Programmheft »Die Entführung aus dem Serail«

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DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL → Deutsches Singspiel in drei Aufzügen Musik Wolfgang Amadeus Mozart Text Christoph Friedrich Bretzner bearbeitet von Johann Gottlieb Stephanie d. J. Dialogfassung von Hans Neuenfels

Orchesterbesetzung Piccoloflöte, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Bassetthörner, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Schlagzeug, Hammerklavier Bühnenmusik 2 Flöten, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Schlagzeug

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. einer Pause Autographe 1. und 3. Akt: Jagiellonische Bibliothek Krakau, 2. Akt: Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin Uraufführung 16. Juli 1782, Altes Burgtheater, Wien Erstaufführung im Haus am Ring 17. Jänner 1872


Denk’ es, o Seele! Ein Tännlein grünet wo, Wer weiß, im Walde, Ein Rosenstrauch, wer sagt, In welchem Garten? Sie sind erlesen schon, Denk’ es, o Seele, Auf deinem Grab zu wurzeln Und zu wachsen. Zwei schwarze Rösslein weiden Auf der Wiese, Sie kehren heim zur Stadt In muntern Sprüngen. Sie werden schrittweis gehn Mit deiner Leiche ; Vielleicht, vielleicht noch eh An ihren Hufen Das Eisen los wird, Das ich blitzen sehe! Eduard Mörike


INHALT

Die Handlung Synopsis in English Über dieses Programmbuch Mozart braucht unsere Pathos-Rufzeichen nicht → Antonello Manacorda Ein kompliziertes Geflecht von Fallen, Hoffnungen und Irritationen → Hans Neuenfels im Gespräch 1 Auf das Ich ist kein Verlass → Hans Neuenfels im Gespräch 2 Das Paradox des Schau­spielers → Denis Diderot Exotik – Fremde – Exil → Thomas Betzwieser Nun bin ich aufgeklärt → Thomas Seedorf Hui Sau! → Ann-Christine Mecke Deconstructing Singspiel → David J. Levin Mit und ohne Feigenbaum → Oliver Láng

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Das Paar Konstanze – Belmonte in zwei Kombinationen: Emanuela von Frankenberg mit Daniel Behle, Lisette Oropesa mit Christian Natter



DIE HANDLUNG Erster Teil Der spanische Edelmann Belmonte erscheint vor dem Landgut des Bassa Selim, auf der Suche nach seiner Verlobten Konstanze. Diese wurde zusammen mit ihrer Dienerin, der englischen Zofe Blonde, und Belmontes Diener Pedrillo von Seeräubern entführt. Er trifft auf Osmin, den Aufseher über das Landgut, der ihm aber die gewünschte Auskunft feindselig verweigert. Erst nach seiner Wiederbegegnung mit Pedrillo erfährt Belmonte, dass Konstanze sowie das Paar Blonde und Pedrillo vom Bassa Selim als Sklaven gekauft wurden. Dieser liebt Konstanze, wurde aber bisher nicht erhört. Als zum Islam konvertierter Europäer habe er »noch soviel Delikatesse, keins seiner Weiber zur Liebe zu zwingen«. Davon kann sich Belmonte heimlich überzeugen, als der Bassa mit seinem Gefolge und Konstanze erscheint und Konstanzes erneuten Bitten um Aufschub ihrer Entscheidung nachgibt. Pedrillo gelingt es, Belmonte dem Bassa als Baumeister vorzustellen und verschafft ihm so, gegen den Widerstand Osmins, Zutritt zum Palast. Selbstbewusst weiß sich Blonde, die Osmin als Sklavin geschenkt wurde, gegen die Annäherungsversuche des verliebten Türken zu wehren. Wieder wirbt der Bassa um Konstanzes Gunst, die sich jedoch Belmonte verpflichtet fühlt. Lieber will sie die von dem gekränkten Bassa angedrohten Martern ertragen, als Belmonte untreu zu werden.

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Zweiter Teil Das Wiedersehen steht bevor, Belmonte erwartet seine Geliebte. Als sich die beiden europäischen Paare gegenüberstehen, wird die Freude empfindlich getrübt: Belmonte und Pedrillo bezweifeln die Treue der Frauen. Konstanze und Blonde sind tief verletzt. Die für Mitternacht geplante Entführung der Frauen misslingt, weil der von Pedrillo betrunken gemachte Osmin aus seinem Rausch zu früh erwacht. Osmin sieht die Stunde seiner Rache gekommen. Der Bassa erkennt in dem um Gnade bittenden Belmonte den Sohn seines Todfeindes, der ihm einst die Geliebte raubte und ihn zwang, sein Vaterland zu verlassen. Die beiden Paare erwarten den Tod. Der Bassa aber schenkt allen die Freiheit: »Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen.« Alle stimmen ein Loblied auf die Großzügigkeit des Bassa an, nur Osmin, der vor ohnmächtiger Wut kocht, fällt aus der Rolle. Der Bassa bleibt allein.

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Synopsis Part One The Spanish nobleman Belmonte arrives at the estate of Bassa Selim searching for his lost fiancée Konstanze. She was kidnapped by sea pirates together with her servant, the English maid Blonde and his own servant Pedrillo. He meets Osmin the supervisor of the estate who hostilely refuses him any helpful information. Only after reuniting with his servant Pedrillo does Belmonte learn that Konstanze, as well as the pair Blonde and Pedrillo, were bought as slaves by Bassa Selim. The Bassa loves Konstanze but she has never answered his requests. As a European converted to Islam, he »still has enough sensitivity, that none of his wives were ever forced into love«. Belmonte is shortly convinced of this as he secretly watches the Bassa and his entourage with Konstanze’s appear. The Bassa again succumbs to Konstanze’s wish to postpone her decision. Pedrillo is able to present Belmonte to Bassa Selim as an architect and builder, whereby making it able for him to gain entrance to the palace, against the resistance and opposition of Osmin. Although given as a slave to Osmin as a gift, Blonde is very self-assured and knows exactly how to defend herself from the romantic approaches of the infatuated Turk. Again, Bassa Selim tries to gain Konstanze’s favour although she feels obligated to Belmonte. She would rather suffer the offended the Bassa’s tortures than be unfaithful to Belmonte.

Goran Jurić als Osmin, Michael Laurenz als Pedrillo →

Part Two The desired reunion is fast approaching and Belmonte is waiting for his beloved. As the two European couples finally face each other, their joy becomes severely troubled: Belmonte and Pedrillo suddenly doubt the faithfulness of their women. Konstanze and Blonde are deeply hurt. The planned midnight abduction of the women fails, because Osmin wakes up from his drunken stupor arranged by Pedrillo too soon. Osmin realizes his hour of revenge has come at last. As Belmonte begs for mercy, the Bassa recognizes him as the son of his archrival, the man who once stole his beloved from him and forced him to flee his homeland. Both couples await their deaths. However, the Bassa gives them their freedom: »If one cannot gain your favour even by good deeds, then one should get rid of you.« Everyone joins in a song of praise of Bassa’s generosity, except Osmin who does not portray correctly, boiling in an impotent, helpless rage. The Bassa is left alone.

SY NOPSIS

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ÜBER DIESES PROGRAMMBUCH

← Christian Nickel als Bassa Selim und Lisette Oropesa als Konstanze

Die Entführung aus dem Serail ist mehr und anderes als ein Schauspiel mit Liedeinlagen, wie schon Mozarts Zeitgenossen beeindruckt, aber durchaus nicht unkritisch bemerkten. In diesem Singspiel führt Mozarts Musik die in den Dialogen verhandelten Gefühle und Konflikte weiter, konterkariert und vertieft sie. Zudem gewinnt die formale Anlage des Singspiels bei Mozart dadurch eine inhaltliche Dimension, dass eine der sechs Hauptrollen als reine Sprechrolle konzipiert ist, die des Bassa Selim. Hans Neuenfels besetzt in seiner Inszenierung alle solistischen Gesangsrollen noch einmal mit Schauspielern, und theatralisiert so die innerseelischen Komplikationen in wechsel­ ­seitigen Spiegelungen der Darsteller. Wie stark dabei der Dirigent im Graben »mitinszeniert«, erläutert Premierendirigent Antonello Manacorda auf den folgenden Seiten. Auch der Musikwissenschaftler Thomas Seedorf beschäftigt sich mit den Feinheiten der Musik, speziell des Quartetts, das im Zentrum der Oper steht (ab S. 53). Mehrere Texte thematisieren den ungewöhnlichen Ansatz der Aufführung: Dass man schon zur Entstehungszeit der Oper aus der Aufspaltung einer Figur in Rolle und Darsteller komische Funken geschlagen hat, beweist ein Ausschnitt aus Denis Diderots Paradox des Schauspielers (S. 30). In zwei Gesprächen von 1998 und 2020 erläutert Hans Neuenfels seine Erfahrungen mit dem Stück (ab S. 24). Und der amerikanische Germanist und Theaterwissenschaftler David J. Levin analysiert und interpretiert die ikonische Inszenierung ab S. 74. Das Narrativ über das Entkommen eines Liebespaars aus osmanischer Verschleppung liegt vielen Romanen, Schauspielen und Opern zugrunde. Ab S. 34 erläutert der Musikwissenschaftler Thomas Betzwieser die Stoffund Entstehungsgeschichte und die gesellschaftlichen Hintergründe. Die Wiener Aufführungsgeschichte seit der Uraufführung am alten Burgtheater erzählt Oliver Láng ab S. 86. Über die bereits von Mozart und Stephanie geübte Praxis, das Singspiellibretto für die jeweilige Aufführung einzurichten, berichtet Ann-Christine Mecke (S. 69).

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Ü BER DIE SE S PROGR A M MBUCH


John Cage

Music withOut horiZon soundscApe that neveR sTops


Antonello Manacorda

MOZART BRAUCHT UNSERE PATHOSRUFZEICHEN NICHT

Mozarts Musik besitzt Ewigkeitsanspruch. Im Gesamten wie im kleinsten Detail. Jede seiner Kompositionen, jeder Satz seiner Symphonien, jede seiner Arien, jede Phrase, ja sogar jeder einzelne Ton reicht in seiner Deutbarkeit ins Unendliche und lässt sich, ohne Schaden zu nehmen, aus den unterschiedlichsten, gegensätzlichsten Perspektiven her befragen – so lange man in der humanistischen Geisteswelt Mozarts bleibt. Das macht seine Werke so groß, das erlaubt außerdem in den Opern einen musikalischen und szenischen Interpretationspaarlauf wie bei keinem anderen Komponisten. Oder anders gesagt: Die musikalische Lesart darf bei Mozart von der Inszenierung so beeinflusst werden wie bei keinem anderen Komponisten, ja: Sie muss von ihr inspiriert sein. Lebte er heute noch, würde er wohl je nach Regievorgaben Teile umkomponieren. Das kann der Dirigent heute natürlich nicht, aber er wird in der Agogik, in der Dynamik, der Art, sich an bestimmten Stellen Zeit zu nehmen usw. dem Geschehen auf der Bühne folgen. Gerade in der Probenarbeit zur aktuellen Produktion der Entführung aus dem Serail wurde dies immer wieder bestätigt: Hier verzichteten wir beispielsweise auf eine Verzierung, um den Gehalt eines durch die Regie bedeutungsvollen Momentes zu unterstreichen, dort ermöglichte die Verdopplung der Charaktere den Sängern auch in den a-parte Teilen neue Gestaltungsnuancen. Kurzum: Als Dirigent inszeniert man gerade bei Mozart im Graben mit. 11

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Mit der Entführung vollzog Mozart – wie schon Carl Maria von Weber festgestellt hat – ganz augenscheinlich einen großen Entwicklungsschritt (den man übrigens auch an seiner zeitgleich entstandenen Gran Partita ablesen kann). Es ist geradezu verblüffend, wie viel an Zwischentönen, an Raffinesse, an Komplexität in dieses Stück hineinverpackt wurde, das nicht zuletzt als Unterhaltung für das allgemeine Volk gedacht war. Wie intelligent und sensibel Mozart zum Beispiel beim Orchestrieren vorging! Denken wir nur an die Bassetthorn-Begleitung in der Konstanzen-Arie »Traurigkeit ward mir zum Lose« im zweiten Aufzug. Mozart hatte dieses Instrument knapp vor der Komposition der Entführung für sich entdeckt und lieben gelernt. In seiner Freude und Neugier am Experimentieren sah er hier offenbar eine schöne Möglichkeit, den eigentümlichen Klang des Bassetthornes charakterisierend einzusetzen: Konstanze ist verliebt in Belmonte, aber nach der Befreiung wird bei ihr vermutlich zugleich eine Sehnsucht nach Bassa Selim entstehen und vielleicht für immer zurückbleiben. Diesem Changieren zwischen einer imaginierten und einer realen Liebe, die möglicherweise schon während der Handlung aufkeimt, begegnet Mozart in dieser Arie bewusst nicht mit der zu erwartenden Klarinette, bewusst nicht mit dem Horn oder Fagott, sondern eben dem Bassetthorn, dem Brahms später schwärmend zugestand, der menschlichen Stimme am nächsten zu kommen. Nichts würde die Situation und die Gefühlsebene Konstanzes besser widerspiegeln, als eben dieser besondere Klang. Aber auch die Art, in der Mozart mit den »alla-turca«-Momenten umging, zeigt seinen damals bereits erreichten großen Reifegrad. Sie waren zur Entstehungszeit der Entführung allgegenwärtig, eine Modeerscheinung, die er gerne aufgriff. Aber was er daraus gemacht hat, wie er sie in eine humanistische Aussage umgegossen hat, beschäftigt uns heute noch – und vermutlich auch in der Zukunft. Eine dramaturgische Meisterleitung findet sich ferner im ausgefeilten Einsatz der Terrassen-Dynamik, die der Entführung innerhalb des Mozart’schen Opern-Œuvres eine geradezu solitäre Stellung verleiht. In keinem anderen seiner Bühnenwerke sind diese Forte-Piano-Kontraste größer, das akustische Schwarz-Weiß-Empfinden eindeutiger. Ganz offensichtlich ist dies natürlich in der Ouvertüre, zeigt sich aber auch in so mancher Arie, so manchem Ensemble. Etwa in Belmontes »Hier soll ich dich denn sehen« oder seinem »O wie ängstlich«, Konstanzes oben erwähnte Arie »Traurigkeit ward mir zum Lose«, Osmins »Solche hergelauf’ne Laffen«, Blondes »Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln« oder im Schlussquartett des zweiten Aufzuges. Wie präzise vermittelt Mozart dadurch die Unruhe und Spannung, die seine Handelnden durchpulst! Es ist keine Frage, Mozart dürfte mit der Entführung viele seiner Zeitgenossen überfordert haben – nicht zuletzt Joseph II., der bekanntlich von »gewaltig vielen Noten« gesprochen haben soll. A N TON ELLO M A NACOR DA

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Wir treffen in der Entführung überdies auf eine weitere besondere Begabungen Mozarts: Seine Fähigkeit, einmal Gehörtes nicht nur jederzeit abrufbar bereit zu halten, sondern dieses, durch sein Genie aufgeladen und weitergedacht, in das eigene Werk zu integrieren. Wie in einem Puzzle sind auch in der Entführungs-Partitur die unterschiedlichsten Aspekte wundersam miteinander verschmolzen: Das Komische, das Ernste, das Humanistische, das Traurige, dazu Einflüsse aus der Volksmusik und nicht zuletzt Elemente aus den Seria-Opern Christoph Willibald Glucks (etwa in den beiden letzten Belmonte-Arien) – das alles verpackt in der damals gängigen Aufführungskultur (wunderbar nachzuvollziehen in der Violinschule seines Vaters Leopold). Für den Dirigenten, der sich aufmacht, die musikalische Sprache Mozarts erfahrbar zu machen, sie vom Ballast der romantischen Tradition zu reinigen, ist das Wissen um ebendiese Kultur unentbehrlich. Schon bei der Wahl der einzelnen Tempi und deren Beziehungen zueinander ist dieser Hintergrund zu beachten, aus dem Mozart geschöpft hat. Eine alla breve-Angabe besitzt bei ihm nun einmal eine größere Bedeutung als die eigentliche Tempoangabe. So etwa in Belmontes »Baumeister-Arie«: gerade dieses Andante verleitete in der Vergangenheit so manchen zu einem extrem theatralisch langsamen Zeitmaß. Aber wenn der Takt auf zwei – wie es in den Noten steht – statt auf vier Schläge gegeben wird, sieht die Sache gleich ganz anders aus, bekommt die Arie sofort einen viel natürlicheren Fluss. Anders gesagt: Mozart hat in seinen Werken – vergleichbar einem William Shakespeare – ohnedies für die notwendige emotionale Akzentuierung gesorgt, er braucht unsere zusätzlichen Pathos-Rufzeichen nicht! Ganz im Gegenteil. Wir würden seine subtile kompositorische Leistung verletzen. Man denke hierbei beispielsweise nur an das unerklärliche Geheimnis der Mozart’schen Dur-Traurigkeit. Moll ist bei Mozart (wie schon bei Gluck) immer eine farbliche Schattierung, aber sie reicht nie so weit ins wirklich Tragische hinein, wie sein melancholisches Dur. Das Duett Konstanze-Belmonte »Meinetwegen sollst du sterben« im dritten Aufzug steht in B-Dur. Aber wie unfassbar verzweifelt ist dieses B-Dur, in dem zwei junge Menschen geschildert werden, die bereit sind, gemeinsam in den Tod zu gehen! Ich darf also wiederholen: Mozarts Musik besitzt Ewigkeitsanspruch, seine Opern besitzen Ewigkeitsanspruch. Und das von Anfang an. Wie falsch liegen all jene, die in Mozarts Musik nur Schönheit und Lieblichkeit zu finden meinen! Schon als Teenager verstand er sich darauf, in den einzelnen Charakteren seiner Bühnenwerke den Menschen an sich zu zeigen, in dessen tief verborgene Seelen-Schichten hinabzusteigen. Wie viel mehr dann der erwachsen gewordene Mozart. Ob ihn seine ausgeprägten psychoanalytischen Fähigkeiten mitunter belastet haben? Genies mit einer derartigen Ladung an Material und Begabung brauchen ja irgendwo ein Ventil – vielleicht hat er dieses in seinen Opern gefunden? Zumindest suggerieren seine vielschichtig ausdeutbaren Charaktere so einen Denkansatz. 13

MOZA RT BR AUCH T U NSER E PAT HOS-RU FZEICHEN N ICH T


Christian Natter und Daniel Behle als Belmonte, Michael Laurenz und Ludwig Blochberger als Pedrillo



Nun die aria von Belmont in A Dur. – O wie ängstlich, o wie feurig, wissen sie wie es ausgedrückt ist – auch ist das klopfende liebevolle herz schon angezeigt – die 2 violinen in oktaven. – Dies ist die favorit aria von allen die sie gehört haben – auch von mir. – und ist ganz für die stimme des Adamberger geschrieben. man sieht das zittern – wanken – man sieht wie sich die schwellende brust hebt – welches durch ein crescendo exprimirt ist – man hört das lispeln und seufzen – welches durch die ersten violinen mit sordinen und einer flaute mit in unisono ausgedrückt ist. – Mozart an seinen Vater, 26. September 1781


Ein kompliziertes Geflecht von Fallen, Hoffnungen und Irritationen Gedanken zur Inszenierung 1998 in Stuttgart: Hans Neuenfels im Gespräch mit dem Intendanten und Dramaturgen Klaus Zehelein

Es ist ein eigenartiges Stück zwischen Melancholie, Komik, Trauer, Tod und Lebenswillen, ein Stück über Liebe, Trennung, Verachtung, Ferne und Nähe – ein Stück, das eine eindeutige Perspektive eigentlich nicht zulässt. Zehelein

Wichtig ist, das Selbstverständliche zu erwähnen, dass es sich um ein Singspiel handelt und nicht um eine Oper. Unter einem Singspiel versteht man die erstaunliche Tatsache, dass Menschen singend und sprechend miteinander umgehen, und zwar in einem humanen Sinne. Dass das Stück auf einen humanen Schluss hinläuft, finde ich nicht das Sensationelle daran, sondern außergewöhnlich ist, dass es generell, von Anfang bis Ende, human, menschlich ist. Man sieht Menschen, die singen können, die sich erlauben zu singen, Menschen, die immer wieder zum Ausdruck bringen, was es bedeutet, dass man Musik in sich erlebt, und Menschen, die sprechen. Neuenfels

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In der Oper ist es undenkbar, die Rolle von der Partie zu trennen. Das passiert in diesem Singspiel schon in einer kleinen Bemerkung, wenn Pedrillo seinen Herrn auffordert, »Singen Sie indessen eins!« Die Aufforderung, in einer Oper zu singen, ist absurd, hier ist sie aber Programm. Wenn man überhaupt von einem Programm dieses Stücks reden möchte, könnte man sagen, es ist die Aufsplittung von Rolle und Partie. Man weiß, dass die Figur sich ihr gemäß, nämlich dem Sänger gemäß artikuliert, denn das ist seine Kunst: Indem er die Musik artikuliert, artikuliert sich die Figur und gleichzeitig kann sie sich selbst singen hören und singen sehen. Das hat dich veranlasst, die Rollen sowohl mit Sängern als auch, in einer Art Verdopplung, mit Schauspielern zu besetzen. Auch das Zuhören und Zusehen – von wem auch immer – wird Szene. Zehelein

Szene entsteht in der Betrachtung des Anhörens von Gesang. Der Gesang wird sozusagen im Empfinden des anderen noch einmal gespiegelt und spiegelt sich dann hinunter zum Publikum. Gleichzeitig wird auch eine Art von Sensibilisierungsprozess dargestellt, nämlich was heißt Gesang in der Wirkung auf das Gegenüber im spiegelnden Vergleich. Besonders im zweiten Teil gibt es viele Formen, die damit zu tun haben, zum Beispiel das sogenannte Todesduett, wenn Konstanze und Belmonte den Tod als einzigen Ausweg besingen und ihn auch wünschen, sich in diese Sehnsucht durch mehrfache Wiederholungen hineinsteigern. Die anderen Figuren reagieren entsetzt. Sie hören zwar die Herrlichkeit dieser Idealisierung des Todes, aber sie beziehen sie auf ihre Realität. Sie realisieren den Gesang und seinen Inhalt und verlängern diesen rezeptiven Vorgang auf ihre eigene Situation; sie stellen sich die Frage, ob sie auch so singend in den Tod gehen würden. Es wird erfahrbar, wie brüchig der Anspruch des Gesangs gegenüber der Darstellung ist. Neuenfels

Das ist die Chance, einer Ideologisierung zu entgehen: Das Gegenteil von dem spielen und darstellen zu müssen, was gesungen wird. Es ist die Chance einer Freiheit, die natürlich auch ihre Tücken hat. Das Motiv des Doppelgängers ist in der Literatur durch die Romantik belastet. Was nach Mozarts Tod, etwa bei E. T. A. Hoffmann, in der Literatur passiert, zielt auf die Entfaltung des Psychologischen. Bei dir könnte man von einem barocken Spiegelbegriff sprechen. Diese Art der Spiegelung erinnert mich an Molieres Impromptu de ­Versailles: Ein Herrscher sieht sich selbst auf der Bühne, gespielt von einem Schauspieler, der einen Herrscher spielt und der ihn anspricht, also eine Art konkreter Spiegelung von Situationen anstelle von Psychologie oder gestischer Entfaltung psychischer Gegebenheiten. Ich glaube, das Spannende an der Aufführung ist die Chance, den eigenen Ansatz dem Stück gegenüber zu entideologisieren. Wie kann Kritik an der »Exotik« dieses Stückes überhaupt Zehelein

