublich gut. Zwar oftmals sehr schwierig, aber immer sehr gut. Ich kenne keinen anderen Komponisten, der das außer ihm in dieser Qualität gekonnt hätte. Man staunt. Natürlich, Berlioz, der eine Instrumentationsschule verfasste, war ein Meister, von dem Strauss viel gelernt hat, aber es hat bei Berlioz immer wieder den Aspekt des Experimentellen, er war einer, der Grenzen auslotete – und sie manchmal überschritt. Wagner wiederum hat die Beherrschung der Instrumentation nahezu bis zur Perfektion gebracht. Aber Strauss gelang es, sogar diese Meisterschaft noch weiterzuentwickeln. Wahrscheinlich war nicht einmal Gustav Mahler ganz auf dieser Höhe – aber das sind schon Vergleiche im Extrembereich. Dazu kommt, dass er – und das wird heute immer wieder ein wenig unterschätzt – ein großer und bedeutender Dirigent war. Vielleicht hat dieses Unterschätzen etwas damit zu tun hat, dass Straussʼ Dirigat weniger emotional wirkte als jenes von Gustav Mahler und es damit auch dem heutigen, allgemein üblichen Bild eines Dirigenten nicht ganz entspricht. Sein persönPHILIPPE JOR DA N

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licher, distanziert wirkender Zugang als musikalischer Leiter hatte allerdings sehr stark mit einem Pragmatismus zu tun: Dadurch, dass er als Komponist bereits alles durch seine Musik ausgedrückt hat, spürte er als Dirigent nicht den Drang, sich hier noch einmal zusätzlich artikulieren zu müssen. Nun haben wir das Glück, auf historische Aufnahmen von Strauss-Dirigaten, die einen Einblick in seine Musiksicht geben, zurückgreifen zu können. Zunächst irritiert unsere heutigen Ohren womöglich die schlechte Tonqualität, aber wenn man sich eingehört hat, sind sie in ihrer Aussagekraft ungemein spannend: Man erkennt aus ihnen zuallererst, dass er ein Dirigent mit einem großen, profunden Wissen um sein Handwerk war. Das zweite, was auffällt, sind die raschen, fließenden Tempi. Für meinen Geschmack ist da zwar manches bisweilen schon zu schnell, aber dieses hohe Tempo hat dennoch große Aussagekraft. Es steht nämlich im Gegensatz zu der Tendenz der letzten Jahrzehnte, in seinen Werken zwischendurch ausladend und langsam zu werden. Ein Beispiel: Ich habe mich in Elektra einmal in der Erkennungsszene des Orest »verloren«, also nach dem Schrei Elektras und dem »es rührt sich niemand«. Plötzlich merkte ich, dass ich schon fast doppelt so langsam war wie die eigentliche Metronom-Angabe. Jetzt muss man vielleicht nicht ganz so rasch dirigieren, wie Strauss es vorschrieb, aber – nach meinem Gefühl – mehr als zehn Striche unter der Metronom-Angabe sollte man nicht landen. Also, ganz generell: Umso älter ich werde, desto wichtiger werden für mich die eben genannten Aufnahmen – aber nicht nur jene von Strauss, sondern an sich der großen Meister der frühen und mittleren StraussInterpretations-Zeit, also von Clemens Krauss über Karl Böhm bis Joseph Keilberth und Rudolf Kempe. Denn ich bin der Meinung, dass eine Partitur nur ein Teil des Ganzen ist, der wichtigste zwar, aber eben nur ein Teil. Es kommen die Aufführungsgeschichte und die Tradition dazu, die man immer wieder befragen muss, um auf heute gültige, vielleicht auch neue Antworten zu kommen. Somit zähle ich zu den Dirigenten, die sich Aufnahmen gern anhören, aber nicht, um Dinge zu imitieren, sondern, um sie zu kennen und Rückschlüsse ziehen zu können. Wobei, in einer Sache kann ich Strauss freilich nicht vollkommen folgen, und zwar in seiner berühmt-berüchtigten, sehr entspannten Dirigiertechnik mit der linken Hand in der Westentasche. Diese stoische Reduktion würde heute von den Orchestern kaum mehr verstanden und akzeptiert werden. Wobei… Ich muss sagen, wenn man nicht übertreibt, dann kann man sich etwas von dieser Ruhe abschauen. Genauer: Vom Weglassen unnötiger Bewegungen zugunsten des wirklich Wesentlichen. Darin ist er, bis heute, für Generationen von Kapellmeistern ein Vorbild. Und das zu Recht! → Nächste Seiten: Louise Alder als Sophie und Daniela Sindram als Octavian, 2021

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VON DER MENSCHLICHK EIT DE S »ROSEN K AVA LIERS«




JEDE KOMÖDIE ENTHÄLT TRAGISCHE UND LYRISCHE MOMENTE Regisseur Otto Schenk im Gespräch mit Andreas und Oliver Láng

Die Premiere Ihrer Rosenkavalier-Produktion – 1968 – liegt nun Jahrzehnte zurück. Als Sie sich an die Arbeit zu der Wiederaufnahme machten – blickten Sie da ins damalige Regiebuch? Ich besitze gar kein Regiebuch. Nie gehabt. Denn gearbeitet habe ich immer nur an Menschen, mit Menschen. Alles, was ich bei einer Inszenierung erfinde, erfinde ich dank jener, mit denen ich arbeiten darf. Wobei der Rosenkavalier ein sehr »gegebenes« Werk ist. Vieles ist durch Musik und Text vorgezeichnet und braucht nur noch nachvollzogen werden. Es gibt ein Rokoko-Milieu, das vom Jugendstil patiniert ist; es gibt eine (erfundene) Sprache, die sehr realistisch bedient werden muss. Und es gibt die Momente, in denen die reine Schönheit regelrecht ausartet. In meinen fünf Inszenierungen dieser Oper habe ich immer versucht, diese Gegebenheiten zu erfüllen, es war nie meine Art, etwas Gegenteiliges zu erfinden – dieses Talent besitze ich nicht. Meine Sucht war es immer, in das Werk hineinzuhören, etwas herauszuhören, nicht etwas darüberzustülpen oder eine Fantasie wuchern zu lassen, die das Werk nur benützt. OTTO SCHENK

R EGIS SEU R OT TO SCHEN K IM GE SPR ÄCH

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Inwiefern nähern Sie sich generell einem Werk mit einem fertigen Konzept, wie viel entsteht während der Proben? Mein Konzept ist immer das jeweilige Stück. Zuallererst muss ich einen Ort haben, der es mir ermöglicht, die Geschichte zu erzählen. So stehen stets lange Gespräche mit dem Bühnenbildner am Anfang, denn es ist jedes Mal ein anderer Weg, der eingeschlagen werden muss. Bei einem Stück wie dem Rosenkavalier braucht es eine seltsame Genauigkeit, weil die Musik so genau ist. Andere Werke benötigen vielleicht nur einzelne Indizien, Andeutungen eines Ortes, hier aber muss auch das Detail stimmen. Und dann geht es an die Menschen – das ist die Hauptarbeit. Man muss alle Darsteller dazu bringen, dass alles, was sie tun, selbstverständlich wird. Obwohl – oder besser – weil Musik da ist! Denn wenn man liebt, wird alles zur Musik, es ist fast eine neue Sprache. Man hat dann das Gefühl, nicht mehr nur sprechen zu können, sondern alles singen zu müssen. Genau dieser Zustand ist auch Oper! Und wenn das aufgeht, wird man reich beschenkt! Wenn die Sänger, der Chor angesteckt werden, wenn Sängerinnen und Sänger zu einer Horde von Wirklichkeitsfanatikern werden, wenn einzelne Figuren und Persönlichkeiten auf der Bühne stehen, kurz: wenn alle vom Theaterbazillus angesteckt werden – dann ist das Wunder Oper entstanden! SCHENK

Und wieweit erhalten diese einzelnen Persönlichkeiten eigene Biografien? Wie viel Hintergrundinformationen zu diesen Figuren muss es geben? Ich bin ein Detaillist: eine Haltung, ein Gang, die Art, wie sich einer hinsetzt, alles verrät von seiner Biografie mehr, als ein Gerede von drei Stunden über das Thema, was er für ein Mensch ist und wo er herkommt. Einer, der in der Nase bohrt, wird keine gute Erziehung genossen haben – das muss man nicht ausführlich besprechen. Die Biografie vermittelt sich im Detail! Einmal wurde in einer Rezension kritisch angemerkt, dass es in einer meiner Inszenierungen »gemenschelt« hat. Menscheln, was heißt das überhaupt? Was sonst soll auf dem Theater passieren? Wenn der Kritiker damit gemeint hat, dass sich die Figuren wie Menschen benehmen, dann ist mir gelungen, was ich wollte… SCHENK

Ist der Rosenkavalier tatsächlich, wie im Untertitel gesagt, eine Komödie? Das ist geradezu eine Fachfrage, die man nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten kann. Jede große Komödie enthält tragische und lyrische Momente. Wenn man das Ende der Oper anschaut, dann geht die Sache für fast alle relativ gut aus, für die Marschallin allerdings mit SCHENK

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J EDE KOMÖDIE EN T H Ä LT T R AGISCHE U N D LY R ISCHE MOMEN T E


einem wehmütigen, wunderschönen, gigantischen Verzicht, den Richard Strauss in einem herrlichen Terzett auskomponiert hat. Es ist zuletzt ein Sieg der Jugend, der jungen Leidenschaft gegen eine reife Leidenschaft. Es liegt aber natürlich auch sehr viel Humor in diesem Werk, mitunter in einzelnen Details, etwa allein schon in der Namensgebung des Ochs, dessen Geilerei am Ende ja bestraft wird: Ochs ist ja bekanntlich das Neutrum der Rinderfamilie… So etwas ist kein Zufall! Um beim Ochs zu bleiben: Worin unterscheidet sich seine Zuneigung zur jüngeren Sophie von jener der Marschallin zum jüngeren Octavian? Der Ochs geht nicht den Weg der Liebe, sondern den Weg der Geilheit. Ihm ist es fast wurscht, wen er da ins Bett kriegt. Die Heirat ist eine reine Geldangelegenheit, er nimmt das hübsche Mädl, das Schultern wie ein Henderl hat, als Zuwaage zu den zwölf Häusern. Die Marschallin bekommt ja Skrupel und Bedenken, weil sie eine Sekunde lang das Gefühl hat, sie begibt sich auf einen ähnlichen Weg, auf dem es nur um Erotik geht: und so schwört sie am Ende des ersten Aktes von der Erotik ab. Sie spürt einen üblen Wind aufkommen, ein Hautgout des Überschätzens der Sinnlichkeit und zweifelt an der Erlaubtheit ihres Ausflugs in eben diese Erotik. Sie ist ja die geistig Überlegene, an Octavian, den sie Bub nennt, kann sie nichts Geistiges lieben, an ihm liebt sie die Jugend. Wobei sie ja keine alte Frau ist, das wird oft falsch gesehen. Sie hat durchaus Erfahrungen, es ist nicht ihre erste Affäre, das verrät sie. Ich denke aber, dass Octavian der erste ist, der sie verlässt, die anderen hat sie hinausgeschmissen. SCHENK

Wird er der letzte sein? SCHENK

Das müssen Sie sie fragen. Aber sie würde es, glaube ich, auch nicht wissen. Sympathieträger ist jedenfalls die Marschallin. Woran liegt das eigentlich? Im Grunde hintergeht sie ja auch ihren Mann.

Man wundert sich, wie sehr dieses Werk vorausschauend eine Befreiung der Frau darstellt. Die Marschallin lässt sich durch das vermeintliche Sakrament einer Ehe, in die sie hineinkommandiert wurde, die Liebe nicht ausreden. Das ist freilich kein Freibrief für den Ehebruch im ersten Akt. Es ist jedoch ein Ehebruch, der aus Liebe passiert, im Gegensatz zu der verordneten und diktierten Ehe – ein erstaunliches Moment, das zu großen Verrissen geführt hat. SCHENK

R EGIS SEU R OT TO SCHEN K IM GE SPR ÄCH

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Von der Marschallin noch einmal zum Ochs: Wie unsympathisch darf oder muss er sein? Er ist ja kein böser Mensch. Er ist schwach und eine Renaissancefigur, ein Ausläufer aus einer anderen Zeit. Und er ist oversexed, vielleicht nicht so sehr in der Erfüllung, sondern eher im Wunsch: Er würde bei der Mariandl, auch wenn sie eine Frau wäre, wohl nichts zustande bringen. Weil er sich in einer Überreiztheit befindet und richtiggehend einen erotischen Schwächeanfall erleidet. SCHENK

Und Sophie? Die Frage ist ja immer, wie gescheit oder dumm die kleine Sophie ist. Vielleicht ist sie nur ungebildet, weil sie nicht erzogen wurde und direkt aus dem Kloster kommt? Sie findet ja sehr gescheite Worte der Liebe und spürt, was es mit der Marschallin auf sich hat, die etwas gibt und nimmt. Und sie hält in dem Liebesterzett wacker mit. Zumindest ist sie also herzensbegabt und probiert eine große dramatische und ihr kaum zuzutrauende Auflehnung gegen ihren Vater und den Ochs. SCHENK

Wird sie später zu einer Marschallin reifen? Das glaube ich nicht. Ob die Marschallin eine bürgerliche Herkunft hat, weiß man nicht, aber die Ehe mit dem Feldmarschall ist jedenfalls eine gänzlich andere als jene von Octavian und Sophie. SCHENK

Bei der Uraufführung wurde Richard Strauss kritisiert, dass er mit dem Rosenkavalier den Weg der Moderne verlassen hat. Ja, man sagte, dass er, nach Elektra, einen Verrat an der Moderne begangen hat und einen Schritt rückwärts gegangen ist. Das beweist aber nur, wie sehr die Kritiker damals auf ihren Ohren gesessen sind und nicht erkannt haben, wie differenziert und komplex diese Partitur ist, mindestens ebenso kompliziert wie jene von Salome oder Elektra. Der Rosenkavalier ist jedenfalls keine Simplifizierung oder Ver­volkstümlichung der Oper. Und das Publikum hat von Anfang an die Kritiker zurechtgewiesen! SCHENK

Das Interview entstand 2011

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Hugo von Hofmannsthal → Terzinen über Vergänglichkeit

I Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen: Wie kann das sein, dass diese nahen Tage Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen? Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt, Und viel zu grauenvoll, als dass man klage: Dass alles gleitet und vorüberrinnt. Und dass mein eignes Ich, durch nichts gehemmt, Herüberglitt aus einem kleinen Kind Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd. Dann: dass ich auch vor hundert Jahren war Und meine Ahnen, die im Totenhemd, Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar, So eins mit mir als wie mein eignes Haar. KOLUMN EN T IT EL

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III Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen, Und Träume schlagen so die Augen auf Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen, Aus deren Krone den blassgoldnen Lauf Der Vollmond anhebt durch die große Nacht. ... Nicht anders tauchen unsre Träume auf, Sind da und leben wie ein Kind, das lacht, Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht. Das Innerste ist offen ihrem Weben; Wie Geisterhände in versperrtem Raum Sind sie in uns und haben immer Leben. Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum. 25

KOLUMN EN T IT EL



Markus Siber

ANMERKUNGEN ZU HUGO VON HOFMANNSTHAL

← Martina Serafin als Marschallin, 2020

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Hugo von Hofmannsthal lebte und wirkte in einer Zeit, in der, zumal aus österreichischer Sicht, viel auf dem Spiel stand. Als er 1874 geboren wurde, lag die Ahnung vom Niedergang einer Epoche bereits untrügerisch in der Luft, als er 1929 starb, war deren Unwiederbringlichkeit längst Gewissheit, hatte Wien seinen Status als Zentrum eines Imperiums eingebüßt. Eine allgemeine Trägheit hatte im Wien der Jahrhundertwende um sich gegriffen, Müdigkeit saß einer zunehmend neurotischen Gesellschaft, die erst durch die Kriegsbegeisterung des Jahres 1914 aus ihrer Lethargie gerissen wurde, in den Knochen. Das Erbe der Vergangenheit ragte weit in die Gegenwart hinein, ja überlagerte diese, Heute und Gestern waren im Bewusstsein der Zeit nicht sauber auseinander zu halten. In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, dass Hofmannsthal für sich eine Art »planetarische Zeitgenossenschaft« in Anspruch nimmt und in seiner künstlerischen Vorstellung ein Sternensystem ersinnt, in dem unterschiedliche Zeitrechnungen aufeinander wirken. Auf einem entfernten Planeten könne, so Hofmannsthal, »ein längst Gewesenes heute gegenwärtig sein«. In seinem Buch der Freunde führt er das noch näher aus: »Es muss einen Stern geben, auf dem das vor einem Jahr Vergangene Gegenwart ist, auf einem das vor einem Jahrhundert Vergangene, auf einem die Zeit der Kreuzzüge und so fort, alles in einer lückenlosen Kette, so steht dann vor dem Auge der Ewigkeit alles nebeneinander wie die Blumen in einem Garten.« M A R K US SIBER


