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Zeitreisen leicht gemacht
from OSTPOST 45
77 Jahrgänge des Rostocker Adressbuchs als Spiegel ihrer Zeit
Vonvielen historisch interessierten Rostockern unbemerkt, ist eine nahezu vollständige Sammlung Rostocker Adressbücher - insgesamt
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77 Jahrgänge - online verfügbar gemacht worden. Der Zeitraum des Erscheinens erstreckt sich zwischen den Jahren 1856 und 1950. Zu Beginn sowie zwischen 1918 und 1950 erschienen die Bücher zeitweise im Zwei-Jahres-Rhythmus und setzten in der Kriegs- und Nachkriegszeit längere Zeit ganz aus.
Auf RosDok, dem Publikationsserver für digitale Medien der Universität Rostock, können Nutzer in diesen interessanten Zeitzeugnissen blättern oder sie sogar herunterladen. Sie waren zuvor als antiquarische Schätze nur gelegentlich in einzelnen Jahrgängen zu erwerben und wurden zu hohen Preisen gehandelt.
Die Rostocker Adressbücher sind Spiegel ihrer Zeit. Sie ermöglichen Nachforschungen zu Wohnort und Beruf von Personen sowie zu Firmensitzen. Interessierte können die Bewohnerschaft von Häusern oder ihre gewerbliche Nutzung nahezu ein ganzes Jahrhundert zurückverfolgen. In den Adressbüchern sind das unzerstörte historische Stadtzentrum und die Vorstädte gelistet mit ihren zum Teil verschwundenen und vergessenen oder auch umbenannten Straßen.
Zeitgeschmack und ein spezielles gesellschaftliches und politisches Umfeld prägten die Einzelnen Ausgaben. So wurden in den ersten Adressbüchern gleich zu Beginn nach Bürgermeister und Ratsherren auch noch das „Collegium der Hundertmänner“, eine ursprünglich aus dem späten Mittelalter stammende Interessenvertretung der Kaufleute und Handwerker, komplett aufgelistet. Außerdem kann man sich über alle städtischen Einrichtungen, Behörden, Schulen, Innungen, Zünfte, Vereine, Stiftungen, Verkehrsverbindungen und Tarife informieren. Es kann auch nachgelesen werden, wie sich Rostocks Selbstverteidigungs-Truppe, das „Fahnen-Corps“, organisiert hatte und welche Bürger für die einzelnen Batterien der städtischen Artillerie auf den Befestigungsanlagen verantwortlich waren.
Dem folgt eine alphabetische Auflistung der „hiesigen Bürger und Einwohner“ mit Beruf und, als Vorläufer der „gelben Seiten“ von heute, die alphabetisch nach Berufsgruppen geordneten Geschäfts- und Gewerbetreibenden. Es bestand ein rechtlicher Unterschied zwischen Einwohner und Bürger. In das Bürgerrecht wurde man in der Regel hineingeboren oder konnte es als Einwohner käuflich erwerben.
Der letzte Abschnitt ist nach Straßen geordnet und listet die Familienvorstände oder alleine lebende Personen jeder Hausnummer auf. Auffallend ist, dass in den frühen Ausgaben jegliches grafische Beiwerk und Anzeigen fehlen.
Im dritten Jahrgang von 1860 tauchten im Anhang die ersten Werbungen von Händlern und Gewerbetreibenden auf, welche zur Finanzierung des Adressbuches beitrugen. Sie waren rein typografisch gestaltet. 1863 finden sich mit der Anzeige des „Pianoforte-Magazins“ aus der Blutstraße 9 die ersten grafischen Darstellungen der beworbenen Artikel. Ab 1896 wurde der Sitzplan des neu erbauten Stadttheaters abgedruckt.

Nach der Jahrhundertwende nimmt die Werbung im Anhang zu und auch am Anfang, in der
Mitte und am Ende des Buches werden überwiegend mehrseitige Werbeblöcke eingeschoben. Im Branchenbuch-Abschnitt finden sich auch immer mehr kleine oder größere Firmenanzeigen, die gestalterisch und durch pure Größe dem Leser ins Auge springen sollen.
