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Hotels im Krieg
Historisches
Hotels im Krieg: Schweizer Hoteliers zwischen Ho nung und Ruin
Schüsse. Kanonensalven detonieren in Städten und auf Schlachtfeldern. Die Menschen iehen. Für Flüchtlinge können Hotels – weit weg von lebensbedrohenden Angri en – ein Ort der Ho nung sein. Schweizer Hotels waren im Ersten und Zweiten Weltkrieg Hilfs- und Ho nungsorte. Vielen Hotels brachte der Krieg aber grosse Hil osigkeit oder gar den Ruin.
Text: Hilmar Gernet Bilder: ierry Ott, Palaces (Quelle)
Die Flüchtlingswelle nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist ein «Ereignis von historischer Dimension, vor allem als einzigartiger Moment für Europa». So beurteilt der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi, ein Diplomat aus Mailand, die Lage. In acht Tagen und nicht in einem Zeitraum von acht Jahren, wie im Jugoslawienkrieg vor 30 Jahren, hätten Millionen von Menschen ihr Land verlassen. Zugleich, so seine vorläu ge Bilanz in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (9. März 2022), habe Europa noch nie so viel Toleranz und Aufnahmebereitschaft gezeigt. Auch die Schweizer Bevölkerung hilft. Am nationalen Solidaritätstag, am 9. März, wurden über die Glückskette über 51,5 Millionen Franken für die Ukraine gespendet.


Grand Hôtel de la Métropole, Genf, 1855.
Die tödlichen Schüsse auf den österreichischen ronfolger Erzherzog Ferdinand am 8. Juni 1914 leerten innert weniger Tage die Grandhotels. Nach euphorischen Gästezahlen 1912 und 1913 stürzten sie im Ersten Weltkrieg (1914–1918) und wegen der russischen Oktoberrevolution (1917) ab. Der Zustrom von Gästen in Hotels aller Kategorien war plötzlich und auf Jahre hinaus unterbrochen.

«Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.» Mit dieser Lüge rechtfertigte Adolf Hitler am 1. September 1939 den Angri auf Polen. Der Zweite Weltkrieg schliesst in der Schweiz viele Hotels. Die Schweizer Hotellerie mit internationaler Gästeschaft erlebt eine weitere existenzielle Krise, wie Rucki in ihrem Buch «Das Hotel in den Alpen» schreibt. Statt zahlender Gäste übernachten in vielen Grandhotels Flüchtlinge, Kranke und Verwundete, Generalstäbe oder Soldaten. Die humanitäre Tradition der Schweiz, repräsentiert durch das Rote Kreuz, logiert politisch im Berner Bundeshaus. Konkret koordiniert und leistet das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) seine humanitäre Arbeit aber seit 1941 aus dem ehemaligen Genfer Hotel Métropole.
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 entscheidet sich die westlich-demokratische Welt überraschend schnell für ein massives Sanktionenpaket gegen den Aggressor. Die Schweiz schliesst sich nach kurzem Zögern auch an. Statt nach der ab auenden Coronapandemie wieder vermehrt Touristen zu begrüssen, gilt es, die Vertriebenen aus der Ukraine in der Schweiz zu beherbergen. Die grosse Fluchtbewegung aus der Ukraine in den Westen ist Anlass, einen historischen Blick auf die Situation und die Herausforderungen der Hotels und der Beherbergungsbranche von damals zu werfen.
Bundesrat verlangte «objektive Darstellung»
Wie mit den Flüchtlingen in der Schweiz umzugehen sei und wie viele aufgenommen werden sollen, war im 20. Jahrhundert immer wieder ein kontroverses Politikum. Am heftigsten war die Auseinandersetzung mit der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. War das «Rettungsboot» Schweiz voll oder nicht? Der Bundesrat gab dazu 1953 eine Untersuchung in Auftrag. Carl Ludwig, der Basler Rechtsprofessor und ehemalige Regierungsrat der Liberalen Partei, sollte eine «objektive, möglichst umfassende Darstellung» der Schweizer Flüchtlingspolitik seit 1933 erarbeiten. Das Werk «Die Flüchtlingspolitik der Schweiz seit 1933 bis zur Gegenwart» erschien 1957.
War das «Rettungsboot» voll?
Während des Zweiten Weltkrieges brauchte man, wie heute, schnell Unterkünfte für die Flüchtlinge. Im Herbst 1942 waren es laut LudwigBericht 10000 bis 12000 Flüchtlinge, die in die Schweiz kamen. «Das Rettungsboot sei nunmehr voll besetzt und die Aufnahmefähigkeit unseres Landes erschöpft», wurde vom Bundesrat erklärt.