Dieser Ansatz führt direkt ins Zentrum von Hofmannsthals Schaffen und deutet seine Kraftanstrengung an, Disparates, das auf den ersten Blick zeitlich und räumlich auseinanderliegt, in einer großen Kultursynthese zusammenzuführen. Die unmittelbare Gegenwart des brüchigen Fin de Siècle muss Hofmannsthal als zu wenig tragfähig erscheinen, um den von ihm herbeigesehnten Fortbestand der bürgerlich-aristokratischen Kultur zu sichern. Deswegen greift er auf Ordnungen zurück, die sich seiner Ansicht nach in anderen Epochen bewährt haben, um sie wie Folien über die Gegenwart zu legen. Das feinsinnige Konstrukt des Rosenkavaliers, der in der Blütezeit der habsburgischen Kultur, in der Ära Maria Theresias, angesiedelt ist, ist ein schönes Beispiel für dieses ästhetische Unterfangen. Sowohl im Rosenkavalier als auch im Lustspiel Der Unbestechliche triumphieren die eheliche Liebe bzw. die Familie als höhere Ordnungen, in welche sich der Einzelne einzufügen hat. Hofmannsthals erste frühreife Dichtungen, mit denen er als Wunderkind in Wien Furore machte, sind maßgeblich von einer Flucht aus dem Hier und dem Jetzt geprägt. Das haben sie mit Werken anderer Schriftsteller seiner Zeit, vor allem Lyrikern, gemeinsam, die ihr Heil in einem wirklichkeitsfremden Ästhetizismus suchen. Seine Lyrischen Dramen der 1890er Jahre sind ein wichtiges Abbild der Krise der österreichischen Kultur. Darin artikulieren sich schwache, nervöse Ichs, die in schwärmerischer Reflexion aufgehen, denen aber die Kraft fehlt, zu handeln. Sie kümmern sich wenig um das »äußere«, das reale Leben, sondern konzentrieren sich auf ihre höchst diffizile Seele. Auch formal wirken die ersten Bühnenstücke zerfahren, lose Abfolgen introvertierter Selbstgespräche lassen es nicht nur an Dramatik ermangeln, sondern vereiteln auch einen Handlungsablauf im herkömmlichen Sinn. In seinem ersten Drama mit dem bezeichnenden Titel Gestern möchte sich der Genießer Andrea im Augenblick des Glücks vergessen, doch das ihn regelrecht lähmende Erbe einer als überkommen empfundenen Tradition sowie die eigene Vergangenheit bedrücken sein Bewusstsein. Es bleibt ihm nur die ernüchternde Erkenntnis: »Was einmal war, das lebt auch ewig fort!« Im Drama Der Tor und der Tod wird wiederum erstmals ein Thema angerissen, das Hofmannsthal – im Rückgriff auf die von ihm so geschätzten alten Mysterienspiele – lange beschäftigen sollte: die Beziehung zwischen Mensch und Tod. Der Tod lugt den früh gealterten Gestalten Hofmannsthals über die Schultern, er ist genauso präsent wie die dunklen Wolken der Habsburger Monarchie. Hofmannsthal bleibt, das ist nicht zu übersehen, in seinen Werken vielfach a-historisch. Claudio Magris bemerkte, dass die österreichische Kultur und Literatur in seinen Werken die größten Anstrengungen unternommen hätten, der Geschichte zu entfliehen. Schauplätze sind vielfach ein märchenhafter Orient, ein durchtriebenes farbenfrohes Venedig oder ein ewiges, zeitloses Wien. In einer Zeit allgemeiner Überkommenheit war es nur eine Frage der Zeit, bis eine der zentralsten menschlichen Konventionen, die Sprache, auf M A R K US SIBER

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ihre Adäquatheit abgeklopft wurde. In seinem berühmten fiktiven Brief lässt Hofmannsthal den ebenfalls fiktiven Lord Chandos sein Unvermögen artikulieren, mit dem bestehenden Vokabular inneren Empfindungen sinnvoll Ausdruck zu verleihen. Früher, bevor er als Dichter verstummt sei, hätte er in »einer Art von andauernder Trunkenheit« das ganze Dasein als große Einheit wahrgenommen, nun wäre diese Totalitätserfahrung für immer verloren: »Mein Fall ist in Kürze dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. (…) Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte ›Geist‹, ›Seele‹ oder ›Körper‹ nur auszusprechen«, denn »die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muss, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.« Die Beschäftigung mit den Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache führt Hofmannsthal auf Umwegen zur Musik. Obwohl er selbst keine musikalische Ausbildung genossen hat und mit einem, wie er an Strauss schreibt, fast »barbarischen Sinn« in Musik hineinhört, ist auffallend, dass kaum eines seiner Werke das Thema Musik auslässt. Schon der Achtzehnjährige ist sich dessen bewusst, indem er zu Protokoll gibt: »Musik ist das Wort, das in allen meinen geschriebenen Sachen am öftesten vorkommt.« Die Erkenntnis vom Ungenügen der Wort-Sprache gipfelt in der Feststellung, dass große Komponisten wie Beethoven eine »Sprache über der Sprache« gefunden haben. Sensibilisierung und Psychologisierung bringen es mit sich, dass Sprache nicht mehr ausreicht, um die feinsten Regungen des Gemüts einzufangen, jenen »Abgrund des Gemüts, den von allen Künsten nur die tönende ausmisst«. Einzig die Musik scheint dieser in die Tiefen des eigenen Ich versinkenden Generation Genüge zu leisten. Rückblickend auf die geistige Atmosphäre von 1892 notiert Hofmannsthal: »Zeitgeist: das Musikhafte.« Die Musik hat für die an die Grenzen ihrer Ausdrucksfähigkeit gelangten Dichter beinahe etwas Erlösendes, sie tritt an die Stelle des Unsagbaren. Als am Ende von Elektra die rasende Titelfigur in einem ekstatischen Tanz aufgeht, sind Worte nicht mehr adäquat. »Schweig’ und tanze«, ruft sie ihrer Schwester Chrysothemis zu. Und weiter: »Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: schweigen und tanzen!« Hofmannsthals Hinwendung zum Musiktheater wurde von vielen seiner dichterischen Mitstreiter als Verrat an der eigenen Sache aufgefasst. Die Sprache, um die man so mühsam gerungen hatte, in den Dienst der Musik zu stellen, musste auf den ersten Blick frevelhaft erscheinen. Man könnte seine Beschäftigung mit der Gattung Oper aber auch als einen Versuch werten, im Sinne seiner allumfassenden Kultursynthese Dichtung und Musik, die ja ein ganz wesentlicher Bestandteil des Österreichischen ist, auf höchster Ebene zu vereinen. Hofmannsthal betrachtet seinen mit Strauss eingeschlagenen Weg jedenfalls als notwendige Entwicklung, in seinen Reflexionen über die Gattung Oper kommt er immer wieder auf die Zusammenar 29

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beit von Mozart und Da Ponte zu sprechen, im Briefwechsel mit Strauss pflichtet er Goethe bei, der die Oper als »vielleicht die günstigste aller dramatischen Formen« bezeichnete. Der Erste Weltkrieg hat, wie der Historiker Josef Redlich 1915 festhielt, Hofmannsthal »merkwürdig beeinflusst«, er sei »Realist, Politiker geworden, er will Wirkung im Äußeren vollbringen«. Und tatsächlich beginnt der in seinem Frühwerk bewusst apolitische Dandy Hofmannsthal während des Ersten Weltkriegs ausgedehnte Vortragsreisen, während derer er für Österreich und die »österreichische Idee« Stimmung macht. Seine Absicht war es, den zerfallenden Vielvölkerstaat in seiner Einheit zu rechtfertigen, er vertrat das Bild eines Staates, der über den Staaten stünde, dessen ideelle Grundlage über jeder politischen Realität läge. In seiner Rede Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation aus dem Jahr 1927, in der er auch den vielfach kritisierten Begriff der »Konservativen Revolution« einführt, geht er noch weiter und plädiert für eine Deckungsgleichheit von geistiger und politischer Einheit. Ausgehend von der Literatur wollte er ein nationales Traditionsbewusstsein schaffen, das auch durch historische Umwälzungen nicht zerrissen werden könne. Hofmannsthals Terminologie erscheint aus heutiger Sicht im Detail fragwürdig und muss aus dem Kontext der damaligen Zeit gelesen werden. Im Wesentlichen laufen seine patriotischen Bemühungen für ein habsburgisches Mitteleuropa aber auf eine Verteidigung einer höheren, internationalen Kultur gegen den irrationalen Machthunger der nationalistischen Bestrebungen hinaus. Hofmannsthals Beitrag zur Gründung der Salzburger Festspiele ist ebenfalls ein betont patriotisches Unterfangen. Salzburg schien Hofmannsthal als Ort, an dem sich bayerische und österreichische Katholizität, aber auch Norden und Süden treffen. Salzburg wurde zum Zentrum für die Hoffnung, eine Erneuerung im österreichischen Sinne zu verwirklichen. Die Wiederbelebung der »alten Form« und der »alten Kunstübung« verbindet Hofmannsthal mit dem Anspruch auf Innovation, auf eine neue Universalität. Mit Salzburg sollte so etwas wie ein österreichisches Bayreuth, ein österreichisches Gesamtkunstwerk entstehen, das überzeitlich und gültig in einem ist.

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» Sie sind Da Ponte und Scribe in einer Person… « Richard Strauss zu Hugo von Hofmannsthal


Briefe und Eintragungen zur Entstehung des Rosenkavaliers

→ Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 11. Februar 1909 »Ich habe hier in drei ruhigen Nachmittagen ein komplettes, ganz frisches Szenar einer Spieloper gemacht, mit drastischer Komik in den Gestalten und Situationen, bunter und fast pantomimisch durchsichtiger Handlung, Gelegenheiten für Lyrik, Scherz, Humor und sogar für ein kleines Ballett. Ich finde das Szenarium reizend, und Graf Kessler, mit dem ich es durchsprach, ist entzückt davon. (…) Zeit: Wien unter Maria Theresia.« → Hugo von Hofmannsthal an seinen Vater 14. Februar 1909 »Noch wichtiger ist, dass Strauss ganz entzückt ist von dem Scenarium, das ich in Weimar mit Kessler (bis ins kleinste Detail) fertig gemacht habe.« → Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 16. April 1909 »Montag, den 19ten bin ich in Garmisch und hoffe bestimmt, meinen ersten Akt vorzufinden.« BR IEFE U N D EIN T R AGU NGEN Z U R EN TST EH U NG DE S »ROSEN K AVA LIERS«

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→ Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 19. April 1909 »Hier schicke ich indessen in Eile die erste Szene. Weiteres folgt schnellstens. Ich war indessen sehr fleißig im zweiten Akt, wo mir die Übergänge etc. viel Mühe machten und wollte mich nicht mit Diktieren von I aufhalten. Ich wünsche Ihnen II und womöglich III in absehbarer Zeit zu schicken, weil ich es für nützlich für Sie halte, wegen der Kontraste, dynamischer Verhältnisse zwischen den Akten usf., wenn Sie möglichst viel Überblick über das Ganze haben. (…)Wenn die Musik nirgends sehr verbreitert, dürfte jeder Akt 3/4 Stunden spielen. Das wäre ideal.« → Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 21. April 1909 »Ihre Briefe sowie die ersten Szenen dankend erhalten, erwarte mit Ungeduld die Fortsetzung. Die Szene ist reizend, wird sich komponieren wie Öl und Butterschmalz, ich brüte schon. Sie sind Da Ponte und Scribe in einer Person.« → Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 24. April 1909 »Ich plage mich gehörig mit der Komödie, besonders mit manchen Partien: das Zusammenkriegen fließender Übergänge, das Herauskriegen der Figuren bei einer nirgends stocken bleibenden Handlung, dies alles ist kein Kinderspiel, und sowohl Scribe als Da Ponte arbeitete vielleicht innerhalb einer simpleren Konvention.(…) Gar so »gut« zum Komponieren werden natürlich nicht alle Stellen sein wie diese erste rein Lyrische. Es werden auch spießige Stellen kommen, wenn auch, wie ich hoffe, keine einzige, bei der die Möglichkeit musikalischer Verwertung nicht stark bedacht ist… und die »guten« werden, glaub ich, überwiegen. Lassen Sie sich für den letzten Akt einen altmodischen, teils süßen, teils frechen Wiener Walzer einfallen, der den ganzen Akt durchweben muss.« → Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 12. Mai 1909 »Ihr Bedenken, die Arbeit könnte zu fein sein, macht mich nicht ängstlich. Der Gang der Handlung ist ja auch für das naivste Publikum simpel und verständlich: ein dicker, älterer, anmaßender Freier, vom Vater begünstigt, wird von einem hübschen jungen ausgestochen – das ist ja das non plus ultra an Einfachheit. Die Ausführung aber muss, glaub ich, so sein, wie sie ist, nämlich völlig abgehend vom Trivialen und Konventionellen, denn der wirkliche und dauernde Erfolg setzt sich zusammen aus der Wirkung auf die groben und feinen Elemente des Publikums, und die letztere schaffen das Prestige, ohne dass man ebenso verloren ist, wie ohne Populärwirkung.« → Hugo von Hofmannsthal an seinen Vater 8. Juni 1909 »Hier [in Garmisch] ist es sehr gemütlich. Strauss spielte mir gestern den I Act der ganz reizend ist und voll Melodien (hoffentlich sind sie nicht trivial, das kann ich nicht beurteilen.)« 33

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→ Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 12. Juni 1909 »Alles, was Sie mir aus der Oper vorgespielt haben, ist wirklich wunderschön und hat mir große, bleibende Freude gemacht. Ich habe indessen den 2. Akt nochmals durchgelesen, und bin absolut entschlossen, den Aktschluss, die letzten 5 Minuten des Aktes, energisch zu ändern. Drei stille Aktschlüsse sind unmöglich. Das könnte die Gesamtwirkung sogar gefährden.« → Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 26. Juni 1909 »Für den Schluss des dritten Aktes, das ausklingende Duett von Sophie und Octavian, habe ich eine sehr hübsche Melodie: Wär es Ihnen möglich, mir circa 12 bis 16 Verse zu schreiben in folgendem Rhythmus: Süße / Eintracht, du / holdes / Band, voll treuer / Liebe / Hand in / Hand fest ver / eint für / alle / Zeit fest ver / eint in / Ewig / keit Mir fällt gerade nichts Besseres ein, handelt sich nur um den Rhythmus. So ein recht populäres Vaudeville-Gedicht: etwa 3 Strophen, 12 Verse. Nach obigem Schema! Vielleicht fällt Ihnen was Hübsches ein.« → Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 10. Juli 1909 »Und nun noch eines: da Sie nun doch schon gründlich umarbeiten müssen, revidieren Sie, bitte, den ganzen Dialog zwischen Baron und Sophie nochmals. Ich finden denselben im Verhältnis zu allem Übrigen etwas erfindungsarm, matt, und habe das Gefühl, Ihr Geschmack und Talent könnten da noch etwas viel Geistreicheres und feiner geschliffenes schaffen. Dieser Dialog steht nicht auf der Höhe des 1. Aktes.« → Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 20. Juli 1909 »Lassen Sie sich bitte durch meine Kritik nicht entmutigen: ich kann nur nach mir urteilen, dem nichts so wohl bekommt, dessen Ehrgeiz und Schaffenskraft nichts so fördert und befruchtet, als eine abfällige Kritik eines, auf dessen Urteil man einigen Wert legt. Meine Kritik soll Sie stacheln, nicht entmutigen. Ich will das Beste aus Ihnen herausziehen. (...) Für die Werbeszene zwischen Baron und Sophie fällt Ihnen sicher bei der Überarbeitung noch was Besseres und Drastischeres ein. Ich kenne das, man ärgert sich, dass einem anderen was nicht gefällt, aber es wurmt einen doch so lange, bis man was Besseres gefunden hat.(…) Vergessen Sie nicht, dass das Publikum auch lachen sollte! Lachen, nicht lächeln und schmunzeln! Mir fehlt in unserem Werke bis jetzt eine wirklich komische Situation, es ist alles bloß heiter, nicht komisch!«

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→ Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 29. Juli 1909 Das ist das Glück von Lérchenau – geht natürlich nicht. Kennen Sie den bekannten Gassenhauer: »denn dort in Líndenau da ist der Himmel blau…« Auch die zweite Fassung: Ich háb halt já ein lerchenauisch Glück, gefällt mir nicht besonders. Wie wäre: »Nein, haben die von Lerchenau a Glück« Das ist allerdings ein wenig unpersönlich, man müsste eine Fassung finden, die sich noch direkter auf den Baron exemplifiziert. Oder: »Glück ham die von Lerchenau«. Oder: »Nein, so ein Glück wie der Lerchenau…« → Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 3. August 1909 »Alle von Ihnen vorgeschlagenen Zeilen passen ganz elend in die Sprechweise der Figur, die ihren eigenen, mehrfach abschattierten persönlichen Ton hat. Habe mit gutem Willen versucht, Ihre Zeilen (z.B. »Nein, so ein Glück wie ein Lerchenau«) in den Text einzusetzen, sie wirken halt ganz fremd, ganz aufgepickt, haben auch im Mund der Nachspotter nichts besonders Charakteristisches. Bestehen Sie sehr auf dieser kleinen Sache?« → Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal 9. August 1909 »Also nochmals: bravissimo für den 2. Akt, ganz ausgezeichnet.(…) Haben Sie die beiden Akte schon einen Fachmann: Schnitzler, Bahr etc. lesen lassen?« → Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 15. August 1909 »Die Duoszene, Quinquin – Marschallin im Akt I, Schluss, erscheint mir bei jedem Durchlesen schon im Text von gefährlicher Länge. (…) Übermäßiges Dehnen in der letzten Viertelstunde eines langen Aktes erscheint mir höchst gefährlich.« → Rainer Maria Rilke an Clara Rilke 2. März 1910 »Gestern zu einem ganzen Frühlingstag kam ich herüber und fand Weimar sehr schön. Abends, bei Kessler, las Hofmannsthal seine »Spieloper«, zu der Strauss Musik macht. Am meisten freute uns der erste Akt, der voll Laune und Einfall ist: das Lever einer Marschallin (unter Maria Theresia) mit allen Zuständen und Übergängen zwischen Intimität und Außenwelt.« → Richard Strauss an Alfred Roller 6. Mai 1910 »Mir gefällt der Rosenkavalier [als Titel] gar nicht, mir gefällt der Ochs. Aber was will man machen. Hofmannsthal liebt das Zarte, Ätherische, meine Frau befiehlt: Rosenkavalier. Also Rosenkavalier! Der Teufel hol ihn!«