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Hans Neuenfels

greifen, wenn schon die Hauptperson, die nicht singt, sondern nur spricht, der Bassa Selim, ein Renegat ist, also jemand, der zwischen allen Dingen steht? Und wie entgeht man auf der anderen Seite der Gefährdung einer gewissen Beliebigkeit? Dadurch, dass das Publikum die Entstehung des Gesangs genau verfolgen kann, d.h., wir sehen, wie eine Koloratur eine Bedeutung gewinnt, wir spüren eine Fermate, wir empfinden mit dem Sänger und seinem Doppelgänger eine Beschleunigung, eine Modulation. Wir werden mit dem Prozess der Musik bekannt, wir irren durch die Klarheit und Dschungelhaftigkeit einer Arie und sind an ihr beteiligt. Das ist der Aufprall des Genialen, sonst wäre da kein Geheimnis. Man muss auch überrumpelt werden, überrascht sein, entzückt sein – aber immer ist man beteiligt. Dieses Singspiel ruft zu einer ungewöhnlichen Wachheit auf. Neuenfels

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EIN KOMPLIZIERT E S GEFLECH T VON FA LLEN, HOFFN U NGEN U N D IR R ITAT ION EN


Wir haben etwas äußerst Fragiles vor uns, etwas – wie Hildesheimer behauptet – Zerbrochenes: Stückwerk, Nummernwerk. Aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts, durch die wir geprägt sind, erwarten wir den Wurf als Fülle, als durchgehendes Kontinuum. Wir erwarten ein progressives Moment des Immer­mehr-Verstehens, eine immer genauere Artikulation von Figuren, eine Fülle von Gefühlen und deren Austausch, einen Reichtum der Ganzheit. Das ist hier natürlich anders. Wenn man darüber spricht, merkt man, dass die Distanz zu diesem »Stückwerk« über die Mittel des Singens, des Sprechens, des Spielens definiert ist. Zehelein

Es ist eher eine Rückführung auf den Gesang, als eine Zusammenführung in einer blendenden Hülle. Mozart will nicht blenden, sondern er besinnt sich auf ein Geheimnis und macht dies durchsichtig in der Musik. Er verrät nichts und er lässt sich auch nicht verraten. Für mich sind alle Konstellationen in diesem Stück lauter kleine Mini-Dramen, die gefüllt sind von seinem Genie. Was heißt genial? Genial ist für mich die Rückkehr auf den Ursprung der Fragen: Wie singt man? Wann drückt man sich singend aus und wie entsteht das überhaupt? Genial ist für mich, dass ich auf der einen Seite ein Gefühl entstehen sehe und mitfühle und dies auf der anderen Seite auch betrachte. Die Entstehung und die Reflexion über die Entstehung sind identisch. Neuenfels

Ich denke, dass die Spiegelung des Sängers durch den Schauspieler und umgekehrt die Spiegelung des Schauspielers durch den Sänger nicht Programm zur Klärung von Verhältnissen ist, sondern dass im Gegenteil dieses permanente Spiegelverhältnis auch ein Labyrinth ist, in dem nichts psychologisch gestaltet wird, sondern in dem Psyche als Verlust und Gewinn zugleich erscheint. Zehelein

Es hat schon etwas zu tun mit einem absolut überspitzten Tagtraum, also einem sehr komplizierten Geflecht von Fallen, Hoffnungen und Irritationen, die in der Musik ausgelegt sind. Wenn etwa das immer wieder beschworene Ungetüm Osmin, der am Ende der Geprellte ist, in einer fast rührenden und privaten Weise auch »der Ausländer« wird. Das ist ja das Witzige, dass die Ausländer eigentlich die Einheimischen sind und der Bassa und Osmin die Ausgegrenzten in ihrer eigenen Heimat. Der Bassa wächst in eine immer klarer definierte Gesellschaft hinein, was bewirkt, dass er sich gleichsam häutet. Auch die »Häutungen« sind wichtig, das Wegwerfen von Verkrustungen: Der Bassa stellt die Behauptung auf, dass man, wenn man als Schauspieler in seinem Leben nicht singen kann, notgedrungen grausam oder verrückt werden muss. Wenn man in sich keine andere Tiefe entdeckt als nur das Denken oder das Sprechen, wenn ein Ton, sei es auch nur ein Schrei, nicht mehr möglich ist, dann besitzt man nichts mehr. Das Neuenfels

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verstehe ich als eine große Hommage an den Gesang, an die Sänger und an das Musizieren. Der Bassa ist ein sehr kluger, schmerzensvoller Mensch, der auch gerne einmal sänge, aber er kann es nicht. Diesen Verlust gesteht er ein. Zehelein

Wenn man seine Verluste kennt, kann man vielleicht sehr gut und sehr richtig leben.

Ja, und dann kann man auch wieder musisch werden. Der Bassa formuliert seine Verluste und stellt sie nicht resignativ oder aggressiv hin, sondern vielmehr als Prozess eines Verstehens, einer Klärung. Aus dieser Klärung erwächst etwas Neues, nur daraus und nicht aus dem Rückzug oder dem Gefühl, reduziert zu sein. Das ist das Mutige an ihm. Er setzt ein Gedicht gegen die Situation, er bringt seine Wirklichkeit des Sprechens, eine Form von gestaltetem Sprechen mit ins Spiel, das Benutzen von Sprache in einem poetischen Sinn. Neuenfels

Auf der anderen Seite gibt eine Stelle in dieser Inszenierung, in dem der Gesang zur Szene wird: Im Quartett des zweiten Akts befinden sich die Sänger plötzlich im Orchester. Das hat etwas von Selbstvergessenheit, der Ort der Szene wird verlassen und es gibt nur noch den Ort der Musik. Dort entfaltet sich das, was nicht mehr Szene sein kann. Zehelein

In der totalen Verschmelzung von Musik und Figur, Person und Individualität, wo es nur noch eine Identität gibt, muss man die Szene aufheben. Ort und Raum sind nur noch die Zeit des augenblicklichen Musizierens. Neuenfels

Die persönliche Schwierigkeit eines Schauspielers in einer solchen Produktion besteht darin, dass es Partner gibt, die über eine ganz andere Kunst verfügen. Da ist das Sprechen noch mehr zurückgeworfen auf das, was man als Strategie der Handlung bezeichnen könnte. Zehelein

Aber dabei bleibt es nicht. Sondern die Sprechenden besitzen die Sehnsucht, auch singen zu können und das Wissen, dass das Sprechen an diesem Ort nicht die gleiche Bedeutung haben kann wie das Singen. Dieser Kampf und die Bereitschaft zu diesem Kampf sind ein spannendes Moment. Es ist aufregend, wenn die Sänger den Schauspielern häufig das Sprechen überlassen. Nicht weil sie es nicht können, sie sprechen ja auch, sondern sie thematisieren die Frage des Singens und des Sprechens miteinander. Sie geben dem Sprechenden die Chance des Blühens im Sprechen. Die andere Ebene des Singspiels, die des Sprechens, wird erst durch diesen Wechsel so richtig zugelassen. Das hat etwas mit Freundlichkeit und Geschenk, aber auch mit Klugheit zu tun. Und mit einem bestimmten ZeitNeuenfels

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begriff, weil der Gesang, wie Musik überhaupt, ihre eigene Zeit hat und Sprache einen anderen Atem beinhaltet. Andererseits ist es auch so, dass im musikalischen Material ebenfalls eine Handlung stattfindet. Es gibt eine innere und eine, die nach außen getragen wird, so beispielsweise bei Osmin, wenn er die anderen in seiner Arie »O, wie will ich triumphieren« mit seinen Schlangen quält. Das kann nur er machen, das ist eine Erfindung, die durch die Musik entsteht, die der Schauspieler Osmin nie hätte. Weil diese Höhe der Perfidie und der enormen Mobilisierung eines in der Musik gefassten Hasses nur mit Musik geht. Darauf kommt man sprechend nicht. Aber das betrifft natürlich auch die zweite Arie Osmins. Die Darstellung der Grausamkeit durch das Betrachten von Enthaupteten darzustellen, wäre in einem Schauspiel platt und flach, aber die »Anhimmelung« der Leichenteile gewinnt bei Mozart eine fast süchtige Betrachtung, die jenseits jeglicher Moral liegt. Es ist eben nicht eine Reportage oder ein Sittenbild, es liegt jenseits dieser Begriffe. Das Stück wird ja oft in eine naive Schublade gesteckt. Und man sagt: »Das kann doch nicht sein, dass ein solches Genie so einen Text komponiert hat.« In dieser scheinbaren Simplizität der Handlung und der Figuren kann man das Stück nur lesen, wenn man eine psychologisierende Sicht darauf hat oder ideologiekritisch an das Werk herangeht. Beides ist mehr als fragwürdig. Du gehst ja noch einen Schritt weiter: Indem du der Figur die Chance der Spiegelung in der gleichen und doch anderen Figur gibst, gerät Strategie in ein Changieren, in ein Flirren, so dass sie sich am Ende selbst vergisst. Zehelein

Auch sie »enthäutet« sich immer mehr, und irgendwann gibt es einen Punkt, an dem man sich wie bei Peer Gynt von Ibsen fragt: Wo ist eigentlich der Kern? Das hat etwas mit dieser Entideologisierung zu tun. Alles ist so frei, dass ein Beziehungsgeflecht dem Zuhörer und Betrachter als Besitz bleibt. Das ist das Entscheidende der Mozartschen Musik, dass ich als Zuhörer allein mit ihr sein kann und trotzdem eingebunden bin in eine Betrachtungsweise, bei der ich nicht das Gefühl habe, meine Einsamkeit werde durch etwas Naheliegendes oder Fernliegendes beeinträchtigt. Ich muss das mit mir selbst abmachen. Das empfinde ich als große Tröstung, dass ich in meiner Einsamkeit bestätigt bin – und das nicht in einer unruhigen oder deprimierten, sondern in einer heiteren Lage, weil noch jemand da ist, der mir diese Lage nicht als fremd mitteilt, sondern als eine Gegebenheit, die genauso real ist wie die Kommunikation. Neuenfels

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Gesang ist eine durch Leidenschaft erhöhte Rede. So wie Poesie das übereinstimmende ­Gefühl lebhafter Empfindung über die gewöhnliche Rede erhebt, so hat vermutlich der erste Sänger, als ihn i­ rgendeine Leidenschaft auf ihren Schwingen trug, sich gezwungen gefühlt, im ­Gesang ­auszubrechen. Denn, ob zwar eine noch ­so sehr erhitzte Deklamation nie bis zum w ­ irklichen Gesange überschreitet, so liegt doch in den Grundzügen dieser beiden Abstufungen eine genaue ­Verwandtschaft, die das Bedürfnis nach einer höheren Tonregion, in der sich die ­Leidenschaft freier als in der Rede ausdehnt, und lebhafter wirkt, dringend macht. Die Brücke zum eigentlichen Übergange scheint verloren; ­ denn wie jetzt die Sachen stehen, so muss der leidenschaftliche Redner einen Salto mortale in das Gebiet des Sängers wagen. Nina d’Aubigny von Engelbrunner im 21. Brief an Natalie über den Gesang


AUF DAS ICH IST KEIN VERLASS Ergänzende Betrachtungen zur Neuinszenierung 2020 in Wien: Hans Neuenfels und Antonello Manacorda im Gespräch mit Henry Arnold

Wie fühlt sich dieses Experiment einer Wiederbelebung nach 22 Jahren, dem Sie anfänglich mit einiger Skepsis gegenüberstanden, jetzt nach mehr als drei Wochen Probenzeit an? Neuenfels Die unerhörte Beweiskraft dieses genialen Kunstwerks bestätigt sich für mich dadurch, dass ich es immer wieder wie neu empfinde, wenn ich es neu höre. Da gibt es keine Ermüdungserscheinungen. Durch die neuen Sänger und teils neuen Schauspieler kommt eine frische Befragung und eine neue Interpretation im Detail zustande. Dadurch verblasst die Erinnerung an die Aufführung von damals. Auch wenn es keine grundsätzlich neue Findung oder Erfindung gibt, entsteht durch die sehr persönliche Verkörperung durch die Darsteller heute eine neue und sehr lebendige Interpretation auf der Grundlage der Analyse, die wir damals gemacht haben. Arnold

Für Sie, der Sie neu in das Unternehmen einsteigen, wie beeinflusst diese Interpretation Ihre Sicht auf das Stück? Und auf Mozart, dem ja in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchaus weitere Moden und neue Erkenntnisse zugewachsen sind? Manacorda Ich kannte die Inszenierung bereits durch die damalige Aufzeichnung der Aufführung. Was diese Interpretation sichtbar macht: Mozart arbeitet als Komponist auf eine geniale Weise theatral, und zwar in der Partitur! Theater und Musik gehen bei ihm eine Verbindung ein, Arnold

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um die man sich bei anderen erst bemühen muss. Man muss sie bauen, bei Mozart aber steht bereits alles da. Und wenn das Singspiel gemeinhin eher der Unterhaltung zugeordnet wird, ist in der Entführung das Gegenteil der Fall. Da gibt es Anklänge an die Opera seria oder Gluck, und für mich steht sie in einer Linie mit der Zauberflöte. Da ist eine erstaunliche Menschenkenntnis, die schon im Lucio Silla des 16-jährigen Mozart erkennbar ist. Zudem wissen wir heute etwas genauer – oder glauben es zu wissen –, wie es damals geklungen hat. In all dem liegt eine große Chance, diesem Werk eine neue Ebene und eine neue Wichtigkeit zu geben, zumal hier an der Wiener Staatsoper, nach fast 20 Jahren Pause. Diese Vielschichtigkeit oder das grundsätzlich Humane der »Entführung«, das Sie immer wieder benannt haben, lassen das Genre der »Türkenoper« und der damit verbundenen plakativen Beschreibung des Fremden, an der sich viele Interpretationen abarbeiten, in den Hintergrund treten? Neuenfels Mit dem äußeren Plot tippt Mozart etwas an, das ihm bestenfalls Anlass ist zu etwas anderem. Und dieses andere ist die Betrachtung der Begriffe. Es ist erstaunlich, wie diese Musik, die in Teilen sogar als naiv beschrieben wird, ununterbrochen mit Begriffen und der Untersuchung von Begriffen zu tun hat, z.B. mit dem Begriff der Menschlichkeit oder eben des Klischees der Fremdheit. Oder mit dem Problem der Identität: Wer bin ich? Ganz nebenbei zertrümmert Mozart Klischees wie das des Fremden, Wilden oder Brutalen. Dass der andere als Unbekannter nicht berechenbar ist und damit eine Gefahr darstellt, auch das untersucht Mozart in der Entführung mit leichter Hand und schafft Erkenntnisse und Einsichten, die klarer gar nicht sein könnten. Arnold

Wobei die Höhe der Empfindung und die Intensität dieser Ich-Suche sehr unterschiedlich verteilt sind und bei Konstanze und Belmonte deutlich expliziter ausformuliert sind in der Musik. Manacorda Aber nicht nur bei den beiden. Pedrillo singt beispielsweise – und das hätte kein anderer Komponist so gemacht – eine »KönigsArie« in D-Dur, die man eher bei Idomeneo oder später Titus vermuten würde. Damit wird diese Figur unglaublich aufgewertet. Arnold

Der heldische Ton wird aber von Mozart nicht durchgehalten, da sind Brüche drin. Ist das Ironie? Manacorda Möglich. Jedenfalls gibt es diese andere Sicht auf die Figuren. Mozart ist für mich der einzige Komponist – und das gilt auch nicht für Verdi oder Strauss –, bei dem ein Ton oder eine Phrase oder eine Arie aus der 360°-Perspektive betrachtet werden kann. Ein Akkord kann Traurigkeit und Fröhlichkeit zugleich bedeuten. Das fordert den Zuhörer Arnold

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heraus: Es gibt kein einziges musikalisches Klischee. Und es fordert den Interpreten heraus. Man muss sich immer zeigen, man ist immer nackt. Neuenfels Einen Schritt falsch getan und es ist aus. In der Unerbittlichkeit der Betrachtung besteht für mich eine unmittelbare Verwandtschaft zu Shakespeare. Und zugleich ist es eine immense Herausforderung für die Darsteller. Jeder Einzelne muss immer am Extrem der Tiefe, des Falls, der Höhe oder der Leidenschaft sein – allein schon, um die Reaktion der anderen zu rechtfertigen. Im Besonderen des anderen Ichs, seiner zweiten Verkörperung. Manacorda Ich empfinde diese Verdoppelung der Figuren als unglaubliche Möglichkeit. Ich habe auch als Zuschauer die Chance, mich in dem, was ich auf der Bühne sehe, höre und erlebe, doppelt zu spiegeln. Neuenfels Die unterschiedlichen Zustände der Wahrnehmung, des Empfindens, des Seins können durch die Aufspaltung der Figuren gleichzeitig stattfinden. Wir sind zugleich mehrere, und das wird durch ­diese Interpretation sichtbar, aber nicht im Sinne einer Schizophrenie. Die Identität ist keine feststehende Größe. Auf das »Ich« ist grundsätzlich kein Verlass.

Lisette Oropesa und Emanuela von Frankenberg als Konstanze, Christian Nickel als Bassa Selim →

AU F DAS ICH IST K EIN V ER LAS S

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Streng genommen existierte ­sowohl die Möglichkeit, in einem Serail eingesperrt zu sein, wie die Chance, aus ­einem zu entkommen, nur in der europäischen Phantasie. Das englische »seraglio« kommt wie das französische »sérail« vom i­talienischen »serraglio«. Das Wort entstand aus etymologischer Konfusion zwischen dem turko-­persischen Wort für Palast (»saray«) und dem ­italienischen »serrare« (ab-


schließen oder ein­sperren). Europäer nahmen also an, dass es zum Begriff eines orientalischen Palastes ­gehörte, eingesperrt zu sein. aus: Ruth Bernard Yeazell, Harems of the Mind


Denis Diderot

DAS PARADOX DES SCHAU­SPIELERS

Der Schauspieler und die Schauspielerin sind ein Ehepaar. Auf der Bühne spielen sie das Liebespaar Lucile und Eraste. Denis Diderot beschreibt, wie sich zwei Dialoge überlagern: Nein, nein! Glauben Sie nicht, Madame, Dass ich noch einmal Ihnen von meiner Liebe sprechen will. SCHAUSPIELERIN Das rat’ ich Ihnen. Damit ist’s aus. SCHAUSPIELER Ich hoffe es. Ich will genesen; ich bin mir klar, Wie wenig von Ihrem Herzen das meinige je besessen hat. SCHAUSPIELERIN Mehr als Sie je verdienten. Ständig Ihr Zorn, ich hätte Sie beleidigt, SCHAUSPIELERIN Sie mich beleidigen! Diese Ehre erwiese ich Ihnen nicht. Und zeigen mir dadurch wie gleichgültig Sie sind. Wissen Sie nicht, dass die Pfeile der Verachtung SCHAUSPIELERIN der allertiefsten Gerade die hochherzigen Seelen tödlich treffen? SCHAUSPIELERIN Ja, die hochherzigen. Meine Augen entdeckten einst in den Ihren Reize, Die sie nicht bei all den anderen fanden. SCHAUSPIELERIN Aber nicht, weil sie nicht in die anderen Augen schauten. ERASTE

DEN IS DIDEROT

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Über mein Liebesglück war ich so berauscht, Dass ich diese Bande nicht gegen einen Thron eingetauscht hätte. SCHAUSPIELERIN Viel wohlfeiler haben Sie sie abgegeben. Ich lebte nur für Sie. SCHAUSPIELERIN Das stimmt nun gar nicht! Darin haben Sie gelogen! Und ich gestehe sogar, dass ich, obgleich beleidigt, Mich nur mit Schmerzen davon lösen würde. SCHAUSPIELERIN Das wäre lästig. Trotzdem ich alle Heilmittel versuche, Wird mein Herz an dieser Wunde noch lange bluten. SCHAUSPIELERIN Nichts zu befürchten! Da ist der Brand schon drin. Bin ich befreit vom Joch, das mich so glücklich macht, Muss ohne Glück ich sein, ich auf die Liebe ganz verzichten. SCHAUSPIELERIN Sie werden den Rückweg schon finden. Doch ist’s jetzt einerlei: Da nun Ihr Hass Ein Herz vertreibt, das Liebe hergeführt, Werde ich heut’ zum letzten Mal verraten Eine Liebe, die Ihnen so missfiel. LUCILE Sie überträfen sich selbst und Ihre Güte Wenn Sie uns auch das letzte Mal verschonten. SCHAUSPIELER Mein Herzchen, Sie sind unverschämt, und Sie werden das bereuen. ERASTE Wohl, Madame! man wird zufrieden sein. Ich breche nun mit Ihnen. Das soll für immer sein. Da Sie es wollen, sei’s: Ich bin dem Tod verfallen, Kam’ ich zu Ihnen je, um Ihnen zu gefallen. LUCILE Das hör’ ich gern. Das verpflichtet mich zu Dank. ERASTE Zu fürchten braucht Ihr nichts! SCHAUSPIELERIN Ich – Sie fürchten? Dass ich mein Wort breche! Hätte ich ein schwaches Herz – So schwach, dass ich Ihr Bild nicht herausreißen könnte, Glauben Sie mir, Sie hätten nie den Vorteil, SCHAUSPIELERIN Ich hätte nie das Unglück, wollen Sie sagen. Mich wiederkommen zu sehen. LUCILE Das wäre ganz umsonst. SCHAUSPIELER Meine Liebe, Sie sind ein abgefeimtes Biest, dem ich das Reden noch beibringen werde.

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DAS PA R A DOX DE S SCH AUSPIELERS


Ich selber würde mich mit tausend Dolchen durchbohren. SCHAUSPIELERIN Gott gebe es! Wenn ich derartig mich je erniedrigte SCHAUSPIELERIN Warum denn nicht – nach so viel anderem? Sie wieder aufzusuchen nach solcher Behandlung. LUCILE So sei’s! Und nun kein Wort mehr darüber. ERASTE

Goran Jurić als Osmin, Regula Mühlemann und Stella Roberts als Blonde →

Und so weiter. Nach dieser doppelten Szene, einmal des Liebespaares, zum andern der Ehegatten, führte Eraste seine Gebieterin Lucile hinter die Kulisse zurück und kniff sie dabei so grässlich in den Arm, als wollte er seiner lieben Frau das Fleisch abreißen; auf ihre Schreie antwortete er mit höchst beleidigenden und bitteren Reden.

