Märchen haben eine besondere Anziehungskraft. Dies mag an ihren ambivalenten Bildwelten liegen, die – meist illusionistisch – sich stets der Imagination des Lesers oder Zuschauers öffnen. Märchen sind magische Vorformen der Vernunft. Sie duplizieren nicht das Leben, sondern stellen Werte, Sehnsüchte und Wunschwelten dar. Sie handeln oft von Menschen, die in stiller Verzweiflung leben, zeigen ihre Ratlosigkeit, Leere oder Einsamkeit. Ihr Held bricht aus dieser Welt auf, in der Hoffnung, eine bessere zu finden. Doch mit jedem Märchen kehren auch die Geister und Dämonen, die Ängste und Albträume zurück und lehren uns: Es gibt kein vollständig behütetes Zuhause – keinen Innenraum, der vor jedem Zugriff geschützt ist. Märchen sind Arsenale der Fantasie. Zwischen den Bereichen des Alltäglichen und des gänzlich Unbegehbaren angesiedelt erlauben sie eine scheinbar paradoxe Erfahrung: Das absolute Andere innerhalb der Welt des Diesseits in sich aufzunehmen.