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Der Anwalt als Kontrollor

Einen kleinen Vorgeschmack, wie turbulent es auf Hauptversammlungen von VW zugehen kann, bekam Günther Horvath am 10. Mai 2023 schon einmal: Proteste von Klimaaktivisten vor der Versammlung in Berlin, Tortenwerfer während des Aktionärstreffens. Am 10. Mai wurde der 70-jährige Rechtsanwalt aus Wien aber immerhin von 98,5 Prozent der abgegebenen Stimmen in den Aufsichtsrat des größten deutschen Autobauers gewählt. Dass ihn derlei Tumulte noch aus der Ruhe bringen, darf bezweifelt werden, sitzt doch der langjährige Vertraute von Wolfgang Porsche, dem die Torte eigentlich galt, seit 2018 bereits im Aufsichtsrat der Porsche SE und soll Ende Juni als solcher von den Aktionären erneut für eine Amtsperiode gewählt werden. Horvath ist damit Österreichs mächtigster Aufsichtsrat, auch wenn er diese Funktion nicht in Österreich wahrnimmt.

2018 hat sich der gebürtige Salzburger für eine Zweitkarriere als Aufsichtsrat und gegen eine Verlängerung seiner Karriere in der Anwaltskanzlei Freshfields, deren Partner er bis dahin war, entschlossen. Denn Freshfields hat die

Policy, dass neben der anwaltlichen Tätigkeit keine Aufsichtsratsmandate erlaubt sind, zumal die Kanzlei auch VW zu ihren Mandanten zählt. Diese Doppelfunktion – Berater und Aufsichtsrat – teilt die Anwaltschaft generell in zwei Lager: in solche, die kein Problem damit haben, und in jene, die die Tätigkeiten für unvereinbar halten. Dem ersten Lager gehörte jedenfalls Edith Hlawati an, deren Kanzlei Cerha Hempel jahrelang als Berater bei der Österreichischen Post AG und der Telekom Austria AG fungierte und dafür Honorare kassierte, während sie zeitgleich als Unternehmenskontrollorin tätig war. Dafür heimste die Top-Juristin auch häufig Kritik ein. Denn „zu groß ist die Gefahr, in eine problematische Doppelrolle zu rutschen. Das muss unbedingt vermieden werden, daher entweder rechtliche Beratung oder Aufsichtstätigkeit“, rät WU-Professorin Susanne Kalss. Sie fragt sich: „Wie frei kann ich sein und die Entscheidung im Aufsichtsrat für die Zustimmung treffen, wenn ich als Anwalt bei einer Transaktion eine entscheidende Rolle in der Verhandlung habe und eine Fee zu erwarten habe oder – jedenfalls im Stil- len - wenn ich die Interessen eines anderen Klienten mitberücksichtige und daher nicht allein das Interesse meiner Gesellschaft im Auge habe?“ Genau diese Freiheit von sachfremden Interessen fordert aber das „Business Judgement Rule“, das seit 2016 in Österreich gilt.

Doch mit all diesen Problemen muss sich Hlawati seit dem letzten Jahr nicht mehr herumschlagen, sitzt sie doch nun nicht mehr als aktive Anwältin, sondern als Chefin der staatlichen Beteiligungsholding Öbag in gleich mehreren Aufsichtsräten staatsnaher Unternehmen (Seite 71). Mit insgesamt vier Mandaten, darunter zwei Vorsitzen, ist sie bestimmt die mächtigste Rechtsanwältin im ATX Prime. Lediglich die deutsche Wirtschaftsanwältin Susanne Weiss kann noch auf zwei Aufsichtsratsposten in heimischen börsennotierten Unternehmen verweisen.

Überschießende Anforderungen

Georg Riedl, Partner in der Anwaltskanzlei Frotz Riedl und seit vielen Jahren im Aufsichtsrat der AT&S AG, hat dafür eine Erklärung: „Vor allem bei börsennotierten Unternehmen ist der Aufwand sehr