DAS PA R A DOX DE S SCH AUSPIELERS

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Thomas Betzwieser

EXOTIK FREMDE EXIL

Stoffgeschichte und Figurenkonstellation der »Entführung aus dem Serail«


Mozarts Entführung aus dem Serail steht in der Tradition der sogenannten »Türkenoper«, die sich im 18. Jahrhundert allgemeiner Beliebtheit erfreute. Die Türkenoper, Sammelbecken für alles Fremdländische, war in der französischen, italienischen und deutschen Oper gleichermaßen beheimatet.1 Allerdings war der damit verbundene Exotismus in den jeweiligen Opernkulturen unterschiedlich ausgeprägt. So besitzt die italienische Oper einen fremdländischen Einschlag fast ausschließlich im Stofflichen und Szenographischen2, die Partituren weisen demgegenüber wenig Exotisches auf. Anders in Frankreich, wo sich das Fremde musikalisch zumeist in subtilen Regelverstößen gegen den traditionellen Satz konkretisierte. Die deutsche exotische Oper wiederum entwickelte das typische »alla-turca«-Idiom, das vor allem eine Wiener Spezialität war.3 Damit wird gleichzeitig ein Symptom im Hinblick auf die Aneignung des Fremden deutlich: Die Beurteilung dessen, was als fremd gesehen werden konnte, hing nicht unwesentlich vom geographischen Standort und seinen politischen Implikationen ab. Während man in Frankreich dem osmanischen Vormarsch auf dem Balkan gelassen zusehen konnte – man pflegte gute Beziehung zur Hohen Pforte –, stellte sich dies im Habsburger Reich völlig anders dar. Obgleich man die Türken 1683 militärisch entscheidend in die Schranken weisen konnte, blieb die Belagerung von Wien ein Trauma, das im kulturellen Leben des 18. Jahrhunderts immer noch manifest war. Dieses Trauma zeitigte vor allem Konsequenzen auf die Geisteshaltung gegenüber dem Orientalen. Die deutschen Schauspiele weisen ein weitaus ernsteres und gespannteres Verhältnis gegenüber dem Türken auf als die Dramatik im restlichen Europa. Es hat den Anschein, als wiche die Angst vor dem ehemaligen Erzfeind zuerst in den musikdramatischen Gattungen, allen voran dem Ballett. In den Wiener Handlungsballetten der 1750erund 1760er-Jahre wird erstmals ein etwas »lockererer« Ton gegenüber dem gefürchteten Türken spürbar. Das Ballett – bezeichnenderweise eine Gattung, in der das gesprochene Wort keine Rolle spielt – fungierte in Wien in gewisser Weise als Vorreiter für die späteren Türkenopern, sowohl in stofflicher wie auch in musikalischer Hinsicht. Das typische »alla-turca«-Idiom, welches in Frankreich zu dieser Zeit noch unbekannt ist, wurde insbesondere in diesen Wiener Balletten entwickelt. Es scheint kein Zufall, dass der Terminus »exotique« just zu dieser Zeit auch im ästhetischen Kontext verwendet wird. Bekannt war der Begriff zwar seit dem 16. Jahrhundert – Rabelais’ Pantagruel (1548–52) gilt als erster Beleg –, doch blieb seine Verwendung auf die gegenständliche Welt von Fauna und Flora beschränkt. Im Musikschrifttum taucht er erstmals in den Observations sur la musique (1779) von Michel Chabanon auf. Die semantische Konnotation weicht allerdings von der bis dato üblichen Bedeutung ab, da Chabanon mit »exotique« nicht das genuin Fremde beschreibt, sondern vielmehr den supranationalen Charakter der europäischen Musik damit begründet wissen mochte. In diesem Sinn beschreibt der Terminus also weniger die europäi 35

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schen Anstrengungen im Hinblick auf das Fremde, sondern er ist Reflex einer gesuchten Bestätigung der eigenen ästhetischen Überlegenheit. Stellt man in Rechnung, dass Chabanons Schrift die Vorherrschaft der Instrumentalmusik begründen mochte, so ist diese »Umdeutung« des Begriffs äußerst instruktiv, da sie die Fremden geradezu nötigt, der abendländischen Musik etwas zu attestieren, was ihnen (mutmaßlich) fremd ist, nämlich die Ausbildung instrumentaler Kunstmusik. Obgleich Chabanons Traktat mit dem Wiener Phänomen in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht, so scheint doch diese zeitliche Koinziden zwischen einem entspannteren Umgang mit dem Fremden und der gesuchten Bestätigung durch das Fremde nicht unbedeutend. Die Stoffgeschichte der Entführung aus dem Serail hat ihre Wurzeln in Frankreich, und zwar in den sogenannten »histoires galantes«, einem Romangenre, das im Zuge der ersten großen Exotikmode gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine zunehmende Orientalisierung erfuhr.4 Trotz einer großen Variationsbreite innerhalb des Genres wurde ein Handlungsstrang für die Gattung konstitutiv: die Trennung eines Liebespaares durch widrige Umstände und ihr Bemühen, wieder zueinander zu finden. Unter dem Einfluss des Orientalismus waren die Erzählungen allmählich ganz in den Vorderen Orient verlegt worden. Die Umstände, die zur Trennung der Liebenden führten, waren fast immer Schiffbrüche mit anschließender Gefangennahme durch Seeräuber. Diese Szene war obligatorisch vor der nordafrikanischen Küste angesiedelt. Sie endet mit dem Einlaufen in eine (algerische) Hafenstadt, wo die Europäerinnen sogleich verkauft werden. Auf diese Weise geraten die Ahnungslosen in die Hände eines Paschas, der sie entweder seinem eigenen Harem inkorporiert oder aber dem Sultan nach Konstantinopel überstellt. Erst mit dem Eintreten des suchenden Liebhabers in die fremde Welt nehmen die Geschicke der Europäer eine Wendung. Dass sich derartige Geschichten tatsächlich ereigneten, zumindest was die Situation der Gefangennahme betrifft, darüber besteht kein Zweifel. Obgleich die »histoires galantes« weitgehend fiktiver Natur waren, konnten einige Geschichten authentischen Charakter beanspruchen.5 So berichten die Nouvelles africaines, wie es die Französin Uranie in das Serail des »Turc de Tunis« verschlug, wo ihr Liebhaber Albiron sie alsbald als Favoritin des Großtürken vorfinden sollte. Dieses Handlungsmuster der »histoires galantes« stellt den eigentlichen stoffgeschichtlichen Kern der Entführungs-Opern dar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese orientalischen Erzählungen für das Theater adaptiert wurden. Die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts formierende Opéra comique bediente sich aus diesem Fundus mit vollen Händen, ihr Repertoire ist überreich an exotischen Stücken. Obgleich viele Werke zwischen 1710 und 1750 noch stark mit dem Personal der Commedia dell’Arte »durchschossen« waren, folgten sie doch weitgehend dem literarischen Muster.6 Die Genese der spezifischen Figurenkonstellation der TürkenT HOM AS BETZ W IE SER

Le Turc généreux im Alten Burgtheater 1758 →

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oper ist in dieser Gattungstradition zu suchen, wenngleich sich Derivate des Genres relativ rasch in ganz Europa verbreiteten. Die erste Dramatisierung gleichsam als »große Oper« erfuhren die »histoires galantes« in Le Turc généreux, dem ersten Akt von Rameaus Opera-ballet Les Indes galantes (1735). Dort kam es zu eben jener Konfrontation zwischen einem orientalischen Pascha und einem europäischen Liebespaar. In Le Turc généreux befindet sich die Französin Emilie in der Gewalt des Türken Osman, der sie begehrt. Emilie erwidert jedoch dessen Gefühle nicht. Vielmehr klärt sie ihn darüber auf, dass sie am Tag ihres Verlobungsfests an der provenzalischen Küste von Seeräubern verschleppt und später an ihn verkauft wurde. Ihren Verlobten, den sie verschollen glaubt, werde sie über den Tod hinaus lieben. Doch das Schicksal wirft eines Tages Valère an die Gestade Osmans und Emilie erkennt in ihm ihren ehemaligen Geliebten, der nach einer langen Odyssee endlich seine Emilie in die Arme schließen kann. Valère ist allerdings auch ein Sklave, der von seinem Herrn – aus Mitleid – die Erlaubnis erhalten hat, seine Geliebte zu suchen. Im Laufe des Gesprächs erkennen Valère und Emilie, dass es sich dabei um Osman handelt. Während 37

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sich Valère am Ziel seiner Wünsche sieht, eröffnet ihm Emilie, dass sie eben in der Hand dieses Paschas ist, der auf die Erfüllung seiner Wünsche dränge. Osman erscheint und überrascht die Liebenden, doch statt der erwarteten Bestrafung der Sklaven übergibt Osman – zur Verblüffung der Umstehenden – Emilie der Hand Valères. Ungläubig sehen die beiden Franzosen darin eine weitere Spielart orientalischer Grausamkeit. Doch Osman löst die Verwirrung auf: Der Großtürke war einst selbst Sklave und wurde von Valère, ohne dass dieser ihn kannte, freigekauft. Für diese Wohltat sei er ihm ewigen Dank schuldig. Der Pascha lässt Valère und Emilie in Richtung Heimat ziehen. Es steht wohl außer Zweifel, dass dieser Plot für die Türkenoper des 18. Jahrhunderts konstitutiv war. Auf diese oder ähnliche Weise gestalten sich fast alle Entführungs-Opern des 18. Jahrhunderts.7 Christoph Willibald Glucks La Rencontre imprévue (Wien 1764) und Joseph Haydns L‘Incontro improvviso (Eszterháza 1775) seien hier als Beispiele aus zwei unterschiedlichen Gattungstraditionen angeführt. Das Singspiel Belmont und Constanze oder Die Entführung aus dem Serail des Dramatikers Christoph Friedrich Bretzner (Leipzig 1781) war also nur eine Variante aus der vielfaltigen Tradition der T HOM AS BETZ W IE SER

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Uraufführung von Joseph Haydns Oper L’incontro improvviso 1775 auf Schloss Esterházy, am Cembalo vorn links der Komponist ←

Türkenoper. Wie Abert schon attestierte, waren »weder die Charaktere, noch die Situationen, weder die Motive noch die türkische Umgebung« neuartig .8 Bei der Suche nach ähnlich gestrickten Türkenopern, vornehmlich in Bezug auf das »denouement«, d.h. die Lösung des dramatischen Knotens, geriet die Genese der spezifischen Figurenkonstellation, die durch Mozart und Stephanie d. J. eine nicht unerhebliche Transformation erfuhr, etwas außerhalb des Blickfeldes. Die Tatsache, dass die Entführung aus dem Serail keine komplexe Intrigenkomödie darstellt wie etwa die Da Ponte-Opern, ließ nicht wenige Interpretationen zu dem Schluss gelangen, es handle sich, vor allem angesichts des exotischen Ambientes, um eine eher harmlose Märchenoper. Die Stoffgeschichte, die sich jedoch hinter diesem vermeintlich harmlosen Stück verbirgt, ist durchsetzt mit politischen und kulturellen Implikationen, die es nötig erscheinen lassen, die verlorengegangene Ernsthaftigkeit zu rekonstruieren, vor allem angesichts der Tatsache, dass kaum ein anderes Stück den Kulturkontrast Orient-Okzident so stark ins Zentrum des Dramas rückte wie Mozarts Entführung aus dem Serail. Im Hinblick auf Sujet und Figurenkonstellation wurden die größten Parallelen zur Entführung an Christian Gottlieb Neefes Adelheit van Veltheim (1780) dingfest gemacht, vor allem was die Schlusslösung von Gustav Friedrich Wilhelm Großmanns Textbuch betrifft. Auch bei Großmann entlässt der Bassa die Europäer in einem Akt von Generosität: »Alles, was ich von euch heische, ist: denkt zuweilen daran, dass ihr in der sogenannten Barberey einen Menschen und einen Freund gefunden habt.« (IV,4) Die Analogie zu Bretzners Belmont und Constanze und Großmanns Adelheit van Veltheim beweist einmal mehr, wie entwickelt das Genre der Türkenoper war und dass es innerhalb des dramaturgischen Modells früher oder später zu deutlichen Überschneidungen kommen musste. Bedeutsamer als diese vordergründige Parallele ist jedoch die Tatsache, dass Großmanns Adelheit van Veltheim noch im selben Jahr in eine Erzählung verwandelt wurde: Der Bassa van Algier, eine dramatisierte Novelle (1781). Diese Transformation ist deshalb bemerkenswert, da sie das Singspiel in eben jenes Erzählgenre überführt, welches ehedem die stoffgeschichtliche Quelle der Orientoper darstellte. Die Novelle Der Bassa van Algier ist nichts anderes als eine deutsche Spielart der »histoires galantes«, wobei hier nun ein Drama den Ausgangspunkt bildete.

Die Europäer in der Fremde Das Protagonistenpaar der Entführung aus dem Serail, Konstanze und Belmonte, steht ganz in der Tradition der »histoires galantes«. Wesentliches Moment ihrer Aktionen ist die traditionelle Liebe- und Treueprüfung. Nicht nur dieses Motiv verhindert, dass das christliche Paar ins Komische absinkt, 9 sondern ebenso die Absenz eines Harlequins, der das heroische Pathos der 39

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Liebenden oftmals zur Zielscheibe seines Spotts gemacht hatte. Es ist bezeichnend, dass gerade dieses Moment in der Wiener Bearbeitung von Lesages und Dornevals Les Pèlerins de la Mecque (1726) zu Glucks La Rencontre imprevue (1764) eliminiert worden war. In der Folge waren die Protagonisten somit, wie auch später in der Entführung, ernsthaft und empfindsam gezeichnet, ohne der Spöttelei einer Nebenfigur ausgesetzt zu sein. Damit verlagerten sich die komischen Elemente auf exotische Randfiguren (Karawanenführer, Haremswächter usw.), die dramaturgisch meist entbehrlich waren, was ihre »Gefährlichkeit« erheblich minderte. Der Konflikt konzentrierte sich weitgehend auf die europäischen Protagonisten, der Orient war oftmals nur Staffage. In der Entführung gewinnt man hingegen den Eindruck, als ob das Empfindsame des Protagonistenpaares durch die Konfrontation mit dem exotischen Ort eine Potenzierung erführe. Vor allem Belmontes ängstliche Natur wird– besonders deutlich in seiner Arie »O wie ängstlich« (Nr. 4) – von der Fremde geradezu paralysiert. Dennoch sieht sich Belmonte am Ziel seiner Wünsche: Er wird Konstanze wiedersehen. Mit ihr wird allerdings auch sein Nebenbuhler erscheinen; ohne mit der Geliebten sprechen zu können, muss sich Belmonte so ein Bild von der Situation verschaffen. Trotz der inneren Dynamik von Belmontes Arie, die seine ganze Ungeduld zum Ausdruck bringt, scheint die Musik gleichsam auf der Stelle zu treten. Die Frage der Treue schwebt für die Europäer wie ein Damoklesschwert über der gesamten Oper. Vor diesem Hintergrund scheinen alle anderen Schwierigkeiten nichtig, sogar die Gefangenschaft. Dies zeigt sich nirgendwo deutlicher als im Finale des zweiten Aktes. Das Moment des Misstrauens wurde von Mozart ins Zentrum des Quartetts der Europäer gestellt, wohingegen sich Bretzner in der Vorlage dieses Motivs fast en passant, durch einen kurzen Dialog, entledigt hatte. Bei Mozart hingegen haben an dieser entscheidenden Frage, nämlich Treue oder Untreue, alle vier Personen Anteil. In der Leipziger Vorlage Belmont und Constanze hatten in dieser Situation einzig die Protagonisten das Wort, wohingegen Blonde und Pedrillo im Hintergrund pantomimisch agieren durften. »Während der Unterredung des Belmonte mit Konstanzen, unterhalt sich Pedrillo mit Blonden, der er durch Pantomime den ganzen Auftritt mit dem Osmin vormacht, und jenen nachahmt; zuletzt unterrichtet er sie ebenfalls, dass er um Mitternacht mit einer Leiter unter ihr Fenster kommen wolle, um sie zu entführen. « II,6) Anders bei Mozart: hier gibt es in Fragen der Liebe keine Barrieren, ja es scheint sogar, als ob durch das Verwirrspiel aus Fragen und ausweichendem Antworten Pedrillo allein auszusprechen vermag, was Belmonte nicht auszusprechen wagt, nämlich ob der Bassa in gleichem Maße wie Osmin »Sein Recht als Herr probiert« und bei Konstanze »exerziert« habe. – Das Finale des zweiten Aktes lässt die Fremdartigkeit des Ortes weitgehend vergessen. Die Figuren bleiben völlig auf sich und ihre Partner bezogen. Der Orient wird T HOM AS BETZ W IE SER

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für die Europäer zu einer Art Niemandsland, in dem bestehende Standesunterschiede, wenn nicht obsolet, so doch zumindest stark verwischt werden. Die Tatsache, dass sich die beiden europäischen Protagonisten ständig in emotionalen Grenzsituationen befinden, lässt somit den Bediensteten entsprechend mehr »Spielraum « zukommen. Konzentrierte sich das Interesse der »histoires galantes« hauptsächlich auf die beiden abendländischen Protagonisten, so war in den Dramatisierungen der Opera comique die Integration von Nebenfiguren, sprich Diener und Dienerin, unabdingbar. Die Präsenz dieser Figuren, meistens noch Rudimente der Commedia dell’arte, bot den Autoren die Möglichkeit, den Orient zur Folie eines Kulturvergleichs zu machen, wie es Montesquieu in den Lettres persanes (1721) modellhaft vorgeführt hatte. Bevorzugte Motivfelder dieser »gespiegelten« Kritik waren Frauenbild und Religion des Islam, beides Themen, die bis auf den heutigen Tag nichts an Brisanz verloren haben. Ein dezidiert sozialkritischer Anstrich wie bei Montesquieu war aber nur wenigen Stücken eigen, die meisten Autoren nutzten nur eine Seite der Widerspiegelungsfolie, indem sie ihre dramatis personae unverhohlen einen Hymnus auf die vorbildliche französische Gesellschaft anstimmen ließen. Dieser mitunter chauvinistische Ton war besonders in solchen Stücken vernehmbar, wo europäische Frauen unverschuldet in die Hände eines orientalischen Paschas fielen, wie beispielsweise in Carolets Les Français au Sérail (1736) oder Favarts Le Bacha d’Alger (1741). In Les Français au Sérail waren die Intrige der Türkenoper, die geplante Entführung, die Entdeckung und das lieto fine am ausgeprägtesten, ganz dem Muster der »histoires galantes« folgend. Carolet versammelt zum ersten Mal annähernd das Figurenpersonal, wie es uns in späteren EntführungsOpern begegnet. Im Serail des persischen Prinzen Rustan treffen wir auf die Französin Julie, ihre Dienerin Nour sowie die Italienerin Leonore. Als Partner stehen ihnen die Franzosen Clittandre, dessen Diener Arlequin und Hussan gegenüber. Im Zentrum des Stückes steht das Schicksal Julies, die gleich in der ersten Szene ihr Los beklagt, dem Pascha als Sklavin dienen zu müssen. JULIE

Que je regrette mon pays J’y vivais dans l’indépendance L’amour cause ici mes ennuis Il fait tous nos plaisirs en France Ici nous tremblons sous ces loix En France il nous remet ses droits. Je ne cesse pas un seul moment de comparer la liberté des femmes de France avec l’esclavage de celles d’Orient et je ne trouve point de situation plus déplorable que la mienne. (I, 1)

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Im Gegensatz zu den europäischen Protagonistinnen, die den kulturellen Vergleich nur dann anstellen, wenn sich ihr individuelles Schicksal als ausweglos erweist, scheinen die Dienerfiguren in dieser Hinsicht mit einer größeren geistigen Flexibilität ausgestattet. Die Integration eines »englischen Mädchens« in das Figurenpersonal der Entführung setzte a priori einen aufklärerischen Kontrapunkt, sowohl zu den anderen Europäern, als auch zu früheren Dienerfiguren, die, wie ihre Herrschaften, überwiegend aus dem katholischen Süden stammten. Der Unterschied zwischen Blonde und Pedrillo könnte nicht schärfer gefasst sein. Pedrillo, der »gutem altchristlichen Geschlecht aus Spanien« entstammt, ist »Stets ein treuer Diener seines Herrn«. Die Verbundenheit Blondes mit ihrer Heimat besitzt dagegen einen rationalistisch emanzipatorischen Charakter: »Ich bin eine Engländerin, zur Freiheit geboren, und trotze jedem, der mich zu etwas zwingen will! « (II,1) Im Vergleich zu Pedrillo, dem gelegentlich das Herz in die Hose rutscht, zeigt sich Blonde weitgehend unbeeindruckt von den äußeren Umständen, ihr starkes Selbstbewusstsein lässt sie sogar über die größten Unbilden triumphieren. Ein Herz, so in Freiheit geboren, Lässt niemals sich sklavisch behandeln, Bleibt, wenn schon die Freiheit verloren, Noch stolz auf sie, lachet der Welt! (II, 1) Blonde ist die einzige Figur, die sich die hierarchischen Verhältnisse im Serail zunutze machen kann. Sie droht Osmin, ihn via Konstanze und Selim unter Druck zu setzen, was ihr auch gelingt. »Gewalt werd ich mit Gewalt vertreiben. Meine Gebieterin hat mich hier in den Garten bestellt; sie ist die Geliebte des Bassa, sein Augapfel, sein alles, und es kostet mir ein Wort, so hast du fünfzig auf den Fußsohlen.« (II,1) Obgleich Blonde sonst nicht gerade darauf bedacht ist, auf Standesunterschiede zu pochen, spricht sie hier in Gegenwart Osmins mit feinsinniger Ironie von ihrer »Gebieterin«. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Anredeformen der einzelnen Figuren genauer, so wird man feststellen, dass nur die europäischen Konventionen noch intakt sind. Pedrillo und Blonde bleiben gegenüber ihren Herrschaften bei einem standesgemäßen »Sie«. Erstaunlicherweise begegnen aber sämtliche Europäer den Orientalen mit einem fast vertrauten »Du«. Belmonte versucht es zwar bei seinem ersten Zusammentreffen mit Osmin noch mit »Hört Ihr nicht?«, schwenkt aber sofort um, als er merkt, dass dieser ihn nicht mit dem nötigen Respekt behandelt. Die Tatsache, dass die Europäer die Türken duzen, ja selbst zum Bassa in dieser Hinsicht kein Unterschied mehr besteht, deutet auf eine Adaption bzw. »Akklimatisierung« der Europäer hin und zeigt einen Grad von Vertrautheit, der den neuangekommenen Belmonte mehr als irritieren muss. T HOM AS BETZ W IE SER

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Vor allem Pedrillo scheint sich problemlos in den neuen Verhältnissen zurechtzufinden. Auch wenn die konventionellen Umgangsformen zwischen Diener und Herren gewahrt bleiben, so ist doch tendenziell eine Aufweichung des sozialen Gefälles spürbar. Dies zeigt sich besonders zu Beginn des dritten Aktes, wenn Pedrillo Belmonte in die Pflicht nimmt und ihn zum Singen auffordert: »Singen Sie indessen eins. Ich hab das so alle Abende getan« (III, 2). Der Diener delegiert somit seine Tätigkeit an den Herrn, ein Indiz dafür, dass im Orient andere Gesetze herrschen, was offenbar auch für den Umgang der Europäer untereinander gilt.