Der Historiker Edgar Bonjour beschrieb die Haltung des Bundesrats: «Er hat zwar die Flüchtlingsfrage nicht bloss als politisches, sondern auch als menschliches Problem verstanden und empfunden, entschied jedoch im Kampfe der widerstreitenden Pflichten zugunsten der Staatsräson.» Diese Haltung kam in einer Äusserung des zuständigen Chefs des Eidgenössischen Justiz und Polizeidepartements, Bundesrat Eduard von Steiger (Bauern, Gewerbeund Bürgerpartei; Vorgänger der SVP), zum Ausdruck. In einer Versammlung sprach er «das unglückliche, so ganz falsche Vorstellungen über das Mass des Tragbaren erweckende Wort vom ‹stark besetzten kleinen Rettungsboot›.» (Bonjour). Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Zahl der «registrierten Aufgenommenen» bei 295000 festgestellt. Die grösste Gruppe waren die «Militärinternierten» – rund 104000. Sie aufzunehmen, war eine völkerrechtliche Pflicht. «Zivilflüchtlinge» sind 51129 aufgenommen worden. Ein Einsatz, der als «humanitäre Extraleistung» qualifiziert worden ist.
Bonjour meinte zur Bewältigung der Flüchtlingsfrage im Zweiten Weltkrieg, dass der Bundesrat im Urteil der Bevölkerung das Spannungsverhältnis zwischen den «Geboten der Menschlichkeit» und der «behördlichen Staatsräson» gut gemeistert habe. «Die Zahl der Flüchtlinge war grösser, als man nachträglich, von anderen Voraussetzungen aus urteilend, wahrhaben wollte. Deshalb scheint es billig, wegen der begangenen offensichtlichen Fehler nach den Behörden jener Zeit mit Steinen zu werfen. Die ganze damalige Generation hat versagt und ist mitschuldig.»
Nach dem Weltkrieg gelang es, aufgrund der sich positiv entwickelnden Konjunktur für fast alle «arbeitsfähigen Flüchtlinge geeignete Arbeit» zu finden. Beschäftigungsmöglichkeiten ergaben sich in der Industrie, im Hotel und Gastwirtschaftsgewerbe und in der Landwirtschaft.
Schonungslose Aufarbeitung
Die historische Forschung attestiert dem Ludwig-Bericht bis heute, «bemerkenswert zeitbeständig» zu sein. «Ludwig war um eine schonungslose O enlegung der restriktiven Haltung der Behörden bemüht» ist in der «Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte» zu lesen. Die «NZZ» formulierte als Lehre aus dem Bericht: Man müsse hinnehmen, dass «die an sich richtige Maxime der weitherzigen Aufnahme» durch die «Ernährungsproblematik und die Sicherheitsbedürfnisse» der Schweiz auch künftig eingeschränkt würden.
Flüchtlinge in «schönen Hotels»
Um für die Flüchtlinge rasch eine Behausung zu nden, war es naheliegend, leer stehende oder wenig frequentierte Hotels zu mieten. Das war jedoch schwierig, da es im Umfeld solcher Hotels für die Flüchtlinge laut Ludwig-Bericht oft keine passenden Arbeitsgelegenheiten gab. Zudem sollten die Flüchtlinge nur in militärisch unbedenklichen Gebieten untergebracht werden.

Dennoch waren die Hotels ein unverzichtbares Element der Hilfe für die Flüchtlin ge. Die Unterbringung der Flüchtlinge in Hotels war in den Augen von Bundesrat Eduard von Steiger im Ludwig-Bericht nicht angemessen dargestellt worden. In einer ausführlichen «Stellungnahme», die im Ludwig-Bericht publiziert ist, stellte er seine Sicht der Dinge dar. «Mit Freude und Genugtuung» beschrieb er rückblickend das Fazit seiner Inspektionsreisen in Hilfsunterkünfte und hielt fest: «… wie schön eigentlich die Flüchtlinge untergebracht werden konnten. (…) ich bin überzeugt, dass kein Land die Flüchtlinge so aufgehoben hat wie die Schweiz.» Er führt eine Liste von «vorzüglichen und schönen Hotels» an, die als Flüchtlingsunterkunft dienten: «Ein Grand Hotel Brissago, ein Hotel Eden in Brunnen, die Hotels Bernina und Cresta-Kulm in Celerina, der Schweizerhof auf Beatenberg, die Hotels in Champéry, Engelberg, Flims-Waldhaus, MontPélerin, Montana usw. sind Beispiele, in was für schönen Hotels die Flüchtlinge und namentlich die Flüchtlingsfrauen Unterkunft fanden, neben auch guten, aber etwas einfacheren Hotelgebäuden.»