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→ Arthur Schnitzler, Tagebucheintrag 29. November 1910 »Abends las Hugo den Rosenkavalier, Libretto zu einer neuen Strauss Oper vor.(…) In der Figur der Marschallin etwas vom Dichter Hofmannsthal; im Detail etwas von dem gebildeten ja gelehrten Culturmenschen. Das ganze inhaltlich dünn; ja banal; im erotischen die Übertreibungen des Unsinnlichen bis zur Roheit; der Humor dürr-grotesk; die Verse auffallend schlecht. Als Textbuch immerhin nicht ohne Vorzüge, was bei einem so unmusikalischen Menschen ein Beweis von Talent ist. – In den Zwischenakten, besonders bei Tisch wurde viel gelacht. Man ging in mäßiger Stimmung auseinander. Er bekam nichts übles zu hören: doch von Wohlwollen war keine Spur.« → Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss 14. August 1910 »Eine Anzahl kleiner, aber mich sehr störender anscheinend zufälliger Alterationen des Wienerischen (z.B. Therese statt Theres’, was im Munde Octavians ganz unmöglich) müssen womöglich im gesungenen Text, unbedingt aber im Textbuch getilgt werden. Ihnen scheinen diese Silben- und Buchstabenveränderungen gewiss minimal, für mich sind sie störend, wie es für Sie wäre, wenn man Ihnen in der Partitur Noten ändern würde.« → Hugo von Hofmannsthal an Ottonie Gräfin Degenfeld 30. Jänner 1911 »Die tiefste Freude ist das Werk selbst, dass es in so unglaublicher Weise ein Ganzes geworden ist, als ob es gar nicht von zwei Menschen wäre.« → Hugo von Hofmannsthal an seinen Vater 6. August 1911 »Strauss sagte mir, dass der Erfolg vom Rosencavalier den von Salome bei weitem übertreffe.«

→ KS Piotr Beczała als Sänger und Christian Herden als Flötist, 2020

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Oliver Láng

STRAUSS KOMPONIERT MIT HAUT UND HAAR

Die Entstehung des Rosenkavaliers


Sechs Opern entsprangen der kongenialen Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten Richard Strauss und dem Dichter Hugo von Hofmannsthal – neben dem Rosenkavalier waren es zuvor Elektra und später Ariadne auf Naxos, Die Frau ohne Schatten, Die ägyptische Helena und schließlich Arabella, jene Oper, deren Uraufführung der Dichter nicht mehr erleben sollte. Dass »der Anfang ohne Schwierigkeit« war, daran erinnerte sich Hofmannsthal 1927, also zwei Jahre vor seinem Tod, zurück. »Gesellig wie das Werk selbst war seine Entstehung. Das Szenarium ist wahrhaft im Gespräch entstanden, im Gespräch mit dem Freund, dem das Buch zugeeignet ist.« Der Freund, das war Harry Graf Kessler, eine faszinierende und hochgebildete Persönlichkeit, die mit Hofmannsthal eng verbunden war und deren Einfluss auf den Rosenkavalier kaum überschätzt werden kann. Hofmannsthal und Kessler ergänzten sich offenbar in einer idealtypischen Weise, wie Zweiterer später schilderte: »Hofmannsthal fehlt ganz genau das zu einem dramatischen Dichter, was ich besitze und umgekehrt. Hofmannsthal hat gar kein konstruktives Talent, er hat nur ein sehr geringes Talent sogar zur Auswicklung und dramatisch wirksamen Ordnung eines schon gegebenen Stoffes (…) Ist aber ein wirksames Scenario da, so kann er es in wunderbarer Weise lyrisch beleben, den Figuren und Situationen auf dem Weg über die Lyrik Leben einhauchen. Mir fehlt gerade diese Gabe wieder; ich kann nicht die Figuren zum Reden bringen, so dass die Stimme wie ihre Stimme klingt (…), aber ich kann und zwar in einer weit sichereren und klareren Weise als Hofmannsthal, eine dramatische Handlung erfinden und ordnen.« Jedenfalls: Man traf sich im Februar 1909, um an einem anderen Projekt zu arbeiten, und im Zuge der Zusammenkunft erzählte Kessler, dass er eine Operette, basierend auf JeanBaptiste Louvet de Couvrays Roman Les Aventures du Chevalier de Faublas, gesehen habe; man kam ins Gespräch, man spannte einen Handlungsfaden, man entwickelte Ideen – und schon war der spätere Rosenkavalier geboren. Wer hatte was zu dem Erstkonzept beigetragen? Das ist nicht mehr zu beantworten – und war später durchaus auch Grund für Unstimmigkeiten. Kessler an seine Schwester: »Hofmannsthal und ich haben gemeinsam das Szenario zu Richard Strauss’ neuer Oper verfasst, wir brauchten nur drei Tage zum Schreiben, und, obwohl ich zur Hälfte daran beteiligt bin, muss ich doch sagen, dass es entzückend ist. Strauss akzeptierte es augenblicklich in Berlin, und er wird es in Musik setzen, sobald Hofmannsthal die Rollen geschrieben hat. Das gemeinsame Schaffen war höchst unterhaltend. Wir arbeiteten jeden Tag drei oder vier Stunden, auf- und abgehend brachte jeder von uns seine Ideen abwechselnd ein, so dass es nun für jeden von uns unmöglich zu sagen wäre, wer der Autor dieses oder jenes Teils ist«. Unmittelbar nach dem Besuch beim Grafen verfasst Hofmannsthal einen Brief an Strauss, in dem er von der neuen Idee berichtet: »Ich habe hier in drei ruhigen Nachmittagen ein komplettes, ganz frisches Szenar einer Spieloper gemacht, mit dramatischer Komik in den Gestalten und Situationen, 39

OLI V ER LÁ NG


bunter und fast pantomimisch durchsichtiger Handlung, Gelegenheit für Lyrik, Scherz, Humor und sogar ein kleines Ballett. Ich finde das Szenarium reizend, und Graf Kessler, mit dem ich es durchsprach, ist entzückt davon. Zwei große Rollen, für einen Bariton und ein als Mann verkleidetes Mädchen à la Farrar oder Mary Garden. Zeit: Wien unter Maria Theresia.« Und schon in dieser frühen Phase sind die Figuren und Handlungselemente der späteren Oper klar erkennbar. Zitiert sei der zweite (sic) Akt des ersten Entwurfs vom 11. Februar 1909: »Schlafzimmer der Marquise. Liebesnacht. Morgen. Dank. Pourceaugnac gemeldet. Kommt. Faublas bleibt, im Travesti. Faublas so ähnlich: ja, alles natürliche Kinder von Adeligen. Friseur, Dienerschaft etc. imponieren Pourceaugnac. Dieser geht. Während Marquise frisiert wird, proponiert P. der Zofe ein Souper. P. geizig. (umständlich besprochen wo das Souper.) P. geht. Intrigant kommt und sagt wie es zu machen.« Der den Stoff inspirierende Roman Die Abenteuer des Chevalier Faublas wurde bereits genannt, auch Molières Monsieur de Pourceaugnac ist nicht zu verleugnen, weitere Inspirationsmomente und Stoffgeber waren Molières Le Bourgeois gentilhomme, Le Médecin malgré lui und George Dandin. Ebenso sind in diesem Zusammenhang das Gemälde von Pierre-Antoine Baudoin (1723– 1769) Le Coucher de la Mariée sowie Kupferstiche von William Hogarth (1697– 1764), etwa Signing the Marriage Contract oder The Toilette zu nennen. Die Arbeit schreitet voran: Einen Monat nach dem obengenannten Brief schreibt der Dichter an den Komponisten, er wolle ihm Teile des Librettos vorlesen: »Ich möchte Ihnen Anfang und Ende des 1. Aktes (die Mitte fehlt noch) bestimmt hier vorlesen, um mir über bestimmte Dinge klar zu werden. Das Szenarium ist ja ausgezeichnet, voll amüsanten fast pantomimischen Details – ich arbeite mit äußerste Knappheit hin, rechne auf Spielzeit von 2 1/2 Stunden, also die Hälfte der Meistersinger. Nur ob ich nicht in meiner Rücksichtslosigkeit gegen das konventionell Opernhafte zu weit gehe und mich, immer bestrebt den charakteristischen Ton zu halten, zu wenig dem Singbaren akkomodiere – das möchte ich von Ihnen erfahren und werde dann um so vergnügter weiterarbeiten.« Wieder einen Monat später kommt es zu der berühmten Aussage Richard Strauss’ in Garmisch, dass sich das bislang Übersandte »wie Öl und Butterschmalz« komponieren lasse. Auch ein anderes Bild findet Strauss im zeitlichen Umkreis: »Meine Arbeit fließt wie die Loisach – ich komponiere mit Haut und Haar.« Genau dokumentiert ist auch die weitere gemeinsame Arbeit an der Oper: Der umfangreiche Briefverkehr erlaubt einen spannenden Blick in die Werkstatt, zeigt die Genese des Meisterwerks in vielen Details. Auch die Schwierigkeiten – der zweite Akt in der ersten Gestalt kam Strauss zu flau vor – sind anhand der präzisen Schilderungen genau nachzuzeichnen. Ausführlich schreibt Richard Strauss etwa nieder, wie er sich den zweiten Aufzug vorstellt, um dann den Brief zu beenden: »Nun seien Sie nicht böse, dass ich Ihrem OLI V ER LÁ NG

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Pegasus also die Sporen ansetze: aber diese Oper muss prima werden und, wie gesagt, der II. Akt entspricht nicht dem, was ich von Ihnen mir erwarte und was Sie schaffen können.« Dieser direkte Stil des Umganges entsprach der Arbeitsweise der beiden Künstler auch in anderen Werken: Man hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg und zeigte sich durchaus kritisch und offensiv; nicht umsonst nannte Hofmannsthal diese Künstlerpartnerschaft in einer späteren Schrift ein »Unglück höherer Ordnung«. Auch mit Graf Kessler hält Hofmannsthal weiterhin Kontakt und diskutiert einzelne Details in größtmöglicher Genauigkeit: Charaktereigenschaften werden bewertet, geprüft und gewogen, einer Analyse unterzogen. Die Marschallin etwa erscheint Kessler zunächst zu ernst, nicht philosophisch, »nicht Voltairisch genug«, auch konkretisiert er seine Einschätzung des Ochs: »Ein solcher Kerl reflektiert nicht, dazu hat er keine Zeit; er genießt immerfort und denkt an den nächsten Genuss, nicht an den vorangegangenen. Lies doch mal was Schopenhauer über die Philister sagt, den Menschen, der immer nur Zwecke kennt, im Gegensatz zum Dichter, zum Philosophen, der betrachten kann. Ochs ist ein Zweckmensch, wenn seine Zwecke auch unmoralisch sind.« Noch 1909 kam die Frage nach dem Titel der Oper aufs Tapet, Richard Strauss wendet sich an seinen Dichter mit einem Vorschlag: Der Ochs von Lerchenau und die silberne Rose. Interessant in diesem Zusammenhang ist jedenfalls die Tatsache, dass in diesem Stadium der Arbeit für beide Autoren offenbar der Ochs die eigentliche Haupt- und Titelfigur des Werkes ist. Es ist wiederum Graf Kessler, der wenig später bei der Titelfindung den richtigen Weg weist: »Der Vetter vom Land gefällt mir nicht sehr, ich weiß nicht warum; aber er suggeriert Etwas Langweiliges, er klingt altmodisch im schlechten Sinne; auf französisch le cousin campagnard, wie ein Titel von Scribe. Ich finde, der Titel müsste im Gegenteil das Pikante, Witzige des Stückes suggerieren, frech und lustig klingen. Ich habe an Quin-Quin gedacht, was reizend, graziös und amüsant ist, auch etwas geheimnisvoll, was Nichts schadet. Ich weiß, Octavian ist nicht die Hauptperson; aber er ist doch so prominent, dass man ohne groben Betrug seinen Namen vorschieben kann.« Doch dieser Vorschlag stößt auf wenig Gegenliebe seitens Hofmannsthal und Strauss’ (»absolut unacceptabel wegen des fatalen Anklangs an zahllose französ. Possen und Operetten, To-To, Rip-rip etc.«), sie plädieren eher für »Mariandl, mit irgend einem Adjectiv« oder »der Rosencavalier«. Kesslers Gegenvorschläge umfassen etwa Die galanten Abenteuer des Barons von Lerchenau oder Ochsens Schulung, Liebeslist oder Schule des Unverschämten. Rosencavalier kommentiert er ein Jahr später mit »oh! abscheulicher Titel«. Strauss im Mai 1910: »Mir gefällt der Rosenkavalier gar nicht, mir gefällt der Ochs! Aber was will man machen. Hofmannsthal liebt das Zarte, Ästhetische, meine Frau befiehlt: Rosenkavalier. Also Rosenkavalier! Der Teufel hol ihn!« 41

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Wie der Titel, so ist auch der Untertitel Gegenstand der Diskussion, wenn auch die Findung in diesem Falle leichter fällt: Als Arbeits-Untertitel stand Komödie für Musik fest, doch scheute Hofmannsthal zuletzt, diesen auch für die fertiggestellte Oper zu übernehmen. Alternativen waren Komische Oper, Burleske Oper oder einfach Oper in drei Akten, angedeutet sogar Opera buffa. Doch Strauss setzt sich durch und beharrt auf die ursprüngliche Komödie für Musik. Inzwischen ist auch Alfred Roller an Bord, jener Ausstatter, der mit Gustav Mahler an der Wiener Oper für eine neue, moderne und wahrhaftigere Ästhetik gesorgt hatte. Roller entwirft also Raum und Kostüme für die neue Oper – und geht, so Hofmannsthal, »mit großer Lust an die Arbeit«. Dem Verleger Adolph Fürstner gibt Richard Strauss präzise Angaben, nicht nur naheliegenderweise zur Instrumentation, sondern auch zu den Protagonisten. Zum Ochs: »Bass, ›seriös‹, buffo, hoch und tief, kurz Alles, sehr guter Darsteller u. Parleur«, die drei Damenpartien bringt er mit Mozarts Le nozze di Figaro in Verbindung: die Marschallin entspricht daher der Contessa d’Almaviva, Octavian dem Cherubino und Sophie der Susanna. Gleichzeitig schreibt Strauss an den Verleger auch den denkwürdigen Satz: »Meine neue Oper ist nur mit erstklassigen Opernkräften u. Orchester zu machen.« Zuletzt gilt es noch sogenannte »moralische« und »politische« Einwände zu berücksichtigen. Etwa in puncto von Eindeutigkeiten des Ochs oder im Falle des Ausspruchs der Marschallin, sie sei kein »neapolitanischer General« (man fürchtete eine Beleidigung Italiens). Dazu kamen auch noch Unstimmigkeiten zwischen dem Komponisten und dem UraufführungsOpernhaus in Dresden materieller Art. Auch die Inszenierung wollte nicht so recht glücken, obgleich Hofmannsthal und Alfred Roller ein genaues Regiebuch verfasst hatten, das im Grunde nur noch zu exekutieren war. Dieses Regiebuch erklärte Strauss gemeinsam mit den Bühnen- und Kostümentwürfen Rollers als verbindlich für etliche Neuinszenierungen außerhalb Dresdens, so etwa in Wien, Mailand oder München. Und dennoch: In der Uraufführungsstadt Dresden laufen die Proben nicht gut (Hofmannsthal: »Eindruck Probe war sehr deprimierend, Strauss mit ganz rotem Kopf und dem Weinen nahe«), Georg Toller (laut Strauss »nur ein gewöhnlicher Opern-Normalregisseur«), der die Funktion des ausführenden Regisseurs übernommen hatte, war mit den Feinheiten des Werkes überfordert. Also lud man, mit einiger Diskretion, Max Reinhardt ein, der zunächst nur als stiller Teilhaber – eine Forderung des Intendanten – aus dem Zuschauerraum heraus mitwirkte. Später sollte sich Richard Strauss an diese Arbeit erinnern: »Wir fanden uns alle auf der Probebühne zusammen, Reinhardt als bescheidener Zuschauer, während ich in meiner Unbeholfenheit den Sängern, so gut ich konnte, die Rollen vormimte. Nach einer Weile sah man Reinhardt mit Frau von der Osten in einer Saalecke stehen und flüstern, bald dasselbe Bild mit Frl. Siems, Perron etc. Am nächsten Tag kamen sie alle verwandelt als fertiOLI V ER LÁ NG

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ge Schauspieler auf die Probe! Darauf gestattete Seebach [der Direktor der Oper in Dresden] huldvoll, dass Reinhardt nicht mehr vom Parkett aus der Probe beiwohne, sondern auch auf der Bühne Regie führe. Das Resultat war ein neuer Stil in der Oper und eine vollendete Aufführung, in der besonders das Terzen (Siems, von der Osten, Nast) allgemeines Entzücken erregte.« Genannt werden durfte Max Reinhardt allerdings am Abendzettel der Uraufführung in Dresden nicht. Diese fand am 26. Jänner 1911 statt, Dirigent war Ernst von Schuch: Der große Erfolg der Oper ebnete den Weg durch die europäischen, später auch internationalen Bühnen – ein Welterfolg, bis heute eine der größten Opern der Musikgeschichte, war geboren.