Der Fremde als Exot Die bedeutsamste Veränderung, die Mozart und Stephanie an Bretzners »Drama« vorgenommen hatten, betraf die Rolle des Osmin. Aus dieser Umformung resultierte zweifellos eine der schillerndsten Figuren der Operngeschichte. War Osmin bei Bretzner mit nur einer (Solo-)Arie vertreten – was jedoch nicht seinem wirklichen dramatischen Gewicht entsprach –, so machte Mozart den Türken zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung.10 Es ist dem untrüglichen Theaterinstinkt Mozarts zu verdanken, dass die exotische Figur nicht wie in Glucks La Rencontre imprévue oder Haydns L’incontro improvviso ins dramaturgische Abseits abglitt. Mozart hat den Türken Osmin nicht nur einem koloristischen, sondern mehr noch einem dramatischen Prinzip verpflichtet. Stellten die älteren Türkenopern allenfalls einen exotischen Typus vor11, so haben wir es hier mit einer komplexen Figur zu tun, auch wenn Mozart in seinen Briefen nur eine Seite von Osmins Charakter offenlegt (»impertinent«, »grober flegel, und Erzfeind von allen fremden«, »dumm, grob und boshaft«). Die Darstellung des Fremden wurde von Mozart schärfer formuliert als von Bretzner und seinen Vorgängern. Im Gegensatz zu anderen exotischen Figuren spiegelt sich in Osmin nicht ein zeitloses Klischee wider, sondern er repräsentiert gleichsam ein »aktuelles« Türkenbild. Einsteins Charakterisierung Osmins als »unendlich komisch und unendlich gefährlich« trifft den Kern der Figur und deckt sich mit dem ambivalenten Bild vom Türken, wie es in Wien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorherrschte. Die Kompensation der Angst vor dem Erzfeind scheint zur Zeit der Entführung eben genau dieser Ambivalenz zu entsprechen, die einerseits das Komische exponiert, auf der anderen Seite aber den bedrohlich-aggressiven Grundcharakter immer noch durchscheinen lässt. Eine reale Bedrohung der Habsburger durch die Türken war um 1780 jedoch eher Mythos als historische Realität. Russland bildete für die Donaumonarchie seit dem russisch-türkischen Krieg von 1768-74 eine weitaus ernstere Gefahr als die Osmanen. (Ein interessanter Aspekt, wenn man berück­­sichtigt, dass 43

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die Premiere der Entführung aus dem Serail zu Ehren des russischen Großfürsten geplant war.) Trotzdem waren die über Jahrhunderte gewachsenen ideologischen Fronten zwischen Habsburgern und Osmanen noch deutlich spürbar. Das Bild des Fremden war vor allem durch zwei Momente geprägt worden: sexuelle Zügellosigkeit sowie die mit Gewalt verbundene Verbreitung des Glaubens.12 Die Kombination von Lüsternheit und Gewalttätigkeit war bereits zum Paradigma des Orientalen geworden, auch wenn sich die Akzente im Laufe des 18. Jahrhunderts in Richtung des »Edlen Türken« verlagerten. Das Bild vom Erzfeind blieb jedoch trotz dieser Akzentverschiebung – zumindest im christlichen Südosteuropa – als beunruhigendes Moment immer noch latent vorhanden. Es scheint plausibel, dass gerade in der Wiener Version der Entführung aus dem Serail dem edlen Türken ein nicht minder exponiertes Pendant gegenübergestellt wird, das in dieser Schärfe bei Bretzner fehlte. Das inzwischen ambivalent gewordene Bild des Türken findet somit gleichsam eine komplementäre dramatische Konkretisierung: eine positive in Bassa Selim und eine negative in Osmin. Die Anwesenheit des grausamen Türken bot zumindest den Europäern die Chance, moralische Überlegenheit zu demonstrieren, was gegenüber Bassa Selim nur schwer möglich ist. Die nicht unerhebliche musikalische Expansion der Partie Osmins ließ der Figur ein völlig neues dramatisches Gewicht innerhalb der Oper zukommen. Osmin erhält damit einen Stellenwert, der jedoch nicht im Einklang mit seiner sozialen Position steht. Durch die Umarbeitung präsentiert sich Osmin bei Mozart und Stephanie wie selbstverständlich als die rechte Hand des Paschas, was er jedoch keineswegs ist. Er bleibt, wie schon bei Bretzner, ein subalterner Angestellter, nämlich »Aufseher über das Landhaus des Bassa«, der sich Vorteile zu verschaffen sucht, wo immer es ihm möglich erscheint. Welch schwachen Stand der permanent um Anerkennung ringende Osmin bei Bretzner hatte, beweist die Verwirrung am Kulminationspunkt der Entführungsszene. Die Wachen, die Osmin zu Hilfe ruft, nehmen diesen vorübergehend selbst fest, in gutem Glauben, in Osmin den Entführer gefunden zu haben. Erst ein stummer Schwarzer setzt die Wachen über die wahre Identität Osmins pantomimisch in Kenntnis und veranlasst Osmins Freigabe. Diese Szene lässt Osmins Position in einem anderen Licht erscheinen. OSMIN

(zum Stummen)

Ali komm doch und bedeute, Diese unverschämten Leute Schleppen sonst mich selbst davon.

Die radikalen Veränderungen, die Mozart und Stephanie im dritten Akt vornahmen, hatten zur Konsequenz, dass solche Nuancen der Vorlage auf der Strecke blieben. Die musikdramatische Aufwertung der Figur Osmins führte zu einem Missverständnis doppelter Art: Viele Rezipienten sahen in Osmin T HOM AS BETZ W IE SER

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Marie Favart als Roxelane in Les trois sultanes

nicht den Aufseher über Selims Domäne, sondern einen Haremswächter in Gestalt eines Eunuchen. Diese Fehleinschatzung findet sich exemplarisch bei Ludwig Börne: »So ein meisterhafter Geselle, so ein verklärter Brummbär und hündischer Frauenwächter, wie er ergrimmt sich an dem verriegelten Gitter abmartert, durch welches er täglich den Honig sieht, den er nicht ablecken darf, so ein erboster Kerl, der alle Welt hasst, weil er nicht lieben kann, wird sobald nicht wieder in Musik gesetzt.«13 Der oberste Eunuch, der Kizlar Aga, zählte im osmanischen Sozialgefüge zu den ranghöchsten Personen im Sultanspalast. In Favarts Soliman II ou Les trois sultanes (1761) – das Stück rekurrierte in besonderem Maße auf türkisches Lokalkolorit – ist beispielsweise Osmins Stellung in diesem Sinne ein 45

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deutig definiert (»Kislar Aga ou chef des eunuques«). Dass der Osmin in der Entführung die Aufsicht über den Harem und damit über Konstanze hatte, geht aus keiner Stelle des Textbuchs hervor, ebensowenig wie die Tatsache, dass er dunkler Hautfarbe wäre. (Die Haremswächter waren von jeher schwarze Eunuchen.) Kurzum: Osmin erhielt durch die musikalische Aufwertung ein Gewicht, welches mit seiner sozialen Positionierung im Textbuch nicht äquivalent ist. Betrachtet man Osmins erstes Lied »Wer ein Liebchen hat gefunden« als Präfiguration der Handlung, so erstaunt vor allem, dass Osmin von Treue spricht. Gemeint ist hier seine Treue zu einem »Liebchen«, das er gefunden hat. Das Lied verleiht Osmin nicht nur einen melancholischen, sondern ebenso einen »europäischen« Charakterzug, denn im Gegensatz zu den zahllosen polygamen Türken, die im 18. Jahrhundert die Schaubühne bevölkerten, partizipiert Osmin am abendländischen Grundthema der Oper, nämlich dem der Treue. Dennoch: Osmins Abgang im Schluss-Vaudeville ist nicht nur in musikalischer Hinsicht bemerkenswert – Osmin (respektive Mozart) durchbricht die traditionelle Vaudevilleform, indem er ein gänzlich anderes thematisches Material verwendet –, sondern er verdeutlicht einmal mehr, dass Osmin zur »gefährlichen«, d.h. kompromisslosen Spezies des Orientalen gehört. Osmin verweigert konsequenterweise jedwede Zugeständnisse an die Europäer, selbst Bassa Selim kann ihn von seiner Position nicht abbringen. Osmins polternder Abgang darf somit als die Unwandelbarkeit des »Wilden« verstanden werden.

Der Europäer im Exil Die wichtigste dramaturgische Vorgabe für die Figur des Bassa Selim ist sein Renegatentum. Bereits sehr früh wird der Zuschauer darüber in Kenntnis gesetzt: »Der Bassa ist ein Renegat und hat noch so viel Delikatesse, keines seiner Weiber zur Liebe zu zwingen.« (I, 4) Erst gegen Ende des Stücks erfahren wir jedoch den Grund für die Konversion. Der ehemalige Spanier wurde in seiner Heimat aus jeder sozialen Verankerung gerissen, man brachte ihn um »Ehrenstellen, Vermögen, um alles«. Wäre diese Information dem Zuschauer bereits in der Exposition an die Hand gegeben worden, so hätte sich wohl nur die einfache Lesart einer späten Abrechnung des Bassa mit seinen Landsleuten angeboten. Jede Äußerung Selims gegenüber diesen hatte als gesteigerter Sadismus interpretiert werden können. Es verhält sich vielmehr genau umgekehrt: Die Spanier Konstanze und Pedrillo genießen Privilegien, die »tausend andere nicht haben würden«. Auch Belmonte hat keine Schwierigkeiten, das Wohlgefallen des Bassa zu finden. Auf Pedrillos Vorschlag stellt der Bassa ihn umgehend als Baumeister ein. Nur die Engländerin Blonde T HOM AS BETZ W IE SER

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scheint von diesen Privilegien ausgenommen, sie wird Osmin als Sklavin geschenkt, womit der Konflikt der Nebenhandlung beschrieben ist. Der Orient wurde für den ehemaligen Spanier zu einem Ort der Zuflucht vor dem totalen gesellschaftlichen Ruin. In diesem Exil konnte er sein verlorenes Sozialprestige wiedererlangen. Mit dem auf Lebenszeit verliehenen Titel eines Paschas (für hohe Offiziere und Beamte) hatte er sich eine seinem früheren Leben adäquate Position aufbauen können. Dennoch, so hat es den Anschein, übernimmt der Orient für Selim keine Surrogatfunktion, um verlorene europäische Traditionen zu kompensieren, sondern er bietet die Möglichkeit, das paradigmatisch Andere zu erfahren und zu leben. Die Stellung Selims als Renegat, als »Zwitterwesen« zwischen Europäer und Orientale, nimmt vor allem in der Begegnung mit Konstanze Gestalt an. Obgleich Selim Stärke demonstrieren möchte, wird er in seinem Rollenverhalten zusehends schwankender: »Sieh, ich könnte befehlen, könnte grausam mit dir verfahren, dich zwingen. « (I, 7) Selim nimmt auch die moralische Verankerung Konstanzes wahr, die ihm als gebürtigem Spanier nicht fremd ist. Konstanzes bedingungslose Treue zum Geliebten konfrontiert Selim mit seiner eigenen Vergangenheit. Auch er besaß eine Geliebte, die er – so erfahren wir gegen Ende der Oper – höher als sein Leben schätzte. Diese indirekte Begegnung mit seinem früheren Leben lässt Selim sein europäisches Schicksal wieder bewusst werden, drängt ihn aber vorübergehend noch stärker in die Rolle des Türken. Die Tatsache, dass Osmin den traditionellen Typus des Orientalen verkörperte, wies dem Bassa von vornherein eine andere Rolle zu. Da Mozart und Stephanie Osmin ein ungleich stärkeres dramatisches Gewicht gegenüber dem Bretzner’schen Stück verliehen hatten, musste auch die Bassa-Figur modifiziert werden, vor allem das »dénouement«, die Schlusslösung. Die Entdeckung des Bassa, dass in Belmonte sein leibhaftiger, verloren geglaubter Sohn vor ihm steht, war in jeder Hinsicht unbefriedigend. SELIM

BELMONTE SELIM BELMONTE

SELIM

KONSTANZE SELIM.

für sich Gott, wär es möglich? laut Sag, junger Mann, wie heißt deine Vaterstadt? Toledo. Und wer war dein Vater? Don Carlos Belmonte; der mich als ein Kind von vier Jahren in das Kloster St. Sebastian überbrachte Ach Gott, er ists! Mein Sohn, mein Sohn! Du bist mein Sohn; ich! bin dein Vater. […] Darf ichs wagen? wollen Sie auch mein Vater seyn? Steh auf! steh auf, gutes Mädchen, er ist dein! Seyd meine Kinder!

KONSTANZE UND BELMONTE

ihm die Hände küssend O wie glücklich! 47

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Vor allem Mozart selbst konnte an dieser Schlusslösung kein Interesse haben. Zu einem Zeitpunkt der endgültigen Abnabelung von Vater Leopold wäre ein solches Wiederfinden von Vater und Sohn, wenn auch nur auf der Opernbühne, von Mozart sicher als ein persönlicher Rückschritt erachtet worden. Dass dabei eine Frau mit Namen Konstanze beteiligt war – im Hause Mozart ohnehin ein Reizwort –, stellte darüber hinaus einen triftigen Grund dar, Bretzners Schluss zu verwerfen. Die Lösung des Konflikts durch Überführung ins Private hätte die Idee des Kulturkontrastes mit einem Schlag entschärft. Dass der Türke die positiven Eigenschaften der Europäer anzunehmen vermag, schien die Dramaturgie der Türkenoper gleichsam zu untergraben und den Abendländern ihre angestammte Position moralischer Überlegenheit zu entziehen. Die Tatsache aber, dass sich hinter dem edlen Türken in Wirklichkeit ein exilierter Europäer verbirgt, der durch und durch vom Geist der Aufklärung durchdrungen ist, rückte die eurozentrische Perspektive gewissermaßen wieder zurecht, indem sie den abendländischen Moralkodex als modellhaft hinstellt. Aus dieser Sicht wird der Bassa Selim zur eigentlichen Hauptrolle der Oper – eine Rolle allerdings, die nicht am musikalischen Geschehen partizipiert. Der sozial Ranghöchste erfährt somit keine musikalische Konkretisierung. Dieses Missverhältnis von dramatischer Bedeutsamkeit und fehlender musikalischer Darstellung wurde immer wieder als Problem gesehen, paradigmatisch von Ulibicheff: »Es befindet sich in der Entführung noch eine sechste Person, Selim, Pascha und Renegat, den man streng genommen eigentlich gar nicht zählen darf, denn er singt durchaus Nichts. Er handelt fast eben so wenig, und sein ganzer lyrisch-dramatischer Nutzen besteht darin, dass er durch seine zarten Bewerbungen Constanzen’s abschlägige Antworten hervorruft, und dass er ihre Bravour-Arien anhört. Welch’ eine Rolle für einen Pascha von drei Rosschweifen.«14 Die Tatsache, dass der Bassa Selim keine musikalische Konkretisierung erfuhr, macht ihn in gewisser Weise zu einem Außenseiter, der sich weder der einen (europäischen) noch der anderen (türkischen) Hemisphäre zuordnen lässt. Sein ihn umgebendes Ambiente ist zwar türkisch, daran lässt der Janitscharen-Chor, der seinen ersten Auftritt begleitet, keinen Zweifel, doch die Figur entzieht sich gänzlich einer dergestalt eindimensionalen Charakterisierung, wie sie die »alla-turca«-Musik vorstellt. Der Umstand, dass sich eine Opernfigur nur durch das gesprochene Wort artikuliert, lässt diese Person innerhalb des musiktheatralen Kontextes gleichsam exterritorial erscheinen. Die Exilsituation besteht somit auch gegenüber der Musik, woran eine dramaturgische Funktion geknüpft ist. Selims »lyrisch-dramatischer Nutzen« ist nicht, wie Ulibicheff ironisch anmerkt, der eines bloßen Stichwortgebers, sondern seine Existenz respektive sein Renegatentum provoziert vielmehr den eigentlichen Konflikt des Stücks. Mehr noch: die Vielschichtigkeit der Figur des Selim ersetzt gewissermaßen eine komplexe Intrige.15 Ohne die T HOM AS BETZ W IE SER

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differenzierte Persönlichkeit Selims wäre eine an Lessings Nathan gemahnende Schlusslösung kaum möglich gewesen. Dass sich in der liberalen Geste des Großmuts am Ende der Oper eine historische Person wiedererkennen sollte, nämlich Kaiser Joseph II., bereichert die Bassa-Figur um eine weitere Facette und bezeugt einmal mehr ihre Ausnahmestellung.

1 Vgl. Dietrich Kreidt, Exotische Figuren und Motive im europäischen Theater, Ausstellungskatalog hrsg. vom lnstitut fur Auslandsbeziehungen, Stuttgart 1987. 2 Vgl. Silke Leopold, »Zur Szenographie der Türkenoper«, in: Analecta Musicologica 21, 1982, S. 370-379. 3 Die Entführung des Stuttgarter Hofmusikers Christian Ludwig Dieter beispielsweise weist kein exotisches Instrumentarium auf. Vgl. Reiner Nägele, »Belmont und Constanze in den Vertonungen von Dieter und Mozart - ein Vergleich«, in: Musikforschung 50, 1997, S. 285. 4 Marie Louise Dufrenoy, L‘Orient romanesque en France (1704-1789), Montreal 1946, Bd. 1, S. 61. 5 Ein solcher Tatsachenbericht trägt den Titel Relation de l‘esclavage d‘un marchand de la ville de Cassis a Tunis. 6 Vgl. hierzu Thomas Betzwieser, Exotismus und »Türkenoper« in der französischen Musik des Ancien Regime, Laaber 1993, S. 201-258. 7 Wie weit dieser türkische Handlungsstrang zurückreicht, hat Cesare Questa (Il ratto dal serraglio. Euripide – Plauto – Mozart – Rossini, Bologna 1979) gezeigt. 8 Abert-Jahn, W. A. Mozart, Leipzig 1919, Bd. I, S. 932. 9 W. Daniel Wilson, Humanität und Kreuzzugsideologie um 1780. Die »Türkenoper« im 18. Jahrhundert und das Rettungsmotiv in Wielands Oberon, Lessings Nathan und Goethes Iphigenie, New York 1984, S. 37. 10 Stefan Kunze, Mozarts Opern, Stuttgart 1984, S. 199. 11 Vgl. hierzu Christoph Hellmut Mahling, »Die Gestalt des Osmin in Mozarts Entführung. Vom Typus zur lndividualität«, in: Archiv für Musikwissenschaft 30, 1973, S. 96-108, sowie Wolfgang Osthoff, »Comicità alla turca, musica classica, opera nazionale. Osservazioni sull Entführung aus dem Serail«, in: M. T. Muraro / G. Morelli (Hrsg.), Opera e Libretto II, Firenze 1993, S. 157-174. 12 Norman Daniel, Islam and the West – The Making of an Image, Edinburgh 1960, S. 271ff. 13 Allgemeine Musikalische Zeitung 49, 1847, Sp. 236f. 14 Alexander Ulibicheff, Mozarts Leben und Werke, 2. Auflage, Stuttgart 1864, Bd. 3, S. 139. 15 Im Vergleich zu anderen Türkenopern, etwa Martinellis und Jommellis La schiava liberata (Ludwigsburg 1768), ist die Entführung äußerst einfach strukturiert.

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Nun wegen dem text von der opera. – was des Stephani seine arbeit anbelangt, so haben sie freylich recht. – doch ist die Poesie dem karakter des dummen, groben und boshaften osmin ganz angemessen. – und ich weis wohl daß die verseart darinn nicht von den besten ist – doch ist sie so Passend, mit meinen Musikalischen gedanken (die schon vorher in meinem kopf herumspatzierten) übereins gekommen, daß sie mir nothwendig gefallen musste; – und ich wollte wetten daß man bey dessen aufführung – nichts vermissen wird. – was die in dem Stück selbst sich befindende Poesie betrift, könnte ich sie wirklich nicht verrachten. Mozart an seinen Vater, 13. Oktober 1781

Andreas Grötzinger und Ludwig Blochberger als ­Osmin und Pedrillo ←


Thomas Seedorf

NUN BIN ICH AUFGEKLÄRT

Über das Quartett in Mozarts Singspiel »Die Entführung aus dem Serail«


Erkenntnis kann schmerzhaft sein – und das im wörtlichen Sinne, wie Pedrillo in Mozarts Singspiel Die Entführung aus dem Serail am Ende des zweiten Aktes erfahren muss. Auf die – nur mit Zaudern herausgebrachte – Frage, ob Osmin vielleicht seine Rechte als Herr und Gebieter gegenüber Blonde durchgesetzt habe, erhält er von der Gefragten eine Ohrfeige zur Antwort. »Nun bin ich aufgeklärt«, tut Pedrillo darauf kund. Man könnte es sich leicht machen, indem man die Formulierung als harmlos kalauernden ersten Teil eines Verspaares versteht, das in Blondes anschließendem Ausruf – »Du bist mich gar nicht wert.« – sein reimendes Gegenstück findet. Es lassen sich aber auch Gründe dafür anführen, Pedrillos Äußerung als Ausdruck einer echten Einsicht zu verstehen: 1. In Christoph Friedrich Bretzners »Operette« Belmont und Constanze, oder: Die Entführung aus dem Serail, der Vorlage, auf die Johann Gottlieb Stephanie der Jüngere sich bei seinem Libretto für Mozart stützte, fehlt die Auseinandersetzung zwischen Pedrillo und Blonde und damit auch die Ohrfeige. Der von Angst und Eifersucht geprägte Diskurs über partnerschaftliche Treue ist hier allein Sache Belmontes und Konstanzes: BELMONTE KONSTANZE

BELMONTE

Aber, Konstanze, ists wahr? Du bist die Geliebte des Bassa? – Wie, Belmonte? Konntest du glauben, das deine Konstanze jemals untreu werden könnte? Traust du einem Mädchen nicht mehr Treue und Standhaftigkeit zu? – Wie viel Nächte hab’ ich schlaflos auf meinem Lager durchwacht, wie viel Seufzer für dich zum Himmel geschickt – Ha! rief ich aus: Gütiger Himmel! erhalte nur meinen Belmonte; und ich will gern alles erdulden, ihm dieß Herz so treu wieder zu bringen, als es bey unserer Trennung war. O verzeih, Konstanze, verzeih dem misstrauischen Liebhaber. Du weißt ja: Unglück macht misstrauisch. Mit diesem Kuß empfange meine Gelübde aufs Neue, ewig, ewig der Deine zu seyn! – – Und nun zu unserem Vorhaben [...]