Streit um Qualität der Hilfe-Hotels
Die Beherbergung von Flüchtlingen – die Internierung – zu organisieren, war die Aufgabe der Eidgenössischen Zentralleitung der Heime und Lager (ZL). Von 1940 bis 1950 haben rund 500 Mitarbeitende 95 Lager (meist Barackensiedlungen) und 135 Heime (Hotels, Bildungshäuser, Kinderheime, Krankenstationen, Schulheime, Sanatorien usw.) organisiert. Für die Miete von leer stehenden Hotels sowie den Er werb und die Miete von Baracken gab die ZL von 1940 bis 1949 rund 10,5 Millionen Franken aus.
«Bankenhotels»
Die wirtschaftlichen Drucksituationen in den Weltkriegen, aber auch in der Zwischenkriegszeit, hatten dazu geführt, dass verschiedene Eigentümerfamilie ihr Hotels nicht mehr halten konnten. Als Lösung wurde nicht selten eine Aktiengesellschaft gegründet, die Geld für ein krisengeschütteltes Hotel zur Verfügung stellte. Die Bündner Banken waren gerne bereit, entsprechende Hotelaktien zu zeichnen, und nicht immer konnte die bedürftige Hotelierfamilie die Aktienmehrheit behalten. Vor allem für den Kanton Graubünden ist diese Entwicklung gut erforscht. «Ohne die Hilfe der Banken und das Engagement der Schweizerischen Hoteltreuhandgesellschaft, die vor allem in bauliche Erneuerungsmassnahmen investieren», so Rucki in ihrer Engadiner Hotelgeschichte, «hätte die Engadiner Hotellerie die Krise wohl nicht überstanden.»
In der «langen Krise» des Tourismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts traten «Aktiengesellschaftshotels» an die Stelle autonomer Familienhotels. Diese Entwicklung wurde von der Schweizerischen Hoteltreuhandgesellschaft als Problem angesehen. Ihr Präsident, der Aargauer Ständerat Gottfried Keller, kritisierte an der Generalversammlung 1940 die «unpersönlichen Aktiengesellschaftshotels», die «Direktoren- oder Bankenhotels», hinter denen keine Hotelierfamilie mehr stehe. Er verlangte, die «Bankenhotels» wieder «in den Privatbesitz tüchtiger Hotelfachleute» (Rucki) zurückzuführen. Der ZL-Leiter Otto Zaugg kommt in der Stellungnahme von Bundesrat von Steiger zu Wort. Zaugg schreibt, dass «von Internierung nur in Bezug auf einige Speziallager für politische Flüchtlinge gesprochen werden kann. (…) Die übrigen Lager und Heime wurden derart frei geführt, dass der Ausdruck ‹Internierung› dem tatsächlichen Sachverhalt nicht entspricht.»
Wesentlich anders schildert der Historiker Simon Erlanger in seiner Dissertation den Zustand vieler angemieteter Hotels: «altmodisch», «kein warmes Wasser», «sanitäre Anlagen rudimentär», «Waschgelegenheiten im Keller». In den Kriegsjahren bestand an «leeren und teilweise heruntergekommenen Hotels und Kurhäusern (…) kein Mangel, da der Tourismus fast völlig zum Erliegen gekommen war.» Die angemieteten Hotelunterkünfte sollten über das ganze Land verteilt sein, da man «eine Ansammlung von Flüchtlingen in einer Ortschaft oder Gegend vermeiden wollte». Zudem war das «Réduit» für Flüchtlingsunterkünfte «Sperrgebiet».
Die Aufgabe der ZL, geeignete Unter künfte zu nden, war eine grosse Arbeit. Die Gemeinden und Kantone erhoben oft Einspruch, weil sie keine Flüchtlinge wollten. Sie fürchteten um den guten Ruf ihres Ferienortes. Aus gleichem Grund wurden abschreckende Polizeivorschriften erlassen, zum Beispiel Ausgehverbote nach 21 Uhr. Oder in Luzern das Verbot, die Bänke in den Quaianlagen zu benutzen.