GEORG RIEDL groß.“ Speziell wenn man – so wie er –Zusatzfunktionen wie zweiter stellvertretender Vorsitzender und Vorsitzender des Nominierungs- und Vergütungsausschusses innehat. „Die Anforderungen an Unternehmen werden immer mehr, um nicht zu sagen, sie sind überschießend“, so Riedl. Insgesamt, schätzt der Rechtsanwalt, würde er im Jahr eineinhalb bis zwei Monate mit reiner Aufsichtsratstätigkeit verbringen. Jedoch kommen bei ihm noch etliche Mandate nichtbörsennotierter Unternehmen hinzu wie bei der Salinen AG, bei Schrack, der Wiener Städtischen Versicherungen AG oder Wiesenthal, um nur die wichtigsten zu nennen. Vor allem ESG-Themen und das Lieferkettengesetz hätten in den letzten Jahren nicht nur Anwälte, sondern auch Aufsichtsräte sehr be- schäftigt. „Als Berater sollten wir dem Gesetzgeber Provision zahlen“, meint er scherzhaft. Wegen des großen Aufwands beschäftigt der AT&S-Aufsichtsrat auch externe juristische Berater. Riedl, der auch im Vorstand der Androsch und Dörflinger Privatstiftung sitzt, also auch Vertrauter beider Haupteigentümer der AT&S AG ist, hält es bei Corporate Governance wie die Kanzlei Freshfields: Beratung und Kontrolle nicht parallel, auch wenn das, wie er betont, rechtlich zulässig sei. „Als Aufsichtsrat muss man gegenüber dem Vorstand manchmal auch hart auftreten. Ob man das als Berater ähnlich forsch tut?“

Nicht so streng

Insolvenzrechtsexperte Alexander Isola sieht das nicht so streng. Er ist seit als Aufsichtsrat leichter an Mandate kommt.“

Jahren mit Andritz-Eigentümer Wolfgang Leitner befreundet und übt seit sieben Jahren ein Aufsichtsratsmandat beim steirischen Maschinenbauer aus. Bevor er Aufsichtsrat wurde, war er bereits juristischer Berater von Leitner und ist dies noch heute. Allerdings hält sich die insolvenzrechtliche Beratung bei der Andritz AG bislang sehr im Rahmen. Und auch die Arbeit der Kanzlei Graf Isola, bei der Isola als Partner tätig ist, für die Andritz AG ist überschaubar: „99 Prozent der Beratung erfolgt durch andere Kanzleien“, berichtet der Rechtsanwalt. Isola: „Wenn wir ein Mandat hatten, musste das immer offengelegt werden.“ Und tatsächlich zeigt ein Blick in den Andritz-Geschäftsbericht, dass Graf Isola 2022 gerade einmal Honorare im Ausmaß von 21.000 Euro abgerechnet ha-

#ÜBERBLICK

AUFSICHTSRÄTE IM ATX-PRIME

Unternehmen Name Funktion AR seit

Erste Group AG

OMV AG

Verbund AG

Voestalpine AG

Elisabeth Krainer Senger-Weiss 2. AR-VStv 2014

Edith Hlawati 1. AR-VStv 2022

Edith Hlawati 1. AR-VStv 2022

Florian Khol einf AR 2019

Andritz AG Alexander Isola einf AR 2016

Mayr-Melnhof Karton AG Nikolaus Ankershofen 2. AR-VStv 2010

Österreichische Post AG

Uniqa Insurance Group AG

Edith Hlawati AR-Vors 2007

Huberta Gheneff-Fürst einf AR 2018

Christian Kuhn 1. AR-VStv 2006

Markus Andreewitch einf AR 2014

AT&S AG Georg Riedl 2. AR-VStv 1999

Do & Co AG Peter Hoffmann-Ostenhof 1. AR-VStv 2017

Telekom Austria AG

Edith Hlawati AR-Vors 2001

Porr AG Karl Pistotnik AR-Vors 2012

Agrana Beteiligungs-AG

Addiko Bank AG

UBM Development AG ben. Anders als andere Aufsichtsräte empfindet Isola sein Arbeitspensum aber über die Jahre als gleichbleibend: „Es war zu Beginn viel, und es ist jetzt

Susanne Weiss einf AR 2012

Andrea Gritsch einf AR 2020

Monika Wildner einf AR 2020

Susanne Weiss einf AR 2015 QUELLE: durch die wogende See gefahren.“ Darüber hinaus leiste die Rechtsabteilung des Konzerns exzellente Arbeit. viel.“ Auch die letzten Krisenjahre haben dem Insolvenzrechtler – jedenfalls bei der Andritz AG – keine Mehrarbeit beschert: „Andritz ist wie ein Dampfer

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