Belmontes Verdacht ist, ganz anders als bei Stephanie und Mozart, in Bretzners Stück nur ein Nebenmotiv, das noch dazu in gesprochener Prosa abgehandelt wird und schnell erledigt ist, bevor Belmonte sich der Hauptsache, dem »Vorhaben« der Entführung zuwendet. Blonde und Pedrillo sind in dieser Szene zwar auf der Bühne anwesend, agieren aber lediglich stumm im Hintergrund und ohne jeden Hinweis auf eine Auseinandersetzung über die heikle Frage der Treue – die bleibt dem hohen Paar allein vorbehalten. Indem Mozart und sein Librettist das Dienerpaar nicht nur in den Diskurs einbeziehen, sondern mit der Ohrfeige auch einen deutlich erkennbaren Effekt, ein 53

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wirkungsvolles theatralisches Ereignis integrieren, gewinnt die Auseinandersetzung bei ihnen eine ganz andere Dimension und größere Bedeutung als bei Bretzner. 2. Die Briefe, in denen Mozart während der Arbeit an der Entführung aus dem Serail seinem Vater Einblicke in seine Werkstatt gewährt, dokumentieren eindrücklich, wie bewusst der Komponist und der von ihm inspirierte Textdichter in allen Belangen der Dramaturgie und insbesondere der theatralischen Wirkung vorgegangen sind. Kein Zufall dürfte daher der Zeitpunkt sein, zu dem Blonde die Ohrfeige verabreicht. Geht man von einer durchschnittlichen Aufführungsdauer von ca. 10 Minuten aus, so fällt die Ohrfeige mit einer Genauigkeit, die von Interpretation zu Interpretation leichten Schwankungen unterworfen ist, zeitlich ins Zentrum des Satzes und markiert dort den Dreh- und Wendepunkt des Ganzen: Alles Folgende ist Konsequenz jener Erkenntnis, die Pedrillo durch den Schlag ins Gesicht aufgegangen ist. 3. Nach Wolfgang Hildesheimer erscheinen Ohrfeigen »bei Mozart als läuternder Wirkstoff«. Ob Blonde auf diese Weise ihrer Empörung Ausdruck verleiht oder die als Gräfin verkleidete Susanna ihre Wut über den scheinbar um die Gunst seiner Herrin buhlenden Figaro mit Schlägen zum Ausdruck bringt – stets wirkt die aus dem Affekt erfolgende körperliche Züchtigung wie »eine strahlende Bekräftigung der Treue«, eine Auffassung, der auch Zerlina folgt, wenn sie dem eifersüchtigen Masetto anbietet, sie zum Beweis ihrer Treue schlagen zu dürfen (»Batti, batti, o bel Masetto«). Es ist dabei bezeichnend, dass es die Dienstboten und einfachen Frauen sind, nicht die hochgestellten Herrschaften, die sich so handgreiflich äußern. »Die Frage von Treue und Untreue«, so sieht es der Psychoanalytiker Bernd Oberhoff, »wird auf der Körperebene abgehandelt und entschieden,« mehr noch: sie wird, und das ist bei einem Theaterstück von großer Bedeutung, durch die sich entladende Spannung zwischen Blonde und Pedrillo sicht- und hörbar gemacht. Für Konstanze und Belmonte geht es dagegen »primär [um] ein innerseelisches Geschehen, eine Angelegenheit des Gefühls und der innerlichen Verbundenheit,« um ein Abstraktum also, das sich mit elementar theatralischen Mitteln nicht sinnlich darstellen lässt. Beide Männer gehen mit Zweifeln an der Treue ihrer Frauen in die Wiederbegegnung, doch artikulieren sie dieses Gefühl auf ganz unterschiedliche Weise. Während Belmonte die bange Frage stellt, ob Konstanze den Bassa liebt und dabei das seelische Band der Liebe, nicht die körperliche Vereinigung meint, treibt Pedrillo der Argwohn um, Blonde könnte von Osmin sexuell bedrängt worden sein. Die Frauen antworten auf jener Verständigungsebene, die die Männer jeweils vorgeben: Konstanze reagiert seelisch, indem sie weint und ihren Schmerz nach innen nimmt (»O! wie du mich betrübst!«), Blonde dagegen körperlich, indem sie ihren Zorn nach außen dringen lässt. T HOM AS SEEDOR F

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Die planvolle Integration der Ohrfeige in die Dramaturgie des Aktschlusses, ihre genaue Positionierung im Ablauf des Ensemblesatzes, ihr Zusammenhang mit ähnlichen Situationen in anderen Werken Mozarts und die Sinnfälligkeit, mit der die beiden Paare sich durch die Unterschiedlichkeit ihrer Reaktionen gegenseitig spiegeln und damit zugleich ihre Eigenheit verdeutlichen – all dies sind Gründe dafür, Pedrillo zuzugestehen, dass der Schock, den Blondes Ohrfeige für ihn bedeutet, ihn tatsächlich »aufgeklärt«, d.h. zu einer Einsicht gebracht hat. Doch zu welcher Einsicht? Die Antwort geben die Männer wenig später gemeinsam: Sobald sich Weiber kränken, Daß wir sie untreu denken, Dann sind sie wahrhaft treu, Von allem Vorwurf frey. Hörend zu verstehen ist diese aus heutiger Sicht befremdliche Interpretation weiblichen Verhaltens, die aus der Reaktion auf den Verdacht der Untreue die Unschuld der Frauen ableitet, so gut wie nicht, denn zur gleichen Zeit singen Konstanze und Blonde einen anderen Text: Wenn unsrer Ehre wegen Die Männer Argwohn hegen, Verdächtig auf uns sehn, Das ist nicht auszustehn. Die Überlagerung zweier so unterschiedlicher Texte hebt die Aussagen der Frauen und die der Männer fast gegeneinander auf, bringt sie, zumindest auf der Ebene der Semantik, beinahe zum Verschwinden. Doch da ist noch eine weitere Ebene, die der Musik, die hier, jenseits des bloß verstandesmäßigen Verstehens, zum Wesentlichen wird – doch davon später.

Ein Finale? Den Schauspielern vergleichbar, die – laut Denis Diderot – »spectateurs« sein müssen, aufmerksam und objektiv schauende Betrachter des menschlichen Verhaltens, war auch Mozart ein Menschenbeobachter. In vielen seiner Briefe schildert und charakterisiert er Personen seines Lebensumkreises bis in kleinste Einzelheiten und schuf dabei »verbale Menschenporträts«, die, so Georg Knepler, »gewissermaßen Vorstudien zu seinen musikalischen« darstellen. Mozarts Vermögen, menschliches Verhalten nicht nur in Worten zu erfassen, sondern auch und vor allem mit den ihm zur Verfügung stehenden 55

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Möglichkeiten des Musiktheaters künstlerisch zu gestalten und zu vermitteln, ist ein wesentliches Moment seiner Teilhabe an den vielfältigen Richtungen aufgeklärten Denkens seiner Zeit, durch das seine reifen Opern zu einem Forum der Aufklärung werden. Zu den wesentlichen Formen einer Oper des ausgehenden 18. Jahrhunderts gehören Arien und Ensembles. Die Arien dienen der Darstellung einzelner Figuren, deren Charakter sie ebenso porträtieren wie sie verschiedene Stadien einer seelischen Entwicklung innerhalb eines Werks deutlich werden lassen können. Ensembles dagegen bieten die Möglichkeit, das Handeln, Sprechen und Empfinden mehrere Figuren sowohl sukzessiv wie simultan in einer musikalisch stringenten Weise zu gestalten. Beide Formen verhalten sich aber nicht nur komplementär zueinander, sondern können Grundzüge der jeweils anderen übernehmen, d.h. die Arie kann handlungshafte Elemente besitzen, während Ensembles auch dazu dienen können, Seelenzustände hörbar werden zu lassen. Mozart macht in der Entführung aus dem Serail von diesen Möglichkeiten reichen Gebrauch. Bevor sich Konstanze und Belmonte, Blonde und Pedrillo im Quartett erstmals musikalisch vereinen, haben sie sich dem Zuschauer bereits musikalisch vorgestellt, und das heißt: ihre Charaktere sind bereits ebenso bekannt wie Teile ihrer inneren und äußeren Geschichte. Belmonte tritt als erster auf und führt sich als empfindsam Liebender ein, der sich aber in der Konfrontation mit Osmin auch als vermeintlich überlegener Europäer vornehmer Abstammung zeigt. Pedrillo hingegen erweist sich von Anfang an als gewandter Tatmensch, der sich allerdings manchmal über den eigenen Mut erschrickt. Konstanze zeigt sich schon mit ihrer ersten Arie als edle Seele, die sich den Wünschen des Bassa gegenüber zu behaupten weiß. Vor allem in der unmittelbaren Aufeinanderfolge der Arien »Traurigkeit ward mir zum Lose« und »Martern aller Arten« wird das weite Spektrum der Empfindungen deutlich, das für Konstanze charakteristisch ist. Blonde schließlich zeigt von Anfang an, dass sie eine willensstarke Frau ist: »Ich bin eine Engländerinn, zur Freyheit gebohren; und trotz jedem, der mich zu etwas zwingen will!« Wie bei Belmonte und Pedrillo zeigt sich ihre Haltung nicht nur in Arien, sondern auch in einer Ensemblesituation, dem Duett mit Osmin, in dem sie ihre stolze Überlegenheit demonstriert. Im Quartett, das den zweiten Aufzug der Entführung aus dem Serail beschließt, kommen die vier Hauptpersonen erstmals zusammen. Anders als Bretzner, der die Begegnung selbst im gesprochenen Dialog stattfinden und die Musik erst ganz am Schluss im Sinne eines Ausblicks auf die bevorstehende Entführung und Flucht einsetzen lässt, gestalten Stephanie und Mozart die Szene als großen Ensemblesatz. Wegen seiner Platzierung an das Aktende, der weit ausgreifenden Gesamtanlage und der Unterteilung in mehrere deutlich voneinander abgesetzte Formabschnitte ist es immer wieder als ein »Finale« bezeichnet worden. Doch ist es das wirklich? Wie Finali in der Tradition der italienischen Opera buffa zu organisieren sind, hatte Mozart T HOM AS SEEDOR F

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bereits in früheren Werken erkundet, zunächst in La finta semplice, dann, bereits mit großer Meisterschaft, in La finta giardiniera: als musikalische Szenenfolge, deren Ereignisdichte auf der Ebene der äußeren Handlung eine sinnfällig gestaffelte Abfolge mehrerer Formteile in der Musik entspricht. Und tatsächlich plante Mozart ja für den Abschluss des zweiten EntführungAktes »ein charmantes quintett oder vielmehr final« (Brief Mozarts an seinen Vater Leopold vom 26. September 1781), eine Szene, in der der Entführungsversuch in einer den Usancen der Opera buffa analogen Form musikdramatisch vorgestellt werden sollte. Er gab diesen Plan aber recht bald auf, da eine Musikalisierung dieser Szene in Gestalt eines ausladenden hochdifferenzierten Ensemblesatzes das musikalisch-dramaturgische Gleichgewicht des Werks zerstört hätte und insbesondere der Schluss des Singspiels zur Antiklimax geraten wäre. Auf den ersten Blick folgt das Quartett in der Entführung aus dem Serail mit seiner Abfolge verschiedener und deutlich voneinander abgesetzter Abschnitte allerdings durchaus dem Modell des Buffa-Finales. Aber bereits hinsichtlich der äußeren Handlung zeigt sich ein gravierender Unterschied: Der von den Männern geäußerte Zweifel an der Treue der Frauen und die sich daran anschließende Auseinandersetzung innerhalb der Liebespaare samt Versöhnung ändern nichts an der Situation, aus der heraus das Quartett erwuchs – man ist, im krassem Gegensatz zu einem echten Finale, äußerlich keinen Schritt weiter gekommen. Das Entscheidende vollzieht sich in der Mitte des Quartetts und im Innern der Personen, die am Ende nicht mehr die sind, die sie zu Beginn des Stückes waren.

Folgen der Eifersucht Die Frage nach der Treue ihrer Frauen, die Belmonte und Pedrillo beschäftigt und eine alle vier Figuren erfassende existenzielle Krise auslöst, ist von Stephanie und Mozart kaum zufällig in die Mitte ihres Singspiels gerückt worden. Beide folgten einer Einsicht, die Adolph Freiherr von Knigge nur wenige Jahre nach ihnen in seiner vom Geist der bürgerlichen Aufklärung durchdrungenen Abhandlung Über den Umgang mit Menschen so formulierte: »In der Ehe ist Eifersucht ein schreckliches, Ruhe und Frieden störendes Übel, und jeder Streit von bösen Folgen; in der Liebe hingegen wirkt Eifersucht neue Möglichkeiten hinein; nichts ist süßer als der Augenblick der Versöhnung nach kleinen Zwistigkeiten, und solche Szenen knüpfen das Band fester [...].«

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Die Autoren der Entführung aus dem Serail gehen sogar noch einen Schritt weiter: Bei ihnen wirken die aus der Eifersucht resultierenden Folgen wie eine Befreiung von Ängsten, die das Verhalten der Männer bestimmten. Ihre Eifersucht provoziert Erkenntnis, das neu gewonnene Wissen um die Treue der Frauen, die die menschliche Basis für alles Kommende darstellt. Die Wiedervereinigung der Paare, die sich bei Bretzner en passant ereignet, wird in Mozarts Singspiel zu einer selbst auferlegten Prüfung der Herzen, aus der die Liebenden gestärkt hervorgehen.

Die Musik Entscheidender noch als die schon im Text Stephanies zu erkennende grundlegend andere Menschendarstellung ist aber das, was Mozart aus der Vorlage seines Librettisten entstehen ließ: »Erst Mozarts Musik macht mit ihrer eigenständigen und vielschichtigen Dramaturgie die Tiefe der Erschütterung deutlich, die hier unerwartet im Inneren des Ensembles passiert.« Der erste Teil des Quartetts exponiert szenisch wie musikalisch die Grunddisposition, aus der sich das Folgende entwickelt. KONSTANZE BELMONTE KONSTANZE

BELMONTE

KONSTANZE BELMONTE KONSTANZE BELMONTE

Ach Belmonte! ach mein Leben! Ach Konstanze! ach mein Leben! Ist es möglich? welch Entzücken! Dich an meine Brust zu drücken Nach so vieler Tage Leid. Welche Wonne, dich zu finden! Nun muß aller Kummer schwinden, O! wie ist mein Herz erfreut! Sieh die Freudenthräne fließen. Holde! laß hinweg sie küssen! Daß es doch die letzte sey! Ja, noch heute wirst du frey.

Die vollkommen unterschiedlichen emotionalen Ausgangspositionen, von denen aus Konstanze und Belmonte in die Begegnung gehen, sind auf der Ebene des Textes nicht zu erkennen, im Gegenteil, die Worte suggerieren durch Übereinstimmung im Vokabular, in der Form und im Gestus viel eher eine Parallelität der Empfindungen. Der aber widerspricht die Musik: Konstanze tritt Belmonte mit emphatischen weit ausladenden Hochtongesten entgegen, auf welche dieser zunächst mit kurzen, wie abgerissen wirkenden Phrasen antwortet. Erst mit den Worten »Welche Wonne, dich zu finden!« übernimmt er Konstanzes Jubelton. Mozart zeigt, wie Belmonte sich erst von einer Beklommenheit lösen muss, deren Grund später offenbar wird. Doch T HOM AS SEEDOR F

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bevor er seinen Verdacht äußert, lässt er sich von der Wiedersehenseuphorie Konstanzes mitreißen. PEDRILLO

BLONDE

Also Blondchen hast’s verstanden? Alles ist zur Flucht vorhanden, Um Schlag zwölfe sind wir da. Unbesorgt! es wird nichts fehlen, Die Minuten wird’ ich zählen, Wär’ der Augenblick schon da!

Pedrillos erste Äußerung bildet zum emphatischen Ton des hohen Paares einen drastischen Kontrast. Im sprechnahen Parlando geht es nicht um die Empfindungen des Herzens, sondern um pragmatische Aspekte der anstehenden Entführung. Das auch er wie sein Herr einen Zweifel in sich trägt, ist ihm auf der Ebene der Musik nicht anzumerken, gleichwohl ist auffällig, dass in den Worten, die er an Blonde richtet, keine Spur einer Liebesbekundung oder Wiedersehenfreude zu entdecken ist. Blonde erweist sich in ihrer Antwort als Pedrillo ebenbürtige Partnerin; auch von ihr ist kein persönliches Wort zu vernehmen und sie übernimmt in ihrer Antwort Pedrillos musikalische Phrase Ton für Ton. ALLE VIER

Endlich scheint die Hoffnungssonne Hell durchs trübe Firmament! Voll Entzücken, Freud’ und Wonne, Sehn wir unsrer Leiden End!

Mit dem Ausblick auf die nahende Befreiung könnte das Ensemble analog zur Vorlage von Bretzner und André schließen. Durch die Wiederaufnahme der hymnischen Marschmusik des Anfangs, durch die sich eine formale Abrundung anzukündigen scheint, wird ein solcher Schluss auch auf der Ebene der Musik suggeriert – zunächst. Bei den Worten »Voll Entzücken etc.« verändert sich der Gestus der Musik, der Marsch verwandelt sich in eine Gavotte, das für jenen charakteristische Moment der kraftvoll abtaktigen Betonung wird von der für Gavotten konstitutiven Auftaktigkeit abgelöst. So subtil dieser Wechsel ist, so wirkt er doch als Irritation, die den Elan, mit dem der Satz durch die Wiederaufnahme der Marschmusik einem Schluss entgegendrängt, ausbremst. Daniel Heartz hat anhand von Beispielen aus Mozarts Le nozze di Figaro pausibel gemacht, dass Marsch und Gavotte bei Mozart semantisch geladene Topoi sein können. In unmittelbarer Kontrastierung wie im Fall des Quartetts in der Entführung aus dem Serail steht der Marsch für Männlichkeit, die Gavotte für Weiblichkeit. Beide Prinzipien geraten am Ende des ersten Teils des Quartetts miteinander in einen Konflikt, der mit immanent musikalischen 59

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Mitteln den Übergang in die sich unmittelbar anschließende Auseinandersetzung auf der Ebene des Textes und der Szene vorbereitet. BELMONTE

KONSTANZE

BELMONTE KONSTANZE

Doch, ach! bei aller Lust Empfindet meine Brust Noch manch’ geheime Sorgen! Was ist es, Liebster, sprich, Geschwind erkläre dich, O halt mir nichts verborgen! Man sagt: du seist – – – Nun weiter?

(Belmonte und Konstanze sehn einander still’ schweigend und furchtsam an.) PEDRILLO

BLONDE

PEDRILLO BLONDE KONSTANZE

(er zeigt, daß er es wage, gehenkt zu werden) Doch Blondchen, ach! die Leiter! Bist du wohl soviel werth? Hanns Narr! schnappt’s bei dir über? Ey hättest du nur lieber Die Frage umgekehrt. Doch Herr Osmin – – – Laß hören! Willst du dich nicht erklären?

Ohne Zäsur geht der von der Gavotte überformte Marsch in den nächsten Abschnitt über, der sowohl auf der Ebene des Textes wie jener der Musik eine Veränderung bringt. Die bisher vorherrschenden vierhebigen Trochäen werden von dreihebigen Jamben abgelöst, das musikalische Metrum wechselt vom 4/4- zum 3/8-Takt, die Tonart von D-Dur nach g-Moll, das Tempo von Allegro zu Andante. Aufgegeben ist der hymnische Tonfall, nun herrschen kurze Phrasen vor, in denen Belmonte und Konstanze ihre Gedanken und Fragen äußern. Mit dem Eintritt Pedrillos und Blondes verändert sich die Stimmungslage nicht grundlegend, vielmehr äußert sich auch das Dienerpaar in einem ähnlichen Duktus wie die Herrschaften. BELMONTE

PEDRILLO

Ich will. Doch zürne nicht, Wenn ich nach dem Gerücht, So ich gehört, es wage, Dich zitternd, bebend frage, Ob du den Bassa liebst?

Hat nicht Osmin etwan, Wie man fast glauben kan, Sein Recht als Herr probiret Und bey dir exerciret? Dann wär’s ein schlechter Kauf.

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In einem ersten Anlauf hatten die Männer nicht mehr als Andeutungen herausgebracht, die allerdings ausreichten, um die Frauen zu irritieren. Waren Belmonte und Pedrillo bisher stets einzeln zu hören, da Mozart beide versetzt singen und dabei das Orchester den musikalischen Zusammenhang bilden ließ, kommt nach Konstanzes rezitativisch gefasster Frage »Willst du dich nicht erklären?« eine andere Strategie zum Zuge. Abermals wechseln Takt- und Tonart, vor allem aber ändert sich die Art der Musikalisierung der Rede. Bis kurz vor dem entscheidenden Wendepunkt, der Ohrfeige, singen Belmonte und Pedrillo gemeinsam, doch jeder auf seine ganz persönliche Weise. Belmonte hüllt seine Frage, ob Konstanze den Bassa liebe, in eine noble Kantilene, Pedrillo dagegen bringt seinen Argwohn in lauter kurzen Notenwerten hervor, wobei er, anders als Belmonte, mehrmals Halbsätze oder Satzteile wiederholt, als würde es ihm schwer fallen die richtigen Worte zu finden. Die Wiederholungen haben aber auch einen pragmatischen Grund: Sie erleichtern es dem Zuhörer zu verstehen, was Pedrillo singt. KONSTANZE

PEDRILLO

BELMONTE

BLONDE

KONSTANZE

(sie weint) BLONDE O! wie du mich betrübst! (giebt ihm eine Ohrfeige) (hält sich die Wange) Da nimm die Antwort drauf. Nun bin ich aufgeklärt! (kniet nieder) Konstanze! ach vergieb! (geht zornig von Pedrillo) Du bist mich gar nicht werth. (seufzend sich von Belmonte wegwendend) Ob ich dir treu verblieb!

Mit der Ohrfeige ändert sich wieder alles: Das Tempo zieht an (Allegro assai), die Tonsatzstruktur tendiert zur Einstimmigkeit, die Melodik bleibt an dem Modell hängen, das Pedrillo mit »Nun bin ich aufgeklärt« vorgibt, nur Konstanze wiederholt ihren Satz und akzentuiert das für diesen Zusammenhang so überaus wichtige Wort »treu« mit einer Fermate über einen dissonant gespannten Akkord. BLONDE

KONSTANZE

PEDRILLO

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(zu Konstanze) Der Schlingel fragt sich an: Ob ich ihm treu geblieben? (zu Blonde) Dem Belmont sagte man, Ich soll den Bassa lieben. (hält sich die Backe) Daß Blonde ehrlich sey, Schwör’ ich bey allen Teufeln. N U N BIN ICH AU FGEK LÄ RT


BELMONTE

(zu Pedrillo) Konstanze ist mir treu, Daran ist nicht zu zweifeln.

Nach einer Generalpause beginnt ein neuer Abschnitt, im Orchester geprägt durch ein unruhiges Motiv in den Violinen, bei den singenden Personen durch Varianten jener Phrase, mit der Blonde sich an Konstanze wendet. Alle vier Texte erscheinen am Ende noch einmal, simultan gesungen in einem rezitativisch anmutenden Ensemblesatz, der wie ein sich zum Folgenden öffnender Doppelpunkt wirkt. BLONDE U. KONSTANZE

BELMONTE U. PEDRILLO

Wenn unsrer Ehre wegen Die Männer Argwohn hegen, Verdächtig auf uns sehn, Das ist nicht auszustehn.