Schiedsgerichte waren nötig
Aus betriebswirtschaftlichen Gründen suchte die ZL mittelgrosse Häuser mit Platz für 70 bis 120 Personen. Kleinere Häuser galten als unwirtschaftlich, grössere Hotels aber als unübersichtlich. Bei den Mietverhandlungen mit den Besitzern von leer stehenden Hotels kam es des Öfteren zu Konflikten. Eigentümer wüssten es so einzurichten, «dass ihr Gebäude möglichst beschädigt wird, sodass sie es mehr oder weniger auf Kosten des Bundes wieder renovieren können», schreibt Erlanger. Dies sei eine gängige Praxis gewesen. Solchen Machenschaften wirkte die ZL entgegen und erstellte detaillierte Protokolle über den baulichen Zustand des Hauses.
Die gemieteten Hotels wurden periodisch von Inspektoren der ZL kontrolliert. Bei der Rückgabe einiger Mietobjekte musste man sich schiedsgerichtlich auseinandersetzen. Als Schiedsrichterin zwischen der ZL und den Eigentümern fungierte die Schweizerische Hoteltreuhandgesellschaft.
Gleichgewichtskünstler Hotelier
Die Hoteliers seien in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts «wahre Gleichgewichtskünstler» gewesen, hält Thierry Ott in seiner Geschichte zur Luxushotellerie in der Schweiz «Palaces» fest. «Um ihre Aufgabe zu erfüllen, brauchten sie gleich viel Geld wie vorher. Doch die Einkünfte nahmen ab, die Zahl der Gäste ebenfalls. Von den übrigen Kunden liessen immer mehr ihre Rechnung offen.» Die Kriegsumstände diktierten den Hoteliers und Hoteldirektoren das Geschäft.
Der politischen und wirtschaftlichen Schweiz gelang der Übergang vom Zweiten Weltkrieg in die Nachkriegsjahre als kontinuierlicher Prozess gut. Es gab eine kurze Phase innenpolitischer Abrechnungen mit den prodeutschen Kräften. Der weitverbreitete Eindruck nach Kriegsende war, eine historische Bewährungsprobe erfolgreich bestanden zu haben.
Illustriert werden kann dies anhand des wirtschaftlichen und politischen Personals. Es blieb, mit wenigen Ausnahmen (Rücktritt des FDPBundesrats Marcel PiletGolaz 1944), in seinen Chargen. Darunter auch die Bundesräte Philipp Etter und Eduard von Steiger: Der eine, Etter, 1940 Befürworter eines Umbaus der Eidgenossenschaft in Sinne einer «autoritären Demokratie», der andere, von Steiger, Hauptverantwortlicher für die restriktive Flüchtlingspolitik.
Die innere bzw. innenpolitische Selbsteinschätzung der Schweiz stand jedoch in «scharfem Kontrast» zu ihrem «negativen Image bei den Alliierten seit 1943», wie der BergierBericht Ende der 90erJahre festhielt. Das Ansehen der Neutralität hatte bei Kriegsende einen «Tiefpunkt» erreicht, und es gab harsche Kritik der Siegermächte.

Palace Hotel Pontresina, 1907.


Hotel Baur, Zürich, 1838.
Hotel Sonnenberg: Musterheim für Russinnen
Das Hotel Sonnenberg in Kriens war vor und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 ein «Musterfrauenheim» für rund 180 Russinnen. Es war eines von vielen Häusern, das von der Eidgenossenschaft für Flüchtlinge gemietet worden war. «Man hatte für die Frauen und Mädchen leer stehende Hotels gemietet, prachtvolle Bauten. Der Aussenstehende, der an einem solchen Gebäude vorbei aniert, beneidet sicherlich die Insassinnen.» Der Sonnenberg war wegen seiner landschaftlichen Schönheit ein beliebtes Aus ugsziel, aber auch «wegen der Möglichkeit, mit den internierten Frauen zu sprechen. Und auf ein solches Gespräch folgte nämlich nicht selten eine Einladung zu einem gemeinsamen Essen am Sonntag», wie sich ein Luzerner noch 2002 erinnerte. Allerdings: Der Tagesablauf der Frauen war klar strukturiert, mit Ordnung und Disziplin. Am Morgen und am Abend war Appell. Diese Musterhaftigkeit schilderte eine ehemalige «Insassin» des Sonnenbergs: «Ich denke mir manchmal wirklich, warum ich vor den Deutschen ausgerückt bin, um wieder in einer preussischen Kaserne zu landen.» In Gesprächen wurden solche Gedanken aber postwendend wieder relativiert. «Was beklage ich mich? Ich lebe!»