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ST R AUS S KOMPON IERT MIT H AU T U N D H A A R


Andreas Láng

DIE KEUSCHHEITSKOMMISSION »Das heißt Ihr Sittenpolizei« ruft Ochs im dritten Akt empört aus, als er von zwei Wächtern festgehalten zusehen muss, wie der Polizeikommissar dem vermeintlichen Mariandl zu nahe zu treten scheint. Und Conte Carnero beschwört in Johann Strauß’ Zigeunerbaron seinerseits die Einhaltung der »Sittenkommissionsgesetze« da er der – seiner Meinung nach – anstandslosen Annäherung junger Menschen den Riegel vorschieben möchte. Beide Werke spielen um das Jahr 1740, also am Beginn der Herrschaft Maria Theresias und in beiden Werken wird mit der »Sittenpolizei« beziehungsweise der »Sittenkommision« auf die berüchtigte Einrichtung dieser Zeit, der sogenannten Keuschheitskommission, Bezug genommen. Bekanntlich war es mit der ehelichen Treue Kaiser Franz I. nicht gerade gut bestellt. Maria Theresia machte aber nicht die Veranlagung ihres Gatten, sondern die lockeren Wiener Sitten für dessen amouröse Eskapaden verantwortlich. Um diese auszumerzen, rief sie die oben erwähnte Keuschheitskommission ins Leben, die durch polizeiliche Maßnahmen jedes ehebrecherisches Treiben bereits im Keim ersticken sollte. Selbstverständlich konnte diese im In- und Ausland verspottete Einrichtung kaum etwas bewirken, warf aber ein etwas sonderbares Licht auf Maria Theresia, sodass diese Behörde zum einen bald wieder aufgelöst und die von ihr erstellten Berichte zum anderen im Nachhinein vernichtet wurden. Einen Hinweis auf diese sonderbare Kommission findet man allerdings unter anderem in Giacomo Casanovas Memoiren: »Eine Legion gemeiner Spitzel, die man mit dem schönen Namen Keuschheitskommission schmückte, waren die unerbittlichen Verfolger aller Mädchen.« Dass wirklich einflussreiche Personen von der Kommission belangt worden wären, ist freilich nicht anzunehmen. Getroffen hat es vielmehr Frauen und Männer der einfacheren Bevölkerungsgruppen, in erster Linie Prostituierte, die kurzerhand in entlegene Gebiete der Monarchie verbannt wurden. A N DR EAS LÁ NG

→ Albert Pesendorfer als Ochs, 2021

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Thomas Leibnitz

DIE MUSIK IST UNENDLICH LIEBEVOLL

Zur Partitur des Rosenkavaliers


An Saccharin fühlte Theodor W. Adorno sich erinnert, wenn er auf die Rosenkavalier-Musik zu sprechen kam, und der Unmut des wortgewaltigen Vorkämpfers Neuer Musik im Sinne Arnold Schönbergs bezieht sich zweifellos auf die Wegmarke, die der Rosenkavalier im kompositorischen Entwicklungsgang Richard Strauss’ darstellt: Nach der Elektra, in der Strauss an die äußersten Grenzen des tonalen Spektrums gegangen war, folgte nicht der Schritt in das Neuland der Atonalität, sondern eine entschiedene Rückwendung in die Gefilde des Vertrauten und Populären, wenngleich dieses Bekenntnis zur Tradition auch nicht so radikal ausfiel, wie dies progressive Verächter des Wohllauts dieser Rokoko-Oper unterstellten. Die Komposition des Rosenkavaliers wurde sowohl durch die Kontinuität des Personalstils Richard Strauss’ als auch durch die Spezifika des Textes bestimmt, die den Komponisten vor neue Herausforderungen stellte. Kontinuität: Wer die Entwicklung von Strauss’ bisherigem Œeuvre überblickt und insbesondere die Herausbildung eines persönlichen Opernstils in Salome und Elektra analysiert, wird nicht überrascht sein, auch im Rosenkavalier grundlegende Charakteristika des Opernkomponisten Strauss wiederzufinden – den Typus der »symphonischen« und durchkomponierten Oper in der Nachfolge Wagners, die Einbettung der Singstimmen in ein reiches, farbig instrumentiertes und polyphones Orchester, die Verwendung einer modifizierten Leitmotivtechnik. All diese Elemente lassen den Rosenkavalier als »typische Strauss-Oper« erscheinen, wenn ihm auch einige spezifisch kompositorische Eigenheiten ein individuelles Gepräge geben. Die auffallendste und von den Zeitgenossen teils gelobte, teils heftig kritisierte Neuerung war sicherlich die Einbeziehung des Wiener Walzers, die im musikalischen Kontext mehrere Funktionen erfüllt. Zunächst ist der Walzer das musikalische »Markenzeichen« des Ochs auf Lerchenau, dessen Auftritte von einer Vielzahl von Walzern begleitet sind; als besonders einprägsam erweist sich zweifellos die Walzermelodie auf die Worte »Ohne mich, ohne mich…« am Ende des zweiten Aufzugs, wo der verwundete und düpierte Baron nach der Überreichung des Briefes des vermeintlichen »Mariandls« seine gute Laune wiedergefunden hat und sich auf das angekündigte Rendezvous freut (das ihm zum Verhängnis werden wird). In der Melodie dieses Walzers greift Strauss (bewusst oder unbewusst) auf ein Vorbild der Wiener Strauß-Dynastie zurück: auf eine Melodie der Walzerkette Die Dynamiden (op. 173) von Johann Strauß’ jüngerem Bruder Josef. In zahlreichen Kritiken wurde die Verwendung des Walzers als Anachronismus kritisiert: Im Wien des 18. Jahrhunderts habe es den Walzer noch nicht gegeben. Es ist schwer vorstellbar, dass dem musikhistorisch versierten Komponisten Strauss diese Tatsache nicht bewusst war. Im Rosenkavalier herrscht zwar sprachlich das Kolorit der Barockzeit, nicht aber musikalisch; die Musik schließt unmittelbar an den Erfahrungs- und Verstehenshorizont der Hörer der Entstehungszeit an. Innerhalb dieses Horizon 47

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tes steht der Wiener Walzer in der Ausprägung, die er im 19. Jahrhundert durch die Walzerdynastie Strauß erfuhr, für zwei inhaltliche Bereiche: einerseits als »couleur locale« für »Wien«, wo die Oper spielt, andererseits für die Sphäre des Leichten und Spielerischen überhaupt. »Leicht« wollen – jeweils auf ihre Art – sowohl die Marschallin als auch der Baron ihr Leben gestalten; bei der Marschallin ist es die Frucht einer resignativen Lebenseinsicht, wenn sie am Schluss des ersten Aktes sagt: »Leicht muss man sein, mit leichtem Herz und leichten Händen halten und nehmen,…«. Ochs auf Lerchenau hingegen verkörpert das »Leichte« im Sinne der »Libertinage«, einer unkontrollierten und von keinerlei ethischen Prinzipien gebändigten Genusssucht, womit Hofmannsthal zweifellos den Typus des »Lebemanns« zur Zeit des Fin de Siècle auf die Bühne bringen wollte. »Leicht« aus Sicht der Marschallin agiert auch Octavian, indem seine Gefühle rasch und umstandslos von ihr zur jungen Sophie umschwenken, was die erfahrene Frau vorausahnt. Während die Walzer des Ochs auf Lerchenau daher den eher derben Typus der Unterhaltungsmusik verkörpern (Strauss wurde deshalb vorgeworfen, sich solcherart an die Operette anbiedern zu wollen), stehen für Octavian und die Marschallin feinere, menuettartige Walzer. Eine der subtilsten musikalischen Pointen des Werkes ist im 3. Akt zu finden, wo die Marschallin im »Vorspruch« zum berühmten Terzett des Aktschlusses (»Hab mir’s gelobt, ihn lieb zu haben…«) melodisch einen Walzer Octavians aufgreift und damit gleichzeitig den Geliebten anspricht als auch sich selbst an ihr Bekenntnis zur »Leichtigkeit« im edelsten Sinne erinnert. Eine rein technische Herausforderung der Komposition lag in dem langen Text Hofmannsthals, dessen Vertonung im Sinne des Wagner’schen »Sprechgesangs« eine übermäßige Länge der Oper bewirkt hätte. Strauss verwendete über weite Strecken ein »Parlando«, das von Zeitgenossen durchaus als Weiterführung des Seccorezitativs der Oper des 18. Jahrhunderts empfunden wurde, allerdings eingebettet in das symphonische Gewebe des großen Orchesters. Dies stieß nicht nur auf Zustimmung: »Er ist höchst modern in seinem musikalischen Dialog, den man im Gegensatz zur ›unendlichen Melodie‹ des völlig antiquierten Richard Wagner ›das unendliche Sekkorezitativ‹ nennen könnte, und er bringt auch ganz einfache Stücklein, die er allerdings, damit’s dem Hörer nicht zu wohl wird, mit quiekenden, schrillen Tönen umhüllt.« Während also der Rezensent der Zeitschrift Die Musik mit Strauss’ innovativer Musiksprache keineswegs einverstanden war, äußerte Richard Specht Zustimmung: »Aber im Gegensatz zur komischen Oper von einst: Strauss hat die deutsche Lustspielmusik vom ›Andante‹ erlöst, von aller Schwerfälligkeit und Behäbigkeit, aller gravitätischen Sentimentalität, aller lastenden Breitspurigkeit und Feierlichkeit…« In markantem Kontrast zu diesem dialogischen Parlando stehen die lyrischen, breit ausgeführten Einzel- und Ensembleszenen, die von Anfang an als die musikalischen Glanzpunkte des Werkes genannt wurden, freilich T HOM AS LEIBN ITZ

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auch die Vorwürfe des »Zuckerguss«-Charakters dieser Musik provozierten: die Szene der Marschallin am Ende des ersten Aktes, die Überreichung der silbernen Rose und die darauffolgende Szene zwischen Octavian und Sophie am Beginn des zweiten Aktes, und schließlich die Ensembles am Schluss des dritten Aktes, das Terzett zwischen Octavian, Sophie und der Marschallin und das abschließende Duett der beiden jungen Liebenden, in dem Strauss auf den Stil der Zauberflöte zurückgreift (hier hatte Strauss seinem Librettisten den exakten Versrhythmus vorgegeben, womit die Worte einer bereits existierenden Melodik »nachgeliefert« wurden). Drei musikalische »Sphären« also bestimmen die musikalische Struktur des Rosenkavaliers: Das über weite Strecken dominierende Parlando, die lyrischen und melodisch breit ausgeführten Solo- und Ensembleszenen und die Walzer, die vorrangig (aber nicht ausschließlich) die Welt des Ochs auf Lerchenau charakterisieren. Haben daher bereits diese »Sphären« eine leitmotivische – oder leitidiomatische – Funktion, so werden auch Themen und Motive im Sinne von Erinnerungsmotiven an thematisch analogen Stellen wieder aufgegriffen, allerdings nicht in der stringenten Weise, wie dies in Wagners Spätwerken geschieht. Sehr wesentlich für Strauss’ musikalisches Denken ist jedoch neben der Motivik die Tonartencharakteristik, deren Bedeutung im Rosenkavalier bereits die ersten Skizzen in den Textentwürfen Hofmannsthals zeigen: Noch vor Themen und Motiven notierte Strauss die Tonart des jeweiligen Abschnitts. Ein Problem, mit dem der Komponist nicht nur im Rosenkavalier rang, sondern das ihn während seines gesamten Opernschaffens begleitete, war die Frage der Wortdeutlichkeit; die Gefahr, dass sein reich differenziertes, polyphones Orchester die Singstimmen »zudeckte«, war Strauss bewusst, und er sprach sie in seinen theoretischen Äußerungen immer wieder an. Kein Zweifel, dass vor allem Hofmannsthal darunter litt, dass große Teile seiner Dichtungen vom Opernpublikum kaum verstanden werden konnten. Auf eine für ihn charakteristische, indirekte Weise wies er seinen Partner Strauss darauf hin, indem er ihm 1914 über seine Eindrücke von der Oper Notre Dame Franz Schmidts berichtete und ihm mitteilte, er habe »beim ersten Hören« fast den gesamten Text verstanden. Es folgt die Äußerung der Hoffnung, »dass mir viel gewonnen schiene, wenn dies auf Ihrem Wege läge, diesmal…« Einer der seltenen Momente, wo Hofmannsthal sich über die Musik seines Partners kritisch äußerte; denn während Strauss sich häufig und energisch in die Textentstehung einschaltete, stand Hofmannsthal dem Komponieren mit dem Respekt des »Nichtfachmanns« gegenüber. Das Zusammenwirken von Wort und Musik im Rosenkavalier empfand er allerdings im Rückblick als kongenial; hier sei »tatsächlich zweier Menschen Werk ein Ganzes geworden«. Und mit einer ausdrücklichen Verbeugung vor seinem Partner Strauss setzte er hinzu: »Die Musik ist unendlich liebevoll und verbindet alles.« 49

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Für Strauss bedeutete Komposition systematische und disziplinierte Arbeit, womit er keineswegs dem zugleich impulsiven und weltabgewandten Künstlertypus entsprach, als den die zeitgenössische Klischeevorstellung das »musikalische Genie« sehen wollte. Eben dieses Bild vermittelt auch die Originalpartitur des Rosenkavaliers: zart und regelmäßig, frei von Korrekturen, in perfekter Platzeinteilung. Verblüfft, aber auch respektvoll vermerkte Stefan Zweig: »Dieses ›Arbeiten‹ ist bei Strauss ein ganz merkwürdiger Prozess. Nichts vom Dämonischen, nichts von dem ›Raptus‹ des Künstlers, nichts von jenen Depressionen und Desperationen, wie man sie aus Beethovens, aus Wagners Lebensbeschreibungen kennt. Strauss arbeitet sachlich und kühl, er komponiert – wie Johann Sebastian Bach, wie alle diese sublimen Handwerker ihrer Kunst – ruhig und regelmäßig. Um neun Uhr morgens setzt er sich an seinen Tisch und führt genau an der Stelle die Arbeit fort, wo er gestern zu komponieren aufgehört…«

→ KS Adrian Eröd als Faninal, 2021

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Oliver Láng

DIE FIGUREN IM » ROSENKAVALIER « »Man sieht ihr Gesicht nicht, sondern nur ihre sehr schöne Hand und den Arm, von dem das Spitzenhemd abfällt…« Mit gehöriger, der Eröffnungsszene entsprechender Diskretion nähert sich Hugo von Hofmannsthal in der ersten Regieanweisung des Librettos der Marschallin an: Noch erfährt man wenig Konkretes, wenig Bestimmtes – und doch, bereits eine Geste, hinter der sich eine erste Charakterisierung verbirgt. Schnell gewinnt die Figur, gewinnen die Figuren an Plastizität und Kontur, lassen aber bei aller Genauigkeit einen großen Gestaltungs- und Interpretationsspielraum zu. Ein Spielraum, der von Anfang an auch in Diskussionen genützt wurde: Im Faltenwurf der Entstehungsgeschichte findet man divergierende Ansätze, Sichtweisen und Entwürfe, die sich im Laufe der Arbeit zu einer Spielfläche von schlechterdings erstaunlicher Rastergenauigkeit fügen. Nicht nur, dass die agierenden Personen sehr präzise gesetzt sind, sie fußen – das vielleicht mehr als spielerische Marotte Hofmannsthals – vielfach auch auf literarischen, aber ebenso historischen Vorbildern. Dieses Netz aus Erfindung und Zitat zu entwirren haben sich Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber mehrerer Generationen zur Aufgabe gemacht und so kann man heute nicht nur jenes über die Figuren erzählen, das sich aus dem Libretto ableiten lässt bzw. die Autoren verrieten, sondern auch ihre Wurzeln freilegen. DIE FIGU R EN IM »ROSEN K AVA LIER«