So bald die Weiber kränken, Daß wir sie untreu denken, Dann sind sie wahrhaft treu, Von allem Vorwurf frey.

Ein weiterer Wechsel, dieses Mal in die Tonart A-Dur, die im harmonischen Kontext des Vorangegangenen wie entrückt wirkt. Entscheidender noch ist der Übergang zu einem 6/8-Takt und der mit ihm einhergehende Eintritt eines vollkommen neuen Charakters. Mozart evoziert hier den Topos der Pastorale, die musikalische Chiffre einer friedlichen Hirtenwelt, die im 18. Jahrhundert jedem Hörer vertraut war. Die Singstimmen bewegen sich in dem Raum, den zunächst das Orchester öffnet, in einem akkordischen Satz, dessen Modell der Choral ist. In der allein von der Musik geleisteten Überhöhung des Moments, der Transzendierung des Konflikts in eine religiös eingefärbte Idylle, verschwindet sowohl die seltsame Einsicht der Männer wie die Betroffenheit der Frauen. Vorwurf und Selbsterkenntnis sind aufgehoben in einem höheren menschlichen Ganzen, das Mozart jenseits der Worte erfahrbar macht. PEDRILLO

BELMONTE

Liebstes Blondchen! ach! verzeihe, Sieh, ich bau auf deine Treue, Mehr itzt als auf meinen Kopf!

Ach Konstanze! ach mein Leben, Könntest du mir doch vergeben, Daß ich diese Frage that?

Pedrillo, der Tatmensch, ergreift die Initiative und bittet Blonde um Verzeihung, Belmonte tut es ihm nach, und zwar mit der gleichen Melodie, als könnte er von seinem Diener lernen, wie man sich in einer misslichen Situation wie dieser hilft. Konstanze greift Belmontes Tonfall auf und führt ihn in empfindsamen Gesten weiter. Blonde hingegen reagiert vollkommen anders, und Mozart unterstreicht dies in zweifacher Hinsicht: Nur Blonde singt im 12/8-Takt und nur sie hat ein von nur wenigen Pausen unterbrochenes T HOM AS SEEDOR F

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Feuerwerk verbaler Tiraden zu singen, die sich gegen Pedrillo richten – unverkennbar eine Reminiszenz an ihre Auseinandersetzung mit Osmin (»Ich gehe doch rate ich dir«). PEDRILLO UND BELMONTE

KONSTANZE UND BLONDE

Ach verzeihe! Ich bereue! Ich verzeihe Deiner Reue!

Auch in der letzten eindringlichen Bitte um Verzeihung, dieses Mal von Belmonte initiiert, entsprechen sich die Tonfälle von Herrn und Diener. Wie dringend diese Bitte ist, lässt Mozart aus dem Orchester heraus spürbar werden: Über einen Orgelpunkt synkopieren stark dissonierende Akkorde in den Streichern und erheben sich Beschwörungsgesten gleiche Drei- und Vierklangsbrechungen in den Holzbläsern – eine musikalische Verdichtung, wie sie sich im Quartett an keiner anderen Stelle findet. Die Antwort der Frauen ist frappierend: Der gespannten Aufregung der Männer setzen sie gefasste Ruhe entgegen, indem sie die Worte, mit denen sie ihr Verzeihen bekunden, in langen ruhigen Notenwerten und in der Form eines Miniaturkanons singen, nur von den beiden Violinen in der unteren Oktave verdoppelnd unterstützt. Bei dem Wort »Reue« tritt allerdings das Tutti des Orchesters hinzu und unterstreicht die Bedeutung dieses Worts. Mit den Worten »Wohl, es sey nun abgethan!«, bei denen die vier Personen sich endlich wieder musikalisch und textlich vereinigen, wird das Geschehene formelhaft beschwörend abgeschlossen. Mozart lässt die Worte zunächst aber wie furchtsam gestammelt singen, jeden Ton und jede Silbe von den anderen durch eine Pause trennend – die Erschütterung durch das, was soeben durch den Akt des Verzeihens ein Ende gefunden hat, ist noch zu spüren. Erst in einem zweiten Anlauf finden die Vier zueinander. Es lebe die Liebe! Nur sie sey uns theuer Nichts fache das Feuer Der Eifersucht an. Der Schluss greift die musikalische Verzeihensgeste der Frauen auf: Mozart lässt die Worte »Es lebe die Liebe« in langen Notenwerten und in einer Art Kanon vortragen. Das Tempo ist allerdings von Allegretto zu Allegro beschleunigt und die begleitenden Stimmen des Orchesters, vibrierende Achtel in den Violinen vor allem, evozieren einen vollkommen anderen Charakter, den einer von den Spannungen des Vorangegangenen befreiten Euphorie. Gleichwohl klingt in der neu gewonnenen Emphase die Erfahrung der Krise nach: Die Bedrohung durch das »Feuer der Eifersucht«, die durch den Akt 63

N U N BIN ICH AU FGEK LÄ RT


des Verzeihens gerade noch gebannt wurde, vereinigt die Liebenden, die die Verneinung »nichts« geradezu formelhaft beschwören.

Eine soziale Utopie? Im Quartett in der Entführung aus dem Serail sind Herren und Diener vereint. Mozart und Stephanie akzentuieren den Standesunterschied, indem sie Blonde und Pedrillo – zumindest zu Beginn – anders handeln und reden lassen als Konstanze und Belmonte. Diener und Zofe weisen aber zugleich viele Parallelen zu ihren Herrschaften auf, deren Handlungen in ihrem eigenen Verhalten gleichsam komplementär gespiegelt wird. Am Ende des Quartetts aber, nachdem beide Paare gemeinsam eine existenzielle Krise überwunden haben, sind die Standesunterschiede aufgehoben.

Neben dem Libretto von Mozarts Oper und der Vorlage von Christoph Friedrich Bretzner werden in diesem Text folgende Werke zitiert: Wolfgang Hildesheimer, Mozart, Frankfurt a. M. 1977 Wolfgang Oberhoff, Wolfgang A. Mozart. Die Entführung aus dem Serail. Ein psychoanalytischer Opernführer, Gießen 2008 Denis Diderot, Paradoxe sur le comédien. Édition critique et annotée, Paris 1995 Georg Knepler, Wolfgang Amadé Mozart. Annäherungen, Berlin 1991 Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen [nach der 3. Aufl. Hannover 1790], Frankfurt am Main 2001 Jörg Krämer, Deutschsprachiges Musiktheater im späten 18. Jahrhundert. Typologie, Dramaturgie und Anthropologie einer populären Gattung, Tübingen 1998, Bd. 1 Daniel Heartz, Mozart’s Operas, Berkeley u.a. 1990

T HOM AS SEEDOR F

Lisette Oropesa (Konstanze) und Christian Nickel (Bassa Selim) →

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Michael Laurenz und Regula Mühlemann als Pedrillo (Sänger) und Blonde (Sängerin), davor Ludwig Blochberger als Pedrillo (Schauspieler)


Nun sitze ich wie der Haaß im Pfeffer – über 3 wochen ist schon der Erste Ackt fertig – eine aria im 2ten Ackt, und das Saufduet (per li Sigri vieneri) welches in nichts als in meinem türkischen z­ apfenstreich besteht ist schon fertig; – mehr kann ich aber nicht ­davon machen – weil izt die ganze geschichte umgestürzt wird – und zwar auf mein verlangen. – zu anfange des dritten Ackts ist ein c­ harmantes quintett oder vielmehr final – dieses möchte ich aber lieber zum schluß des 2t Ackts haben. um das b ­ ewerk­steligen zu ­können, muß eine grosse veränderung, Ja eine ganz Neue intrigue vorgenommen werden – und Stephani hat über hals und kopf arbeit. da muß man halt ein wenig gedult haben. Mozart an seinen Vater, 26. September 1781


Ann-Christine Mecke

HUI SAU!

Über »Eingriffe« in den Singspieltext


Pedrillos Ängstlichkeit ist ein running gag des zweiten Aktes. Während der umständlichen Vorbereitungen der Frauenbefreiung zögert und zaudert er, bis es ihm selbst zu viel wird: »Es ist doch um die Herzhaftigkeit eine erzläppische Sache. Wer keine hat, schafft sich mit aller Mühe keine an! Was mein Herz schlägt! Mein Papa muss ein Erzpoltron [Riesenfeigling] gewesen sein«, stellt er fest, als er zur Mandoline greift, und man kann sich vorstellen, wie ihm dabei die Hände zittern. Als er Belmonte die Leiter hält, fasst er sich erneut ans Herz und kommentiert: »Es wird immer ärger, weil es nun ernst wird.« Und natürlich ist Pedrillo auch derjenige, der sich nach seiner Gefangennahme die bevorstehenden Strafen in leuchtenden Farben ausmalt: »Man macht schon alle Zubereitungen, um uns aus der Welt zu schaffen. Es ist erschrecklich, was sie mit uns anfangen wollen! Ich, wie ich im Vorbeigehen gehört habe, soll in Öl gesotten und dann gespießt werden.« Seine Freundin Blonde antwortet hingegen tapfer: »Da es einmal gestorben sein muss, ist mir alles recht.«, worauf Pedrillo antwortet »Welche Standhaftigkeit! Ich bin doch von gutem altchristlichen Geschlecht aus Spanien, aber so gleichgültig kann ich beim Tode nicht sein!« Sicher kam dieser running gag bei der Uraufführung gut an. Nur einer hätte wohl nicht darüber lachen können, aber der war ohnehin nicht anwesend: Christoph Friedrich Bretzner, der Autor der Vorlage Belmont und Constanze oder Die Entführung aus dem Serail, denn Pedrillos ausgeprägte Ängstlichkeit ist eine Zutat von Johann Gottlieb Stephanie und Mozart. Bretzner war empört über die Bearbeitung, allerdings vor allem über die hinzugefügten Gesangstexte. Im April 1783 ließ er folgende Protestnote in der Berliner Literatur- und Theaterzeitung abdrucken: »Es hat einem Ungenannten in Wien beliebt, meine Oper: Belmont und Constanze oder die Entführung aus dem Serail fürs K.K. Nationaltheater umzuarbeiten und das Stück unter dieser veränderten Gestalt drucken zu lassen. Da die Veränderungen im Dialog nicht beträchtlich sind, so übergehe ich solches gänzlich; Allein der Umarbeiter hat zugleich eine Menge Gesänge eingeschoben, in welchen gar herzbrechende und erbauliche Verslein vorkommen.« Als Beispiel für die schlechten »Verslein« zitiert Bretzner einen Auszug aus dem Quartett, die Passage, in der die Männer ihrer Sorge um die Treue ihrer Frauen Ausdruck verleihen, und schließt mit dem Ausruf »Das heiß ich verbessern!« Dass Bretzner unter den zahlreichen ungelenken Versen ausgerechnet diese Passage ausgewählt hat, deutet darauf hin, dass ihm nicht nur die mangelnde sprachliche Eleganz, sondern auch die vergleichsweise explizite Behandlung des pikanten Themas störte. Doch eine Handhabe hatte er ohnehin nicht. Sein ohnmächtiger Protest bringt uns heute angesichts der historischen Bedeutung von Mozarts Singspiel nur noch zum Lachen. Dass der Librettotext für Mozart ein Gebrauchstext war und keine unantastbare Literatur, macht sein Brief an seinen Vater vom 26. September 1781 deutlich: »Das hui – habe ich in schnell verändert also: Doch wie schnell 69

H U I SAU!


schwand meine freude etc: ich weiß nicht was sich unsere teutsche dichter denken; – wenn sie schon das Theater nicht verstehen, was die opern anbelangt – so sollen sie doch wenigstens die leute nicht reden lassen, als wenn schweine vor ihnen stünden. – hui Sau.« Sein Librettist Stephani war für Mozart offenbar ein Handwerker, der seinen Wünschen zu entsprechen hatte: »alles schmolt über den Stephani – es kann seyn daß er auch mit mir nur ins gesicht so freundschaftlich ist – aber er arrangirt mir halt doch das buch – und zwar so wie ich es will – auf ein haar – und mehr verlange ich bey gott nicht von ihm!« Unbestritten ist wohl, dass dieses Libretto ohne die Musik von Mozart längst vergessen wäre. Und so stellt sich bei jeder Aufführung die Frage, wie man mit den gesprochenen Dialogen umgehen soll, die eben nicht durch Musik veredelt werden. (Obwohl selbst Blondes gesungene Zeile »Doch sieh’ er nur das Tier dort an…« oft entschärft wurde.) Es gibt Aufführungen, die die Dialoge ganz weglassen, und solche, die sie durch ganz neue Texte ersetzen. Meistens aber begnügt man sich mit mehr oder weniger starken Kürzungen und Anpassungen. Von Pedrillos Hasenfüßigkeit blieb in der Textfassung der Wiener Staatsoper von 1991 nichts übrig, ebenso erging es den entsprechenden Passagen in der am Burgtheater aufgeführten Produktion von 2006. Auch andere komödiantische Szenen wie etwa die, dass die Wache zunächst den restalkoholisierten Osmin festnimmt, bevor sie die Flucht der Europäer vereitelt, entfielen in beiden Produktionen. Dabei verfolgte die Fassung von 1991 die Absicht, den Dialog so knapp wie möglich zu halten, die Sprache aber möglichst wenig zu verändern. Die Fassung von 2006 greift mit dem Ziel der größtmöglichen Verständlichkeit weit entschiedener in den Text ein und macht aus »Schurke, glaubtest du, mich zu betäuben?« schlicht: »Für wie blöd hältst du mich eigentlich?« – dafür erhält diese Fassung insgesamt mehr Dialogtext und damit auch mehr Einzelheiten der Vorlage. Die Strategien bei der Erstellung einer Textfassung sind unterschiedlich, doch dass Die Entführung aus dem Serail mit den vollständigen Dialogen der kritisch-wissenschaftlichen Edition aufgeführt wird, ist eine Rarität. Und das ist einerseits gut nachvollziehbar, denn oft wird in den Sprechtexten das gleiche verhandelt wie später im gesungenen Text, viele Formulierungen wirken ungelenk, und ob wir heute wirklich noch über den ängstlichen Pedrillo lachen könnten, dem die Standhaftigkeit seiner Freundin völlig abgeht? Oder über seinen klischeehaften Vergleich von Alkohol und Frauen, der zugunsten des Alkohols ausfällt? »Bin ich verdrüßlich, mürrisch, launisch: Hurtig nehm ich meine Zuflucht zur Flasche; und kaum seh ich den ersten Boden: Weg ist all mein Verdruss! – Meine Flasche macht mir kein schiefes Gesicht wie mein Mädchen, wenn ihr der Kopf nicht auf dem rechten Flecke steht; und schwatzt mir von Süßigkeit der Liebe und des Ehestands, was ihr wollt: Wein auf der Zunge geht über alles!« A N N- CHR IST IN E MECK E

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Doch andererseits hat Mozart die Musik für genau diesen Text komponiert, und Pedrillos Zeilen im Schluss-Vaudeville »Wenn ich es je vergessen könnte, wie nah ich am Erdrosseln war, und all der anderen Gefahr; ich lief, als ob der Kopf mir brennte« sind besser nachvollziehbar, wenn man ihn schon zuvor als Hasenfuß erlebt hat. Und würde die Piano-Begleitung des Erkennungsliedchens »Im Mohrenland gefangen war« nicht noch besser motiviert, wenn wir zuvor hören, wie Pedrillo seine fehlende »Herzhaftigkeit« beklagt? Jede Veränderung des Textes ist eine Entscheidung, die die ganze Aufführung betrifft – aber jede Nichtveränderung eben auch. Hätten Stephanie und Mozart den Schiffer Klaas weiter Plattdeutsch sprechen lassen wie in der Vorlage von Bretzner, hätte das Wiener Publikum der Szene nicht folgen können; bringt man heute den Sprechtext ungekürzt zur Aufführung, wird die Geschichte umständlich, repetitiv und mit vielen schwer verständlichen Ausdrücken erzählt. Es gibt für dieses Problem keine unschuldige Lösung – Rettung kann nur in einem kreativen Zugriff liegen, der das Zusammenwirken von Musik, Text und Szene berücksichtigt.

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H U I SAU!


Michael Laurenz und Daniel Behle, Ludwig Blochberger und Christian Natter als Pedrillo und Belmonte, Christian Grötzinger und Goran Jurić als Osmin.



David J. Levin

DECONSTRUCTING SINGSPIEL

Zwischen Schau-Spielen und Singen Hans Neuenfels’ Inszenierung der Entführung aus dem Serail ist ebenso erstaunlich wie verwirrend. Zum Teil liegen die Gründe hierfür auf der Hand: Neuenfels kürzt den Dialogtext radikal und fügt eigenen Text hinzu. Darüber hinaus wird jede Rolle, mit Ausnahme des Bassa Selim, verdoppelt, so dass sich eine Sängerin oder ein Sänger und eine Schauspielerin oder ein Schauspieler eine Rolle teilen. Auf diese Weise entsteht ein Überfluss, wo der Operntext sonst einen Mangel aufweist: Während der Bassa normalerweise als Schauspieler verstanden und besetzt wird, dem eine Gesangsstimme fehlt, wird hier jede andere Hauptrolle durch einen Schauspieler bzw. eine Schauspielerin ergänzt. Nicht die Verdopplung der Hauptrollen oder die Eingriffe ins Libretto sind jedoch das Auffälligste an dieser Inszenierung, sondern die atemberaubenden theatralen Erfindungen, die Neuenfels aus dem Stück entwickelt. Einige davon können auf den Text des Werks und seine Dramaturgie zurückgeführt werden, was sie nicht weniger überraDAV ID J. LEV IN

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schend macht. Wenn wir beispielsweise Osmin in der zweiten Szene des ersten Akts erstmals begegnen, singt er das Lied »Wer ein Liebchen hat gefunden« und holt dabei Körperteile einer anscheinend vor kurzem abgeschlachteten Frau aus einer osmanischen Truhe und liebkost diese. So ergibt sich ein grausamer Kommentar auf den Liedtext, in dem davon die Rede ist, dass man sein Liebchen »mit tausend Küssen belohnen« soll. Osmin erscheint hier als eine Art böswilliger Gast aus Roland Barthes’ Welt des Wrestlings – was natürlich mit seinen in Arienform geäußerten Fantasien von Enthaupten, Erhängen, Spießen, Verbrennen, Fesseln, Ertränken und Häuten zusammenhängt. Neuenfels konzentriert sich nicht auf mögliche Berührungspunkte zwischen der Türkei des 18. Jahrhunderts und heute. 40 Jahre nach Edward Saids Orientalismus sind die ideologischen Anteile der »Türkenopern« hinreichend bekannt. Neuenfels’ Inszenierung erkundet weniger bekanntes Terrain: Statt sich auf die Politik des Orientalismus zu fixieren (z.B. was es bedeutet, Osmin und Selim als »Türken« darzustellen), erforscht sie das, was wir die Politik der orientalistischen Form nennen können (z.B. was es bedeutet, Selim als eine Sprechrolle zu konzipieren). Dabei macht uns die Inszenierung auf die formalen Bedingungen des Werkes, auf die Unterscheidungen und Beziehungen zwischen Schauspiel- und Gesangskunst aufmerksam. Neuenfels setzt die Entführung, die oft sehr leichtgewichtig daherkommt, in einen konzeptuellen (und bisweilen auch thematischen) Zusammenhang mit weitaus sperrigeren Stücken wie etwa Schönbergs Moses und Aron. In Moses und Aron stellt Schönberg die Unterscheidung zwischen Moses’ heiligem, transzendentalem und Arons profanem, alltäglichem Streben als Bruch zwischen Diskursen dar: Während Moses seine heilige Botschaft in einer höchst maniriert gesprochenen, mehr oder weniger unverständlichen, orakelhaften und unpopulären (sprich: Schönberg’schen) Form kundgibt, singt Populist Aron mit und zu den Massen – leicht, flüssig, verständlich (gemeint ist: in einer ästhetisch einen Kompromiss eingehenden und politisch wirksamen Form). Auch wenn die Unterschiede zu Mozarts Werk in vielerlei Hinsicht nicht größer sein könnten, zeigt Neuenfels’ Inszenierung, dass die Themen des Singspiels und von Schönbergs Oper durchaus verzahnt sind. Mozarts Werk erscheint in der Neuenfels-Inszenierung nicht fragmentiert wie Schönbergs Oper, sondern vielmehr gespalten. Dieser Eindruck folgt aus der Logik des Werkes im Allgemeinen und aus der Figur des Bassa Selim im Besonderen. Als eine Sprechrolle verkörpert Selim die Trennung des gesprochenen Wortes von der Musik. Er verkörpert nicht nur die Stimme eines an die Macht gelangten »Fremden«, sondern darüber hinaus die Macht einer fremden Stimme – nämlich die Macht einer Sprechstimme auf der Opernbühne. Man kann sagen (oder besser gesagt: die Binsenweisheit wieder­holen), dass Selim die Rolle eines Sprechers der Aufklärung übernimmt. Aber was bedeutet es für die Aufklärung, wenn sie in einer Oper durch 75

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Sprache charakterisiert und dadurch zugleich in ihrem Anspruch beschnitten wird? Und wenn Selim für die Aufklärung spricht: Welche Funktion hat dann der Gesang in diesem Stück? Die kulturelle Konnotation verschiedener Arten des Stimmgebrauchs hat eine lange Geschichte. Die Gesangsstimme wird dabei tendenziell mit Transzendenz und Rausch assoziiert, die Sprechstimme mit eher funktionalen, rationalen Aufgaben und einer Tendenz zu Analyse. Während die musikalische Stimme meist in Opposition zu Wort und Gesetz gestellt wird, richtet der Philosoph Mladen Dolar unsere Aufmerksamkeit auf eine andere Stimme mit denselben Qualitäten, die die entgegengesetzte Funktion erfüllt: »Aber es gibt auch noch eine andere Stimme: die Stimme des Vaters, die Stimme, die von Natur aus mit dem Logos verhaftet ist, die Stimme, die befiehlt und bindet, die Stimme Gottes … Das Gesetz selbst, in seiner reinen Form, bevor es etwas Besonderes befiehlt, ist verkörpert von der Stimme, der Stimme, die totales Einverständnis befiehlt, obwohl sie in sich sinnlos ist.« So kommt es zu einem Kampf der Stimme (als der sinnlosen Trägerin des Genießens) gegen die Stimme (des Vaters). Ich möchte behaupten, dass die Neuenfels-Inszenierung dieses Modell »der Stimme gegen die Stimme« aufgreift und zum »dramaturgischen Motor« der Inszenierung macht. Dabei hinterfragt die Inszenierung den Status von Selims Sprechstimme ebenso wie den der verschiedenen anderen Stimmen, also die Sprech- und die Singstimme der einzelnen Figuren, die Stimme des Orchesters im Unterschied zur Sprechstimme oder im Einklang mit der Gesangsstimme usf. Die Neuenfels-Entführung problematisiert die Bestandteile des Singspiels, indem sie nach den Unterschieden zwischen Singen und Spielen und zwischen einer verführerischen Singstimme und der Stimme des Vaters fragt; sie richtet unsere Aufmerksamkeit auf die Brüche, auf die Spannungen und auf den Austausch zwischen diesen Stimmen. Wenn sich der Vorhang im ersten Akt hebt, erkennt man im Dunkeln eine männliche Figur vor einem großen, dreidimensionalen, blau angeleuchteten Schmetterling. Der Schmetterling ist vermutlich die Bühnenbildgewordene Metapher aus Osmins Lied »Wer ein Liebchen hat gefunden«, in dem es heißt: »Schließ’ er Liebchen sorglich ein: | Denn die losen Dinger haschen | Jeden Schmetterling und naschen | Gar zu gerne von fremdem Wein.« In Osmins (wachsamen) Augen sind Pedrillo und Belmonte natürlich »Schmetterlinge«, nach denen Blonde und Konstanze haschen wollen. Gleichzeitig verweist die Raupe auf das Motiv der Verwandlung, das sich mehrfach in der Inszenierung findet, von Bassa Selims Metamorphose von einem Terroristen zu einem aufgeklärten Herrscher bis zur Spaltung der Rollen in Schauspieler und Sänger. Die männliche Figur in der Dunkelheit der Bühne erweist sich nicht als Belmonte, sondern als zwei Belmontes: als Sänger und direkt dahinter stehender Schauspieler, der während der ersten Arie die Gesten des Sängers spiegelt. DAV ID J. LEV IN