Gestrandete, nicht Gäste
Im Flüchtlingsheim Sonnenberg war für die russischen Frauen eine «Schule» eingerichtet worden. Geleitet wurde sie von einem russischen Militärinternierten. «Sanitärischer Unterricht, Sprachen, Mathematik, Näh- und Strickkurse» waren die Unterrichtsfächer.
Der organisierte Tagesablauf und die kriegerischen Umstände machten den internierten Frauen deutlich, «dass sie keine ‹Gäste› sind, sondern gegen den Willen dieses Staates hier ‹Gestrandete›, die jetzt eine verordnete Fürsorge erhalten». So schätzte der Eidgenössische Kommissär für Internierung und Hospitalisierung 1942 in einem Bericht die Situation ein.
Schwierige Heimkehr
Die Frauen vom Sonnenberg ho ten, rasch heimkehren zu können. Militärisch-diplomatische Quereleien verzögerten jedoch die Rückkehr. Die Schweiz galt in den Augen russischer Militärs als Kriegsgewinnler. Zudem wollte Russland sicherstellen, dass es «keine Heimkehrverweigerer» gab. Der russische Machthaber Stalin hatte im Krieg mehrmals befohlen, dass es für Russinnen und Russen nur zwei Verhaltensmöglichkeiten gibt: für das Vaterland kämpfen oder sterben. Es durfte also keine russischen Kriegsgefangenen geben, geschweige denn Internierte in einem neutralen Land.
Woran sollten sich die russischen Frauen halten? «Konnten sie denen Glauben schenken, die erzählten, sie würden zu Hause sehnlichst erwartet? Oder jenen, die sie warnten, die sich selber standhaft weigerten und im Falle der Nötigung gar von Selbstmord sprachen. Eigentlich wollten ja alle zurück», sinnierten die Historiker Stadelmann und Lottenbach. Der Tag der Rückkehr kam, der 13. September 1945.
Vom Hotel Sonnenberg führte die Rückreise nach St.Margrethen und zurück nach Russland. Der DokFilm «In die Heimat, in den Tod» (Schweizer Fernsehen, 1995) zieht ein bedrückendes Fazit: «Heute wissen wir, dass diese Reise (…) für viele der ehemaligen Flüchtlinge und nun Heimkehrer in den sibirischen Gulag und in den Tod führen sollte.»
Hotels im Ersten Weltkrieg
Das Bellevue Palace in Bern wird ab Herbst 1914 zum Hauptquartier des Generalstabs von General Ulrich Wille. Das Kriegsende brachte noch nicht das Ende der Besetzung des Luxushotels durch die Generalität. Wille verlängerte den Aufenthalt wegen des Generalstreiks im November 1918. «Nur begnügte er und seine zweihundert Soldaten sich nun mit dem Erdgeschoss.» Während der Kommandozeit im Bellevue liess sich der General von Ferdinand Hodler porträtieren. Hodlers Bild soll er ironisch kommentiert haben: «Mittelmässig, höchst mittelmässig … aber verdammt ähnlich.»
Im Hotel Palace Luzern ging es weniger feudal zu und her als im Berner Palace. In den Kriegsjahren 1915–1918 wurde das Erdgeschoss zum Warenlager für Pneus und Kriegsmaterial.
Das Maloja Palace wurde von der Armee als Kaserne benutzt.
Das Montreux Palace ist umfunktioniert worden zum Spital und beherbergte ab 1916 Hunderte von französischen und englischen Kriegsverletzten. Die kriegführenden Staaten bezahlten für die Pflege ihrer Verletzten vier Franken pro Tag und Person.
In den Grandhotels Splendid (Lugano) und Beau-Rivage Palace (Ouchy) sanken die Umsätze gegenüber den glanzvollen Vorkriegsjahre von 280000 CHF auf 115000 CHF bzw. 2,2 Millionen CHF auf 1,3 Millionen CHF.
Der Verwaltungsrat des Beau-Rivage Palace, Ouchy, stellte 1917 fest, dass viele Hotelrechnungen offenblieben: «Die Schulden stammen fast ausschliesslich von alten, treuen Kunden, vorwiegend Russen, die sich in einer heiklen finanziellen Lage befinden, da sich ihr Kapital nicht in die Schweiz transferieren lässt.» Der Grund war die Oktoberrevolution. Weiter konstatiert die Hotelführung: «Es ist uns angesichts unserer Verpflichtungen unseren Hypothekargläubigern gegenüber nicht möglich, gegenüber unseren Kunden als Bankier aufzutreten.» Offene Rechnungen sollten jede Woche gemahnt werden.