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Der Ochs auf Lerchenau Der Ochs auf Lerchenau, der Antrieb für die schadenfreudig aufgeladene Handlung, findet einen literarischen Ahnen bei Molière, in dessen mit Lully verfasster Ballettkomödie Monsieur de Pourceaugnac des Jahres 1669. Molière deklinierte das bekannte Thema des älteren Herrn auf Freiersfüßen, der seine junge Braut an ihren ebenfalls jungen Geliebten verliert, genüsslich durch. Und: Pourceaugnac, sein Name, ist bereits Programm, leitet er sich doch von Ferkel, porcelet ab. Diese Bildlichkeit ließ sich auch Hofmannsthal nicht nehmen, nur änderte er die Art. Nun ist es kein Schwein, sondern ein Rind, ein Ochs, oder noch komödiantischer: Ox, wie der Literat gerne schrieb. Die Sache mit der vermeintlichen, intrigentechnisch inszenierten Bigamie im 3. Akt, die findet man freilich schon bei Molière. Was den Namen anbelangt, griff Hofmannsthal womöglich auf die Familie Orsini-Rosenberg, die den Titel »Freiherrn auf Lerchenau« trug bzw. auf das aus Italien stammende Adelsgeschlecht »Managetta von Lerchenau« zurück. Wie grob oder wie fein dieser Ochs im Rosenkavalier sein soll, darüber wird auch heute noch viel verhandelt – und auch während der Entstehung gab es umfassende Diskussionen der unterschiedlichen Mitarbeiter. Ohne Zweifel ist er mehr als nur ein Genussmensch, er ist (wie zum Beispiel in seiner Aussage: »Und den Melkstuhl gepackt, dass sie taumelt und hinschlägt«) gewalttätig und brutal übergriffig. Einblick in seine Verhaltensformen gibt Hofmannsthal auch in kleinen Andeutungen, etwa, wenn sich Ochs im 1. Akt am Frühstück der Marschallin beteiligt: »Er frisst«, schreibt die Regiebemerkung hier trocken vor. Ochs habe, darüber hinaus, eine »blöde, große Stimmʼ«, wie die Marschallin feststellt. An sich ist seine Sprache eine »eigentümliche Mischung aus Pompösem und Gemeinem«, so Hofmannsthal, im Ganzen sei die Figur aber ein »Buffo«, also eine komische Rolle. Dass es im Falle der von ihm geforderten Morgengabe um die Ortschaft »Gaunersdorf« geht, beschreibt den Charakter und Umgang des Ochs’ ebenso wie seine Entourage, die er im 1. Akt mit sich führt: »Der Kammerdiener ist ein junger großer Lümmel, der dumm und frech aussieht«. Um ihn in puncto Gesellschaft an die richtige Stelle zu verweisen, besteht Strauss darauf, ihm nur den Rang eines Barons zuzugestehen, im Gegensatz zum Grafen 53

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Octavian oder der Fürstin Marie-Theres. Ochs ist »blattersteppig« (darauf weist uns Sophie hin), übergewichtig (das stellt der Kommissar fest), aber Ochs ist durchaus auch eitel, wenn er etwa versucht, seine Glatze vor Sophie zu verstecken. Gleich mehrfach wird in der Entstehungsgeschichte der Oper auf Verdis Falstaff verwiesen, etwa in einem Brief Hofmannsthals: »Was kein Autor und kein Reinhardt [der Regisseur der Uraufführung] in den Perron [ein Ochs-Kandidat für die Uraufführung] hineinbringen kann, sind gerade die allerwesentlichsten Elemente der Gestalt, das Buffomäßige, das Falstaffische, das Behagliche, das Lachenerweckende. Der III. Akt mit einem humorlosen, fast gespenstisch, anstatt behaglich wirkenden Ochs, das ist ja der Tod.« Bekannt geworden ist der Hinweis von Strauss, dass »die meisten Bassisten (…) ein scheußliches, ordinäres Ungeheuer« auf die Bühne gestellt haben, »an dem zivilisierte Publikümer (Franzosen und Italiener) mit Recht Anstoß genommen haben. Das ist durchaus falsch: Ochs muss eine ländliche Don Juan-Schönheit von etwa 35 Jahren sein, immerhin Edelmann (wenn auch etwas verbauert), der sich im Salon der Marschallin soweit anständig benehmen kann, dass sie ihn nicht nach fünf Minuten von ihren Bediensteten hinausschmeißen lässt. Er ist innerlich ein Schmutzian, aber äußerlich immerhin noch so präsentabel, dass ihn Faninal nicht auf den ersten Blick ablehnt.« So darf das hoch gesetzte Wort »Heu« in der »Arie« des Ochs’ im 1. Akt nicht derb-lüstern herausgebrüllt werden, sondern muss zurückgenommen im Piano gesungen werden, ein Detail, auf das Hofmannsthal besonders pochte.

Octavian Die Figur des Octavian kann zunächst auf die aus Neapel eingewanderte Adelsfamilie Rof[f]rano zurückgeführt werden; Hieronymus Rofrano war Generalpostmeister in Italien, dann Mitglied des Höchsten Spanischen Rates und später Kämmerer in Wien, sein Sohn Peter Rofrano starb früh und soll dem Octavian Vorbild gewesen sein, nebenbei hatte er eine Maria Theresia genannte Schwester, von der gleich die Rede sein soll. (Ein damals während der Regentschaft der Kaiserin Maria Theresia freilich häufiger Namen.) In der Oper ist Octavian der Bruder des Obersttruchseß, wie Faninal feststellt, auf seine italienische Abstammung spielt Ochs an, wenn er vom »wällischen Hundsbub« spricht. Vielleicht, so schreibt Hofmannsthal, verrät Octavians knappe, elegante Sprache ein wenig jugendliche Herzlosigkeit, am Ende der Oper ist er auch »frech und hochmütig« gegenüber dem übertölpelten Ochs. Alles der Jugend geschuldet – ist Octavian doch erst 17 Jahre und zwei Monate alt, wie wir von Sophie, die ihn wohl studiert hat, erfahren. Sie kennt auch die zahlreichen zusätzlichen, von ihr aufgezählten Vornamen: Maria Ehrenreich, Fernand, Bonaventura, Hyacinth, sie alle sind auf damals in DIE FIGU R EN IM »ROSEN K AVA LIER«

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Wien lebende Adelige zurückzuführen. Auch der Spitzname Quinquin ist historischen Ursprung: So nannte die Gräfin Josepha Kinsky ihren Liebhaber – den Grafen Franz Esterházy. Von einem weiteren Mitglied der Familie Kinsky (Octavian Joseph Graf Kinsky) könnte Hofmannsthal den Vornamen Octavian übernommen haben, wobei erneut auch Molières Einfluss – Octave in Scapins Streiche – als mögliches Vorbild angenommen werden kann). Ein wichtiger Impulsgeber war der Protagonist in Louvet de Couvrays Die galanten Abenteuer des Chevalier Faublas: darin werden die amourösen Wege eines jungen Adeligen – Faublas – geschildert. Er verliebt sich sowohl in die junge Sophie als auch in eine etwas reifere Marquise und wird zwischen diesen Leidenschaften hin- und hergerissen. Basierend auf diesem Roman entstand die Operette L’ingénu libertin von Claude Terrasse, die Harry Graf Kessler erlebt und Hofmannsthal erzählt hatte – die Geburtsstunde des Rosenkavaliers. Nun waren Octavian und Ochs gänzlich als Gegenbilder angelegt. So schreibt Kessler über die genannten literarischen Vorbilder Faublas und Pourceaugnac: sie »stehen nicht nur wie Jugend und Alter, Schönheit und Hässlichkeit, schlechte und gute Manieren, sondern auch wie Täppischkeit und Geist gegenüber; dieses Antithetische kommt ganz rein heraus«. Um den Octavian allerdings vor zu viel Filouhaftigkeit zu bewahren, liebt er im Gegensatz zu seinem Roman-Vorbild nicht beide Frauen gleichzeitig, sondern es löst eine Liebe die andere ab. Eine Tendenz zur Oberflächlichkeit ist in seinem Fall – zumindest am Anfang der Arbeit – vorhanden: »Octavian ist ein charmanter, doch im Grunde gewöhnlicher junger Mann«, stellt Hofmannsthal fest, erst später gewinnt in seinen Augen der Charakter an Tiefe. Abschließend sei noch auf das Strauss-Vorbild Mozart verwiesen: Der Octavian ist nicht nur stimmtechnisch und als Hosenrolle auch typentechnisch mit dem Cherubino verwandt, er befindet sich dank seiner jugendlich-überstürzenden Erotisierung womöglich auch charakterlich in verwandten, wenn auch bei Weitem nicht deckungsgleichen Gefilden – so zumindest sah es Hofmannsthal.

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Marschallin Auch die Marschallin findet ihr Namensvorbild womöglich in der österreichischen Adelsgeschichte, nämlich im Grafen Johann Baptist Werdenberg, österreichischer Hofkanzler im 17. Jahrhundert. Immer wieder wird die Marschallin als eine über ihre besten Jahre hinausgekommene Figur betrachtet, die mit Octavian endgültig Abschied von der Liebe nimmt. Dem steht Hofmannsthals Sicht auf »eine reizende Frau von 35 Jahren« entgegen. Auch Richard Strauss beschreibt sie später in dieser Art: Sie muss »eine junge schöne Frau von höchstens 32 Jahren sein, die sich bei schlechter Laune einmal dem 17jährigen Octavian gegenüber als ›alte Frau‹ vorkommt, aber keineswegs Davids Magdalena ist, die übrigens auch oft zu alt gespielt wird. Octavian ist weder der erste noch der letzte Liebhaber der schönen Marschallin, die auch ihren ersten Aktschluss nicht sentimental als tragischen Abschied fürs Leben spielen darf, sondern immer noch mit wienerischer Grazie und Leichtigkeit, mit einem nassen und einem trockenen Auge. Von Seite des Dirigenten nicht verschleppte Tempi.« Ist sie nicht mit Magdalena in den Meistersingern, so bringt sie Hofmannsthal doch in die Nähe dieser Oper: »Ähnlichkeit: die Figur der Marschallin im Rosencavalier mit dem Hans Sachs in Meistersinger. Verzichtet und vermählt die Jungen. Bildet das geistige Band des Ganzen, ist Hauptfigur und doch nicht Held«. Sie ist, wie man im Laufe der Oper erfährt, »frisch aus dem Kloster in den heiligen Ehestand kommandiert word’n« und ist »dabei gleichzeitig frei und fromm, das Ganze verstanden durch eine offene, österreichische Natur und Vornehmheit« (Hofmannsthal). »Wenn sie einem hier schon viel, fast zu viel Teilnahme abgewinnt, so ist das richtig, denn wie ich erst im Arbeiten verstand, sind sie und Ochs, als Gegenpole, die Hauptpersonen«, führt er weiter aus. Demnach sind nicht nur Octavian und Ochs kontrapunktisch zu verstehen, sondern – in puncto emotionaler Intelligenz – eben auch Ochs und die Marschallin. Sie ist, wieder Hofmannsthal, »die vornehme, reife Persönlichkeit« und wird auch »nicht sitzen gelassen, sondern sie schiebt mit einer überlegenen Geste Octavian zu Sophie hin«. Auch ihre Sprache ist, wie der Autor es nennt, »sehr einfach« – dies durchaus positiv im Gegensatz zum Pompöseren von Ochs und Faninal gemeint. Dass sie bei aller Überlegenheit auch zutiefst menschlichen Gefühlen ausgeliefert ist, wird nicht nur in ihren Monologen im ersten Akt deutlich,, sondern besonders auch im Umgang mit dem Abschied von ihrem Liebhaber. Als dieser auf Sophies »Der Vater braucht mich drin« mit »Ich brauchʼ Sie nötiger« antwortet, lässt die Regiebemerkung die Marschallin jäh aufstehen, sich bezwingen und dann wieder setzen. Um sich wenige Augenblicke später die Augen zu wischen. Und obgleich sie Sophie »prüfend, aber gütig« anblickt, kann sie sich die sprachliche Spitze »Red’ Sie nur nicht zu viel, Sie ist ja hübsch genug!« nicht verkneifen. DIE FIGU R EN IM »ROSEN K AVA LIER«

↑ Seite 53/55: Kostümentwürfe von Alfred Roller → Marlis Petersen als Marschallin, 2021

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OLI V ER LÁ NG


Evan Baker

ALFRED ROLLER UND »DER ROSENKAVALIER « »Das reiche goldige Zimmer der Marschallin, die parvenuhaften Porzellanaufbauten des Faninal, die verschwiegene Lüsternheit der Chamber, die ganze künstlerische Feinheit und Farbenstimmung, der zeitgemäße Zuschnitt und die Harmonie der Kostüme kamen so überzeugend heraus, wie sie sich ihr Erfinder, Roller, gedacht hat. Ich glaube wirklich, ich habe eine solche vornehme und doch lebensvolle Abstimmung von Requisiten noch nie gesehen: es war Niveau der Dichtung und Musik. Die Regie, an der sichtlich auch Max Reinhardt mitgearbeitet hat, erscheint mir so mustergültig für die moderne Oper, dass ich sie zum Studium vorschreiben würde. Die Berechnung der Beleuchtungseffekte bis auf die kleinsten Kerzenschatten, die natürliche und doch zurückhaltende Stellung der Personen, dieser ganze Mechanismus von Bewegungen und Lichtern in diesen Kostümen und Dekorationen war eine zweite Musik zu der Straußischen, eine organische Verbindung des zeitlichen Gedichtes zu zeitloser Musik.« (Oscar Bie, Berliner Börsen-Courier, 28. Jänner 1911) EVA N BA K ER

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Das war die Meinung eines der vielen Kritiker, die der Uraufführung des Rosenkavaliers am 26. Jänner 1911 im Dresdner Hoftheater beiwohnten. Diese Worte waren eine Reaktion auf die Bühnenbild- und Kostümentwürfe von Alfred Roller, für deren Realisierung mehr als 18 Monate sorgfältiger Vorbereitung und Probenarbeit verwendet wurden. Jeder Teil – Szene, Beleuchtung, Malerei, Requisiten und Kostüme – war darauf abgestimmt, Teil eines organisch-ausgewogenen Bühnenbildes zu sein. Der nachhaltige Erfolg dieser Entwürfe beeinflusst Bühnen- und Kostümbildnerinnen und -bildner bis zum heutigen Tag. Das Rokoko-Milieu Wiens um die Mitte des 18. Jahrhunderts bot eine Fülle von Möglichkeiten einer reichen Erfahrung mit Architektur, Mode und Sitten. Der Textdichter, Hugo von Hofmannsthal, versuchte ein halb reales, halb erdachtes Wien von 1740 zum Leben zu erwecken. Am Beginn der Zusammenarbeit sah Richard Strauss, trotz der von ihm erkannten Möglichkeiten großartigen Theaters, mögliche Risiken in dem geschilderten Text. Hofmannsthal schlug vor, Roller in das gestaltende Team aufzunehmen. »Roller ist Feuer und Flamme, uns Regiebuch mit Ausstattung (Bühnenskizzen und Figurinen) ein für allemal zu liefern, so dass Fürstner es zugleich mit Musikalien eventuell in Vertrieb nimmt.« Roller war für Strauss und Hofmannsthal kein Unbekannter, hatte er doch die Entwürfe für das monumentale, drohende Bühnenbild ihrer Elektra an der Wiener Hofoper, zwei Monate nach der Dresdner Uraufführung am 25. Jänner 1909, geliefert. Er war beiden seit Langem bekannt, war er doch eine der bekanntesten Persönlichkeiten in der Welt der bildenden und theatralischen Künste in Wien und im Ausland. Roller (1864–1935), geboren in Brünn, war ein hochangesehener Lehrer an der Wiener Kunstgewerbeschule und Ausstatter für das Theater. Seine erste künstlerische Ausbildung erhielt er von seinem Vater und später trat er in die Akademie der bildenden Künste in Wien ein. Gemeinsam mit Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann war er begründendes Mitglied einer neuen künstlerischen Bewegung, die sich im Frühjahr 1897 zu dem entwickelte, was später als Secession bekannt wurde. Als Ausstattungsleiter der Wiener Hofoper seit 1903 setzte er zusammen mit Gustav Mahler eine durchgreifende Reform der szenischen Künste in Gang. Überladenheit wurde abgelehnt; jedes Element der Operninszenierung hatte eine bestimmte Aufgabe innerhalb der ganzen Produktion. Ein Gesamtkunstwerk, das Sängerinnen und Sänger, Bühnenbilder, Kostüme, Beleuchtung und Orchester vereinte, ließ das Publikum am umfassenden Erlebnis Oper teilhaben. Roller war unter den ersten, die Beleuchtung als wesentlichen Teil der Inszenierung verwendeten und so Stimmung und Umfeld des Dramas herausarbeiteten. Nachdem er mehr als 20 Ausstattungen entworfen hatte, zog sich Roller Juni 1909 von der Hofoper zurück und kehrte an die Kunstgewerbeschule als deren Direktor zurück. Gegen Ende 59