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Dass die Schauspieler und Sänger der gleichen Figur die Gesten des jeweils anderen spiegeln, ist die Ausnahme und nicht die Regel; denn beide sind deutlich voneinander unterschiedene Personen – sie interagieren miteinander, handeln oder singen aber auch autonom. Nur selten stimmen sie in Handlungen und Verhalten überein. Die beiden Belmontes mögen ähnlich aussehen – sie haben ungefähr dieselbe Größe und Statur, tragen denselben Schnurrbart und denselben schwarzen, spanischen Anzug und Hut –, aber sie haben sehr unterschiedliche Rollen. Die beiden Osmins sind von äußerst verschiedener Statur, und eine Konstanze ist blond, die andere brünett. Die beiden Pedrillos sind sich ihrer selbst am deutlichsten bewusst: Bei ihrem ersten Auftritt streiten sie sich, wem die erste Äußerung zusteht. Neuenfels streicht rund die Hälfte des gesprochenen Textes (wobei der Text, den Mozart vertont hat, unberührt bleibt). Stattdessen fügt Neuenfels einerseits zusammengefasste Informationen ein, die für die Handlung wichtig sind, andererseits zusätzliches Material, das sich mit dem Unterschied zwischen Gesang und Schauspiel (sowie zwischen Sängerrolle und Schauspielerrolle) beschäftigt. Indem die Inszenierung diese Unterschiede theatralisch behandelt und explizit macht, lenkt sie unsere Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Problemen, die sonst nur implizit im Werk enthalten sind und daher meist übersehen werden. Im Ergebnis wird klar, dass Sänger und Schauspieler in Mozarts Werk dasselbe Territorium bewohnen, aber auf verschiedene Weise. Ich möchte die Behauptung aufstellen: Auch wenn die zum Teil recht drastischen Änderungen des gesprochenen Textes von Neuenfels stammen, fokussieren sie auf strukturelle und dramatische Koordinaten, die für Mozarts Werk essenziell sind. Hier haben wir es mit einem Beispiel dessen zu tun, was man radikale Werktreue nennen könnte: Es ist eine Treue zur Struktur des Werks, in der die Eingriffe auf Textebene, die die Geschlossenheit des Textes scheinbar missachten, in Wahrheit seine immanente Logik auskristallisieren. In dem Ausschnitt, den ich hier zur Betrachtung vorschlage, wird der Bruch zwischen Schauspielern und Sängern nochmals im Bühnenbild verdoppelt: Etwa acht Meter hinter dem Proszenium der Hauptbühne befindet sich eine zweite, erhöhte Bühne, also ein Theater auf dem Theater. Während die Hauptbühne gleichermaßen dem Singen wie dem Spielen dient (und deren Konkurrenz untereinander), hat die zweite Bühne eine andere Funktion: Dieser Ort ist dieser Konkurrenz räumlich und konzeptionell enthoben. Die hintere Bühne, die wie eine Opera-seria-Bühne aussieht und funktioniert, verleiht der Spaltung des Stückes eine physikalische, ja wahrhaft theatralische Form: So wird das Singen bisweilen im wahrsten Sinne des Wortes erhöht (und doppelt theatralisiert durch die Bühne auf der Bühne), während das Spielen – das Material des Dramas, sein narratives telos und seine Handlung – unten stattfindet.

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DECONST RUCT ING SINGSPIEL


Beide Auftritte des Janitscharenchors sind auf die hintere Bühne verlegt, ebenso – wenn auch aus anderen dramaturgischen Gründen – die Auftritte von Konstanze bei »Welcher Wechsel herrscht in meiner Seele« und von Blonde für »Welche Wonne, welche Lust«. In beiden Fälle fungiert die hintere Bühne als ein Ort über und jenseits der alltäglichen Konkurrenz zwischen Spielen und Singen, die auf der Hauptbühne stattfindet. Die hintere Bühne dient als hervorgehobener und unangefochtener Ort musikalischer Darstellung. Dies möchte ich an Belmontes und Konstanzes Rezitativ und AbschiedsDuett »Welch ein Geschick! O Qual der Seele!« demonstrieren. Diese Szene verdeutlicht Neuenfels’ Unterscheidung zwischen Sprechen und Singen und welche Implikationen sie für die Dramaturgie des Werkes hat. Die hier geäußerte Absicht des (Sänger-)Liebespaares, gemeinsam zu sterben, entsetzt die versammelte Truppe der Schauspieler(innen) und Sänger(innen), die auf der Hauptbühne zurückbleiben – nicht nur Belmontes und Konstanzes Doubles, sondern auch ihre Begleiter (beide Pedrillos und Blonden). Die Inszenierung materialisiert die gattungsspezifischen Ursprünge dieses Moments, seine Begründung durch – oder besser: seine stratosphärische Flucht in – eine herausfordernde, antirationale Musikalität. Die hier hergestellte Topographie von Gesang und Schauspiel ist mehr als ein cleverer Einfall, denn sie macht uns auf die dramaturgische Konstruktion des Werkes aufmerksam, auf die Architektur entscheidender Momente und besonders auf die entscheidenden Brüche: Brüche in der Struktur des Werkes (zwischen Wort und Musik) und seiner Logik, beispielsweise nicht nur zwischen Belmonte und Pedrillo, sondern auch zwischen Belmonte und Belmonte, mit einem Belmonte als Schauspieler, der das Prinzip vernünftiger Zurückhaltung verkörpert, und einem Belmonte als Sänger, der eine kompromisslos antirationale Musikalität darstellt. Indem Neuenfels einzelne musikalische Nummern auf der hinteren Bühne inszeniert, verleiht er ihrer Herausgehobenheit einen Ort. Hier erleben wir eine lyrische Rezitation, die sich räumlich wie dramaturgisch vom Schauspiel abgrenzt. Auf diese Weise führt die Neuenfels-Inszenierung uns mittels der Architektur die Einzigartigkeit von Konstanzes und Belmontes ekstatischem Todeswillen vor Augen und, wichtiger noch, vor Ohren. Durch die zweite Bühne kann der Wechsel vom Spielen zum Singen sowie vom funktionalen Drama zur puren Musikalität eine materielle Form annehmen. Die Inszenierung macht uns außerdem implizit auf die Politik dieser Zone aufmerksam, das heißt auf die Frage, wer Zugang zu ihr hat und wem dieser verweigert wird. Indem die Inszenierung den Sänger-Belmonte auf der hinteren Bühne situiert und sie ihm überlässt, verdeutlicht sie, dass der Gesang mit der Aufhebung des Spiels verbunden ist. Auch die letzte Strophe des Quartetts am Ende des zweiten Akts ist durch eine Aufhebung des Dramas charakterisiert: Der Raum wird einer Feier der DAV ID J. LEV IN

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Liebe in einem italienischen Finale überlassen, das Schauspiel zugunsten des musikalischen Vortrags quasi verlassen. Neuenfels inszeniert dieses Verlassen, indem er es buchstäblich umsetzt: Während sich die Stimmen des Orchesters sowie der Sängerinnen und Sänger verbinden, begeben sich die Sängerinnen und Sänger für eine kurze konzertante Darbietung ins Orchester. Hier wird die Auflösung des Dramas und der sie begleitende Ausbruch des musikalischen Vortrags inszeniert, indem die Bühne nach vorn ausgeweitet und durch die allmähliche Vereinigung mit dem Orchestergraben in ein Konzertpodium umfunktioniert wird. Wenn Neuenfels den Großteil der Aktion auf der Hauptbühne lokalisiert, gibt er die Spaltung zwischen den verschiedenen Bezirken nicht auf, sondern artikuliert sie nur anders. Denn wie bereits angedeutet, existiert ebenso eine Spaltung innerhalb der Hauptbühne: eine interne Spaltung, die wir als charakteristische Spaltung des Singspiels selbst bezeichnen könnten. So wie die hintere Bühne (und zumindest zeitweise die Vorder- oder Konzertbühne am Ende des zweiten Aktes) als Platzhalter eines Raumes vor oder jenseits von Narration dient, können wir die Hauptbühne als Raum bezeichnen, in dem die Probleme der Gattung ausgearbeitet werden. Die Hauptbühne ist damit ein Ort, an dem nicht nur über das Singspiel verhandelt wird, sondern an dem diese Verhandlung auch als Singspiel stattfindet. Im Gegensatz dazu ist die hintere Bühne mit dem Gang ins Orchester am Ende des zweiten Aktes vergleichbar, nämlich als Ort von unbestrittener – und oftmals unmotivierter – musikalischer Äußerung.

Dramaturgie der Aufklärung Wie bereits ausgeführt, verknüpft die Neuenfels-Inszenierung eine Reihe von Gegensätzen in Mozarts Werk – z.B. zwischen Europäern und Türken, Aufklärung und Barbarei – mit dem Gegensatz zwischen Sprechen und Singen. Einige dieser Verknüpfungen sind lediglich implizit. Ein Beispiel: Bleiben die hintere Bühne und der Raum des Orchesters den Europäern vorbehalten, werden auf der Hauptbühne die Spannungen zur Schau gestellt – zwischen Ost und West, aber auch zwischen Mann und Frau, zwischen fremd und vertraut –, die sinnbildlich für den Kampf um die Herrschaft über Normen und Zeichen der Aufklärung stehen. So zeigt die Inszenierung (ohne es heraus zu posaunen), dass die Substanz musikalischer Reflexion den Europäern vorbehalten ist. Die Entführung aus dem Serail offeriert bekanntlich eine Lektion in Sachen Zivilisation. Die Neuenfels-Inszenierung schärft die Inhalte dieser Lektion, indem sie ihre gewalttätigen Auswirkungen unterm Mantel der europäischen Zivilisation darstellt. Indem Bühne und Spieler getrennt werden, macht sie uns auf die Verteilung der Ressourcen innerhalb des Werkes auf 79

DECONST RUCT ING SINGSPIEL


merksam: Wer erhält was und wie erhält er es? Die hintere Bühne macht gewissermaßen die Wirkung dieser Verteilung sichtbar; die Hauptbühne stellt ihre Bedingungen dar. Was auf der Hauptbühne vor sich geht, suggeriert wiederholt, dass sich eine Beherrschung von Formen – seien es die Formen der aufgeklärten Zivilisation oder die Formen des Singspiels – in Herrschaft übersetzt. Bevor Selim den Zeichen der Barbarei abschwört, um am Ende des Werkes als vollkommener Rationalist der Aufklärung zu erscheinen, bedienen sich die Europäer der Zeichen ihrer Zivilisation, um diejenigen zu überlisten und zu erniedrigen, die die genauen kulturellen Anforderungen nicht kennen. Es stellt sich heraus, dass sie dies tun, um die Zweifel, die wiederholt in ihrem musikalischen Material ausgedrückt werden, auf die »Türken« zu übertragen. So etwa am Beginn des zweiten Aktes, wenn Blondes pädagogische Arie »Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln« Osmin lehrt, wie eine ›europäische Dame‹ zu behandeln ist. In Neuenfels’ Darstellung dieser Arie wird Osmin (Sänger) eingeladen, die beiden Pedrillos dabei zu beobachten, wie sie Blonde (Sängerin) bei der komplizierten Toilette einer Dame des 19. Jahrhunderts assistieren. Osmins Einführung in die Welt der Raffinesse ist offensichtlich eine Lektion über seine eigene Ignoranz. Die Darstellung wird so zu einem Echo der Pädagogik der Arie: Die Unterscheidung zwischen Könnern und Nichtkönnern (oder zwischen Zivilisierten und Barbaren, Europäern und Türken) wird durch Manieren erzeugt und durch Musik vorgeführt. Eine andere Szene arbeitet mit einer ähnlichen Logik. Am Ende des ersten Aktes versuchen Pedrillo und Belmonte, an Osmin vorbei in den Palast einzudringen. Aber selbst als Pedrillo und Belmonte Osmin musikalisch involvieren, bleibt Letzterer ungerührt und unerschütterlich. Diese Sackgasse ist dadurch ausgedrückt, dass Belmonte und Pedrillo auf Osmins musikalisches Material antworten, ohne dieses zu verändern. Im Verlauf dieser Konfrontation teilen sich Osmin, Belmonte und Pedrillo im Wesentlichen also das textliche und musikalische Material. Eine kurze Betrachtung von Text und Musik offenbart, dass es sich nicht um den allerkultiviertesten Meinungsaustausch handelt: BELMONTE UND PEDRILLO OSMIN BELMONTE UND PEDRILLO OSMIN BELMONTE UND PEDRILLO OSMIN

Wir gehn hinein! Sonst schlag’ ich drein. Wir gehn hinein! Sonst schlag’ ich drein. Wir gehn hinein! Sonst schlag’ ich drein.

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In der Neuenfels-Inszenierung wird die textliche und musikalische Sackgasse nicht etwa dadurch durchbrochen, dass Belmonte und Pedrillo Osmin einfach beiseitestoßen, wie es die Regieanweisung vorschlägt, sondern indem sie Zeichen der europäischen Zivilisation einführen: Mit einem Teleskop und einem Warhol-ähnlichen Bild einer drallen Rothaarigen gelingt es den Pedrillos und Belmontes, die beiden Osmins abzulenken, die sich von diesen Objekten erst verwirren und dann faszinieren lassen. Durch die Einführung dieser Requisiten grenzen sich die Europäer sowohl buchstäblich als auch sinnbildlich von ihrem »primitiveren«, »ignoranten« osmanischen Hemmschuh ab. In diesem Konflikt am Ende des ersten Aktes (wie auch in der gesamten Inszenierung) verändert die Einführung der Musik die Bedingungen der Auseinandersetzung, während die spätere Einführung kultureller Artefakte aus der »zivilisierten Welt« die Sackgasse durchbricht. Diese Szene offeriert einen seltenen Moment von »Sing-spielen«, in dem dramatische und musikalische Erfindung im Dienste der europäischen Sache stehen. Die Europäer, die singen und spielen können, unterscheiden sich in bedeutendem Maße von Selim, dessen gesprochene Reflexionen durchdacht, aber durch den fehlenden Rückhalt der Musik unterlegen sind. Aber auch das Gegenteil kommt vor: die Osmin zur Verfügung stehenden Mittel musikalischen Ausdrucks unterscheiden sich deutlich von Form und Inhalt »europäischer« Musik. Osmin besitzt eine Menge musikalisches Material, welches wiederum charakterisiert wird durch seinen außerordentlichen Stimmumfang – aber sowohl musikalisches Material wie Stimmumfang repräsentieren Kategorien von Quantität, nicht Qualität: Als psychologischer Charakter ist und bleibt Osmin roh und unkultiviert. Dazu ein Beispiel: Im Verlauf seines Duetts mit Blonde »Ich gehe, doch rate ich dir« (2. Akt, 1. Szene) ist Osmins Andante »O Engländer, seid ihr nicht Toren« uncharakteristisch sanft, geradezu verinnerlicht. Aber es bleibt melodisch wie harmonisch elementar und stellt das simple Bassfundament zu Blondes ausgestalteten, provokanten und vergleichsweise kultivierten melodischen Umspielungen dar. Osmins Passage ist eine neue psychologische (und damit dramaturgische) Farbe, ein Modus von Innerlichkeit, der ansonsten nicht aus Osmins Worten und Musik herauszuhören ist. Aber selbst diese Innerlichkeit und Reflexion dienen nur dem Ausdruck seiner Bestürzung, dass Blonde unwillig ist, seinen Anordnungen zu folgen. Nicht, dass Osmin kein Innenleben hätte, aber der Ausdruck seiner Innerlichkeit und seiner Absichten wird als unbeholfen markiert. Die Inszenierung macht jedoch auch deutlich, dass diejenigen, die die Zeichen der Aufklärung als Waffe vor sich hertragen, zugleich unter ihren Bedingungen leiden. Denn während die Türken in diesem Werk auf verschiedene Weise als unmusikalisch oder nichtmusikalisch präsentiert werden, werden die Europäer in ihrem Zugang zur Musik als durch Zweifel zerrissen gezeigt. Auf diese Weise verdeutlicht die Inszenierung, dass, während die 81

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Europäer mit ihrer Kultur Macht ausüben, diese Kultur gleichzeitig auch Macht über sie ausübt. Belmontes Ankunft löst eine Kette von Zweifeln aus, die vor allem um die Treue kreisen. Die Musik gibt dem Zweifel eine Stimme, z.B. in Belmontes Rezitativ und Arie Nr. 4 »O wie ängstlich« (1. Akt, 7. Szene) sowie im Final-Quartett des zweiten Aktes, Nr. 16 »Ach Belmonte, ach mein Leben!«. Selim mag das Sprachrohr der Aufklärung sein, aber indem er nicht singt, steht er ihren existenziellen Ängsten fern. Man könnte behaupten, dass seine formale Situation (als anderer gegenüber dem Singen) mit seiner politischen Situation (als anderer gegenüber europäischer Macht) korreliert und darüber hinaus als Inszenierung seiner psychologischen Situation (als anderer gegenüber europäischem Zweifel) angesehen werden kann. In der Neuenfels-Inszenierung trägt Selim – aber nicht nur er – diese Unterschiede quasi als Kostüm.

Inszenierte Fallstricke der Aufklärung Wie so oft in Komödien (und immer in Neuenfels’ Inszenierungen) wird auch im Kostüm (Bettina Merz) die Identität der Figuren überhöht und der Affekt inszeniert. Dies trifft am offensichtlichsten auf Osmin zu, dem bösen osmanischen Pendant zum aufgeklärten Adel des Bassa. Wie bereits angedeutet, scheinen beide Osmins direkt aus der Bösewicht-Umkleide des World-Wrestling-Entertaiments zu kommen: Sie tragen eine rote osmanische Leibbinde und darunter einen hautengen beigen Körperanzug, der mit exotischen, osmanisch anmutenden Tätowierungen bedruckt ist. Der erste Auftritt des Janitscharen-Chors im ersten Akt ist auf der gleichen Ebene reißerischer Fantasie angesiedelt: Sie tragen aufgespießte Köpfe und Babys auf Pfählen und ihre Kostüme lassen sie wie Comic-Darstellungen osmanischer Barbaren erscheinen. Am Ende des Werkes kehren sie in Smoking und Abendkleidern zurück und markieren damit ihre Übereinstimmung mit einem neuen Regime der Aufklärung. Diese Kostüme sind nicht nur starke visuelle Statements, sondern auch von der dramaturgischen Logik der Inszenierung her gut lesbar. Abgesehen von dem vorhersehbaren Comic-Erscheinungsbild der beiden Blondinen als Personifikation eines englischen Dienstmädchens, machen auch die Kostüme der übrigen Hauptdarsteller sie zu Comic-Figuren, mit der möglichen Ausnahme von Selim und Konstanze. Beide Pedrillos erscheinen als froufrouinfizierte Wunderknaben aus dem 18. Jahrhundert (mit üppigem blonden Haar und rosa Rüschen), im Gegensatz zum machohaften und spanischen Charme der beiden Belmonte-Zorros. Konstanze hingegen ist die am wenigsten verzerrte Figur der Gruppe: Sie erscheint als Verkörperung der Lieblichkeit in ihrer zeitgenössischen europäischen Form. Wie der Chor spielt auch Bassa Selim in einem gespaltenen Körper, wie er sonst durch die VerDAV ID J. LEV IN

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doppelung der Rollen entsteht: Er erscheint auf der Bühne zunächst als charismatischer moderner Terrorist à la Abu Nidal oder Carlos der Schakal, der inmitten seiner Gefolgschaft herumschleicht, eine schwarze Skimaske und einen schwarzen Trenchcoat trägt und die ohnmächtige Konstanze-Schauspielerin im Arm hält. In der letzten Szene verdeutlicht Selims Outfit seinen Identitätswechsel: Er erscheint im Frack. In diesem Sinne könnte man sagen, dass Selim die Entwicklung vom Terrorismus zum väterlichen Gesetz verkörpert – er taucht zunächst als Gesetzloser auf, um schließlich nicht nur im Namen des Vaters, sondern als Name des Vaters zu erscheinen.