Diese Werbungen sind für viele Geschichtsinteressierte von besonderem Interesse und der Hauptgrund, in so einem Adressbuch zu blättern. Während die Anzeigen vor der Jahrhundertwende von einer etwas verwirrenden Vielzahl von Schrifttypen, Schnitten und Größen geprägt waren, kamen im neuen Jahrhundert mit dem Jugendstil auffällige florale Rahmen und anspruchsvollere Gestaltungen hinzu, wobei der Schmuckrahmen meistens keinerlei Zusammenhang zur beworbenen Firma erkennen ließ. „Hauptsache üppig“, schien das Motto zu sein. In das typographische Durcheinander wurde nun häufiger eine gestalterische Linie gebracht und die Vielzahl der benutzten Schrifttypen modernisiert und eingeschränkt. Manche Firmen ließen auch schon eigene Marken entwerfen, welche eine bessere Wiedererkennbarkeit ermöglichten. Die Werbekunden schalteten immer öfter durchgestaltete Anzeigen mit zum Teil interessanten Abbildungen ihrer Produkte.
Im Verlaufe des 1. Weltkrieges ging das Werbeaufkommen stark zurück und erholte sich während der frühen 20er Jahre nur langsam. Mit der Mecklenburgischen Genossenschaftsbank erschien 1924 erstmalig eine Werbung auf dem Buchtitel. Nach dem Inhaltsverzeichnis wurde nun auf den ersten Seiten eine Chronik der zurückliegenden ein oder zwei Jahre, eine kurze Stadtgeschichte und statistische Angaben abgedruckt.
Im Jahre 1920 wurde die erste Stadtverordnetenversammlung der Nachkriegszeit namentlich abgedruckt: Es war ein überwältigender Sieg der Mitte-links-Parteien der „Weimarer Koalition“ zu verzeichnen. In der Mitte des Jahrzehnts wurde das Stadtparlament von den Sozialdemokraten und verschiedenen Interessengruppen wie der starken „Wirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft“ dominiert. Erst 1931, während der Weltwirt- schaftskrise, gibt es einen Hinweis auf eine starke Fraktion der NSDAP in der Stadtverordnetenversammlung. In der Ausgabe von 1934 schlägt sich bereits eine Nazifizierung des öffentlichen Lebens und die Ausschaltung und Gleichschaltung von Parteien und Organisationen nieder. Die Teilorganisationen der Nazi-Partei nehmen bereits ein ganzes Kapitel ein. Auch in vielen Formulierungen, Inhalten, in der Anzeigengestaltung und Typographie äußerte sich der neue Zeitgeist.
1940 erschien die 75. Ausgabe des Rostocker Adressbuches. Es feierte sich selbst mit einer Jubiläumsaktion in Form von zweifarbig gestalteten Werbeanzeigen, die eine durchgängige gestalterische Linie erkennen ließen.
Zwei Jahre später sank das alte Rostock in den Bombennächten des April 1942 in Schutt und Asche. Mit einer in zwei Teilen erschienen Notausgabe reagierten die Herausgeber des Adressbuches darauf. Die Jahrgänge 1941/42 waren nicht erschienen. 1943 galt es schlicht, sich im Chaos der Trümmerwüste und der durch den Krieg und Bombardierungen geänderten Privat- und Geschäftsadressen zurechtzufinden. Ganz am Anfang des behördlichen Teils standen, eine ganze Seite einnehmend, die verzweigten Organisationen des Nazi-Regimes. Vermutlich erschien das Buch auch, um bei der herrschenden Untergangsstimmung und der alles beherrschenden Kriegswirtschaft einen Hauch von Normalität zu bewahren.