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seiner Tätigkeit an der Hofoper begann er seine Energie dem Rosenkavalier zuzuwenden. Einige Wochen nach der Wiener Elektra-Premiere, am 24. März 1909, diskutierte Hofmannsthal mit Roller das Szenarium der damals noch titellosen Oper. Roller und Hofmannsthal erkannten, dass an Inszenierung und visuelle Aspekte der Produktion außergewöhnliche Anforderungen gestellt würden und dass daher ein neuer Bühnenstil erforderlich sei. Hofmannsthal schrieb an Strauss am 27. April 1910: »Es ist sehr wertvoll, dass uns ein solcher Helfer zur Verfügung ist, um (auch in der Regie) den neuen Stil, um den es sich handelt, durchzusetzen, was ohnedies eine harte Arbeit sein wird, aber eine conditio sine qua non für den jahrzehntelangen Bestand des Werkes, den wir ambitionieren. Nur was als neu und einheitlich im Stil zunächst befremdet, dann allmählich akzeptiert wird, kann lange leben.« In der Folge verlangte Strauss als Teil des Aufführungskontraktes von den Opernhäusern – Dresden, München, Berlin, Wien, Mailand –, Rollers Regiekonzept und seine Ausstattung zu verwenden. Dagegen erhob sich ein Sturm der Entrüstung, aber Strauss blieb hart, und die Theaterdirektoren, die künstlerischen und finanziellen Erfolg witterten, gaben widerwillig nach. Roller arbeitete konzentriert an den Bühnenbildentwürfen für die drei Aufzüge und an mehr als 45 Kostümen. Im Juli 1909 berichtete er Hofmannsthal, dass das Schlafzimmer und verschiedene Kostüme Gestalt annehmen. Hofmannsthal schloss mit Roller eine feste mündliche Vereinbarung über die geschäftlichen Bedingungen seiner Mitarbeit. Der Verleger Adolph Fürstner würde die Entwürfe zusammen mit dem Regiekonzept abdrucken. Erstaunlich ist die Aufmerksamkeit auf jede Einzelheit, jeder Entwurf wurde im gedruckten Textbuch, in Klavierauszug und Partitur detailliert beschrieben, mit nur kleinen Varianten. Das größte Augenmerk wurde den Bühnenanweisungen geschenkt. Strauss fügte präzise Tempoangaben hinzu und im Arbeitseifer setzte er sogar eine szenische Bemerkung in Musik. Weniger bekannt sind Rollers Notizen zur Bühnenausstattung und Beleuchtung für das Regiekonzept. Diese Angaben beabsichtigten eine Hilfestellung bei Errichtung der Bühnenaufbauten und für die Bühnenmalerei ebenso wie für die Ausführung der Beleuchtung. Roller legte Wert darauf, dass die Ausstattung und die Farben seinen Entwürfen so nahe wie möglich kamen, um die geforderte Atmosphäre zu erzielen. Um die erwünschte szenische Intimität zu erreichen, sollten die relativ kleinen Dimensionen der Ausstattung eingehalten werden. Das Bühnenbild für den 1. Aufzug beschrieb Roller folgendermaßen: »Sehr repräsentativer, hoher, symmetrisch angelegter Raum von vornehmer Pracht. Mehr pompös als komfortabel und hygienisch. Keine Boudoirstimmung, sondern nach heutigen Begriffen für ein Schlafzimmer unmöglich viel Architektur und Pathos.« EVA N BA K ER

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Detaillierte Beschreibungen der dekorativen Gestaltung der Wände, Türen, Erker, Vorhänge und Fenster folgen. »Im Bettalkoven das große Bett der Fürstin mit holzgeschnitztem, hochglänzend vergoldetem Gestell und mit Einsätzen von dem großgemusterten, goldgelben Damast im Kopf- und Fußteil. Es ist mit weißseidenem Betttuch, einem großen weißseidenen Rüschenpolster, zwei kleinen weißatlassenen Federpolstern, deren einer auf dem Boden liegt, und einer weißatlassenen Steppdecke, die mit weißer Seide gefüttert ist, ausgestattet. Das Bett ist etwas zerwühlt, und die Bettdecke hängt auf den Boden herab. Mitten über dem Bett ein pompöser Baldachin an der Decke hängend. Seine Vorhänge sind außen aus dem goldgelben Damast und mit Goldfransen gerändert. Das Vorhangfutter besteht der ganzen Ausdehnung nach aus Hermelinpelz. Die Vorhänge sind beiderseits zurückgerafft und anscheinend mit je einem Griff lösbar, so dass sie dann, mit ihren vorderen Teilen den größten Teil des Bettes verhüllend, zusammenfallen. Sie hängen oben an einem holzgeschnitzten, vergoldeten Kranz, der eine Kuppel von weißen Straußfedern trägt.« Rollers Anweisungen für die Beleuchtung schlossen eine Bemerkung ein, der zufolge der Vorhang des rechten Erkers durchscheinend sein müsse, damit das Morgenlicht eindringen könne. Dieser Vorhang solle bereits geöffnet sein, und wenn Octavian ihn schließe, müsse die gesamte Beleuchtung etwas zurückgenommen werden. Das weiche Licht durch das Vorderfenster solle allmählich und unmerklich bis zu voller Helligkeit anwachsen. Der Empfangssalon im zweiten Stock von Faninals Palais wurde von Roller so beschrieben: »Sehr anspruchsvoller hoher Raum mit tonnengewölbter Decke, der bei aller Prachtentfaltung eine mehr protzige als vornehme Wirkung macht. Alles sieht neu, kalt und unausgewohnt aus.« Im Hintergrund befindet sich ein großes Stiegenhaus, das die Bühne durch eine Öffnung im Bühnenboden erreicht. Roller schreibt für die Beleuchtung vor, dass im Saal warmes, im Stiegenhaus schwächeres, kühleres Tageslicht herrschen muss. Die Sonne scheint durch das Fenster zur Rechten. Wenn die großen Doppeltüren für den Eintritt Octavians mit seinem Gefolge geöffnet werden, sollte mehr Sonnenlicht hereinfluten, wie von einem hochgelegenen Fenster. In der Beschreibung der Dekorationen heißt es unter anderem auch: »In den beiden rückwärtigen Ecken links und rechts je ein sehr großer Marmorkamin mit figuralen großen Gruppen von weißglasierter Fayence. Die Heizöffnungen sind durch reiche, vergoldete, schmiedeeiserne Gittertüren geschlossen, deren gebogene Flügel sich nach der Bühne zu öffnen.« Diese Kamine werden zwar im Libretto erwähnt, nicht aber in der Partitur und im Klavierauszug, wo es heißt: »Aus den geheimen Türen in den rückwärtigen Ecken gleiten links Valzacchi, rechts Annina lautlos spähend heraus«, um Sophie und Octavian in flagranti zu erwischen. Rollers Regiekonzept sieht einen wesentlich effektvolleren Auftritt vor: »Die großen schmiedeeisernen Türen der beiden Kamine in den Ecken rechts und links öffnen sich lautlos; 61

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aus dem rechten taucht Annina, aus dem linken Valzacchi auf. Die Kamintüren schließen sich hinter ihnen geräuschlos.« Das Extrazimmer in einem Gasthaus im dritten Aufzug ist, nach Rollers Beschreibung, »weder neu noch elegant. Dieses separierte Zimmer hat eine durch vielfache Umbauten und Adaptierungen des ganzen Hauses entstandene Zufallsform. Dies drückt sich auch in der unverständlichen Disposition der Fenster aus.« Die Beleuchtung des Raumes »erfolgt hauptsächlich durch die auf der Bühne befindlichen Wachskerzen (keine elektrischen!), und wird nach Bedarf durch eine dunkelgelbe und dunkelblaue Soffittenund Rivaltabeleuchtung verstärkt. Diese Verstärkung wird je nach der Zahl der jeweils auf der Bühne brennenden Kerzen reguliert. Zum Schluss Mond durch das ovale Fenster der linken Seitenwand.« Bis Oktober 1910 arbeitete Roller an seinen Kostümzeichnungen, denen er gleiche Sorgfalt wie den Bühnenbildern widmete. Die Schneiderarbeit der Kostüme sollte den sozialen Status jeder Figur widerspiegeln. Die Männerhosen zum Beispiel sollten für die »eleganten Personen« (Octavian, Faninal, Italienischer Sänger) kürzer und besser sitzend sein als für jene, »die plump oder unelegant oder schwerfällig aussehen sollen« (Ochs und sein Gefolge, Valzacchi). Für das Kostüm der Marschallin schlug Hofmannsthal in einem Brief an Roller am 9. Juli 1910 vor: »Ich dachte nicht an Pelzmantel, sondern an geblümten Brocat mit schmalen Pelzbesatz, (…) noch mehr Morgenkleid als bloßer Mantel«, ein Vorschlag, den Roller übernahm. Nachdem Strauss bei einem Besuch in Wien April 1910 mehrere Entwürfe gesehen hatte, schrieb er am 23. April an Hofmannsthal: »Rollers Figurinen sind prachtvoll!« Ende Oktober 1910 waren alle Entwürfe in Fürstners Händen, der begann, sie in Farbe zu reproduzieren. Diese großformatigen Blätter aus Kunstdruckpapier kamen in Mappen, gemeinsam mit den Beschreibungen der Bühnenbilder und der Kostüme. Diese Mappen wurden an die Theater versandt, die rechtzeitig mit der Ausführung beginnen mussten, um die letzte Probenarbeit zu ermöglichen. (Wien wurde die zehnte Inszenierung nach der Uraufführung.) Rollers Regiekonzept, das die szenischen Anweisungen, die im Textbuch und in der Partitur abgedruckt sind, ergänzte, erhielt Strauss’ und Hofmannsthals Zustimmung. Strauss schrieb am 12. Oktober 1910 an Roller: »Ihr Regiebuch ist Reinhardts helle Bewunderung: er erklärte es als Modell und einfach musterhaft.« Das Regiebuch wurde als Regieskizzen in einem 46 Seiten-Heftchen bei Fürstner herausgegeben. Am Abend des 26. Jänner 1911 erlebte Der Rosenkavalier seine triumphale Uraufführung. Schon seit Anfang des Jahres liefen in Wien die Vorbereitungen für die Erstaufführung in vollem Gange. Die gesamte Inszenierung – Bühnenbild und Kostüme – wurde »im Haus« hergestellt. Mit Rollers Regieskizzen in der Hand leitete der Hausregisseur Wilhelm von Wymetal die Bühnenproben, und Franz Schalk hatte die musikalische Leitung inne. Von Ende März bis in die erste Aprilwoche wohnten Strauss, Hofmannsthal und EVA N BA K ER

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Roller einigen Bühnen- und Technikproben bei. Die Premiere fand am 8. April 1911 statt und man feierte einen großen Erfolg, siebzehn weitere Aufführungen folgten noch vor Ende der Spielzeit. Die Roller’sche Inszenierung blieb im Grundprinzip bis 1968 im Repertoire der Wiener Oper. Nach der Uraufführung schreibt Hofmannsthal seiner guten Freundin Ottonie Degenfeld: »… so XVIIItes Jahrhundert, wie ich nie etwas auf der Bühne gesehen habe. Das hat Roller für uns gemacht, mit unglaublichem Talent und unglaublicher Hingabe. Nie war etwas auf der deutschen Bühne, woran so jeder Fleck dem Auge wohltut, wie an einem Pastell von Delatour oder einem alten Farbendruck.« Noch 40 Jahre später schrieb Strauss in seinen Erinnerungen: »Alfred Rollers Dekorationen waren herrlich, sind heute noch vorbildlich wie am ersten Tag! Ehre seinem Andenken!«

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Andreas Láng

EINE MORGENGABE FÜR DEN NACHFOLGER

» Der Rosenkavalier « im Haus am Ring


Worin bestehen die Freuden eines Operndirektors, abgesehen von qualitätsvollen und ausverkauften Vorstellungen? Im Entdecken neuer Stimmen, gelungenen Neuproduktionen und – wenn möglich – im Ans-Land-Ziehen neuer Werke in Form von Erst- oder Uraufführungen. Man kann sich also denken, wie schmerzvoll es sein muss, wenn ein Direktor in die Lage kommt, eine neue, wichtige Oper für das eigene Haus zu fixieren und dann knapp vor dem Premierentermin sein Amt verliert und auf diese Weise den Erfolg nur mehr als Außenstehender erleben darf. So geschah es mit Felix von Weingartner. Er hatte sich bereits mit Richard Strauss über den Termin der Rosenkavalier-Erstaufführung an der Hofoper, also an der heutigen Wiener Staatsoper, geeinigt – es war der 8. April 1911 – und (musste) wenige Wochen vorher das Handtuch werfen. Auf diese Weise fiel seinem Nachfolger Hans Gregor dieses geniale Werk praktisch als Morgengabe in den Schoß. Am Pult stand Richard Strauss’ späterer Direktions-Compagnon Franz Schalk, die Regie dieser denkwürdigen Produktion stammte vom damaligen Oberspielleiter Wilhelm von Wymetal, der sich schon bei einer Vielzahl an Neuproduktionen bewährt hatte, Kostüme und Bühnenbildentwürfe schuf Alfred Roller, die Ausführung Letzterer lag in den Händen Anton Brioschis. Der Rosenkavalier war übrigens nach der Feuersnot (Erstaufführung im Haus am Ring: 1902) und der Elektra (Erstaufführung im Haus am Ring: 1909) die dritte Strauss-Oper, die über die Bühne dieses Hauses ging. Und bis zum Jahr 2022 blieb sie – mit über 1.000 Vorstellungen – die mit Abstand am häufigsten aufgeführte Oper dieses Komponisten an der Wiener Staatsoper. Schon die Erstaufführung im Jahr 1911 war ein absoluter Publikumserfolg: Für den Komponisten, den Librettisten, das Werk und die Interpretenriege, die sich hauptsächlich aus Publikumslieblingen zusammensetzte. Alle voran standen Richard Mayr als Prototyp eines Ochs auf Lerchenau, Marie Gutheil-Schoder als Octavian und Lucy Weidt als Marschallin. Auch für die Sophie war ein klingender Name aufgeboten gewesen: Selma Kurz, die spätere Uraufführungs-Zerbinetta der Wiener Fassung der Ariadne auf Naxos. Doch die konfliktfreudige Sängerin musste durch die ebenfalls beliebte Gertrud Förstel ersetzt werden, da Selma Kurz im Zuge der Generalprobe eine Auseinandersetzung mit Direktor Gregor provoziert (es ging um eine Generalprobenkarte!) und diesem daraufhin die Partie hingeschmissen hatte. Wie so oft standen die Zeitungskritiken auch damals in fulminantem Gegensatz zum Publikumsgeschmack. Die Verrisse, Fehlurteile und nicht eingetretenen Prophezeiungen, die sich der Rosenkavalier in Wien nach dem ersten Kennenlernen gefallen lassen musste, sind unbeschreiblich: »Walzer solcher Art vertragen wirklich nicht die Standeserhebung, die ihnen Richard Strauss, obendrein in tiefer Verkennung der Kunst Johann Strauß’, zugedacht hat«, schrieb Julius Korngold in der Neuen Freien Presse; »Eine Farce, die stellenweise zur Operette herabsinkt, stellenweise noch tiefer, zur Posse mit Musik«, hieß es in der Wiener Allgemeinen Zeitung; »Hofmanns 67

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thal und Strauss, die sich für eine musikalische Komödie befähigt hielten, sind gänzlich von Humor verlassen«, urteilte die Wiener Abendpost. In diesem Ton ging es munter weiter. Da die Zuschauerinnen und Zuschauer jedoch herbeiströmten, setzte Gregor den Rosenkavalier immer wieder an. Mehr noch, andere Werke, die weniger Zuspruch ernteten, wurden kurzerhand durch den Rosenkavalier ersetzt. In den nächsten 18 Jahren stand die Oper nicht weniger als 189 Mal auf dem Spielplan – immerhin 27 Mal sogar unter der persönlichen Leitung des Komponisten, der ja für einige Jahre auch die Leitung der Wiener Oper innehatte. Zu einer Neuproduktion kam es erst in der Direktionszeit des Strauss-Intimus Clemens Krauss. Nicht einmal eine Woche, nachdem die Geschicke der Wiener Staatsoper von Krauss übernommen worden waren, kam es am 7. September 1929 in der Regie Lothar Wallersteins zu einer glanzvollen Premiere – und wie so oft stand der neue Hausherr selbst am Pult. Den Ochs gab, wie schon 18 Jahre zuvor, abermals Richard Mayr, als Marschallin konnte Lotte Lehmann bejubelt werden (Krauss’ Ehefrau Viorica Ursuleac sang die Rolle in den nächsten Jahren immerhin 20 Mal) und als Octavian erlebten die Wiener Vera Schwarz, die diese Partie auch schon zuvor in der alten Produktion mehrfach erfolgreich interpretiert hatte. Im Grunde gab es in den Hauptrollen kein einziges Rollendebüt, da jeweils bereits Rosenkavalier-erprobte Sängerinnen und Sänger zum Einsatz kamen. Es kann nicht von vielen Werken behauptet werden, dass sie zu den Stützen des Repertoires zählen. Der Rosenkavalier gehört ohne Zweifel in den engen Kreis dieser Stücke. Er stand bis in die letzte Woche vor der kriegsbedingten Einstellung des Betriebes am Spielplan (24. Juni 1944) und nach der Zerstörung des Hauses im Jahr 1945 und bis zur Wiedereröffnung desselben (1955) erfreute der Rosenkavalier das Publikum im Theater an der Wien, dem Ausweichquartier der Wiener Staatsoper. Ja, man nahm diese Oper sogar auf Gastspielreisen nach Amsterdam, Brüssel und Wiesbaden mit. Und selbstverständlich durfte der Rosenkavalier auch anlässlich des Wiedereröffnungsfestes der Wiener Staatsoper nicht fehlen. Am 16. November 1955 kehrte das Werk zurück auf jene Bühne, auf der es, allein vom Sujet her, wahrscheinlich noch mehr beheimatet war und ist als am Dresdner Uraufführungsort. Regisseur Josef Gielen und vor allem Bühnenbildner Robert Kautsky orientierten sich bewusst an der ehemaligen optischen Gestaltung Alfred Rollers und unterstrichen diese Vorbildfunktion am Besetzungszettel mit dem Satz: »Bühnenbilder und Kostüme unter teilweiser Verwendung der Entwürfe von Alfred Roller.« Die Namen der damaligen Interpreten lassen die Herzen der Opernfreunde noch heute höherschlagen: Unter Hans Knappertsbusch sangen unter anderem Maria Reining (Marschallin), Sena Jurinac (Octavian), Hilde Güden (Sophie) und Kurt Böhme (Ochs). Und diesmal jubelten alle: die Zuschauer und die Kritiker. So hieß es etwa in der Presse: »Man hörte eine schwungvolle, impulsive Darstellung. Mit genießeA N DR EAS LÁ NG

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rischer Kennerfreude werden die klanglichen Schönheiten und Feinheiten vor dem Zuhörer ausgebreitet. Alles berauscht sich am Klang – Orchester, Dirigent und Zuhörerschaft –, preist abermals die akustische Vortrefflichkeit des neu-alten Raumes.« 13 Jahre lang beziehungsweise 175 Mal stand diese Inszenierung am Spielplan, wobei drei der Vorstellungen 1967 zur Weltausstellung in Montréal gegeben wurden, zu der die Wiener Staatsoper eine Einladung erhalten hatte. Am 13. April 1968 schließlich feierte die bislang letzte Neuproduktion des Rosenkavaliers im Haus am Ring Premiere. Diesmal stand Leonard Bernstein am Pult und Christa Ludwig (Marschallin), Walter Berry (Ochs), Gwyneth Jones (Octavian), Reri Grist (Sophie) und Erich Kunz (Faninal) auf der Bühne. Und auch dieser Rosenkavalier wurde nicht nur im Haus am Ring gezeigt, sondern erlebte gefeierte Aufführungen in Moskau, Budapest, Tokio, Osaka und Nagoya. Die damals wie heute gültige und ungebrochen beliebte Inszenierung stammt von Otto Schenk, der seine Regie in den Bühnenbildern von Rudolf Heinrich zur Wiederaufnahme am 16. Dezember 2010 persönlich wieder mit neuem Leben erfüllt hat.

