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Als der Staat nach den Engeln griff

Der 28. April 1972 ging als ein rabenschwarzer Tag in die Geschichte der Wendt & Kühn KG ein: Das Familienunternehmen wurde an diesem Tag auf Beschluss der Partei- und Staatsführung der damaligen DDR seiner Selbstständigkeit beraubt und in einen Volkseigenen Betrieb überführt. Für Firmengründerin Grete Wendt brach eine Welt zusammen.

Die Hiobsbotschaft ereilte die Belegschaft um 15 Uhr im großen Saal der ortsansässigen Gaststätte „Deutsches Haus“ in

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Grünhainichen. Die wohl einzige gute Nachricht für die damals rund 80 Beschäftigten war, dass Hans Wendt, der

Sohn von Olly und Johannes Wendt, künftig als Betriebsleiter des Volkseigenen Betriebes tätig sein würde. Seit 1957 hatte er als

Mitgesellschafter das 1915 gegründete

Unternehmen bereits geführt. Sein erster kluger Schachzug nach der Zwangsverstaatlichung: Mit Bedacht wählte er den neuen Firmennamen aus: VEB Werk-Kunst Grünhainichen. So blieben die Buchstaben „W & K“ wie bisher im Signet erhalten. Grete Wendt hingegen, damals bereits 85 Jahre alt, sah sich um ihr Lebenswerk gebracht und schied sofort aus dem Unternehmen aus.

Unter schwierigen Rahmenbedingungen und mit unternehmerischem Geschick schaffte es Hans Wendt auch nach der Enteignung, behütete Werte der Manufaktur wie Qualitätsanspruch und meisterliches Kunsthandwerk über 18 Jahre sozialistische Mangelwirtschaft zu retten – ungeachtet aller bürokratischen Hindernisse und vieler Engpässe bei der Materialbeschaffung. Immer wieder wurden aus eigener Kraft Lösungen und Wege gefunden. „Es ist der Klugheit meines Vaters zu verdanken, dass unser Familienunternehmen auch zu DDR-Zeiten seinen guten Ruf bewahren konnte“, erinnert sich Tochter Claudia Baer, geb. Wendt, die heute gemeinsam mit ihrem Bruder Dr. Florian Wendt in dritter Generation die Manufakturgeschicke lenkt. Die Familie hingegen fühlte sich in dieser Zeit nur noch als Gast in der eigenen Werkstatt.

Nach der Reprivatisierung am 1. Juli 1990 wagte Hans Wendt mit Herz, Mut und Tatendrang den Neuanfang. Erfreut schrieb er an seine Geschäftspartner: „Im Spielzeug- und Weihnachtsland Sachsen ist es nun wieder sichtbar, das Signet mit der wettergezeichneten Fichte und den Initialen unserer Werkstätten.“ Den Schritt zurück in die Selbstständigkeit hatte sich der damals knapp 60-Jährige reiflich überlegt. „Mein Vater konnte endlich verwirklichen, was viele Jahre lang nicht möglich gewesen war. Damit hat er den Grundstein für den weiteren erfolgreichen Weg unseres Unternehmens gelegt“, sagt Claudia Baer rückblickend.

Heute sind 175 Beschäftige in dem Familienunternehmen tätig. Deutschlandweit beliefert Wendt & Kühn rund 600 Händler und exportiert in 22 Länder Europas, Asiens und Nordamerikas.

HANS WENDT in den 1960er Jahren, in seinen Händen die Spieldose „Engelwiegengruppe“

NACH DER VERSTAATLICHUNG im April 1972 überschreibt Hans Wendt auf einem Briefbogen den Firmennamen „Wendt & Kühn“ mit „WerkKunst“ – und sorgt mit Weitblick dafür, dass die Initialen „W & K“ erhalten bleiben.

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