Es war kein Leichtes, nach den Wirren des Krieges ein neues und zunächst letztes Rostocker Adressbuch für die Jahrgänge 1949/50 herauszugeben. Der neue Oberbürgermeister Albert Schulz weist darauf in seinem Vorwort hin. Unzählige Familiennamen und Firmen waren ausgelöscht worden und eine große Anzahl neuer Namen kamen mit den Flüchtlingen hinzu. Halb Deutschland suchte einander, 15 Millionen Menschen mussten eine neue Heimat finden und 6,5 Millionen Todesopfer hatte das Land zu beklagen. Ein relativ unpolitischer und nüchterner Rückblick in die Stadtgeschichte erstaunt den Leser der Ausgabe von 1949/50. Wie die Machtverhältnisse aussahen, wird dann aber wenige Seiten weiter auf der Liste der Rostocker Stadtverordneten deutlich: Die SED hatte eine deutliche Mehrheit und den politischen und gesellschaftlichen Strukturen ihren Stempel aufgedrückt. Genossenschaftlicheund staatliche Betriebe tauchen im Kapitel „Handel, Gewerbe und freie Berufe“ auf, es dominierte aber noch der private Bereich. Bedeutende Firmen wie die Brauerei Mahn & Ohlerich waren bereits enteignet, bewahrten aber in ihren Anzeigen das gewohnte Erscheinungsbild.
Bis zu einer einzelnen Ausgabe in den 90er Jahren sollte es das letzte Rostocker Adressbuch sein. In der herrschenden Mangelwirtschaft und angesichts der darnieder liegenden Industrie und des Handwerks war es nicht nur schwierig, Papierkontingente und Druckgenehmigungen zu erhalten, sondern wegen des fehlenden Konkurrenzkampfes und des geringen Warenangebotes auch weniger notwendig, als Gewerbetreibender auf sich aufmerksam zu machen. Die große Nachfrage sorgte dafür, dass die Kundschaft auch ohne Hilfe eines Adress- und Branchenbuches zu den wenigen Erzeugnissen fand.
Vermutlich genügte es „Vater Staat“ auch, dass die Abteilung Pass- und Meldewesen den Überblick über Privatadressen seiner Bürger behielt.
Text: Hinrich Bentzien purl.uni-rostock.de/rosdok/ppn871717379 zum Heiligen Kreuz (1861)
Die Stiftsdamen im Kloster
Die Verantwortlichen der Geschütz-Batterien auf der Stadtbefestigung (1861).






Ein hochgewachsener, sympathischer Mann mittleren Alters fliegt in das Altstadtcafè „A Rebours“ ein, wo ich am Fünfer-Tisch beim offenen Fenster mit rosablühendem Oleander auf ihn zum Interview warte. Den hat er vorab bei Robert für uns bestellt. Ich lobe seine Wahl. Und Rainer Schwieger freut sich, wissend um das Wohlfühlerlebnis in seinem „zweiten Wohnzimmer“, wie er das „A Rebours“ liebevoll nennt. Keine Spur von Nachtwächter. Ganz unkapriziös, freundlich, aufgeschlossen, dennoch auch erwartungsvoll lässt er einen Stuhl zwischen uns frei, setzt sich aber so, dass wir jederzeit einander zugekehrt sein können, uns anzuschauen, aber auch Raum füreinander haben. Nach kurzer Plänkelei über seinen Urlaub in seiner Lieblingsstadt Prag, aus dem er erst nachts zuvor heimgekehrt ist und man meinen könnte, sein Geist wäre noch dort (weit gefehlt; seit 10.00 Uhr morgens war er bereits im Büro seiner Rostock Touristik GmbH am Neuen Markt am Arbeiten), lege ich mit Fragen los.
Seit wann sind Sie der Nachtwächter in der Altstadt von Rostock?
Seit dem 1. Mai 2005.
Sind Sie eine „Institution“?
Ja.
Wie entstand die Idee, Nachtwächter zu werden? Gab es ein Schlüsselerlebnis oder eine Motivation, Vorbilder?
Im Jahr 2001 habe ich in Rothenburg ob der Tauber meine erste Nachtwächterführung erlebt. Die beeindruckte mich stark. Schon ungefähr im Jahr 2000 suchte der Rostocker Stadtführerverein Nachwuchs. Ich hatte meine Studien der Geschichte, der Landesund Regionalgeschichte von MV und in der Erwachsenenpädagogik absolviert - eine ideale Kombination - und machte dann die Ausbildung zum Stadtführer an der Volkshochschule noch dazu. Letztendlich war die Suche nach neuen Möglichkeiten und Angeboten so reizvoll, dass ich die Dozententätigkeit bei einem Bildungsträger beendete, das Hobby zum Beruf machte und im Jahr 2005 die Hanse Touristik Rostock GmbH gründete.