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EIN E MORGENGA BE F Ü R DEN NACHFOLGER


VON DER MENSCHLICHK EIT DE S ROSEN K AVA LIERS

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KOLUMN EN T IT EL


Christa Ludwig

DER KREIS DES » ROSENKAVALIERS «

Am 26. Dezember 1955 sang ich in der wieder neu erbauten Wiener Staatsoper zum ersten Mal in Wien den Rosenkavalier und hatte einen unvergesslichen Eindruck, so wunderbar, dass ich zum Augenblick sagen wollte: »Verweile doch, du bist so schön!« Bis dahin sang ich in Deutschland in meist sehr bombengeschädigten Häusern und zum ersten Mal erlebte ich beim Auftritt des Rosenkavaliers zur Rosenüberreichung im zweiten Akt von der Bühne aus die Pracht des Zuschauerraumes. Ich war wie geblendet, dazu die Musik, die Philharmoniker, mein mit Rosen besticktes weißes Kostüm, die weiße Perücke und die silberne Rose in der Hand. Alles war glänzend in jeder Beziehung. Ich fühlte mich wie abgehoben von der Realität. Meine erste Marschallin hier war die legendäre Hilde Konetzni. Andere berührende Marschallinnen waren unter anderen Hilde Zadek, Maria Reining, die ja ein besonderer Liebling der Wiener war. Sie ließ mich vor der Vorstellung in ihre CHR ISTA LU DW IG

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Garderobe rufen und sagte: »Meine liebe junge Kollegin, Sie können alles mit mir machen, nur fassen Sie ja nicht auf meine Haare!« Sie trug nämlich zu Beginn des ersten Aktes keine Perücke, sondern kam mit ihren blonden Haaren frisch vom Friseur! Natürlich durften damals Marschallin und Octavian nicht im Bett liegen, sondern ich musste höchst anständig vor der Marschallin knien, die auf einem Sofa saß! Die Marschallinnen waren zum Teil sehr unterschiedlich angelegt. Zum Beispiel meine vielgeliebte Sena Jurinac und auch Leonie Rysanek waren fraulicher. Lisa Della Casa und Elisabeth Schwarzkopf waren prinzessinnenhafter. Aber immer dachte ich mir – der Octavian versteht überhaupt gar nichts von dem, was Hofmannsthal die Marschallin sagen lässt. Er ist eben nur 17 Jahre alt! Überhaupt mochte ich nie gern den Octavian singen – gar keine Hosenrollen. Erstens musste man schlank sein, durfte also nichts essen. Zweitens musste man die fraulichen Attribute verstecken! In Wien hieß es charmant: das Brustleiberl für die Frau Kammersängerin. In Berlin dagegen: die Busenquetsche. Als ich in Frankfurt in meinen Anfängerjahren mit 24 Jahren zum ersten Mal den Octavian »probierte«, schenkte mir meine Mutter den Klavierauszug und schrieb hinein »Jetzt für den Octavian und später für die Marschallin«. (Es ist übrigens der einzige Klavierauszug, den ich nach Abgang von der Bühne behalten habe.) Die Aufführungen in Wien wurden meistens von den Hausdirigenten wie Rudolf Moralt, Berislav Klobučar, Heinrich Hollreiser – auch Josef Krips – betreut, alles große Kenner und Könner! Aber keine STAR-Dirigenten, wie es heute so bald heißt. Auch Karl Böhm, der als damaliger Direktor der Oper dirigierte, wurde nie als Star-Dirigent bezeichnet. Einmal hatten wir ein schreckliches Erlebnis, als Karl Böhm an das Dirigentenpult kam und ein furchtbares Schreien und Buh-Rufe ertönten. Und zwar wegen einer sehr unüberlegten Antwort, die er auf die Frage eines Reporters gab, warum er nicht längere Zeit in Wien zur Verfügung stünde. Nun kam Böhm gerade von der New Yorker Metropolitan Opera zurück, wo er sehr großen Erfolg hatte und sagte, er würde seine amerikanische Karriere nicht wegen Wien aufgeben. Das Buh-Rufen dauerte lange, auf der Bühne zitterten mir die Knie, endlich fingen die ersten Takte zum Vorspiel an und Ruhe kehrte ein. Als Böhm sich beim Schlussapplaus solo verbeugte, war ein einziges Jubelgeschrei. Man buhte also den Direktor aus, und jubelte dem Dirigenten zu! Ja, und später kam für mich die große Überraschung, als Leonard Bernstein mich als Marschallin wollte. Er sah mich an der Met als Färbersfrau in Die Frau ohne Schatten und so schien ich für ihn wohl ein Sopran. Ich sagte natürlich »Nein, nein, ich bin ein Octavian«, aber er bestand auf seinen Wunsch. Natürlich war ich halb beglückt, endlich die Worte der Marschallin sagen zu dürfen, aber halb sehr ängstlich – ist die Partie nicht zu hoch für mich? Aber da ich es liebe, im Leben Hürden zu überwinden, sagte ich zu. 73

DER K R EIS DE S »ROSEN K AVA LIERS«


Die Besetzung damals war ein sonderbarer Misch-Masch: Die ganz entzückende Amerikanerin Reri Grist als Sophie, die Engländerin Gwyneth Jones (Isolde, Brünnhilde) als Octavian, ich – Mezzosopran – als nur »zugereiste« Wienerin – die Marschallin. Nur Walter Berry als Ochs auf Lerchenau war ein echter Wiener – aber kein Bass, sondern Bariton. Dazu ein Amerikaner (Bernstein) am Pult, der zum ersten Mal Rosenkavalier dirigierte. Das kann ja nicht gut gehen, dachten wir alle. Aber das Wunder geschah: durch Otto Schenks Regie, ein wienerisches Bühnenbild von Rudolf Heinrich, zauberhafte Kostüme von Ernie Kniepert, den Philharmonikern im Orchestergraben und einem Genie am Dirigentenpult, brach ein Zauber aus, sodass alles herrlich zusammenpasste. Bernstein war ein Liebhaber Wiens und seiner Kultur, aber nicht vertraut mit der Wiener Mentalität. Er nahm recht langsame, ungewohnte Tempi – bittersweet, wie er es nannte. Zusammen mit dem Bild und dem Geschehen auf der Bühne passte alles wunderbar zusammen. Jeden Abend lag auf seinem Pult von unbekannter Hand eine rote Rose! So kam ich doch zur Marschallin, wie meine Mutter 16 Jahre vorher geschrieben hatte. Hofmannsthals Worte der Marschallin im ersten Akt: »Leicht muss man sein, mit leichtem Herz und leichten Händen halten und nehmen, halten und lassen« habe ich mir für mein ganzes Leben als Devise genommen. So sang ich am 26. Dezember 1980 meine letzte Marschallin, und der Kreis des Rosenkavaliers in Wien hat sich nach 25 Jahren leichten Herzens geschlossen.

DER K R EIS DE S »ROSEN K AVA LIERS«

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Alfred de Musset → Emmeline

» Er ist schön, er ist gut, er liebt mich», sagte sie sich. Ihr Herz schlug dabei stürmisch; sie hörte das Ticken der kleinen Standuhr auf dem Kaminsims, und der einförmige Anschlag des Pendels war ihr unerträglich; sie stand auf, um ihn anzuhalten. »Was tue ich?» fragte sie sich; »halte ich Stunde und Zeit an, wenn ich eine kleine Uhr zum Schweigen zwinge? « Die Augen auf die Uhr gerichtet, überließ sie sich Gedanken, die ihr noch nie gekommen waren. Sie dachte an Vergangenes, an die Zukunft, an die Hast des Lebens; sie fragte sich, warum wir auf der Erde seien, was wir hier wollten, und was unser später harre.


Norbert Abels

EIN ERFUNDENES GESPRÄCH ZWISCHEN SIGMUND FREUD UND HUGO VON HOFMANNSTHAL Dieser Dialog Hofmannsthals und Freuds hat in Wirklichkeit nie stattgefunden. Nur über die zur gleichen Epoche und im gleichen Lebensraum entstandenen Werke kannten sich die beiden Männer. NOR BERT A BELS

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Bekannt ist Freuds emphatische Aufnahme der Hofmannsthalʼschen ÖdipusBearbeitung. Bekannt ist aber auch das Ressentiment, das Hofmannsthal gegen die Analyse hegte. Freud, »dessen Schriften ich sämtlich kenne«, besitze zwar fachliche Akribie – »der scharfsinnige jüdische Arzt« sei jedoch keineswegs frei von »borniertem, provinzmäßigem Eigendünkel«. In der Einschätzung einer psycho-mythologisch wiederzuentdeckenden Antike aber trafen sich Hofmannsthal und Freud. Der folgende Dialog, eine Montage aus den Werken der beiden Österreicher, stellt diese Wiederentdeckung des Altertums für die Moderne in den Mittelpunkt. Ich stelle mir vor, dass sich Freud und Hofmannsthal bei einem Bergausflug, vielleicht auf der Raxalpe, trafen und in einem Wirtshausgarten dieses Gespräch führten. Ich bin kein Kunstkenner, sondern Laie. Ich habe oft bemerkt, dass mich der Inhalt eines Kunstwerkes stärker anzieht als dessen formale und technische Eigenschaften, auf welche doch der Künstler in erster Linie Wert legt. Für viele Mittel und manche Wirkungen der Kunst fehlt mir eigentlich das richtige Verständnis. Aber Kunstwerke üben eine starke Wirkung auf mich aus, insbesondere Dichtungen und Werke der Plastik, seltener Malereien. Ich bin so veranlasst worden, bei den entsprechenden Gelegenheiten lange vor ihnen zu verweilen, und wollte sie auf meine Weise erfassen, d.h. mir begreiflich machen, wodurch sie wirken. Wo ich das nicht kann, z.B. in der Musik, bin ich fast genussunfähig. Eine rationalistische oder vielleicht analytische Anlage sträubt sich in mir dagegen, dass ich ergriffen sein und dabei nicht wissen solle, warum ich es bin und was mich ergreift. FREUD

Ich halte Wirkung für die Seele der Kunst, für ihre Seele und ihren Leib, für ihren Kern und ihre Schale, für ihr ganzes völliges Wesen. Wenn sie nicht wirkte, wüsste ich nicht, wozu sie da wäre. Wenn sie aber durch das Leben wirkte, durch das Stoffliche in ihr, wüsste ich wieder nicht, wozu sie da wäre. Man hat gesagt, dass unter den Künsten ein wechselseitiges Bestreben fühlbar sei, die eigene Sphäre der Wirkung zu verlassen und den Wirkungen einer Schwesterkunst nachzuhängen: Als das gemeinsame Ziel alles solchen Auseinanderstrebens aber hebt sich deutlich die Musik hervor, denn das ist die Kunst, in der das Stoffliche bis zur Vergessenheit überwunden ist. HOFMANNSTHAL

Was uns so mächtig packt, kann nach meiner Auffassung doch nur die Absicht des Künstlers sein, insofern es ihm gelungen ist, sie in dem Werke auszudrücken und von uns erfassen zu lassen. Ich weiß, dass es sich um kein bloß verständnismäßiges Erfassen handeln kann; es soll die Affektlage, die psychische Konstellation, welche beim Künstler die TriebFREUD

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EIN ER F U N DEN E S GE SPR ÄCH Z W ISCHEN FR EU D U N D HOFM A N NST H A L


kraft zur Schöpfung abgab, bei uns wieder hervorgerufen werden. Aber warum soll die Absicht des Künstlers nicht angebbar und in Worte zu fassen sein wie irgendeine andere Tatsache des seelischen Lebens? Vielleicht dass dies bei den großen Kunstwerken nicht ohne Anwendung der Analyse gelingen wird. Situationen sind symbolisch; es ist die Schwäche der jetzigen Menschen, dass sie sie analytisch behandeln und dadurch das Zauberische auflösen. Bedenklicher Determinismus – alles Höhere des Menschen aus seinem Niedersten zu entwickeln – dieser – pardon – Freudianismus ist dem Bedenklichen der Zeit verwandt. Das Theorem, These, Ausgangspunkt ist fruchtbar, solange es sich um allgemeine Gesichtspunkte handelt. Sobald es sich des Individuums bemächtigen will, muss die Theorie falsch und entstellend werden: Das höhere Recht des Individuums besteht in der Überwindung der Gebundenheiten. Es gibt kein gewagteres Unternehmen als den Versuch, ein Individuum darzustellen. Das wahre Leben eines Menschen ist äußerst vage, schlecht definierbare Materie, selbst für seine Nächsten. Wir kennen allenfalls seine Erlebnisse, aber wir wissen nicht, was ihm seine Erlebnisse bedeuten; wie weit sie mit seinem eigentlichen Selbst zu tun haben. Er weiß es selbst nicht; er ist der erste, seine Erlebnisse zu bezweifeln, und er hat alle Ursache dazu. Wer einen Menschen ganz kennen würde (so wie auch kein Mensch sich selbst kennt), würde auf erschreckende Zusammenhänge kommen, und auch auf erschreckende Lücken. HOFMANNSTHAL

Normalerweise ist uns nichts gesicherter als das Gefühl unseres Selbst, unseres eigenen Ichs. Dies Ich erscheint uns selbständig, einheitlich, gegen alles andere gut abgesetzt. Dass dieser Anschein ein Trug ist, dass das Ich sich vielmehr nach innen ohne scharfe Grenze in ein unbewusst seelisches Wesen fortsetzt, das wir als Es bezeichnen, dem es gleichsam als Fassade dient, das hat uns erst die psychoanalytische Forschung gelehrt. FREUD

Dringt man in einen Menschen tiefer ein, analysiert man ihn, so ergeben sich als Fond lauter allgemein menschliche Züge – das Individuelle verliert sich. Die Umstände und Handlungen, die übrigbleiben, könnten so gut einem anderen gehören wie gerade diesem. Was sie zur individuellen Existenz zusammenbindet, ist diese aus einem dunklen Untergrund genährte Spannung auf das Kommende, die nur mit dem Leben selbst aufhört. Die in Individuen zerstückelte Welt sehnt sich nach Einheit. Alle Zweiteilungen, in die der Geist das Leben polarisiert hatte, sind im Geiste zu überwinden und in geistige Einheit überzuführen; alles im äußeren Zerklüftete muss hineingerissen werden ins eigene Innere und dort in eines gedichtet werden, damit außen Einheit werde, denn nur dem in sich Ganzen wird die Welt zur Einheit. HOFMANNSTHAL

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Wir schöpfen wahrscheinlich aus der gleichen Quelle, bearbeiten das nämliche Objekt, ein jeder von uns mit einer anderen Methode, und die Übereinstimmung im Ergebnis scheint dafür zu bürgen, dass beide richtig gearbeitet haben. Unser Verfahren besteht in der bewussten Beobachtung der abnormen seelischen Vorgänge bei anderen, um deren Gesetze erraten und aussprechen zu können. Der Dichter geht wohl anders vor; er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unbewusste in seiner eigenen Seele, lauscht den Entwicklungsmöglichkeiten desselben und gestattet ihnen den künstlerischen Ausdruck, anstatt sie mit bewusster Kritik zu unterdrücken. So erfährt er aus sich, was wir bei anderen erlernen, welchen Gesetzen die Betätigung dieses Unbewussten folgen muss, aber er braucht diese Gesetze nicht auszusprechen, nicht einmal sie klar zu erkennen, sie sind infolge der Duldung seiner Intelligenz in seinen Schöpfungen verkörpert enthalten. Wir entwickeln diese Gesetze durch Analyse aus seinen Dichtungen, wie wir sie aus den Fällen realer Erkrankungen herausfinden, aber der Schluss scheint unabweisbar, entweder haben beide, der Dichter wie der Arzt, das Unbewusste in gleicher Weise missverstanden, oder wir haben es beide richtig verstanden. FREUD