Es gab Grandhotels in Genf, Bern, Zürich oder Lausanne, die vom Krieg profitierten. Sie wurden zum «Asyl» für Flüchtlinge, die «ein wahrhaft unerschöpfliches Vermögen besassen» und den «Sinn für Luxus nicht verloren».
(Quelle: Thierry Ott, Palaces, 1990)

Verwendete und weiterführende Literatur
· Bergier-Bericht: Schlussbericht der unabhängigen
Expertenkommission Schweiz – Zweiter
Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg, Präsident Jean-
Francois Bergier, Zürich, 2002 (zitiert: Bergier-
Bericht)
· Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen
Neutralität, Band VI, 1939–1945 (Bonjour)
· Simon Erlanger, «Nur ein Durchgangsland».
Arbeitslager und Internierungsheime für Flüchtlinge und Emigranten in der Schweiz 1940–1949,
Zürich, 2006 (Erlanger)
· Carl Ludwig, Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955. Bericht an den
Bundesrat zuhanden der eidgenössischen Räte (Ludwig-Bericht)
· ierry Ott, Palaces. Die schweizerische Luxushotellerie, Yens-sur-Morges, 1990 (Ott) · Isabelle Rucki, Das Hotel in den Alpen. Die
Geschichte der Oberengadiner Hotelarchitektur ab 1860, Baden, 2012 (Rucki)
· Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg, in:
Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 47., 1997, Nr.4, (Zeitschrift Geschichte)
· Jürg Stadelmann, Samantha Lottenbach,
Gestrandet auf dem Sonnenberg. Flüchtlings- und
Rückwandererheim «Hotel Sonnenberg», siehe www.geschichte-luzern.ch/spurensuche-aufdem-sonnenberg, Flüchtlingsheime in Luzerner
Hotels während des Zweiten Weltkrieges (publiziert am 1. Mai 2015), besucht am 5. März 2022 (Stadelmann/Lottenbach)
· Jürg Stadelmann, Umgang mit Fremden in bedrängter Zeit. Schweizerische Flüchtlingspolitik 1940–1945 und ihre Beurteilung bis heute,
Zürich, 1988
Genfer Hotellerie profitierte von den Diplomaten des Völkerbunds, Karikatur 1927.
Hotels im Zweiten Weltkrieg
Das Grandhotel Tschuggen in Arosa trotzte dem Kriegswinter 1940 und wollte seine Gäste «verwöhnen». Für wärmende Kohle und genügend Lebensmittel für die Küche sei gesorgt, wurde in einem Inserat versprochen. Zudem sollte das Orchester wieder eingestellt und ein «Bridge- sowie ein Skilehrer beschäftigt werden». Die Gäste sollten im «gesunden, sonnigen Klima von Arosa jene Kräfte tanken können, die sie so dringend benötigten» – und zwar ohne Preiserhöhung.
In St. Moritz schlossen vier der fünf grossen Häuser, offen blieb nur das Palace. Das Grand Hotel St.Moritz wurde zur Truppenunterkunft und brannte 1942 unter nicht restlos geklärten Umständen ab.
Die Seiler-Häuser in Zermatt schlossen mit dem Ende der Sommersaison 1939.
Das Waldhaus in Sils-Maria und das Grand Hotel Quellenhof in Bad Ragaz blieben offen, auch wenn sich die Übernachtungen massiv verringerten.
Das Palace Bürgenstock wurde der Kommandoposten des Generalstabs der fünften Division. Das Palace in Luzern wurde, wie schon im Ersten Weltkrieg, zum Lager umfunktioniert. Zusätzlich wurde ein Spital eingerichtet.
14 Grandhotels an der Waadtländer Riviera wurden als Kinderheime, Aufnahmestätten für jüdische Flüchtlinge und Lager für amerikanische Kriegsinternierte genutzt, darunter das Palace in Montreux und in Mont-Pèlerin oder das Grand Hôtel von Caux.
Das Beau-Rivage in Genf stellte 1940 den Betrieb ein. Das Métropole wurde Ende 1941 von der Stadt Genf dem Komitee des Internationalen Roten Kreuzes bis zum Ende des Krieges zur Verfügung gestellt. Die Stadt hatte das Hotel günstig kaufen können. Sie übergab es dem IKRK zur Erfüllung seines «humanistischen Werks» – unentgeltlich.
(Quelle: Thierry Ott, Palaces, 1990)