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«Sonder-BAR» Eine etwas andere Presseschau Hilmar Gernet
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egensburg: Wirtshaus-Zukunft nur noch im Museum? Museen und Ausstellungen entstehen, wenn man sich an die Spitze einer Sache stellen will. So beispielsweise das ZKM – das Zentrum für Kunst und Medien – in Karlsruhe. Es wurde 1989 mit der Mission gegründet, «die klassischen Künste ins digitale Zeitalter fortzuschreiben». Dazu gehört, dass die Sammlungs-, Ausstellungs- und Forschungstätigkeit des ZKM von allerlei Plattformen theoretischer Diskurse zwischen Philosophie, Wissenschaft, Kunst, Politik und Wirtschaft begleitet wird. Die andere Motivation, eine Ausstellung zu veranstalten, ist, wenn es um eine Sache schlecht steht. Sozu sagen als Überlebenshilfe oder bereits als Erinnerung an eine aussterbende, eine totgesagte Einrichtung eröffnete das Regensburger Museum kürzlich die Ausstellung: «Wirtshaussterben? Wirtshausleben!» Die digitale Gesellschaft scheint für den «Hort der Geselligkeit» lebensbedrohlich zu sein. Wohin gehen künftig die Jasser? Wo werden die lokalen Gerüchte produziert und umgeschlagen? Wie werden die poli tischen Stammtischdebatten mit ihren einfachen Rezepten für die Gemeindepolitik ersetzt? Die Ausstellungsmacher konstatieren für die Zukunft des Wirtshauses – zumindest in Bayern – die schlechtesten Perspektiven. Sie erwarten eine «Erosion wie bei Kirchen und Parteien». Als Rettungsidee wird – typisch deutsch, ist man versucht zu sagen – vorgeschlagen: «Wirtshäuser sollen vom Staat wie Kulturgüter behandelt werden.» Da bleibt nur die bewährte Stammtischmethode: «Schwoamas owe» (spülen wir es hinunter), wie man in Bayern sagt. (vgl. FAZ, 29.4.2022).
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Guide Michelin: «Zeitenwende» am Herd Es mag etwas frivol erscheinen, den vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz geprägten Begriff der «Zeitenwende» mit den jüngsten Entwicklungen in der Hierarchie deutscher Spitzenköche zu assoziieren. Während Scholz mit der «Zeitenwende» den Überfall Russlands auf die Ukraine markiert, zeigt sie sich im kulinarischen Olymp Deutschlands durch gegenläufige Entwicklungen. Der «Doyen unter den deutschen Spitzenköchen» verliert nach 17 Jahren seinen dritten Michelin-Stern. Der Chefredaktor des «Guide Michelin Deutschland» begründet den «Paukenschlag», die «Herabstufung»: Der Spitzenkoch Joachim Wissler «habe die Geradlinigkeit in seiner Küche verloren, seine Aromenkompositionen seien immer unverständlicher geworden, er habe sich verzettelt». Ein «kulinarisches Wunder» ereignete sich dagegen offenbar bei Thomas Schanz, der erstmals den dritten Michelin-Stern erhielt. Der kocht «still und leise vor sich hin», «tritt in keiner Fernsehsendung auf», «schreibt keine Bücher», denn «nichts anderes will er, als an seinem Herd stehen». Seinen Aufstieg in den Olymp sei gelungen, weil «er sich keine regionalistischen Fesseln» anlegt, weil er sich «nicht in der Rolle des kochenden Lokalpatrioten» gefällt, weil er auch «kein avantgardistischer Küchenartist ist, der seine Gäste vor Aromenrätsel stellt». Der stärkste Trend, das Merkmal einer Zeitenwende, es bewahrheitet sich einmal mehr, ist der Gegentrend. So sichert sich das Michelin-Sterne-Ritual als Perpetuum mobile seine mediale Präsenz von Zeitenwende zu Zeitenwende, gelegentlich auch abgelöst durch Wendezeiten. (vgl. FAZ, 10.3.2022).