Bei uns aber ist nichts zurückgeblieben als frierendes Leben, schale, öde Wirklichkeit, flügellahme Entsagung. Wir haben nichts als ein sentimentales Gedächtnis, einen gelähmten Willen und die unheimliche Gabe der Selbstverdopplung. Wir schauen unserem Leben zu; wir leeren den Pokal vorzeitig und bleiben doch unendlich durstig: Denn der Becher, den uns das Leben hinhält, hat einen Sprung, und während uns der volle Trunk vielleicht berauscht hätte, muss ewig fehlen, was während des Trinkens unten rieselnd verlorengeht; so empfinden wir im Besitz den Verlust, im Erleben das stete Versäumen. Wir haben gleichsam keine Wurzeln im Leben und streichen, hellsichtige und doch tagblinde Schatten, zwischen den Kindern des Lebens umher. Wir! Wir! Ich weiß ganz gut, dass ich nicht von der ganzen großen Generation rede. Ich rede von ein paar tausend Menschen, in den europäischen Städten verstreut. Ein paar davon sind berühmt. Sie sind nicht notwendigerweise der Kopf oder das Herz der Generation: Sie sind nur ihr Bewusstsein. Sie fühlen sich mit schmerzlicher Deutlichkeit als Menschen von heute. Heute scheinen zwei Dinge modern zu sein: die Analyse des Lebens und die Flucht aus dem Leben. Gering ist die Freude an Handlung, am Zusammenspiel der äußeren und inneren Lebensmächte, am Wilhelm-Meisterlichen Lebenlernen und am Shakespearischen Weltlauf. Man treibt Anatomie des eigenen Seelenlebens, oder man träumt. Reflexion oder Phantasie, Spiegelbild oder Traumbild. Modern sind alte Möbel und junge Nervositäten. Modern ist das psychologische Graswachsenhören und das Plätschern in der reinphantastischen Wunderwelt. HOFMANNSTHAL

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Ich glaube, dass die meisten Menschen zu Zeiten ihres Lebens Phantasien bilden. Es ist das eine Tatsache, die man lange Zeit übersehen und deren Bedeutung man darum nicht genug gewürdigt hat. Sie werden fragen, woher man denn über das Phantasieren der Menschen so genau Bescheid wisse, wenn es von ihnen mit soviel Geheimtun verhüllt wird. Nun, es gibt eine Gattung von Menschen, denen zwar nicht ein Gott, aber eine strenge Göttin – die Notwendigkeit – den Auftrag erteilt hat zu sagen, was sie leiden und woran sie sich erfreuen. Es sind dies die Nervösen, die dem Arzte, von dem sie Herstellung durch psychische Behandlung erwarten, auch ihre Phantasien eingestehen müssen. Der Künstler ist im Ansatz ein Introvertierter, der es nicht weit zur Neurose hat, und der Mechanismus der Dichtung ist derselbe wie jener der hysterischen Phantasien. Die Hysterie ist ein Zerrbild der Kunstschöpfung, eine Zwangsneurose ist ein Zerrbild der Religion, ein paranoischer Wahn ein Zerrbild eines philosophischen Systems. Die Phantasien sind… die nächsten seelischen Vorstufen der Leidenssymptome, über welche unsere Kranken klagen. Hier zweigt ein breiter Seitenweg zur Pathologie ab. FREUD

Ich weiß, wer das Wort »pathologisch« in Bezug auf poetische Darstellung in die Mode gebracht hat: Es ist Herr von Goethe. Aber ich akzeptiere Ihr Wort »pathologisch«. Ja, die Welt, die ich aus meinem Hirn hervorhole, ist bevölkert mit Wahnsinnigen. Alle sind sie so wahnsinnig, meine Geschöpfe, so verrannt in ihre fixen Ideen, so unfähig, das in der Welt zu sehen, was sie nicht mit dem Flackern ihres Blickes in die Welt hineinwerfen, so von Sinnen wie Lear. Aber so sind sie, weil sie Menschen sind. Es gibt für sie keine Erlebnisse, darum, weil es überhaupt keine Erlebnisse gibt. Weil das Innere des Menschen ein sich selbst verzehrender Brand ist, ein Schmerzensbrand, ein Glasofen, in welchem die zähflüssige Masse des Lebens ihre Form erhält. Pathologisch! Fassen wir nur gefälligst die Begriffe weit genug, und es werden die Hölle und der Himmel hineingehen. Ich gedenke wenigstens auf sie beide nicht zu verzichten. HOFMANNSTHAL

Die Kunst des Dichters besteht nicht darin, Probleme zu finden und zu behandeln. Das soll er den Psychologen überlassen. Sondern seine Kunst besteht darin, dichterische Wirkungen aus solchen Problemen zu gewinnen, und die Erfahrung zeigt, dass diese Probleme, wenn sie solche Wirkungen hervorbringen sollen, verkleidet sein müssen und dass die Wirkung nicht darunter leidet, wenn man die Probleme nur bloß ahnt und sich keiner der Leser oder Hörer darüber klar werden kann, worin die Wirkung besteht. Die Kunst des Dichters besteht also wesentlich in der Verhüllung. Das Unbewusste darf aber nicht ohne weiteres bewusstgemacht werden; es muss allerdings bis zu einem gewissen Grade bewusst sein, und zwar so, dass es noch auf uns wirkt, ohne dass wir uns in bewussten Gedanken damit FREUD

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beschäftigen können. Im Moment, wo das möglich ist, hört die Kunst auf. Wir haben wohl das Recht, ein Dichterwerk zu analysieren, aber es ist vom Dichter ein Recht, unsere Analysen zu poetisieren. Das scheint jedoch ein Zug der Zeit zu sein. Die Dichter dilettieren in allen möglichen Wissenschaften und bringen dann ihre Kenntnisse zur poetischen Bearbeitung. Das Publikum hat, wenn es diese Produkte ablehnt, vollkommen recht. Eher werden wir ihn, bestochen durch die psychologische Betrachtungsweise des Problems, milder beurteilen. Zu den Aufgaben des Dichters gehört es, uns die Einfühlung in seine Helden zu erleichtern, nicht aber den Menschen so abstoßend zu zeichnen, dass wir kein Interesse an seinem Schicksal nehmen können. Der Theatermensch muss eine einfache Charakterbildung mitbringen, und der Dichter muss es verstehen, so hochkomplizierte seelische Vorgänge zu simplifizieren. Welch ein hässlicher Gedanke! Niemals setzt die Poesie eine Sache für eine andere, denn es ist gerade die Poesie, welche fieberhaft bestrebt ist, die Sache selbst zu setzen, mit einer ganz anderen Energie als die stumpfe Alltagssprache, mit einer ganz anderen Zauberkraft als die schwächliche Terminologie der Wissenschaft. Wenn die Poesie etwas tut, so ist es das: dass sie aus jedem Gebilde der Welt und des Traumes mit durstiger Gier sein Eigenstes, sein Wesenhaftestes herausschlürft, so wie jene Irrlichter in dem Märchen, die überall das Gold herauslecken. Und sie tut es aus dem gleichen Grunde: weil sie sich von dem Mark der Dinge nährt, weil sie elend verlöschen würde, wenn sie dies nährende Gold nicht aus allen Fugen, allen Spalten in sich zöge. Vergessen wir doch niemals, dass die Bühne nichts ist, und schlimmer als nichts, wenn sie nicht etwas Wundervolles ist. Dass sie der Traum der Träume sein muss, oder aber sie ist ein hölzerner Pranger, auf dem das nackte Traumgebild des Dichters widerlich prostituiert wird. Wer das Bühnenbild aufbaut, muss wissen, wie, er muss daran glauben, vollgesogen muss er damit sein, dass es auf der Welt nichts Starres gibt, nichts was ohne Bezug ist, nichts was für sich allein lebt. Seine Träume müssen ihn das gelehrt haben, und er muss die Welt so sehen; die Kraft des Träumens muss groß in ihm sein und er muss ein Dichter unter den Dichtern sein. Sein Auge muss schöpferisch sein, wie das Auge des Träumenden, der nichts erblickt, was ohne Bedeutung wäre. Dichtkunst heißt doch, glaub ich, Deutekunst. Unbeschreiblich ist die Ökonomie der Träume. Die meisten Menschen leben nicht im Leben sondern in einem Schein, in einer Art von Algebra, wo nichts ist und alles nur bedeutet, und sie kennen alle eine andere Macht, eine wirkliche: die der Träume. Sie waren Kinder und damals waren sie mächtige Wesen. Da waren Träume, nachts, aber sie waren nicht auf die Nacht beschränkt; sie waren auch bei Tag da, waren überall: eine dunkle Ecke, ein Anhauch in der Luft, das Gesicht eines Tiers, das Schlurfen eines fremden Schrittes genügte, um ihre fortwährende Gegenwart fühlbar zu machen. Da HOFMANNSTHAL

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war der dunkle Raum hinter der Kellerstiege, ein altes Fass im Hof, halbvoll mit Regenwasser, eine Kiste mit Gerümpel; da war die Tür zu einem Magazin, die Bodentür, die Tür zur Nachbarswohnung, durch die jemand herauskam, vor dem man sich ängstlich vorbeiduckte, oder ein schönes Wesen, das den süßen undefinierbaren Schauder der ahnenden Begierde tief in die dunklen bebenden Tiefen des Herzens hineinwarf. Das Träumen ist tatsächlich ein Stück Regression zu den frühesten Verhältnissen des Träumers, ein Wiederbeleben seiner Kindheit, der in ihr herrschend gewesenen Triebregungen und verfügbar gewesenen Ausdrucksweisen. Hinter dieser individuellen Kindheit wird uns dann ein Einblick in die phylogenetische Kindheit, in die Entwicklung des Menschengeschlechts, versprochen, von der die des Einzelnen tatsächlich eine abgekürzte, durch die zufälligen Lebensumstände beeinflusste Wiederholung ist. Wir ahnen, wie treffend die Worte Nietzsches sind, dass sich im Träumen »ein uraltes Stück Menschentum fortübt, zu dem man auf direktem Wege kaum mehr gelangen kann«, und werden zur Erwartung veranlasst, durch die Analyse der Träume zur Kenntnis der archaischen Erbschaft des Menschen zu kommen, das seelisch Angeborene in ihm zu erkennen. Es scheint, dass Traum und Neurose uns mehr von den seelischen Altertümern bewahrt haben, als wir vermuten konnten, so dass die Psychoanalyse einen hohen Rang unter den Wissenschaften beanspruchen darf, die sich bemühen, die ältesten und dunkelsten Phasen des Menschheitsbeginnes zu rekonstruieren. FREUD

Denn wir haben unsere Träume nur zum Schein vergessen. Von jedem einzelnen von ihnen, auch von denen, die wir beim Erwachen schon verloren hatten, bleibt ein Etwas in uns, eine leise aber entschiedene Färbung unserer Affekte, es bleiben die Gewohnheiten des Traumes, in denen der ganze Mensch ist, mehr als in den Gewohnheiten des Lebens, all die unterdrückten Besessenheiten, in denen die Stärke und Besonderheit des Individuums sich nach innen zu auslebt. Diese ganze unterirdische Vegetation bebt mit bis in ihren dunkelsten Wurzelgrund, während die Augen von dem flimmernden Film das tausendfältige Bild des Lebens ablesen. Ja dieser dunkle Wurzelgrund des Lebens, er, die Region wo das Individuum aufhört Individuum zu sein, er, den so selten ein Wort erreicht, kaum das Wort des Gebetes oder das Gestammel der Liebe, er bebt mit. Von ihm aber geht das geheimste und tiefste aller Lebensgefühle aus: die Ahnung der Unzerstörbarkeit, der Glaube der Notwendigkeit und die Verachtung des bloß Wirklichen, das nur zufällig da ist. Von ihm, wenn er einmal in Schwingung gerät, geht das aus, was wir die Gewalt der Mythenbildung nennen. Vor diesem dunklen Blick aus der Tiefe des Wesens entsteht blitzartig das Symbol: das sinnliche Bild für geistige Wahrheit, die der ratio unerreichbar ist. HOFMANNSTHAL

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Indes hat die analytische Forschung einzelne Ergebnisse gebracht, die uns zu denken geben. Da ist zunächst die Allgemeinheit der Sprachsymbolik. Die symbolische Vertretung eines Gegenstands durch einen anderen – dasselbe ist auch bei anderen Verrichtungen der Fall – ist all unseren Kindern geläufig und wie selbstverständlich. Wir können ihnen nicht nachweisen, wie sie es erlernt haben, und müssen in vielen Fällen zugestehen, dass ein Erlernen unmöglich ist. Es handelt sich um ein ursprüngliches Wissen, das der Erwachsene später vergessen hat. Er verwendet die nämlichen Symbole zwar in seinen Träumen, aber er versteht sie nicht, wenn der Analytiker sie ihm nicht deutet, und auch dann schenkt er der Übersetzung ungern Glauben. Längstvergangene Zeiten haben eine große, eine oft rätselhafte Anziehung für die Phantasie der Menschen. Sooft sie mit ihrer Gegenwart unzufrieden sind – und das sind sie oft genug –, wenden sie sich zurück in die Vergangenheit und hoffen, diesmal den nie erloschenen Traum von einem goldenen Zeitalter bewahrheiten zu können. Wahrscheinlich stehen sie immer noch unter dem Zauber ihrer Kindheit, die ihnen von einer nicht unparteiischen Erinnerung als eine Zeit von ungestörter Seligkeit gespiegelt wird. Wenn von der Vergangenheit nur mehr die unvollständigen und verschwommenen Erinnerungen bestehen, die wir Tradition heißen, so ist das für den Künstler ein besonderer Anreiz, denn dann ist es ihm frei geworden, die Lücken der Erinnerung nach den Gelüsten seiner Phantasie auszufüllen und das Bild der Zeit, die er reproduzieren will, nach seinen Absichten zu gestalten. FREUD

Der Dichter kann etwas im Zuhörer leben machen, ohne dass der Zuhörer ahnt, auf welchem Wege ihm dies zugekommen ist. Er kann fühlen machen, wie zusammengesetzt das scheinbar Einfache, wie nahe beisammen das weit Auseinanderliegende ist. Er kann zeigen, wie aus einer Frau eine Göttin wird, wie aus einem Lebendigen ein Totes heraustritt – er kann das ungeheure Gemenge ahnen lassen, das durch die Maske des Ich zur Person wird. Darum nannten die Alten ja Maske und Person mit dem gleichen Wort. Er kann das Verschwiegene anklingen, das Ferne plötzlich dasein lassen. Er kann seine Gestalten über sich selbst ins Riesige hinauswachsen lassen, denn das tun Sterbliche in gewissen seltenen Momenten. HOFMANNSTHAL

Nur auf einem Gebiete ist auch in unserer Kultur die »Allmacht der Gedanken« erhalten geblieben, auf dem der Kunst. In der Kunst allein kommt es noch vor, dass ein von Wünschen verzehrter Mensch etwas der Befriedigung Ähnliches macht und dass dieses Spielen – dank der künstlerischen Illusion – Affektwirkungen hervorruft, als wäre es etwas Reales. Mit Recht spricht man vom Zauber der Kunst und vergleicht den Künstler mit einem Zauberer. Aber dieser Vergleich ist vielleicht bedeutsamer, als er zu sein beansprucht. Die Kunst, die gewiss nicht als lʼart pour lʼart beFREUD

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gonnen hat, stand ursprünglich im Dienste von Tendenzen, die heute zum großen Teil erloschen sind. Unter diesen lassen sich mancherlei magische Absichten vermuten. Auch die Schutzformeln der Zwangsneurose finden ihr Gegenstück in den Zauberformeln der Magie. Die primären Zwangshandlungen dieser Neurotiker sind eigentlich durchaus magischer Natur. Sie sind, wenn nicht Zauber, so doch Gegenzauber, zur Abwehr der Unheilserwartungen bestimmt, mit denen die Neurose zu beginnen pflegt. Doch kann man Zauberei und Magie begrifflich überhaupt voneinander trennen? (…)

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Impressum Richard Strauss / Hugo von Hofmannsthal DER ROSENKAVALIER Spielzeit 2021/22 (Premiere der Produktion 13. April 1968) HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Andreas Láng, Oliver Láng Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Anton Badinger Bildkonzept Cover: Martin Conrads, Berlin Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH, Bad Vöslau

TEXTNACHWEISE Philippe Jordan: Von der Menschlichkeit des Rosenkavaliers – Oliver Láng: Über dieses Programmbuch – Strauss komponiert mit Haut und Haar – Die Figuren im Rosenkavalier – Norbert Abels: Ein erfundenes Gespräch zwischen Sigmund Freud und Hugo von Hofmannsthal, in: Ohrentheater, Dielmann-Verlag, o.J. Übernahmen aus dem Staatsopern-Programmheft der Wiederaufnahme am 16. Dezember 2010: Die Handlung (englische Übersetzung: Andrew Smith) – Hugo von Hofmannsthal: Ungeschriebenes Nachwort zum Rosenkavalier –Andreas Láng und Oliver Láng im Gespräch mit Otto Schenk: Jede Komödie enthält tragische und lyrische Momente – Markus Siber: Anmerkungen zu Hugo von Hofmannsthal – diverse Autoren: Briefe und Eintragungen zur Entstehung des Rosenkavaliers – Andreas Láng: Die Keuschheitskommission – Thomas Leibnitz: Die Musik ist unendlich liebevoll – Evan Baker: Alfred Roller und Der Rosenkavalier – Andreas Láng: Eine Morgengabe für den Nachfolger – Christa Ludwig: Der Kreis des Rosenkavaliers

Die Produktion von Der Rosenkavalier wird gefördert von

BILDNACHWEISE Coverbild: Arthur Benda, Studie, Wien, 1932, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (Copyright: Courtesy Galerie Johannes Faber) Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH Österreichisches Theatermuseum: Seite 12/13, 53, 55 Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen werden nicht extra gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten.


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