Eine lyrische Stimme des Vaters? Etwas Merkwürdiges ereignet sich am Ende der Oper: Die Gegensätze, die in der Aufführung kultiviert wurden, z.B. die zwischen türkischen Despoten und europäischen Adligen oder zwischen Singen als Mittel lyrischer Transzendenz und Spielen als Mittel der Repräsentation von Handlung, werden aufgelöst, fallengelassen oder sogar verkehrt. Auf diese Weise wird das Singspiel de-konstruiert: Seine Bestandteile werden hinterfragt, aber nur, um sie am Ende wieder zusammenzufügen. Selims abschließende – und natürlich gesprochene – Zeilen nähern sich einem musikalischen Zustand an. In der auffälligsten von Neuenfels’ Neuerungen im Text wird Selims Abwendung vom osmanischen Despotismus hin zur aufgeklärten Vernunft durch eine stilistische Wendung vom funktionalen gesprochenen Text zur poetischen Rezitation verdoppelt. Nach dem Finale lässt Neuenfels Selim als eine Art Epilog ein Gedicht von Eduard Mörike rezitieren. Nachdem er von allen gefeiert wurde (merkwürdigerweise auch von Osmin, den Mozart in den Refrain des Finales einstimmen lässt), winkt Selim den Applaus sowohl auf der Bühne als auch im Zuschauerraum ab und rezitiert Mörikes unerbittliches Gedicht »Denk’ es, o Seele«. Das Gedicht, etwa 70 Jahre nach der Uraufführung von Mozarts Singspiel verfasst, erschien in Mörikes Hommage an den Komponisten Mozart auf der Reise nach Prag. Dieser Text, erklärt Selim, sei auf seine Weise so schön wie die Musik. Nicht nur durch diesen Regie-Eingriff verliert Mozarts Werk einen Großteil seiner bekannten und gewollt komischen Qualität. An ihre Stelle tritt eminente Verzweiflung, die mehrere Gründe hat: Die Europäer wurden entführt und gefangen gehalten und sie werden von Zweifeln an der gegenseitigen Treue geplagt; Selim und Osmin sind auf verschiedene Weisen traurig darüber, von den Objekten ihres Begehrens zurückgewiesen zu werden. Die Inszenierung verdeutlicht, dass die Hauptrollen im Stück – Belmonte und Konstanze, aber nicht nur sie – nicht einfach nur in ihren eher fadenscheinig konstruierten Rollen gefangen sind. Tatsächlich erscheint Gefangenschaft 83

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als unpassender Begriff für den Zustand der Hauptrollen, wenn man bedenkt, dass die Inszenierung die Rollen aufteilt. Aber die Charaktere werden durch diese Aufteilung nicht befreit. Stattdessen dient sie dazu, die Bedingungen ihrer Begrenzung zu verdeutlichen. Dies bringt uns zum zweiten Effekt, der durch Mörikes Gedicht produziert wird, in diesem Fall ein dramatischer Effekt innerhalb der Figuren. Denn als Selim sein Gedicht rezitiert, und vor allem wenn er erwähnt, dass es von Mörike ist, leben die Schauspieler(innen)-Doubles der Europäer – Pedrillo, Belmonte und Blonde – merklich auf. Das Ende stellt so für einen Moment ein – zumindest annäherndes – diskursives Gleichgewicht her, durch einen gesprochenen Beitrag, von dem man behaupten kann, dass er sich auf Augenhöhe mit Mozarts Erfindungskraft bewegt. Nach Selims Rezitation geht Konstanze (Sängerin) bewegt auf ihn zu und dankt ihm. Parallel zur politischen Wende vollzieht sich hier ein Gattungswechsel: Jenseits des bekannten Coups de théâtre, in dem sich der Despot als aufgeklärter als die Europäer erweist, nähert sich hier das Gesprochene einem Zustand von Gesang. Ein einziges Mal werden die Sängerinnen und Sänger durch Text bewegt, anstatt dass umgekehrt die Schauspielerinnen und Schau­ spieler durch Gesang verdrängt oder einfach überflüssig gemacht werden. Am Ende ist das Stück also in einer Art diskursivem Zwischenraum zwischen Singen und Sprechen, zwischen Aufklärung und Barbarei, zwischen Türkei und Europa aufgehoben. Kann Poesie eine lyrische Stimme des Vaters konstituieren? Kann Musik – getrennt von, erhaben über und jenseits eines Raumes des Dramas – nichtsdestotrotz der Sache eines logophilen, wenn nicht logozentrischen Dramas dienen? Dies sind die Fragen, die Neuenfels’ Entführung in zwingender Weise stellt. Gleichzeitig fordert die Inszenierung uns in einem allgemeineren Sinne heraus. Denn es gibt nicht nur vieles, dass neu gehört, sondern ebenso vieles, dass neu überdacht werden muss.

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Christian Nickel als Bassa Selim, Christian Natter als Belmonte →

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MIT UND OHNE FEIGENBAUM Die »Entführung aus dem Serail« in Wien Am Anfang war das Chaos. Dieses tobte im Wiener Theaterleben des 18. Jahrhunderts zwischen dem vom breiten Publikum ungeliebten und gemiedenen französischen Drama, der beliebten, aber teuren und daher nicht rentablen italienischen Oper und dem immer wieder kritisch beäugten deutschsprachigen Volkstheater. Theaterbetreiber und Defizite wechselten alle paar Jahre, bis schließlich Kaiser Joseph II. ordnend eingriff und zumindest den Wiener Hofbühnen ein klares Programm verschrieb. Unter anderem bestand diese Neuorganisation in der Umwidmung des alten Burgtheaters (am Michaelerplatz) in ein »deutsches Nationaltheater«. Es geht in diesem Zusammenhang freilich immer wieder unter, dass in diesem Gründungsgedanken bereits ein weiterer mitgedacht war, nämlich die Ausweitung auf das Musiktheater. Und so folgte zwei Jahre später, 1778, das sogenannte Deutsche Singspieltheater bzw. Nationalsingspiel. Was hatte es mit diesem auf sich? Es sollte sich gleichermaßen gegen die italienische Opera buffa wie auch gegen die Wiener Volkskomödie abgrenzen (wenngleich sie sich an Elementen beider Genres bediente), neben Unterhaltung auch einen päOLI V ER LÁ NG

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dagogisch-moralischen Mehrwert bieten und stilbildend wirken. Und nicht zuletzt verständliche (weil deutsche) Sprache, Musik und Schauspiel zusammenführen. Aus Mangel an ausreichend genuin deutschsprachigen Werken griff man freilich auch auf übersetzte Werke zurück und bot im Verbund mit Neugeschaffenem dem Publikum eine beeindruckende Anzahl an Singspielen von Komponisten wie Salieri, Umlauf, Gluck, Gassmann, Paisiello, Grétry, lauter Werke übrigens, die heute allesamt aus dem allgemeinen Repertoire verschwunden sind. Schon sehr früh bekam Mozart, der zu dieser Zeit in Mannheim weilte, Wind von der Sache und bat seinen Vater, er möge »alle erdenklichen guten freunde zu wien« kontaktieren und überhaupt alle Hebel in Bewegung setzen, um ihn ins Spiel zu bringen. Denn: »ich weiß, ganz gewis, das der kaiser in sinn hat in Wien eine teutsche oper aufzurichten, und daß er einen jungen kapelnmeister, der die teutsche sprache versteht, genie hat, und im stande ist etwas neues auf die welt zu bringen, mit allem ernste sucht.« Es brauchte noch drei Jahre, bis endlich der hochoffizielle Auftrag erging, dem Komponisten ein entsprechendes, deutschsprachiges Libretto zukommen zu lassen: dieses lieferte letztendlich Johann Gottlieb Stephanie d. J., wobei es sich um keine Neuschöpfung, sondern um ein Libretto Christoph Friedrich Bretzners handelte, das bereits 1781 seine Uraufführung in Berlin erfahren hatte. Stephanie überarbeitete es im Sinne Mozarts, rein thematisch wie auch sujettechnisch war am Entführungs-Stoff nur wenig Ungewöhnliches: Sogenannte »Türken­ stücke«, also Werke, die sich thematisch und musikalisch dem osmanischen Reich widmeten und damit nicht nur dem klischierten Exotismus frönten, sondern sich auch an den Erfahrungen der Osmanenkriege abarbeiteten, waren dem Publikum seit rund hundert Jahren geläufig – und erfreuten sich großer Beliebtheit. Handlungsverlauf, ebenso Figuren wie das zentrale Liebes­ paar, der »edle« osmanische Herrscher, der boshaft-brutale Aufseher, all sie kamen in unterschiedlichsten Variationen in unzähligen Opern vor. Sechs Wochen lang wurde geprobt (ungewöhnlich lange, was allerdings auch mit einer Unterbrechung aufgrund einer Grippe-Welle im Juni zu tun hatte), bis endlich am 16. Juli 1782 die Uraufführung im alten Burgtheater stattfand. Mozart berichtet von Intrigen gegen ihn und seine Oper, die zu einem »Verzischen« geführt hatten, aber auch von großer Zustimmung etwa beim Duett Blonde-Osmin im 2. Akt oder der Belmonte-Arie »Wenn der Freude Tränen fließen«. In diesem Zusammenhang soll auch der berühmte Dialog zwischen Mozart und Joseph II. stattgefunden haben, in dem der Monarch »Zu schön für unsere Ohren, und gewaltig viel Noten, lieber Mozart« angemerkt, der Komponist wiederum mit »Gerade so viel Noten, Eure Majestät, als nötig sind« geantwortet habe. Wahr oder nicht, gänzlich zufrieden dürfte Joseph II. nicht gewesen sein, in zuverlässigeren Quellen ist der Ausspruch Josephs II. überliefert, dass Mozart die Sängerbesetzung »mit seinem vollen Akkompagnement übertäubt« habe. Der Erfolg dürfte 87

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dennoch nicht unbeachtlich gewesen sein, es existieren außergewöhnlich gute Rezensionen, etwa vom Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt, der die Entführung als »Kulminationspunkt des deutschen Singspiels« definierte. Über 15mal wurde die Oper innerhalb eines knappen Jahres gespielt und erlebte schnell einen wahren Siegeszug quer über die deutschen Bühnen. Berühmt geworden ist der Kommentar Goethes, der erfolglos ein eigenes Singspiel plante: »All unser Bemühen daher, uns im Einfachen und Beschränkten abzuschließen, ging verloren, als Mozart auftrat. Die Entführung aus dem Serail schlug alles nieder.« Wobei das Libretto nicht immer gut weg kam, so wurde in einer zeitgenössischen Rezension das Finale bekrittelt: »Uiberhaupt sind diese ewigen Grosmuten ein ekles Ding, und fast auf keiner Büne mehr Mode, als auf der hiesigen. Und man kann beinahe sicher darauf rechnen, daß so ein Stük, in dem brav gegrosmutet, geschenkt, versönt und vergeben wird, schreiendes Glük macht, wenn es auch auf die unnatürlichste Art zu diesen Dingen kommt.« Ein glücklicher Fund des tschechischen Musikwissenschaftlers Tomislav Volek förderte ein mit Anmerkungen des Inspizienten der Uraufführung versehenes Libretto zutage, das Einblick in die erste Inszenierung gibt: So

Doppelseite aus den Notizen des Inspizienten der Uraufführung, links Übergang zum 3. Akt (»Es wird Nacht«), rechts die ­Angaben zum 1. und 2. Akt. Das Buch wurde bei dem Hochwasser 2002 beschädigt und ist seitdem schwer leserlich.

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Bühnenbild-Entwurf von Alfred Roller für die Wiener Produktion 1906

erfährt man, dass das Bühnenbild des 3. Aktes, wohl aus Kostengründen, aus einer bestehenden Produktion (Zémire et Azor von Grétry) übernommen wurde, und die Bühnenausstattung an sich eher karg blieb: RequisitenHauptdarsteller war zweifellos der Feigenbaum, der zentral zum Einsatz kam. Das Projekt »Deutsches Nationalsingspiel« endete übrigens bereits 1783, als die italienische Oper wieder ins Burgtheater einzog. Die Entführung wechselte daher an das Kärntnertortheater, wo sie fortan im Repertoire blieb. 1872 spielte man Die Entführung aus dem Serail zum ersten Mal im Haus am Ring, allerdings mit Kürzungen: So wurde die »Martern-Arie« ebenso gestrichen wie das Duett Belmonte-Konstanze »Meinetwegen sollst du sterben«, Belmontes Arie »Ich baue ganz auf deine Stärke« durch »Un’ aura amorosa« aus Mozarts Così fan tutte ersetzt. Eingeschoben wurde eine von Direktor Johann von Herbeck (der die Vorstellung auch dirigierte) instrumentierte Version des 3. Satzes der A-Dur Sonate KV 331 (»Alla turca« bzw. »Türkischer Marsch«). Alles Änderungen, die zumindest bei den Rezensenten gut ankamen. Dennoch hielt sich das Werk nicht lange, es folgten bis 1875 in stark abnehmender Dichte insgesamt nur zehn Vorstellungen. Erst mit dem ersten offiziell verkündeten Mozart-Zyklus des Hauses im Jahr 1880 kehrte die Oper wieder, aber erneut versickerten die Entführungs-Aufführungen bald und das Werk verschwand vom Spielplan der Hofoper. Einen Entführungs-Neuanfang setzte erst Gustav Mahler, als er das Singspiel im Rahmen seines großen Mozart Zyklus (Neuinszenierungen von 89

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Don Giovanni, Le nozze di Figaro, Die Zauberflöte und eben der Entführung) 1906 zur Premiere brachte: Alfred Roller gestaltete die Bühnenbilder, die erneut seine, ein Jahr zuvor erstmals bei Don Giovanni eingesetzten, damals noch befehdeten, aber zweifellos stilbildenden, riesigen Bühnentürme zum Einsatz brachte. »Die Aufführung ist herrlich«, schrieb der Ausstatter am Ende der Probenzeit an seine Frau. »Es wird wieder mit den Türmen gespielt. Es scheint, dass meine Bühne sich bei diesem Werk durchsetzen wird. Die Blamage würde ich den Schimpfern gönnen!« Das Einheitsbild wurde durch einen Zwischenvorhang variiert, auch diesmal entlehnte man ein Element aus einer anderen Produktion: Der Kahn, auf dem Konstanze und Bassa Selim im 2. Akt ankommen, entstammte aus der Erstaufführung von Ermanno Wolf-Ferraris Le donne curiose von 1905. Mit Selma Kurz als Konstanze, Leo Slezak als Belmonte und Wilhelm Hesch als Osmin standen die Größen der Zeit auf der Bühne, der Direktor leitete die Vorstellung: »Direktor Mahler dirigierte: hastig, nervös, aber die sprühenden Funken verbreiteten auch Helle, die ins Gemüt drang; der Szene war Lebendigkeit gegeben und das Orchester war von Lebensfreude durchströmt«, beschrieb die Wiener Zeitung den Premierenabend. Der Aufführungstradition entsprechend wurde der eingeschobene, instrumentierte »Türkische Marsch« weiter beibehalten. 60 Vorstellungen und 20 Jahre später übersiedelte die Entführung in den Redoutensaal der Hofburg, den das Haus als zweite, intime Spielstätte gewonnen hatte. Nicht unumstritten: Denn während die einen den intimen Rahmen lobten, stießen sich andere an dieser Bühnensituation, die nur sehr wenige Dekorationen zuließ. Immerhin spielte man ab nun das zuvor gestrichene Duett Belmonte-Konstanze. Musikalisch blieb die Oper »Chefsache«, auffallend häufig stand Direktor Franz Schalk am Pult. Neuproduktionen folgten 1935 in der »Spielleitung« von Hans Duhan (ein überaus verdienter Sänger des Hauses), Robert Kautsky entwarf das Bühnenbild, und bissig bemerkte der Rezensent der Illustrierten Kronen Zeitung, dass das Innere des Selim-Palastes auffällig an die maurische Landschaft in Lehárs Giuditta erinnert, die kurz zuvor an der Hofoper uraufgeführt worden war. Felix von Weingartner dirigierte diese erste Neueinstudierung seiner zweiten Direktionszeit und änderte sogleich die Aufstellung des reduzierten Mozart-Orchesters im Graben. 1941 kam, unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm, erneut eine Entführung heraus, die Handlung war nach Afrika verlegt, aus Janitscharen wurden Beduinen mit langen Rifgewehren, wie das Neue Wiener Tagblatt berichtet. Regisseur Oscar Fritz Schuh kürzte den originalen Text stark ein, Kostümbildner Wilhelm Reinking kleidete Belmonte in einen himmelblauen Frack und verpasste Konstanze ein »kokettes Jägerhütchen« wie auch eine »knisternde Seidenschleppe«. Nach der Zerstörung des Hauses spielte man im Theater an der Wien (Premiere 1948, Dirigent Josef Krips) und im Redoutensaal, bevor ab 1956 in der wiederaufgebauten Staatsoper ein regelrechter Entführungs-Höhenflug OLI V ER LÁ NG

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einsetzte: So wie es zu einer Hochkonjunktur der Mozart-Aufführungen an sich kam, so wurde auch die Entführung öfter denn je gespielt, knapp 200mal in zehn Jahren. Hier kann man nun darüber diskutieren, ob dies das berühmte Wiener Mozart-Ensemble bedingte – oder umgekehrt? Parallel dazu kam auch wieder der Redoutensaal zum Einsatz: Man spielte im Großen Haus wie auch in dieser kleinen Spielstätte abwechselnd. Mit Fritz Wunderlich als Belmonte zog man 1965 in eine Premiere, die Josef Krips dirigierte und Walter Düggelin inszenierte, wie schon zuvor in den 1950er-Jahren strich man die sogenannte »Baumeister-Arie« Belmontes (Beginn 3. Akt, »Ich baue ganz auf deine Stärke«) und verschob seine Arie aus dem 2. Akt (»Wenn der Freuden Tränen fließen«) an diese Stelle. Umstritten war die 1979er-Produktion, die von Karl Böhm (mit Edita Gruberova als Konstanze) geleitet wurde: Sprachen die einen davon, dass die Entführung von Regisseur Dieter Dorn als Drama und nicht als Lapalie inszeniert worden war (Die Welt), titelten andere mit »Wo Stimme und Humor vertrocknen« (Die Presse, Franz Endler). Der eigentliche Fokus der Öffentlichkeit lag an diesem Premierenabend aber weniger auf dem Künstlerischen, als auf Jimmy Carter und Leonid Breschnjew, die zur Unterzeichnung des Salt II-Abkommens nach Wien gekommen waren und die Vorstellung besuchten. 1985/86 unternahm die Staatsoper, unterstützt von der Arbeiterkammer, eine 20teilige Gastspielreise von Eisenstadt bis Feldkirch und spielte eine schlanke TourneeProduktion der Entführung. 1989 fand eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen statt, die Nikolaus Harnoncourt dirigierte – und nun endlich hörte man die zuvor so oft gestrichene Belmonte-Arie. Klanglich eine Revolution: »Harnoncourt kümmert sich nicht um jene Süße, die eingefleischte Mozart-Liebhaber erwarten mögen. Er zeigt Affekte – in harten Kontrasten, unruhigen, teils atemlosen Tempi, in packender Dynamik« (Standard). Karl-­ Ernst und Ursel Herrmann (Regie, Bühne und Kostüme) schufen einen hellen, sauberen Raum, der zuerst eine hohe, aussperrende Mauer, dann ein weites Labyrinth zeigte – ebenfalls nicht unumstritten. Nach den Aufführungen im Theater an der Wien übersiedelte die Produktion an die Wiener Staatsoper, wo sie rund 50mal gegeben wurde, übrigens wieder ohne Belmonte-Arie. 2006 – zum 250. Geburtstag Mozarts – folgte eine Neuproduktion im Burgtheater, diesmal in einer Inszenierung von Karin Beier (abermals umstritten), in der Diana Damrau als Konstanze brillierte. Hochgelobt wurde die Mozart-Sicht des Dirigenten: »Ein Glücksfall ist Philippe Jordan am Pult der Wiener Philharmoniker. Er tut alles, um den Figuren Temperament und Leidenschaft, den Szenen Dynamik und Drive zu geben. Ein Mozart-Dirigent mit Profil, Musikalität, feinem Geschmack.« (Kronen Zeitung, Karlheinz Roschitz). Danach trat eine ungewöhnlich lange Pause von knapp 15 Jahren ein, bis 2020 die Entführung in der aktuellen Produktion unter Antonello Manacorda und in der Inszenierung von Hans Neuenfels ans Haus am Ring zurückkehrte. 91

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Ausschnitt aus Wilhelm Busch: Die Entführung aus dem Serail (1867)


Der Janitscharen Chor ist für einen Janitscharen Chor alles was man verlangen kann. – kurz und lustig; – und ganz für die wiener geschrieben. Mozart an seinen Vater, 26. September 1781


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Impressum Wolfgang Amadeus Mozart DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL Saison 2020/21 HERAUSGEBER Wiener Staatsoper GmbH, Opernring 2, 1010 Wien Direktor: Dr. Bogdan Roščić Musikdirektor: Philippe Jordan Kaufmännische Geschäftsführerin: Dr. Petra Bohuslav Redaktion: Sergio Morabito, Dr. Ann-Christine Mecke Gestaltung & Konzept: Fons Hickmann M23, Berlin Layout & Satz: Annette Sonnewend & Gabi Adébisi-Schuster (WerkstattWienBerlin) Hersteller: Druckerei Walla GmbH TEXTNACHWEISE – ORIGINALBEITRÄGE Über dieses Programmbuch: Ann-Christine Mecke – Antonello Manacorda: Mozart braucht unsere Pathosrufzeichen nicht – Auf das Ich ist kein Verlass: Das Gespräch führte Henry Arnold – Ann-Christine Mecke: Hui Sau! – Oliver Láng: Mit und ohne Feigenbaum. ÜBERNAHMEN UND ÜBERSETZUNGEN Juliane Votteler, Die Handlung, aus: Programmheft der Staatsoper Stuttgart 1997/98, englische Übersetzung von Steven Scheschareg – John Cage, Mozart Mix, 1991 – Ein kompliziertes Geflecht von Fallen, Hoffnungen und Irritationen, aus: Programmheft der Staatsoper Stuttgart 1997/98 – Ludwig Schiedermair (Hrsg.), Die Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie, München/Leipzig 1914 – Nina d’Aubigny von Engelbrunner, Briefe an Natalie über den Gesang als Beförderung der häuslichen Glück­ seligkeit und des geselligen Vergnügens, Leipzig 1803 – Ruth Bernard Yeazel, Harems of the Mind. Passages of Western Art and Literature, New Haven u.a. 2000, übersetzt von Ann-Christine Mecke – Denis Diderot, Das Paradox über den Schauspieler. Erkenntnisse über die Schauspielkunst, übersetzt von Walter Schönherr und Victoria Rienaecker, Heidenau 1956 – Thomas Betzwieser, Exotik – Fremde – Exil. Stoffgeschichte und Figurenkonstellation der »Entführung aus dem Serail«, in: Programmheft der Staatsoper Stuttgart 1997/98 – Thomas Seedorf, »Nun bin ich aufgeklärt.« Über das Quartett in Mozarts Singspiel »Die Entführung aus dem Serail«, in: Lothar Kreimendahl (Hrsg.), Mozart und die europäische Spätauf­ klärung, Stuttgart 2011, S. 59–81. – David J. Levin, ­Deconstructing Singspiel, in: ders., Unsettling Opera. Staging Mozart, Verdi, Wagner, and Zemlinsky, Chicago/ London 2007, S. 99–136, für dieses Programmheft gekürzt und neu eingerichtet von David. J. Levin, übersetzt von Sergio Morabito und Ann-Christine Mecke.

BILDNACHWEISE Alle Szenenbilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper GmbH. Coverbild: Wolfgang Oelze Weitere Abbildungen: Hans Neuenfels: Atha Athanasiades – European Ladies: Harald P. Lechenperg, aus: Kurt Kaindl (Hrsg.), Harald P. Lechenperg, Pionier des Fotojournalismus 1929 – 1937, Salzburg 1991 – ­Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Szenenbild aus »Le Turc généreux« im Wiener Burgtheater: AKG Images – Szenenbild der Erstaufführung von L’incontro ­improvviso im Privattheater des Schlosses Esterházy im Jahre 1775: AKG Images – Aufzeichnungen des Inspizienten der Uraufführung: Tschechisches Museum der Musik im Tschechischen Nationalmuseum – Alfred Roller, ­Bühnenbildentwurf zu Die Entführung aus dem Serail: Österreichisches Theatermuseum – Wilhelm Busch, Die Entführung aus dem Serail, aus: Werke. Historisch­-kritische Gesamtausgabe, Hamburg 1959. Nachdruck nur mit Genehmigung der Wiener Staatsoper GmbH / Dramaturgie Kürzungen sind nicht gekennzeichnet. Rechteinhaber, die nicht erreicht werden konnten, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.


Die Produktion »Die Entführung aus dem Serail« wird gefördert von

Generalsponsoren der Wiener Staatsoper


→ wiener-staatsoper.at


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