

ViaFrancigena Pilgern und Wandern Richtung Rom
Die ViaFrancigena 70 durch die Westschweiz zum Grossen St. Bernhard
Daniel Stotz
Via Francigena Pilgern und Wandern
Richtung Rom
Die ViaFrancigena 70 durch die West schweiz zum Grossen St. Bernhard
Daniel Stotz
Arc-et-Senans


Ausschnitt aus den digitalen Karten des IVS: Rot markiert sind Wegstücke mit sichtbarer historischer Substanz, die schwarzen Symbole stellen Mauern und Grenzsteine dar.
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zum Christentum als dominante Religion im mittelalterlichen Feudalwesen. Gegenüber den Handelswegen zeichnen sie sich durch eine gänzlich andere Motivationslage und einen unterschiedlichen Gefühlskontext ihrer Nutzerinnen und Nutzer aus. Die einfache Botschaft, aufgrund derer die Menschen den weiten und beschwerlichen Weg auf sich nahmen, bezog sich nicht auf Handelsmargen und Profit, sondern sie vermittelte ihnen die Aussicht auf geistliche Erleichterung, Erbauung oder gar Erlösung. Im Fall des Jakobswegs würde Christus durch die Fürsprache des Heiligen Jakobus versöhnend und heilend auf die Pilger wirken, auch wenn keineswegs erwiesen ist, dass das Grab des Apostels sich in Santiago de Compostela befindet. Entlang dieser weiten Wege wird auch heute noch gepilgert und gewandert (oder geradelt), doch mit unterschiedlichen Frequenzen. Während für den Jakobsweg im Jahr 2023 ca. 450 000 Pilgerausweise ausgestellt wurden, belief sich diese Zahl für die Via Francigena auf ca. 15 000. Angesichts der Überlastung vieler Herbergen und Wegstücke entlang des «Camino de Santiago» ist das für den etwa 1600 Kilometer langen «Frankenweg» durch Südengland, Frankreich, die Schweiz und Italien eine Chance. Die Revitalisierung der ViaFrancigena verdankt sich nicht zuletzt dem Boom des Jakobswegs in den 1990er-Jahren.
Abwechslungsreiche Querung zweier Westschweizer Kantone
Im Vergleich zu den anderen Durchgangsländern der ViaFrancigena beruht der Schweizer Abschnitt (fortan in der Schreibweise der ViaStoria-Stiftung als ViaFrancigena be zeichnet) auf besonders gründlichen Erhebungen der Verkehrshistorie. Der mittelalterliche Verlauf des Pilgerwegs kann anhand von zeitgenössischen Reiseberichten rekonstruiert werden (siehe nächstes Kapitel). Die Einzelheiten der in diesem Führer vorgezeichneten Route gehen jedoch auf die Forschungs- und Dokumentationsarbeiten im Rahmen des Inventars historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS) zurück. Nach über zwanzigjährigen Entwicklungsarbeiten


5 Das Signet ViaFrancigena 70 weist bei Saint-Maurice den Weg. 5 Das Wetter am Pilgerweg kann überraschen – wie hier in Vevey.
setzte der Bundesrat 2010 das IVS als offizielles Bundesinventar nach Art. 5 des Bundesgesetzes über den Naturund Heimatschutz NHG in Kraft (www.ivs.admin.ch).
Das Inventar ist bis heute eine weltweit einzigartige Bestandesaufnahme von sichtbaren Zeugen der Verkehrsgeschichte. Zurzeit wird das IVS unter der Ägide des Bundesamts für Strassen (ASTRA) nachgeführt. In der kartographierten Dokumentation sind Wege und Strassen erfasst, die von nationaler, regionaler oder lokaler Bedeutung sind und teilweise noch sichtbare historische Wegsubstanz aufweisen; diese Wege stehen unter besonderem Schutz. Alle 3750 Wege und Strassenstücke lassen sich mittels des Geoinformationssystems (GIS) auf der einschlägigen Website map.geo.admin.ch entdecken (Sucheingabe: IVS National, IVS Regional und Lokal).
Das digitale Werkzeug erlaubt eine Darstellung in 3D und
und mittelalterlich-klösterlicher Vorprägung, auch sie will man nicht eilends hinter sich lassen. Zur Krönung dürfte für manche naturverbundenen Wanderer und Radfahrerinnen der Aufstieg zu einem der ältesten Alpenpässe werden. Das Tal der Dranse d’Entremont knüpft wiederum an die erste Etappe an, mit seinem rauschenden Bach und den moosüberzogenen Felsblöcken. In zwei Tagesetappen erwandert man sich so den Grossen St. Bernhard, der wäh rend der Römerzeit wichtiger als die meisten anderen Übergänge war und auf dem noch im Juli Schneereste liegen können. Das gastfreundliche Hospiz empfängt seit Jahrhunderten Pilger, Rad- und Motorradfahrerinnen, und eine stärkende Mahlzeit schenkt Mut für das Weiterziehen hinunter ins Val d’Aosta. Bis Rom bleiben aber noch zig Etappen und Kilometer, für die wiederum andere Führer behilflich sein mögen.
Der Verlauf der Via Francigena nördlich der Schweiz Der Pilgerweg vom südenglischen Canterbury nach Rom wird seit über 1500 Jahren begangen. Oft wurde die Reise bis nach Jerusalem fortgesetzt. Anfangs konnten die Pilgernden die gut unterhaltenen Römerstrassen nutzen, im Mittelalter war das Fortkommen wegen schlechten Wegzustands, Raubüberfällen und Betrügereien erschwert. Die frühesten Reiseberichte stammen aus dem sechsten Jahrhundert, prägend waren jedoch die Aufzeichnungen des englischen Erzbischofs Sigerich aus dem Jahr 990 n. Chr. (siehe nächstes Kapitel). Auf seiner Rückreise legte er eine Liste der achtzig Stationen an, an denen er Halt gemacht hatte. Bis heute dient diese Quelle, zusammen mit einem Führer, den der isländische Bischof Nikulás im 12. Jahrhundert verfasste, als historisch zuverlässige Verlaufsangabe.
In England folgt die dreissig Kilometer kurze Strecke von der Kathedralen-Stadt Canterbury zur Küste bei Dover verschiedenen Pfaden durch die Hügel der